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Sören Kierkegaard

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Der Begriff Angst

Was war die Ausgangssituation für Sören Kierkegaard, als er 1844 in Kopenhagen unter dem Pseudonym

VIGILIUS HAUFNIENSIS

seine Schrift

DER BEGRIFF ANGST

Eine schlichte psychologisch-andeutende Überlegung

in Richtung auf das dogmatische Problem der Erbsünde

veröffentlichte?

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So wie der norwegische Maler Edvard Munch unter dem Titel „Angst“ (gemalt 1894) sehr schön eine verängstigte Menschengruppe - unter dem Einfluss seines eigenen Angstgefühls und dem Gefühl der Zeit - bildlich illustriert, erschienen Kierkegaard bereits 50 Jahre früher seine Mitbürger als untertänige, von Angst gelähmte Kirchgänger.

Doch für Kierkegaard sollte das Christentum die Bürger nicht lehrhaft von der Kanzel herab „einlullen“ und lähmen, sondern aufrütteln.

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Der Begriff Angst

„Das Christentum ist keine Lehre, sondern […] eine Existenz-Mitteilung. […] Das Christentum geht die Existenz, das Existieren an. […]. Wenn der Glaubende im Glauben existiert, hat seine Existenz ungeheuren Inhalt, aber nicht in der Bedeutung von Paragraphen-Ausbeute.“Unwissenschaftliche Nachschrift, S. 550f.

-> Kierkegaard vertritt ein neues Verständnis des Christentums.

-> Aus diesem Selbstvertrauen heraus, als einzelner Christ, beschäftigt er sich als Erster mit dem Grundgefühl der Moderne: der Angst

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Der Begriff Angst

Die Kritik an Hegel:

Hegel hatte mit seiner Ansicht vom „Weltgeist“ die staatlichen Institutionen wiederentdeckt und wurde von Kritikern als „preußischer Staatsphilosoph“ bezeichnet .

Sein Spruch

„Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“

schrieb Philosophie-Geschichte.

G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts , Vorrede, S. 24

-> Gegen Hegels „Versöhnung“ von Kirche, Staat und Religion schrieb Kierkegaard an.

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Der Begriff Angst

Die Auseinandersetzung mit der Dänischen Staatskirche

-> Kierkegaard wendet sich dem Individuum, dem existierenden Einzelnen zu.

Sein erstes Werk „Entweder – Oder“ war für die Dänische Nationalkirche ein Skandal, da es die Christen zum Selbstdenken, zur „Selbstwahl“ aufforderte.

Kierkegaard empfand die „Diener Gottes“ als eine Art „Kirchenbeamte“, die am Menschen, an ihren Bedürfnissen, Gefühlen und ihrem eigentlichen „Christsein“ vorbeipredigten.

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Der Begriff Angst

Kierkegaard war als „Vater der Existenzphilosophie“ der erste, der dem Gefühl der „Angst“ in einer philosophischen Einzelschrift einen Platz einräumte und sie analysierte.

Er gilt deshalb auch als ein Vorläufer der Psychoanalyse Sigmund Freuds.

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Der Begriff Angst

Fragt man heute einen Psychoanalytiker, kommt man zu dem Schluss, dass wir uns bei Kierkegaard

im Bereich der Angst vor den Abgründen, vor dem Abgründigenbefinden:

-> Denn niemand weiß vorher, was

bei der „Selbstwahl“ herauskommt.

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Dazu schreibt der deutsche Philosoph und Psychiater Karl Jaspers (1883 - 1969):

„Das Bewusstsein hat sich im 19. Jahrhundert gespalten: Dem Glauben an den Anbruch einer großartigen Zukunft steht das Grauen vor dem Abgrund, aus dem keine Rettung mehr ist, entgegen. Mit Hegel ist etwas zu Ende gegangen, was bei allen Differenzen durch Jahrtausende ein Ganzes war. [...].“

„Wir sehen Kierkegaard und Nietzsche wie Sturmvögel vor einer Wetterkatastrophe: Sie zeigen die Unruhe, die Hast und etwas wie Kreisen und Taumeln und Absturz.“

Die geistige Situation der Zeit, 1932

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Der Begriff Angst

Wie konnte es nun zu all diesen Auswirkungen kommen, die „Der Begriff Angst“ auf Theologie, Philosophie, Literaturwissenschaft, Psychoanalyse etc. hatte?

In welcher Form baut Vigilius Haufniensis (= Nachtwächter von Kopenhagen) seine Überlegungen auf?

Vigilius analysiert das Phänomen der Angst anhand einer Untersuchung des Sündenfalls Adams.

Er beginnt im ersten Kapitel

Angst als Voraussetzung der Erbsünde und als das die Erbsünde nach rückwärts auf ihren Ursprung zu Erklärende.

§ 1 Geschichtliche Andeutungen hinsichtlich des Begriffs „Erbsünde“

-> Kierkegaard begibt sich zu Anfang tief in die christliche Dogmatik.

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Der Begriff Angst

„Ist der Begriff Erbsünde von dem Begriff die erste Sünde auf die Art verschieden, dass der Einzelne nur durch sein Verhältnis zu Adam und nicht durch sein ursprüngliches Verhältnis zur Sünde daran teilhat? Solchenfalls ist denn Adam abermals phantastisch aus der Geschichte herausgesetzt. Adams Sünde ist dann etwas, das mehr als vergangen ist (plus quamperfectum).“

„Die Erbsünde ist das Gegenwärtige, ist die Sündigkeit, und Adam der Einzige, in dem diese nicht war, da sie durch ihn entstand.“ IV 298

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-> Vigilius zieht dann mit Hilfe seiner fundierten theologischen Kenntnisse aus Dogmatik und Exegese verschiedene Möglichkeiten bezüglich der Stellung von Adams Sünde in Betracht:

- Entbehren des göttlichen Ebenbildes- Ermangelung der Urgerechtigkeit- Ob die Erbsünde eine Strafe sein soll

Oder: „… die Schuld, dass wir allesamt von wegen des Ungehorsams Adae und Evae in Gottes Ungnaden sind.“ IV 299

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„Aber wie steht es denn mit Adam? Er brachte ja die Erbsünde in die Welt, war denn also die Erbsünde in ihm nicht eine Tatsünde? Oder bedeutet die Erbsünde für Adam das Gleiche wie für jedermann im Geschlecht? […] Also, wie man das Problem auch stellen möge, sobald Adam phantastisch außerhalb zu stehen kommt, verwirrt sich alles. Adams Sünde erklären heißt daher die Erbsünde erklären, und keine Erklärung hilft etwas, welche Adam erklären will, nicht aber die Erbsünde, oder die Erbsünde erklären will, nicht aber Adam.“ IV 300

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„Dies hat seinen tiefsten Grund darin, dass – was das Wesentliche in der menschlichen Existenz ist – der Mensch Individuum ist und als solches zu gleicher Zeit er selbst und das ganze Geschlecht, dergestalt, dass das ganze Geschlecht am Individuum teilhat, und das Individuum am ganzen Geschlecht.“ IV 300

-> Kierkegaard beginnt also hier bereits wieder, einen innerperspektivischen Raum des Menschen zu betreten, der ihm dann, wie oben angedeutet, aus psychoanalytischer Sicht den Ruf einbrachte, bereits ein Vorläufer Freuds zu sein. Ein Phänomen, das sich ja bereits bei der „Wieder-Holung“ zeigte, wird nun nochmals konkretisiert.

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-> Für Kierkegaard besitzt Adam nicht die Erbschuld in dem Sinne, dass er durch einen unerlaubten Verbotsübertritt die Sündigkeit in die Welt gebracht hat. Sondern Adam war „lediglich“ der von Gott außerwählte „Erste“, der eine Sünde begangen hat, so wie wir heute alle auch sündigen. Und so, wie es von Gott durchaus auch „gewollt“ war, da er dem Menschen diesen Geist, die Wahlmöglichkeit zwischen „Gut“ und „Böse“ gerade gegeben hat, weil der Mensch weder Tier noch Engel ist.

-> Diese Wahlmöglichkeit, die man auch als Selbstständigkeit des Handelns vor Gott, als Möglichkeit zur Freiheit bezeichnen kann, erhebt den Menschen, ist aber auch die Voraussetzung zur ANGST.

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-> Der Mensch wurde von Gott von vornherein so geschaffen, dass er diese Eigenständigkeit besitzt, aber auch, dass er diese Verstricktheit seines Geistes, die zur Angst führt aushalten muss. Deshalb auch Kierkegaards Forderung, dass erst der Mensch, der die Angst durchgestanden hat, sich selbst gewählt hat und ein Mensch sei.

„Indem denn also die Geschichte des Geschlechts fortschreitet, beginnt das Individuum immerfort von vorne – denn es ist es selbst und das Geschlecht -, und damit wieder die Geschichte des Geschlechts.“ IV 301

-> Wir haben alle die gleichen Erbanlagen und sündigen wieder neu.

-> Adam ist gleichzeitig Teil der menschlichen Gattung und Individuum -> jener Einzelne.

-> Adam ist nicht aus der Menschheitsgeschichte phantastisch herausgelöst.

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Der Begriff Angst

§ 2 Der Begriff „Die erste Sünde“

„Durch die erste Sünde ist die Sünde in die Welt gekommen. Ganz und gar auf die gleiche Weise gilt von eines jeden späteren Menschen erster Sünde, dass durch sie die Sünde in die Welt kommt.“ IV 303

Und so lautet Viglius‘ Fazit:

„Die Sünde ist durch eine Sünde in die Welt gekommen. Wäre dem nicht so, so wäre die Sünde hineingekommen als etwas Zufälliges, und das zu erklären soll man sich wohl hüten. […] Die Sünde kommt also hinein als das Plötzliche, d.h. durch den Sprung […].“ IV 304

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-> Wenn der Geist gesetzt wird, entsteht die Sünde und diese pflanzt sich fort von Adam und Eva. Aber in dem Sinne, dass jeder Mensch wieder neu sündigt, da er gleichzeitig ein Individuum ist und zur Gattung „Mensch“ gehört.

Er präzisiert weiter: „Bei ganz genauer und scharfer Ausdrucksweise muss man sagen, durch die erste Sünde ist die Sündigkeit in Adam hineingekommen.“ IV 305

-> Innenperspektive

-> Möglichkeit der Wahl zwischen Gut und Böse ist in Adam gekommen –> Selbstwahl -> Freiheit

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-> Durch den erklärenden Satz, der wie eine Tautologie anmutet: „Die Sünde kam durch eine Sünde in die Welt“ macht Kierkegaard klar, dass die Sünde auf der Welt zwar eine unleugbare Tatsache ist, ihre Existenz aber nicht rein mit der menschlichen Vernunft erklärbar ist.

-> Durch die Setzung des Geistes, indem der Mensch eine Selbstwahl zur Freiheit treffen kann, erahnt der Mensch aber die Möglichkeit der Verfehlung, der Sünde. ->

Dies führt zur Angst.

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„Zuhöchst wäre jeder Einzelne er selbst gewesen, nicht er selbst und das Geschlecht, er hätte keine Geschichte gehabt, so wie ein Engel keine Geschichte hat, nur er selber ist und an keiner Geschichte Anteil hat.“ IV 306

„[…] die Geschichte des Geschlechts schreitet ja ruhig auf ihrem Wege voran, und in dieser kommt kein Individuum dazu, an derselben Stelle wie ein andres anzufangen, während doch ein jedes Individuum von vorne beginnt, und augenblicklich da ist, allwo in der Geschichte es beginnen sollte.“ IV 306

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§ 3 Der Begriff Unschuld

-> Unterscheidung zwischen den Begriffen „Unmittelbarkeit“ und „Unwissenheit“ im Verhältnis zur Unschuld:

-> Abgrenzung zu Hegel

„Der Begriff Unmittelbarkeit gehört in die Logik, der Begriff Unschuld aber in die Ethik“ IV 307 –

> jeder Begriff muss bei seiner Wissenschaft bleiben

-> Die „Unmittelbarkeit“ eines logischen Schlusses der von Aristoteles begründeten Syllogistik steht im Gegensatz zur Abgrenzung „Unschuld<->Schuld“.

-> Bevor Adam schuldig wurde, stand sein Entschluss, etwas zu tun, also eine Reflexion.

-> Grund: Die Setzung des Geistes

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„Also gleichwie Adam durch die Schuld die Unschuld verloren hat, gerade so verliert sie jeder Mensch. Verlor er sie nicht durch SCHULD, so verlor er auch nicht die UNSCHULD, und war er nicht unschuldig, ehe denn er schuldig ward, so wurde er niemals schuldig.“ IV 307

-> Unschuld Voraussetzung dafür, schuldig werden zu können.

-> Was versteht Kierkegaard nun unter Unschuld?

-> Kierkegaard liefert dafür folgende Begriffsdefinition:

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„Die Erzählung der Genesis gibt nun auch die richtige Erklärung der Unschuld. Unschuld ist Unwissenheit. Sie ist keineswegs das reine Sein des Unmittelbaren, sondern sie istUnwissenheit.“ IV 309

„Das Geschlecht hat seine Geschichte, in dieser hat die Sündigkeit ihre fortlaufende quantitative Bestimmtheit, aber die Unschuld wird stets nur verloren durch den qualitativen Sprung des Individuums.“ IV 309

Quantitative Bestimmtheit / das Geschlecht hat seine Geschichte -> Jedes Individuum gehört dem Menschengeschlecht an und somit wohnt auch (quantitativ verbreitet) in jedem Individuum die Sündigkeit.

Qualitativer Sprung -> Setzung des Geistes -> erstmalig durch Gott bei Adam, dann bei allen Menschen.

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„Daß die Sündigkeit, welche der Fortschritt des Geschlechts ist, in dem Einzelnen, der in seiner Handlung sie übernimmt, als größere oder geringere Disposition sich zeigen kann, ist freilich wahr, aber dies ist ein Mehr oder Minder, ein quantitatives Bestimmen, welches nicht den Begriff Schuld konstituiert.“ IV 309

Sündigkeit als Fortschritt des Geschlechts

-> Thomas Mann („Josef und seine Brüder“) hätte vielleicht mit anderen Worten gesagt, dass Gott mit dem Menschen etwas besonders Großes schaffen wollte und ihm deshalb den Geist setzte. Damit schaffte er ihm die Möglichkeit zur Wahl, zur Freiheit, aber gleichzeitig einen Geist, der sich unabhängig von der weiteren direkten Kontrolle von Gott, sich in sich selbst verstricken kann. Und zwar dann, wenn das Selbst sich zu sich selbst verhält.

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-> Daraus schließt Kierkegaard:

Ein Mensch kann gar nicht anders, als seine Unschuld zu verlieren und schuldig zu werden. Auch Adam wurde durch die Wahlmöglichkeit dazu „von Gott gelockt“. Er ist nicht mehr oder weniger schuld als wir nachfolgenden Generationen an der Sündigkeit.

-> Und genau diese Ausgangslage führt beim Menschen zur Angst

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-> Denkt man an „Entweder – Oder“ zurück, ist das Stadium der Unschuld = Unwissenheit mit dem ästhetischen Stadium vergleichbar.

-> Der Mensch als Unwissender lebt dahin = träumender Geist ( § 5 ) und besitzt die Erkenntnis von Gut und Böse noch nicht.

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§ 4 Der Begriff Sündenfall

„Man möge sich keine Ungelegenheiten machen, die Sündigkeit ist keine Seuche, die sich ausbreitet, wie die Kuhpocken und aller Mund soll verstopfet werden“. (Röm. 3, 19)IV 310l

Kierkegaard setzt sich in § 4 mit einer psychologischen Erklärung des Sündenfalls auseinander.

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Der Begriff Angst

-> Er fragt nach dem Zusammenhang von Gottes Verbot und dem Sündenfall:

„Wenn man den Sündenfall durch das Verbot bedingt sein lässt, so lässt man das Verbot ein Gelüste wecken. Hier hat die Psychologie ihre Zuständigkeit bereits überschritten. Ein Gelüste ist eine Bestimmung von Schuld und Sünde vor Schuld und Sünde, und welche doch nicht Schuld und Sünde, d.h. gesetzt durch diese ist. Der qualitative Sprung wird entnervt, der Sündenfall wird etwas Successives.“ IV 312

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„Die psychologische Erklärung darf nicht die Pointe zerreden, sie muss in ihrer geschmeidigen Zweideutigkeit bleiben, aus welcher die Schuld hervorbricht im qualitativen Sprung.“

-> Das Ethische an dieser Situation ist für Vigilius die Reflexion über die Wahlmöglichkeit der Freiheit.

-> Existenzialismus sucht seine Ethikmotivation aus der Freiheit. -> Hierbei stellt er das geistige Könnensbewusstsein der Menschen (welches auch das Nichtkönnensbewusstsein impliziert), indem der qualitative Sprung über die Setzung des Geistes geht <->dem reinen, triebhaften „Gelüste“ gegenüber, das das Verbot erweckt (vergleichbar mit physiologischen Effekten: Bratenduft -> Hungergefühl).-> Ethische Kategorie der Freiheit

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Der Begriff Angst

§ 5 Der Begriff Angst

„Die Unschuld ist Unwissenheit.“

„In der Unschuld ist der Mensch nicht als Geist bestimmt, sondern seelisch bestimmt in unmittelbarer Einheit mit seiner Natürlichkeit.“

-> noch nicht mit gesetztem Geist, nicht mit Könnensbewusstsein, nicht reflektierend

-> Menschliche Verfassung noch Einheit von Leib und Seele

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„Der Geist ist träumend im Menschen. Diese Auffassung ist ganz in Übereinstimmung mit der Bibel, welche dem Menschen im Stande der Unschuld das Kennen des Unterschiedes von Gut und Böse abspricht und somit den Stab bricht über alle katholischen Phantastereien von Verdienst.“

„In diesem Zustand ist Friede und Ruhe; aber da ist zu gleicher Zeit noch etwas Anderes, welches nicht Unfriede und Streit ist; denn es ist ja nichts da, damit zu streiten. Was ist es denn?“

„Nichts. Aber welche Wirkung hat das Nichts? Es gebiert Angst. Das ist die tiefe Heimlichkeit der Unschuld, sie ist zugleich Angst.“ IV 313

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Der Begriff Angst

-> Unschuld = Unwissenheit

-> In der Unwissenheit spürt der Mensch die Verzweiflung, weil er die Selbstwahl noch nicht getroffen hat.

-> In der Unschuld hat der Mensch die Erkenntnis von Gut und Böse noch nicht.

-> Aber er spürt die Möglichkeit der Selbstwahl, weil Gott den Menschen mit dieser Möglichkeit, den Geist zu setzen, geschaffen hat.

-> Diese Möglichkeit der Selbstwahl, der Freiheit, gebiert Angst, da sie die Unwissenheit darüber mit sich bringt, was die Selbstwahl ergeben wird.

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Der Begriff Angst

-> Der Mensch verspürt also in dieser Angst bereits das Gefühl der Angst vor der Setzung des Geistes.

-> Denn heute kann die Ausübung von Freiheit dem Menschen ebenfalls Angst bereiten, da man sich für all die gewählten Lebensoptionen gleich all der nichtgewählten Lebensoptionen „schuldig“ macht. Während der Geist (Vernunft/Verstand) im träumenden Zustand den Unterschied zwischen Gut und Böse noch nicht kennt, produziert der Mensch aber auf der Gefühlsebene bereits die Angst.

-> Auch hier bereits Anklänge an die noch aufkommende Psychoanalyse und Tiefenpsychologie.

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Der Begriff Angst

„Angst ist eine Bestimmung des träumenden Geistes, und gehört als solche in die Psychologie.“

„Wach ist der Unterschied zwischen mir selbst und meinem Andern gesetzt, schlafend ist er suspendiert, träumend ist er ein angedeutetes Nichts.“

„Des Geistes Wirklichkeit zeigt sich fort und fort als eine Gestalt, die seine Möglichkeit lockt, ist jedoch entschwebt, sobald diese danach greift und ist ein Nichts, das nichts als ängstigen kann.“

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Der Begriff Angst

Abgrenzung von Furcht und Angst

„Mehr vermag sie nicht, solange sie sich bloß zeigt. Man sieht den Begriff Angst nahezu niemals in der Psychologie behandelt, ich muss daher darauf aufmerksam machen, dass er ganz und gar verschieden ist von Furcht und von ähnlichen Begriffen, die sich auf etwas Bestimmtes beziehen,

wohingegen Angst die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit für die Möglichkeit ist.“

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„Wenn wir die dialektischen Bestimmungen von Angst betrachten wollen, so zeigt es sich, dass diese eben die dialektische Zweideutigkeit haben. Angst ist eine sympathetische Antipathie und eine antipathetische Sympathie.

Der Sprachgebrauch bestätigt dies vollkommen, man sagt: die süße Angst, die süße Beängstigung, man sagt: eine wunderliche Angst, eine scheue Angst usw.

Bei der Beobachtung von Kindern wird man diese Angst bestimmter angedeutet finden als ein Trachten nach dem Abenteuerlichen, dem Ungeheuerlichen, dem Rätselhaften.“

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-> Was bedeutet diese dialektische Angst?

1.) Mensch möchte wissen, was ängstigt; er wird zugleich angelockt von den scheinbar unendlichen Wahlmöglichkeiten der Freiheit.

2.) Zugleich schreckt der Mensch vor der Angst zurück, da die „Wirklichkeit der Möglichkeit zur Freiheit“ den Menschen für jede seiner Handlungen voll verantwortlich macht.

3.) Die bringt die Angst vor Verfehlung -> vor der Ursünde -> vor der Schuld an sich und den Anderen mit sich.

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-> Mit der Selbstwahl soll der bis dahin „träumende Geist“ die unmittelbare leib-seelische Einheit trennen und als Synthese verbinden.

-> Dadurch, dass sich der Geist als verbindendes Element der Synthese setzt, werden beide Seiten

- der Leib und die Seele

- das Zeitliche und das Ewige

- das Endliche und das Unendliche

zueinander ins Verhältnis gesetzt.

-> Der Mensch bemerkt seine Unterschiedlichkeit zu Gott

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-> Folge: Der Mensch muss jeden Moment wieder diese Synthese neu leisten, wenn er wählt.

-> Er steht immer in der Angst vor Verfehlung.

-> Man kann immer wieder in diesen Augenblicken durch den Geist die beiden unterschiedlichen Pole verbinden.

Paradox:

-> Das Paradox des gelingenden Selbst-Seins besteht also daraus, dass der Mensch als „jener Einzelne“ bei sich selbst ankommt, aber nie fertig ist. -> Immer neu zu vollbringende Lebensaufgabe, seine Grundhaltung zu leben.

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Die Aufgabe des Menschen als ein Wesen, das „denkt“ und „fühlt“, ist nun, sich durch die Selbstwahl seiner selbst zu stellen. -> Herauszufinden, wer man ist.

Mit Kierkegaard kommt eine neue Tiefendimension in die Philosophie:

Die existenziellen Aspekte von Gefühlen wie Schwermut, Verzweiflung, Angst -> werden in den Mittelpunkt gestellt. -> Gefühle, die sich im Einzelnen - der vor Gott steht – abspielen.

-> Schritt in die Moderne -> Impulse für Philosophie, Theologie, Psychoanalyse, Kommunikationsethik, Psychiatrie etc.

Bis dahin wurde in der Philosophie von dieser Innenwelt abstrahiert . Bsp.: Vernunftglauben bei Kant.

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Folge der Angst:

„Angst hat hier die gleiche Bedeutung wie Schwermut an einem weit späteren Punkte, wo die Freiheit, nachdem sie die unvollkommenen Gestalten ihrer Geschichte durchlaufen, im tiefsten Sinne zu sich selber kommen soll.“

-> So wie die Verzweiflung jenen Einzelnen zur Wahl vom Ästhetiker zum Ethiker führen sollte, führt die Angst auf der höheren Ebene weiter zur Selbstwahl und somit zur Wahl der Freiheit.

Verzweiflung -> Wahl des Ethikers (E – O)

Angst -> Wahl der Freiheit -> qualitativer Sprung: Freiheitsausübung vor Gott

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Der Begriff Angst

„Der qualitative Sprung steht außerhalb jeder Zweideutigkeit, aber der, welcher durch Angst hindurch schuldig wird, er ist ja unschuldig; denn er ist nicht selbst gewesen, sondern die Angst, eine fremde Macht, welche ihn gepackt, eine Macht, die er ja nicht liebte, nein, vor der er sich ängstigte; – und doch ist er ja schuldig, denn er versank in der Angst, welche er dennoch liebte indem er sie fürchtete.“

-> Dialektik der Angst-> Handeln des Menschen ergänzt sich mit der ungewissen, äußeren Macht-> fremde Macht – von Gott veranlasst-> deshalb qualitativer Sprung, nicht psychologisch erklärbar

31.01.2018 Sibylle Dorothea Schäfer 42

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Der Begriff Angst

„Jede Vorstellung dahin, dass das Verbot ihn gereizt, oder dass der Verführer ihn betrogen habe, hat nur für oberflächliche Beobachtung genügende Zweideutigkeit, verfälscht die Ethik, bringt ein quantitatives Bestimmen zuwege, und will mit Hilfe der Psychologie dem Menschen ein Kompliment auf Kosten der Ethik machen, und dies Kompliment muß sich ein jeder, der ethisch entwickelt ist, verbitten als eine neue und abgründige Verführung.“ IV 314

-> Der Mensch ist als vernunftbegabtes Wesen der Reflektion fähig -> er hat die Möglichkeit der reflektierten Wahl -> Verbot löst keinen willenlosen Reflex aus.

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Der Begriff Angst

„Wenn es somit in der Genesis heißt, daßGott zu Adam sprach: „allein von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen“, so versteht es sich ja von selbst, daß Adam dies Wort eigentlich nicht verstanden hat; denn wie sollte er wohl den Unterschied von Gut und Böse verstehen, da diese Unterscheidung doch erst mit dem Genuß sich einstellte.

Wenn man nun annimmt, daß das Verbot die Lust weckt, so erhält man anstelle der Unwissenheit ein Wissen, denn dann mußAdam ein Wissen von Freiheit gehabt haben, sintemal die Lust ja darauf ginge sie zu gebrauchen.

Diese Erklärung ist daher nachträglich. Das Verbot ängstigt ihn, weil das Verbot die Möglichkeit der Freiheit in ihm weckt.“

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Der Begriff Angst

-> Das Bewusstsein des Nichtkönnens impliziert das Könnensbewusstsein.

„Was an der Unschuld vorübergestreift ist als das Nichts der Angst, das ist nun in ihn selbst hineingetreten, und ist hier wiederum ein Nichts, die ängstigende Möglichkeit zu können.“ IV 316

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Der Begriff Angst

„Auf die Worte des Verbots folgen die Worte, welche die Strafe setzen: so wirst du gewißlichdes Todes sterben. Was es heißen wolle zu sterben, das begreift Adam natürlich durchaus nicht, dahingegen steht, falls man annimmt, dies sei zu ihm gesagt worden, dem nicht im Wege, daß er die Vorstellung des Entsetzlichen gefaßthat.

In dieser Hinsicht kann ja sogar das Tier den mimischen Ausdruck und die Bewegung in des Redenden Stimme verstehen, ohne daß es das Wort versteht. Wofern man das Verbot die Lust wecken läßt, muß man auch die Worte der Strafe eine abschreckende Vorstellung wecken lassen.

Das ist indes verwirrend. Das Entsetzen hier wird lediglich zu Angst; denn Adam hat das Gesagte nicht verstanden, und hat somit wiederum nichts als die Zweideutigkeit der Angst.“

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Der Begriff Angst

„Die unendliche Möglichkeit zu können, die durch das Verbot geweckt wurde, rückt jetzt dadurch näher, daß diese Möglichkeit eine Möglichkeit als ihre Folge aufzeigt.“

-> Mensch bemerkt Möglichkeit der Selbstwahl

-> Mensch bemerkt Möglichkeit der daraus entstehenden Folgen der Wahl

„Solchermaßen ist die Unschuld zum Äußersten gebracht. Sie ist mit der Angst im Verhältnis zum Verbotenen und zur Strafe. Sie ist nicht schuldig, dennoch ist da eine Angst, als wäre sie verloren.“

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Der Begriff Angst

-> Adam hat die Worte Gottes in ihren angekündigten Handlungsfolgen nicht verstehen können.

-> Es bleibt ihm nur die dialektische Angst, als Entscheidungsbasis, den Geist zu setzen.

-> Niemand kann die Folgen seiner Selbstwahl bis ins Kleinste hinein abschätzen. Deshalb bleibt nur der „qualitative“ Sprung in die Freiheit, der aber auch ein Sprung ins Ungewisse bleibt.

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Der Begriff Angst

Vigilius schließt § 5 mit den Sätzen ab:

„Vor allem gilt dies vom Unterschied zwischen Gut und Böse, welcher freilich in der Sprache ist, aber allein für die Freiheit ist.

Die Unschuld kann diesen Unterschied gut und gern aussagen, aber der Unterschied ist nicht für sie, und hat für sie lediglich die Bedeutung, die wir im Vorausgehenden dargetan haben.“

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Der Begriff Angst

-> Der Mensch muss den Zustand der Angst durchstehen, um die Selbstwahl, die Freiheit ausüben zu können.

-> Dies schließt immer Verfehlung und Möglichkeiten, die wir dann nicht gewählt haben, mit ein.

-> Dies impliziert immer Schuld: Schuld an anderen, Schuld an uns selbst: der Mensch hat trotz Wahl auch immer einen Anteil „nicht gelebten Lebens“, den er aushalten muss.

-> Für diese existenzielle Schuld an sich und den anderen gilt als Maßstab die Verantwortung für das eigene Leben.

-> Wähle Dich selbst, und schaue, wer Du bist.

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Der Begriff Angst

Dies alles fasst Kierkegaard noch einmal im zweiten Kapitel wie folgt zusammen:

„Angst kann man vergleichen mit Schwindel. Der, dessen Auge es widerfährt in eine gähnende Tiefe niederzuschauen, er wird schwindlig. Aber was ist der Grund? Es ist ebensosehr sein Auge wie der Abgrund; denn falls er nicht herniedergestarrt hätte. Solchermaßen ist die Angst der Schwindel der Freiheit, der aufsteigt, wenn der Geist die Synthesis setzen will, und die Freiheit nun niederschaut in ihre eigne Möglichkeit, und sodann die Endlichkeit packt sich daran zu halten. In diesem Schwindel sinkt die Freiheit zusammen. Weiter vermag die Psychologie nicht zu kommen und will es auch nicht.“

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Der Begriff Angst

„Den gleichen Augenblick ist alles verändert, und indem die Freiheit sich wieder aufrichtet, sieht sie, dass sie schuldig ist. Zwischen diesen beiden Augenblicken liegt der Sprung, den keine Wissenschaft erklärt oder erklären kann. Wer in Angst schuldig wird, er wird so zweideutig schuldig wie nur möglich. Angst ist eine weibliche Ohnmacht, in welcher die Freiheit das Bewusstsein verliert, psychologisch gesprochen geschieht der Sündenfall stets in der Ohnmacht; aber Angst ist zugleich das Selbstischste von allem, und keine konkrete Äußerung der Freiheit ist so selbstisch wie die Möglichkeit zu jeder Konkretion.“ IV 331

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