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Persönliche PDF-Datei für www.thieme.de Nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt. Keine kommerzielle Nutzung, keine Einstellung in Repositorien. Mit den besten Grüßen vom Georg Thieme Verlag Verlag und Copyright: Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 70469 Stuttgart ISSN Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlags Stefan Becker, Klemens Budde, Frank-Peter Tillmann, Karoline Koisar, Laura Wamprecht, Markus Müschenich, Sven Meister, Roland Roller Digitale Nephrologie Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 452456 © 2019 by 0012-0472

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Persönliche PDF-Datei für

www.thieme.de

Nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt.Keine kommerzielle Nutzung, keine Einstellungin Repositorien.

Mit den besten Grüßen vom Georg Thieme Verlag

Verlag und Copyright:

Georg Thieme Verlag KGRüdigerstraße 1470469 StuttgartISSN

Nachdruck nurmit Genehmigungdes Verlags

Stefan Becker, Klemens Budde, Frank-Peter Tillmann,Karoline Koisar, Laura Wamprecht, Markus Müschenich,Sven Meister, Roland Roller

Digitale Nephrologie

Dtsch Med Wochenschr 2019; 144:452–456

© 2019 by

0012-0472

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bDigitale Nephrologie

Autoren

Stefan Becker1*, Klemens Budde2*, Frank-Peter Tillmann3, 4*,

Karoline Koisar1, Laura Wamprecht5, Markus Müschenich5,

Sven Meister6, Roland Roller7

Institute

1 Klinik für Nephrologie, Universitätsmedizin Essen, Essen

2 Charité — Universitätsmedizin Berlin, Medizinische Klinik

m. S. Nephrologie und Intensivmedizin, Berlin

3 Klinik für Nephrologie, Heinrich-Heine-Universität

Düsseldorf, Düsseldorf

4 Zentrum für Nieren- und Bluthochdruckerkrankungen,

Emsdetten

5 Flying Health Incubator GmbH, Berlin

6 Fraunhofer-Institut ISST, Dortmund

7 Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz

(DFKI GmbH), Berlin

Bibliografie

DOI https://doi.org/10.1055/a-0740-8662

Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 452–456

© Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart · New York

ISSN 0012-0472

WAS IST NEU?

Stand der Dinge Die Nephrologie steht vor erheblichen

strukturellen Herausforderungen. Die Digitalisierung kann

ein entscheidender Katalysator sein, um mit neuen Systemlö-

sungen den Bedürfnissen von Patienten und ihren versorgen-

den Ärzten besser gerecht zu werden.

Digitalisierung als „Game Changer“ in der Medizin Der

Durchbruch der digitalen Medizin steht noch bevor; digitale

Lösungen haben das Potenzial, das Gesundheitswesen und

die klinische Arbeit am Patienten grundlegend zu verändern.

Bedürfnis nach Kommunikation und gesundheitsbezoge-nen Mobilapplikationen (mHealth) Eine verbesserte Kom-

munikation ist der entscheidende Treiber. Über gesundheits-

bezogene Mobilapplikationen können Behandlungsprozesse

neu gedacht und gestaltet werden.

Big Data und maschinelles Lernen Durch maschinelle Un-

terstützungssysteme könnte die Diagnosestellung insgesamt

sicherer und schneller gestaltet werden, sodass in der Folge

dem Arzt mehr Zeit für eine bedarfsadaptierte individuelle

Patientenberatung zur Verfügung stehen würde.

Natürliche Sprachverarbeitung Mithilfe künstlicher Intelli-

genz können Patientendaten besser analysiert und beispiels-

weise zur Früherkennung seltener Erkrankungen auf Grundla-

ge von Symptomen schneller erkannt werden.

Stand der DingeDie chronische Nierenkrankheit (CKD), mit einer aktuellgeschätzten Prävalenz von ca. 10 – 15% der Bevölkerung,als auch das akute Nierenversagen werden weltweitzunehmend als Versorgungsproblem betrachtet [1]. Dabeiwerden die international berichteten Anstiege in der Prä-valenz einer chronischen Nierenerkrankung im Wesentli-chen durch eine Verbesserung der durchschnittlichenLebenserwartung mit konsekutiven fortschreitenden Alte-rungsprozessen des Herzkreislaufsystems der Bevölkerun-gen, als auch durch eine Zunahme der Raten an Patientenmit einem manifesten Diabetes bzw. einer arteriellenHypertonie erklärt. Die daraus resultierenden Kostenan-stiege für das jeweilige Gesundheitssystem sind erheblich.

Auf der anderen Seite scheint es in Deutschland – aberauch weltweit – zunehmend zum Problem zu werden,Nephrologen für die Versorgung dieser tendenziell wach-senden Patientenpopulation am Arbeitsmarkt zu gewin-

nen. Von Land zu Land sind verschiedene Faktoren fürdiese Entwicklung verantwortlich: fortschreitendes Alterder praktizierenden Nephrologen und sinkendes Interes-se an der Fachrichtung unter angehenden Medizinern,lange fachspezifische Arbeitszeiten und möglicherweisenoch zu unflexible Dienstpläne, drohender zunehmenderVerlust einer Patienten-zentrierten Versorgung beisteigendem bürokratischem Aufwand zur Erfüllung derDokumentationsanforderungen.

Damit erscheint eine umfassende Versorgung von CKD-Patienten nicht nur in Deutschland, sondern auch invielen anderen Teilen der Welt gefährdet. Um der Diskre-panz zwischen der Nachfrage nach einer angemessenennephrologischen Versorgung und dem Angebot an prak-tizierenden Fachärzten in einer sich schnell wandelndenWelt besser gerecht zu werden, sind unterschiedlicheAnsätze erforderlich. Dies bedeutet, dass Strukturen imGesundheitssystem so weiterentwickelt werden müssen,dass auch künftig eine effektive und effiziente Versor-gung möglich ist [2]. Dabei kann die Digitalisierung einentscheidender Katalysator sein, um mit neuen System-

* Kommission Digitale Nephrologie der Deutschen Gesellschaftfür Nephrologie.

Klinischer Fortschritt | Nephrologie

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blösungen den Bedürfnissen von Patienten und ihrenversorgenden Ärzten besser gerecht zu werden.

Klinische RelevanzDie Digitalisierung kann dabei helfen, mit neuenSystemlösungen den Bedürfnissen von Patienten undihren Ärzten besser gerecht zu werden.

Digitalisierung als „Game Changer“in der MedizinDer Durchbruch der digitalen Medizin – und damit in derNephrologie – steht erst noch bevor. Es wird allgemeinanerkannt, dass digitale Lösungen das Potenzial haben,das Gesundheitswesen und die klinische Arbeit amPatienten grundlegend zu verändern. Um zu sehen, inwelche Richtung die Reise geht, hilft ein Blick auf dietechnologische Entwicklung in anderen Bereichen.

Was verhilft einer technologischen Erfindung zum Durch-bruch? Hier spricht man auch von Killerapplikationen.Diese finden zahlreiche Käufer und entscheiden alleinschon dadurch, was sich in der Gesellschaft durchsetzt.Das Beispiel Gameboy aus der Unterhaltungselektronikzeigt: Erst durch das Spiel Tetris trat der Gameboy seinenSiegeszug an.

Die Killerapplikation war also in diesem Fall eine Software.Diskutiert werden derzeit Onlinespiele, die eine großeBandbreite benötigen, als Killerapplikation für den Aus-bau des Breitbandinternet. Was ist die treibende Kraftbei der Nutzung? Welche Bedürfnisse des Menschenwerden angesprochen?

Klinische RelevanzDigitale Lösungen werden in naher Zukunft dieklinische Arbeit am Patienten grundlegend verändern.

Bedürfnis nach KommunikationBetrachtet man die Erfolgsgeschichte von „WhatsApp“gegenüber der SMS [3, 4], wird deutlich, dass meist ele-mentare Bedürfnisse des Menschen ausschlaggebendsind. In diesem Fall war es der Wunsch nach Kommunika-tion. Hier konnte die Smartphone-Applikation (App)„WhatsApp“ das bisherige System der SMS sowohl imBereich der Kosten als auch in Hinblick auf Praktikabilitätund Anwenderfreundlichkeit deutlich übertreffen unddadurch ihren breiten Siegeszug antreten.

Auch im digitalen Gesundheitswesen ist das Bedürfnisnach Kommunikation der entscheidende Treiber [5].Hier erscheinen die Faktoren Kosten, Praktikabilität sowieAnwenderfreundlichkeit eine zentrale Rolle auf dem Wegeiner größeren Verbreitung digitaler Applikationen im

Gesundheitssystem einzunehmen. Zusätzlich müssendie besonderen Anforderungen digitaler Gesundheitsan-gebote unter den Gesichtspunkten erhöhter Daten-schutzanforderungen sowie der Patientensicherheit beiAngeboten mit medizinischem Entscheidungspotenzialberücksichtigt werden.

Letztendlich ist auch die Zielvorstellung der Anwender,z. B. Patienten wie auch medizinisches Personal, von zen-traler Bedeutung. Insbesondere auf der Patienten- undAngehörigenseite wird zunehmend der Wunsch nacheiner vereinfachten, aber dennoch individualisierten pro-fessionellen Kommunikation mit Behandlern artikuliertund nach entsprechenden digitalen Lösungen verlangt.

Momentan herrscht in der Arzt-Patienten-Kommunikationjedoch ein Ungleichgewicht. Während manche Menschenim Zweifel einen aufwändigen Arztbesuch vermeidenmöchten, wünschen sich andere mehr Zeit beim Arztge-spräch. Viele Besuche in der Arztpraxis sind tatsächlichmedizinisch nicht zwingend notwendig und führen in derFolge zu einer Verknappung der Zeit für eine intensiveBeratung bei anderen Fällen.

Auf ärztlicher Seite besteht häufig das Bedürfnis, die all-täglich notwendige Kommunikation und Dokumentationstark zu vereinfachen. Besonders gefragt erscheinen auchdigitale Lösungen, welche eine raschere Weiterleitung vonBefunden oder fotografischen Dokumentationen an ent-sprechende Behandlungspartner in einer Akutsituationermöglichen könnten (z. B. im Online-Konsil oder bei derHeimdialyse). Hier spielen elektronische Patientenaktenund implementierte Standards der intersektoralen Kom-munikation eine wesentliche Rolle, insbesondere für dieinterdisziplinäre Versorgung nephrologischer Patienten.

Deutschland ist bei der Umsetzung der elektronischen Pa-tientenakte (ePA) im europäischen Vergleich auf Platz 13von 20 untersuchten Ländern und in den letzten 2 Jahrenum 2 Plätze gefallen [6]. Für die Zukunft bleibt enormerHandlungsbedarf: Beispiele wie Dänemark zeigen an-schaulich, dass durchgängige, intersektorale Versorgungs-ketten sowie konsequente Digitalisierung Mehrwerte fürÄrzte sowie Patienten gleichermaßen schaffen können [7].

Möglicherweise noch deutlich unterschätzt erscheinendigitale Anwendungen, welche die Arbeitslast im Bereichder Pflege und/oder der nicht-ärztlichen Dokumentationreduzieren könnten. Zielgerichtete Evaluationen mit fol-genden Lösungsvorschlägen auch und gerade in diesemBereich erscheinen mit steigendem Personalbedarf und-mangel umso dringlicher. Potenzielle Thematiken wärenggfs. auf dem Gebiet der unterstützenden Anamnese-bzw. Risikofaktorerhebung zu evaluieren.

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bKlinische Relevanz

Gesundheitsbezogene Mobilapplikationen können dieArzt-Patienten-Kommunikation erheblich verbessern.

Gesundheitsbezogene Mobilapplika-tionen (mHealth)Mit dem Siegeszug von Smartphones und Tablets hat dieDigitalisierung auch im privaten Bereich eine neue Ebeneerreicht. Digital Health, Mobile Health und Co. eröffnendurch Digitalisierung sowie intelligente Datenverarbei-tung eine neue Qualität der medizinischen Leistungser-bringung [8]. Damit adressiert mHealth das Bedürfnisnach Kommunikation, ermöglicht aber auch chronischkranken Patienten einen ihren Bedürfnissen gerechterwerdenden Zugriff auf für sie relevante Informationen(„Small Data-Prinzip“).

So konnte gezeigt werden, dass mittels Mobilapplika-tionen gesteuerte interaktive Therapiepläne durch Erinne-rungen und Bestätigungsaufforderungen die Therapiead-härenz tatsächlich fördern [9] und ein vielversprechenderAnsatz sind, um bei nierenkranken Patienten die Arznei-therapiesicherheit zu verbessern [10]. Lebensstil-änderndeMaßnahmen wie Gewichtsreduktion oder Steigerung derkörperlichen Aktivität können ebenfalls über Smartphone-Apps und SMS-Interventionen wirkungsvoll unterstütztwerden [11, 12].

Aufwändige und fehlerhafte manuelle Erfassungen vonBlutdruck- und Blutglukose-Werten, Körpergewicht oderHerzfrequenz lassen sich auch über digital-kompatibleMessgeräte registrieren und medizinischem Personal viaTelematikinfrastruktur zugänglich machen. Ein aktuellesBeispiel ist die App „MyTherapy“, die Patienten dabei un-terstützt, ihre tägliche Medikamenteneinnahme besserverwalten zu können. Hierbei werden u. a. Funktionalitä-ten wie Erinnerungsfunktion oder Vernetzung mit Ver-wandten bereitgestellt.

In erweiterter Form wird diese App zur Betreuung chro-nisch kranker Nierenpatienten verwendet, als Teilaspektdes Forschungsprojektes MACSS [13]. Hierbei hat derPatient die Möglichkeit gezielt auswählbare Informa-tionen, wie z. B. Medikamenteneinnahmen oder verschie-dene Vitalparameter, mit seinen behandelnden Medizi-nern zu teilen, damit diese bei möglichen Warnsignalenfrühzeitig intervenieren können.

Klinische RelevanzDigital Health, Mobile Health und Co. eröffnen durchDigitalisierung sowie intelligente Datenverarbeitungeine neue Qualität der medizinischen Leistungserbrin-gung. So können neue Apps wie „MyTherapy“ die Be-treuung chronisch kranker Nierenpatienten verbessern.

Big Data und maschinelles LernenMit der Fülle an digitalen Informationen einerseits undder Steigerung von Rechenkapazitäten und der Verbesse-rung maschineller Lernverfahren andererseits, ergebensich neue Möglichkeiten im Bereich der Medizin undNephrologie. Insbesondere die anhaltende Euphorie undder Erfolg von Deep Learning Systemen wecken hoheErwartungen.

DEEP LEARNING

Deep Learning ist eine spezielle Form des maschinel-

len Lernens, in der künstliche tiefe neuronale Netze

verwendet werden, die vom menschlichen Gehirn

inspiriert wurden. Trainiert auf riesigen Datenmen-

gen, lassen sich somit verborgene Muster zu speziel-

len Fragestellungen erkennen und evidenzbasierte

Rückschlüsse ziehen.

Zurzeit wird Deep Learning in der Medizin vorrangig beider Bildanalyse in Radiologie und Pathologie angewandt.Mithilfe von CT-Aufnahmen und der dazugehörigen Diag-nosen werden Modelle trainiert, die in der Lage sind, fürdie entsprechenden Diagnosen Muster zu erkennen, umdieses Wissen dann bei der Analyse neuer Aufnahmenerfolgreich anwenden zu können. Durch die Fülle an digi-talen Informationen, die in den letzten Jahren und Jahr-zehnten in der biomedizinischen Forschung, aber auchan Krankenhäusern erstellt wurden, ergeben sich eineVielzahl von neuen Anwendungsmöglichkeiten auch fürdie Nephrologie.

So zeigten Sharma et al. [14], dass sich über einen sol-chen Ansatz das Nierenvolumen von ADPKD-Patientenmit hoher Sicherheit berechnen lässt. Aber auch abseitsvon der Verarbeitung von Bilddaten gibt es vielverspre-chende Ansätze im Zusammenhang mit Big Data undmaschinellen Lernverfahren. Durch die Analyse von histo-rischen Patientendaten und der dadurch gewonnenenbzw. maschinell erlernten Erkenntnisse bieten sich Mög-lichkeiten zur Entscheidungsunterstützung oder derIdentifizierung von Risikopatienten.

Im Zusammenhang mit Nierenerkrankungen präsentier-ten beispielsweise Esteban et al. einen Ansatz zur präven-tiven Erkennung von akutem Nierenversagen [15]. Diemedizinische Versorgung kann sich durch diese Art vonSoftware in zweierlei Hinsicht verbessern. Eine automati-sierte Zweitmeinung sorgt u. a. für eine verbesserte Qua-litätskontrolle. Ein derart gewonnener Zeitgewinn stündedem Arzt wieder für eine intensivere persönliche Patien-tenbetreuung, z. B. im Rahmen von Patientengesprä-chen, zur Verfügung.

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Klinischer Fortschritt | Nephrologie

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bKlinische Relevanz

Durch maschinelle Unterstützungssysteme gewinnt derArzt mehr Zeit für eine individuelle Patientenberatung.

Natürliche SprachverarbeitungTexte können viele Informationen und relevante Erkennt-nisse beschreiben – sei es in Form biomedizinischer Publi-kationen, in Form von Arztbriefen im Krankenhaus oder inmedizinischen Foren. Um effizient und automatisiert aufdiese Daten zugreifen zu können, werden häufig Ansätzeaus der natürlichen Sprachverarbeitung angewendet.Diese umfassen oft Methoden zur Erkennung relevantermedizinischer Konzepte, der Erkennung von beschriebe-nen Zusammenhängen (z. B. wo/wann tritt ein Symptomauf), der Abbildung auf einer Ontologie oder dem auto-matisierten Zusammenfassen von Texten.

Mithilfe dieser Verfahren können neue Erkenntnisse ausmedizinischen Artikeln extrahiert, mögliche Nebenwir-kungen in sozialen Medien identifiziert oder auch Warn-signale in Patiententagebüchern gefunden werden. Ins-besondere im klinischen Alltag können Methoden ausder Sprachverarbeitung eingesetzt werden, um leichterauf historische Textdaten zuzugreifen, Kohorten zu gene-rieren, Patientenverläufe zusammenzufassen oder rele-vante Informationen zu erfassen.

Derartig gewonnene Erkenntnisse könnten danach u. a.mit strukturierten Informationen (z. B. Laborwerte, Vital-parameter) in Vorhersagemodelle einfließen. Ein interes-santer Ansatz, der Big-Data-Analyse und natürlicheSprachverarbeitung kombiniert, kommt von der FirmaAda Health aus Berlin und wurde in der Nephrologiebereits getestet. Über eine App werden dem Nutzer per-sonalisierte und adaptive Fragen entsprechend der ange-gebenen Beschwerden gestellt. Aus diesen Informa-tionen erstellt Ada eine Symptomanalyse mit denwahrscheinlichsten Ursachen für die Beschwerden. Dabeiwird neben den Symptomen eine Vielzahl von Gesund-heitsinformationen des Patienten, einschließlich Alter,Geschlecht, Risikofaktoren wie Vorerkrankungen oderSchwangerschaft berücksichtigt.

Die künstliche Intelligenz untersucht die bereitgestelltenDaten auf ihre Wahrscheinlichkeit. Durch maschinellesLernen und mehrere geschlossene Feedbackschleifenwird Ada mit jedem Patientenkontakt intelligenter. Ersteretrospektive Untersuchungen lassen das hohe Potenzialdes Systems erkennen, frühzeitig seltene Erkrankungenentdecken zu können. Das System war in vielen Fällen inder Lage, auf Basis der Symptome die später bestätigteDiagnose bereits frühzeitig im Krankheitsverlauf zu ent-decken und dem Diagnostiker vorzuschlagen [16].

Klinische RelevanzKünstlicher Intelligenz hilft bei der Analyse von Patien-tendaten und kann somit die Früherkennung seltenerErkrankungen unterstützen.

Interessenkonflikt

Die Klinik für Nephrologie, das Universitätsklinikum Essen, dieMedVision AG, Unna, das Rechenzentrum Volmarstein, Wetterund das Fraunhofer Institut für Software und SystemtechnikISST, Dortmund gehören zum NephroTeTe-Konsortium. DasProjekt NephroTeTe wird gefördert durch die EuropäischeUnion und das Land Nordrhein-Westfalen.

Autorinnen/Autoren

Dr. Stefan Becker, MBA

ist Arzt für Innere Medizin, Nephrologie und Diabetologie undarbeitet als Oberarzt am Universitätsklinikum Essen. Er leitet dieNephroTeTe-Gruppe und die Kommission „Digitale Nephrolo-gie“ der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie.

Prof. Dr. med. Klemens Budde

ist leitender Oberarzt der Medizinischen Klinik m. S. Nephrolo-gie und Intensivmedizin an der Charité UniversitätsmedizinBerlin. Er leitet die Arbeitsgruppe Medizin und Pflege der Platt-form „Lernende Systeme – Die Plattform für Künstliche Intelli-genz“ des BMBF und der Acatech.

Dr. Frank-Peter Tillmann

ist leitender Arzt des nephrologischen Zentrums in Emsdet-ten. Er ist Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Neph-rologie und hat die Zusatzbezeichnungen HypertensiologeDHL und Diabetologe DDG erworben.

Karoline Koisar

Karoline Koisar arbeitet als Projektassistentin für das ProjektNephroTeTe am Universitätsklinikum Essen.

Laura Wamprecht

Laura Wamprecht arbeitet als Director Pioneer Program beiFlying Health Incubator, Berlin.

Dr. Markus Müschenich

Dr. med. Markus Müschenich ist Mitgründer und geschäfts-führender Gesellschafter des Flying Health Incubators, Berlin.

Dr. Sven Meister

ist Abteilungsleiter „Digitization in HealthCare“ am FraunhoferISST und ist Mitglied im Bitkom, dem DGBMT Fachausschuss„Informationsmanagement in der Medizin“ sowie vertreten-des Mitglied für das ISST bei der MedEcon Ruhr.

Dr. Roland Roller

arbeitet als Projektleiter und Forscher in der Sprachtechnologieam DFKI. Seine Expertise liegt im Bereich der natürlichenSprachverarbeitung und des maschinellen Lernens mit einembesonderen Interesse an biomedizinischen Themen.

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bKorrespondenzadresse

Dr. med. Stefan Becker, M.B.A.Klinik für NephrologieUniversitätsklinikum EssenHufelandstr. 5545147 [email protected]

Literatur

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[2] Sharif M, Elsayed M, Stack A. The global nephrology workforce:emerging threats and potential solutions! Clin Kidney J 2016; 9:11–22

[3] Dialog Consult/VATM. 17. TK-Marktanalyse Deutschland; 2015:30

[4] Süddeutsche Zeitung: Whatsapp hat mehr als eine MilliardeNutzer (Februar 2016). Im Internet: http://www.sueddeutsche.de/digital/messenger-whatsapphat-mehr-als-eine-milliarde-nutzer-1.2845262; Stand: 28.01.2019

[5] Potts H. Is e-health progressing faster than e-health researchers?J Med Internet Res 2006; 8: e24

[6] Oliveira G, Ana S, Bertram N. European Scorecard zum Standder Implementierung der elektronischen Patientenakte aufnationaler Ebene. Eine Studie im Auftrag der Stiftung Münch.2018

[7] Thiel R, Deimel L, Schmidtmann D et al. #SmartHealthSystems.Digitalisierungsstrategien im internationalen Vergleich. Ber-telsmann Stiftung (2018). Im Internet: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Der_digitale_Patient/VV_SHS-Gesamtstudie_dt.pdf; Stand: 28.01.2019

[8] Meister S, Becker S, Leppert F. Digital Health, Mobile Healthund Co. – Wertschöpfung durch Digitalisierung und Daten-verarbeitung. in: Pfannstiel M, Da-Cruz P, Mehlich H DigitaleTransformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen.Wiesbaden: Springer Gabler; 2017

[9] Mertens A, Brandl C, Miron-Shatz T et al. A mobile applicationimproves therapy-adherence rates in elderly patients under-going rehabilitation – a crossover design study comparingdocumentation via iPadTM with paper-based control. Medici-ne (Baltimore) 2016; 95: e4446

[10] Diamantidis C, Ginsberg J, Yoffe M et al. Remote UsabilityTesting and Satisfaction with a Mobile Health MedicationInquiry System in CKD. Clin J Am Soc Nephrol 2015; 10:1364–1370. doi:CJN.12591214

[11] Dey V, Jones A, Spalding E. Telehealth: Acceptability, clinicalinterventions and quality of life in peritoneal dialysis. SAGEOpen Med 2016; 4: 2050312116670188

[12] Stephens J, Allen J. Mobile phone interventions to increasephysical activity and reduce weight: a systematic review.J Cardiovasc Nurs 2013; 28: 320–329

[13] Schmidt D, Graf V, Roller R et al. Integrierte Versorgung chro-nisch kranker Patienten am Beispiel von MACSS. IT für sozialeInklusion (pp. 41–50). Berlin, Boston: De Gruyter; 2018

[14] Sharma K, Rupprecht C, Caroli A et al. Automatic Segmenta-tion of Kidneys using Deep Learning for Total Kidney VolumeQuantification in Autosomal Dominant Polycystic KidneyDisease. Sci Rep 2017; 7: 2049

[15] Esteban C, Staeck O, Baier S et al. Predicting Clinical Events byCombining Static and Dynamic Information Using RecurrentNeural Networks. ICHI 2016: 93–101

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456 Becker S et al. Digitale Nephrologie… Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 452–456

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