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Kulturgeschichte vom Mittelalter bis heute Stadt der Künste

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Kulturgeschichte vom Mittelalter bis heute

Stadt der Künste

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Kulturgeschichte vom Mittelalter bis heute

Stadt der Künste

Herausgegeben vonMartin Bernstein und Wolfgang Görl

Impressum

Süddeutsche Zeitung GmbH, München für die Süddeutsche Zeitung Edition 2013

Projektleitung: Sabine Sternagel, Daniela Wilhelm-Bernstein Art Direction: Stefan DimitrovRedaktion: Daniela Wilhelm-Bernstein, Jakob WetzelGestaltung: Sibylle SchugLitho: Matthias WorschDruck und Bindearbeiten: Westermann Druck Zwickau GmbH

Das Werk einschließlich aller seiner Texte ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfälti-gungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Daten und Fakten dieses Buches wurden mit äußerster Sorgfalt recherchiert und geprüft. Dennoch kann keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben übernommen werden.

Printed in GermanyISBN: 978-3-86497-146-4

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München – Stadt der Künste

Inhalt

Peter Cornelius Eine unglückliche Liaison Von Wolfgang Görl ............................................................. 120

Leo von Klenze Der Architekt des Königreichs Von Alfred Dürr ................................................................... 124

Johann Andreas Schmeller Die Suchmaschine Von Rudolf Neumaier ........................................................ 128

Ulrich Himbsel Villenkultur und Fremdenverkehr Von Sabine Bader ................................................................ 131

Friedrich von Gärtner Des Königs Italiener Von Martina Scherf ............................................................. 134

Heinrich Heine „Ein seltsames Volk, ohne Satire, ohne Politik“ Von Wolfgang Görl ............................................................. 138

Franz Hanfstaengl Macht und Schönheit Von Wolfgang Görl ............................................................. 142

Franz von Kobell Mineraloge und Poet dazu Von Sabine Reithmaier ....................................................... 146

Wilhelm Busch Moderne Malerschnaderhüpfeln Von Wolfgang Görl ............................................................. 150

Franz Lachner Schubertfreund, Wagnergegner Von Harald Eggebrecht ...................................................... 152

Carl Spitzweg Der Spötter und Könner Von Kia Vahland .................................................................. 154

Friedrich Bürklein Schöpfer der Maximilianstraße Von Jakob Wetzel ................................................................ 158

Ferdinand von Miller Der Vater der begehbaren Frau Von Astrid Becker ............................................................... 160

Richard Wagner Luftschloss an der Isar Klaus Kalchschmid ............................................................. 164

Aufbruch in die Moderne

Moderne Kunst und politische Konflikte ............. 170

Paul Heyse Der verblasste Glanz des Dichterfürsten Von Rita Baedeker .............................................................. 172

Franz von Lenbach Der Großkünstler Von Wolfgang Görl ............................................................. 176

Gabriel von Max Mädchen, Mumien, Märtyrer Von Wolfgang Görl ............................................................. 180

Georg von Hauberrisser Baumeister im Banne der Gotik Von Karoline Meta Beisel .................................................. 184

Wilhelm Leibl Mühsal und Pein für ein grandioses Meisterwerk Von Hans Kratzer ................................................................ 188

Max Liebermann Skandal der Schläfenlocken Von Nicole Graner .............................................................. 192

Gabriel von Seidl Genialer Generalist Von Christoph Wiedemann ............................................... 196

Friedrich August von Kaulbach Der Bürger als Künstlerfürst Von Franz Kotteder ............................................................. 200 Karl Wilhelm Diefenbach Kommunarde, Vegetarier und Heilsbotschafter Von Wolfgang Görl ............................................................. 204

Ludwig Ganghofer Eingemottet in der Schublade des Kitschkönigs Von Gerhard Fischer ........................................................... 208

Emanuel von Seidl Stararchitekt und Partylöwe Von Christian Mayer .......................................................... 212

Eine Schäferin singt und spielt Xylophon, um den schlafenden Kavalier zu wecken: „Der gestörte Schläfer“ heißt die Porzellan-skulptur des Rokoko-Künstlers Franz Anton Bustelli.

München – Stadt der Künste

Inhalt

Editorial ......................................................................................... 8

Mittelalter

Von Bilderschützern und Philosophen .................... 28

Erasmus Grasser Seit 500 Jahren auf dem Sprung Von Berthold Neff ................................................................. 30

Erasmus Grasser Die mysteriöse Zahl Von Berthold Neff ................................................................. 34

Jan Polack Großes Kino für große Herren Von Christoph Wiedemann ................................................. 36

William Ockham Ideen, scharf wie Rasiermesser Von Martin Bernstein ........................................................... 39

Jörg von Halspach Wie Meister Jörg den Teufel überlistete Von Alexandra Vecchiato .................................................... 42

Frühe Neuzeit

Der Kampf um den Glauben .......................................... 48

Wiguläus Hundt Wie die Nibelungen nach München kamen Von Joachim Käppner .......................................................... 50

Hans Sachs Verliebter Geselle Von Wolfgang Görl ............................................................... 54

Orlando di Lasso Der Fürst der Musiker Von Wolfgang Görl ............................................................... 56

Hans Mielich Maler Zentz macht einen Witz Von Jakob Wetzel .................................................................. 60

Hubert Gerhard Blühende Landschaften Von Martin Bernstein .......................................................... 62

Hans Krumper Maximilians Werk und Krumpers Beitrag Von Rudolf Neumaier .......................................................... 66

Barock und Absolutismus

Kriegsabenteuer und Rokokoglanz ........................... 70 Enrico Zuccalli Der Römer aus der Schweiz Von Birgit Goormann-Prugger .......................................... 72

Giovanni Antonio Viscardi Triumph der Phantasie Von Alexandra Vecchiato .................................................... 76

Johann Baptist Zimmermann Der verspielte Großmeister Von Martin Mühlfenzl .......................................................... 80

Cosmas Damian Asam Raumkünstler Von Gottfried Knapp ............................................................ 83

Joseph Effner Symbolfigur und Schattenmann Von Wolfgang Eitler .............................................................. 86

Johann Michael Fischer „Er hat Clösther und Gemüther erbauet“ Von Gottfried Knapp ............................................................ 90

Giacomo Casanova Höllenqualen an der Isar Von Wolfgang Görl ............................................................... 94

François de Cuivilliés Der Verführer Von Mathias Weber ............................................................... 96

Wolfgang Amadeus Mozart Ein Flirt ohne Happy End Von Andreas Pernpeintner ................................................ 100

Johann Wolfgang von Goethe Ein Geheimrat auf Geheimbesuch Von Wolfgang Görl ............................................................. 104

Königreich

Die Monarchen fördern die Künste ........................ 108

Friedrich Ludwig von Sckell Der Plan B für den Englischen Garten Von Astrid Becker ............................................................... 110

Clemens Brentano Der Komet schlägt ein Von Kristina Maidt-Zinke ................................................. 114

Domenico Quaglio Bilder einer versunkenen Welt Von Wolfgang Görl ............................................................. 118

Kunstfertigkeit aus dem Untergrund: Spätmittelalterliche Gläser vom Marienhof.

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Nach dem Krieg

Wiederaufbau und neue Blüte .................................. 314

Hans Döllgast Auferstanden aus Ruinen Von Alfred Dürr ................................................................... 316

Carl Orff Ein Perfektionist voller wildwuchernder Phantasie Von Sabine Reithmaier ....................................................... 320

Therese Giehse Eine Weltbürgerin aus München Von Hilmar Klute ................................................................ 324

Erich Kästner Der soignierte Moralist mit dem dunklen Schatten Von Anne Goebel ................................................................ 327

Karl Amadeus Hartmann Lebendige Musik Von Klaus Kalchschmid ..................................................... 330

Wolfgang Koeppen Bruchstücke eines Selbstporträts Von Evelyn Vogel ................................................................. 332

Rupprecht Geiger Der Mann der leuchtenden Farben Von Katja Riedel .................................................................. 336 Sergiu Celibidache Der unbeugsame Charismatiker Von Wolfgang Schreiber ..................................................... 340

Otl Aicher Neue Farben braucht das Land Von Anne Goebel ................................................................ 344 Günter Behnisch Da lacht der Clown Von Alfred Dürr ................................................................... 348

Die klug ausgeleuchteten Räume in Alexander von Brancas Neuer Pinakothek (1981) werden vor allem den Bedürfnissen der ausgestellten Werke gerecht.

Dieter Hildebrandt Der Großmeister der unvollendeten Sätze Von Peter Fahrenholz ......................................................... 352

August Everding Der Schlaue und der Scheue Von Klaus Kalchschmid ..................................................... 356

Stefan Moses Nichts Interessanteres als Menschen Von Harald Eggebrecht ...................................................... 360

Dieter Dorn Mit der Beharrlichkeit von Riesenschildkröten Von Egbert Tholl ................................................................. 364

Klaus Doldinger Der Klangstaubsauger Von Oliver Hochkeppel ..................................................... 368

Konstantin Wecker Revolte nach Münchner Art Von Wolfgang Görl ............................................................. 372

Herbert Achternbusch Der Einzelgänger Von Fritz Göttler ................................................................. 374

Uwe Timm Und es war Sommer Von Antje Weber .................................................................. 378

Nikolaus Gerhart Ringen mit und am Stein Von Christoph Wiedemann ........................................ 382

Rainer Werner Fassbinder Die Hölle ist gleich nebenan Von Christian Mayer .......................................................... 386

Freddie Mercury Glockenbach-Rhapsodie Von Oliver Hochkeppel ..................................................... 390

Bernd Eichinger Randale und Liebe Von Christian Mayer .......................................................... 394

Neue Museen Gebaute Kunst Von Alfred Dürr ................................................................... 398

Wolfgang Flatz Der Provokateur Von Christoph Wiedemann ............................................... 402

Künstlerspuren ................................................................... 406

Literaturauswahl ................................................................ 412

Autorenverzeichnis ........................................................... 414

Bildnachweis ....................................................................... 416

Marie von Kalckreuth Christus kam bis Michigan Von Martin Bernstein ......................................................... 215

Martin Dülfer Phantasievoller Baumeister mit Witz und Stil Von Gudrun Passarge ......................................................... 218

Hans Grässel Gestaltete Landschaften für die ewige Ruhe Von Martin Bernstein ......................................................... 222

Theodor Fischer Wandler zwischen Historismus und Moderne Von Isabel Meixner ............................................................. 226

Franz von Stuck Imperator in Arkadien Von Christoph Wiedemann .............................................. 230

Frank Wedekind Bürgerschreck und Virtuose der Wollust Von Udo Watter ................................................................... 234

Kabarett und Satire Das große Derblecken Von Wolfgang Görl ............................................................. 238

Joachim Ringelnatz Der Nasenkönig Von Udo Watter ................................................................... 240

Ludwig Thoma Der Zerrissene vom Tegernsee Von Hans Kratzer ................................................................ 244

Olaf Gulbransson Von Kaiser Wilhelm zu Tick, Trick und Track Von Manfred Hummel ....................................................... 248

Volkssänger Witzige Alleskönner Von Wolfgang Görl ............................................................. 252

Erich Mühsam Leben in der Revolte Von Stephan Handel ........................................................... 254

Franziska zu Reventlow Umschwärmte Lichtgestalt der Schwabinger Boheme Von Anne Goebel ................................................................ 256

Richard Riemerschmid Architektur im Einklang mit dem Naturschönen Von Astrid Becker ............................................................... 260

Gabriele Münter Die Schattenfrau Von Sabine Reithmaier ....................................................... 264

Der Blaue Reiter Ein Kapitel Kunstgeschichte von Weltrang Von Catrin Lorch ................................................................ 268

Zwischen den Kriegen

Auf dem Weg in die NS-Diktatur ............................. 274

Annette Kolb Das rastlose Leben der bayerischen Mademoiselle Von Jutta Czeguhn .............................................................. 276 Thomas Mann Der Zauberer – verehrt und vertrieben Von Jutta Czeguhn .............................................................. 280

Lena Christ Vergebliche Suche nach der Liebe und dem Glück Von Wolfgang Görl ............................................................. 284

Lion Feuchtwanger Staatenloser Weltbürger, verwurzelt in München Von Günter Knoll ................................................................ 288

Karl Valentin „I will doch bloß, dass die Leut’ lachen“ Von Sonja Niesmann .......................................................... 292

Liesl Karlstadt Die Stimme der Vorstadt Von Wolfgang Görl ............................................................. 296

Weiß Ferdl Das unsterbliche Lied von der Linie 8 Von Wolfgang Görl ............................................................. 300

Oskar Maria Graf Scharfsinniger Beobachter und zudem linksradikal Von Wolfgang Görl ............................................................. 304

Oskar Maria Graf Verbrennt mich! ................................................................. 308

Schalom Ben-Chorin Licht des nahen Südens Von Eva-Elisabeth Fischer ..........................................310

München – Stadt der Künste

Inhalt

„Kämpfende Formen“ ist das abstrakteste Werk von Franz Marc, einem der Gründer des „Blauen Reiters“.

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wie Ernst Toller oder Erich Müh-sam wurden zu politischen Revolu-tionären. In den großen Jahren der Schwabinger Boheme schrieb Picasso, wenn er einen Sohn hätte, würde er ihn zum Malereistudium nach „Munick“ schicken.

Der Münchner Belle Époque setzte der Erste Weltkrieg ein Ende, nach der blutigen Niederschlagung der Rätere-publik 1919 wanderten jene Künstler ab, die es in der muffigen Atmosphä-re der „Ordnungszelle Bayern“ nicht mehr aushielten. Den Rest erledigten die Nazis. Wer konnte, floh ins Exil, wer blieb, ging in die innere Emigra-tion oder lief Gefahr, verfolgt oder ermordet zu werden. Und ja, es gab auch Künstler, die sich dem Regime andienten.

Umso erstaunlicher ist, wie rasch die Stadt nach dem Krieg wieder zur kulturellen Metropole avancierte. Das ist sie bis heute geblieben. Dass sich hier vieles um wirtschaftliche Er-folge dreht, ums große Geld, ist die eine Seite; die andere Seite aber ist heiter und verspielt. Sie ist eine Büh-ne, auf der sich Künstler und Kreative besonders wohl fühlen.

Dieses Buch, das auf einer umfang-reichen Serie in der Süddeutschen Zeitung basiert, stellt Künstler vor,

die München geprägt und den Ruhm der Stadt begründet haben. Es sind Kreative aus allen Sparten: Ma-ler, Bildhauer und Architekten sind ebenso vertreten wie Komponisten, Schriftsteller, Theaterleute. Alle Epo-chen der Münchner Kulturgeschich-te werden dargestellt, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Was aber auch gesagt werden muss: Es sind bis ins 20. Jahrhundert hinein relativ wenige Frauen darunter. Nicht weil es sie nicht gegeben hätte. Doch Kunstbetrieb und Kunstgeschichte haben sie jahrhundertelang ignoriert. Selbst ein revolutionärer Neuerer wie der Maler Adolf Hölzl glaubte noch im Jahr 1920 behaupten zu müssen: „Eine Frau wird trächtig vom Man-ne, gebiert aber das Junge allein und selbständig. So scheint es nun auch in der Kunst. Sie muss immer wieder vom Manne empfangen, um Eigenes hervorzubringen.” So viel Unsinn set-zen wir in diesem Buch Frauen wie Gabriele Münter und Lena Christ, wie Franziska von Reventlow und Therese Giehse, wie Annette Kolb und Liesl Karlstadt entgegen.

Es sollen hier aber nicht nur Le-bensläufe und Personenporträts im Blickpunkt stehen. Es geht auch da-rum, die Spuren zu verfolgen, die die

Künstler hinterlassen haben: Was ist geblieben vom Werk eines Jan Polack, wo lebt die Musik eines Orlando di Lasso fort, welche Orte in München erinnern an den Theater-Enthusiasten August Everding? Und es soll auch um die Menschen gehen, die diese Spuren sichtbar machen, die Künstlerviten hinterherspüren, Erbe bewahren.

Es liegt es auf der Hand, dass die-ses Buch nicht alle Künstler, die in München tätig waren, ins Rampen-licht rücken kann. Wer einen seiner persönlichen Favoriten vermisst, mag sich damit trösten, dass auf dem Ge-biet der Kunst Vollständigkeit un-möglich ist – erst recht auf der gro-ßen Münchner Spielwiese. Sie ist, um mit dem ganz und gar unmünchne-rischen Theodor Fontane zu reden, „ein weites Feld“.

Wolfgang Görl, Martin Bernstein

München – Stadt der Künste

Editorial

Die Fotografinnen Anita Augspurg und Sophia Goudstikker gründeten 1887 das „Hofatelier Elvira“ in der Von-der-Thann-Straße.

Höhepunkt der Rokoko-Bildhauerei: Ausdrucksstarke Gewandfiguren des Ignaz-Günther-Altars in der alten Dorfkirche von Bogenhausen (um 1770).

Repräsentativer Glanz und kreative Leichtigkeit

„Die Kunst blüht, die Kunst ist an der Herrschaft, die Kunst streckt ihr rosenumwundenes Zepter über die Stadt hin und lächelt.“ So steht es in Thomas Manns 1902 erschienener Novelle „Gladius Dei“, die mit dem berühmten Satz „München leuch-tete“ beginnt. Wer den Text genau liest, wird die Ironie spüren, mit der Thomas Mann das süßlich Dekora-tive der Münchner Kunstlandschaft in die Nähe von Kitsch und gefälligem Zierrat rückt. Und selbstverständ-lich ist da was dran: Repräsentativer

Glanz hat in München seit je einen guten Boden. Diesen haben nicht zuletzt die bayerischen Herrscher bereitet, die mit Pomp zu kaschieren suchten, dass ihr Land keineswegs zu den mächtigsten in Europa zähl-te. Selbst der zweifellos kunstsinnige König Ludwig I. verfolgte durchaus auch politische Interessen, als er sich anschickte, seine Hauptstadt in das musenselige „Isar-Athen“ zu verwan-deln, getreu seinem berühmten Dik-tum: „Ich werde aus München eine Stadt machen, die jeder kennen muss, der Deutschland kennen will.“

Man muss kein Monarchist sein, um zu konstatieren, dass Ludwig I. in dieser Sache ziemlich erfolgreich war. Wenn aber von München als Kunststadt die Rede ist, dann geht es um weit mehr als nur um die ludovi-zianische Traumkulisse aus griechi-schen Tempeln und florentinischen

Palästen. Zwar dauerte es einige Zeit, bis sich die Künstler an dem von Her-zog Heinrich dem Löwen gewaltsam errichteten Handelsplatz anzusiedeln trauten, danach aber gingen sie nicht mehr weg. In den ersten Jahrhun-derten waren es zum einen die Lan-desherren, die sich mit ihren Werken schmückten, zum anderen war es die Kirche, die Künstler in ihren Dienst stellte, um Gott zu verherrlichen. Das Beispiel des genialen Bildhauers Erasmus Grasser wiederum zeigt, wie das aufstrebende Stadtbürgertum im 15. Jahrhundert eigene ästhetische Akzente setzte, als Zeichen wach-senden Selbstbewusstseins.

Dieser Hang zum Repräsentativen hat sich bis heute gehalten. Über die Jahrhunderte hinweg verehrten die Münchner vor allem jene Künstler, denen die sinnliche Wirkung wich-tiger war als die formale Strenge. Nicht jeder entging dabei der Gefahr, allzu gefällig zu sein; gleichzeitig er-höhte sich der Reiz, gegen den Strom zu schwimmen, auszubrechen aus den Konventionen und den Aufbruch zu wagen hin zu neuen Ufern. Ende des 19. Jahrhunderts war Schwabing ein Ort, an dem die künstlerische Avant-garde neue Formen und Ausdrucks-möglichkeiten erprobte. Kandinsky revolutionierte die Malerei, der Dich-ter Frank Wedekind provozierte die bürgerlichen Moralapostel mit Büh-nenstücken, in denen es um jugend- liche Sexualität geht, Schriftsteller

Kurz vor seinem Tod im Jahr 1848 schuf Ludwig von Schwanthaler die Künstlerstandbilder für die Alte Pinakothek.

Die Stadt im 16. Jahrhundert: Jahrhundertelang fand Münchner Kunst vor allem innerhalb der mittel- alterlichen Mauern statt, wie es das Modell von Jakob

Sandtner zeigt. Das änderte sich erst, als die Wittelsbacher Könige wurden.

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Kultur-Blüte

Im Mittelalter war München alles Mögliche. Nur eines meistens nicht: bedeutend. Die kurzzeitige Karriere als Kaiserresidenz im frühen 14. Jahrhundert hinterließ kaum architektonische Spuren. Erst ganz am Ende, als andernorts schon mit der Renaissance eine neue Zeit angebrochen war, schwang sich München zur spätgotischen Blüte auf. Am schönsten und stimmungsvollsten zu bewundern: in der von Jan Polack und seiner Werkstatt ausgeschmückten Kapelle der Blutenburg.

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Grazie in Porzellan

Mezzetino (links) und Lalagé heißen die beiden Commedia dell’Arte- Figuren, die Franz Anton Bustelli (1723-1763) für die Nymphenburger Porzellanmanufaktur schuf. 1753 war die „Churfürstliche porcellain

fabrique“ in der Au gegründet worden, einige Jahre später zog sie nach Nymphenburg. Bustelli stammte aus Locarno, er trat

1754 in die Dienste der Münchner Manufaktur.

Premiere am Salvatorplatz

Münchens erstes Opernhaus stand am Salvatorplatz, Kurfürst Ferdinand Maria hatte es anlässlich seiner Vermählung mit der savoyischen Prinzessin Henriette Adelaide in einem ehemaligen Kornlagerhaus einrichten lassen.

Der Stich von Matthias Küsell zeigt den Bühnenprospekt zu Johann Kaspar Kerlls Oper „L’amor della patria“, die 1665 Premiere feierte. Kerll (1627-1693)

war Leiter der Hofkapelle und zu Lebzeiten ein hochgeschätzter Komponist und Organist.

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Fehlt

Marmorne Helden

Die Griechenlandbegeisterung König Ludwigs I. erreichte ihren Kulminationspunkt am Königs-platz mit Glyptothek, Antikensammlung und den Propyläen. Im „Isar-Athen“ sollte die antike Kultur eine neue Heimat finden. Zu den bedeutendsten Werken der ludovizianischen Sammlung gehören die 1813 erworbenen Ägineten, die Giebelfiguren des Aphaia-Tempels von Ägina, die circa 500 vor Christus entstanden.

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Fehlt

Trinkfeste Logenbrüder

Nicht unbedingt freundlich blicken die zwölf honorablen Herren auf den Betrachter. Es sind die Mitglieder der Münchner Freimaurerloge „In Treue fest“, porträtiert 1898 von ihrem Logenbruder Lovis Corinth. Der in Ostpreußen geborene Corinth (1858-1925) studierte an der Münchner Akademie. Nach Studienaufenthalten in Antwerpen, Paris, Berlin und Königsberg kehrte er an die Isar zurück und gründete 1892 mit anderen Künstlern die Münchener Secession. Das Bild ist im Lenbachhaus zu sehen.

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Hollywood im Isartal

„Der Brunnen des Wahnsinns“ (großes Foto) war einer der ersten Filme, die in Geiselgasteig gedreht wurden. Die Regie des 1921 produzierten Stummfilms führte Ottmar Ostermayr. Im September 1919 wurde das erste Studio, das sogenannte Glashaus errichtet, der erste Film, der in Geiselgasteig entstand, war Franz Ostens „Der Ochsenkrieg“ nach einem Roman von Ludwig Ganghofer. Im Lauf der Jahrzehnte wurde das Areal zum heutigen Bavaria-Film-Gelände ausgebaut. Auch Alfred Hitchcock mit seinem Team (Bild links oben) drehte in den Zwanzigerjahren zwei seiner frühen Werke in den dortigen Studios. Für Cowboy-Storys wurde eine Westernstadt errichtet. Das Bavaria- Gelände ist eines der größten europäischen Filmstudios.

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Kunst für die Wand

Das Badezimmer von Christian Ude hat er schon bemalt, Fußgängerunterführungen, Fabrikmauern, Klosterfassaden, Kioske … Graffiti-Künstler Loomit (geboren 1968 als Mathias Köhler in Celle) ist längst in der Mitte des Kunst-betriebs angekommen. Besprühte Wassertürme und S-Bahnen, Illegalität, Geldstrafen? Das ist lange her. Heute ist sein ehemaliger Tarnname Markenzeichen. Nachwuchssorgen wird die Münchner Graffiti-Szene nicht bekommen – Loomit sei Dank. In Workshops gibt er sein Können an junge Wilde weiter. Und auch die Erfahrung, dass Legalität sich auszahlt.

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Kader-Schmiede

Von Franz Xaver Bogner bis Mika Kauris-mäki, von Doris Dörrie bis Caroline Link reicht die Liste in der virtuellen „Hall of Fame“ der Hochschule für Fernsehen und Film München. Marcus H. Rosenmüller und Wim Wenders, Sönke Wortmann und Florian Henckel von Donnersmarck studierten an der staatlichen HFF, ehe sie Karriere in den Kinosälen machten. Seit 2011 hat die Hochschule ein vom Architekten Peter Böhm geplantes neues Domizil am Bernd-Eichinger-Platz. Und seit kurzem neue Nachbarn: die ägyptischen Pharaonen im Untergeschoss. Die wussten, ihren Ruhm für die Ewigkeit zu bewahren.

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Jakobs Zelt

Im Jahr 1229 wurde in den Urkunden erstmals ein jüdischer Münchner genannt. Fast 800 Jahre später, im Jahr 2003, am symbolträchtigen 9. November, wurde der Grundstein für das Jüdische Zentrum am Jakobsplatz gelegt. Im Herzen der Stadt steht nun die Synagoge Ohel Jakob, ein mehrfach preisgekröntes Werk des Saarbrücker Architekturbüros Wandel, Hoefer und Lorch. Die Architektur kombiniert Motive von Zelt und Tempel. Beleuchtet wird das Innere des Gotteshauses durch ein Oberlicht aus verschachtelten Davidsternen.

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Bildüberschrift

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MittelalterNach der Stadtgründung dauert es fast zwei Jahrhunderte, ehe München für Künstler interessant wird. Kaiser Ludwig versammelt papstkritische Gelehrte an seinem Hof. Im 15. Jahrhundert florieren die Künste.

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Von Bilderschützern und Philosophen

Die StadtgründungWäre nicht diese Gewalttat gewesen, von der Grün-dung Münchens hätte wohl kaum jemand Notiz genom-men. Doch Heinrich der Löwe, Herzog von Bayern und Sachsen, ließ nicht einfach nur einen Handelsplatz mit Zollbrücke errichten, sondern auch die konkurrierende Brücke des Freisinger Bischofs schleifen. Und so be-schäftigte sich wenig später der Herrscher und obers- te Richter des Reiches mit diesem kleinen, noch un-scheinbaren Marktort an der Isar: der Kaiser, Friedrich Barbarossa. Sein Schlichtspruch vom 14. Juni 1158, ge-nannt der „Augsburger Schied“, gilt als Gründungsdo-kument Münchens.Vom späteren Ruf einer Kunststadt war dieses München jedoch noch weit entfernt. Zwar war der Stadtgründer Heinrich ein kunstsinniger Mann: Er stiftete Kirchen, erwarb Reliquien, ließ in Braunschweig einen Palast errichten und ein prächtiges Löwenstandbild aus Erz gießen. München aber bekam vom Glanz des Herzogs wenig mit. Die neue Siedlung diente rein finanziellen Interessen: Sie sollte Devisen aus dem Salzzoll liefern. Dass Heinrich je in München gewesen wäre, ist nicht belegt. Und es sollte lange dauern, bis Künstler in nen-nenswerter Zahl nach München fanden.

Das Salz und die ersten WittelsbacherKünstler waren im Mittelalter keine Freigeister, son-dern Dienstleister, angewiesen auf vermögende Auf-traggeber – und so zogen sie mit Vorliebe an Fürs-tenhöfe und in reiche Städte. München hingegen war zunächst nicht mehr als ein Nest, stand im Schatten

alter Metropolen wie Augsburg, Nürnberg und Regens-burg. Doch das Nest gedieh. Rasch entwickelte sich der Ort zum bedeutenden Umschlagplatz für Salz. Das „weiße Gold“ ließ München aufblühen, lockte Kaufleute und Siedler an. Immer mehr Menschen drängten sich in der jungen Siedlung mit ihrem Durchmesser von ge-rade einmal 400 Metern. Keine hundert Jahre nach der Gründung wurde es innerhalb der Stadtmauern zu eng, ein neuer Mauerring ließ München auf die sechsfache Größe anwachsen. Und auch die Herzöge richteten ihr Interesse auf die Stadt.Die Landesherren stammten von 1180 an aus der Fa-milie Wittelsbach. Mit dem wachsenden Reichtum Mün-chens suchten sie die Nähe zur Stadt. Ab 1253 ließ Herzog Ludwig II., genannt „der Strenge“, eine Festung an den Stadtrand setzen, den Alten Hof. Eine Residenz war das nicht; um zu regieren, musste Ludwig II. durch seine Länder ziehen, durch Oberbayern und durch die Pfalzgrafschaft bei Rhein. Aber von sofort an zeigten die Herzöge in München Präsenz. Und sie führten die Stadt im 14. Jahrhundert zu erstem kulturellem Glanz.

Die „Akademie“ Ludwigs des BayernEs war Kaiser Ludwig, genannt „der Bayer“, der Mün-chen zu überregionaler Bedeutung verhalf. Ludwig, ein gebürtiger Münchner, sah sich zeit seines Lebens zahl-reichen Gegnern gegenüber. Zunächst stritt er mit sei-nem älteren Bruder Rudolf um den Vorrang in Bayern. Dann machte ihm nach einer Doppelwahl der Habsbur-ger Friedrich, genannt „der Schöne“, die Königskrone streitig. Danach wiederum usurpierte Papst Johan- nes XXII. königliche Rechte in Norditalien und erhob den Anspruch, den König auf seine Eignung hin zu überprüfen. Als Ludwig sich wehrte, belegte ihn der

Papst 1324 gar mit dem Kirchenbann. Der König war exkommuniziert, ausgestoßen aus jeder christlichen Gemeinschaft. Doch die Münchner Bürger unterstütz-ten Ludwig nach Kräften – und der revanchierte sich mit Privilegien. Er machte die Stadt zu seinem Herr-schaftsmittelpunkt. 1322 verlieh er ihr die Reichsfar-ben Schwarz und Gold, 1332 gewährte er München ein Monopol für den Salzhandel, 1340 das Stadtrecht.Zudem versammelte Ludwig Papst-Kritiker um sich: Ge-lehrte wie Michael von Cesena, den Ordensgeneral der Franziskaner, der die Kirche zu biblischer Armut er-mahnte und so den Papst verärgert hatte. Michael fühl-te sich bei Papst-Gegner Ludwig ebenso gut aufgeho-ben wie die exkommunizierten Philosophen Marsilius von Padua und Wilhelm von Ockham. Die politische und intellektuelle Opposition gegen die Päpste in Avignon bündelte sich an Ludwigs Hof in München.

München im geteilten BayernLudwigs Tod 1347 bedeutete für München einen schwe-ren Schlag. Die Bürger bestatteten ihren Kaiser trotz Kirchenbann in der Marienkirche, dem Vorgängerbau der heutigen Frauenkirche. Doch München und Bayern verloren an Bedeutung.Denn das Land zersplitterte. Der Kaiser hatte 1329 die Rheinpfalz seinem Bruder Rudolf überlassen, um den Familienstreit zu beenden – und damit für mehr als 400 Jahre eine bayerische und eine Pfälzer Linie der Wittelsbacher geschaffen. Nach Ludwigs Tod stritten seine Söhne um Bayern, am Ende teilten sie das Erbe auf. Bayern zerfiel in Herzogtümer wie Bayern-München, Bayern-Ingolstadt, Bayern-Landshut und Straubing-Holland. An die Königskrone war nicht mehr zu denken, sie saß auf dem Haupt Karls IV. aus dem Geschlecht der

Mittelalter

Epochenüberblick

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Mittelalter

Epochenüberblick

Von links: der Alte Hof auf einem Stich aus dem 18. Jahrhundert, eine geschnitzte Muttergottes in der Kapelle der Blutenburg und der Epitaph des 1473 verstorbenen blinden Musikers Konrad Paumann in der Frauenkirche.

Luxemburger. Die Bayern-Herzöge hingegen zankten, und München, eben noch Stadt des Kaisers, war selbst in Bayern nur mehr eine Hauptstadt neben anderen. Doch nicht nur die Herzöge stritten, auch in der Stadt gärte es. Handwerker und Bürger revoltierten. Dazu wütete zwei Jahre nach Ludwigs Tod erstmals die Pest – sie sollte München insgesamt 25 Mal heimsuchen.

Münchens Prunk und die Bayerische EinheitDie Wende gelang erst im späten Mittelalter. 1450 tra-fen sich die verfeindeten Bayern-Herzöge in Erding und beendeten ihre Streitereien. Und in München re-gierten wenig später zwei Brüder: Sigismund und Her-zog Albrecht IV., genannt „der Weise“. Sie führten die Stadt zu neuer Blüte.Sigismund machte sich einen Namen als Mäzen. Künstler wie Jan Polack und Erasmus Grasser zogen nach Mün-chen, die spätgotische Kunst florierte. Der Baumeister Jörg von Halspach schuf unter anderem die Frauenkir-che und das Alte Rathaus. 1482 wurde das erste Buch in München gedruckt. Für die Schedelsche Weltchronik entstand 1493 die erste Stadtansicht.Und Sigismunds Bruder Albrecht sorgte dafür, dass sich das Chaos der Vergangenheit nicht wiederholte. Nach dem Aussterben der letzten konkurrierenden Ver-wandten, der Herzöge von Bayern-Landshut, vereinte er 1505 Oberbayern mit Niederbayern. Ein Jahr darauf erließ er ein Primogeniturgesetz: Erbberechtigt waren fortan nur mehr die ältesten Söhne, Bayern sollte nie mehr geteilt werden. Hauptstadt war nur noch Mün-chen: Hier konzentrierten sich Macht und Repräsen-tation der Herzöge. Für Künstler auf der Suche nach Gönnern herrschten hier bald paradiesische Zustände.

Jakob Wetzel

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Im 15. Jahrhundert schuf Jörg von Halspach erhabene Räume wie die Frauenkirche (links). Ein Symbol für Bür-ger und Glauben im Alten Rathaus: Dem Mönch im Stadtwappen verlieh Erasmus Grasser einen Heiligenschein.

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Der Moriskentanz war ein akrobatischer Springtanz aus dem

maurischen Andalusien. Erasmus Grassers Figuren –

hier der „Mohr“ – gehören zu den kostbarsten Kunstwerken

Münchens.

Dass sie noch nicht müde sind. Im-mer auf dem Sprung, seit einem hal-ben Jahrtausend. Die Muskeln und Sehnen spannen sich unter dem eng anliegenden Beinkleid, der zotte-lige Umhang schwingt in der Luft, die Hände der Tänzer spreizen sich vor dem drehenden Salto, der alle beeindrucken wird. Hoch oben, im wichtigsten Saal der Stadt, verrenk-ten sie einst ihre Glieder. Heute ge-hören die zehn Moriskentänzer zum Wertvollsten, was das Stadtmuseum zu bieten hat. Den Mann jedoch, der ihr Schöpfer ist, hatte München Hunderte Jahre lang schlicht verges-sen. Erst spät feierte man ihn so, wie es ihm gebührte: als kühnen Geist, der als Holzschnitzer, Bildhauer und Baumeister die Münchner Spätgotik prägte.

Erasmus Grasser hat sich diesen Ruhm hart erkämpfen müssen. Die etablierten Meister wehrten sich mit Händen und Füßen dagegen, den jun-gen Mann aus dem oberpfälzischen Schmidmühlen, einem Marktflecken südlich von Amberg, in die Zunft der Maler, Schnitzer, Seidennäher und Glaser aufzunehmen. Er sei, so verleumdeten sie ihn 1475, „ain un-fridlicher und verworner und arcklis-tiger knecht“ und obendrein „nicht elich“, so dass er nie und nimmer Meister werden könne. Der Rat der Stadt setzte sich über dieses Votum der Zunft einfach hinweg. Wer war also dieser Mann, den die einen fürch-teten, dem die anderen aber Großes zutrauten?

Die Archive geben dazu wenig her. Er selber nennt sich, in einer Urkunde von 1508, nur „Erasm Grasser, der bildhauer von schmidmülln, burger zu Munchen“. Es gibt keine Hinweise auf seine Eltern, aber Indizien, dass er tatsächlich – um 1450 – unehelich geboren wurde. In jener Urkunde blendet er seine Herkunft aus und be-tont stattdessen jene seiner „eelichen hausfrau“ Dorothea, die „eeleibliche tochter“ des Hainrich Kaltenprunner sei, „weyland gesessen zu Eberczhau-sen“, ein Adliger also.

Ein selbstbewusster Mann

Volker Liedke, früherer Oberkon-servator am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, entwickelte da-raus als erster die plausible Theorie,

Grasser sei das uneheliche Kind einer „hochgestellten Persönlichkeit des Adels, des Patriziats oder aus dem Klerus“ gewesen. Dieser Mann habe seinem Sohn nicht nur eine gute Aus-bildung gesichert, sondern auch die „vorteilhafte Einheirat in die ange-sehene Adelsfamilie der Kaltenbrun-ner“ mit Sitz auf Gut Kaltenbrunn am Tegernsee ermöglicht.

Es sollte auch zu denken geben, wozu Grasser jene Urkunde von 1508 aufsetzen ließ. Er und seine Frau nahmen auf ihr stattliches Eckhaus an der Vorderen Schwabingergasse, das in etwa an der heutigen Residenz- straße 10 stand, ein Ewiggeld in Höhe von zehn Pfund Münchner Pfennig auf, also eine Hypothek. Aus den Zinsen sollte „ainer erbern frumen armen jungkfrauen“ die Aussteuer bezahlt werden. Also das, was seiner Mutter gefehlt hatte?

Wie auch immer – der junge Gras-ser strotzte vor Selbstbewusstsein. Es ist nicht überliefert, wie und womit er die Patrizier beeindruckte, aber schon kurz darauf gingen die größten Auf-träge der Stadt an ihn, und auch der Hof sicherte sich seine Dienste. Gras-ser, gerade eben noch Geselle in der Werkstatt seines Meisters, des Malers und Bildschnitzers Ulrich Neunhau-ser, genannt Kriechbaum, machte als Meister schnell Karriere. Ihm trau-

Seit 500 Jahren auf dem Sprung Die Moriskentänzer des Bildhauers Erasmus Grasser sind weltberühmt – doch Herkunft und Leben des Künstlers sind in mittelalterliches Halbdunkel gehüllt.

Mittelalter

Erasmus Grasser

Die zehn Tänzer stehen für verschie-dene Charaktere: oben das „Schnei-derlein“, links der „Hochzeiter“.

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Mittelalter

Erasmus Grasser

te der Rat den großen Wurf für den Tanz- und Sitzungssaal im Rathaus zu. Grasser dankte es ihnen mit einem Geniestreich. Er schnitzte für das Gewölbe des großen Tanzsaals ein Wappen nach dem anderen, er schuf die Sonne und den Mond als kosmo-logisch begründeter Anspruch der Wittelsbacher auf die Herrschaft im ganzen Reich – und dann seine Mo-riskentänzer, die seither tausendfach kopiert wurden, gegossen, gebrannt und geschnitzt.

Wer wissen will, wie man aus einem Trumm Lindenholz eine sol-che Figur schält, muss nach Oberam-

mergau, wo man schon zu Grassers Zeit die Kunst des Holzschnitzens beherrschte. Michael Pfaffenzeller greift zum Messer und setzt es dem Zauberer an den Fuß. „Es muss so scharf sein, dass man sich damit rasieren kann“, sagt der 60-Jährige Oberammergauer, der 1989 die 1952 von seinem Schwiegervater Hans Klucker gegründete Holzschnitze-rei Klucker übernommen hat. Jetzt drückt er eine der kleinen Schellen aus Buchenholz in des Zauberers Unter-schenkel und sagt: „Das Wichtigste an so einer Figur ist der Ausdruck.“ Vier bis fünf Wochen lang arbeitet der Meister, bis die Figur geschnitzt und gefasst ist, und das hat seinen Preis, zwischen 2 000 und 3 000 Euro.

Der Meister arbeitete mit komplizierten Mixturen

Er treibt das Eisen mit dem Schlegel ins Lindenholz, er schält mit dem fei-nen Messer die Ornamente aus dem flatternden Umhang – und dann folgt die Prozedur des Fassens. 32 Arbeits-gänge sind nötig, bis der Fassmaler dem Holz eine zweite, kaum einen Millimeter dicke Haut verpasst hat. Komplizierte Mixturen aus Knochen-leim, Kreidegrund und Blattgold sind aufzutragen, heute genauso wie schon zu Grassers Zeit. Michael Pfaffen-zeller ist seit Langem fasziniert von Grassers tanzenden Gestalten und ist sich sicher: „Grasser hat die Mo-risken nach dem lebendigen Modell geschnitzt.“

Wenn er ein ähnliches Tempo wie sein Oberammergauer Berufskollege vorlegte, muss Grasser schon für die zehn Moriskentänzer, die von seiner Hand erhalten sind, mehr als ein Jahr gebraucht haben (und noch länger, falls es 16 waren). Es hat sich auch finanziell gelohnt, Grasser avancierte, auch durch die Heirat, zum reichsten Münchner Künstler seiner Zeit. Die Stadtkammerrechnung vom 14. Au-gust 1480 vermerkt, man habe ihm für „16 pilden maruscka tannz“ die Summe von 150 Pfund vier Schilling ausgezahlt. Das entsprach mehr als einem Dreizehntel der städtischen Steuereinnahmen und hätte für den Kauf von tausend Schafen gereicht. Aber auch das Fensterglas für den Saal kostete 155 Pfund – und ist längst zerbrochen.

Grasser nutzt die Figuren einer-seits als Dekoration des höfischen und bürgerlichen Tanzvergnügens. Andererseits betreibt er mit ihnen eine „feinsinnige Studie menschli-chen Verhaltens“, wie Volker Liedke konstatiert: „Er zeigt, wie der um Gunst werbende Mensch sich in den Vordergrund zu spielen versucht und die Konkurrenz ausstechen will.“ Sie sind Schmierenkomödianten, wollen mehr scheinen, als sie sind, sie versu-chen, die Menschen mit grotesk an-mutenden Verrenkungen zu beeindru-cken. Hätte Grasser all dies aus dem Holz holen können, ohne es selbst er-lebt zu haben? Wie sich die Menschen verrenken, um es zu schaffen. Wie sie die anderen für sich gewinnen wollen.

Aber was war das für eine Stadt, in der Grasser in die Riege der 30 reichs-ten Bürger vorstieß? In den Straßen laufen noch die Schweine umher, im-mer wieder wütet die Pest, und man fürchtet den Einfall der Türken. Die Patrizier, die Zünfte und die Herzö-ge rivalisieren untereinander, wollen München aber so groß machen, wie es einst war – als Residenzstadt des Wittelsbachers Ludwig von Bayern, der sich 1328 zum römisch-deutschen Kaiser krönen ließ. Drei große Bau-

Bezahlt wurde Grasser für 16 Figu-ren. Wie viele er tatsächlich schnitz-te, ist unklar – hier der „Bauer“.

stellen prägen die Stadt. Man baut den zweiten Ring der Stadtmauer, Jörg von Halsbach zieht die Frauenkirche in Rekordzeit hoch und leitet auch den Neubau des Rathauses. Von bei-den Projekten profitiert Grasser, auch das Chorgestühl des Doms liefert sei-ne Werkstatt, auch das große Kunst. Grasser profiliert sich als Baumeister, liefert den Bauplan für das Kloster Rorschach bei St. Gallen, erweitert die Stadtpfarrkirche von Schwaz in Tirol und saniert die herzogliche Sali-ne Reichenhall. Letzteres sichert ihm eine Leibrente, dazu Freitisch bei Hof.

Wie oft mag er zum Essen dort-hin gegangen sein, es waren ja nur

ein paar Schritte? Den Wein besorgte er sich anderweitig. Er zahlte dem Kloster St. Gallen 200 Gulden und sicherte sich und seiner Frau zeit ihres Lebens eine jährliche Fuhre roten und weißen Weins, knapp tausend Liter. Der Meister hatte also nicht nur eine geniale Hand, sondern auch einen großen Durst.

Und seine Tänzer? Man hat sie 1607 rot eingefärbt, 1726 vergoldet, 1778 weiß geschlämmt und 1928 neu gefasst, fast alle haben neue Hände oder Füße. Vier von ihnen verschlug es nach Cremona, von wo sie für 8 000 Franken in Gold freigekauft wurden. Einer, der Zauberer, musste mitan-

sehen, wie er als Kopie Adolf Hitlers Wohnzimmer auf dem Obersalzberg schmückte. Sie überstanden den Zweiten Weltkrieg, im Feuersturm der Bomben verbrannten nur ihre Gipskopien im Alten Rathaussaal. Einer der ihren – der Zauberer – flog 1968 im Klimakasten aus Plexiglas nach Mexiko, um die Welt, die 1972 zu den Olympischen Spielen nach München kommen sollte, neugierig zu machen auf die Kultur der Stadt. Mit einem Sprung am Hals kehrte er zurück. Ein Genickbruch war es gottlob nicht. Er lebt und tanzt auf ewig weiter.

Berthold Neff

Im Rathaussaal stehen hölzerne Kopien der Tänzer. Grassers Originale befinden sich seit 1928 im Stadtmuseum.

In seiner Werkstatt fertigt Michael Pfaffen-zeller Religiöses und die Moriskentänzer.

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Die mysteriöse ZahlEigentlich ist es ein Glücksfall. Der Münchner Stadtschreiber hat für den 21. Juli 1480 penibel in das Stadtkammerbuch notiert, dass an den „maist(er) Erasm(us), schnitz(er)“ 150 Pfund und 4 Schillinge ausgezahlt wurden – für „xvj pild(e)n marusckatanz“. Der Glücksfall gibt den Kunst-historikern aber bis heute ein Rätsel auf. Sie haben so zwar den Beleg dafür, dass Erasmus Grasser der Schöpfer der Moriskentänzer ist. Aber sie fragen sich bis heute: Sollte die Stadt den Meister tatsächlich für 16 Figuren bezahlt haben? Und da nur zehn Tänzer erhalten sind, bleibt die Frage: Wo sind die anderen sechs?

Die vom Kammerschreiber verwendete römische Zahlschrift lässt an der Zahl 16 keinen Zweifel zu, da sind sich Experten wie Thomas Eser vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg sicher. Aber vielleicht existierten die sechs nur auf dem Papier. Möglich, dass zunächst 16 Figuren bestellt wurden, doch als der Tanzsaal, also das Alte Rathaus, Gestalt annahm, stellte man fest, dass zwischen

all den Wappen, mit denen die Wittelsbacher ihren Machtan-spruch anmeldeten, nur Platz für zehn Tänzer blieb. Sie stan-den, als Abschluss der imposanten Decke, auf kleinen Konso-len, je fünf auf den Längsseiten des Saals.Die Fahndung nach den sechs Figuren ging auch deswe-gen weiter, weil Grassers Zehner-Truppe entscheidende Gestalten fehlen. Wo sind die Trommler, die Pfeifer, und wo ist „Frau Welt“, das Weib, um deren Gunst die Tänzer buhlen? Thomas Weidner vom Münchner Stadt-museum sieht gute Gründe dafür, die Suche abzubla-sen. Offenbar, so seine Argumentation, habe man bei

der Entstehung des Tanzsaals mehrmals umge-plant. So sei auch zu erklären, dass zwei der Figuren, nämlich der „Bauer“ und der „Orientale“, mit einer Höhe von etwa 80 Zentimetern deutlich größer ausge-führt wurden als die anderen, die nur

60 Zentimeter hoch sind. Irgendwann sei klar gewesen, dass nur zehn Tänzer nötig sind.

Als Beleg dafür, dass es nicht auf Quantität, sondern Qualität ankommt, führt Weidner ein Exempel aus Grassers Zeit an. Der berühmte Maler Andrea Mantegna (1431-1506) musste sich im Jahr 1457 vor Gericht verantworten, weil er auf einem Fresko für eine Kapelle in Padua statt der bestell-ten zwölf nur acht Apostel gemalt hatte. Er rechtfertigte sich so: Zum einen sei für zwölf Gestalten kein Platz gewesen. Und

zum anderen habe er die verbliebenen acht Apostel so groß-artig gemalt, dass er sich damit das Geld redlich verdient habe,

das für das Dutzend vereinbart war. So hätte sich wohl auch der streitbare Erasmus Grasser verteidigt. Berthold Neff

Mittelalter

Erasmus Grasser

Ganz oben auf einer Seite des Stadtkammerbuchs ist das Honorar für Grasser vermerkt. Das amtliche Dokument

gehört zu den Schätzen des Münchner Stadtarchivs.

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Mittelalter

Erasmus Grasser

It(e)m 150 l(i)b(ra) [Pfund] 4 s(olidos) [Schillinge] d(enarios) [Pfennige] zalt maist(er) Erasm(us) [Grasser], schnitz(er), von 16 pild(e)n marusckatanz geschnit(e)n für 172 g(u)ld(en) r(heinisch) zu 7 s(olidos) d(enarios) auf das tantzhaus an sand Marie Mag(dale)ne abent [21. Juli] (14)80.

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Die Blutenburg am westlichen Stadt-rand Münchens birgt ein Kleinod. Wer die Schlosskapelle in der nord-westlichen Ecke des Wasserschlöss-chens betritt, begibt sich förmlich auf eine Zeitreise. Nur selten ist ein historischer Ort so unverfälscht über die Zeiten erhalten geblieben wie hier. Die Blutenburg war standesgemäßes Domizil des 1501 verstorbenen Her-zogs Sigismund. Der hatte seinem jüngeren Bruder Albrecht IV. 1467 freiwillig die Regentschaft über das Herzogtum Bayern-München über-lassen, um sich hierhin zurückzu-ziehen und unverheiratet, aber trotz-dem nicht kinderlos, das Leben zu genießen.

Was er wohl ziemlich gut be-herrscht hat, wenn man sich die Schlosskapelle genauer ansieht. Was heute für betuchtere Zeitgenossen das Privatkino im eigenen Haus ist, dürfte damals für den Bayernherzog seine mit drei großartigen Altären ausgestattete Schlosskapelle gewesen sein. Die Seitenaltäre mit Christus als Weltenherrscher und Mariä Verkün-digung entfalten zusammen mit dem Gnadenstuhl im Hochaltar bis heute eine unerhörte Bildgewalt und stam-men mit großer Wahrscheinlichkeit von Jan Polack, dem damals bei Adel

Großes Kino für große Herren Die Malfabrik Jan Polacks und seiner Mitarbeiter liefert um das Jahr 1500 Altäre, Fresken und Ausstattungsstücke.

Mittelalter

Jan Polack

Kaum ein Künstler war so produk-tiv wie Jan Polack. Er bemalte die Stadttürme Münchens, schuf Fresken, Tafelbilder und Altäre. Die Steinigung des Heiligen Stefan entstand 1483 oder 1489 für den Weihenstephaner Hochaltar.

und Klerus bekanntesten und gefrag-testen Künstler.

Dass sich der Name des Malers überhaupt überliefert hat, ist einem Zufall zu verdanken. 1484 taucht in den Rechnungsbüchern der Benedik-tinerabtei Weihenstephan in Freising ein Maler namens „Jan Polack“ oder „Jan Polonus“ auf. Er, seltsamerweise auch seine Ehefrau, sowie Schreiner, Maler und „Gehülfen“ stellen darin ihre Arbeit am Choraltar der Klos-terkirche in Rechnung. Es muss ein monumentales Werk gewesen sein. Allein der geschnitzte Schrein war drei Meter hoch und in geöffnetem Zustand etwa fünf Meter breit. Von den ursprünglich acht Bildtafeln der Altarflügel haben sich allerdings nur fünf erhalten. Sie befinden sich heute im Diözesanmuseum Freising und in der Alten Pinakothek in München.

In der Werkstatt herrschte Hochbetrieb

Polack, einer der wichtigsten Meister der Spätgotik in Süddeutschland, war Spezialist für derartige Großaufträge. Allein in den Jahren 1490 bis 1492 lassen sich ihm und seiner Werkstatt drei große Altäre in München zuord-nen. 1490 lieferte er den Hochaltar für die Stadtpfarrkirche St. Peter.

Dessen Bildprogramm war noch üp-piger als in Freising: Das Leben der Apostel Petrus und Paulus, ausgebrei-tet auf zwölf Bildtafeln und in drei Registern übereinander. In den beiden darauf folgenden Jahren wurden der Hochaltar der ehemaligen Franziska-nerkirche St. Antonius und die Aus-stattung für die Kapelle von Schloss Blutenburg fertig.

Wenn man sich die große Zahl der darüber hinaus erhaltenen Werkfrag-mente und dazu auch noch deren geo-grafische Verbreitung ansieht, möchte man fast meinen, dass dieser Maler in den Jahren 1482 bis 1519 so ziemlich alles mitnahm, was sich an Aufträ-gen im weiteren Einzugsgebiet der damaligen Hauptstadt des Herzog-tums ergab. Von der Bemalung von Stadttoren über die Verzierung von Türmen, die Freskierung von Wänden bis hin zu den aufwendigsten Ausstat-tungsstücken von Kirchen: All das erledigte die Werkstatt Polack. Wie war ein derart umfänglicher Arbeits-einsatz überhaupt möglich?

Eine Antwort darauf gab vor einigen Jahren eine Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum mit dem etwas umständlichen Titel: „Jan Polack. Von der Zeichnung zum Bild – Malerei in München um 1500“. Vorgeführt wurden damals die Resul-tate naturwissenschaftlicher Unter-

suchungen, die ein Kölner Restaurie-rungsfachmann durchgeführt hatte. Ihm gelang es mit Hilfe der Infrarot-Reflektografie, unter der farbigen Malschicht verborgene Vor- und Entwurfszeichnungen in Kohle oder Tusche sichtbar zu machen. Erstmals wurde damit das Werk eines Meisters

Mittelalter

Jan Polack

Typisierte Gesichter, rote und weiße Akzente, ausdrucksstarke Gesten: Polacks Bilder zeigen weniger den Stil eines Meisters als den einer Werkstatt. Details zweier Altäre von 1491 in der Schlosskirche der Blutenburg.

Den Heiligen Wolfgang im Hoch-altar der Pippinger Wolfgangskirche fertigte wohl ein Schüler Polacks.

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dieser Zeit derart umfangreich son-diert. Mindestens fünf individuelle künstlerische Handschriften konnten dabei identifiziert werden. Nicht der Meister höchstpersönlich legte jeweils die Komposition an oder übernahm wenigstens die verantwortungsvolls-

ten Arbeitsgänge im Rahmen der Bild-produktion. Ganz im Gegenteil: So wie es aussieht, darf man sich von der Vorstellung des von devoten Helfern umringten Künstlergenies gründlich verabschieden. Zumindest die Werk-statt von Jan Polack ähnelte wohl eher dem, was unter ganz anderen Vorzei-chen in späterer Zeit Andy Warhol mit seiner Factory ins Leben rief.

Mehr noch, es hat offenbar sogar Platz gegeben für ein zweites „Künst-lergenie“. Die Museumsfachleute glauben heute, durch Stilvergleiche die Handschrift des später vorwie-gend in Landshut tätigen Hans Mair, eines Schwiegersohnes Hans Holbeins des Älteren, festmachen zu können. Unter dem ungeheueren Produktions-druck, den der damalige Herzogshof unter Albrecht IV. ausübte, hat sich wohl so etwas wie eine künstlerische Arbeitsgemeinschaft gebildet. Zwei annähernd gleich routinierte Zeich-

ner treten da auf. Sie unterscheiden sich nur durch stilistische Kleinig-keiten. Einer beherrscht die moderne Zentralperspektive besser und favo-risierte deswegen eher komplizierte Architekturformen als Hintergrund, während der andere sich auf phanta-sievolle und detailreiche Landschaf-ten verlegt.

Und trotzdem besitzt die Werk-statt eindeutige Markenzeichen, kodifiziert in einem kleinen, erhal-ten gebliebenen Büchlein mit Holz-schnitten. Darin festgehalten sind archetypische Figuren und vor allem Gesichter von Fürsten, Heiligen, Henkern und Verbrechern. Das war es, was die Werkstatt auszeichnete: Expressives Personal in exotischen Gewandungen, schnell geliefert und von unschlagbarer Wirkung. Sozu-sagen „großes Kino“ für ehrgeizige geistliche und weltliche Ansprüche.

Christoph Wiedemann

Die Schlosskirche der Blutenburg ist einer der am besten erhaltenen Sakralräume des Mittelalters überhaupt.

Für die Schlosskirche entwarf Polack auch 16 Glasbilder.

Natürlich, der Mittelalter-Roman schlechthin: „Wo ist da meine gan-ze Klugheit?“ lässt Umberto Eco in „Der Name der Rose“ seinen Helden William von Baskerville am Ende sagen. „Ich bin wie ein Besessener hinter einem Anschein von Ordnung hergelaufen, während ich doch hätte wissen müssen, dass es in der Welt keine Ordnung gibt.“ William von Baskerville, in der legendären Eichin-ger-Verfilmung des Bestsellers ver-körpert von Sean Connery, ist Ecos Erfindung. Doch sein reales Vorbild ist unverkennbar, nicht nur wegen der Namensgleichheit: William von Ock-ham, Franziskanermönch, Theologe, Philosoph, politischer Schriftsteller. Ein Denker, der mit seinen Thesen den Weg aus dem Mittelalter in die Neuzeit wies. Und, wenn man so will, Wahlmünchner aufgrund hö-herer Gewalt. Zeitgenossen hätten vielleicht sogar gesagt: Aufgrund al-lerhöchster Gewalt – nämlich der des Papstes, vor dem Ockham Zuflucht am Hof Kaiser Ludwigs des Bayern in München suchen musste.

Verwehte Spuren

Sein Spiegelbild in Ecos Rosen-Ro-man tut es ihm gleich: „Als wir in München eintrafen“, berichtet sein Begleiter Adson von Melk im Epilog des Krimis, „musste ich mich unter vielen Tränen von meinem guten Meis-ter verabschieden“. Später, so Adson, habe man ihm erzählt, William „sei der großen Pest zum Opfer gefallen,

die Europa um die Mitte dieses Jahr-hunderts verheerte“. Auch Ockham, so glaubte man lange, starb an der Pest – wie 90 Prozent aller Münchner, als der Schwarze Tod im Jahr 1349 die Herzogsstadt an der Isar erreichte. Andere Quellen legen jedoch ein To-desdatum im Jahr 1347 nahe. Dann wäre er im selben Jahr gestorben wie sein kaiserlicher Schutzherr Ludwig der Bayer. Und jedenfalls nicht an der Pest. Über Ockhams Leben ist nicht viel bekannt. Und wer seinen Spuren in München folgen will, muss ziem-lich tief hinuntersteigen.

Zum Beispiel in die Tiefgarage vor dem Nationaltheater. Irgendwo dort, wo heute Schilder den Ausgang zu den Theatern weisen und wo es nicht immer besonders gut riecht, ist der streitbare Gelehrte bestattet worden, im Chor des einstigen Franziskaner-klosters. 1802 wurde das Kloster abgerissen, um Platz zu schaffen für die Repräsentation und die Kulturbe-flissenheit der bayerischen Herrscher. Doch auch zu Ockhams Lebzeiten war das Kloster in keinem beson-ders guten Zustand. Man muss so-gar annehmen, dass es eine mühsam

Ideen, scharf wie Rasiermesser Exilanten, die vom Papst mit dem Scheiterhaufen bedroht werden, versammeln sich im 14. Jahrhundert am Hof Ludwigs des Bayern. Einer von ihnen ist William von Ockham.

Ockhams Beschützer Ludwig lässt sich 1328 gegen den Willen des Papstes zum Kaiser krönen: Wandbild von Hermann Stilke in den Hofgartenarkaden.

Mittelalter

Will iam Ockham

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zusammengeflickte Brandruine war, denn im Jahr 1327 hatte ein Groß-brand ein Drittel der Stadt zerstört. 30 Menschen waren dabei ums Leben gekommen. Auch das 1284 gegründe-te Kloster der Franziskaner auf dem heutigen Max-Joseph-Platz wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Und dennoch ist es in den darauf folgenden Jahren ein geistiger Mit-telpunkt Europas. Die Stadt liegt in Teilen in Schutt und Asche, durch die Dächer tropft der Regen, verkohlte Balken und eingestürzte Wände ma-chen große Teile der Klosteranlage unbewohnbar, allmählich erst be-ginnt der Wiederaufbau Münchens – auf kaiserlichen Befehl nur noch mit Steinen und Ziegeln zur Verhütung künftiger Brandkatastrophen. Und in diesem Chaos kämpft eine Hand-voll Männer einen Kampf, den sie am Ende verlieren werden und der doch das Tor zu einer neuen Zeit weit aufstoßen wird. Diese gelehrten Männer – die wichtigsten unter ihnen sind der Arzt Marsilius von Padua, einstiger Rektor der Pariser Uni-versität, und eben der Franziskaner William von Ockham – eint bei allen Unterschieden ein Ziel: Sie wollen den weltlichen Allmachtsansprüchen der Päpste ein Ende setzen. Das Volk ist der Ursprung aller weltlicher Macht, schreibt Marsilius. „Defensor Pacis“, nennt er sein Hauptwerk – „Vertei-diger des Friedens“. Dieser Verteidi-ger muss der Kaiser sein, der sich in Rom, welch unerhörter Vorgang, vom Volk hat krönen lassen. Der Papst im fernen Avignon tobt. Der Papst soll sich um geistliche Fragen kümmern, schreibt William von Ockham. Das alles ist für die Papstkirche Ketzerei, Irrlehre. Der Kaiser wird gebannt und für abgesetzt erklärt, vom Papst verächtlich Ludwig „der Bayer“ ge-nannt. Marsilius, William und ihren Mitstreitern droht das päpstliche Strafgericht.

Und so finden sie sich im Jahr 1329 in München zusammen. Der gebannte Kaiser und die Intellektuellen. Wäh-

rend Marsilius offenbar wieder in sei-nen angestammten Beruf zurückkehrt und möglicherweise Leibarzt des Herrschers wird, avanciert Ockham zum ideologischen Ratgeber des Wit-telsbachers. Vom Franziskanerkloster zur Kaiserburg im heutigen „Alten Hof“ sind es nur ein paar Schritte. Und wieder muss hinuntersteigen, wer dort William treffen will. Dann aber kann er ihm in einer multimedi-alen Ausstellung sogar in die Augen schauen.

Ein Porträt des Gelehrten nämlich gibt es. Ein unbekannter Schreiber hat das Bild im Jahr 1341 an den Rand einer Handschrift gezeichnet. Ob er William kannte? „Frater Oc-cham iste“ – das ist Bruder Ockham: fester Blick, aber nicht der Blick eines Fanatikers, ein bartloses Gesicht mit

einem entschlossenen Mund. „Es fällt schwer, den Gedanken zu akzeptie-ren, dass es in der Welt keine Ord-nung geben kann, da sie den freien Willen Gottes und seine Allmacht einschränken könnte.“ Das sagt Wil-liam – der von Baskerville in Ecos Ro-man. William von Ockham könnte es genauso gesagt haben. Gott ist frei, argumentiert dieser – und deshalb ist auch sein Geschöpf, der Mensch, frei. Und weil Gott jedes Ding und jedes Lebewesen schafft, hat jedes Ding, je-des Lebewesen, jeder Mensch seinen eigenen Wert und seine eigene Würde. Nichts und niemand ist lediglich ein Abbild von Gottes großem Plan. Und deshalb beginnt Erkenntnis nicht mit allgemeinen Begriffen, sondern im-mer mit der konkreten Betrachtung des Einzelnen, des Individuums.

Der Krieger und sein Triumph: 1322 entschied Ludwig der Bayer den Krieg um die Königskrone in

der „Schlacht bei Mühldorf“. Otl Aichers farbenfrohe Bildtafel

entstand 664 Jahre später.

War der Denker William von Ockham ein Vertreter der Münchner Kultur? Der Mann, den Martin Luther zwei-hundert Jahre später seinen „Meister“ nannte, hätte über diese Frage gelä-chelt. Er hätte auf den „Prunkpokal“ gedeutet, der in einem Schaukasten im Gewölbe unter der alten Kaiser-burg zu sehen ist. „Was siehst du?“, hätte er gefragt. Einen Pokal? Allge-meine Begriffe sagen nichts über die

Wirklichkeit aus. Der vermeintliche Pokal ist ein Hologramm, das Ergeb-nis des frei forschenden menschlichen Geistes. Und dann hätte Ockham sein viel zitiertes logisches „Rasiermesser“ ausgepackt: Es sei ungerechtfertigt, etwas mit größerem Aufwand zu erklären, was auch mit geringerem erklärbar ist. Oder ganz vereinfacht gesagt: Warum denn umständlich, wenn es einfach auch geht.

Und tatsächlich, es geht ganz einfach, wenn man nur genau hinschaut: Der englische Franziskanermönch William von Ockham hat von der Freiheit Gottes und der Menschen geschrie-ben. Vom Wert des Einzelnen und vom Wert der Erkenntnis. William von Ockham hat München zum Leuchten gebracht. Gerade, als das Mittelalter am finstersten war.

Martin Bernstein

Der Denker und seine Zuflucht: Oben das frühere Franziskaner-kloster am heutigen Max-Joseph-Platz, gezeichnet 1846 von Carl August Lebschée. Unten Ockham, dargestellt von Sean Connery in „Der Name der Rose“ (links) und als zeitgenössische Strichfigur.