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Online-Magazin GEORG KRONAWITTER Glanz und Elend – aktuelle Anmerkungen zur Rathauspraxis 2 München nachhaltig THOMAS KÖDELPETER Münchner Initiative Nachhaltigkeit (MIN) 5 ANNETTE RINN UND THOMAS SCHWAB Bildung für eine nachhaltige Entwicklung 7 KLAUS BÄUMLER Urbanes Grün im internationalen Fokus 10 HELMUT STEYRER Entlastungsstadt Neuperlach 11 KARL HOFMANN Ökologisch Planen und Bauen 14 NAZIFE AYAYDIN „Wohnen, Freiraum, Mobilität“ 16 UDO BÜNNAGEL Museum Biotopia im Schloss Nymphenburg 17 DORIS FUCHSBERGER Nymphenburg: Denkmalschutz mit zweierlei Maß? 19 HANS HANFSTINGL „Entstehen wird ein Life Sciences- und Naturkunde- museum für das 21. Jahrhundert …“ 20 ROLF MONHEIM Das Passantenaufkommen in der Münchner Innenstadt 22 Alte Akademie als Prüfstein für die Politik 24 OB Reiter gratuliert Helmut Steyrer zum 70. Geburtstag 26 DETLEV STRÄTER Vorentscheid am Sattlerplatz: 27 Ankündigungen: Öffentliche Präsentation des Masterprojekts „Finanzgarten 2.0“ 6 Arbeitskreise im November 9 Rundgang: Neue Architektur in der Fasanerie Nord 26 Impressum 26 Standpunkte 11.2017 Liebe Leserin, lieber Leser, „München nachhaltig“ haben wir den Themenschwerpunkt dieser STANDPUNKTE-Ausgabe genannt – ein weites Feld. Eigentlich hätte ein dickes Fragezeichen dahinter gehört, denn die Richtung des Entwicklungsstroms, der München treibt, lässt wenig Sustainabi- lity erkennen. Nicht gelten sollte das Fragezeichen aber all jenen guten Ansätzen und Initiativen, die sich um die Verbreitung, Veran- kerung und Umsetzung nachhaltiger Planungs- und Handlungsma- ximen vor Ort bemühen und von denen wir einige hier vorstellen. Thematisch knüpft dieses STANDPUNKTE-Heft an das vorangegan- gene an, das der nachhaltigen Quartiersentwicklung gewidmet war. In diesem Sinne ist auch etwa der Beitrag von Helmut Steyrer über die „Entlastungsstadt Neuperlach“ zu verstehen: eine Zwischenbi- lanz nach 50 Jahren über ein damals wegweisendes Stadterweite- rungskonzept. Heute ist das Nicht-Bauen so wichtig wie das Bauen in der Stadt; die Qualität des urbanen Raums zeigt sich im Umgang mit den Freiflächen und dem urbanen Grün. Klaus Bäumler weist auf die Gründung eines „Alpinen Grünen Städtenetzwerks“ hin, das München mit fünf weiteren Großstädten des Alpenraums ge- gründet hat, um „voneinander zu lernen“. Vielleicht von Salzburg, wo vor Jahren ein Bürgerbegehren zum Erhalt der grünen Salzbur- ger Stadt-Landschaft äußert erfolgreich war. – Wir berichten ferner über den Fortgang der Debatte um das Museum Biotopia, dessen Neubau-Pläne das Nymphenburger Schloß-Ensemble erheblich zu beschädigen drohen, greifen den Konflikt um die Umbaupläne der Alten Akademie auf, bei dem das Architekten-Urheberrecht eine Rolle spielt, und weisen auf das aktuelle Vorhaben der Stadt hin, am Sattlerplatz Investoreninteressen eiligst bedienen zu wollen, bevor sinnvolle Nutzungskonzepte im bürgerschaftlichen Interesse öffentlich präsentiert und diskutiert werden. Wie immer hoffen wir auf großes Interesse und kritische (oder andere) Reaktionen unserer Leser/innen. DETLEV STRÄTER 1.VORSITZENDER DES PROGRAMMAUSSCHUSSES DES MÜNCHNER FORUMS FOTO: © HELMUT STEYRER

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Online-Magazin GeorG Kronawitter Glanz und Elend – aktuelle Anmerkungen zur Rathauspraxis 2

München nachhaltig

thomas Ködelpeter Münchner Initiative Nachhaltigkeit (MIN) 5

annette rinn und thomas schwabBildung für eine nachhaltige Entwicklung 7

Klaus bäumler Urbanes Grün im internationalen Fokus 10

helmut steyrer Entlastungsstadt Neuperlach 11

Karl hofmann Ökologisch Planen und Bauen 14

nazife ayaydin „Wohnen, Freiraum, Mobilität“ 16

udo bünnaGel Museum Biotopia im Schloss Nymphenburg 17

doris fuchsberGer Nymphenburg: Denkmalschutz mit zweierlei Maß? 19

hans hanfstinGl „Entstehen wird ein Life Sciences- und Naturkunde-museum für das 21. Jahrhundert …“ 20

rolf monheim Das Passantenaufkommen in der Münchner Innenstadt 22

Alte Akademie als Prüfstein für die Politik 24

OB Reiter gratuliert Helmut Steyrer zum 70. Geburtstag 26

detlev sträterVorentscheid am Sattlerplatz: 27

Ankündigungen:

Öffentliche Präsentation des Masterprojekts „Finanzgarten 2.0“ 6

Arbeitskreise im November 9

Rundgang: Neue Architektur in der Fasanerie Nord 26

Impressum 26

Standpunkte11.2017

Liebe Leserin, lieber Leser,„München nachhaltig“ haben wir den Themenschwerpunkt dieser standpunKte-Ausgabe genannt – ein weites Feld. Eigentlich hätte ein dickes Fragezeichen dahinter gehört, denn die Richtung des Entwicklungsstroms, der München treibt, lässt wenig Sustainabi-lity erkennen. Nicht gelten sollte das Fragezeichen aber all jenen guten Ansätzen und Initiativen, die sich um die Verbreitung, Veran-kerung und Umsetzung nachhaltiger Planungs- und Handlungsma-ximen vor Ort bemühen und von denen wir einige hier vorstellen. Thematisch knüpft dieses standpunKte-Heft an das vorangegan-gene an, das der nachhaltigen Quartiersentwicklung gewidmet war. In diesem Sinne ist auch etwa der Beitrag von Helmut Steyrer über die „Entlastungsstadt Neuperlach“ zu verstehen: eine Zwischenbi-lanz nach 50 Jahren über ein damals wegweisendes Stadterweite-rungskonzept. Heute ist das Nicht-Bauen so wichtig wie das Bauen in der Stadt; die Qualität des urbanen Raums zeigt sich im Umgang mit den Freiflächen und dem urbanen Grün. Klaus Bäumler weist auf die Gründung eines „Alpinen Grünen Städtenetzwerks“ hin, das München mit fünf weiteren Großstädten des Alpenraums ge-gründet hat, um „voneinander zu lernen“. Vielleicht von Salzburg, wo vor Jahren ein Bürgerbegehren zum Erhalt der grünen Salzbur-ger Stadt-Landschaft äußert erfolgreich war. – Wir berichten ferner über den Fortgang der Debatte um das Museum Biotopia, dessen Neubau-Pläne das Nymphenburger Schloß-Ensemble erheblich zu beschädigen drohen, greifen den Konflikt um die Umbaupläne der Alten Akademie auf, bei dem das Architekten-Urheberrecht eine Rolle spielt, und weisen auf das aktuelle Vorhaben der Stadt hin, am Sattlerplatz Investoreninteressen eiligst bedienen zu wollen, bevor sinnvolle Nutzungskonzepte im bürgerschaftlichen Interesse öffentlich präsentiert und diskutiert werden.Wie immer hoffen wir auf großes Interesse und kritische (oder andere) Reaktionen unserer Leser/innen.

detlev sträter 1.vorsitzender des proGrammausschusses des münchner forums

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Glanz und Elend – aktuelle Anmerkungen zur Rathauspraxis

Nein, es geht hier nicht um Münchner Kommunalpolitik im eigentlichen Sinn, also zum Beispiel um die Ziele der einzelnen im Rathaus vertretenen Parteien, ihre Initiativen oder ihr Abstimmungsver-halten. Sondern es geht darum, anhand konkreter aktueller Beispiele zu zeigen, warum die Rathaus-politik manchmal viel zu schwerfällig und langatmig agiert und dadurch leicht vermeidbaren Frust bei Bürgern erzeugt. Dies ist nicht unabänderlich, aber es bedürfte der Einsicht insbesondere bei der Stadtregierung – Oberbürgermeister, Bürgermeister und Referenten –, dass hier etwas prinzipi-ell im Argen liegt und dass man dies in eigener Machtvollkommenheit ändern könnte. Und zwar eigentlich sofort. Klingt gut, oder?

Ein typisches BeispielLassen Sie mich mit einem handfesten typischen Beispiel beginnen. Es fällt unter den Oberbegriff „Radlhauptstadt München“. Lesen Sie trotzdem weiter, auch wenn Sie sich – wie viele – über die Anmaßung dieses Anspruchs geärgert haben sollten. Aber der Anspruch an sich wäre ja nicht schlecht, wenn erkennbar rasch die vielen bekannten Schwä-chen von der Radlhauptstadt beseitigt würden. Eine Süddeutsche Zeitung hat über einen kurzfristigen Aufruf an ihre Leser über tausend Schwachstellen identifiziert.

Dass die Stadt nun schnell daran geht, im Sinne von ‚quick wins‘ einfach mal rasch die leicht beheb-baren Schwächen zu beseitigen, das darf man leider in der Regel nicht erwarten.

In dieser Lage trifft es sich gut, dass in diesem Herbst der Stadtrat über den „Grundsatzbeschluss zur Förderung des Radverkehrs in München – Fort-schreibung und Radverkehrsbericht 2017“ zu beraten

und beschließen hat. Die Bezirksausschüsse (BAs) haben „das Ding“ vorab zur Anhörung bekommen. Und was ist daran so falsch? Die reine Beschluß-vorlage ohne Anlagen umfasst schlappe 263 Seiten. Ist das für ehrenamtliche Feierabend- und Freizeit-Politiker nicht schon abschreckend genug, besteht der Text nicht nur aus einem Statusbericht, was die Radlhauptstadt so alles erreicht hat – Weihrauch, Weihrauch, Weihrauch – und inhaltlichen Aussagen. Nein, es muss offenkundig unbedingt immer wieder seitenlange Passagen geben, wo minutiös der Perso-nal- und Mittelbedarf dargestellt wird. Schließlich müssen ja viele Machbarkeitsstudien erstellt und betreut werden...

Die Lesbarkeit der Beschlussvorlage leidet da-durch gewaltig, wie sich jeder im RathausInforma-tionsSystem (RIS) überzeugen kann /1/. Aber das eigentlich Ärgerliche ist, dass so ein Grundsatzbe-schluss von der Verwaltung schon gerne mal zum Anlass genommen wird, Anträge von Stadträten,

Nur auf dem offiziellen Stadtplan ist “Am Hochacker” eine reguläre Straße

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BAs und Bürgern, die „nur“ eine konkrete Anregung (hier: zum Radverkehr „vor Ort“) beinhalten, einfach mit abzuräumen. Und das ist eine ärgerliche Unsitte, weil man häufig den Eindruck bekommt, dass es sich im Gefüge eines Grundsatzbeschlusskolosses um eine eher lieblose Behandlung derart konkreter Anliegen handelt.

Diese Neigung mancher Referate zur grundsätzli-chen Behandlung schlägt dann nicht nur in so einem Grundsatzbeschluss durch, sondern leider auch in der täglichen BA-Praxis, wie ein passendes Beispiel aus Trudering-Riem zeigt.

lienstraße erweist sich als desolate Schlaglochpiste (Bild links). Eigentlich also eine dankbare Aufgabe für die Radlhauptstädter, möchte man meinen. Auch der BA 15 gibt in seiner Begründung einen dezenten Stubser: „Angesichts der in der Öffentlichkeit viel beklagten Lücken im Münchner Radlnetz (siehe z. B. SZ vom 13.05.2017 „Radlprovinzstadt München“) geht der BA 15 davon aus, dass dieser überfällige, unkritische Lückenschluss von der Stadt München rasch realisiert wird.“

Mögen täten wir schon wollen ...Die Antwort der Stadt kam vergleichsweise schnell. Beteiligt sind dabei das Baureferat und die Stabsstel-le Radverkehr und die Grünplanung im Planungsre-ferat. Alle betonen in ihrer Antwort, wie berechtigt und sinnvoll das Anliegen des BAs hier ist. Aha, dann könnte es ja losgehen, oder?

Aber die Stadt weiß es besser: „Im Rahmen des Freiraum 2030-Konzepts entwickelt die Stadtver-waltung unter Federführung des Referats für Stadt-planung und Bauordnung derzeit auch konkrete lösungsorientierte Konzepte für den Radverkehr in Freiräumen. Auch wird derzeit ein landschaftsorien-tiertes Wegekonzept für den Münchner Grüngürtel erarbeitet. Die Ergebnisse des Gutachtens liefern Ansätze, wie diese Verbindungen in Zukunft für den Fuß- und Radverkehr qualifiziert werden können.“

Aha, zukünftige Gutachten verhindern also umge-hende konkrete Lösungen – leider wohl auf Jahre. Denn nach der Vorlage des Gutachtens im Stadtrat muss dann sicherlich noch eine Prioritätenliste er-stellt werden. Vielleicht ist es ja dann 2030 so weit.

Es geht auch ganz anders ...Mag es Zufall oder Fügung sein, es gibt soeben ein wunderbares thematisch passendes Gegenbeispiel. Es gibt sie auch, die städtischen Dienststellen, die

To do or not to do?Der BA 15 Trudering-Riem forderte im Juni 2017 in einem einstimmig verab-schiedeten Antrag /2/ die Stadt auf, die gesamte Straße „Am Hochacker“ als „wichtigen Rad/Fußverbindungsweg aufzuwerten“ und somit eine verkehrs-arme, attraktive Tangentialverbindung für Radler zwischen Waldtrudering und Neuperlach zu schaffen (Bild Seite 2). Was im Stadtplan als einheitlicher Weg erscheint, ist in Wirklichkeit seit Menschengedenken ein Sammelsurium unterschiedlichster Abschnitte. Beson-ders der für Kraftfahrzeuge gesperrte erste Abschnitt unmittelbar an der Otti-

Der Einstieg zu “Am Hochacker” - eine Schlaglochpiste

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Barrierefreier Waldweg: erstmal die oberste Schicht lockern

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es anders machen: konkreter, schneller, zupackender. Zufällig hat dies die städ-tische Forstverwaltung nur ein paar hun-dert Meter weiter östlich soeben unter Beweis gestellt. Hier führt ein typischer, etwas breiterer Waldweg auf ca. 300 Me-tern Länge zwischen der Fauststraße und dem Schramminger Weg und erschließt damit die sogenannte Lourdesgrotte, die in diesem Jahr immerhin in die Landes-denkmalliste aufgenommen wurde. Dieser Weg war wie alle Waldwege so holprig, dass er schon für Normalräder unbequem zu befahren ist, umso mehr gilt dies für Kinderwägen und Rollatoren mit ihren kleinen Rädern.

Das galt bis zum 18. Oktober. Am 17. Oktober wurde der Weg nämlich barri-erefrei gemacht, und zwar nach einem in Deutschland erst seit kurzem ange-wandten neuen, aufwandsarmen Verfah-ren. Zum Einsatz kommen ein kräftiger Ackerschlepper, eine rotierende Steinfrä-se („Crusher“) und ein Plattenrüttler als Zusatzgeräte. Meist wird in einem ersten Arbeitsgang die Wegeoberfläche mit einem überdimensionalen Steinrechen aufgerissen und gelockert (Bild S. 3 un-ten). Dabei sieht man sehr schön, welche groben Steine in dieser Schicht liegen und Radlern das Fahren schwer machen.

Der eigentliche Clou ist der Einsatz der Steinfräse. Hierzu fährt der Traktor

konkrete Problemstellungen einer Lösung zuzufüh-ren, ohne vorher die x-te Studie abzuwarten. Man kann derartige Lösungen dann ja als Pilotprojekte verkaufen und daraus lernen: learning by doing halt. Diese „sowohl – als auch“-Herangehensweise stünde der Stadt gut und würde viel Bürgerfrust vermeiden. Und dafür sind wir doch alle, oder?

Dr. Georg Kronawitter ist Elektroingenieur, war Stadtrat von 2008 bis 2014 und ist Mitglied im Programmausschuss und Verein Münchner Forum.

Zum Weiterlesen/1/ www.ba-muenchen.info/planref/Radverkehr/20170922-BeVo-ENTWURF-Radverkehr-in-M.pdf /2/ Radwegeverbindung Am Hochacker: www.ris-muenchen.de/RII/BA-RII/ba_antraege_details.jsp?Id=4534225 /3/ Barrierefreie Waldwege: www.ris-muenchen.de/RII/RII/ris_antrag_dokumente.jsp?risid=3077767

im Schneckengang über den Waldweg. Wie man auf dem Bild oben sieht, zerkleinert die Fräse alles in feinen „Sand“. Im dritten und letzten Arbeitsgang wird über den Rüttlerzusatz mit seinen vier hydrau-lisch angetriebenen Platten die sand-feine Oberfläche so verdichtet, dass sie von Rädern und sogar PKWs befahren werden kann (Bild Mitte). Das natürliche Bindematerial sorgt in Verbindung mit ein paar Re-genschauern dafür, dass die wassergebundene Decke fast die Oberflächenqualität Münchner Grünanlagen-Wege hat.

In einem Tag und mit überschaubarem finanziellen Einsatz ist somit ein vielbenutzter Waldweg barriere-frei /3/ geworden – dank der zupackenden Art des zuständigen Revierförsters und des Münchner Forst-Chefs.

Kleines Fazit„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ Diesen Spruch des Wahlmünchners Erich Kästner sollten etliche Führungskräfte der Stadt München künftig besser beherzigen und ihre Mitarbeiter ermutigen,

Barrierefreier Waldweg: wenn die Steinfräse kommt

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Barrierefreier Waldweg: Endzustand nach dem Plattenrüttler

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München – nachhaltig

Münchner Initiative Nachhaltigkeit (MIN)Globale Krisen und lokales Handelnthomas Ködelpeter

Mit den im September 2015 von den Vereinten Nationen in New York beschlossenen „Globalen Zielen für eine nachhaltige Entwicklung“ (SDGs/Agenda 2030) und der Pariser Klimaschutzverein-barung vom November 2015 reagiert die Weltstaatengemeinschaft auf die menschengemachte globale Bedrohung des Planeten. Deutschland legte zur Umsetzung eine nationale Nachhaltigkeits-strategie auf und setzt Länder und Kommunen in die Pflicht. Die Landeshauptstadt München erklär-te sich im Juni 2016 mit der Unterzeichnung der Resolution des Deutschen Städtetags bereit, sich an der Umsetzung der Agenda 2030 zu beteiligen und die Stadtbevölkerung in die Entwicklung einer lokalen Nachhaltigkeitsstrategie einzubeziehen.

Vor diesem Hintergrund schlossen sich mittler-weile über 40 zivilgesellschaftliche Organisati-

onen zur Münchner Initiative Nachhaltigkeit (MIN) zusammen. In einem Positionspapier formulierten die Organisationen ihr Selbstverständnis. Der Lenkungskreis von MIN nahm dazu Gespräche mit Rathausfraktionen, Referenten, Vertretern von Wirt-schaft und Kirchen auf. Das Bündnis ist offen für weitere Organisationen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Kultur, Soziales, Gesundheit und Umwelt. Zahlreiche weitere Initiativen haben bereits ihr Inter-esse an einer Mitwirkung angekündigt.

Was will die Münchner Initiative Nachhaltigkeit? MIN setzt sich für den Leitge-danken ein, so zu leben und zu wirtschaften, dass die Entwick-lungschancen heutiger und künf-tiger Generationen in München und weltweit gewahrt bleiben und dabei die Grundlagen allen Lebens erhalten werden. Die Mitglieder von MIN eint der Einsatz für eine gerechte, nachhaltige und zu-kunftsfähige Entwicklung der Stadt – im globalen Rahmen – sowie die Forderung nach Verankerung eines strukturierten, partizipativen Prozesses und der Einrichtung institutioneller Strukturen.

MIN bietet eine Plattform für zahlreiche, seit vielen Jahren in unterschiedlichen Bereichen nachhaltiger Entwicklung enga-

gierte zivilgesellschaftliche Organisationen. Diese Form des Kooperierens ermöglicht eine systemische und integrierte Sicht und Bearbeitung der sozialen, ökologischen, ökonomischen und kulturellen As-pekte nachhaltiger Entwicklung der Stadt. In der Bündelung der Anliegen, Ideen und Vorschläge der zivilgesellschaftlichen Akteure werden die jeweili-gen Inhalte Elemente eines Ganzen, gewinnen in der öffentlichen Wahrnehmung und können mit mehr Erfolg umgesetzt werden.

MIN will Ansprechpartner für Politik und Verwal-tung sein, innovative Ideen und konkrete Vorschläge

Arbeitssitzung des MIN-Lenkungskreises: von rechts: Thomas Schwab (BenE), Erich Eisenstecken (SHZ), Dr. Ulrich Mössner (Schumachergesellschaft), Barbara Wolter (BürgerStiftung), Mona Fuchs (Klimaherbst e.V), Carmen Paul (BürgerStiftung), Tho-mas Ködelpeter (BNB)

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für eine nachhaltige Entwicklung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens einbringen und sich an Planungs- und Umsetzungsprozessen beteiligen.

MIN setzt sich dafür ein, dass die Münchner Nach- haltigkeitsstrategie in einem transparenten und regel-mäßigen Monitoring von einer wissenschaftlichen Einrichtung begleitet wird.

Aktivitäten von MIN In Anlehnung an die globalen Entwicklungsziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) will MIN perma-nente thematische Manufakturen (Foren) und ad-hoc-Manufakturen zu den für München relevanten Handlungsfeldern bilden.

Kurzfristig steht eine Münchner Nachhaltigkeits-konferenz auf dem Programm.

Mittelfristig setzt sich MIN für die Bildung eines Nachhaltigkeitsrats und die Entwicklung einer loka-len Nachhaltigkeitsstrategie ein. Bisherige fachbezo-gene Planungen und Praktiken wie die „Perspektive München“, das „Integrierte Handlungsprogramm Klimaschutz München“ oder der „Klimaschutzak-tionsplan“ sowie Fachplanungen im Gesundheits- und Sozialbereich sollen dabei einbezogen, mit den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) in Beziehung gesetzt und in eine zu entwickelnde loka-le Nachhaltigkeitsstrategie integriert werden.

Warum es die Münchner Initiative Nachhal-tigkeit brauchtEine Umsetzung des Leitbilds der Nachhaltigen Entwicklung auf lokaler Ebene stützt sich auf die gelingende Kooperation zwischen Politik, Verwal-tung und Zivilgesellschaft. Als Zusammenschluss

gesellschaftlicher Organisationen aus vielen Feldern nachhaltiger Entwicklung ist MIN bereits ein erstes Abbild einer Verständigung auf gemeinsame Inter-essen an einer umfassenden nachhaltigen Entwick-lung der Stadt. MIN ist als „Mittler“ (intermediäre Organisation) zwischen bürgerschaftlichen Organi-sationen, Wissenschaft und Wirtschaft, Verwaltung und Politik tätig und trägt als Unterstützer dazu bei, dass sich Bürgerinnen und Bürger wirksamer an der Formulierung von Zielen und dem Planungs-, Umsetzungs- und Evaluationsprozess zur nachhalti-gen Entwicklung in geeigneten Beteiligungsformen einbringen können.

Nächster Schritt: Impulse aus HamburgDr. Hans Jochen Menzel, Sprecher des Hamburger Zukunftsrats, stellte am 26. Oktober 2017 auf Ein-ladung der Münchner Initiative Nachhaltigkeit und der Regionalen Netzstelle Nachhaltigkeitsstrategien (RENN.süd) im Pädagogischen Institut der Stadt München den „Hamburger Ratschlag zur Agenda 2030“ und die Praxis des Zukunftsrats vor. Disku-tiert wunrde, was sich vom Hamburger Vorgehen für München übertragen lässt.

KontaktMünchner Initiative Nachhaltigkeitc/o BürgerStiftung München, Klenzestr. 37, 80469 MünchenMail: [email protected], www.m-i-n.net

Thomas Ködelpeter ist hauptberuflich pädagogischer Leiter der Ökologischen Akademie e.V. in Linden. Ehrenamtlich ist er erster Sprecher im Bündnis Nachhaltigkeit Bayern (BNB) und Mitglied im Lenkungskreis der Münchner Initiative Nachhaltig-keit (MIN).

Ankündigung

Öffentliche Präsentation des Mas-terprojekts „Finanzgarten 2.0“ – Entwürfe zum Umgang mit der historischen Parkanlage zwischen Hofgarten und Englischem Gar-ten München“ Die Präsentation findet statt am Dienstag, 21. November 2017, 18.00 Uhr im Bayerischen Staatsministeri-um für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ludwigstraße 2, 80539 München.

Entwürfe zum Umgang mit der historischen Parkanlage zwischen Hofgarten und Englischem Garten MünchenVisualisierung: Yiqun Le, Helena Porto, Julian Ulrich

Dienstag, 21.11.2017 - 18h Vorstellung der Entwürfe des Masterprojekts 2016

FINANZGARTEN 2.0

Die Dokumentation ist im Rahmen des Masterpro-jekts Landschaftsarchitektur im Sommersemester 2016 am Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und

öffentlicher Raum (Prof. Regine Keller) an der Tech-nischen Universität München entstanden.

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Bildung für eine nachhaltige Entwicklung10 Jahre BenE München e.V. annette rinn und thomas schwab

Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BNE) soll für alle Münchner Bürgerinnen und Bürger erfahrbar werden. Zu diesem Ziel haben sich vor 10 Jahren Bildungseinrichtungen, NGOs der Nachhaltigkeitsszene, die Landeshauptstadt München und diverse Unternehmen zum BenE Mün-chen e. V. zusammengeschlossen. In diesen Jahren hat sich der öffentliche Diskurs, aber auch das Engagement der Akteure zu den Themen Bildung, Nachhaltigkeit und Regionalentwicklung wahr-nehmbar weiterentwickelt. Dennoch braucht es mehr Beteiligung aus der Bürgerschaft, um eine enkeltaugliche Gesellschaft zu gestalten. Hier setzt BenE München e.V. an und motiviert Personen, Initiativen, Vereine, Verbände und Firmen, sich für BNE einzusetzen.

Aktuelle und künftige lokale wie globale Heraus-forderungen der Menschheit sollen durch BNE

in formalen, non-formalen und informellen Lernkon-texten bearbeitet werden. Dabei geht es weniger um die Vermittlung von Lösungen als vielmehr darum, Gestaltungskompetenzen bei den Lernenden zu verankern.

Angesichts des kommunalen Klimaschutzziels, München bis 2050 zu einer CO2-freien Stadt zu ma-chen, müssen sich alle Münchnerinnen und Münch-ner zwei wesentlicher Fragen stellen: Wie kann eine „kapitalgetriebene“ Boomtown wie München über-haupt nachhaltig sein? Und wie kann jeder Einzelne in der Dynamik seiner Lebensumwelt zukunftsver-antwortlich leben und handeln? Im Dreiklang von Bildung, Nachhaltigkeit und Regionalentwicklung ist die Entwicklungsfrage – im Sinne von „small is beautiful” – immer neu zu thematisieren, auch im

Diskurs der Stadt- und Quartiersentwicklung. Quali-tät statt Quantität muss zum Paradigma für München werden: Es geht um Gemeinsinn statt Eigennutz, um Degrowth – langsamer, näher, weniger, persönlicher –, um die Dekarbonisierung aller Bereiche und um eine nachhaltige, kreative Raumnutzung (siehe dazu ASTUS EU Projekt).

Vorgeschichte und Gründung des BenE München e.V.Der Gründung des BenE München e.V. vorausgegan-gen war ein intensiver Stadtentwicklungs-Diskurs zwischen Landeshauptstadt München, Vertreter/-innen der Zivilgesellschaft und Unternehmen im Rahmen der Lokalen Agenda 21. Mit dem Start der UN-Dekade „Bildung für eine nachhaltige Ent-wicklung“ 2005 wurden von der UN-Universität die ersten Regionalen Kompetenzzentren für BNE, die sogenannten RCEs, anerkannt. Diese dienen als lokale Plattform, in der alle an BNE interessierten Stakeholder zusammenkommen können. In München wünschten sich Akteure der Umweltbildung, Eine-Welt-Gruppen, Banken und viele mehr ein Multi-Stakeholder-Netz, um den Dialog und Kooperationen zu intensivieren. Durch ein erstes Gespräch zwischen dem damaligen Bürgermeister Hep Monatzeder und Prof. Charles Hopkins (UN-Universität) am Rande der Bundesgartenschau 2005 entstand die Idee für die Gründung eines BNE-Kompetenzzentrums in München. Im Jahr darauf wurde ein entsprechender Beschluss vom Stadtrat gefasst und die RCE-Bewer-bung vom Bürgermeister-Büro ausgearbeitet. BenE München wurde 2007 als 13. Zentrum in die Riege der RCEs aufgenommen. Zur Zeit gibt es sieben RCEs in Deutschland und 156 RCEs weltweit. Die Regionalen Kompetenzzentren kooperieren zum Bei-spiel bei EU-Projekten auf Augenhöhe, und sie tref-fen sich jährlich zu Konferenzen auf nationaler und

Handlungsraum von BenE München im Spannungsfeld von Bildung, Nachhaltigkeit und Regionalentwicklung

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internationaler Ebene. Vor kurzem wurden die RCEs in einem Sekretariatsbericht des UN-Generalsekretärs António Guterres als wichtige Player zur Umsetzung des Welt-aktionsprogramms BNE lobend erwähnt.

Ein ereignisreiches Jahrzehnt für BenE MünchenHighlights und laufende Projekte des Vereins: - Seit 2007 beteiligt sich BenE München

jährlich beim Münchner Klimaherbst. Im Gründungsjahr veranstaltete BenE München auch ein Treffen mit Trägern des alternativen Nobelpreises.

- Im Jahr 2008 wurde die GenE-Projekt-stelle (Gestaltungskompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung) bei BenE

einrichtungen, NGOs, Unternehmen, Initiativen und Privatpersonen auch wichtige Netzwerke zusam-mengeschlossen. 75 Mitglieder sind aktiv in den Bereichen: Soziales, Landeshauptstadt München, außerschulische Kinder- und Jugendbildung, Medi-en, Wirtschaft, Hochschule/Wissenschaft, Erwachse-nenbildung, Schule und Kindertageseinrichtungen, Umweltbildung, Kunst und Kultur, Eine-Welt-Bildung, Arbeitsnehmerorganisationen, Ökumene, Migrationsgruppen und Flüchtlingshilfe.

Kleine Nachhaltigkeitsinitiativen, wie sie zum Beispiel die MünchnerMachbarn zusammenbringen, sollen nicht unerwähnt bleiben.

BenE München selbst ist ebenfalls Mitglied in anderen Netzwerken: Bündnis Nachhaltigkeit Bay-ern, Münchner Initiative Nachhaltigkeit, Netzwerk Hochschule und Nachhaltigkeit Bayern, Bildungs-netzwerk München, Umweltbildung Bayern, Umwelt Akademie und im Zusammenschluss der RCEs der UN-Universität in Deutschland.

Arbeitsgruppen bei BenE München e.V.Bei BenE München sind derzeit folgende Arbeits-gruppen aktiv:- GenE Strategieteam: GenE – Gestaltungskom-

petenzen für eine nachhaltige Entwicklung – un-terstützt Münchnerinnen und Münchner dabei, SystemDenken zu erlernen, um in der komplexer werdenden Welt angemessene und vernünftige Ent-scheidungen im eigenen Alltag treffen zu können.

- Hochschultage Ökosoziale Marktwirtschaft & Nachhaltigkeit: Studierende bieten jedes Semester eine Plattform an, um Nachhaltigkeits-Fragen mit anderen Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Personen aus der Stadtgesell-schaft zu diskutieren.

Eine GenE-Projektgruppe führt das Planspiel „Fishbanks Ltd.“ in der Hoch-schule München durch (2009).

München eingerichtet. GenE bietet Weiterbildungen zu den Gestaltungskompetenzen, insbesondere zum Systemischen Denken an. Es werden unter anderem Seminare (z.T. basierend auf Methoden von Dennis und Donella Meadows), der Systemische Salon und das U-Lab (Otto Scharmer, MIT) in regelmäßigen Abständen angeboten.

- In 2010 wurde durch BenE München die vierte europäische RCE-Konferenz in München durchge-führt.

- Von 2011 bis 2014 war BenE München Mitveran-stalter der Ringvorlesung „Leitbild Nachhaltigkeit“ unter anderem mit Dennis Meadows. Dabei koope-rierten erstmals 16 Münchner Hochschulen und Universitäten.

- 2012 wurde München als Dekadestadt BNE ausge-zeichnet.

- Seit 2013 bietet BenE München Workshops zu partizipativen Methoden an.

- 2014 gab sich der Verein einen Beirat mit Vertre-terinnen und Vertretern aus der Wissenschaft, aus dem Rathaus und aus verschiedenen Referaten der Landeshauptstadt München.

- Seit 2014 ist BenE München Mitveranstalter der studentisch organisierten „Münchner Hochschul-tage – Ökosoziale Marktwirtschaft & Nachhaltig-keit”:

- 2015 war BenE München Gastgeber der deutschen RCE-Konferenz.

- 2017 wurde die jährliche Münchner Bildungskon-ferenz mit dem Motto BNE von der Landeshaupt-stadt München durchgeführt. BenE München war dabei Kooperationspartner.

BenE München wirkt als NetzwerkIm BenE München e.V. haben sich neben Bildungs-

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- Nachhaltiges Wirtschaften und Soziale Nachhal-tigkeit: „Nachhaltiges Wirtschaften“ und „Soziale Nachhaltigkeit“ sollen als Themen wissenschaftlich fundiert und gleichzeitig anwendungsbezogen in Schulen, Hochschulen und weiteren Bildungsein-richtungen verankert werden.

- Soziokratie: Soziokratie ist eine Methode, die es erlaubt, sich in Organisationen selbst zu führen und effektiv zu sein, während die Weisheit jedes Mit-glieds partizipativ genutzt wird. Die AG organisiert Seminare und Informationsveranstaltungen.

- München Gemeinsam: Die Verbesserung der Zu-sammenarbeit von zivilgesellschaftlichen Initiati-ven sowohl untereinander als auch mit der Stadtver-waltung und Kommunalpolitik ist Anliegen dieser neu entstehenden Arbeitsgruppe.

Resümee und Ausblick BenE München kann auf eine ereignisreiche und erfolgreiche erste Dekade zurückblicken, in der viel erprobt wurde. Neben der Anerkennung als Kompe-tenzzentrum (RCE) der „Bildung für eine nachhalti-ge Entwicklung“ durch die Universität der Vereinten Nationen wurde der Verein mit dem Qualitätssiegel Umweltbildung Bayern ausgezeichnet (2016).

BenE München möchte auch in Zukunft viele unterschiedliche Akteure aus der Stadtgesellschaft im Sinne der BNE zusammenbringen. In Zusammen-arbeit mit der Landeshauptstadt München soll BNE

in der formalen Bildung stärker verankert werden. Dazu will der Verein den Austausch in der Münchner Bildungslandschaft sowie die Zusammenarbeit mit außerschulischen Lernorten stärken.

Besondere Aufmerksamkeit möchte BenE Mün-chen dabei in Zukunft folgenden Themen schenken: Sensibilisierung für die Klimaziele der Landeshaupt-stadt München und die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und nicht zuletzt der Erprobung sowie Verbreitung von ernsthaften, zukunftsfähigen Par-tizipationsformen für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadtgesellschaft in Zeiten von Smart City und Degrowth.

Annette Rinn ist Dipl. Ing./M. Sc., Planungsgruppe Rundum, Planerin und Ökonomin; baut, plant, forscht seit 1982 zu nachhaltigem, postfossilem Bauen mit Cradle-to-cradle, repair- & degrowth-Ideen. Sie ist Vorstandsmitglied von BenE München und Ansprechpartnerin für alle an der Mitarbeit interessierten Einrichtungen, Institutionen, Initiativen und Einzelpersonen.

Thomas Schwab studierte nach einer Ausbildung zum Maler an der LMU Katholische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik und Nachhaltige Entwicklung. Als Mitarbeiter des Münchner Bildungswerks unterstützte er den Aufbau der Münchner Seni-orenakademie und studierte nebenher Bildungsmanagement. Seit 2011 ist er als Referent für BNE bei BenE München.

Mehr Informationen über: www.bene-muenchen.de

Arbeitskreise im November

Arbeitskreis ‚Wer beherrscht die Stadt?‘Leitung: Bernadette Felschnächstes Treffen: 6. November 2017, 17:30 Uhr

Arbeitskreis ‚Schienenverkehr‘Leitung: Dr. Wolfgang Beyernächstes Treffen: 16. November 2017, 18:00 Uhr

Arbeitskreis ‚Attraktiver Nahverkehr‘Leitung: Berthold Maier und Matthias Hintzennächstes Treffen: 30. November 2017, 18:30 Uhr

Sie haben Lust, etwas für München zu tun? Unsere Arbeitskreise stehen Ihnen offen. Eine E-Mail an [email protected] genügt.

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Standpunkte November 2017 - 10

Urbanes Grün im internationalen FokusAlpines Grünes Städtenetzwerk in Gründung. Erfolgreicher Bürgerentscheid „Rettet unser Grün-land“ in Salzburg – Vorbild für München?Klaus bäumler

Unter dem Aufmacher „Über den Alpenrand schauen. München gründet mit fünf Partnerkommu-nen ein Alpines Grünes Städtenetzwerk“ berichtet die Süddeutsche Zeitung am 4. Oktober 2017 über einen interkommunalen und internationalen Zusammenschluss von sechs Städten aus Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich. München, Salzburg, Wien, Trient, Turin und Grenob-le wollen in diesem Netzwerk mit dem Ziel kooperieren, den Austausch zur Verbesserung von Grüngürteln und naturbelassenen Korridoren in ihrem jeweiligen Einzugsbereich zu pflegen. Bei der Unterzeichnung des Gründungsmemorandums im Gartensaal des Münchner Prinzregententheaters betonte Münchens Bürgermeister Josef Schmid, es gehe darum, „voneinander zu lernen“.

Ein internationaler Erfahrungsaustausch zur Er-haltung und Verbesserung von urbanem Grün

ist zu begrüßen. Urbanes Grün steht im Mittelpunkt der Diskussion um eine nachhaltige Stadtentwick-lung. Im Mai 2017 hat Bundesumweltministerin Hendricks das „Weissbuch Stadtgrün“ vorgestellt. Unter dem Schlagwort „Integrierte Planung für das Stadtgrün“ soll urbanes Grün in Planungsrecht und administrativer Praxis gestärkt werden. Leider hat die Stadt München in offenem Widerspruch hierzu in diesem Jahr ihre Orientierungswerte zur Grün- und Freiflächenversorgung entscheidend reduziert: Die Pro-Kopf-Versorgung wurde von 32 qm auf 15 qm herabgesetzt. Durch den neuen Richtwert soll die Nachverdichtung zugunsten zusätzlichen Wohnraums und damit zulasten der innerstädtischen Grünversorgung gefördert werden.

Objektiv betrachtet ist das neue interkommunale Netzwerk eine hervorragende Chance für einen er-tragreichen internationalen Erfahrungsaustausch. Ein derartiger Verbund darf sich aber nicht im bürokra-tisch-administrativen Austausch von Informationen auf Verwaltungsebene erschöpfen. Es muss vielmehr auch die Chance zur bürgerschaftlichen Vernetzung genutzt werden. Die Effektivität dieses Grünen Städtenetzwerks hängt entscheidend davon ab, dass die sozial-aktiven Kräfte mit ihrer bürgerschaftlichen Kompetenz in den Erfahrungsaustausch einbezogen werden.

Exemplarischen Modellcharakter hat das bürger-schaftliche Ringen um das urbane Grün in Salzburg. Der „Aktion Grünland Salzburg“ ist es in langjähri-ger konsequenter Arbeit gelungen, eine Salzburger Bürgerbewegung zur Erhaltung der Salzburger Stadt-Landschaft zu schaffen. Unter Federführung des Naturschutzbundes Salzburg wurden 2005 innerhalb

weniger Monate zehntausend Unterschriften für das Bürgerbegehren „Rettet unser Grünland“ gesam-melt. Im Mai 2006 fand das Bürgerbegehren (§ 53 d Salzburger Stadtrecht) statt. 13.305 SalzburgerInnen beteiligten sich an der Abstimmung. 95,5 Prozent stimmten für das Bürgerbegehren im Sinne der Er-haltung der Salzburger grünen Stadt-Landschaft.

Die Umsetzung dieses erfolgreichen Bürgerent-scheids zum effektiven Schutz der Grünräume als Bestandteil der einzigartigen Salzburger Stadt-Land-schaft bildet ein Lehrbeispiel besonderer Qualität.

Ein Erfahrungsaustausch mit der Salzburger Stadt-verwaltung und den bürgerschaftlichen Protagonisten der „Aktion Grünland Salzburg“ wäre auch für die Münchner Grünproblematik ertragreich. Die Chan-ce, das Grüne Städtenetzwerk mit einem Besuch in Salzburg bürgerschaftlich mit Leben zu erfüllen, ist zu nutzen.

Klaus Bäumler ist Leiter des Arbeitskreises Öffentliches Grün, 2. Vorsitzender des Programmausschusses des Münchner Forums und Richter am Bayer. Verwaltungsgerichtshof retd.

Zum Weiterlesen

Chronologie des Bürgerwiderstands in der Stadt Salz-burg, zusammengestellt von der Aktion Grünland Salz-burg: http://www.fnz.at/fnz/docs/U-Liste_2_050721.pdf

Martin Wittmann, Planschen bei Paris. Center Parcs und der Disney-Konzern treiben in Frankreich die Renatu-rierung des urbanen Menschen voran in: Süddeutsche Zeitung vom 5. Oktober 2017.

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Standpunkte November 2017 - 11

Entlastungsstadt Neuperlach Mut und Rigorosität in der Stadtplanung vor 50 Jahren – ein Modell für heute?helmut steyrer

Vor 50 Jahren hatte München vergleichbare Probleme wie heute: Enormer Zuzug in die Stadt, steigende Wohnungsnot, Notwendigkeit des Handelns. Die Entlastungsstadt Neuperlach bei Mün-chen ist ein Ergebnis dieser Zeit, als die Politik es noch wagte und die Stadtgesellschaft akzeptierte, dass in großen Dimensionen gedacht und gehandelt wird: Neuperlach ist das größte geplante Siedlungsprojekt nach dem zweiten Weltkrieg in der damaligen Bundesrepublik Deutschland.

Es kamen zusammen der Aufbruchsgeist der Wirt-schaftswunderzeit und ein Leitbild für die städte-

bauliche Entwicklung, das damals vielfach Konsens war: Licht, Luft, Sonne, großzügiges Grün einerseits als Gegenmodell zu den „Glasscherbenvierteln“ in München wie z.B. Haidhausen oder Westend, den grauen, engen, von städtebaulichen Missständen gezeichneten Gründerzeit-Quartieren, wo die Men-schen in schlechten Wohnungen lebten.

Darum: Raus aus der düsteren, alten Stadt in die neue Stadt mit großzügigen Wohnungen, bei er-schwinglichen Mieten, Befreiung, Aufbruch-Stim-mung, Wohnqualität als Lebensqualität. Es sind vor allem die ersten Bauabschnitte Neuperlach-Nord und -Nordost, in denen in konsequenter Haltung die seinerzeit gewünschte „Stadtlandschaft“ realisiert ist: Zur bestmöglichen Besonnung der Wohnungen dient eine strenge Nord-Süd oder Ost-West-Ausrichtung der vielgeschossigen Gebäudezeilen, wobei große offene Freiräume zwischen den Gebäuden eine radi-kale Abkehr von der geschlossenen Form der traditi-onellen, steinernen Stadt bedeuten.

Das städtebauliche Leitbild der 1960er Jahre hatte

neben Licht, Luft, Sonne allerdings auch die Vorstellung der „autoge-rechten Stadt“ im Rucksack dabei. Das heißt: Ein leistungsfähiges Schnellstraßennetz verbindet die Quartiere einerseits, zerschnei-det sie andererseits, so dass der Zusammenhang der Stadt nicht mehr erkennbar wird und große Quartiersinseln entstehen, die mit Fußwegbrücken verbunden wer-den müssen. Diese Stadtbrücken sind ein typisches und prägendes Element in Neuperlach-Nord. Man erlebt die Stadt nicht aus einer ge-sammelten Perspektive, sondern als Fußgänger/ Radfahrer ganz anders

als beim Autofahren – Folge einer gewollten Ver-kehrsentmischung, die dazu führt, dass ungestörte Fußwegbeziehungen durch ruhige große Freiräume, die inzwischen sehr schön begrünt sind, unwirtliche Schnellstraßen-Abschnitte kreuzen. Aus der Brü-ckenperspektive wird die Entmischung der Stadt augenfällig.

Neuperlach war ursprünglich für 25.000 Wohnun-gen und 80.000 Bewohner geplant. Tatsächlich leben heute 50.000 Menschen in Neuperlach, das von der Grundidee eine eigenständige Stadt neben der Stadt werden sollte, mit Wohnen und Arbeiten verknüpft, eigenen sozialen, kulturellen Einrichtungen, mit der Option sogar, Kaufkraft aus München abzuziehen: Wenn die Giesinger und Harlachinger „wir fahren in die Stadt“ sagen, sollten sie nicht München sondern Neuperlach meinen! Und damit nicht genug: Neben Neuperlach sollten noch weitere Trabantenstädte in der Region entstehen, um München vom Sied-lungsdruck zu entlasten! Das überdimensionierte Schnellstraßennetz ist auf diese Weiterplanung, die nie kam, ausgelegt. Ein direkter und leistungsfähi-ger Anschluss des öffentlichen Nahverkehrs an die

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Im Wohnring

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Standpunkte November 2017 - 12

Kernstadt München war allerdings auch Grundvoraussetzung für Neuperlach.

Auf der Grundlage eines detaillierten Leitbildes wurde 1968 ein städtebaulicher Wettbewerb ausgelobt, bei dem Architekt Lauter mit dem 1. Preis ausgezeichnet wurde. In der Zeitschrift Baumeister 10/68 werden dem 1. Preisträger Tenden-zen zur Monumentalität zugeschrieben, fast magische Symbolkraft wird dem Entwurf attestiert. Es seien Versuche, ei-ner in Auflösung begriffenen Gesellschaft äußeren Halt und scheinbare Orientie-rung zu geben. Gemeint ist damit die Großform des Wohnrings, der tatsächlich ausgeführt wurde und zu einem geschlos-senen Kreis von bis zu 18 Wohngeschos-sen aufragt – ein beeindruckendes und weithin sichtbares Zeichen des damaligen Verständnisses von Städtebau.

Die große Form des Wohnrings war von Beginn an umstritten und fand keine vergleichbare Fortsetzung bei den weiteren Überplanungen und Verände-rungen des städtebaulichen Konzepts von Neuperlach. Die weitere Entwicklung Neuperlachs führte zu einer niedrigeren, im Maßstab überschaubaren Blockrand-bebauung mit erkennbar getrennten öf-fentlichen und privaten Freiräumen und gemeinsam genutzten Straßenräumen in

Wirkung dieser großen Form war ich beeindruckt. Wohl wissend, dass hier eine wesentlich dichtere

Nutzungsmischung von sozialen und kulturellen Ein- richtungen, wie Konzertsaal und Stadtbibliothek, kommen sollte, die nie realisiert wurde. Hier, wo das Herz Neuperlachs schlagen sollte, herrscht heute Beschaulichkeit. Mein Gedanke: Damals haben sie diesen großen Wurf einfach gemacht und dann fallen gelassen. An diesem Aufstieg und Fall krankt Neuperlach noch heute, es war für Jahrzehnte aus der Aufmerksamkeit der Stadt entschwunden. Anders ist es nicht begreifbar, dass auf dem zentralen Hanns-Seidel-Platz bis heute keine angemessene Nutzung realisiert wurde.

Ob ein solch wagemutiges Großprojekt mit einer Großform in der heutigen Zeit intensiver Bürgerbe-teiligung, vieler Abwägungsprozesse und der ver-zagten Politik überhaupt noch durchsetzbar wäre? Ein Stadtplaner aus Berlin, der mich begleitete, ein Spezialist für Großsiedlungen im Osten, sagte beim Blick auf die aufgehenden Fassaden des Wohnrings: „Das sieht aus wie in Moskau“. Es war nicht nur ne-gativ gemeint.

Die Funktionsmischung von Wohnen und Arbeiten

den nächsten Bauabschnitten von Neuperlach-Süd. In nur 20 Jahren wurde diese radikale Abkehr von der ursprünglichen Stadtidee vollzogen!

Der „autogerechten Stadt“ war schon Ende der 60er Jahre die Luft ausgegangen, München hatte sich von dieser Leitidee verabschiedet. So wirkten bald das Schnellstraßennetz von Neuperlach und auch eine große städtebauliche Geste wie der Wohnring aus der Zeit gefallen.

Kaum zu glauben auch, wie sich nach 50 Jahren die Wertschätzung geändert hat: Die ehemals trostlo-sen Innenstadtlagen sind heute beste Wohnadressen, Wohnen in der Trabantenstadt ist – angeblich – von minderer Qualität.

Wie ist der Blick von heute auf dieses bemer-kenswerte Neuperlach? Dazu unternahm ich eine Begehung und kam mit subjektiven Eindrücken zurück: Im Inneren des Wohnringes stehend, in diesem riesengroßen, auto-freien Rondell mit niedrigen Gebäuden und hohem Baumbestand, der nur beschränkt den Blick auf den entfernten Bogen der Wohnhochhäuser freigibt, wird die Illusion eines Landschaftsparks möglich. Von der

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Brücke über die Ständlerstraße

Perlacher Einkaufspassagen (PEP)

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Standpunkte November 2017 - 13

war zentrales Anliegen der Planung Neuperlachs. Erkennbar wird das nicht nur am wohnortnahen Einzelhandel, sondern auch an den Standorten großer internationaler Konzerne, die sich unmittelbar be-nachbart zu den Wohngebieten mit teils ansprechen-der Architektur niedergelassen haben.

Überquert man vom Zentrum kommend per Brü-cke die verstörende Autobahnwelt der Ständlerstraße Richtung Norden, fällt auf, dass die Freiräume zwi-schen Wohnzeilen zwar nicht gefasst, aber frei von Zäunen sind. Neuperlach ist eine ziemlich zaunfreie Stadt, insofern ein sympathisches Gegenmodell zu heutigen „gated communities“.

Diese Offenheit hat ihren Preis: Aus meiner Fuß-gängerperspektive hat die Abfolge ineinanderflie-ßender offener Räume eine Erlebnisqualität. Es gibt aber keine Fixpunkte der Unverwechselbarkeit für Begegnungen und Verweilen im öffentlichen Raum. Die großen Flächen des sog. Abstandsgrüns vor den Wohnzeilen schaffen im wahren Wortsinn Abstand der Bewohner zu ihrer Stadt. Nach heutigen Maß-stäben ist das keine Urbanität. Vor 50 Jahren sahen das die Fachleute anders: Neuperlach sollte ein Ort

städtischen Lebens in urbaner Atmosphä-re werden. Es ist faszinierend, an diesem Ort zu sehen, wie schnell angeblich gesi-cherte städtebauliche Ideen und Utopien einander ablösen. So gesehen ist Neu-perlach von Nord nach Süd ein gebautes Tagebuch aus einer städtebaulichen und gesellschaftlichen Umbruchzeit.

Zum Schluss meiner Begehung erwar-tet mich ein Höhepunkt: Am nördlichen Ende Neuperlachs gibt es einen Stadt-rand, einen befreiend großen Land-schaftspark, der wiederum zu den großen Gesten der Gesamtplanung gehört. In der Weite dieses Ostparks, am kleinen See, ist Aufatmen und Ruhe möglich, nur die Spitzen der Wohnhochhäuser sind fern über dem dichten Baumbestand zu sehen.

Soweit meine Impressionen, aber nun zum Wesentlichen:

Wie sehen die Menschen, die in Neuperlach wohnen, ihre Stadt selbst?Es gibt in Neuperlach eine viel größere Wohnzufriedenheit, als es die kritischen Bewertungen von außen erwarten lassen. In den Wohnhochhäusern gibt es gute Wohnungsgrundrisse mit familienge-rechten Wohnungen und in den höheren Geschossen einen unverbaubaren Al-penblick, von dem manche Immobili-

enmakler im Hochpreissegment Münchens träumen könnten.

Positiv wird von den Neuperlachern beispielhaft die Existenz von Bewohnergärten, die Nähe zum Umland, die grundsätzlich gute Infrastruktur und die fußläufige Erreichbarkeit aller wesentlichen Einrich-tungen bewertet.

Ein Ärgernis für viele ist das schlechte Image von Neuperlach: Es stammt aus der Zeit in den 80er Jah-ren, als es Drogen- und Kriminalitätsprobleme gab, die im Zusammenwirken der Neuperlacher selbst gelöst wurden. Heute ist Neuperlach ein Münchner Stadtteil mit unterdurchschnittlicher Kriminalitäts-belastung. Solche Erfolge haben das Wir-Gefühl und die Neuperlacher Identität gestärkt. Auch der hohe Anteil an Bewohnern mit „Migrationshintergrund“ wird von vielen Neuperlachern als Bereicherung er-lebt und weniger als Problem. Daraus erwächst, bei 120 verschiedenen Nationen in der neuen Stadt, eine bunte Vielfalt an Vereinen und Initiativen.

Aus Sicht sowohl der Bewohner als auch aus Sicht des Bezirksausschusses und des Stadtrats besteht allerdings Handlungsbedarf, um Neuperlach in eine

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Im Wohnring

Brücke über die Ständlerstraße

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Standpunkte November 2017 - 14

gute Zukunft zu führen: Nach Jahrzehnten bedürfen einige Gebäude einer gründlichen Modernisierung, zugleich sind aber viele ältere, oft alleinstehende Mieter und große Familien auf bezahlbaren Wohn-raum angewiesen. Immer mehr wird das zum Pro-blem, weil in den nächsten Jahren viele Sozialwoh-nungen aus der Bindung fallen werden. Das bedeutet für viele ärmere Haushalte, die es in Neuperlach gibt, dass sie sich bei steigenden Mieten ihre Wohnung nicht mehr leisten könnten. Dem entgegenzuwirken wird eine dringende Aufgabe der Stadt sein, erst recht nachdem sie 2016 beschlossen hat, in Neuper-lach vorbereitende Untersuchungen zur Ausweisung eines Sanierungsgebietes einzuleiten.

Notwendig sind erweiterte Modelle für das Woh-nen im Alter, überfällig ist die Modernisierung öffentlicher Spielplätze und die Instandsetzung der 20 Jahre lang vernachlässigten Schulbauten, um nur einige Punkte zu nennen, die die Neuperlacher drücken.

Es sollte jedoch Aufgabe der Stadtsanierung sein, die positiven Aspekte zu würdigen und zu stärken und damit Image und Wertschätzung für Neuperlach zu verbessern.

Noch eine Anmerkung zum zukünftigen Sa-nierungsgebiet Neuperlach Das Besondere an Neuperlach ist, dass es ein nicht unerhebliches Potenzial an Nachverdichtung hat, vor allem entlang der überdimensionierten Ständlerstra-ße durch Straßenrückbau, aber auch in den Quartie-

ren nach sorgfältiger Abwägung. Begleitend mit dem dringend benötigten Wohnungsbau wird die Infra-struktur wachsen müssen, und auch deren Flächen-bedarf ist zu berücksichtigen. Dabei geht es nicht nur um das Ergänzende, auch Defizite in der bestehenden Infrastruktur sind im Zuge der Nachverdichtung aus-zugleichen. Das ist auch nötig, um die Akzeptanz für eine Nachverdichtung bei der angestammten Bewoh-nerschaft zu erhöhen.

FazitDie Trabantenstadt Neuperlach hat über Jahrzehnte im Schatten der städtischen Aufmerksamkeit gelebt. Zum 50. Jubiläum 2017 entdeckt die Stadt ihr unge-liebtes Kind und auch die Tatsache, dass die Neu-perlacher sich inzwischen selbst geholfen haben, um den Stadtteil zu ihrer Heimat zu machen. Jetzt wird tatsächlich im Zentrum Neuperlachs am Hanns-Sei-del-Platz eine angemessene Bebauung entstehen, die für den Stadtteil von Wert und Bedeutung ist. Diese Renaissance macht Mut. Schließlich sollte überlegt werden, ob die Gründung einer neuen Stadt neben der Stadt nicht auch heute ein Ansatz wäre, um die galoppierende Wohnungsnot in der Stadt und Region München aufzufangen.

Helmut Steyrer ist Architekt, war ehrenamtlicher Stadtrat der Landeshauptstadt München 1990 bis 2002, bis zum Ruhestand 2012 Geschäftsführer der städtischen „Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung“ (MGS) und von 2013 bis 2015 Vorsitzender des Programmausschusses des Münchner Forums

Ökologisch Planen und BauenKarl hofmann

Ökologie ist die Lehre vom Haushalt der Natur. Sie eröffnet die Erkenntnisse von den Zusammen-hängen und der Eigendynamik der Natur. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Element der Ökologie. Naturvölker wie die Ureinwohner von Australien haben seit jeher nach den Grund-sätzen der „Permakultur“ gewirtschaftet.

Ökologie ist die Lehre vom Haushalt der Natur. Sie eröffnet die Erkenntnisse von den Zusam-

menhängen und der Eigendynamik der Natur. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Element der Ökologie. Naturvölker wie die Ureinwohner von Australien haben seit jeher nach den Grundsätzen der „Permakultur“ gewirtschaftet.

Diese Grundsätze können zum großen Teil in die Disziplin des Planens und Bauens übertragen werden und stellen eine der herausragenden Forderungen für eine zukunftsfähige Entwicklung dar.

Schon im Jahre 1982 hat das Umweltbundesamt in einem 360 Seiten umfassenden Werk „Ökologisches Bauen“ (Bauverlag Wiesbaden/ Berlin) die fachli-chen Grundlagen für diese neue Disziplin geschaf-fen.

Im Jahr 1997 spannt Günter Kretzschmar mit sei-nem Buch „Städte zum Wohlfühlen. Bauen für eine lebenswerte Zukunft“ (im Eigenverlag) den Bogen zur Realisierung mit der Darstellung der fachlichen und planerischen Anforderungen bis hin zum Proto-typen des ökologischen Bauens in Modellform.

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Standpunkte November 2017 - 15

http://muenchner-forum.de/wp-content/uploads/2017/10/01_flyer_850_Jah_MUC_Nachhaltig_Planen-1.pdf

Die Initiative Münchner Architektur und Kultur (AKU) hat in Zusammen-wirken mit erfahrenen Fachleuten die „Grundsätze für ökologisches Bauen“ aufgestellt (siehe gelber Kasten).

Architekt Theodor Henzler hat erfreu-licherweise eine Reihe von Baugebieten schon realisiert und das im Jahre 1979 mit Prof. Konrad Lorenz entstandene „Stadtökologische Manifest“ in die Tat umgesetzt.Stadtökologisches Manifest der Gruppe Ökologie unter Konrad Lorenz von 1979: http://muenchner-forum.de/wp-content/uploads/2017/10/04_Text-Stadtökologi-sches-Manifest.pdf

Grundsätze für ökologisches Bauen Das Wesen der „ökologischen Planung“ besteht in der Optimierung technischer und ökologischer Aspekte in Sinne eines „vernetzen Denkens“, wie dies Dr. Frederic Vester für alle Lebensbereiche, für Gesellschaft, Politik und Wissenschaft gefordert hat.Für die „ökologische Planung“ vor allem bei Planung von Wohnraum wurden im Zusammenwirken mit maß-gebenden Fachleuten folgende Kriterien entwickelt:

Die Planung soll- Möglichkeiten für eine konzentrierte Besiedlung auf-

zeigen, um einer weiteren Vergeudung freier Land-schaft vorzubeugen und Grünflächen im Planungsbe-reich zu ermöglichen;

- eine Optimierung der aktiven und passiven Sonnen-energie-Nutzung bewirken;

- ein attraktives Wohnumfeld und eine Naherholungs-fläche im engeren räumlichen Zusammenhang aufweisen;

- Wohnen und Arbeiten ortsnah integrieren, um den Berufsverkehr zu reduzieren;

- den Erschließungsverkehr möglichst störungsfrei abwickeln, wenn darstellbar unterirdisch.

Einen Überblick über den Stand ökologischer Planun-gen bot unsere Bürgerinitiative zur 1250-Jahr-Feier der Landeshauptstadt München im Jahre 2008. Der Prospekt dieser Veranstaltungsreihe ist unter www.bi-muenchen.de eingestellt.Wir fordern, dass bei städtebaulichen Wettbewerben diese Kriterien als Planungsvorgabe eingestellt werden! 18.11.2014

Initiative Münchner Architektur und Kultur (AKU)www.bi-muenchen.de in Stadtbild Deutschland e.V.

Dr. Karl HofmannEmail: [email protected]

Zum WeiterlesenGünter Kretzschmar: Städte zum Wohlfühlen – Bauen für eine lebenswerte Zukunft, ISBN 978-3-00-025177-1, [email protected]

Eine besonders überzeugende Ökoplanung ent-stand im „Cherbonhof“ am Rande der Stadt Bamberg (Bild rechts).

Weitere realisierte „Landschaftssiedlungen“ finden sich auf der Homepage des Büros für ganzheitliche Planung www.ganzheitliche-architektur.de .

Leider hat die ökologische Planung noch keine Breitenwirkung entfaltet. Dies dürfte zusammenhän-gen mit der Notwendigkeit einer allumfassenden Er-fassung von Grundlagen und einer ebenso umfassen-den Abwägung und Optimierung von Aspekten. Dr. Frederic Vester hat schon frühzeitig auf die Defizite

an vernetztem Denken in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft hingewiesen.

Zielführend könnte sein, wenn die Planungsträger schon bei den Planungsvorgaben die Einhaltung der Grundsätze für ökologisches Bauen einfordern. Die Perspektiven der Ökologie könnten so auch ein wertvolles Element zu innovativen Lösungen in der Architektur sein.

Dr. Karl Hofmann ist Vorsitzender der Initiative Münchner Architektur und Kultur (AKU)

„Cherbonhof“ am Rande der Stadt Bamberg,

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Stadtratshearing zur Münchner StadtplanungspolitikWohnen, Freiraum, Mobilität…nazife ayaydin

… das waren die Schlagworte, die beim öffentli-chen Stadtratshearing am 5. Juli dieses Jahres am häufigsten fielen. Unter Vorsitz von Oberbürgermeis-ter Reiter waren die Stadträte eingeladen, über das Thema „Gestaltung des Wachstums“ einen halben Tag lang zu diskutieren. Wissend, dass Diskussionen zum Wachstums-Thema schnell ausufern, wurde auf das Thema Wohnen fokussiert.

Nach der Begrüßung und Eröffnung durch OB Reiter legten zwei Impuls-Vorträge die Leitlinien für die nachfolgende Debatte. Den Anfang machte die Stadtbaurätin, Prof. Dr. Elisabeth Merk. Sie warf die Frage auf: „Wie gestalten wir innovatives Wachstum mit Qualität?“ und bot Antwortfacetten zur Münch-ner Situation an. Prof. Dr. Klaus Overmeyer von Urban Catalyst aus Berlin referierte anschließend über den kreativen Umgang mit Wachstum und be-legte diesen an Beispielen aus anderen europäischen Städten. – In der anschließenden Aussprache zeigten sich fraktionsübergreifend in vielen Sachverhalten Übereinstimmungen, aber auch Differenzen.

Kann man Wachstum steuern?Einig war man sich, dass Wachstum per se nur

bedingt beeinflussbar oder gar steuerbar ist, unab-hängig davon, ob es sich um Wirtschafts- oder um Bevölkerungswachstum handelt. Kritische Äußerun-gen fielen zu Prognosen über Verkehrs- oder Kon-junkturentwicklungen; Voraussagen darüber seien aufgrund der globalen Vernetzung äußerst schwer zu treffen.

Einig zeigte man sich auch beim Thema Woh-nungsbedarf. Es wurde darauf hingewiesen, dass man diesen niemals vollständig decken könne, jedoch ließe sich die Erhöhung der Wohnungskapa-zität so beeinflussen, dass Pendlerströme nicht weiter anwachsen, um so den Verkehr zu entlasten. Einig war man sich auch, dass Wohnungsbau und der Aus-bau der Infrastruktur miteinander verzahnt werden müssen.

Unter Verweis auf die Entwicklungssituation der Londoner Innenstadt stimmte man überein, dass man solche Verhältnisse für München nicht wolle. Statt auf Hochhäuser zu setzen, die in keiner Weise den Wohnungsbedarf breiter Bevölkerungsschichten decken würden, sollte man sich eher am gesellschaft-lich maximal Akzeptierbaren und wirtschaftlich Umsetzbaren orientieren. Dies sei am besten mit Wohngebäuden von bis zu acht Stockwerken zu

realisieren. Alles, was über dieses Maß hinausgehe, würde die Wohnkosten wieder steigen lassen, so dass darüber zwar Wohnungen für Besserverdiener entstünden, aber nicht für solche Arbeitnehmer in Haushalten und Einkommensgruppen, die täglich hunderte Kilometer zurücklegen müssen, um zu ihren Arbeitsplätzen zu gelangen, oder die mit ihren Familien mit viel zu kleinen Wohnungen vorlieb nehmen müssen, weil sie sich in München keine Wohnung in benötigter Größe leisten können.

In der Debatte über die Gestaltung des Woh-nungswachstums fielen Schlagworte wie „urban“, „kompakt“, „Mobilität“, „Freiraum“. Man war sich einig, dass Quantität, also das rein zahlenmäßige Wohnungsbauvolumen, allein nicht ausreicht, wenn es darum geht, auch soziale Probleme in bestimmten Vierteln zu bewältigen.

Damit sich die Bevölkerung mit der Nachverdich-tung arrangieren kann, sei es notwendig, Polyzentra-lität zu fördern, damit die jeweiligen Viertel wieder neu belebt werden und man zur Nahversorgung nicht mehr Versorgungseinrichtungen in anderen Vierteln quer durch die Stadt aufsuchen muss.

Bei der Nachverdichtung von Stadtvierteln sol-le auch garantiert werden, dass die Freiräume und Naherholungsbereiche erhalten bleiben und dass die benötigten sozialen und verkehrlichen Infrastruktu-reinrichtungen ausgebaut werden. Nur so könnten die Bürgerinnen und Bürger dazu angehalten wer-den, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, um das motorisierte Individualverkehrsaufkommen zu reduzieren, so dass im besten Falle nicht mehr benö-tigte Verkehrsflächen auch für die Nachverdichtung genutzt werden können. Nur unter diesen Voraus-setzungen werde die Bevölkerung den Bauvorhaben wohlwollend gegenüberstehen.

Fast ausnahmslos einig war man sich, dass es eine Neuauflage eines Stadtentwicklungsplans geben muss, welcher im Idealfall auch die Region um Mün-chen mit umfasst, um Wachstum und Schrumpfun-gen so weit wie möglich regulieren zu können.

Die vollständige Niederschrift des Stadtratshearing vom 5. Juli 2017 finden Sie unter dem Link:http://muenchner-forum.de/wp-content/uploads/2017/10/Stadtratshearing_kompakturbangrün05-07.pdf

Nazife Ayaydin ist Studierende der Geographie (B.Sc.) an der Universität Augsburg und derzeit Praktikantin im Münchner Forum.

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Museum Biotopia im Schloss NymphenburgPräsentation des überarbeiteten Entwurfs für den Erweiterungsbauudo bünnaGel

In der Juli-Ausgabe der standpunKte berichteten wir über den Erweiterungsbau des Museums Biotopia, der im Schloss-Ensemble von Schloss Nymphenburg geplant ist. Ausgangspunkt der Diskussion war der Wettbewerbs-Entwurf von Staab Architekten Berlin, ein fensterloser Sichtbe-tonbau, der zwei überdimensional große Öffnungen an der Maria-Ward-Straße und zum Park hin vorsieht. Dieser würde das seit 1719 bestehende Ensemble der 632 Meter langen Ostfront von Schloss Nymphenburg wesentlich stören, ja zerstören.

Elke Wendrich und Neven Denhauser haben dies dem Bezirksausschuss (BA) Nymphenburg/ Neu-

hausen vorgetragen und somit einer größeren Öffent-lichkeit und uns bewusst gemacht. Seitdem leisten Denkmalschützer und interessierte Bürger fundierten Widerstand. Uns war wichtig, in den standpunKten auch den Befürwortern des Neubau-Entwurfes eine Stimme zu geben. Wir baten darum die Museums-leitung, ihrerseits zu dem Entwurf von Staab Archi-tekten Stellung zu nehmen. Ungeachtet der aulichen Zusammenhänge reden sie von einem Bau am Schloss Nymphenburg. Die Verortung „am“ impli-ziert, dass es sich um einen Erweiterungsbau neben dem Schloss-Ensemble handelt, also ohne wirkliche Bindung zum Schloss-Ensemble. Dies ist aber falsch. Hierdurch wurden letztlich die unterschiedlichen Auffassungen deutlich. Beachtenswert ist auch, dass es sich bei den prämierten Referenzbauten von Vol-ker Staab wie dem Eingangsgebäude neben der Villa Wagner in Bayreuth und den Bürobauten neben dem Maximilianeum stets um Bauten neben Denkmälern, nicht um Ergänzungsbauten in einem Denkmalen-semble handelte. Als Frage bleibt darum, wie geht man mit Denkmälern von europäischem Rang wie Schloss Nymphenburg, ja mit berechtigten Anliegen der Denkmalpflege letztendlich um.

Die Präsentation des überarbeiteten Entwurfes des Erweiterungsbaus des Museums Biotopia am 18. September 2017 interessierte so viele Bürger, dass sie statt im Vortragssaal des Museums im Huber-tussaal des Schlosses erfolgen musste. Professor Volker Staab erläuterte die räumliche Neuorganisati-on des Museums, die Überarbeitung des Grundrisses und stellte die Fassaden vor, die am meisten interes-sierten. Fazit: Man hat sich bewegt – aber nur wenig und auch nur halbherzig.

Architekt und Museumsleitung wollen nicht akzeptieren, dass die äußeren Flügel des Schlosses, Kapuzinerbau im Norden, Schwaige im Süden, in

der Hierarchie des Schlosses untergeordnet waren. Die Höhen sind geringer, die Details einfacher, die Farbgebung ist eine andere. Diese äußeren Flügel hatten dienende Funktionen. In der sogenannten Schwaige waren Nutzungen für den Unterhalt mit Handwerkern und Personal, im Kapuzinerbau die Seelsorger und Lehrkräfte untergebracht. Will man das Ensemble erhalten, darf diese Hierarchie nicht in Frage gestellt werden. Folglich darf auch der Neu-bau für die Museumserweiterung an der Stelle des ehemaligen Kapuzinerbaues (jetzt ehem. Genetik-Institut) keine Gestaltung haben, die diese Hierarchie des Schloss-Ensembles aufhebt. Es sei denn, das Schloss-Ensemble spielte keine Rolle mehr.

Hauptsächlich betrifft dies die 632 Meter lange Ostfront des Schlosses; denn sie ist, wenn man vom Nymphenburger Kanal auf das Schloss zugeht, vom gesamten Schloss-Rondell aus zu sehen und zu erfas-sen, so alle Baukörper mit den Dächern und Traufen, und bei den äußeren Flügelbauten zumindest auch Teile der Fassaden. Denn der Entwurfsgedanke Josef Effners und die seines Bauherrn Kurfürst Max Ema-nuel war, durch die beabsichtigte Symmetrie der Ost-front und die Länge der Gesamtanlage die kurfürst-liche Macht zu repräsentieren. Dies ist auch Volker Staab bewusst, zeigte er doch die Schloss-Anlage in einer Darstellung ohne das Schloss-Rondell aus dem 18. Jahrhundert, die dies deutlich macht. Steht man nun zu dieser gelebten bayerischen Geschichte oder will man sie negieren?

Die überarbeitete Fassade der Ostseite des Neu-baus konterkariert aber diese beabsichtigte Wir-kung. Man will eben nicht bescheiden sein, sondern trumpft weiterhin mit einer überdimensional gro-ßen, liegenden Öffnung in der Ostfassade auf. Der Gründungsdirektor bekräftigte noch einmal, dass der neue Eingang vom Rondell aus eine Signalwirkung haben sollte. Dies ist sicher berechtigt, ließe sich aber sicher auch mit einem großen Portal, das zur

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Formensprache der anderen Fassaden eher passen würde, erreichen. In seinem Vortrag erläuterte Staab, dass für das Schloss die achsiale Erschließung seiner Höfe typisch sei. Doch genau dies macht er selbst nicht, wenn Ost- und Westseite des Neubaus fast hälftig aus einem geschlossenen und einem offenen Teil bestehen.

Nun zur Gestaltung der Fassaden. Wichtig für den Gesamteindruck ist vorrangig die Ostfassade. Volker Staab hat sicher auch durch sanften Druck des Amtes für Denkmalpflege die Farbigkeit des Effner-Kon-zeptes, das Gelb und Weiß für die äußeren Flügel-bauten und die Bauten im Rondell, übernommen. Änderungen im Grundriss machten es möglich, im Erdgeschoss hochformatige Fenster vorzusehen, im Bereich der Ostfassade mit den dahinterliegenden Vortragsräumen. Auch auf der Nordseite sind Fenster im EG geplant. Der Rhythmus erschien willkürlich. Wie sie zur Nutzung im EG korrespondieren, die Staab als unabdingbar fordert, konnte nicht erkannt werden.

Im Obergeschoss (OG) sind momentan lamellen-artige Profilierungen geplant, die sehr flächig wirken und deshalb in der Summe eine horizontale Wirkung ergeben, die vom Landesamt für Denkmalpflege nicht gewünscht wird. Da Volker Staab zusammen mit der Museumsleitung noch weiter am Vorent-wurf arbeiten will und im OG an der Ostseite noch Labors situiert werden sollen, sollen auch im OG

MuSe – Museum der Naturwissenschaften Ein Museum vergleichbarer Thematik gibt es in Trient, genannt MuSe – Museum der Naturwissenschaften, ein Licht durchfluteter, sechsgeschossiger Bau von Renzo Piano. (Im Gegensatz hierzu forderte die Wettbewerbs-Ausschreibung für das Museum Biotopia einen fenster-losen Bau ohne Tageslicht. Dies bemängelte auch Volker Staab.) Blickfang im MuSe ist natürlich das große Dinosaurier-skelett, das über zwei Etagen in dem über alle Etagen reichenden Deckenausschnitt aufgehängt ist. Didaktisch hervorragend werden die Themen anhand von Exponaten und Videos, wahlweise in den Sprachen italienisch, englisch und deutsch erklärt. So: Das Auseinanderdriften der Kontinente in den letzten 500 Millionen Jahren auf einer großen Weltkugel, die Entstehung des Lebens durch Ami-nosäuren, die Entwicklung von Pflanzen und Tieren bis hin zu den Säugetieren und deren Vorteile beim Überleben. Die beiden Massensterben, vor 560 Millionen Jahre durch einen Meteoriten und vor 250 Millionen Jahre durch eine Vulkaneruption verursacht, haben jeweils fast 80% aller damals existierenden Pflanzen und Lebewesen vernichtet. Dies und die Folgen hiervon werden anschaulich in Videos dargestellt. Interessant auch die Entwicklung des homo Neanderthalis und des homo sapiens, der Entwicklung vom Sammler und Jäger hin zum Ackerbauer, der heuti-gen Flora und Fauna der Dolomitenregion und teilweise auch der aus Afrika, zudem mit einem begehbaren, real wachsenden Regenwald. Sie alle werden anschaulich durch Exponate, Videos und entsprechende Akustik (Tier- und Vogelstimmen) präsentiert. Neue Forschungen über die DNA und die Gentechnik feh-len ebenso wenig wie Geschicklichkeits- und Knobelspiele, die nicht nur den Kindern, die in kleinen Gruppen am Boden sitzend den Erklärungen lauschen, sondern auch den Erwachsenen eine Verschnaufpause gönnen. Der Autor verließ das Museum erst nach fünf Stunden, weil dann die Konzentration nachließ. Erstaunlichstes Fazit nach diesem Besuch: Nicht der Intelligenteste, nicht der Stärkste sondern derjenige, der sich am besten an die Umweltbedingungen anpassen kann, hat die größten Überlebenschancen. (UB)

MuSe – Museum der Naturwissenschaften, Trient

Fenster eingeplant werden. Dann ergäbe sich die Möglichkeit, Fassaden mit einem Rhythmus von Öffnungen und geschlossenen Flächen zu gestalten, die der Rhythmisierung der vorhandenen Fassaden angenähert wären, aber auch in einer modernen Formensprache und mit heutigen Details ausge-führt werden könnten. Damit diese Ostfassade nicht wie „eine Tapete“ (Staab) wirkt, könnte eine solche Rhythmisierung auch bei den anderen Fassaden variiert und weitergeführt werden. Damit erhielte der Baukörper auch insgesamt seine Dreidimensionalität, die Staab mit Recht anstrebt.

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Ein Erfolg für den Generalkonservator, Prof. Matthias Pfeil, ist die Verwendung von Ziegelpfan-nen für die Dachdeckung statt der bisher vorgesehen Metalldeckung. Wie formulierte es in der Diskussion der Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper: „Man ist auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am

Ziel.“ Auf die Präsentation der kommenden Überar-beitung darf man gespannt sein.

Udo Bünnagel ist Architekt und Stadtplaner. Er leitet den Arbeitskreis Kulturbauten und ist 2. Vorsitzender im Verein Münchner Forum.

Nymphenburg: Denkmalschutz mit zweierlei Maß?doris fuchsberGer

Zu Beginn der 1960er Jahre entstanden im nördlichen Bereich von Schloss Nymphenburg Neubau-ten, die Zerstörungen der Nationalsozialisten ersetzen sollten. 1937 war der Orden der Englischen Fräulein (seit 2004 in Congregatio Jesu umbenannt) enteignet worden, um hier das „Deutsche Jagdmuseum“ einzurichten. Eine Entkernung bzw. der Abriss von Teilen des Nordflügels war die Folge. Die Klosterfrauen verloren ihre Kirche, Internats-, Wohn- und Schlafräume sowie ihre Ver- sorgungseinrichtungen. Sie kamen notdürftig in ihrem Schulhaus unter, das von 1940 bis 1950 zum Hilfskrankenhaus umfunktioniert war. Ab 1960 entstanden im Klostergarten nördlich des Schulhau-ses Neubauten nach Plänen des renommierten Architekten Prof. Josef Wiedemann. Diese umfassen erd- bzw. dreigeschossige Konventbauten mit Flachdächern sowie eine mit kreisförmigem Faltdach gedeckte Kloster- und Institutskirche, die wie ihr Vorgängerbau im Nordflügel des Schlosses der Hl. Dreifaltigkeit geweiht wurde.

Der ursprünglich von den Or-densfrauen genutzte Kapu-

zinerbau im äußersten Norden der Schlossanlage war im Sommer 1939 für einen Erweiterungsbau des Deutschen Jagdmuseums abge-brochen worden. Mit Kriegsbeginn stockte das Bauvorhaben. Auf der brachliegenden Fläche entstand ab 1963 das Institut für Genetik. Der Neubau lehnte sich aus Gründen der Symmetrie im Einvernehmen mit der Bayerischen Schlösserver-waltung äußerlich an den zerstörten Ursprungsbau und seinem Pendant im Süden an. Die Planung über-nahm Albin Steininger, der sich einen hervorragenden Ruf mit dem Bau der Pharmazeutischen Institute an der Karlstraße/ Katharina-von-Bora-Straße erworben hatte.

Die beiden Neubauvorhaben im Norden von Schloss Nymphenburg entstanden also zeitgleich. Beide Male waren Architekten am Werk, die herausragende Leistungen vor-

Der Bayerische Denkmalatlas zeigt geschützte Gebäude in Pink wie die vereinzelten Formen oben: Wohngebäude und Kirche der Congregatio Jesu. Die geschlossenen Flä-chen links zeigen den Botanischen Garten, darunter das Schlossareal. Dazwischen in hellbraun die entnommenen Teile des Instituts für Genetik. (Stand September 2017).

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weisen konnten. Beide Gebäudekomplexe waren als Denkmäler aufgelistet. Ende 2016 wurde das Institut für Genetik aus dem Bayerischen Denkmalatlas ge-strichen, ebenso ein Teil des ehemaligen „Deutschen Jagdmuseums“. Dies geschah, um hier einen Erwei-terungsbau des bestehenden Museums Mensch und Natur (biotopia) zu errichten.

Die knapp 60 Jahre alten Wohngebäude der Con-gregatio Jesu unterliegen jedoch nach wie vor dem Denkmalschutz. Strenge Auflagen machen es den Ordensfrauen unmöglich, ihre beiden Wohngebäu-de im Inneren an die heutigen Bedürfnisse anzu-gleichen. Bereits in den 1960er Jahren führte die extreme Kleinräumigkeit der Klosterzellen dazu, dass einige der Nonnen lieber in Dachzimmern des Schulhauses wohnten. Die schlechte Isolierung der Neubauten und wiederholte Undichtigkeiten an den Flachdächern minimieren seit Jahrzehnten den Wohnkomfort – genau wie die knapp bemessenen Etagenduschen und die (wenigen) gemeinsamen Toiletten. Dem Orden mangelt es an Nachwuchs. Es wäre einfach gewesen, die Innenräume an veränderte Lebensgewohnheiten anzupassen bzw. zusammenzu-legen. Genau das wurde der Congregatio Jesu vom Landesamt für Denkmalpflege verwehrt. Stattdessen sah sich die Ordensgemeinschaft, die viel Geld für die Versorgung ihrer Alten und Kranken aufwen-det, zu einem Neubau gezwungen. In einem bisher unbebauten Teil des Klostergartens sind momentan

Bagger mit dem Aushub der Baugrube beschäftigt. Es ist ein unnötiger Flächenverbrauch, der Münchens Stadtklima negativ beeinflusst und den Orden unnö-tig belastet. Wie die Nutzung der bald unbewohnten denkmalgeschützten Gebäude aus den 1960er Jahren aussieht, ist derzeit ungewiss.

Doris Fuchsberger, 1961 in München geboren, ist freie Autorin.Im Zentrum ihrer Arbeit steht neben der Kunst- und Kulturge-schichte des 18. und 19. Jahrhunderts die Geschichte ihrerHeimatstadt während der Zeit des Nationalsozialismus.

Baustelle der Congregatio Jesu am der Maria-Ward-Straße. Im Hintergrund die derzeit noch genutzten Wohngebäude der Ordensfrauen (September 2017).

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„Entstehen wird ein Life Sciences- und Naturkundemuseum für das 21. Jahr-hundert …“ – Projektbroschüre Biotopiahans hanfstinGl

Ein Museum für Mensch und Natur muss sich architektonisch ausdrücken dürfen – das steht ihm zu und ist auch zu verlangen. Am geplanten Ort geht dies jedoch nicht: das Schlossensemble und der Park sind 100 Prozent zu respektieren. Erstens deshalb und zweitens andersherum: Durch seine Platzierung in ein bestehendes und nicht anzutastendes Ensemble wird das neue Museum geradezu eingesperrt: in eine schöne Umgebung – die aber nicht passt, weil die Realität im großen Maßstab Jahr für Jahr unromantischer wird.

Die Architektur im weiteren Sinne umfasst alle Gestaltung auf dem Erdboden, in den Bauten

und der Landschaft. Dieses Ausdrucksmittel wird ausgerechnet dem neuen Naturkundemuseum ver-wehrt: es kann sich nicht in einen eigenen, zeitge-mäßen Zusammenhang zur Natur stellen und sein Anliegen auch im Außenraum so deutlich machen,

wie es nur geht. Die Absicht des ersten Entwurfs war es, in dieser

Eingeschränktheit eine Idee zu haben, und daraus wurde entsprechend der vorübergehenden Architek-ten-Mode ein Bruch. Der erste Anblick sollte zeigen: Hier kommt etwas, das über allem anderen steht, das ein Gefüge sprengen darf, das mit einer Art Vorrecht

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der modernen Zeit ausgestattet ist – eine unschöne Geste. Was als Beziehungsstörung in die Welt tritt, soll dann beitragen, die Beziehung Mensch/ Natur zu heilen? Zugleich wird mit dem Abriss des weiter nutzbaren, aber schlechtgeredeten Gebäudeteils dem sehr modernen Gebot der Nachhaltigkeit widerspro-chen.

Der Nymphenburger Schlosspark ist wunderbar. Eigentlich seltsam, er wurde vom naturentfremdeten Adel als künstlich angelegte Naturidylle in Auftrag gegeben. Der Botanische Garten ist wunderbar: als Ort der Sammlung und Pflege tausender Pflan-zenarten für Wissenschaft und Naturunterweisung, angelegt schon vor der Industrialisierung Bayerns. Beide sind nicht: der angemessene Widerpart oder Außenraum eines Mensch- und Naturmuseums des 21. Jahrhunderts. Es kann sich nicht zufriedengeben, sich mit dem 18. und 19. Jahrhundert zu zieren – es ist das 20. Jahrhundert und die Jetztzeit, denen es sich stellen muss! Den Böden in Bayern geht es schlecht, den Insekten, den Bienen, den Vögeln, den Bächen und Wiesen: in Nymphenburg werden ein gezähmtes Stück Natur und eine Sammlung ihrer Arten zur fiktiven Kulisse. Rückzug in eine noch einigermaßen heile Naturwelt, 180 Vogelarten, wie vielleicht nirgends mehr in Bayern – zu schön, um wahr zu sein.

Das Umfeld sollte dagegen die notwendige Arbeit an der Überwindung der heutigen Plünderung der Natur zum Thema haben – als beispielhafte Umset-zung der Erkenntnisse, die im Gebäude auf andere Art dargestellt werden. Wie das nach draußen zu tragen ist, wäre ein spannender Teil der Aufgabe der Museumsmacher. Geeignete Orte wären etwa der BUGA-Park in Riem, ein abgesiedeltes Indus-triegelände im Münchner Norden oder am Rand der heutigen großen Maisfelder: Orte, an denen die Natur Schaden gelitten hat, der wiedergutzumachen ist. Wo mit verschiedenen Ansätzen experimentiert werden kann, wie der Natur ihr Recht zurückgeben

wird; wie es möglich ist, mit ihr zu koexistieren und kooperieren, ohne sie zu vergewaltigen; wie wir ihr wieder Wildheit und Regeneration ermöglichen – und selber weiterle-ben können. Das muss das Muse-um unter freiem Himmel zu zeigen versuchen. Sonst bleibt es Rumpf ohne Gliedmaßen und liefe schon dadurch Gefahr, „verkopft“ zu werden, seinen Bezug zu verlieren.

Der geplante Bruch im Schloss-ensemble ist einer von denen, die niemand braucht. Der wirkliche Bruch, der zu wagen ist, ist der

Bruch mit dem ausbeuterischen Naturverständnis und der Praxis des Industrialismus. Denn das Ver-hältnis Mensch/Natur ist schlecht – weit schlechter, als die Projektbroschüre vermittelt. Und es wird wo-möglich beim Zeitpunkt der Eröffnung noch schlech-ter sein. Ein moderates „Weiter so“ in gewohnter Weise geht nicht mehr. Das verdrängt man halt in Bayern gern oder schiebt alles auf andere.

Auch mit der Wissenschaft, die im Museum großen Raum erhalten soll, hat die Natur ein Problem. Sie hat bisher der Natur mehr Schaden zugefügt als Hilfe geleistet. Die Biowissenschaft darf nicht einfach an dem bedrohlichen Punkt weitermachen, wohin uns Physik und Chemie gebracht haben. Fortschrittseu-phorie plus Profitstreben plus CSU-Politik führen schnurstracks in neue Fehler. Ohne Kontrolle der Industrie, die sich die Ergebnisse der Forschung aneignet, hat die Natur keine Chance. Bewusstes Unterlassen und Zurückgehen stehen neuen Erfin-dungen keineswegs nach.

Mit dem Wissen ist es so: Wir wissen eigentlich schon sehr viel, zumindest darüber, was falsch ist. Nur wird es nicht umgesetzt, weil sonst angeblich der Wohlstand zusammenbricht. Genau dies ist das andauernde Totschlagargument der bayerischen Wirtschaft und Politik. Der entsprechende Kleingeist hat wahrscheinlich das neue Naturmuseum nach Nymphenburg verfrachtet. Nachhaltigkeitsgedanken, Geschichtsbewusstsein und Aufbruchwille bleiben auf der Strecke.

Wenn die zu Recht hohen Erwartungen erfüllt werden sollen, dann muss nicht nur der Bauplan, sondern auch die grundsätzliche Entscheidung für den Ort überdacht werden.

Hans Hanfstingl ist Mediengestalter. Er publiziert den Blog „Aktion gegen den faulen Zauber“ und betreibt die Webseite „www.alte-akademie.de“. Er arbeitet bei den „Altstadtfreun-den“ mit.

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Das Passantenaufkommen in der Münchner Innenstadt Der Einfluss der Ansiedlung der Fünf Höfe, der Hofstatt und der Verkehrsberuhigung der Sendlinger Straßerolf monheim

Das Aufkommen von Passanten in den höchstfrequentierten Einkaufsstraßen, das von führenden Citymaklern wie JonesLangLasalle und Engel & Völkers jährlich an bestimmten Stichtagen für eine bis zwei Stunden erhoben wird, findet in den Medien stets starke Beachtung, zumal wenn man sich, wie München, meist in der Position des Spitzenreiters sieht. Betrachtet man die Zählergebnisse eingehender und berücksichtigt nicht nur die Spitzenlage, so ermöglichen sie aufschlussreiche Erkenntnisse zur Entwicklung des Haupteinkaufsbereichs.

Passanten in den Münchner Hauptgeschäftslagen am Dienstag und Samstag, deren relative Lagewerte und Zunahmen am Samstag gegenüber Dienstag 2001-2017

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Dabei zeigte sich im Rahmen einer Untersuchung der Chancen und Risiken innenstadtintegrierter

Einkaufscenter für die Entwicklung von Innenstädten (Monheim 2017) für München, dass die Ansiedlung der Citycenter Fünf Höfe in der Theatinerstraße (2001/2003) und der Hofstatt in der Sendlinger Stra-ße (2013) den Druck auf die Spitzenlage Kaufinger-/ Neuhauser Straße verringert hat und diese beiden für die Identität der Münchner Innenstadt wichtigen Geschäftslagen gestärkt hat.

Für das Verständnis der „Funktionsweise“ der Hauptgeschäftslagen wichtig ist neben den absolu-ten Zahlen die Relation zwischen ihnen sowie das Verhältnis des Samstags zum Werktag. München ist ebenso wie Frankfurt durch ein sehr starkes Überge-wicht der Spitzenlage (hier unter Zusammenfassung der durchgehenden Lage Kaufinger- und Neuhauser Straße) gekennzeichnet, während z. B. in Essen, Hannover, Düsseldorf, Bremen und Nürnberg der

Abstand zwischen den beiden höchstfrequentierten Geschäfts-straßen wesentlich geringer ist (s. Monheim, Heller 2014: Abb. 7).

In der Kaufingerstraße wurden von Engel & Völkers 2001 am Dienstag 16-18 Uhr im Stun-denmittel 11.491 Passanten und am Samstag 12-13 Uhr 20.668 Passanten gezählt. Die beiden ergänzenden Hauptgeschäftslagen erreichten am Dienstag nur 23 bzw. 25 Prozent des Maximums. Da der Zuwachs am Samstag in der Kau-fingerstraße mit +80 Prozent weit-aus stärker war als in den nächst-folgenden Geschäftslagen mit +47 bzw. +25 Prozent, erreichten

diese am Samstag sogar nur 19 bzw. 18 Prozent des Maximums. Diese Asymmetrie hat sich seither abge-schwächt. 2015 kamen Theatinerstraße und Sendlin-ger Straße durch ein höheres eigenes Aufkommen und ein schwächeres Maximum am Dienstag auf 42 bzw. 37 Prozent und am Samstag auf 44 bzw. 42 Prozent des Spitzenwertes. 2016 stieg der Spitzen-wert gegenüber dem Vorjahr bei Verlagerung inner-halb dieser Lage am Samstag um knapp ein Viertel, während die Theatinerstraße etwa gleich viele und die Sendlinger Straße 15 Prozent weniger Passanten anzogen und dadurch nur noch 36 bzw. 29 Prozent des Maximums erreichten. 2017 lag der Spitzenwert am Dienstag um 6 Prozent und am Samstag um 14 Prozent niedriger. Engel & Völkers verschoben die Samstagszählungen im Hinblick auf die veränderten Lebensstile um zwei Stunden auf 14-16 Uhr. 14-15 Uhr lag die Hauptgeschäftslage um 6 Prozent nied-riger, während in der versuchsweise in voller Länge

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autofreien Sendlinger Straße am Dienstag 37 Prozent und am Samstag 75 Prozent mehr Passanten gezählt wurden als ein Jahr zuvor. Dadurch erreichte sie 48 bzw. 59 Prozent des Maximums, wobei am Samstag doppelt so viele Passanten gezählt wurden wie am Dienstag. Hier kumulieren sich die Auswirkungen des erweiterten Einzelhandelsangebotes und des aufgewerteten öffentlichen Raumes.

Diese Verschiebungen hängen auch mit der zu-nehmenden Freizeit- und Erlebniskomponente der Innenstadtbesuche zusammen, auf die beide Center zielen und für die sich deren Geschäftslagen besser eignen als die durch Großbetriebe für den Massen-konsum und ein teilweise unangenehmes Gedränge geprägte Hauptgeschäftslage. (Ausführlich zur räum-lichen und zeitlichen Verteilung des Passantenauf-kommens 1992-1998 s. Monheim et al. 1998).

Am Beispiel von München wird deutlich, wie wichtig der differenzierte Umgang mit den Ergebnis-sen von Passantenzählungen ist. Alleine auf die Spit-zenlage bezogene Bewertungen der Attraktivitätsent-wicklung werden der Komplexität einer Innenstadt nicht gerecht. Die mangelnde Berücksichtigung der stadtstrukturellen Rahmenbedingungen dürfte vor allem daran liegen, dass die überwiegend immobili-enwirtschaftlichen Anwender der Zählungen primär an den für einzelne Geschäftslokale zu erzielenden Ladenmieten interessiert sind und nicht am Ge-samtbesucheraufkommen der jeweiligen Innenstadt, zumal dies schwer zu ermitteln ist. Für die nachhal-tige Zukunftsfähigkeit der Innenstadtentwicklung kommt es dagegen auf das Passantenaufkommen in der Summe aller Geschäftslagen an.

Bei der vorbehaltslosen Stilisierung eines hohen Passantenaufkommens als positives Qualitätskrite-

Zum Weiterlesen:Monheim, R. (2015): Autofreie Münchner Altstadt!? In: standpunKte. Online-Magazin des Münchner Forum e.V., 8/9.2015, S. 18-19.Monheim, R. (2017): Innenstadtintegrierte Einkaufszent-ren. Chancen und Risiken für eine nachhaltige Stadtent-wicklung. Bayreuth (unveröffentlichter Entwurf).Monheim, R., Heller, J. (2016): Die Innenstadt von Leip-zig und die Höfe am Brühl im Wandel. Standortvergleich und Monitoring der Entwicklung 2010-2014 aus Sicht der Be- sucher. Bayreuth. (=Beiträge zum Innenstadt-Monitoring 3). Monheim, R., Holzwarth, M., Bachleitlner, M. (1998): Struktur, Verhalten und Einstellungen der Besucher der Münchner City unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen der neuen Ladenöffnungszeiten. Bayreuth (= Arbeitsmaterialien zur Raumordnung und Raumpla-nung H. 177).

rium wird übersehen, dass hier unter Umständen in Abhängigkeit von der städtebaulichen Situation Be-lastungsgrenzen überschritten werden. Insbesondere samstags kommt es zu einer von den Besuchern als unangenehm empfundenen Überlastung. So nannten auf die Frage danach, was ihnen an der Innenstadt überhaupt nicht gefiele, nach eigenen Erhebungen in Bremen 21 Prozent und in München sogar 35 Pro-zent Gedränge und Hektik, während dies in Nürn-berg nur 7 Prozent, in Augsburg 4 Prozent und in Regensburg 2 Prozent waren. Eine Unzufriedenheit durch Überfüllung ist für den nachhaltigen Erfolg einer Innenstadt eher nachteilig. Deshalb sollte zur Stärkung der Münchner Innenstadt als identitätsstif-tendes Ziel für ein über den Massenkonsum hinaus-gehendes Shoppingerlebnis eine Rückbesinnung auf angenehmere Bedingungen in den Nebengeschäfts-lagen gefördert werden. So bietet das Hackenviertel hierzu hervorragende Potenziale, zu deren Inwertset-zung ein seit langem in der Verwaltung moderndes Gutachten viele Ansatzpunkte bietet. Auch das Tal bringt derzeit seine Potenziale nicht zur Geltung, könnte aber zur Entzerrung des Besucherdrucks beitragen. Schließlich könnte auch eine Aufwertung der Altstadtseite der Sendlinger Straße zu einem auf-enthaltsfreundlichen Innenstadtrahmen beitragen. Es geht dabei nicht um die gerne geschmähte „autofreie Innenstadt“, sondern um das Fortführen des durch die erfolgreiche Sendlinger Straße ermöglichten Ent-wicklungsimpulses für eine flächenhaft qualitätsvolle Innenstadt (s. auch Monheim 2015 an dieser Stelle).

Prof. Dr. Rolf Monheim war von 1978 bis 2007 Professor für Angewandte Stadtgeographie und Stadtplanung an der Universität Bayreuth. Seither ist er freiberuflich in Forschung, Beratung und als Referent tätig.

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Wer bestimmt da eigentlich?Der Bericht versäumt darauf hinzuweisen, dass die Arkaden der Alten Akademie den Rechtssta-tus des „öffentlichen Raums“ haben, der in den 1950er Jahren zwischen dem Freistaat Bayern als Eigentümer und der Stadt München vertraglich und planungsrechtlich gesichert worden ist. Der Inves-tor, die Wiener SIGNA AG, hat mit dem Abschluss des Erbbaurechtsvertrags mit dem Freistaat 2013 dieses anerkannt, will aber im Nachgang nun Ma-ximalansprüche durchsetzen. – Man kann Frau Michail nicht genug danken, dass sie mithilfe des Architekten-Urheberrechts ihres verstorbenen Vaters Josef Wiedemann die Interessen des Gemeinwesens und der Stadtgesellschaft am allemal begrenzten öffentlichen Raum in der Münchner Innenstadt verficht. Die für diese Aufgabe zuständigen Gre-mien und Institutionen haben sich längst auf die Seite des Investors geschlagen: das Landesamt für Denkmalpflege ist ein Totalausfall, und ein vorbe-reiteter Beschluss des Münchner Stadtrats für Mai dieses Jahres, dessen Mehrheit wohl bereit ist, auf die Arkaden weitgehend zu verzichten, wurde durch die Intervention von Frau Michail um Haaresbreite

ausgesetzt – eines Stadtrates, der vor zwei Jahren in seinem „Innenstadtkonzept“ selber festgelegt hat, dass Arkaden ein wesentliches städtebauliches Gestaltungselement der Münchner Altstadt darstellen und deshalb zu erhalten sind. – Es ist empörend und nicht anders als ein Skandal zu nennen, dass es einer älteren Dame überlassen bleibt, das öffentliche Recht und Interesse am geschichtsträchtigen denkmalge-schützten Gebäudekomplex auf eigene zeitliche und finanzielle Lasten zu verfechten, während Politik und Verwaltung, also die dafür zuständigen Vertreter der Stadtgesellschaft, längst mit dem Investor kungeln – einem Investor, dem neben der Alten Akademie auch Karstadt-Oberpollinger nebenan einschließlich des Hertie-Komplexes gehört und der dabei ist, mit der angestrebten Übernahme des Kaufhof-Konzerns auch am Stachus und Marienplatz zu dominieren. Dann spätestens wird Münchner Stadtentwicklungs-politik nicht mehr im Münchner Rathaus sondern in der Wiener Konzernzentrale gemacht.

Dr. Detlev Sträter ist Programmausschuss-Vorsitzender des Münchner Forum.

Alte Akademie als Prüfstein für die Politik

Im letzten standpunKte-Heft 10.2017 führten wir ein Interview mit Frau Brigitta Michail. Sie hat das Architektur-Urheberrecht ihres verstorbenen Vaters Josef Wiedemann, ehemals Professor für Architektur an der TU München, inne und dies im Mai dieses Jahres für die Alte Akademie an der Neuhauser Straße reklamiert. Für deren Wiederaufbau nach Teilzerstörungen im 2. Weltkrieg zeichnete ihr Vater in den 1950er Jahren verantwortlich. Die Alte Akademie, im Eigentum des Freistaats Bayern, soll nach Plänen des Investors und Erbbaurechtnehmers, der Wiener SIGNA AG, erheblich umgebaut werden, u.a. sollen die Fußgänger-Arkaden deutlich verschmälert oder vollstän-dig den Geschäftsflächen zugeschlagen werden. In der Süddeutschen Zeitung wurde am 14./15. Oktober das Thema des urheberrechtlichen Konflikts um die Alte Akademie auch von der Süddeut-schen Zeitung aufgegriffen („Paragrafen und Arkaden“ von Alfred Dürr).

„Flanierraum, geopfert auf dem Altar des Kommerzes“Unter diesem Aufmacher druckte die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 19. Oktober und zum Teil in späteren Stadtteil-Ausgaben zwei Leserbriefe zum Beitrag „Paragrafen und Arkaden“

Banalisierung eines Denkmals Frau Michail gebührt größter Dank dafür, dass sie durch ihr unnachgiebiges Verhalten gegenüber dem Investor SIGNA bisher einen Stadtratsbeschluss auf-geschoben hat und der Debatte über den Umgang mit den Arkaden weiteren Raum gegeben hat.

Es zeugt letzten Endes von der kleingeistigen Denkweise des Investors, wenn er pedantisch auf die Überbauung der Arkadenflächen besteht und

nicht deren Wert als unwiederbringliche Vorzone der Geschäfte und Flanierraum der Münchner Bürger begreifen kann, der auch die Attraktivität seines ge-wünschten Einzelhandels fördern könnte. Stattdessen denkt er nur in vermietbarer Fläche, also in Zahlen statt in Qualität.

München als stark anwachsende Stadt darf in die-ser Situation nicht der Sichtweise des Investors auf den Leim gehen und sollte die Arkaden als ein Stück

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Großstadt-Flair erkennen, das München an dieser Stelle auszeichnet.

Das Flanieren durch eine Arkade gehört zu den grundlegenden städtischen Eindrücken, und wir ken-nen es aus den Metropolen der Welt. Dieser Raum gehört den Münchner Bürgern und sollte jedermann zugänglich sein.

Die Argumentationsweise des Investors bezie-hungsweise seiner Juristen, die Arkaden seien rein dem damaligen Verkehrszweck geschuldet und daher entbehrlich, gehen in eine gefährliche Richtung. Mit dieser Sichtweise ließen sich sämtliche Arkaden der Kaufinger- und Neuhauserstraße dicht machen. Wol-len wir als nächstes auch die Arkaden der Bebauung seitlich des Karlstores schließen? Oder vielleicht den Durchgang unterhalb des Alten Rathauses?

Was für die Stadt am Ende wichtig ist, ist rein der aktuelle Zustand und sein Nutzen für die Bürger, ein Raum zum Flanieren, unabhängig vom Grund seiner früheren Entstehung.

Zudem haben die Arkaden auch heute eine Ver-kehrsfunktion, da die Einwohnerzahl im Laufe der letzten 60 Jahre stark gewachsen ist und zukünf-tig weiter stark ansteigen wird. Auch die Zahl der Besucher unserer Stadt ist gestiegen, und so erhöht sich stetig die Frequenz der Passanten in der Fuß-gängerzone. Der Bereich vor dem Hettlage-Bau ist eine Engstelle in der Fußgängerzone, ebenso wie der Bereich in der Kapellenstraße, der von Norden in die Fußgängerzone führt. Daher sind die Arkaden eine wichtige Erweiterung des Bewegungsraumes.

Außerdem geht es um die Frage des „Wie?“ Hier handelt es sich sehr wohl um eine gestalterische Entscheidung des Architekten, „wie“ die Arkaden gestaltet sind, die sich nicht allein bereits durch den Verkehrszweck herleiten lässt.

Der Wiedemann´sche Arkadenraum hat unter der Vernachlässigung der vergangenen Jahre und miss-gestalteter Einbauten leider Teile seines Charmes verloren, zeugt jedoch in der Gestaltung der Böden und der Säulen noch immer von der gediegenen

Noblesse der 50er Jahre und hat angenehme und großzügige Raumproportionen.

Durch eine einfühlsame Planung ließe sich daraus wieder ein hochattraktiver Raum schaffen, nicht je-doch durch die vom Investor bisher vorgeschlagenen Entwürfe.

Der Investor Signa wirbt als Ersatz für die Arkaden mit der Öffnung des Schmuckhofes. Dieser Hof wird jedoch kein wahrer öffentlicher Raum sein, sondern eine kontrollierte Fläche des Betreibers, der über diesen Bereich bestimmen kann und diese Fläche als Erschließung der geplanten Geschäfte und der Gastronomie nutzen möchte. Dass der Investor hier nun ein Aldi-Bistro aufstellen ließ, gibt schon einen treffenden Vorgeschmack auf die künftige Banalisie-rung der Alten Akademie.

Aus all dem folgt, dass es ein großer Fehler wäre, wenn die Stadt München an dieser zentralen Fläche öffentlichen Raum zugunsten der kommerziellen Nutzung eines Investors aufgibt und diese Räume damit für die nächsten 65 Jahre verliert und der Öf-fentlichkeit entzieht.

Die Angelegenheit ist nicht nur eine privatrecht-liche Frage von Urheberrechten, sie ist von großem öffentlichen Interesse. Hier geht es um den Umgang mit dem öffentlichen Raum in München und dies ist eine wichtige politische Frage.

Es wäre an der Zeit, dass auch die Münchner Ar-chitektenschaft sich stärker in die Debatte einmischt und einen sorgfältigeren Umgang mit dem Erbe der 50er Jahre einfordert. Durch das Buch „506070 München“ ist diese Zeit erneut ins Bewusstsein gehoben; an dieser Stelle wäre nun der Ort, um an einem wichtigen Beispiel konkret für deren Erhalt zu kämpfen.

Martin Rössler, *1990 in München, Studium der Architektur in München und Basel; Mitarbeit in Architekturbüros, beim Baye-rischen Landesverein für Heimatpflege und beim Architektur-museum der TUM. Interessenschwerpunkt: Architektur und Stadtentwicklung der Gegenwart und ihre Geschichte.

Ankündigung Stadtteilrundgang

Neue Architektur in der Fasanerie Nord Die Häuser in der Fasanerie, meist Eigenheime, ent-standen seit 1900 auf Gärtnerei-Grundstücken. Seit 30 Jahren wurden hier viele sehr individuelle Bauten errichtet, die teilweise architektonisch oder ökolo-gisch interessant sind.

Der Historiker und ehemalige Stadtrat Dr. Rein-hard Bauer, der als Mitglied des Bezirksausschusses

seit 1972 diese Entwicklung verfolgt und Führungen macht, sowie der Architekt Hanno Kapfenberger, der hier ökologisch baut, führen interessante Entwick-lungen bei einem Rundgang vor Augen. Samstag, 11. November, 14.00 Uhr. Treffpunkt: vor S-Bahnhof Fasanerie, Feldmochinger Straße (Südwestseite)Anmeldung: [email protected]

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Standpunkte November 2017 - 26

Glückwünsche

OB Reiter gratuliert Helmut Steyrer zum 70. GeburtstagOberbürgermeister Dieter Reiter gratuliert dem ehemaligen Geschäftsführer der Münchner Gesell-schaft für Stadterneuerung und langjährigen Mitglied des Münchner Stadtrats, Helmut Steyrer, zum 70 Geburtstag: „Zu Ihrem 70. Geburtstag gratuliere ich Ihnen im Namen der Damen und Herren des Stadt-rats der Landeshauptstadt München und persönlich sehr herzlich.

Als langjähriges Mitglied des Münchner Stadt-rats und späterer Geschäftsführer der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung haben Sie Mün-chen in vielerlei Hinsicht aktiv mitgestaltet. Gerade durch Ihre zahlreichen Projekte, unter anderem die Schwanthalerstraße und das Großprojekt Haidhau-sen, haben Sie einen wichtigen Beitrag zur Entwick-lung der Stadt München geleistet.

Dass Sie dabei als Geschäftsführer mit Ihrem beständigen Engagement mehr als nur erfolgreich waren, zeigen zahlreiche Auszeichnungen, welche Sie über die Jahre erhalten haben. So wurden der MGS der Bayerische Wohnungsbaupreis 2005, der Deutsche Bauherrenpreis 2008, der Ehrenpreis für guten Wohnungsbau 2010 und noch viele weitere Stadtentwicklungspreise verliehen. Auch die Ein-gliederung der Gesellschaft in den Konzern GWG München konnten Sie erfolgreich umsetzen.

Ihre Zeit als Geschäftsführer (2002 - 2012) war gekennzeichnet durch den Wandel und den Umbruch von der klassischen Sanierung mit der

Beseitigung von strukturellen Substanzdefiziten mit Schwerpunkt investiver Maßnahmen hin zu den integrierten Handlungskonzepten und -feldern in der ,Sozialen Stadt‘ und in den ,Aktiven Stadt- und Ortsteilzentren‘. In dieser Zeitspanne wurden die Grundlagen für die Stadtsanierung in den Gebieten am Mittleren Ring Südost, in Pasing, Trudering und in Neuaubing/ Westkreuz vorbereitet und die Umset-zung gestartet.

Der MGS ist es in Ihrer Amtszeit gelungen, auch Aufgaben der Projektsteuerung zu akquirieren. Bei-spielhaft kann hier die Ertüchtigung der Tiefgarage Theresienhöhe in Zusammenarbeit mit der GWG und

der GEWOFAG genannt werden (1.400 Stellplätze und Lagerraum auf drei Standorte verteilt). Dadurch konnte erst die notwendige statische und bauliche Ertüchtigung für den anschließend auf der Garage errichteten geförderten Mietwohnungsbau der GWG und der GEWOFAG (insgesamt über 300 Wohnein-heiten) geschaffen werden.

Für Ihren jahrelangen Einsatz zugunsten der Stadt München möchte ich Ihnen meinen persönlichen Dank aussprechen und wünsche Ihnen weiterhin alles Gute, vor allem Glück, Gesundheit und persön-liches Wohlergehen.“Quelle: Rathaus Umschau 182/2017 vom 25.09.2017

Helmut Steyrer, Architekt und Stadtplaner, ist Mitglied im Münchner Forum e.V. und im Programm-ausschuss, dessen Vorsitz er von 2013 bis 2015 innehatte. Er ist im September 70 Jahre alt gewor-den. Dazu gratulieren wir ihm sehr herzlich. Eine Würdigung seiner beruflichen und politischen Tätigkeit erfuhr Helmut Steyrer durch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. Sein Schreiben wurde in der „Rathaus Umschau“ veröffentlicht, das wir hier dokumentieren.

IMPRESSUM standpunKte ISSN 1861-3004Münchner Forum e.V.Diskussionsforum für Entwicklungsfragen Schellingstr. 65, 80799 Münchenfon 089/282076, fax 089/2805532email: [email protected]

V.i.S.d.P.: Dr. Michaela Schier, Redaktionsschluss: 24.10.2017

Redaktion: Klaus Bäumler (KB), Dr. Georg Kronawitter (GK), Dr. Michaela Schier (MS), Barbara Specht (BS), Dr. Detlev Sträter (DS), Layout: Barbara Specht

Wir verfolgen den Fortgang der von uns aufgegriffenen Themen. Der Inhalt dieses Magazins entspricht nicht zwingend dem Diskussionsstand in unseren Arbeitskrei-sen. Sie können Aussagen gern wörtlich oder sinngemäß mit Quellenangabe zitieren. Sollten Sie unsere stand-punKte jemandem zukommen lassen oder nicht mehr erhalten wollen, genügt eine Mail an: [email protected]

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Standpunkte November 2017 - 27

Das Letzte

Vorentscheid am Sattlerplatz: Teilareal soll an Hirmer gehen

Pessimisten haben es geahnt: Wie uns zu Ohren gekommen ist, soll in einer Geheimaktion, in nicht-öffentlicher Sitzung am kommenden Dienstag, den 7. November 2017, ein wesentlicher Teil des letzten Filetgrundstücks in der Münchner Altstadt, das sich im Eigentum der Landeshauptstadt München befindet und zur Nachnutzung ansteht, per Stadtratsausschuss-Beschluss an einen kom-merziellen Nutzer für 60 Jahre im Erbbaurecht vergeben werden. Damit wäre der Weg so gut wie versperrt, an dieser sich hervorragend eignenden Stelle, dem sog. Sattlerplatz, einen zentral gelege-nen, architektonisch-baulich innovativen Ort für vielfältige bürgerschaftliche, soziale und kulturelle Nutzungen zu gestalten (s. standpunKte 6.2017).

Dass das sog. „Hirmer“-Parkhaus zwischen Fär-bergraben, Sattlerstraße und Fürstenfelderstraße,

auf städtischem Grund stehend, abgerissen werden soll, ist seit Jahren bekannt. Bekannt ist auch, dass die Nachnutzung des Areals zwei Baublöcke vorsieht. Der eine Baublock schließt – wie bisher – an die westlich davon gelegene Bestandsbebauung direkt an, dann soll ein weiterer Durchgang zwischen Färbergraben und Fürstenfelder Straße entstehen. Östlich davon ist ein weiterer Block vorgesehen, der sich weiter als bisher nach Osten auf den sog. Sattlerplatz bis an die Stellflä-chen des ehemaligen Postgebäudes schiebt, wodurch nach Verkauf der Immobilie an die Fa. Inselkammer diese zum privaten Vorgarten geworden sind. Und na-türlich sind die Begehrlichkeiten groß, scharren die In-vestoren mit den Hufen und blähen ihre Nüstern, wenn eine solche Fläche im Herzen der Stadt zur Neunutzung und Neugestaltung ansteht. Aber da die Stadt München, also die Stadtgesellschaft Eigentümerin des Grund-stücks ist, wäre sie auch die Herrin eines Verfahrens, an dieser Stelle einen Kontrapunkt zu setzen gegen die überkommerzialisierte Innenstadt, wo globale Handels-

Parkhaus

detlev sträter

ketten, internationale Anwaltsfirmen und Finanzdienst-leister sowie Wohndomizile von mehreren hundert Quadratmetern und untergenutzte „Opernwohnungen“ dabei sind, dem bezahlbaren Wohnen und Leben in der Innenstadt endgültig den Garaus zu machen. Denk-bar wäre daher auch, dass an dieser Stelle die Stadt beispielgebend bezahlbares Wohnen in der Altstadt vorbildhaft praktiziert und/oder anderswo verdräng-tem traditionellen Versorgungsgewerbe zu günstigen Konditionen – wie im Rathaus am Marienplatz, wie im derzeit zur Sanierung anstehenden Ruffinihaus am Rindermarkt – eine neue Heimstatt bietet. Aber: nichts davon!

Stattdessen nun: Wieder mal derselbe Aufguss. Das Areal soll „hochwertig nachgenutzt“ werden. Da weiß man, was dann kommt: wieder teurer Einzelhandel, wieder teure Büronutzung, wieder mal der unspezifi-zierte Flächenschlüssel von 20 bis 30 Prozent „Woh-nen“; da sieht man vor dem inneren Auge schon die nächsten Opernwohnungen ins Kraut schießen … Und man reibt sich die Augen: Weder das Planungsreferat, das für die Bebauungsplanung zuständig ist, noch das Kommunalreferat, das die städtischen Grundstücke verwaltet und Erbbaurechtsverträge abschließt, son-dern das Referat für Arbeit und Wirtschaft beruft den Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft ein, um unter dem Label der „Gewerbeförderung“ (sic!) den ersten Kom-plex der Nachnutzung an Hirmer zu vergeben – ein-schließlich der Errichtung einer Tiefgarage unter dem gesamten neu zu bebauenden Areal. (Offenbar sind hier Nutzungen vorgesehen, die eine Klientel in die Altstadt – das mit öffentlichem Nahverkehr best-erschlossenste Stadtgebiet – locken soll, welche – wie man weiß – mit dem ÖPNV partout nichts am Hut hat.) Hat sich doch die Haltung bei Politik und Verwaltung seit einigen

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Standpunkte November 2017 - 28

Jahren durchgesetzt, alle Wünsche des Handels nach Flächenmehrung und (Um-)Bauerweiterungen mit dem Hinweis auf den Internet-Handel, der den Münchner Traditionsunternehmen das Leben immer schwerer mache, umstandslos durchzuwinken (s. Arkaden der Alten Akademie).

Hirmer ist in der Tat ein Münchner Traditionsun-ternehmen der Herrenbekleidung, dessen Logo seit Jahrzehnten auch am noch stehenden Parkhaus prangt. Dass es sich bei Hirmer um ein notleidendes ange-stammtes Handelsunternehmen handelt, um das sich die städtische Gewerbeförderung kümmern müsse, war bisher nicht bekannt. Bekannt ist hingegen, dass das traditionelle Herrenbekleidungsunternehmen Teil der als erfolgreich geltenden Hirmer-Gruppe ist, zu der auch das Bekleidungsunternehmen Eckerle sowie Hir-mer Immobilien GmbH & Co KG mit Sitz in Andechs gehören. Dieses ist in 18 deutschen Großstädten mit Standorten vertreten, dazu gehören 11 Hirmer-Laden-geschäfte – „ausschließlich in Top 1A- und 1B-Lagen“. Darüber hinaus gehören zu Hirmer Immobilien u.a. auch das Münchner Gewerbegebiet Kistlerhofstraße 70, Wohnanlagen in München und Leipzig sowie MotelO-ne in der Münchner Hochstraße, ferner Standorte in Wien sowie das Hotel-Resort „Campo Bahia“, wo die deutsche Fußball-Nationalmannschaft während der letzten WM in Brasilien residierte. Hirmer’s Ziel: „Die führende Marktstellung des Unternehmens im Segment für Große Größen soll gehalten und ausgebaut werden. Durch mehr Fläche und wachsende Kompetenz. Ge-sucht werden hierfür ausschließlich Hochfrequenzlagen in Zentren und Oberzentren Deutschlands sowie im deutschsprachigen Ausland.“ (www.hirmer-immobilien.de )

Bemerkenswert auch, wie schnell Verwaltung han-deln kann, wenn es darum geht, wirtschaftliche Inte-ressen unter Dach und Fach zu bringen: Von Anfang August bis Anfang September 2017 hatte die Stadt auf ihrer Immobilien-Webseite das infrage kommende Sattlerplatz-Grundstück im Erbbaurecht ausgelobt – also genau während der Ferienzeit. Und – oh Wunder: es ging nur 1 (in Worten: ein) Angebot dafür ein – von Hirmer. Und gerade mal zwei Monate später, Anfang November, tritt nun der Stadtrats-Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft zusammen, um den Beschluss über die Vergabe des Grundstücks im Erbbaurecht zu fassen – in nichtöffentlicher Sitzung, unter Ausschluss der Öffent-lichkeit. Honi soit, qui mal y pense …

Da drängen sich viele Fragen auf: etwa danach, welche Planungen denn für das gesamte Ex-Parkhaus-Areal bestehen? Welche Nutzungen sind vorgesehen? Wie steht es mit den Überlegungen aus der Stadtge-sellschaft, an dieser Stelle ein bürgernahes, innovatives Kultur-, Kreativ- und Begegnungszentrum zu schaffen? Gibt es Absprachen zur Nutzung des Rest-Areals, etwa

Timeline zum „Sattlerplatz“

- 31. Mai 2006: Grundsatzbeschluss des Stadtrats zur Überplanung des Geländes des Süddeutschen Verlags und des Bereichs zwischen Parkhaus „Färbergraben“ und dem ehemaligen Postgebäude.

- 22. Juli 2009: Grundsatzbeschluss des Stadtrats zur Konkretisierung der Ziele für den Bereich „Sattlerplatz“: ausgewogene Nutzungsmischung aus Einzelhandel, Gastronomie, kulturellen Einrichtungen, Dienstleistungen sowie innerstädtischem Wohnen.

- 9. Dezember 2015: Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans Nr. 2102: weitere Konkretisierung mit 20-30 Prozent Wohnanteil zur Stärkung des traditionel-len Wohnstandorts in der Altstadt.

- Verwaltungsinterne Entscheidung, die Verwertung des städtischen Grundstücks des „Hirmer-Parkhauses“ nach den Grundsätzen der Gewerbeförderung entsprechend dem Grundsatzbeschluss vom 18. Mai 2011 vorzuneh-men.

- 11./12. März 2017: Ausstellung von Studienarbeiten von Innsbrucker Architekturstudent/innen über die Nachnutzung des Parkhaus-Geländes als Kreativ- und bürgerschaftliches Begegnungs-Zentrum mit Podiums-diskussion des Münchner Forums in der „Lothringer 13“ (s. Berichte in der AZ und SZ).

- Juni 2017: Schwerpunktthema „Der Sattlerplatz in München“ der standpunKte-Ausgabe 6.2017 des Münchner Forums

- Juni/Juli 2017: Ausstellung der Sattlerplatz-Studienarbei-ten der Innsbrucker Student/innen auf dem Tollwood-Festival

- 8. August bis 5. September 2017: Bekanntmachung des Kommunalreferats auf der städtischen Immobilienseite im Internet, dass das Erbbaurecht an einer Teilfläche von 1.200 qm des insgesamt 2.150 qm großen städti-schen Grundstücks FlNr. 502 im Wege der Gewerbeför-derung vergeben werden soll. Als Grundlage der Vergabe wurde das vom Stadtrat am 18. Mai 2011 beschlosse-ne Vergabeverfahren genannt:

Es hat nur ein einziges Unternehmen fristgerecht Bewerbungsunterlagen zur Teilnahme am Auswahlver-fahren vorgelegt.

- 7. November 2017: Sitzung des Stadtrats-Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft (KB)

mit dem Anrainer gegenüber, der Firma Inselkammer? Wie hoch soll der Erbbauzins sein, wenn „hochwertige Nachnutzung“ angestrebt wird? Und: Sind dies alles Fragen, deren Antworten die Stadtöffentlichkeit nicht zu interessieren haben?

Dr. Detlev Sträter ist 1. Vorsitzender des Programmaus-schusses des Münchner Forums.