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STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
QUALITÄTSMERKMALE IN DER
FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
UNTERSUCHUNGSBERICHT I
1. ALLGEMEINE ANGABEN
1.1 Projektverantwortliche
Univ.-Prof. Dr. Christel Salewski, Diplom-Psychologin, Psych.-Psychotherapeutin
Univ.-Prof. Dr. Stefan Stürmer, Diplom-Psychologe, Geschäftsf. Institutsdirektor
Institut für Psychologie
FernUniversität in Hagen
Universitätsstr. 33
58084 Hagen
Tel.: 02331 - 987 4875, E-Mail: [email protected]
Tel.: 02331 - 987 2776, E-Mail: [email protected]
1.2 Mitarbeiter/innen
Dipl.-Psych. Katharina Lotz-Schmitt, Psych.-Psychotherapeutin
Dipl.-Psych. Elisabeth Kalhorn, Familienrechtspsychologische Sachverständige
M.Sc.-Psych. Julia Plato
B.Sc.-Psych. Jörn Meyer
B.Sc.-Psych. Anne-Kathrin Rode
1.3 Thema
Psychologische Gutachten für das Familiengericht: Diagnostische und methodische
Standards in der Begutachtungspraxis
1.4 Fach- und Arbeitsrichtung
Psychologische Diagnostik, Rechts- und Sozialpsychologie
1.5 Weitere Angaben
Das Projekt wird ausweislich des Bescheids vom 27.07.2012 vom Justizministerium des
Landes NRW unterstützt.
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STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
1.6 Zusammenfassung
Ziele: Das übergeordnete Ziel der vorliegenden Untersuchung bestand darin, an einer reprä-
sentativen Stichprobe festzustellen, ob und inwieweit familienrechtspsychologische Gutach-
ten wissenschaftlich formulierten Mindestanforderungen genügen.
Stichprobe: Die Stichprobe der Gutachten wurde im Rahmen eines vom Justizministerium
des Landes Nordrhein-Westfalen (JM NRW) unterstützen größeren Forschungsprojekts ge-
wonnen, in der unterschiedliche Qualitätsmerkmale familienrechtspsychologischer Gutachten
untersucht werden. Die Stichprobe umfasst 116 Gutachten aus den Jahren 2010 und 2011,
die aus Vollerhebungen an vier Amtsgerichten im OLG-Bezirk Hamm stammen. 91,4% der
Gutachten wurden von Diplom- oder M.Sc.-Psychologen verfasst.
Methode: Sämtliche Gutachten wurden von zwei unabhängigen und fachlich geschulten Be-
urteilern anhand eines Kategoriensystems inhaltsanalytisch ausgewertet. Der Schwerpunkt
der Analyse lag auf dem im Gutachten dargelegten methodischen Vorgehen. Die Analysekri-
terien wurden aus den „Richtlinien für die Erstellung Psychologischer Gutachten“ (Föderation
Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994) und den Empfehlungen der Arbeitsgruppe
„Qualitätsstandards für psychodiagnostische Gutachten“ der Deutschen Gesellschaft für
Psychologie (DGPs, 2011) abgeleitet.
Ergebnisse: In 56% der Gutachten werden aus der gerichtlichen Fragestellung keine fach-
psychologischen und den Begutachtungsprozess explizit leitenden Arbeitshypothesen (Psy-
chologische Fragen) hergeleitet. In der überwiegenden Zahl der Gutachten (85,5%) wird die
Auswahl der eingesetzten diagnostischen Verfahren – ebenfalls anders als fachlich gefordert
- nicht anhand der Psychologischen Fragen begründet. In über einem Drittel der Gutachten
(35%) erfolgt die Datenerhebung ausschließlich über methodisch problematische Verfahren
(unsystematische Gespräche, unsystematische Beobachtung, keine oder psychometrisch
ungenügende projektive Tests/testähnliche Verfahren). Im Fall dieser Gutachten zeigte sich,
dass in nur 2 Fällen auf mögliche methodische Einschränkungen der Ergebnisse hingewie-
sen wird (in den verbleibenden 39 Fällen ist dies nicht der Fall). Insgesamt erweist sich damit
- je nach zugrundeliegendem Kriterium - zwischen einem Drittel bis über 50 % der Gutachten
als mängelbehaftet.
Fazit: Die Untersuchung offenbart gravierende Mängel in einem substantiellen Teil der Gut-
achten. Tatsächlich erfüllt nur eine Minderheit die fachlich geforderten Qualitätsstandards.
Analysen zum Qualifikationshintergrund der Sachverständigen zeigen allerdings, dass die
Qualifikation zum Fachpsychologen Rechtspsychologie mit einer nachweislich höheren Qua-
lität der Gutachten einhergeht. Maßnahmen der Qualitätssicherung werden diskutiert.
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2. PROBLEMSTELLUNG UND ZIELE
Im Jahr 2010 wurden in Deutschland 187.027 Ehen geschieden, 145.146 minderjäh-
rige Kinder waren von der daraus resultierenden Veränderung der familiären Konstel-
lation betroffen (Statistisches Bundesamt, 2011). Die tatsächliche Zahl von Trennun-
gen liegt deutlich höher, da nicht-eheliche Lebensgemeinschaften nicht statistisch
erfasst werden. In vielen Fällen führt eine Scheidung beziehungsweise Trennung zu
gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Partnern darüber, wie die Sorge,
der Aufenthalt und der Umgang für die gemeinsamen Kinder geregelt werden soll.
Vor allem in sehr strittigen Fällen werden häufig Psychologinnen und Psychologen
hinzugezogen, um als Sachverständige kindeswohldienliche Empfehlungen zu erar-
beiten, die Richterinnen und Richter in ihren Entscheidungen unterstützen.
Der Gesetzgeber hat zwar die allgemeinen Anforderungen für die Bestellung zum/r
Sachverständigen in §§ 402 – 414 ZPO geregelt, die genauen Qualifikationsanforde-
rungen an familiengerichtliche Sachverständige wurden jedoch nur in Ausnahmefäl-
len (z.B. bei freiheitsentziehenden Maßnahmen) verbindlich definiert. Ebenso wenig
existieren rechtsverbindliche Qualitätskriterien für die Erstellung von psychologischen
Gutachten in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts-
barkeit. Zwar liegen von der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen fach-
lich verbindliche Richtlinien für die Erstellung psychologischer Gutachten vor (Föde-
ration Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994), und in der einschlägigen Gut-
achtenliteratur (z.B. Westhoff & Kluck, 2008; Salzgeber, 2011) werden diese Vorga-
ben expliziert. Die Befolgung dieser Richtlinien liegt mangels rechtlicher Vorgaben
aber im Ermessen der einzelnen psychologischen Sachverständigen und sie ist für
das Familiengericht fachlich auch nur eingeschränkt nachvollziehbar. Dementspre-
chend ist unklar, inwieweit psychologische Gutachten in der Praxis den fachlich ver-
bindlichen Qualitätsstandards entsprechen. Die Einhaltung dieser Standards ist aber
unabdingbar, um Verfahrensgerechtigkeit und damit die Gleichstellung aller Bürge-
rinnen und Bürger vor dem Familiengericht zu gewährleisten und materielle (z.B.
Zweitgutachten) sowie ideelle (z.B. psychische Beeinträchtigungen) Folgekosten von
nicht fachgerechten psychologischen Gutachten zu verhindern (Rohmann, 2008).
2.2 Forschungsstand
Ein psychologisch-diagnostisches Gutachten ist „ein Bericht über die Beantwortung
von konkreten Fragestellungen, die eine Person oder eine Gruppe von Personen be-
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treffen. Die Antwort kommt durch Anwendung wissenschaftlich anerkannter Metho-
den und Kriterien nach feststehenden Regeln der Gewinnung und Interpretation von
Daten zustande. Der zur Beantwortung der Fragestellung führende diagnostische
Prozess wird transparent und nachvollziehbar dargestellt. Er umfasst die Herleitung
psychologischer Fragen, die Auswahl und Anwendung von Erhebungsmethoden, die
Darstellung und Interpretation der Ergebnisse sowie die Beantwortung der Fragestel-
lung(en).“ (DGPs, 2011, S. 4). Fragestellungen familienrechtspsychologischer Gut-
achten beziehen sich insbesondere auf psychologische Aspekte der rechtlichen Re-
gelung der elterlichen Sorge, des Umgangs des Kindes mit den Eltern oder anderen
Personen, Aspekten der Kindeswohlgefährdung und/oder Einschätzungen der Aus-
wirkungen der Risiko- oder Schutzbedingungen des Kindes (Salzgeber, 2011).
Sowohl in den direkt beteiligten Fachdisziplinen (Rechtswissenschaften und Psycho-
logie) als auch in der Öffentlichkeit sind familienrechtspsychologische Gutachten und
ihre (mangelnde) Qualität wiederholt Gegenstand von kritischen Diskussionen, meist
ausgelöst durch Fälle, in denen einer gutachterlichen Empfehlung gefolgt wurde und
dadurch gravierende negative Konsequenzen für die Beteiligten, vor allem für die
betroffenen Kinder, entstanden (zu aktuellen Medienberichten siehe z.B. FAS,
12.11.2012; PANORAMA, 31.10.2013; SZ, 14.02.2012; ZDFzoom, 26.10.2011).
Substantiierte wissenschaftliche Schlussfolgerungen zur Qualität psychologischer
Gutachten an Familiengerichten können derzeit allerdings nicht getroffen werden, da
im deutschsprachigen Raum kaum systematische Untersuchungen zu diesem The-
ma vorliegen.
Der relative Mangel an empirisch belastbaren Befunden zur Qualität von familien-
rechtspsychologischen Gutachten steht in erheblichem Kontrast zu Studien zur Güte
von Expertisen in anderen Rechtsbereichen. Beispielsweise liegen für die Begutach-
tung von Sexualstraftätern (vgl. z.B. Häßler & Fegert, 2000; Schläfke et al., 2005;
König, Schnoor, Auer, Rebernig, Schläfke & Fegert, 2005) sowie von jugendlichen
und heranwachsenden Straftätern Untersuchungen zur Gutachtenqualität vor (vgl.
Rotermann, Köhler & Hinrichs, 2009; Kraft, Köhler & Hinrichs, 2008), die erhebliche
Qualitätsdefizite in der Begutachtungspraxis aufdecken konnten. Für die Bereiche
der Schuldfähigkeits-, Prognose- und Aussagepsychologischen Begutachtung wur-
den im Rahmen der Rechtsprechung bereits Anforderungs- und Qualitätsstandards
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formuliert (Boetticher et al., 2007a und 2007b; vgl. auch BGH 1 StR 618/98 - Urteil v.
30. Juli 1999). Letzteres fehlt für die familienrechtliche Begutachtung weitgehend.
Die einzige uns bekannte systematische Untersuchung familienrechtspsychologi-
scher Gutachten liegt bereits über zehn Jahre zurück (Klüber, 1998; Terlinden-Arzt,
1998). In dieser Untersuchung wurde eine repräsentative Stichprobe von 245 Gut-
achten aus insgesamt 77 Amtsgerichten in Nordrhein-Westfalen inhaltsanalytisch
ausgewertet. Die Untersuchungsergebnisse deckten eine Reihe von Qualitätsdefizi-
ten auf. So zeigte sich, dass in der Gesamtstichprobe lediglich in 27 % der Gutachten
aus der gerichtlichen Fragestellung Psychologische Fragen („Hypothesen“) abgeleitet
wurden. Bei einem überwiegenden Teil der Gutachten konnte damit nicht eindeutig
nachvollzogen worden, ob es sich beim gutachterlichen Vorgehen tatsächlich um
einen durch wissenschaftliche Hypothesen geleiteten Prozess handelte oder um
mehr oder weniger intuitive Erkenntnisakte (zur wissenschaftlichen Notwendigkeit
des hypothesengeleiteten Vorgehens siehe Westhoff & Kluck, 2008, S. 35ff; auch
Salzgeber, 2011, S. 541). Da die in die Untersuchungen von Klüber (1998) und Ter-
linden-Arzt (1998) einbezogenen Gutachten Anfang der 1990er Jahre erstellt wur-
den, lassen diese Daten keine Schlussfolgerungen auf die aktuellen Qualitätsstan-
dards in der familienrechtspsychologischen Begutachtung mehr zu. Nichtsdestotrotz
geben diese Befunde begründeten Anlass dafür, die aktuellen Standards in diesem
Begutachtungsbereich systematisch zu untersuchen.
2.3 Ziele
Ein übergeordnetes Ziel der vorliegenden Untersuchung bestand darin, anhand einer
repräsentativen Stichprobe festzustellen, ob und inwieweit familienrechtspsychologi-
sche Gutachten wissenschaftlich formulierten Mindestanforderungen genügen. Die
Untersuchung wurde im Rahmen eines vom Justizministerium des Landes Nord-
rhein-Westfalen (JM NRW) unterstützten, größeren Forschungsprojekts durchgeführt,
in dem unterschiedliche Qualitätsmerkmale solcher Gutachten untersucht werden.
Die Arbeitsgruppe „Qualitätsstandards für psychodiagnostische Gutachten“ der Deut-
schen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) empfiehlt bei der Beurteilung der Qualität
von Gutachten zwischen zwei Arten von Verstößen gegen Anforderungen zu diffe-
renzieren: Mängel bzw. Fehler beim methodisch-inhaltlichen Vorgehen und Defizite
in der schriftlichen Darstellung, die in der Regel ohne erneute Untersuchung nach-
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träglich korrigiert werden können (z.B. vergessene Unterschrift oder Datumsangaben
etc.) (DGPs, 2011, S. 4-5). Gravierende Mängel beim methodisch-inhaltlichen Vor-
gehen machen ein Gutachten aus fachlicher Sicht unverwertbar und können auch
nicht durch die Güte der schriftlichen Darstellung kompensiert werden. Die vorliegen-
de Analyse konzentriert sich daher auf eine kriteriengeleitete Analyse des im Gutach-
ten dokumentierten methodischen Vorgehens.
Die Analysekriterien wurden aus den „Richtlinien für die Erstellung Psychologischer
Gutachten“ (Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994) und den Emp-
fehlungen der Arbeitsgruppe „Qualitätsstandards für psychodiagnostische Gutach-
ten“ im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs, 2011) abgeleitet
und anhand der Empfehlungen in fachlich einschlägigen Standardwerken konkreti-
siert (z.B. Krohne & Hock, 2007; Salzgeber, 2011; Westhoff & Kluck, 2008). Insge-
samt wurden vier Prüfkriterien herangezogen, die sich wie folgt begründen:
(1) Formulierung von Psychologischen Fragen: Wie bei wissenschaftlichem Handeln
im Allgemeinen handelt es sich auch bei der Begutachtung um einen hypothe-
sengeleiteten Prozess. Es besteht daher fachliche Übereinstimmung, dass der
familienrechtspsychologische Sachverständige die gerichtliche Fragestellung in
spezifische Psychologische Fragen („Arbeitshypothesen“) übersetzen und diese
im Gutachten explizit darstellen soll (DGPs, 2011, S. 7; Salzgeber, 2011, S. 541;
Westhoff & Kluck, 2008, S. 35ff). Lautet beispielsweise der gerichtliche Auftrag
zu klären, welche Umgangsregelung dem Kindeswohl angemessen ist, dann
müsste zunächst eine psychologische Präzisierung des Begriffs „Kindeswohl“
vorgenommen werden, um anschließend konkrete Untersuchungsfragen für den
vorliegenden Fall zu formulieren (z.B. in Bezug auf die Bindung des Kindes an
bestimmte Bezugspersonen, den Kindeswillen, die Erziehungsfähigkeiten der
Bezugspersonen u.a., siehe hierzu z.B. Westhoff & Kluck, 2008, S. 47).
(2) Begründung der Datenerhebungsverfahren: Die Auswahl der diagnostischen Ver-
fahren muss aus den Psychologischen Fragen herleitbar und fachlich nachvoll-
ziehbar sein (Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994; S. 11;
DGPs, 2011, S. 9f.). Es besteht fachliche Übereinstimmung, dass nur Verfahren
ausgewählt werden sollen, die geeignet sind, Erkenntnisse zur Beantwortung der
psychologischen Fragen beizutragen. Bei der Auswahl der Verfahren sind die
psychometrischen Gütekriterien zu beachten.
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(3) Methodische Qualität der Datenerhebung: Ziel der diagnostischen Datenerhe-
bung ist es, möglichst vollständig und unverzerrt die Informationen zu erheben,
die für eine Beantwortung der Psychologischen Fragen notwendig sind. Bei der
Beurteilung der Qualität der Datenerhebung sind daher insbesondere die Haupt-
gütekriterien, nämlich die Objektivität, Reliabilität und Validität der eingesetzten
Datenerhebungsverfahren von Bedeutung (DGPs, 2011, S. 10, auch Westhoff &
Kluck, 2008, S. 68, 86). Die Einhaltung dieser Gütekriterien ist unabdingbarer
Bestandteil der wissenschaftlichen Datenerhebung, da nur über diesen Weg Ur-
teilsfehler und Verzerrungen reduziert bzw. im Idealfall eliminiert werden können.
(4) Methodenkritische Interpretation der Ergebnisse: Die Ergebnisse sind nach den
wissenschaftlich-psychologisch gegebenen Regeln zu interpretieren. Dabei sind,
soweit notwendig, Einschränkungen der Daten zu berücksichtigen, um Fehl-
schlüsse zu vermeiden (z.B. methodenabhängige Einschränkungen, Einschrän-
kungen durch die Untersuchungsdurchführung) (Föderation Deutscher Psycho-
logenvereinigungen, 1994; S. 11; DGPs, 2011, S. 12.).
Bei den vorliegenden Prüfkriterien handelt es sich um Mindestanforderungen an die
wissenschaftliche Fundierung des gutachterlichen Vorgehens (s. DGPs, 2011, S. 6f).
Liegen diese Mindestanforderungen nicht vor, ist das Gutachten unverwertbar.
3. METHODE
3.1 Stichprobengewinnung, Datenschutz und Repräsentativität
Das Projekt wurde vom Justizministerium des Landes Nordrhein Westfalen unter-
stützt. Am 27.07.2012 informierte das Referat für Justizforschung und –statistik des
JM NRW den Präsidenten des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm über das For-
schungsprojekt und kommunizierte das Einverständnis des Ministeriums. Im An-
schluss wurden 38 Amtsgerichte im OLG-Bezirk Hamm mit der Bitte angeschrieben,
das Projekt durch die Bereitstellung anonymisierter psychologischer Gutachten zu
unterstützen. Von den 38 angeschriebenen Amtsgerichten signalisierten 9 ihre
grundsätzliche Kooperationsbereitschaft. Nach Vorgesprächen schloss die FernUni-
versität in Hagen mit vier Amtsgerichten Kooperationsverträge ab, die die Kooperati-
onspflichten, den Datenschutz und die Verwertungsrechte regelten.
Die Gutachten und die zugehörigen Beweisbeschlüsse wurden in den Amtsgerichten
komplett anonymisiert. Die Anonymisierung wurde von Justizbediensteten vor der
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Freigabe sorgfältig überprüft. Es wurden keine Namen von Sachverständigen, Rich-
ter/innen, Begutachteten, Verfahrensbeteiligten u.a. erhoben. Eine Weitergabe von
sensiblen Daten an Dritte wurde ausgeschlossen. Die Empfehlungen der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis wur-
den konsequent umgesetzt. Die Publikation der Daten lässt keine einzelfall- oder
personenbezogenen Rückschlüsse zu.
Bis auf die wenigen Fälle, in denen die Akten im Umlauf waren, konnten sämtliche
der von den vier Amtsgerichten in den Jahren 2010 und 2011 erhaltenen Gutachten
lückenlos rekrutiert werden. Es handelt sich damit für diese Jahrgänge jeweils um
Totalerhebungen, die repräsentativ für das jeweilige Amtsgericht sind. Zwei der
Amtsgerichte befinden sich in Großstädten mit einer Einwohnerzahl über 100.000
Einwohner; zwei der Amtsgerichte befinden sich in Klein- bzw. Mittelstädten mit einer
Einwohnerzahl unter 100.000 Einwohner.
3.2 Kategoriensystem
Zur inhaltsanalytischen Auswertung wurde ein Kategoriensystem entwickelt, dass
sich in zwei Teile untergliedert. Der erste Teil beinhaltet formale Kriterien zur Be-
schreibung der Gutachten und des Beweisbeschlusses (z.B. gerichtliche Frage, Ver-
fahrensgegenstand). Der zweite Teil beinhaltet Einzelkriterien zur Beurteilung inhalt-
lich-methodischer Aspekte des Gutachtens. Diese Einzelkriterien wurden aus den
„Richtlinien für die Erstellung Psychologischer Gutachten“ (Föderation Deutscher
Psychologenvereinigungen, 1994) den Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Qualitäts-
standards für psychodiagnostische Gutachten“ im Auftrag der Deutschen Gesell-
schaft für Psychologie (DGPs, 2011) abgeleitet und anhand der Empfehlungen in
fachlich einschlägigen Standardwerken konkretisiert (z.B. Krohne & Hock, 2007;
Salzgeber, 2011; Westhoff & Kluck, 2008).
Das endgültige Kategoriensystem wurde nach Probedurchläufen festgelegt, in denen
zunächst insgesamt fünf unabhängige Beurteiler das Kategoriensystem zur Auswer-
tung von fünf Gutachten verwendeten. Zur Prüfung der Reliabilität des Kategorien-
systems wurde Krippendorff’s Alpha berechnet (Wirtz & Caspar, 2002). Der erzielte
Wert von .75 war zufriedenstellend (Krippendorff, 2010). Auf der Grundlage einer
systematischen inhaltlichen Prüfung wurden einzelne Kategorien modifiziert. Qualifi-
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zierende sprachliche Begriffe, die sich zur Beurteilung einiger Teilaspekte als not-
wendig herausgestellt hatten, wurden anhand von konkreten Beispielen definiert.
Das abschließende Kategoriensystem kann von den Autoren bezogen werden. Die
inhaltlichen Kategorien wurden mit Blick auf unterschiedliche Fragestellungen des
übergeordneten Forschungsprojekts formuliert. Die vorliegende Auswertung bezieht
sich ausschließlich auf die Kategorien, die zur Beurteilung der oben spezifizierten
Prüfkriterien notwendig waren. Für alle diese inhaltlich-methodischen Kriterien liegen
für jedes Gutachten die Auswertungen von zwei unabhängigen fachlich geschulten
Beurteilern vor. Drei Beurteiler hatten einen Diplom-/M.Sc.-Abschluss in Psychologie
und eigene berufspraktische Erfahrung in der (rechts-)psychologischen Begutach-
tung. Zwei Beurteiler hatten einen B.Sc.-Abschluss in Psychologie und fertigen im
Zusammenhang des Projekts ihre M.Sc.-Abschlussarbeit an. Jedes Gutachten wurde
von mindestens einem Diplom-/M.Sc.-Psychologen beurteilt. Krippendorff’s Alpha für
die Beurteilungen über alle Gutachten beträgt .72. Für alle Gutachten wurden diver-
gierende Einschätzungen in einem letzten Schritt der Datenaufbereitung im Kon-
sensverfahren zwischen den beiden Beurteilern aufgelöst.
4. STICHPROBENBESCHREIBUNG
4.1 Stichprobenumfang
Ausweislich der Beweisbeschlüsse wurden in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt
125 psychologische Gutachten und eine psychologische Stellungnahme von den vier
beteiligten Amtsgerichten in Auftrag gegeben. In 8 Fällen wurde statt des angeforder-
ten Gutachtens eine psychologische Stellungnahme erstattet, in einem weiteren Fall
wurde ein Kurzgutachten erstattet. Da im Fall von psychologischen Stellungnahmen
und Kurzgutachten nicht alle formalen und inhaltlichen Bestimmungsmerkmale eines
psychologischen Gutachtens vorliegen, wurden diese in der Auswertung nicht be-
rücksichtigt. Die endgültige Stichprobe umfasst damit 116 psychologische Gutachten.
Der Umfang dieser Gutachten variierte zwischen 10 und 137 Seiten, bei einem mittle-
rem Seitenumfang von 55,56 Seiten (SD = 27,35). 95 der Gutachten (82%) wurden
von den beiden Amtsgerichten in Großstädten in Auftrag gegeben.
4.1.1 Verfahrensgegenstand
98 (84,5%) der Gutachten befassten sich ausweislich des Beweisbeschlusses mit der
Beurteilung psychologischer Aspekte im Rahmen der Erst- oder Neuregelung der
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elterlichen Sorge bzw. damit assoziierten Rechtsfragen (z.B. Regelung des Aufent-
haltsbestimmungsrechts). 18 (15,5%) der Gutachten befassten sich ausschließlich
mit der Beurteilung psychologischer Aspekte der Erst- oder Neuregelung des Um-
gangsrechts. Im Mittel wurden im Beweisbeschluss 2,44 gerichtliche Einzelfragestel-
lungen formuliert, die mittels des Gutachtens beantwortet werden sollten (SD = 1,40,
Minimum = 1 Frage, Maximum = 8 Fragen).
4.1.2 Psychologische Sachverständige
In 113 der insgesamt 116 Gutachten fanden sich auf dem Deckblatt Angaben zum
akademischen Abschluss der psychologischen Sachverständigen. Demnach wurden
106 der psychologischen Gutachten (91,4%) von Diplom- oder M.Sc.-Psychologen
erstellt, 41 davon von Psychologen mit Approbation zum Psychologischen Psycho-
therapeuten und/oder Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. 36 der Gutachten
wurden von promovierten Psychologen und 30 von Psychologen mit Zertifizierung
zum Fachpsychologen für Rechtspsychologie BDP/DGPs erstellt. 7 Gutachten wur-
den von Nicht-Psychologen erstellt.
Da die Namen und Adressdaten sämtlicher Sachverständigen vollständig anonymi-
siert wurden, können keine Aussagen über die Verteilung der Gutachten auf Einzel-
personen, Gemeinschaftspraxen oder gerichtspsychologische Institute getroffen wer-
den. Genauso wenig kann festgestellt werden, ob und wie viele der ausgewerteten
Gutachten von ein und demselben Sachverständigen verfasst worden sind. Aufgrund
der gerichtlichen Praxis, Sachverständige wiederholt zu beauftragen, ist allerdings
davon auszugehen, dass einzelne Sachverständige mehrere der rekrutierten Gutach-
ten verfasst haben. Bei der Interpretation der im Folgenden dargestellten Befunde ist
also zu beachten, dass sich sämtliche Daten auf die Gutachten als Analyseeinheit
und nicht auf die Sachverständigen beziehen. Dementsprechend kann aufgrund die-
ser Daten ausschließlich geschlussfolgert werden, ob und wie viele Gutachten an
den kooperierenden Amtsgerichten in den Jahren 2010 und 2011 fachliche Quali-
tätsstandards weitgehend erfüllen (oder nicht erfüllen). Aussagen darüber, wie viele
der gerichtlichen Sachverständigen fachlich qualifizierte oder unqualifizierte Leistun-
gen erbracht haben, sind aufgrund unserer Daten weder intendiert noch möglich.
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STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
4.1.3 Begutachtete Personen/Beziehungskonstellationen
Die strittigen Rechtsfragen betreffen in der Regel Kinder und deren Eltern(teile) bzw.
primären Bezugspersonen (z.B. Stief- oder Pflegeeltern) sowie die sich daraus erge-
benden familiären Beziehungen. Aus den Gutachten geht hervor, dass in allen Fällen
die leiblichen Elternteile/primären Bezugspersonen begutachtet wurden. In 112
(96,6%) von 116 Gutachten wurden zudem die Kinder begutachtet.
5. ERGEBNISSE
Die inhaltsanalytische Auswertung bezieht sich auf folgende Prüfkriterien:
(1) Herleitung psychologischer Fragen,
(2) Begründung der Auswahl der Datenerhebungsverfahren,
(3) Psychometrische Qualität der Datenerhebungsverfahren,
(4) Berücksichtigung methodischer Einschränkungen bei der Interpretation der
Untersuchungsergebnisse.
Im Folgenden werden die Ergebnisse zu diesen Kriterien dargestellt.
5.1 Herleitung psychologischer Fragen
Zur Beurteilung der Erfüllung dieses Kriteriums wurden aus den Empfehlungen der
Arbeitsgruppe „Qualitätsstandards für psychodiagnostische Gutachten“ (DGPs, 2011,
S. 9) drei Fragen in das Kategoriensystem aufgenommen:
Werden aus der gerichtlichen Fragestellung fachpsychologische Arbeitshypothesen (Psycho-
logische Fragen) hergeleitet?
Wenn ja: Erscheint die Herleitung der psychologischen Fragen hinreichend wissenschaftlich
fundiert?
Wenn ja: Werden aus den psychologischen Fragen Kriterien für die Beantwortung der gericht-
lichen Fragen abgeleitet bzw. begründet?
Die Beurteiler beantworteten diese Fragen für jedes Gutachten anhand der Alternati-
ven „ja“ oder „nein“. Zudem bestand die Möglichkeit zusätzliche Erläuterungen abzu-
geben, falls diese Alternativen zur Beurteilung ungeeignet erschienen.
Herleitung psychologischer Fragen: Die Auswertungen ergaben, dass in 65 (56,0%)
der Gutachten keine psychologischen Fragen aus der gerichtlichen Fragestellung
hergeleitet wurden. In diesen Fällen begann das Gutachten typischerweise mit der
Nennung der gerichtlichen Fragestellung und einer Darstellung der Vorgeschichte –
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STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
die in der Regel, aber auch nicht immer, mit Verweis auf die Akten resümiert wurde.
Anschließend wurden dann ohne Nennung konkreter Psychologischer Fragen direkt
der Untersuchungsverlauf und/oder die Durchführung einzelner diagnostischer Ver-
fahren bzw. deren Ergebnisse beschrieben. In den 51 Gutachten, in denen psycho-
logische Fragen hergeleitet wurden, wurden im Mittel 8,75 Fragen formuliert (SD =
5,17, Minimum = 1 Frage, Maximum = 24 Fragen).
Wissenschaftliche Fundierung: Westhoff und Kluck (2008, S. 44ff) haben detaillierte
Leitlinien für eine wissenschaftlich-angemessene und gleichwohl adressatenorientier-
te Formulierung Psychologischer Fragen im Kontext der familienrechtspsychologi-
schen Begutachtung ausgearbeitet. Ein wichtiges Kriterium ist, dass „die Auswahl der
[untersuchten] Merkmale kurz und allgemein verständlich mit einer Gesetzmäßigkeit
oder Regelhaftigkeit im Verhalten begründet“ wird (ebd., S. 253; eigene Einfügung).
Die Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Qualitätsstandards für psychodiagnostische
Gutachten“ im Auftrag der DGPs beinhalten in ähnlichem Sinne die Forderung, dass
die Herleitung der Psychologischen Fragen „anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse
und anderer begründeter Annahmen“ erfolgt und im „schriftlichen Gutachten expli-
ziert dargestellt wird“. Die Ausführlichkeit der Herleitung und der Begründung der
Psychologischen Fragen im schriftlichen Gutachten richtet sich dabei nach dem Vor-
wissensstand des Adressaten (DGPs, 2011, S. 9).
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Leitlinien/Empfehlungen galt das Krite-
rium der wissenschaftlichen Fundierung der Psychologischen Fragen in der vorlie-
genden Untersuchung als erfüllt, wenn im Kontext der Formulierung der Psychologi-
schen Fragen mindestens einmal explizit auf psychologische oder weitere wissen-
schaftliche Erkenntnisse Bezug genommen wurde, um entweder psychologische Ge-
setzmäßigkeiten oder Regelhaftigkeiten zu beschreiben und/oder um die untersuch-
ten Merkmale im psychologischen Sinne zu definieren (z.B. in Form einer Quellenan-
gabe oder in Form der Nennung einer theoretischen Grundlage, vgl. „Beispielgutach-
ten zu Fragen des Sorgerechts und der Umgangsregelung im familienrechtlichen
Verfahren“ in Westhoff & Kluck, 2008, S. 162). Von den 51 Gutachten, in denen psy-
chologische Fragen formuliert wurden, erfüllten 24 (47,0% von 51) dieses Minimalkri-
terium; 27 (52,9% von 51) der Gutachten erfüllten dieses Kriterium nicht. In diesen
Fällen blieb es damit unklar, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse - in Abgren-
zung zu Alltagsannahmen oder Plausibilitäten – der Formulierung der Untersu-
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STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
chungsfragen zugrunde lagen und/oder mit welcher Begriffsdefinition der Sachver-
ständige operierte.
Ableitung von Kriterien: Die Arbeitsgruppe „Qualitätsstandards für psychodiagnosti-
sche Gutachten“ im Auftrag der DGPs konstatiert, dass für die Transparenz und
Nachvollziehbarkeit des gutachterlichen Vorgehens die Ableitung von Entschei-
dungskriterien für die Beantwortung der psychologischen Fragen notwendig sei (z.B.
Ausprägungen der elterlichen Erziehungskompetenzen, Art der Bindung des Kindes;
DGPs, 2011, S.9). Von den 51 Gutachten, in denen Psychologische Fragen formu-
liert wurden, erfüllten 28 (54,9% von 51) dieses Kriterium; 23 (45,1% von 51) erfüllte
dieses Kriterium hingegen nicht (d.h. es wurde nicht dargelegt, welche Kriterien für
die Beantwortung der Frage in der Untersuchung herangezogen wurden).
Zwischenfazit: In 56,0% der Gutachten werden aus der gerichtlichen Fragestellung
keine fachpsychologischen Arbeitshypothesen, also Psychologische Fragen, herge-
leitet. In diesen Fällen ist damit nicht nachvollziehbar, ob und inwieweit es sich bei
dem gutachterlichen Vorgehen um einen durch wissenschaftliche Hypothesen gelei-
teten Prozess oder um einen subjektiv-intuitiven Erkenntnisakt handelt. In über der
Hälfte der Gutachten, in denen psychologische Fragen formuliert wurden, war – trotz
eines vergleichsweise moderaten Prüfkriteriums (Verweis auf eine (!) wissenschaftli-
che Quelle oder theoretische Grundlage) – auch für psychologisch ausgebildete Be-
urteiler nicht nachvollziehbar, ob bei der Formulierung der Fragen auf psychologische
oder weitere wissenschaftliche Erkenntnisse Bezug genommen wurde und welche
dies waren. Eine Präzisierung fachlich und interdisziplinär mehrdeutiger und bereits
alltagssprachlich konnotierter Begriffe – wie beispielsweise bei Westhoff und Kluck
(2008, S. 162) exemplarisch dargestellt – erfolgte nur in einer Minderzahl der Fälle.
Letzterer Sachverhalt ist insbesondere deshalb kritisch zu bewerten, da zentrale Be-
griffe, wie z.B. „Bindung“, „Kindeswohl“ oder „Erziehungsfähigkeit“, je nach theoreti-
scher oder fachlicher Provenienz mit unterschiedlichen Bedeutungen versehen sind.
Zudem sind diese Begriffe auch bereits alltagssprachlich mit Bedeutungen belegt
(z.B. mit normativen Vorstellungen), was eine präzise wissenschaftliche Definition
dringend erforderlich macht. Auf die Gesamtzahl der Gutachten betrachtet, begrün-
den ferner in nur 24% der Gutachten die hergeleiteten psychologischen Fragen die
gutachterliche Entscheidungskriterien, anhand derer die Fragen beantwortet werden
sollen.
14
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
5.2 Begründung der Auswahl der Datenerhebungsverfahren
Für die Beurteilung der Erfüllung dieses Kriteriums wurden aus den Empfehlungen
der Arbeitsgruppe „Qualitätsstandards für psychodiagnostische Gutachten“ (DGPs,
2011, S. 9f) zwei Fragen abgeleitet:
Wird die Auswahl diagnostischer Verfahren anhand der explizierten psychologischen Fragen
begründet? (falls Fragen vorliegen)
Wird die Auswahl der Verfahren methodisch begründet (mit Blick auf Gütekriterien)?
Inhaltliche Begründung: Wie Westhoff und Kluck (2008, S. 167) ausführen, wird der
Bezug zwischen den Untersuchungsmethoden und den Psychologischen Fragen
dadurch erreicht, dass bei den Explorationen die jeweiligen Themen und bei den
Verhaltens- und Interaktionsbeobachtungen die jeweiligen Aspekte, unter denen das
Verhalten bzw. die Interaktion beobachtet werden sollen, im Gutachten genannt wer-
den. Eine Bejahung der Frage nach der Begründung der Untersuchungsmethoden
und Datenerhebungsverfahren erfolgte dementsprechend dann, wenn derartige Be-
züge zu den Psychologischen Fragen bei der Beschreibung der Untersuchungsme-
thoden überwiegend vorlagen und die Nicht-Begründung eines Einzelverfahrens eher
eine Ausnahme darstellte. Die Beurteiler beantworteten die Frage nach der Begrün-
dung der Verfahren durch Psychologische Fragen anhand der Alternativen „überwie-
gend ja“ oder „überwiegend nein“. Zudem bestand die Möglichkeit, zusätzliche Erläu-
terungen abzugeben, falls diese Alternativen zur Beurteilung ungeeignet erschienen.
Ob die Verfahrensauswahl durch die psychologischen Fragen begründet ist, lässt
sich nur für die 51 Gutachten beantworten, in denen psychologische Fragen formu-
liert wurden. Bei 33 (64,7%) dieser Gutachten wurden die eingesetzten Verfahren
nicht mit Bezugnahme auf die psychologischen Fragen begründet. In diesen Fällen
folgte auf die Formulierung der psychologischen Fragen typischerweise bereits eine
Beschreibung der Ergebnisse der eingesetzten Untersuchungsmethoden (nicht aber
eine Begründung der Methode). Anders als bei Westhoff und Kluck (2008, S. 167)
beispielhaft dargestellt war in diesen Fällen also nicht nachvollziehbar, in welchem
Bezug die Untersuchungsmethode zu den Psychologischen Fragen stand. Insgesamt
erfolgt damit in 85,5% der 116 Gutachten entgegen der geforderten Standards keine
Begründung der Datenerhebungsmethoden und -verfahren anhand der Psychologi-
schen Fragen.
15
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
Methodische Begründung: Bei der Auswahl der Untersuchungsverfahren sind gemäß
den Empfehlungen der DGPs-Arbeitsgruppe die psychometrischen Gütekriterien zu
beachten (DGPs, 2011, S. 9f). Allerdings muss sich die Ausführlichkeit der Beschrei-
bung des Verfahrens (inklusive der Beschreibung der Gütekriterien) am Vorwissen
des Adressaten orientieren. Es wäre also überzogen zu erwarten, dass jede Unter-
suchungsmethode bzw. jedes Datenerhebungsverfahren – wie im Fall einer For-
schungsarbeit üblich – anhand der psychometrischen Gütekriterien charakterisiert
wird. Tatsächlich zeigten die Analysen, dass nur in 8 Gutachten (6,9%) bei der Be-
schreibung der Untersuchungsmethoden/-verfahren die psychometrischen Gütekrite-
rien zur Charakterisierung der Verfahren herangezogen wurden (z.B. Hinweise auf
aktuelle Normwerte psychologischer Testverfahren enthielten).
Zwischenfazit: In der überwiegenden Zahl der Gutachten (85,5%) wird die Auswahl
der eingesetzten diagnostischen Verfahren – anders als in der einschlägigen Litera-
tur gefordert - nicht anhand der Psychologischen Fragen begründet. Dieser hohe
Wert kommt zum einen dadurch zu Stande, dass bereits in 56,0% der Gutachten aus
der gerichtlichen Fragestellung keine Psychologischen Fragen hergeleitet werden.
Allerdings wurden auch in der Mehrzahl der Fälle, in denen Psychologische Fragen
formuliert wurden, die gewählten Untersuchungsmethoden nicht in nachvollziehbarer
Form mit diesen Fragen in Bezug gesetzt. In einem Großteil der Gutachten ist also
nicht nachvollziehbar, ob und inwieweit für die Auswahl der Untersuchungsverfahren
angemessene inhaltliche Kriterien eine Rolle gespielt haben oder ob die Auswahl der
Verfahren in erster Linie auf der Basis individueller Präferenzen oder Routinen erfolg-
te. Psychometrische Gütekriterien wurden bei der Begründung der Auswahl der Un-
tersuchungsmethoden/-verfahren nur äußerst selten erwähnt (in 6,9% der Gutach-
ten). Anders als die inhaltliche Begründung von Untersuchungsverfahren, die in je-
dem Fall gegeben sein sollte, ist eine Darlegung der psychometrischen Qualität von
Methoden (beziehungsweise von Einschränkungen der Qualität) nur dann angezeigt,
wenn dies aufgrund der tatsächlich eingesetzten Untersuchungsverfahren notwendig
ist. Wir werden daher auf diesen Befund zurückkommen, wenn wir die Ergebnisse
zur psychometrischen Qualität der eingesetzten Methoden/Verfahren berichten.
5.3 Psychometrische Qualität der Datenerhebungsverfahren
Datenerhebungsverfahren lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien klassifizieren
(Krohne & Hock, 2007, S. 237). Für die folgenden Beurteilungen der psychometri-
16
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
schen Qualität der Datenerhebungsverfahren wurde ein vergleichsweise einfaches
Einteilungsschema gewählt, das für das Ziel der vorliegenden Untersuchung jedoch
hinreichend ist. Demnach wurde beurteilt, ob der Sachverständige relevante Daten
durch Interviews im Sinne eines diagnostischen Explorationsgesprächs, durch ge-
plante Verhaltensbeobachtungen und/oder durch psychologische Testverfahren er-
hob. Für jede Verfahrensklasse wurde anhand zusätzlicher Fragen die psychometri-
sche Qualität des eingesetzten Verfahrens eingeschätzt.
5.3.1 Diagnostische Interviews (Explorationen)
In der familienrechtspsychologischen Diagnostik kommt dem diagnostischen Inter-
view (auch: Exploration) eine zentrale Rolle zu (z.B. Westhoff & Kluck, 2008). Die
Forschungsliteratur liefert zahlreiche Belege dafür, dass ungeplante und/oder unzu-
reichend vorbereitete (d.h. unsystematische) Interviews unvollständige, unzuverläs-
sige und fehlerhafte Informationen produzieren (z.B. Krohne & Hock, 2007, S. 243f.).
Für die psychometrische Qualität des diagnostischen Interviews spielt daher der
Grad der Systematisierung eine herausragende Rolle.
Ein zentraler Indikator für den Systematisierungsgrad ist, ob sich der Sachverständi-
ge bei der Durchführung des Gesprächs auf einen zuvor vorbereiteten Leitfaden
stützt, in dem Inhalte und Vorgehensschritte spezifiziert werden, die zur Prüfung
Psychologischer Fragen mittels des Gesprächs notwendig sind (Westhoff & Kluck,
2008, S. 87f). Zur Beurteilung der psychometrischen Qualität der Interviews beant-
worteten die Beurteiler für jedes Gutachten daher die folgenden Fragen:
Werden Interviews eingesetzt?
Wenn ja: Wird im Gutachten die Struktur eines nach psychologischen Themen
aufgebauten Interviewleitfadens bzw. seine Inhalte beschrieben? (Oder ist dieser im Anhang
einsehbar?)
Wenn ja: Geht aus der Dokumentation die systematische Abarbeitung eines nach psychologi-
schen Themen strukturierten Leitfadens hervor?
Die Beurteiler beantworteten diese Fragen anhand der Alternativen „ja“ oder „nein“.
Zudem bestand die Möglichkeit, zusätzliche Erläuterungen abzugeben, falls diese
Alternativen zur Beurteilung ungeeignet erschienen. Als Minimalkriterium für die Be-
jahung der Fragen zur Verwendung eines Leitfadens, galt die Darlegung der Zielset-
zungen, mit denen das Gespräch geführt wurde (d.h. Angaben darüber, welche
Themen, zu welchem Zweck im Gespräch angesprochen wurden, vgl. Westhoff &
17
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
Kluck, 2008, S. 167) bzw. eine an diesen Zielsetzungen orientierte Dokumentation
des Gesprächs im Untersuchungsbericht.
Die Auswertungen zeigen, dass in allen Gutachten der Einsatz von Interviews doku-
mentiert wurde. Allerdings wurden in 107 (89,7%) der Gutachten keine Angaben da-
zu gemacht, warum bestimmte Themen im Gespräch angesprochen wurden und
welche Psychologischen Fragen mit dem Gespräch eigentlich geprüft werden sollten.
In 84 (72,4%) der Gutachten war auch anhand der Dokumentation des Interviews
nicht erkennbar, mit welcher konkreten Zielsetzung das Gespräch geführt wurde.
Tatsächlich bezog sich die Dokumentation der Interviews in diesen Fällen weitge-
hend auf subjektiv-verlaufsprotokollartig angelegte Schilderungen von Gesprächen
des Sachverständigen mit einer Person (oder mehreren Personen gleichzeitig), die
keine Rückschlüsse darauf zu ließen, dass mit dem Gespräch auf systematische und
geplante Weise die zur Beantwortung Psychologischer Fragen notwendigen Informa-
tionen eruiert wurden.
Zwischenfazit: In der überwiegenden Zahl der Gutachten (69,0%) ist weder aus der
Verfahrensbeschreibung noch aus der Dokumentation der Verfahrensdurchführung
hinreichend nachvollziehbar, dass es sich bei den dokumentierten Gesprächen um
systematisch, geplante diagnostische Gespräche handelt, die dazu dienten, die In-
formationen zu eruieren, die für die Beantwortung Psychologischer Fragen notwendig
sind. Im ungünstigsten Fall handelt es bei diesen Interviews um unsystematische
oder rein intuitiv strukturierte Gespräche, deren psychometrische Qualität auf der
Grundlage einschlägiger empirischer Forschung als zweifelhaft einzuschätzen ist
(z.B. Krohne & Hock, 2007, S. 243f.).
5.3.2 Verhaltensbeobachtung
Hinsichtlich der Verhaltensbeobachtung lässt sich zwischen unsystematischer und
systematischer Verhaltensbeobachtung unterscheiden (Krohne & Hock, 2007, S.
250f). Während die unsystematische Verhaltensbeobachtung der Alltagsbeobach-
tung gleicht, erfolgt im Fall der systematischen Beobachtung die Aufzeichnung und
Auswertung nach einem zuvor bestimmten Plan (z.B. einem Beobachtungssys-
tem/Kodierschema). Die Systematisierung der Verhaltensbeobachtung ist für die Be-
urteilung der methodischen Qualität von zentraler Bedeutung, da analog zur Planung
und Systematisierung des Interviews mit zunehmender Systematisierung der Verhal-
18
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
tensbeobachtung die Objektivität, Reliabilität und Validität steigt (Greve & Wentura,
1995). Eine systematische Verhaltensbeobachtung setzt voraus, dass die Beobach-
tungssituation geplant ist und damit die Bedingungen der Beobachtungssituation
durch die beobachtende Person vor Eintreten der Situation definiert wurden. Damit
ist die Planung einer Verhaltensbeobachtung eine notwendige, jedoch nicht hinrei-
chende Bedingung für eine systematische, kriteriengeleitete Beobachtung.
Um Aufschlüsse über den Einsatz von Verhaltensbeobachtungen und deren Syste-
matisierungsgrad zu erhalten, wurde von den Beurteilern jedes Gutachten anhand
der folgenden Fragen beurteilt:
Werden geplante (in Abgrenzung zu beiläufigen oder spontanen) Verhaltensbeobachtungen
durchgeführt?
Wenn ja: Wird im Gutachten ein Kategoriensystem beschrieben? (Oder ist es im Anhang ein-
sehbar?)
Wenn ja: Geht aus der Dokumentation hervor, dass bei der Registrierung des Verhaltens ein
vorher spezifiziertes Kategoriensystem verwendet wurde?
Die Beurteiler beantworteten diese Fragen für jedes Gutachten anhand der Alternati-
ven „ja“ oder „nein“. Zudem bestand die Möglichkeit, zusätzliche Erläuterungen ab-
zugeben, falls diese Alternativen zur Beurteilung ungeeignet erschienen. Als Mini-
malkriterium für die Bejahung der Fragen zum Systematisierungsgrad galt die Darle-
gung der Zielsetzungen, unter denen das Verhalten beobachtet wurde (d.h. Angaben
darüber, welche Aspekte des Verhaltens zu welchem Zweck beobachtet wurden, vgl.
Westhoff & Kluck, 2008, S. 167) bzw. eine an diesen Zielsetzungen orientierte Do-
kumentation der Verhaltensbeobachtung im Untersuchungsbericht.
Die Auswertungen zeigen, dass in 94 der 116 Gutachten (81,0 %) der Einsatz von
geplanten Verhaltensbeobachtungen dokumentiert wurde (z.B. Beobachtungen der
Interaktionen des Kindes mit den Eltern). Allerdings wurden in 91 dieser Gutachten
(96,8% von 94) keine Angaben gemacht, die Aufschluss darüber geben, nach wel-
cher Systematik Verhaltensaspekte beobachtet und registriert wurden. Weder wurde
ein Beobachtungssystem/Kodierungsschema beschrieben, noch wurde überhaupt
dargelegt, welche Aspekte des Verhaltens zu welchem Zweck beobachtet wurden.
Auch aus der Dokumentation der Verhaltensbeobachtung ging nicht hervor, dass mit
der Beobachtung auf systematische und geplante Weise die zur Beantwortung Psy-
chologischer Fragen notwendigen Informationen eruiert wurden. Tatsächlich bezog
19
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
sich die Dokumentation der Verhaltensbeobachtungen in diesen Fällen weitgehend
auf anekdotische Schilderungen von selektiven Verhaltenssequenzen, die keine
Rückschlüsse auf ein systematisches und auf die Reduktion von Beobachtungsfeh-
lern ausgerichtetes Vorgehen zuließ.
Zwischenfazit: In 96,8% der Gutachten, in denen geplante Verhaltensbeobachtungen
eingesetzt wurden, ist weder aus der Verfahrensbeschreibung noch aus der Doku-
mentation hinreichend nachvollziehbar, dass es sich bei den dokumentierten Verhal-
tensbeobachtungen tatsächlich um systematische Verhaltensbeobachtungen im wis-
senschaftlichen Sinne handelt. Im ungünstigsten Fall handelt es sich bei diesen Ver-
haltensbeobachtungen um rein intuitive Beobachtungsakte, deren psychometrische
Qualität auf der Grundlage einschlägiger empirischer Forschung zu Wahrnehmungs-
und Urteilsfehlern in diagnostischen Situationen als zweifelhaft einzuschätzen ist
(z.B. Greve & Wentura, 1995; Salzgeber, 2011, 570ff).
5.3.3 Testverfahren und voll standardisierte Checklisten
Um Aufschlüsse über den Einsatz psychologischer Testverfahren zu erhalten, wurde
von den Beurteilern für jedes Gutachten registriert, ob im Rahmen der Datenerhe-
bung psychologische Testverfahren (inklusive voll standardisierter Checklisten) ein-
gesetzt wurden und, falls zutreffend, um welche Verfahren es sich dabei handelte.
Als Einschränkung zu diesen Auswertungen ist anzumerken, dass in vielen Gutach-
ten nur unzureichende Angaben zu den verwendeten psychologischen Testverfahren
gemacht wurden. Dadurch blieb häufig unklar, um welche Auflage eines Tests es
sich handelte. Für die vorliegenden Auswertungen wurden jeweils die Angaben zur
aktuellsten Version herangezogen.
Die Auswertungen zeigten, dass in 85 (73,3%) der 116 Gutachten Testverfahren (o-
der testähnliche Verfahren) eingesetzt wurden. Testverfahren lassen sich nach un-
terschiedlichen Kriterien klassifizieren (z.B. Brähler, Holling, Leutner & Petermann,
2002). Für die Auswertungen wurden die Verfahren folgenden Kategorien zugeord-
net: (1) Fragebögen/Screenings zur Erfassung familienbeziehungsrelevanter Eigen-
schaften und Einstellungen, (2) Klinische Testverfahren/Checklisten zur Diagnostik
psychischer Störungen und Auffälligkeiten (Selbstbericht oder Fremdeinschätzung),
(3) Entwicklungsdiagnostische Testverfahren, (4) Leistungstests zur Erfassung von
Intelligenz und Aufmerksamkeit, (5) Persönlichkeitsstrukturtests und (6) projektive
20
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
Verfahren zur verdeckten Erfassung unbewusster Motive, Ängste, Wünsche. Im Fol-
genden werden die Ergebnisse für jede dieser Kategorien beschrieben. Die Katego-
rien sind dabei nach der Häufigkeit absteigend angeordnet.
Projektive Verfahren: Verfahren aus dieser Kategorie wurden in 47 (55,3%) der 85
Gutachten eingesetzt, die Testverfahren (oder testähnliche) Verfahren dokumentie-
ren. Damit werden projektive Verfahren im Vergleich zu Verfahren aus anderen Ka-
tegorien am häufigsten eingesetzt. Insgesamt wurden mehr als 17 projektive Verfah-
ren dokumentiert. Die am häufigsten genannten Einzelverfahren (Einsatz in mehr als
3 Gutachten) waren mit 16 Nennungen die „Familienpsychologische Wunschprobe“
von Wilde (1950), mit 14 Nennungen der „Family-Relation-Test“ (FRT) von Bene und
Anthony (1957), mit 14 Nennungen der „Schloss-Zeichen-Test“ (o.A. und o.J.), mit
jeweils 6 Nennungen der „Kinderapperzeptionstest“ (CAT) von Bellak und Bellak
(1955), der „Fabel-Test“ von Düss (1964), der „Familie-in-Tieren Test“ (FIT) von
Brem-Gräser (1995) und mit 5 Nennungen der „Sceno-Test“ von von Staabs (2004).
Zusätzlich wurden zahlreiche Varianten von Satzergänzungs- oder Geschichtener-
gänzungsverfahren als Testverfahren benannt.
Persönlichkeitsstrukturtests: Testverfahren aus dieser Kategorie wurden in 26
(30,5%) der 85 Gutachten eingesetzt, die Testverfahren dokumentieren. Insgesamt
wurden 9 Einzelverfahren dokumentiert. Die am häufigsten eingesetzten Einzelver-
fahren (Einsatz in mehr als 3 Gutachten) waren mit 6 Nennungen die „Hamburger
Neurotizismus- und Extraversionsskala für Kinder und Jugendliche“ (HANES-KJ) von
Bugge und Baumgärtel (1975) und mit 5 Nennungen das „Minnesota Multiphasic
Personality Inventory“ (MMPI-2) in der Übersetzung durch Engel (2000).
Klinische Testverfahren zur Diagnostik psychischer Störungen und Auffälligkeiten:
Testverfahren aus dieser Kategorie wurden in 21 (24,7%) der 85 Gutachten einge-
setzt, die die Verwendung von Testverfahren dokumentieren. Insgesamt wurden 10
Einzelverfahren dokumentiert. Die am häufigsten eingesetzten Einzelverfahren (Ein-
satz in mehr als 3 Gutachten) waren mit 9 Nennungen der „Elternfragebogen für das
Verhalten von Kindern“ (CBCL 4-18) der Arbeitsgruppe „Deutsche Child Behavior
Checklist“ (1998), und mit 4 Nennungen der „Fragebogen für Jugendliche (YSR/ 11-
18) der Arbeitsgruppe „Deutsche Child Behavior Checklist“ (1998).
21
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
Fragebögen zur Erfassung familienbeziehungsrelevanter Eigenschaften und Einstel-
lungen: Testverfahren aus dieser Kategorie wurden in 19 (22,4%) der 85 Gutachten
eingesetzt, die die Verwendung von Testverfahren dokumentieren. Insgesamt wur-
den 10 Einzelverfahren dokumentiert. Die am häufigsten eingesetzten Einzelverfah-
ren (Einsatz in mehr als 3 Gutachten) waren mit 6 Nennungen die „Sorge- und Um-
gangsrechtliche Testbatterie“ (SURT) von Hommers (2009), das „Eltern-Belastungs-
Screening zur Kindeswohlgefährdung“ (EBSK) von Deegener, Spangler, Körner und
Becker (2007) (5 Nennungen) und eine deutschsprachige Version des „Children-
Attachment Interview“ (CAI) von Shmueli-Goetz, Target, Fonagy und Datta (2008) (4
Nennungen).
Leistungstests zur Erfassung von Intelligenz und Aufmerksamkeit: Testverfahren aus
dieser Kategorie wurden in 17 (20,0%) der 85 Gutachten eingesetzt, die den Einsatz
von Testverfahren dokumentieren. Insgesamt wurden 9 Einzelverfahren dokumen-
tiert. Die am häufigsten eingesetzten Einzelverfahren (Einsatz in mehr als 3 Gutach-
ten) waren mit 6 Nennungen der „Culture Fair Test“ (CFT20-R) von Weiß (2006) und
mit jeweils 5 Nennungen der „Aufmerksamkeits-Belastungstest“ (Test d2) von Bri-
ckenkamp (1994), und der „Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HA-
WIE-R) von Tewes (1991).
Entwicklungsdiagnostische Testverfahren: Testverfahren aus dieser Kategorie wur-
den in 12 (14,1%) der 85 Gutachten eingesetzt, die die Verwendung von Testverfah-
ren dokumentieren. Insgesamt wurden 6 Einzelverfahren dokumentiert. Die am häu-
figsten eingesetzten Einzelverfahren (Einsatz in mehr als 3 Gutachten) waren mit 6
Nennungen das „Sensomotorische Entwicklungsgitter“ von Kiphard (2006) und mit 4
Nennungen der „Mann-Zeichen-Test“ (MZT) von Brosat und Tötemeyer (2007).
Die Frage, ob der Einsatz der in den Gutachten dokumentierten Testverfahren im
Einzelfall aus fachlicher Sicht begründet ist, bedarf einer differenzierten inhaltsanaly-
tischen Auswertung, die andernorts geleistet werden wird. Auffällig ist allerdings,
dass die Testverfahren, die explizit für sorge- und umgangsrechtliche psychologische
Fragestellungen konzipiert wurden, wie etwa die SURT von Hommers (2009), relativ
wenig eingesetzt werden. Im Gegensatz dazu wird der Diagnostik von Persönlich-
keitsstrukturen ein überraschend hoher Stellenwert eingeräumt wird – und dies ob-
wohl gerade die Diagnostik von Persönlichkeitseigenschaften im Kontext familien-
psychologischer Fragestellungen aus fachlichen und ethischen Gesichtspunkten in
22
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
der Fachliteratur ausgesprochen kritisch beurteilt wird (z.B. Zuschlag, 2002, S. 247ff).
Auch bestehen durchaus juristische Bedenken gegen die Verwendung von Persön-
lichkeitstests in familienrechtspsychologischen Gutachten, da ihr Einsatz und die
Darstellung der Ergebnisse einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre
darstellen können (Salzgeber, 2011, S. 563ff).
Unabhängig von diesen inhaltlichen Fragen stellt sich aus methodischer Sicht auch
die Frage, ob und inwieweit die verwendeten Verfahren die fachlich geforderten
Testgütekriterien erfüllen (vgl. Abschnitt 5.2). Daher wurde dies für alle dokumentier-
ten Verfahren anhand einschlägiger Testhandbücher (z.B. Brähler, Holling, Leutner &
Petermann, 2002) beziehungsweise anhand der Informationen aus Testzentralen
geprüft. Diese Überprüfung ergab, dass bis auf die Verfahren aus der Kategorie der
projektiven Verfahren der überwiegende Teil der Verfahren in den übrigen Katego-
rien die Testgütekriterien weitgehend bis vollständig erfüllten. Allerdings ist auch zu
konstatieren, dass Testverfahren (z.B. der HAWIE-R, Tewes (1991)) eingesetzt wur-
den, deren Normierung nicht auf einem aktuellen Stand ist. Auch hierzu werden ver-
tiefende Analysen der Gutachten durchgeführt werden.
Die projektiven Verfahren hingegen, also die Verfahren, die am häufigsten eingesetzt
werden, entsprechen diesen Testgütekriterien nicht. Die auf dieser Basis gewonne-
nen Erkenntnisse erfüllen damit nicht die Standards einer wissenschaftlich-fundierten
entscheidungsorientierten Einzelfalldiagnostik. Tatsächlich wird in der Literatur auf-
grund des spekulativen Charakters vieler projektiver Verfahren sogar davon abgera-
ten, diese als Explorationshilfe zur Hypothesengenerierung zu verwenden (z.B. Pe-
termann, 1997, S. 92; siehe auch Leitner, 2000).
Zwischenfazit: Trotz der wissenschaftlichen Kritik am spekulativen Charakter vieler
projektiver Verfahren werden in gut 40% der vorliegenden Gutachten projektive Ver-
fahren eingesetzt; insgesamt sind projektive Verfahren die am häufigsten eingesetzte
Kategorie von Testverfahren. Addiert man nun die Zahl der Gutachten, bei denen
aufgrund der Dokumentation nicht erkennbar ist, dass die Datenerhebung einem sys-
tematischen und auf die Reduktion von Beobachtungsfehlern ausgerichtetes Vorge-
hen folgt (d. h. Gutachten, in denen – auch nach den angelegten Minimalkriterien –
jeweils keine Systematik der Gesprächsführung und keine Systematik der Beobach-
tung dokumentiert wird und die keine oder ausschließlich psychometrisch unzu-
reichende – projektive – Testverfahren einsetzten), so kommt man zu dem Ergebnis,
23
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
dass in über einem Drittel der 116 Gutachten (n = 41, 35,3%) die Datenerhebung
ausschließlich über methodisch problematische Verfahren erfolgt. Berücksichtigte
man noch die Gutachten, in denen begründete inhaltliche Zweifel an der Angemes-
senheit der eingesetzten Testverfahren bestehen können (etwa Gutachten, in denen
als einziges psychometrisches Testverfahren ein mehrdimensionaler Persönlichkeits-
test, wie z.B. das MMPI-2 eingesetzt wird), läge diese Zahl noch höher.
5.3.4 Methodenkritische Interpretation von Ergebnissen
Die Interpretation von Ergebnissen ist ein komplexer Urteilsprozess, für den eine
Reihe von Qualitätskriterien formuliert wurden (DGPs, 2011, S.11). Eines dieser Kri-
terien ist, dass die Ergebnisse in Bezug auf die Psychologischen Fragen interpretiert
werden müssen. Ein anderes Kriterium besagt, dass nur die für die Beantwortung der
Psychologischen Fragen relevanten Ergebnisse berücksichtigt werden sollen. Beide
Kriterien sind in der vorliegenden Studie für einen Großteil der Gutachten nicht zu
beurteilen. Erstens wurden nur in weniger als der Hälfte der Gutachten (bei 44,0%)
Psychologische Fragen formuliert. Zweitens wurde nur für eine Minderheit der Gut-
achten spezifiziert, welche psychischen Merkmale mit den angewendeten Verfahren
überhaupt erfasst werden sollen. Somit ist – insbesondere im Hinblick auf die Doku-
mentation von diagnostischen Gesprächen und Verhaltensbeobachtungen – kaum zu
beurteilen, welches Datum ein Ergebnis im wissenschaftlichen Sinne darstellt. Dem-
entsprechend kann für einen Großteil der Gutachten auch nicht (oder bestenfalls al-
lenfalls eingeschränkt) beurteilt werden, ob und inwieweit Ergebnisse selektiv zur
Interpretation herangezogen werden. Im ungünstigsten Fall werden aus den Gesprä-
chen und den Beobachtungen selektiv allein diejenigen Eindrücke in der Befundung
berücksichtigt, welche die subjektiven und vorher nicht explizierten Annahmen des
Sachverständigen stützen.
Aufgrund dieser Ausgangslage bezieht sich die vorliegende Untersuchung daher auf
ein Qualitätskriterium, dass ein unabdingbares Qualitätskriterium jeder wissenschaft-
lichen Interpretation von Untersuchungsergebnissen ist: die kritische Bewertung der
Gültigkeit einzelner Ergebnisse aufgrund methodischer Einschränkungen (wenn be-
kannt, oder zu erwarten ist, dass solche Einschränkungen vorliegen). Die oben be-
richteten Ergebnisse zur psychometrischen Qualität der in den vorliegenden Gutach-
ten eingesetzten Datenerhebungsverfahren legen nahe, dass in über einem Drittel
der Gutachten (n = 41, 35,3%) die Datenerhebung ausschließlich über methodisch
24
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
problematische Verfahren erfolgt (projektive Testverfahren und diagnostische Ge-
spräche und Verhaltensbeobachtungen, für deren Planung und Durchführung – an-
ders als fachlich gefordert – keine Hinweise auf eine zugrundeliegende Systematik
berichtet werden). Bei diesen Gutachten wäre folglich nach psychologisch-
diagnostischen Standards eine vorsichtige und methodenkritische Interpretation der
Ergebnisse geboten.
Um zu prüfen, ob und inwieweit methodische Einschränkungen überhaupt bei der
Befundung berücksichtigt wurden, wurde zunächst jedes Gutachten von den Beurtei-
lern anhand der folgenden Fragen beurteilt.
Werden für die wesentlichen Ergebnisse aus Interviews methodenabhängige Einschränkun-
gen benannt?
Werden für die wesentlichen Ergebnisse aus geplanten Verhaltensbeobachtungen methoden-
abhängige Einschränkungen benannt?
Werden für die wesentlichen Ergebnisse aus Tests methodenabhängige Einschränkungen
benannt?
Werden Einschränkungen wesentlicher Ergebnisse durch die Durchführung berichtet (Instruk-
tionsverständnis, Sprachprobleme)?
Die Beurteiler beantworteten diese Fragen für jedes Gutachten anhand der Alternati-
ven „ja“ oder „nein“. Zudem bestand die Möglichkeit, zusätzliche Erläuterungen ab-
zugeben, falls diese Alternativen zur Beurteilung ungeeignet erschienen.
Im Hinblick auf die diagnostischen Gespräche zeigen unsere vorangehenden Analy-
sen, dass in 69,0% der Gutachten weder aus der Verfahrensbeschreibung noch aus
der Dokumentation der Verfahrensdurchführung hinreichend nachvollziehbar ist,
dass es sich bei den Gesprächen um systematisch, geplante diagnostische Gesprä-
che handelt. Nichtsdestotrotz ergab sich bei den Auswertungen zur Diskussion po-
tentieller methodischer Einschränkungen, dass in 115 (99,1%) der 116 Gutachten
keine methodenkritische Bewertung der Gültigkeit der aus dem Interview stammen-
den Ergebnisse vorgenommen wurde. Die vorangegangenen Auswertungen zeigen
ebenso, dass in 91 (96,8%) der 94 Gutachten, in denen geplante Verhaltensbe-
obachtungen eingesetzt wurden, weder aus der Verfahrensbeschreibung noch aus
der Dokumentation hinreichend nachvollziehbar ist, dass es sich bei den dokumen-
tierten Verhaltensbeobachtungen tatsächlich um systematische Verhaltensbeobach-
tungen im wissenschaftlichen Sinne handelt. Trotzdem wurde bei 93 (98,9%) dieser
94 Gutachten keine methodenkritische Bewertung der Gültigkeit der aus den Be-
25
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
obachtungen stammenden Ergebnisse vorgenommen. Bei den Testverfahren ergibt
sich ein vergleichbares Bild. In den 85 Gutachten, in denen der Einsatz von Tests
(oder testähnlichen Verfahren) dokumentiert wurde, wurde in 75 Fällen (88,2%) keine
methodenkritische Bewertung der individuellen Gültigkeit der aus diesen Verfahren
stammenden Ergebnisse vorgenommen. Berücksichtigt man ferner ausschließlich die
Gutachten, die den Einsatz projektiver Verfahren dokumentieren (47 Gutachten), so
stellt sich heraus, dass in nur 5 Gutachten (10,6%) methodische Einschränkungen
dieser Verfahren erwähnt werden, während dies bei den verbleibenden 42 Gutachten
(89,4%) nicht der Fall war (obwohl dies nach Stand der Forschung geboten wäre).
In 97 (83,6%) der 116 Gutachten werden überdies keinerlei Einschränkungen we-
sentlicher Ergebnisse durch die Durchführung (z.B. durch mangelndes Instruktions-
verständnis, Sprachproblem) berichtet. Dies ist insofern überraschend, da es sich bei
einem nicht unerheblichen Teil der Begutachteten um Personen handelt, bei denen
Einschränkungen in der sprachlichen Kompetenz zumindest naheliegen (z.B. Nicht-
Muttersprachler/innen, kleinere Kinder).
Zwischenfazit: Insgesamt werden in 91 (78,4%) von 116 Gutachten überhaupt keine
methoden- und/oder durchführungsbedingten Einschränkungen der Gültigkeit indivi-
dueller Ergebnisse diskutiert, also weder für die diagnostischen Gespräche, noch für
die Beobachtungen, noch für die Testverfahren. Eine Interpretation könnte sein, dass
in diesen Fällen keine methodenbedingten Einschränkungen vorlagen. Diese Inter-
pretation erscheint aber zumindest im Hinblick auf die 41 Gutachten, bei denen die
Verfahren aus allen drei Kategorien (Interview, Beobachtung und Tests) nach fachli-
chen Standards als methodisch problematisch zu beurteilen sind, wenig überzeu-
gend. Im Fall dieser Gutachten zeigte sich, dass in nur 2 Fällen auf mögliche metho-
dische Einschränkungen der Ergebnisse hingewiesen wird. In den verbleibenden 39
Fällen finden sich hingegen keine Hinweise auf eine vorsichtige und methodenan-
gemessene Einordnung der Ergebnisse. So werden in diesen Gutachten Ergebnisse
aus projektiven Verfahren ohne Hinweise auf die bekannten Mängel in puncto Test-
gütekriterien als eine wesentliche Grundlage für die Beantwortung der gerichtlichen
Fragestellung verwendet. In ähnlicher Weise werden punktuelle unsystematische
Beobachtungen für Schlussfolgerungen auf relativ überdauernde Verhaltenstenden-
zen oder Merkmalsausprägungen herangezogen. Im ungünstigsten Fall bedeutet der
Verzicht der Bewertung von Einschränkungen, dass Ergebnisse, die mit fehleranfälli-
26
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
gen Erhebungsmethoden unter ggf. ungünstigen Untersuchungsbedingungen ge-
wonnen wurden, unkritisch in den Befund integriert werden.
5.4 Globalrating der wissenschaftlichen Fundierung
Die Arbeitsgruppe „Qualitätsstandards für psychodiagnostische Gutachten“ hat im
Rahmen ihrer Empfehlungen unabdingbare Qualitätsanforderungen für die wissen-
schaftliche Fundierung eines Gutachtens formuliert (DGPs, 2011, S.6f). In einem ab-
schließenden Teil des Kategoriensystems bewerten die Beurteiler jedes Gutachten
im Hinblick auf fünf Fragen, die sich auf diese Qualitätsanforderungen bezogen (ja =
1, nein = 0). Die Ergebnisse der Beurteilung dieser Fragen sind in Tabelle 1 (folgen-
de Seite) dargestellt. Wie zu sehen ist kommen die Beurteiler in Bezug auf sämtliche
Anforderungen zu dem Schluss, dass ein überwiegender Teil der Gutachten die emp-
fohlenen Qualitätsanforderung nicht erfüllt.
Um zu überprüfen, wie viele Gutachten diese Anforderungen gar nicht, teilweise oder
vollständig erfüllten, wurde ein Index für die Gesamteinschätzung gebildet, in dem für
jedes Gutachten die Werte über die fünf Items summiert wurden (Cronbach’s Alpha =
.83). Die Indexwerte für die einzelnen Gutachten variierten somit zwischen 0 und 5.
Dieser Index war substantiell mit der ungewichteten Summe der Einzelratings zu den
Indikatoren der vier methodischen Prüfkriterien ((1) Herleitung psychologischer Fra-
gen, (2) Begründung der Auswahl der Datenerhebungsverfahren, (3) psychometri-
sche Qualität der Datenerhebungsverfahren, (4) Berücksichtigung methodischer Ein-
schränkungen bei der Interpretation der Untersuchungsergebnisse) korreliert (r = .83,
p < .001). Dieser Befund bestätigt, dass die Beurteiler in ihrem abschließenden Urteil
des Gutachtens tatsächlich ihre vorangegangenen Bewertungen zur Herleitung der
psychologischer Fragen, der Begründung der Auswahl der Datenerhebungsverfah-
ren, der psychometrische Qualität der Datenerhebungsverfahren und der Berücksich-
tigung methodischer Einschränkungen berücksichtigten.
Die Häufigkeitsverteilung für den Qualitätsindexes zeigte, dass 54,3% der Gutachten
nach Einschätzung der Beurteiler keine der unabdingbaren Qualitätsanforderungen
erfüllten, 41,3% der Gutachten erfüllten zwischen einer und vier Anforderungen und
nur 5% der Gutachten erfüllten alle Anforderungen. Parallele Analysen, in den anstel-
le des Fünf-Item-Qualitätsindex, die Summe der Einzelratings zum methodischen
Vorgehen verwendet wurde, liefern ein vergleichbares Bild.
27
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
Tabelle 1: Globalratings der wissenschaftliche Fundierung (n = 116)
Item ja nein
Wird das gutachterliche Vorgehen hinreichend theoretisch und
methodisch begründet?
27,6% 72,4%
Werden hinreichend psychologische Fragen formuliert, die anhand
geeigneter diagnostischer Daten überprüfbar sind?
40,5% 59,5%
Wird die Auswahl von Verfahren zur Prüfung der Fragen hinreichend
wissenschaftlich begründet?
7,8% 92,2%
Werden hinreichend Entscheidungskriterien für die Beantwortung der
psychologischen Fragen festgelegt?
28,4% 71,6%
Werden Schlussfolgerungen unter hinreichender Beachtung
wissenschaftlicher und methodischer Standards abgeleitet?
25,0% 75,0%
5.5 Zusätzliche Analysen: Qualifikationsmerkmale des Sachverständigen
Ein rechtspsychologischer Gutachter sollte nach Ansicht psychologischer
Fachverbände Qualifikationsmerkmale aufweisen, die über einen Diplom- oder
Masterabschluss in Psychologie hinausgehen. In einer Reihe von einfaktoriellen
Varianzanalysen mit dem Gesamteinschätzungsindex als abhängiger Variable wurde
daher abschließend exploriert, ob die Qualität der Gutachten systematisch mit
Qualifikationsmerkmalen der Sachverständigen variierte. Diese Analysen zeigten, dass
Gutachten, die von Sachverständigen mit einer Zertifizierung zum Fachpsychologen für
Rechtspsychologie BDP/DGPs verfassten worden waren (N = 30, M = 2.50, SD =
1.72), eine signifikant höhere Qualität aufwiesen als Gutachten von Sachverständigen
ohne diese Zusatzqualifikationen (N = 86, M = 0.87, SD = 1.39), F(1, 114) = 26.98, p <
.001, η = .191. Gutachten von Sachverständigen mit einer Approbation als
Psychologischer Psychotherapeut (N = 41, M = 1.22, SD = 1.75) unterschieden sich
hingegen nicht von Gutachten, die von Sachverständigen ohne diese Qualifikation
verfasst worden waren (N = 75, M = 1.33, SD = 1.58), F(1, 114) = .12, ns., η < .01.
6. DISKUSSION
Die Untersuchung offenbart gravierende Mängel in einem Großteil der untersuchten
Gutachten. In 56,0% der Gutachten werden aus der gerichtlichen Fragestellung kei-
ne fachpsychologische Arbeitshypothesen (Psychologische Fragen) hergeleitet. Psy-
28
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
chologische Fragen haben eine zentrale Funktion in einem psychologischen Gutach-
ten: Sie definieren die Zielsetzung des Vorgehens und sind damit unabdingbar für die
Planung des diagnostischen Vorgehens, die Interpretation der Ergebnisse im Befund
und damit für die Beantwortung der gerichtlichen Fragestellungen (Westhoff & Kluck,
2008, S. 36). Werden keine Psychologischen Fragen aus der gerichtlichen Fragestel-
lung abgeleitet, dann ist erstens nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die
Begutachtung geplant und durchgeführt wird. Es kann außerdem aufgrund der nicht
vorhandenen psychologischen Fundierung zu Fehlern während des diagnostischen
Prozesses kommen (DGPs, 2011, S. 9), wenn etwa Informationen nicht vollständig,
sondern nur selektiv genutzt werden. Vor diesem Hintergrund dürften psychologische
Gutachten ohne spezifizierte und angemessen begründete Psychologische Fragen
streng genommen für eine Entscheidungsfindung keine Berücksichtigung finden – es
ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass bei den von uns untersuchten Gutachten auch
die meisten der Gutachten ohne Psychologische Fragen als Beweismittel in den ent-
sprechenden Gerichtsverfahren herangezogen wurden.
In 80,2% aller Gutachten wird die Auswahl der eingesetzten diagnostischen Verfah-
ren nicht anhand der psychologischen Fragen begründet, entweder weil keine Psy-
chologischen Fragen expliziert wurden oder weil inhaltliche Bezüge zwischen vor-
handenen Psychologischen Fragen und den ausgewählten Erhebungsverfahren nicht
beschrieben werden. Auch für dieses Ergebnis gilt, dass somit für den größten Teil
der untersuchten Gutachten nicht nachvollziehbar ist, warum welche Verfahren zur
Anwendung kamen und welchen Stellenwert die gewonnen Daten für die Beantwor-
tung der gerichtlichen Fragestellung haben.
In über einem Drittel der untersuchten Gutachten (35,3%) erfolgt die Datenerhebung
ausschließlich über Verfahren, die in der Fachliteratur als problematisch eingeschätzt
werden (unsystematische Gespräche, unsystematische Beobachtung, keine oder
ausschließlich psychometrisch ungenügende Testverfahren). Somit ist nicht auszu-
schließen, dass die Daten, die mit diesen Verfahren gewonnen werden, ähnlich feh-
lerhaft sind wie die Daten, auf deren Grundlage im Allgemeinen in Alltagskontexten
Entscheidungen getroffen werden (Krohne & Hock, 2007). Vor allem bei unsystema-
tischen Gesprächen und Beobachtungen besteht die Gefahr, dass die Schlussfolge-
rungen daraus ganz erheblich durch Beurteilungsfehler auf Seiten der diagnostizie-
renden Person (z.B. implizite Persönlichkeitstheorien, Sympathie oder Antipathie ge-
29
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
genüber der diagnostizierten Person) geprägt sind. Eine Kontrolle solcher Beurtei-
lungsfehler und damit eine Verbesserung der Qualität der erhobenen Daten und der
aus ihnen abgeleiteten Interpretationen ist jedoch vor allem durch ein systematisches
Vorgehen bei der Gewinnung von Daten (z.B. durch Gesprächsleitfäden und Be-
obachtungskategorien) und ihrer Auswertung zu gewährleisten. Gerade wenn alle
erhobenen Datenquellen mängelbehaftet sind, kann eine Kumulierung von Daten
resultieren, deren Güte zweifelhaft ist. Eine angemessene Beantwortung diagnosti-
scher Fragen wird dann erschwert oder ganz unwahrscheinlich.
Trotz der Bedeutsamkeit der methodischen Qualität von Erhebungsverfahren für den
diagnostischen Prozess (und damit für die diagnostizierten Personen) werden bei
78,4% der Gutachten dennoch keine methoden- und/oder durchführungsbedingten
Einschränkungen der Gültigkeit individueller Ergebnisse diskutiert. Dies wird bei ei-
nem Teil der untersuchten Gutachten darin begründet sein, dass keine Notwendig-
keit für eine methodenkritische Bewertung der verwendeten Verfahren bestand. Bei
den Gutachten, die Erhebungsverfahren verwenden, deren psychometrische Qualität
zweifelhaft ist (v.a. projektive Verfahren), wäre eine Beurteilung der Qualitätsein-
schränkungen bei der Interpretation der Daten aus diesen Quellen zu erwarten ge-
wesen. Tatsächlich fehlt aber in diesen Gutachten überwiegend eine kritische Bewer-
tung der methodenbedingten Einschränkungen. Nimmt man alle bisher dargestellten
Ergebnisse zusammen, dann sind von den untersuchten Gutachten – je nach Kriteri-
um – zwischen einem Drittel bis sogar über die Hälfte der Gutachten als methodisch
problematisch zu bewerten.
Eine Interpretationsmöglichkeit der Ergebnisse könnte darin bestehen, dass die fest-
gestellten Mängel darin begründet sind, dass die Sachverständigen zwar die wesent-
lichen methodischen Standards kennen und befolgen, sie aber nicht dokumentieren.
Tatsächlich weist jedoch die DGPs-Arbeitsgruppe „Qualitätsstandards für psychodi-
agnostische Gutachten“ (DGPs, 2011, S.5) nachdrücklich darauf hin, dass die Quali-
tät der schriftlichen Präsentation ein wesentliches Merkmal der Qualität eines psy-
chologischen Gutachtens darstellt und eng verknüpft ist mit dem unabdingbaren
Qualitätsmerkmal der wissenschaftlichen Fundierung des psychologisch-
diagnostischen Vorgehens. Transparenz und Nachvollziehbarkeit des diagnostischen
Prozesses sind nur dann gewährleistet, wenn alle wesentlichen Informationen zum
gutachterlichen Vorgehen im Gutachten eindeutig und in angemessener Ausführlich-
30
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
keit schriftlich fixiert sind (ebd., 2011, S.7). Eine intransparente und nicht nachvoll-
ziehbare Darstellung stellt dementsprechend bereits unabhängig von den hier ange-
legten methodischen Kriterien eine deutliche Qualitätseinschränkung dar. Folglich
wäre auch bei einer solchen Interpretation einer prinzipiell vorhandenen, aber nicht
dokumentierten Expertise die Mehrzahl der Gutachten als nicht oder nur bedingt
brauchbar zu bezeichnen.
Darüber hinaus erscheint diese Interpretation (Defizite in der Dokumentation statt in
der diagnostischen Qualität) auch aufgrund des in unserer Untersuchung gewählten
methodischen Vorgehens unwahrscheinlich. Tatsächlich könnte man unser Vorge-
hen als eine eher wohlwollende Prüfung des methodischen Vorgehens bezeichnen:
Bereits jeder Ansatz eines systematischen Vorgehens wurde bei den Ratings erfasst
(z.B. die Kodierung eines diagnostisches Gesprächs als systematisch, wenn die Dar-
stellung der Gesprächsergebnisse im Gutachten thematisch organisiert war). Daher
wäre das Vorliegen einer zugrundeliegenden stringenten Methodik mit dem von uns
verwendeten Kategoriensystem auch im Fall einer ungenauen Darstellung aufge-
deckt worden.
Wir haben die Gutachten im Rahmen von Vollerhebungen der Jahrgänge 2010 und
2011 an vier Amtsgerichten erfasst; die Daten sind somit für diese vier Amtsgerichte
repräsentativ. Substantiierte Aussagen dazu, inwieweit die Resultate der Studie für
die Qualitätsstandards von familienpsychologischen Gutachten an allen Amtsgerich-
ten in Deutschland generalisierbar sind, erfordern weitere umfangreichere systemati-
sche Prüfungen. Vor dem Hintergrund bereits vorliegender ähnlicher (wenn auch äl-
terer) Studien (Klüber, 1998, Terlinden-Arzt, 1998) ist jedoch eher zu erwarten, dass
auch bei den familienpsychologischen Gutachten an anderen Amtsgerichten für den
untersuchten Zeitraum eine nicht akzeptable Zahl von Gutachten mit schwerwiegen-
den methodischen Mängeln vorhanden sein dürfte.
Wir halten die Ergebnisse auch aus (berufs-)ethischer Sicht für alarmierend. Begut-
achtet werden fast immer hochstrittige Familienkonstellationen, und immer sind Kin-
der involviert, über deren weiteres Leben gerichtliche Entscheidungen gefällt werden,
an deren Zustandekommen die familienrechtspsychologischen Gutachten im Regel-
fall einen wesentlichen Anteil haben. In den Fällen, die den in unserer Stichprobe
untersuchten Gutachten zugrunde lagen, handelt es dabei nicht selten um Kinder,
deren Wohl in ihrer Vorgeschichte bereits akut gefährdet war (Vernachlässigung, se-
31
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
xueller Missbrauch, Bindungsabbrüche u.a.). Angesichts der Tragweite der Aussagen
in und Schlussfolgerungen aus einem familienpsychologischen Gutachtens wäre es
zu erwarten, dass diese Gutachten besonders hohe methodischen Standards auf-
weisen. Dies ist jedoch in der untersuchten Stichprobe bei einem erheblichen Teil der
Gutachten nicht zu beobachten.
Wir gehen davon aus, dass ein großer Teil der psychologischen Sachverständigen,
die familienrechtspsychologische Gutachten erstellen, den Anspruch hat, fachlich-
methodisch korrekte und berufsethisch unbedenkliche Gutachten zu verfassen. Zwi-
schen einem solchen Anspruch und der Praxis scheint aber in einer nicht unerhebli-
chen Anzahl von Fällen eine Diskrepanz zu bestehen. Es gibt eine Reihe von Bedin-
gungen, die hierbei relevant sein könnten und deren Bedeutung noch genauer zu
untersuchen ist. Familienrechtspsychologische Fragestellungen beziehen sich fast
immer auf komplexe und schwierige familiäre Konstellationen, die zudem meistens
durch eine starke emotionale Aufladung gekennzeichnet sind. Bereits eine psycholo-
gisch-diagnostische Analyse der Ausgangssituationen ist daher im Allgemeinen me-
thodisch herausfordernd. Dem hohen Grad an Komplexität familienrechtspsychologi-
scher Gutachten steht tatsächlich jedoch ein relativer Mangel an publizierten Erhe-
bungsverfahren gegenüber, die genau für diesen Bereich entwickelt und geprüft sind.
In Schilderungen psychologischer Sachverständiger klingt zudem auch immer wieder
an, dass die Erwartungshaltung an familienrechtspsychologische Gutachten durch
die beauftragenden Gerichte, die die Gutachten letztlich bezahlen, problematisch
sein kann (d.h. die Vorstellungen des Richters/der Richterin darüber, welche Merk-
male vermeintlich ein gutes Gutachten kennzeichnen). Zu berücksichtigen ist in die-
sem Zusammenhang, dass viele psychologische Sachverständige als Selbständige
arbeiten. Sie stehen damit unter dem ökonomischen Druck, immer eine ausreichende
Auftragslage anstreben zu müssen. Dies kann dazu führen, dass sich Sachverstän-
dige bei der Gutachtenerstellung an Erwartungen der Auftraggeber orientieren, die
nicht notwendigerweise im Einklang mit den fachlichen Standards stehen müssen.
Um Veränderungsprozesse der wenig zufriedenstellenden aktuellen Situation anstoßen
zu können, erscheinen verschiedene, einander ergänzende Maßnahmen sinnvoll. Ein
wichtiger Anknüpfungspunkt ist das Ergebnis unserer explorativen Analysen, das nahe
legt, dass Sachverständige mit einer Zusatzqualifikation als Rechtspsycholog/in im
Schnitt qualitativ bessere Gutachten verfassen. Da unsere Untersuchung nicht dazu
32
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
angelegt war, Sachverständige mit und ohne diese Zusatzqualifikation systematisch zu
vergleichen, ist dieses Ergebnis sicher mit der gebotenen Vorsicht zu interpretieren. Wir
betrachten es aber als ein weiteres ermutigendes Indiz dafür, dass eine strukturierte
Weiterbildung, wie sie mit der Weiterbildung zum zertifizierten Rechtspsychologen
BDP/DGPs bereits seit Jahren besteht, als eine Eingangsvoraussetzung für die Tätig-
keit als psychologische/r Sachverständige/r definiert werden sollte. Dies umso mehr, da
bereits festgestellt wurde, dass gerade die praxisbezogenen psychodiagnostischen
Ausbildungsinhalte (v.a. Durchführung von Interviews, aber auch die Vorbereitung,
Durchführung und Auswertung systematischer Verhaltensbeobachtungen) einen eher
geringen Anteil an der Diagnostikausbildung an deutschsprachigen psychologischen
Instituten haben (Schmidt-Atzert, Kersting, Preckel, Westhoff & Ziegler, 2012).
Eine weitere Maßnahme ist die Verbesserung des interdisziplinären Dialogs mit allen
Gruppen, die im Kontext von familienrechtspsychologischen Gutachten tätig werden,
aber v.a. mit den Richterinnen und Richtern. Insbesondere Familienrichter/innen
müssen die Qualifikation besitzen, mangelhafte psychologische Gutachten zu erken-
nen und fachlich angemessene Gutachten einzufordern. Uns ist bekannt, dass der
Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) und die Deutsche
Gesellschaft für Psychologie (DGPs) seit Jahren konzertierte Anstrengungen zur
Weiterqualifikation von Psychologinnen und Psychologen unternehmen; entspre-
chende Weiterbildungen existieren ebenfalls für Richterinnen und Richter. Für eine
umfassende Durchsetzung der Einhaltung der fachlichen Qualitätsstandards ist es
allerdings unzureichend, wenn die Inanspruchnahme von Qualifizierungsmaßnah-
men seitens von Psychologinnen und Psychologen allein auf dem Prinzip der Freiwil-
ligkeit beruht. Was vielmehr notwendig ist, ist ein rechtlich verbindliches und flächen-
deckendes Qualitätssicherungssystems der (familien)rechtspsychologischen Sach-
verständigentätigkeit. Wir hoffen, mit dieser Forschung auch einen Beitrag dazu zu
leisten, dass sich der BDP und die DGPs verstärkt für diese rechtspolitische Maß-
nahme einsetzen.
33
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
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STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
ANHANG
Projektleiterin: Univ.-Prof. Dr. Christel Salewski
Jahrgang 1962 Geboren in Gelsenkirchen, NRW
Akademische Laufbahn
Seit April 2012 Universitätsprofessorin für Psychologie (W3), Leiterin des Lehr-
stuhls für Gesundheitspsychologie an der FernUniversität in
Hagen
2004 - 2012 Professorin (C3) für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie
an der Hochschule Magdeburg-Stendal
1994 - 2004 Wissenschaftliche Assistentin/Oberassistentin in der Abteilung
Differentielle und Persönlichkeitspsychologie/Psychologische
Diagnostik der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
1988 - 1994 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Differentielle
und Persönlichkeitspsychologie der Westfälischen Wilhelms-
Universität Münster
1993 Promotion („summa cum laude“), WWU Münster
1988 Diplom in Psychologie („sehr gut“), WWU Münster
Weitere berufliche Qualifikationen
1997 – 2004 Psychologische Sachverständige in familienrechtlichen Fragen
für die Amtsgerichte Pasewalk, Waren, Greifswald und Uecker-
münde
1993 Approbation als Psychologische Psychotherapeutin
Forschungs- und Lehrschwerpunkte
Gesundheitsbezogene Belastung und Bewältigung, chronisch
kranke Kinder und Jugendliche, Qualitätssicherung von psycho-
logischen Gutachten, Testdiagnostik, familienpsychologische
Begutachtungen, Stress
38
STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
Projektleiter: Univ.-Prof. Dr. Stefan Stürmer
Jahrgang 1970 Geboren in München, Bayern
Akademische Laufbahn
Seit Juni 2007 Universitätsprofessor für Psychologie (W3), Leiter des Lehrstuhls
für Sozialpsychologie an der FernUniversität in Hagen
2002 - 2007 Juniorprofessor für Angewandte Sozialpsychologie (W1) an der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
2001 - 2002 Post-Doctoral Research Fellow, Department of Psychology,
University of Minnesota
1997 - 2000 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie an der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel/Westfälische Wilhelms-
Universität Münster
2000 Promotion („summa cum laude“), Christian-Albrechts-Universität
1997 Diplom in Psychologie („sehr gut“), Universität Leipzig
Ausgewählte Drittmittelprojekte
2012 - 2015 „Diversity Inclusion in der mediengestützten universitären Fern-
lehre”. Gefördert durch: Ministerium für Innovation, Wissenschaft
und Forschung des Landes NRW.
2011 – 2013 “Xenophilie: Sozialpsychologische Determinanten der Zuneigung
zu fremden Kulturen”. Gefördert durch: DFG
2006 – 2008 “Eigen- und Fremdgruppenhelfen: Motivationen, Konsequenzen
und Interventionen“. Gefördert durch: DFG
2005 - 2006 “Evaluationsprojekt: Wirksamkeitsanalyse der ehrenamtlichen
Initiative wellcome: Praktische Hilfe für Familien nach der Ge-
burt”. Gefördert durch: Ministerium für FJSF des Landes S-H.
2004 – 2006 “Prosoziale Emotionen: Die moderierende Rolle der Gruppenzu-
gehörigkeit“. Gefördert durch: DFG
2001 – 2002 “Collective Identity and prosocial behavior“ (2001-2002). Geför-
dert durch: DFG
Forschungs- und Lehrschwerpunkte
Prosoziales Verhalten und Altruismus, Beurteilungsdivergenzen
in der familienpsychologischen Begutachtung, interpersonale
Wahrnehmung, Diversity Management, Gerechtigkeitswahrneh-
mung, Gruppenprozesse, zivilgesellschaftliches Engagement