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STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
QUALITTSMERKMALE IN DER
FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
UNTERSUCHUNGSBERICHT I
1. ALLGEMEINE ANGABEN
1.1 Projektverantwortliche
Univ.-Prof. Dr. Christel Salewski, Diplom-Psychologin, Psych.-Psychotherapeutin
Univ.-Prof. Dr. Stefan Strmer, Diplom-Psychologe, Geschftsf. Institutsdirektor
Institut fr Psychologie
FernUniversitt in Hagen
Universittsstr. 33
58084 Hagen
Tel.: 02331 - 987 4875, E-Mail: christel.salewski@fernuni-hagen.de
Tel.: 02331 - 987 2776, E-Mail: stefan.stuermer@fernuni-hagen.de
1.2 Mitarbeiter/innen
Dipl.-Psych. Katharina Lotz-Schmitt, Psych.-Psychotherapeutin
Dipl.-Psych. Elisabeth Kalhorn, Familienrechtspsychologische Sachverstndige
M.Sc.-Psych. Julia Plato
B.Sc.-Psych. Jrn Meyer
B.Sc.-Psych. Anne-Kathrin Rode
1.3 Thema
Psychologische Gutachten fr das Familiengericht: Diagnostische und methodische
Standards in der Begutachtungspraxis
1.4 Fach- und Arbeitsrichtung
Psychologische Diagnostik, Rechts- und Sozialpsychologie
1.5 Weitere Angaben
Das Projekt wird ausweislich des Bescheids vom 27.07.2012 vom Justizministerium des
Landes NRW untersttzt.
mailto:christel.salewski@fernuni-hagen.demailto:stefan.stuermer@fernuni-hagen.de
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STANDARDS IN DER FAMILIENRECHTSPSYCHOLOGISCHEN BEGUTACHTUNG
1.6 Zusammenfassung
Ziele: Das bergeordnete Ziel der vorliegenden Untersuchung bestand darin, an einer repr-
sentativen Stichprobe festzustellen, ob und inwieweit familienrechtspsychologische Gutach-
ten wissenschaftlich formulierten Mindestanforderungen gengen.
Stichprobe: Die Stichprobe der Gutachten wurde im Rahmen eines vom Justizministerium
des Landes Nordrhein-Westfalen (JM NRW) untersttzen greren Forschungsprojekts ge-
wonnen, in der unterschiedliche Qualittsmerkmale familienrechtspsychologischer Gutachten
untersucht werden. Die Stichprobe umfasst 116 Gutachten aus den Jahren 2010 und 2011,
die aus Vollerhebungen an vier Amtsgerichten im OLG-Bezirk Hamm stammen. 91,4% der
Gutachten wurden von Diplom- oder M.Sc.-Psychologen verfasst.
Methode: Smtliche Gutachten wurden von zwei unabhngigen und fachlich geschulten Be-
urteilern anhand eines Kategoriensystems inhaltsanalytisch ausgewertet. Der Schwerpunkt
der Analyse lag auf dem im Gutachten dargelegten methodischen Vorgehen. Die Analysekri-
terien wurden aus den Richtlinien fr die Erstellung Psychologischer Gutachten (Fderation
Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994) und den Empfehlungen der Arbeitsgruppe
Qualittsstandards fr psychodiagnostische Gutachten der Deutschen Gesellschaft fr
Psychologie (DGPs, 2011) abgeleitet.
Ergebnisse: In 56% der Gutachten werden aus der gerichtlichen Fragestellung keine fach-
psychologischen und den Begutachtungsprozess explizit leitenden Arbeitshypothesen (Psy-
chologische Fragen) hergeleitet. In der berwiegenden Zahl der Gutachten (85,5%) wird die
Auswahl der eingesetzten diagnostischen Verfahren ebenfalls anders als fachlich gefordert
- nicht anhand der Psychologischen Fragen begrndet. In ber einem Drittel der Gutachten
(35%) erfolgt die Datenerhebung ausschlielich ber methodisch problematische Verfahren
(unsystematische Gesprche, unsystematische Beobachtung, keine oder psychometrisch
ungengende projektive Tests/testhnliche Verfahren). Im Fall dieser Gutachten zeigte sich,
dass in nur 2 Fllen auf mgliche methodische Einschrnkungen der Ergebnisse hingewie-
sen wird (in den verbleibenden 39 Fllen ist dies nicht der Fall). Insgesamt erweist sich damit
- je nach zugrundeliegendem Kriterium - zwischen einem Drittel bis ber 50 % der Gutachten
als mngelbehaftet.
Fazit: Die Untersuchung offenbart gravierende Mngel in einem substantiellen Teil der Gut-
achten. Tatschlich erfllt nur eine Minderheit die fachlich geforderten Qualittsstandards.
Analysen zum Qualifikationshintergrund der Sachverstndigen zeigen allerdings, dass die
Qualifikation zum Fachpsychologen Rechtspsychologie mit einer nachweislich hheren Qua-
litt der Gutachten einhergeht. Manahmen der Qualittssicherung werden diskutiert.
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2. PROBLEMSTELLUNG UND ZIELE
Im Jahr 2010 wurden in Deutschland 187.027 Ehen geschieden, 145.146 minderjh-
rige Kinder waren von der daraus resultierenden Vernderung der familiren Konstel-
lation betroffen (Statistisches Bundesamt, 2011). Die tatschliche Zahl von Trennun-
gen liegt deutlich hher, da nicht-eheliche Lebensgemeinschaften nicht statistisch
erfasst werden. In vielen Fllen fhrt eine Scheidung beziehungsweise Trennung zu
gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Partnern darber, wie die Sorge,
der Aufenthalt und der Umgang fr die gemeinsamen Kinder geregelt werden soll.
Vor allem in sehr strittigen Fllen werden hufig Psychologinnen und Psychologen
hinzugezogen, um als Sachverstndige kindeswohldienliche Empfehlungen zu erar-
beiten, die Richterinnen und Richter in ihren Entscheidungen untersttzen.
Der Gesetzgeber hat zwar die allgemeinen Anforderungen fr die Bestellung zum/r
Sachverstndigen in 402 414 ZPO geregelt, die genauen Qualifikationsanforde-
rungen an familiengerichtliche Sachverstndige wurden jedoch nur in Ausnahmefl-
len (z.B. bei freiheitsentziehenden Manahmen) verbindlich definiert. Ebenso wenig
existieren rechtsverbindliche Qualittskriterien fr die Erstellung von psychologischen
Gutachten in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts-
barkeit. Zwar liegen von der Fderation Deutscher Psychologenvereinigungen fach-
lich verbindliche Richtlinien fr die Erstellung psychologischer Gutachten vor (Fde-
ration Deutscher Psychologenvereinigungen, 1994), und in der einschlgigen Gut-
achtenliteratur (z.B. Westhoff & Kluck, 2008; Salzgeber, 2011) werden diese Vorga-
ben expliziert. Die Befolgung dieser Richtlinien liegt mangels rechtlicher Vorgaben
aber im Ermessen der einzelnen psychologischen Sachverstndigen und sie ist fr
das Familiengericht fachlich auch nur eingeschrnkt nachvollziehbar. Dementspre-
chend ist unklar, inwieweit psychologische Gutachten in der Praxis den fachlich ver-
bindlichen Qualittsstandards entsprechen. Die Einhaltung dieser Standards ist aber
unabdingbar, um Verfahrensgerechtigkeit und damit die Gleichstellung aller Brge-
rinnen und Brger vor dem Familiengericht zu gewhrleisten und materielle (z.B.
Zweitgutachten) sowie ideelle (z.B. psychische Beeintrchtigungen) Folgekosten von
nicht fachgerechten psychologischen Gutachten zu verhindern (Rohmann, 2008).
2.2 Forschungsstand
Ein psychologisch-diagnostisches Gutachten ist ein Bericht ber die Beantwortung
von konkreten Fragestellungen, die eine Person oder eine Gruppe von Personen be-
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treffen. Die Antwort kommt durch Anwendung wissenschaftlich anerkannter Metho-
den und Kriterien nach feststehenden Regeln der Gewinnung und Interpretation von
Daten zustande. Der zur Beantwortung der Fragestellung fhrende diagnostische
Prozess wird transparent und nachvollziehbar dargestellt. Er umfasst die Herleitung
psychologischer Fragen, die Auswahl und Anwendung von Erhebungsmethoden, die
Darstellung und Interpretation der Ergebnisse sowie die Beantwortung der Fragestel-
lung(en). (DGPs, 2011, S. 4). Fragestellungen familienrechtspsychologischer Gut-
achten beziehen sich insbesondere auf psychologische Aspekte der rechtlichen Re-
gelung der elterlichen Sorge, des Umgangs des Kindes mit den Eltern oder anderen
Personen, Aspekten der Kindeswohlgefhrdung und/oder Einschtzungen der Aus-
wirkungen der Risiko- oder Schutzbedingungen des Kindes (Salzgeber, 2011).
Sowohl in den direkt beteiligten Fachdisziplinen (Rechtswissenschaften und Psycho-
logie) als auch in der ffentlichkeit sind familienrechtspsychologische Gutachten und
ihre (mangelnde) Qualitt wiederholt Gegenstand von kritischen Diskussionen, meist
ausgelst durch Flle, in denen einer gutachterlichen Empfehlung gefolgt wurde und
dadurch gravierende negative Konsequenzen fr die Beteiligten, vor allem fr die
betroffenen Kinder, entstanden (zu aktuellen Medienberichten siehe z.B. FAS,
12.11.2012; PANORAMA, 31.10.2013; SZ, 14.02.2012; ZDFzoom, 26.10.2011).
Substantiierte wissenschaftliche Schlussfolgerungen zur Qualitt psychologischer
Gutachten an Familiengerichten knnen derzeit allerdings nicht getroffen werden, da
im deutschsprachigen Raum kaum systematische Untersuchungen zu diesem The-
ma vorliegen.
Der relative Mangel an empirisch belastbaren Befunden zur Qualitt von familien-
rechtspsychologischen Gutachten steht in erheblichem Kontrast zu Studien zur Gte
von Expertisen in anderen Rechtsbereichen. Beispielsweise liegen fr die Begutach-
tung von Sexualstrafttern (vgl. z.B. Hler & Fegert, 2000; Schlfke et al., 2005;
Knig, Schnoor, Auer, Rebernig, Schlfke & Fegert, 2005) sowie von jugendlichen
und heranwachsenden Strafttern Untersuchungen zur Gutachtenqualitt vor (vgl.
Rotermann, Khler & Hinrichs, 2009; Kraft, Khler & Hinrichs, 2008), die erhebliche
Qualittsdefizite in der Begutachtungspraxis aufdecken konnten. Fr die Bereiche
der Schuldfhigkeits-,