Stefan Lins: Partizipative Demokratie in Österreich
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Partizipative Demokratie in Österreich
Möglichkeiten zur politischen Beteiligung auf regionaler und kommunaler Ebene
DIPLOMARBEIT zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister der Politikwissenschaft
Eingereicht bei
Prof. Mag. Dr. Erna M. Appelt
Institut für Politikwissenschaften der
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Von Stefan Lins
Innsbruck, Oktober 2008
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PARTIZIPATIVE DEMOKRATIE IN ÖSTERREICH ..................................................... 1
EINLEITUNG ....................................................................................................................................... 4
KAPITEL I: DEMOKRATIETHEORIE........................................................................................................... 6
1. Demokratieentwicklung ........................................................................................................ 7
1.1 Liberale Demokratietheorie ......................................................................................... 9
1.2 Republikanische Demokratietheorie .......................................................................... 12
1.3 Kritik am liberalen und republikanischen Ansatz aus Sicht der partizipativen
- Demokratietheorie .................................................................................................. 13
2. Partizipative Demokratietheorie ......................................................................................... 15
2.1 Beteiligung als politisches Problem etablierter Demokratien.................................... 16
2.2 Ansätze partizipativer Demokratie............................................................................. 16
2.3 Strategien partizipativer Demokratie......................................................................... 26
2.3.1 Expansive Demokratisierungsstrategie ............................................................. 26
2.3.2 Integrative Demokratisierungsstrategie ........................................................... 27
2.3.2 Effizienzorientierte Demokratisierungsstrategie .............................................. 29
Exkurs: e-democracy .................................................................................................. 30
2.4 Kritik am System der partizipativen Demokratie ....................................................... 33
3. Zusammenfassung............................................................................................................... 40
KAPITEL II: MÖGLICHKEITEN PARTIZIPATIVER DEMOKRATIE IN ÖSTERREICH ............................... 42
1..Allgemeines zum politischen System Österreichs ............................................................... 42
2. Die Kompetenzverteilung in Österreich............................................................................... 46
2.1 Allgemeine Kompetenzverteilung.............................................................................. 46
2.2 Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Länder .............................................. 47
2.3 Kompetenzen der Gemeinden ................................................................................... 49
2.4 EU-Einwirkungen ....................................................................................................... 52
3. Die Finanzaufteilung in Österreich ...................................................................................... 56
3.1 Landesfinanzierung ................................................................................................... 58
3.2 Gemeindefinanzierung .............................................................................................. 59
4. Formen der unmittelbaren Demokratie in Österreich ........................................................ 63
4.1 Unmittelbare Demokratie auf Bundesebene ............................................................ 63
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4.2 Unmittelbare Demokratie auf Landesebene ............................................................. 65
4.3 Unmittelbare Demokratie auf Gemeindeebene ........................................................ 70
5. Ausbaumöglichkeiten der partizipativen Demokratie auf kommunaler und regionaler
Ebene..................................................................................................................................... 72
5.1 Expansive Maßnahmen .............................................................................................. 72
5.2 Effizienzorientierte Maßnahmen ............................................................................... 74
5.3 Integrative Maßnahmen ............................................................................................ 75
KAPITEL III: PARKTISCHE BEISPIELE PARTIZIPATIVER DEMOKRATIE IN ÖSTERREICH ..................... 81
1. Das Integrationskonzept des Landes Tirol........................................................................... 81
1.1 Inhalt des Dokuments „Integration MIT Zugewanderten“ ....................................... 82
1.1.1 Die theoretischen Leitsätze und Richtlinien des Konzeptes............................. 83
1.1.2 Projektorganisation und Erarbeitung des Leitbildes ........................................ 86
1.1.3 Strategische Organisationsentwicklung ........................................................... 88
1.1.4 Maßnahmenempfehlungen.............................................................................. 92
1.2 Umsetzung und Probleme des Leitbildes .................................................................. 95
1.3 Zusammenfassung...................................................................................................... 99
2. Der BürgerInnenrat der Gemeinde Wolfurt ...................................................................... 101
2.1 Allgemeine Informationen und Hintergründe zum BürgerInnenrat in Wolfurt....... 101
2.2 Umsetzung und Ergebnisse des BürgerInnenrates .................................................. 104
2.3 Besonderheiten, Wirkung und Probleme des BürgerInnenrates............................. 111
2.4 Zusammenfassung ................................................................................................... 114
SCHLUSSBEMERKUNG ......................................................................................................................... 117
ANHANG .............................................................................................................................................. 119
1. Interview mit Mag. Johan Gstir vom Integrationsreferat des Land Tirols ............................... 119
2. Interview mit Mag. Oscar Thomas-Olalde vom Haus der Begegnung Innsbruck .................... 126
3. Interview mit Dr. Manfred Hellrigl vom Zukunftsbüro des Land Vorarlbergs .......................... 132
4. Zusammenfassung des Telefonats mit Bürgermeister Erwin Mohr aus Wolfurt ..................... 144
LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................................... 145
DANKSAGUNG............................................................................................................................... 149
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG ..................................................................................................... 150
LEBENSLAUF.................................................................................................................................. 151
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Einleitung
Politik beschäftigt sich ganz allgemein gesagt mit der Organisation von Gemeinschaft.
Freundschaft, Familie, Nachbarschaft, Gemeinde, Bezirk, Land, Staat, Staatengemeinschaft –
die moderne Welt erscheint wie eine russische Matrjoschka – in jeder Gemeinschaft steckt
eine neue Gemeinschaft. Und innerhalb jeder Gemeinschaft braucht es ein Mindestmaß an
Gemeinwesen, damit diese funktioniert. Schnell entwickeln sich Ordnungen und Strukturen,
die eine Gemeinschaft regeln und somit auf die unter- oder übergeordnete Ebene einwirken.
Die Politik beschäftigt sich folglich mit der Gestaltung von Ordnung innerhalb jeder
einzelnen Gemeinschaft. Dabei gibt es gewisse Prinzipien, nach denen die Gesellschaft
organisiert werden kann. Die momentan erfolgreichste Gestaltungsform ist die Demokratie.
Auf diesen Begriff können sich beinahe alle einigen. Von den Vereinigten Staaten von
Amerika bis zum lokalen Bürgermeister erfreut sich die Demokratie großer Beliebtheit,
zumindest beziehen sich alle gerne auf sie. Die Organisation der unterschiedlichen
„demokratischen“ Gemeinschaften unterscheidet sich jedoch gravierend. Demokratie braucht
also eine nähere Bestimmung und diese ist unausweichlich mit der Geschichte verbunden.
Gemeinsam mit den Umständen verändert und entwickelt sich auch die Theorie, was denn
eine demokratische Gesellschaftsordnung ausmacht. Ein Staat, der vor 150 Jahren als
demokratisch galt, würde heute diese Bezeichnung nicht mehr verdienen. Selbst im modernen
westlichen Industriestaat verändert sich die Demokratietheorie fortlaufend. Die momentanen
Systeme der westlichen Industrienationen kämpfen mit einem zunehmenden
Legitimitätsproblem. Die Politikverdrossenheit drückt sich durch eine sinkende
Wahlbeteiligung, Mitgliederverluste von Parteien und Verbänden und politisches Desinteresse
aus. Ein globalisiertes Bewusstsein lässt die Einflussmöglichkeiten des Individuums immer
kleiner erscheinen. Frustration und Enttäuschung paaren sich mit individueller
Machtlosigkeit. Periodische Wahlen stellen dabei kein ausreichendes Mittel der politischen
Beteiligung dar. Populistische Parteien machen sich das Defizit zu Nutzen und fordern
absurder Weise mehr direkte Demokratie, was zu der Frage führt, ob eine direkte Beteiligung
der Bevölkerung wirklich auf allen gemeinschaftlichen Ebenen möglich und wünschenswert
ist. Es gibt viele geschichtliche Beispiele, die Skepsis aufkommen lassen. In der jüngsten
Vergangenheit zeigen die Referenden zum EU-Verfassungsvertrag in Frankreich und Irland
die Probleme im Zusammenhang mit Volksentscheidungen.
Doch wird mit dem reinen Verweis auf Funktionalität das politische Legitimitätsdefizit
genauso wenig gelöst wie durch hetzerische Aufrufe zu Volksabstimmungen. Der Kern des
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Problems beginnt im Fundament des gesellschaftlichen Aufbaus. Im Freundeskreis, in der
Familie, bei der Arbeit, in der Gemeinde; im direkten Lebensbereich der Menschen also. Ich
will natürlich nicht den starken Einfluss von übergelagerten Ebenen leugnen, doch
verständliche und nachhaltige Entwicklungen zu einer demokratischen Kultur müssen von
den untersten Ebenen getragen werden.
Die partizipative Demokratietheorie, mit der ich mich in der Arbeit beschäftige, hat besonders
in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts breite Zustimmung genossen und
war Anstoß für eine Demokratisierung der Gesellschaft. In den folgenden Jahrzehnten
verschwand sie mehr und mehr aus dem Bewusstsein von Wissenschaft und
Zivilbevölkerung. Vereinzelt erschienen Publikationen, doch Umsetzungen in der Politik
folgten wenige. In den letzten Jahren erscheinen Beteiligungsmodelle wieder mehr im
Kommen zu sein. Die „Zivilgesellschaft“ und „BürgerInnen“ nehmen wieder eine wichtigere
theoretische Rolle ein. „Selbstorganisation“ und „Subsidarität“ sind weitere Schlagworte der
jüngsten Vergangenheit. In Österreich kommt es besonders auf Gemeinde- und Landesebene
zu unterschiedlichen partizipativen Verfahren. Von aktivierenden Befragungen,
BürgerInnenversammlungen, Fokusgruppen, Internet-Partizipation, Konsensus-Konferenzen,
kooperativen Diskursen, Planungszellen, runde Tische, Workshops, Zukunftskonferenzen bis
zu Zukunftswerkstätten1bestehen viele Möglichkeiten der Beteiligung auf lokaler und
kommunaler Ebene. Ein einheitlicher theoretischer Hintergrund ist dabei nicht erkennbar.
Mehr hat es den Anschein, als ob die Effektivität der Verfahren und die steigende politische
Apathie, Ausgang für die Modelle sind. In der Arbeit will ich in Theorie und Praxis der Frage
nachgehen, ob die partizipative Demokratie zu einer besseren Organisation des
Gemeinwesens führt.
Dazu wende ich mich erst dem allgemeinen Begriff der Demokratie zu. Durch den
geschichtlichen Entstehungsprozess will ich auf die liberale und die republikanische
Demokratietheorie verweisen. Deutlich werden sollen dabei der normative Mangel des
liberalen Systems einerseits, und die Unmöglichkeit einer sofortigen Durchführung des
republikanischen Modells andererseits. Durch diese kritische Betrachtung beider Schulen,
will ich die partizipative Demokratietheorie mit ihren diversen Strömungen und
Wirkungsbereichen erfassen und zu einem einheitlicheren Bild zusammenfügen. Die
Überlegenheit gegenüber der repräsentativen Demokratie soll sichtbar gemacht werden. Den
gängigsten Kritikpunkten gegen die partizipative Demokratie will ich am Ende des
theoretischen Teiles nachgehen und diese nach Möglichkeit entkräften.
1 http://www.partizipation.at/praxisb-nach-methode.html, 25.09.2008
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Dieser theoretischen Abhandlung folgt eine Beschreibung der staatlichen Machtverteilung
innerhalb Österreichs. Die Aufteilung der Kompetenzen und der Finanzen zwischen den
Körperschaften soll Handlungsspielräume für Maßnahmen auf Gemeinde- und Landesebene
erkennbar machen. Die Untersuchung der Rahmenbedingungen des österreichischen Systems
endet mit einer Behandlung der unmittelbaren Demokratieformen auf allen Ebenen. Die sich
ergebenden Handlungsfelder lassen Möglichkeiten aufkommen, wie man die partizipative
Demokratie auf lokaler und kommunaler Ebene stärken kann.
Um dieser Aufzählung an Möglichkeiten mehr empirisches Gewicht zu geben, werde ich im
dritten und letzten Teil der Arbeit zwei Modelle aus der Praxis beleuchten. Das
Integrationskonzept des Landes Tirol aus dem Jahre 2006 ist ein Beispiel dafür, wie auf
Landesebene die Integration und Beteiligung von Zugewanderten gestärkt werden kann. Die
zweite untersuchte Möglichkeit ist ein BürgerInnenrat auf Gemeindeebene, der in Wolfurt im
Jahre 2006 angewendet wurde und die Beteiligung der BürgerInnen stärkt.
Der Ausgang meiner Arbeit ist die Fragestellung, in wie weit sich die partizipative
Demokratie theoretisch und praktisch gegenüber dem momentanen Zustand durchsetzen und
diesen verändern kann.
Kapitel I: Demokratietheorie
Zu Beginn des Theorieteils der Arbeit will ich grundsätzlichen Gedanken zur Entwicklung
und Aufgabe der Demokratie nachgehen. Ausgehend von der liberalen und republikanischen
Demokratietheorie, werde ich die partizipative Demokratietheorie allgemein erklären. Die
Kritik an den beiden Theorien lässt dabei bereits ein Bild von der partizipativen Demokratie
entstehen, welches in den folgenden Unterkapiteln näher erklärt und in drei verschiedene
Ansätze und Strategien der Demokratisierung eingeteilt wird. Die gängigsten Kritikpunkte an
der partizipativen Demokratie werde ich anschließend auf ihre allgemeine Schlüssigkeit sowie
auf ihre Stichhaltigkeit in Bezug auf das lokale und kommunale Umfeld prüfen.
Der Kern meiner Fragestellung lautet: Ist die Theorie der Partizipation der herrschenden
liberalen Theorie überlegen?
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1. Demokratieentwicklung
Partizipative Demokratie ist frei übersetzt die Beteiligung der Bevölkerung bei der
Selbstherrschaft. Dass es das Wörtchen „partizipativ“ vor der Bezeichnung „Demokratie“
braucht, ist streng genommen absurd. Wenn das Volk regiert, wieso wird dann auf
Beteiligung verwiesen? Folglich entsprechen die momentanen Ausformungen der
„Demokratie“ nicht der eigentlichen Bedeutung des Wortes. Demokratie ist ein
vielverwendeter Begriff und geschichtlich höchst problematisch. Das Wort leitet sich vom
griechischen ab (dēmos = Volk, kratia = Macht, Herrschaft, Stärke) und wird mit
Volksherrschaft übersetzt. Die Bezeichnung geht auf die Attische Demokratie, die im
griechischen Stadtstaat entwickelt wurde, zurück. Seitdem hat Demokratie viele verschiedene
Ausformungen angenommen und gilt als die unumstrittenste Regierungsform der Gegenwart.
Von den knapp 200 Staaten der Erde erheben fast alle den Anspruch demokratisch zu sein.
Der bahnbrechende Gedanke der Attischen Demokratie war, dass alle Bürger die Möglichkeit
hatten, an Versammlungen und Abstimmungen teilzunehmen und jede Stimme gleichwertig
gezählt wurde. Das Volk reduzierte sich dabei jedoch auf ca.10 Prozent der Bevölkerung.
Frauen, Sklaven und Metöken (=freie Fremde, die in Athen arbeiteten und lebten) waren von
der Bürgerschaft ausgeschlossen. Wieso wird also eine Sklavenhaltergesellschaft, in der
Frauen von der politischen Beteiligung ausgeschlossen waren, oft als Vorzeigemodell der
Demokratie genannt? Die Antwort liegt bei den 10 Prozent der Bürger, die über sich selbst
herrschten und die gleichen politischen Rechte besaßen. Selbstbestimmung und Gleichheit
standen im Zentrum der neuen Staatsform, die zwar die Bürgerschaft auf einen sehr kleinen
Teil der Gesellschaft reduzierte und aus diesem Grund die Bezeichnung „demokratisch“ nicht
verdient, aber die Idee einer Ausweitung der Herrschaft mit dem Prinzip der Gleichheit aller
Teilnehmer[Innen] unterschied sich maßgeblich vom System der Tyrannis und der
Aristokratie.
Die Entwicklung der Demokratie zur populärsten Staatsform wurde jedoch für eine lange Zeit
unterbrochen. So galt in der Vergangenheit lange bei der großen Mehrheit der
PhilosophInnen, der StaatswissenschaftlerInnen und der PolitikerInnen die Demokratie als
eine schlechte Staatsform, im besten Falle noch als eine Ordnung, die nur im Rahmen kleiner
Gemeinwesen möglich sei und einer Mischung mit anderen Staatsformen, wie der der
Monarchie, Aristokratie oder Oligarchie bedarf. Mitverantwortlich dafür war die
Staatsformenlehre des Aristoteles, bei der die Demokratie als eine schlechte instabile
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Ordnung dargestellt wurde und somit in den nächsten Jahrhunderten kaum Beachtung fand.
(Schmidt 2000: 19-25)
Sofern demokratische Prinzipien angewendet wurden, geschah dies in kleinen freien
politischen Gemeinwesen, zum Beispiel in den nordamerikanischen Siedlerkolonien. Dabei
wurde Demokratie als Regierungsform bezeichnet, die nur für Kleinstgemeinwesen und nicht
für Flächenstaaten geeignet war. Man ging von einer Volksversammlungsherrschaft aus und
Elemente der repräsentativen Demokratie waren weitgehend unbekannt.
Die durch die städtische Entwicklung aufkommende Bedeutung der Wirtschaft ließ ein
Bürgertum entstehen, das sich seiner wichtigen Rolle und Macht mehr und mehr bewusst
wurde und die alten gesellschaftlichen Strukturen ins Wanken brachte. Die
Aufklärungsphilosophie und die damit verbundene Kritik der geburtsständischen
Privilegienordnung des Absolutismus bahnten demokratischen Gedanken den Weg. (Schmidt
2000: 59-60)
Die Forderung der Selbstbestimmung der Individuen, wie sie durch die Aufklärer laut wurde,
führte zu einem theoretischen Demokratieverständnis, das bis heute Ausgang vieler
Überlegungen zur idealen Staatsform ist. Die natürliche Freiheit und Gleichheit des Menschen
steht dabei im Mittelpunkt. Der Kreis derer, die als frei und gleich galten, nahm über die Jahre
kontinuierlich zu. Zeitgleich mit der Aufklärung entstanden neue Ideen, welche Aufgaben
dem Staat zukommen und wie dieser regiert und verwaltet werden sollte. Repräsentation,
Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung sind Prinzipien, die ihren
Ursprung in dieser Zeit haben.
Die genannten Errungenschaften gelten auch als die Säulen, auf denen die heutigen
westlichen Gesellschaften aufgebaut sind. Alle westlich demokratischen Systeme sind in den
genannten Prinzipien verwurzelt. Dieser spezielle Typ von Demokratie, der sich mit der
Aufklärung entwickelte und mit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika erstmals
praktisch umgesetzt wurde, wird als liberale Demokratie bezeichnet.
Ideengeschichtlich betrachtet können die verschiedenen Demokratietheorien in zwei diverse
Grundströmungen eingeteilt werden.
• Liberale Demokratietheorie
• Republikanische Demokratietheorie
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Diese beiden Arten der Demokratie sollen kurz vorgestellt werden, um ein besseres
Verständnis für die Analyse der momentanen Herrschaftsordnung zu erhalten.
1.1 Liberale Demokratietheorie
Unter liberaler Demokratietheorie versteht man die sich mit der Aufklärung entwickelte
Staatslehre, die den einzelnen Menschen und dessen Schutz in den Mittelpunkt der Theorie
stellt.
Der gedankliche Kern der modernen liberalen Demokratie ist ähnlich wie der der antiken
Demokratie in den Werten Freiheit und Gleichheit zu sehen. Der Freiheit wird aber verglichen
mit der antiken oder republikanischen Demokratie größere Beachtung geschenkt. Wesentlich
ist auch das hinzukommende Prinzip der Repräsentation. Dieses stammt zwar aus
monarchischen und aristokratischen Herrschaftsordnungen, doch kombiniert mit dem
Demokratieprinzip ergibt es die Grundlage der liberalen Demokratie und leitete geschichtlich
gesehen eine demokratische Revolution ein. (Fuchs 2004: 25)
Um das Repräsentationsprinzip demokratisch zu gestalten bedarf es einer Auswahl an
VolksvertreterInnen, die den Grundsatz der Volksherrschaft rechtfertigt. Wahlen gelten als
demokratisch, wenn es Alternativen für die WählerInnen gibt, wenn alle BürgerInnen daran
teilnehmen können und wenn jede Stimme gleich zählt. Im liberalen System werden
periodische und kompetitive Wahlen durch die Verfassung vorgeschrieben.
Die direkte Volksherrschaft reduziert sich somit auf den Zeitraum der Wahlen. Zwischen den
Wahlen kann es zu einem Abweichen des Volkswillen und dem der Volksvertreter kommen.
Somit findet eine neue Problematik Einzug in die Theorie, die als Responsivität bezeichnet
wird und die Abhängigkeit der Regierenden beschreibt, nach dem Willen des Volkes zu
herrschen. Gewährleistet wird die Responsivität durch regelmäßig stattfindende Wahlen. Die
Volksvertreter handeln somit nicht in zu starker Abweichung ihrer Wählerschaft und
besonders vor Wahlen wird nach dem Wählerwillen gehandelt.
Der Stellenwert der politischen Beteiligung der BürgerInnen nimmt somit in der liberalen
Demokratie stark ab und nimmt einen neuen Charakter an. „Während in der antiken
Demokratie die Beteiligung der Bürger am Regieren Mittel und Zweck zugleich war, ist sie in
der liberalen Demokratie nur noch Mittel zum Zweck.“ (Fuchs 2004: 27)
Ausgangspunkt der liberalen Theorie ist die Rationalität und Effizienz des Marktes. Die
Entstehung von Kapitalismus und der liberalen Demokratie hängen nahe zusammen und sind
für das Verständnis wesentlich. Nach liberaler Auffassung kann sich Demokratie nur in Form
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von Interessenskompromissen egoistischer Akteure vollziehen. Differenzen zwischen den
BürgerInnen lassen sich nicht durch demokratische Prozesse aufheben, sondern nur durch
institutionelle Vorkehrungen einhegen. (Palazzo 2002: 15) Jedes Individuum hat einen freien
Willen, der sich durch Interessen und Präferenzen äußert. Die Freiheit besteht auch darin, das
eigene Interesse ungehindert verfolgen zu können. Dies geschieht außerhalb des politischen
Prozesses. Die Aufgabe der Politik ist es nun, die statischen pluralistischen Interessen zu
erfassen und ein politisches Angebot zu erstellen. Der Begriff des Politischen ist im Vergleich
mit der antiken Demokratie recht eng gefasst. Der Schutz jeder einzelnen Person vor dem
Staat ist wesentlich wichtiger als das Gemeinwesen und die gemeinschaftliche
Willensbildung.
Verglichen mit dem demokratischen Ideal ist die liberale Demokratie nur ein schwaches
Abbild von Volksherrschaft. Dies soll folgende Aufstellung noch einmal herausstreichen:
• Die Selbstregierung des Volkes wurde durch Wahlen der VolksvertreterInnen
abgelöst, die politische Beteiligung des Volkes ist dabei gelegentlich und begrenzt.
• Politische Willensbildung entstand in Athen besonders durch gemeinsame
Versammlungen der Bürger. In der liberalen Demokratie vollzieht sich diese
weitgehend monologisch durch beschränkte Kommunikation in der primären
Lebenswelt (z.B. Freunde, Familie, Kollegen) sowie durch Massenmedien.
• Statt eines authentischen Volkswillens, der ein inhaltliches Gemeinwohl darstellt
(reduziert auf die damaligen Bürger, versteht sich), stellen in der liberalen Demokratie
getroffene Entscheidungen eine prozedurale Anhäufung einzelner Gruppeninteressen
dar.
• Der Demos der modernen Demokratie ist nicht wie in der antiken Demokratie ein
kollektives Subjekt, sondern eine Ansammlung von Einzelsubjekten.
• Der entscheidende Punkt, bei dem die liberale Demokratie ein „Mehr“ an Demokratie
vorweisen kann, ist bei der Bürgerschaft, die in der Attika exklusiver war als in der
liberalen Demokratie. (Fuchs 2004: 28)
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Die Konfrontation der modernen liberalen Demokratie mit ihrem antiken Ideal führt zu einer
normativen Anspruchslosigkeit. (Fuchs 2004: 31) D. Fuchs muss jedoch vorgeworfen werden,
dass er die Antike Demokratie stark idealisiert. Besser ist von einem nie stattgefundenen
Idealtypus zu sprechen als von der Sklavenhaltergesellschaft im antiken Athen. Doch auch
wenn man sich auf den Vergleich einlässt, so ist die Gesellschaft des antiken Athens mit den
modernen westlichen Industriestaaten nur schwer zu vergleichen. Die attische Demokratie
baute auf der Herrschaft einer Klasse auf. Diese verfügte über eine homogene Kultur mit
gemeinsamen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen, die sich durch die erfahrbare und
gelebte Demokratie selbst reproduzierte und stabilisierte. Im politischen Sinn beinhaltete der
antike Demos nur zehn Prozent der Bevölkerung und das muss ständig berücksichtigt werden
bei einem Vergleich. Moderne Gesellschaften sind durch Heterogenität und Mischkulturen
geprägt. Wertvorstellungen sind wesentlich individueller als vor 2500 Jahren. Besonders aber
die geringe Anzahl der BewohnerInnen des antiken Athens stehen im Widerspruch zu den
Millionenstaaten der modernen Demokratien.
Die liberale Demokratietheorie hat in Abgrenzung zur attischen direkten Demokratie auch
wichtige Probleme der Demokratie gelöst. Besonders der Schutz des Einzelnen bzw. von
Minderheiten durch Institutionelle Vorkehrungen (Verfassungsrechte, Gewaltenteilung) und
die Regierbarkeit eines Flächenstaates durch das Repräsentationsprinzip sind große liberale
Errungenschaften. Durch diese Anpassung der antiken Demokratie an die veränderten
gesellschaftlichen Bedingungen entwickelte sich die liberale Demokratie zur dominanten
Herrschaftsform in beinahe allen westlichen Staaten. Ausgehend von der Gründung der USA
eroberte die liberale Demokratie allmählich ganz Europa. Heute können alle
marktwirtschaftlich organisierten Demokratien als liberal betrachtet werden. (Vorländer 1995:
30) Auch das österreichische politische System fällt somit unter die Kategorie einer liberalen
Demokratie, trotz großer Unterschiede zum liberalen Ideal.
Die Ausweitung des enggefassten Begriffes der Wahlberechtigten ist zwar keine explizit
liberale Errungenschaft, von Zeit zu Zeit hat sich der Kreis jener, die an der Volksherrschaft
beteiligt sind, in liberal-demokratischen Gesellschaften stark erweitert. Zwar gibt es nach wie
vor Kriterien, die erfüllt sein müssen um an politischen Wahlen teilzunehmen (nicht jeder der
in einem Staat wohnt gehört zum Volk), doch hat sich der Kreis jener, die stimmberechtigt
sind, erheblich ausgeweitet.
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Ein direkter Vergleich der antiken mit der modernen Demokratie macht also auf Grund der
veränderten Gegebenheiten nur bedingt Sinn. Die relative normative Anspruchslosigkeit der
modernen Demokratie soll nicht zu einer resignativen Haltung führen, sondern als Anstoß zur
Veränderung der liberalen Demokratie unter Berücksichtigung der modernen
gesellschaftlichen Gegebenheiten, sowie den Errungenschaften der liberalen Demokratie
gegenüber ihrem antiken Vorgänger, beitragen.
Genau deshalb setzen beinahe alle gängigen Demokratietheorien ihre Kritik am liberalen
Modell an. Gewaltenteilung, Freiheits- und Gleichheitsrechte werden dabei in vielen Fällen
vorausgesetzt und nicht mehr wirklich als liberale Errungenschaften gewürdigt. Auch die
partizipative Demokratietheorie übernimmt viele liberale Konzepte und wird sogar teilweise
als liberal im weitesten Sinne begriffen.
1.2 Republikanische Demokratietheorie
Die zweite bedeutende Denkrichtung innerhalb der Demokratietheorie ist die republikanische.
Der Name Republik (lat.: Res publicas, „öffentliche Angelegenheit“) lässt bereits vermuten,
dass die Theorie das Gemeinwesen in den Mittelpunkt stellt.
Die Volkssouveränität wird dabei als nicht vertretbar angesehen. Die Demokratie ist die
Herrschaft der BürgerInnen, nicht über die BürgerInnen. Jede Art der Repräsentation wird
grundsätzlich abgelehnt.
Im Zentrum der Theorie steht die Herstellung eines gemeinsamen Willens/Gemeinwohls oder
„common good“. Gesellschaft konstituiert sich über Meinungs- und Willensbildungsprozesse
der BürgerInnen. Gesellschaft als Ganzes wird vor dem Hintergrund eines starken
Gemeinschaftsbegriffes als politische Gesellschaft verstanden. Die antike Demokratie wird
als Vorbild angesehen und versucht zu reproduzieren.
Der Republikanismus misstraut dem Staat, weil er genuin politisches Handeln entpolitisiert,
die BürgerInnen entmündigt und ins private, wirtschaftliche Handeln drängt. Repräsentative
Elemente führen somit zum Abbau dessen, was eigentlich als Demokratie gilt. Das erklärte
Ziel ist somit die (Re-)Politisierung der Gesellschaft und die Auflösung des überflüssig
werdenden Staates. Die aktiven BürgerInnen sind in möglichst vielen Entscheidungen mit
einzubeziehen. Bedeutende VertreterInnen der republikanischen Demokratietheorie sind J.J.
Rousseau und H. Arendt. (Palazzo 2002: 17)
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Die Theorie hat ihr Vorbild ganz klar in der Methode der Attischen Demokratie, der direkten
Volksversammlung. Ihre grundsätzliche Kritik an den liberalen Modellen ist die Annahme,
dass Repräsentation zu einer Entdemokratisierung der Bevölkerung führt.
Im Gegensatz zu der liberalen Demokratie hat die republikanische Theorie kein einziges
praktisches Modell in der jüngeren Geschichte hervorgebracht. Die moderne Ordnung der
Gesellschaft und die damit zusammenhängende Einteilung in Flächenstaaten steht im direkten
Widerspruch zum republikanischen System der umfassenden Selbstregierung.
Die partizipative Demokratietheorie sieht den Einwand der republikanischen Theorie als
richtig an, dass ausschließliche Repräsentation und die Ansammlung von Einzelinteressen die
Grundlage der Demokratie zerstören. Auch die Wichtigkeit einer starken Öffentlichkeit als
Ausgleich zum Staat, findet Eingang in die partizipative Demokratietheorie. Doch erkennt die
partizipative Demokratietheorie die aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten an und nimmt
Abstand von einem System der reinen Volksherrschaft.
(Palazzo 2002: 21)
1.3 Kritik am liberalen und republikanischen Ansatz aus Sicht der partizipativen
Demokratietheorie
Kritik an der republikanischen Theorie
Die Kritik am republikanischen Ansatz ist kurz, dafür umso schwerwiegender. Die Idee einer
unmittelbaren Volkssouveränität ist wenig kombinierbar mit dem Niveau gesellschaftlicher
Ausdifferenziertheit. Es gibt keine homogene Gesellschaft und die Rückkehr zu einer solchen
ist versperrt durch normative Kritik und normative Vielfalt.
Fuchs sieht die Intensität der erreichbaren Selbstregierung in einem konfliktreichen Verhältnis
zu:
• der Ausdehnung des Territoriums;
• der Anzahl der BürgerInnen;
• der Menge der Entscheidungen und
• der Komplexität der Probleme. (Fuchs 2004: 33)
Die republikanische Theorie bleibt somit als normative Kritik der liberalen Demokratie
erhalten. Der Anspruch der totalen Selbstregierung ist aber ein nicht umsetzbares Konstrukt
für moderne Gesellschaften. Jedoch auf kommunaler und regionaler Ebene bleibt aus
partizipatorischer Sicht die Kritik der republikanischen Theorie am Repräsentationsprinzip
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erhalten. Der Grad der erreichbaren Selbstregierung steigt besonders auf Gemeinde- und
Landesebene werden die oben angeführten Kriterien herangezogen.
Kritik am liberalen Modell
Die partizipative Demokratietheorie bzw. ihre VertreterInnen gehen bei ihrer Kritik von der
existierenden liberalen Demokratie aus. Grob kann in eine normative und eine praktische
Kritik unterschieden werden. (Fuchs 2004: 35) Der normative Vorwurf lautet, dass das
Demokratieprinzip der liberalen Demokratie kaum noch der eigentlichen Idee der
Volksherrschaft entspricht. „Rein empirische Ansätze führen zur normativen Entleerung der
Demokratie“ (Palazzo 2002: 19) Weiten Teile des liberalen Ansatzes liegt eine Ideologie der
Systemstabilität zugrunde. Die Theorie wird aufgrund der Realität konstruiert und es ergibt
sich folglich eine scheinbare Unveränderbarkeit des aktuellen Zustandes. Die normative
Grundidee der Demokratietheorie, der Volksherrschaft, muß Funktionalität und Stabilität
weichen.
Die praktische Kritik geht davon aus, dass die Probleme der liberalen Demokratie nicht mehr
durch ihren institutionellen Rahmen bewältigt werden können. Die Dominanz der
Partikularinteressen in der Politik wird auf Dauer die Grundlagen des demokratischen
Prozesses selbst zunichte machen.
Ausdifferenzierte Parteiensysteme genügen nicht, um mit dem wachsenden Pluralismus in der
Gesellschaft zurechtzukommen. Parteien befinden sich im Konkurrenzkampf um
Wählerstimmen. Es besteht ein Wettkampf um das beste Angebot. Die Selbstständigkeit und
Eigenverantwortung der BürgerInnen wird dabei reduziert. Im Wettkampf um Stimmen
werden mehrheitsfähige und austauschbare Angebote entwickelt. BürgerInnen werden zu
Konsumenten und können am Ende entscheiden welches Paket sie wollen.
Was die liberale Theorie mit ihrer vertragstheoretischen Konzeption von Gesellschaft, also
des Abgleichs von feststehenden individueller Präferenzordnungen, besonders verneint, ist die
Möglichkeit des Diskurses. „Sie [die Vertragstheoretiker] verneinen die Fähigkeit, im Lichte
eines argumentativen Austausches, die je eigene Position verändern zu können.“ (Palazzo
2000: 20) In der liberalen Theorie treffen Individuen mit fixen/unveränderlichen
Wertevorstellungen, Präferenzen und Meinungen aufeinander. Der Diskurs hat nur die
Funktion mehr oder weniger kontingente Übereinstimmungen festzustellen und daraus
allgemeingültige Normen oder Entscheidungen abzuleiten. (Palazzo 2002: 20)
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Repräsentative Demokratie Partizipatorische Demokratie
Demokratie als Methode der Programm- und
Personenauswahl, des Wettbewerbes und der
legitimen Herrschaft
Demokratie als politische Methode und Ziel
Hauptinteresse am Endergebnis Hauptinteresse am Prozess
Enger Politikbegriff Expansionistisches Politikkonzept
Unveränderbarkeit der Elite-Masse-
Gliederung
Reformierbarkeit der
Gesellschaftsverhältnisse
Politische Führer als Garant für
Systemstabilität
Stabilität und Lebensfähigkeit der
Demokratie durch Ausweitung und
Vertiefung
Die partizipatorische Demokratietheorie positioniert sich also zwischen der liberalen Theorie
und dem republikanischen Ansatz. Während der politische Input im Zentrum einer
republikanischen Gesellschaft steht, muss die liberale Gesellschaft vor allem outputorientiert
verstanden werden. (Palazzo 2002: 18) Die richtige Balance zwischen Effizienz und
Legitimität ist das maßgebliche Konzept hinter der partizipativen Demokratietheorie. Sie
versucht den Streit zwischen einer Fokussierung auf das Individuum bzw. auf die
Gemeinschaft zu lösen und den der Demokratietheorie innewohnende Gegensatz von Freiheit
und Gleichheit neu zu analysieren und bestmöglich zu vereinen.
2. Partizipative Demokratietheorie
Die partizipatorische Demokratietheorie fordert die politische Beteiligung möglichst Vieler
über möglichst Vieles, und zwar im Sinne von Teilnehmen, Teilhaben und seinen-Teil-Geben
einerseits und innere Anteilnahme am Geschehen und Schicksal des Gemeinwesens
andererseits.
Demokratie wird dabei durch die breite Auslegung auf alle Lebensbereiche oft mehr als eine
Art Lebensform und nicht bloß als Staatsform dargestellt. Im Zentrum der partizipativen
Demokratietheorie stehen dabei die tätige Mitwirkung der BürgerInnen, die diskursive
Konfliktregelung und das Gespräch. (Schmidt 2000: 251-252)
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2.1 Politische Beteiligung als Problem etablierter Demokratien
Im Mittelpunkt der partizipativen Demokratietheorie steht also die politische Beteiligung der
BürgerInnen. Legitimität wird nach der partizipativen Demokratietheorie maßgeblich durch
die Teilnahme des Volkes an politischen Vorgängen hergestellt.
Westliche Demokratien leiden an einer abnehmenden Bereitschaft der BürgerInnen sich
politisch zu beteiligen. Sinkende Wahlbeteiligungen und zurückgehende Mitgliedschaften in
politischen Vereinigungen aller Art werden in unterschiedlicher Ausprägung in beinahe allen
westlichen Demokratien nachgewiesen. (Zittel 2004: 55) Allgemein werden diese Anzeichen
als eine wachsende Distanz zwischen BürgerInnen und Staat gedeutet.
Die partizipative Demokratietheorie nimmt dies als Anlass für eine institutionelle Reform, die
zur Steigerung der Partizipation der BürgerInnen beitragen soll.
Die liberale Demokratie sieht ihre Legitimität hingegen nicht vorrangig in der Beteiligung der
BürgerInnen, sondern auch in anderen Grundwerten, wie der Entscheidungseffizienz, dem
Schutz von Rechten und dem Gemeinwohlbezug. Die Balance zwischen den Grundwerten
erscheint als oberstes Prinzip der Legitimität. Dennoch stellt sich die Frage, ab welchem
Niveau der Beteiligung auch die liberale Demokratie von einer Krise der Systemfunktion
ausgeht. Zusätzlich attestieren Einstellungsforscher in Europa und den USA einen
zunehmenden Verlust von Vertrauen in die Politik seitens der Bevölkerung. (Zittel 2004: 56)
Während die liberale Position die geringe Neigung des Einzelnen zu politischen Engagement
mehr als unbeeinflussbare anthropologische Konstante wahrnimmt, sieht der partizipative
Ansatz einen positiven Zusammenhang zwischen politischer Beteiligung und institutionellen
Rahmenbedingungen.
2.2 Ansätze partizipativer Demokratie
Die Debatte um partizipative Demokratie bietet eine Vielzahl an unterschiedlichen Konzepten
und empirischen Modellen. Sie verfügt über kein klares theoretisches Modell, wie die ideale
Staatsform aussehen soll. Mehr orientiert sie sich am momentanen Zustand der liberalen
Theorie und verweist auf die Notwendigkeit und Verbesserungen durch politische
Beteiligung. Oft wird daher die partizipative Demokratie nur als eine progressive oder
republikanische Abweichung der liberalen Theorie gesehen.
Auf Vielzahl und Unterschiedlichkeit einigend wirkt die Kritik am liberalen Modell, die
scheinbar allen partizipativen Theorien zu Grunde liegt. Die konsequente Anwendung des
17
Repräsentationsprinzips und die zentrale Bedeutung von politischen Wahlen als
Interessenssammlung stehen dabei im Mittelpunkt des Unbehagens.
„Der kleinste gemeinsame Nenner einer Theorie der partizipativen Demokratie besteht
folgerichtig in der Forderung nach Verfahren und Institutionen, die ein höheres Maß an
politischer Beteiligung ermöglichen.“ (Zittel 2004: 57-58) Zittel teilt dabei die partizipative
Demokratie in drei Traditionslinien ein: den philosophischen-, den ideengeschichtlichen- und
den anwendungsbezogenen Ansatz.
• Der philosophische Ansatz
Dieser steht in einem engen Zusammenhang zur kritischen Theorie und somit zum Modell der
deliberativen Demokraie von Jürgen Habermas.
Die kritische Theorie gründet verkürzt dargestellt auf zwei Erkenntnissen, die relevant sind
für die demokratietheoretische Argumentation. Erstens sind moralische Urteile, die
allgemeine Geltung beanspruchen können, nur als das Ergebnis eines gesellschaftlichen
Prozesses, der sich durch Kommunikation vermittelt, möglich. Zweitens wird dieser als
diskursiv bezeichnete Prozess in Abhängigkeit von spezifischen institutionellen
Rahmenbedingungen gesehen. Diese Rahmenbedingungen sind mit den Grundsätzen der
Autonomie des Diskurses, der Gleichheit der DiskursteilnehmerInnen und der Offenheit des
Diskurses sehr allgemein gehalten. (Zittel 2004: 58-59)
Die Zwecksetzung des philosophischen Ansatzes durch Habermas zielt keineswegs auf die
Lösung praktischer Fragen oder auf die Ausarbeitung eines empirischen Modells ab. Dennoch
gilt sie vielen Denkern als Grundlage für die Ausarbeitung einer möglichen praktischen
Umsetzung in der Politik.
Der Deliberation kommt als eine alternative Form der Willensbildung eine besonders wichtige
Aufgabe in der partizipativen Demokratie zu. Im traditionellen Verfahren der liberalen
Demokratie werden Entscheidungen durch Eliten, die Ansammlung von individuellen
Interessen (Mehrheitsentscheid) oder strategische Handlungen gefällt. Deliberation dagegen
soll einen Willensbildungsprozess hervorbringen, der auf gemeinwohlorientierter
Kommunikation basiert. In einer modernen Gesellschaft werden solche Verfahren von den
Theoretikern des philosophischen Ansatzes als elementar für den Fortbestand der Demokratie
gesehen.
„Wo die Inhalte, Werte und Ziele politischer Organisation von sozialer Interaktion einer
permanenten normativen und funktionalen Pluralisierung und Veränderung unterliegen,
können politische Institutionen ihren Zweck der Gegenwartsstabilisierung nur noch dort
18
erfüllen, wo sie mit einer möglichst grossen Vielfalt an Inhalten, Werten und Zielen zurecht
kommen und auch durch eine hohes Veränderungstempo nicht übermässig irritiert werden.
Einer solchen Forderung genügen diejenigen Institutionen, die keine Inhalte, sondern
Verfahren stabilisieren, d.h. die Meinungs- und Willensbildungsprozesse organisieren, die
ihrerseits dann Inhalte produzieren. Solche Institutionen sind konstitutiv deliberativ.“ (Palazzo
2002: 22) Habermas hat das folgendermaßen formuliert: „Die deliberative Politik gewinnt
ihre legitimierende Kraft aus der diskursiven Struktur einer Meinungs- und Willensbildung,
die ihre sozialintegrative Funktion nur dank der Erwartung einer vernünftigen Qualität ihrer
Ergebnisse erfüllen kann. Deshalb bildet das diskursive Niveau der öffentlichen Debatten die
wichtigste Variable. Sie darf nicht im schwarzen Kasten einer Operationalisierung
verschwinden, die sich mit grobmaschigen Indikatoren zufrieden geben.“ (Habermas 1992:
369)
Nach dieser theoretischen Annäherung an die Aufgaben und Funktionen von Deliberation,
sollen die Voraussetzungen näher betrachtet werden, die für einen solchen Prozess nötig sind.
Habermas bezieht sich in „Faktizität und Geltung“ auf Joshua Cohen, der sieben Punkte für
eine ideale Prozedur der Beratung und Beschlußfassung aufstellt.
• Der argumentative Austausch von Informationen und Begründungen;
• die öffentliche und alle Beteiligungsberechtigte einschließende Beratung, zumindest
die gleiche Chance des Zugangs und der Teilnahme an der Beratung;
• das Fehlen externer und interner Zwänge bei der Beratung („ideale Sprechsituation“);
• die Maxime, dass die Beratung grundsätzlich unbegrenzt fortgesetzt oder – im Falle
einer Unterbrechung - jederzeit wieder aufgenommen werden kann;
• der Grundsatz, dass die Erörterungen sich auf alle Materien erstrecken können, die im
Interesse aller zu regeln sind;
• die Chance, auch über die Interpretation von Bedürfnissen, sowie über vorpolitische
Einstellungen und Präferenzen zu beraten;
• den Diskurs unterstützende verfassungspolitische Weichenstellungen. (Schmidt 2000:
260)
19
Kritisiert wird von Habermas bei den sieben Punkten von Cohen das Fehlen von
wichtigen internen Differenzierungen im Bild der deliberativen Politik, sowie Aussagen
zum Verhältnis zwischen entscheidungsorientierten Beratungen, die durch demokratische
Verfahren reguliert sind, und den informellen Meinungsbildungsprozessen in der
Öffentlichkeit. (Habermas 1992: 372-373) Somit ergänzt Schmid in Anlehnung an
Habermas, die Auflistung um einen weiteren Punkt.
• Das Zusammenwirken von Aussprache und Willensbildung in der Öffentlichkeit –
außerhalb der politischen Institutionen im engeren Sinn – einerseits, und Beratung in
den Institutionen der verfassten Willensbildung Entscheidungsfindung, vor allem im
Parlament, andererseits. (Schmidt 2000: 260)
In der Praxis lässt sich die Frage, ob die Voraussetzungen gegeben sind, nicht mit einem
klaren Ja oder Nein beantworten. Es wird nie ein Zustand eintreten, der den theoretischen
Vorgaben hundertprozentig entspricht. Es kann also nur gesagt werden, ob der Ist-Zustand
stark von dem Sollwert abweicht oder nicht. Dies bestimmt dann, ob günstige oder weniger
günstige Voraussetzungen bestehen. Beispielsweise kann in einer kleinen Gemeinde in der
sich beinahe alle Beteiligten kennen, das Fehlen von externen und internen Zwängen nicht
gegeben sein. Die Zwänge können aber in einem Bereich liegen, wo die Diskussion noch
nicht darunter leidet und man nicht von einem Fehlen der Voraussetzung sprechen kann.
Die Voraussetzungen sollten somit besser als Richtlinien betrachtet werden, die bei einer
Missachtung zu einem Scheitern der deliberativen Demokratie führen müssen.
Ein praktisches Modell, mit dem Versuch deliberative Willensbildung in das politische
Verfahren zu integrieren, kommt von James Fishkin und nennt sich: „Deliberative Opinion
Polls“. Dabei handelt es sich um eine Meinungsumfrage, bei der eine repräsentative Auswahl
von BürgerInnen zusammentrifft und über einen spezifischen Entscheidungsgegenstand
beraten. Im Unterschied zu gewöhnlichen Meinungsumfragen wird hier in einem
organisierten Verfahren auf der Grundlage von sachbezogenen Informationen über Formen
der Problemlösung beraten. Zum Schluss des Zusammentreffens wird über eine Lösung
abgestimmt, bei der sich der aufgeklärte kollektive Wille spiegelt, der als Ergebnis des
deliberativen Prozesses betrachtet wird. (Zittel 2004: 59) Auch Peter C. Dienel legt mit
seinem Entwurf der „Planungszelle“ ein praktisches Modell für die lokale Ebene vor, das
nach gleichen Regeln funktioniert und auch die deliberative Willensbildung zum Ziel hat.
20
Ein weiteres Verfahren kommt von Jim Rough und nennt sich „Wisdom Council“ und wird
von der Gemeinde Wolfurt in Vorarlberg als „BürgerInnenrat“ angewendet. Dieses Modell
will ich im dritten Kapitel der Arbeit genauer untersuchen.
Ein weiterer wesentlicher Punkt bei Habermas ist das Konzept der Öffentlichkeit. Dabei
stehen die gesellschaftlichen Grundlagen von Deliberation im Mittelpunkt. Es wird aufgrund
einer historisch-soziologischen Analyse verortet, wo deliberative Politik entstanden ist und
somit auch zu Öffentlichkeit führte. In der Vorstellung Habermas gibt es also einen sozialen
Raum der autonom von staatlich sanktionierten hierarchischen Ordnungsverhältnissen
existiert. Ursprung moderner Öffentlichkeit sieht Habermas im Bürgertum des 18.-19.
Jahrhunderts. Es soll eine kritische Korrektur politischen Handelns im Rahmen der verfassten
Ordnung aufgekommen sein, die frei von gesellschaftlichen und staatlichen Zwängen von
dem Bemühen um allgemeine Geltungsgründe bestimmt war. (Zwittel 2004: 60)
In modernen Demokratien sieht Habermas nun den fortlaufenden Zerfall von Öffentlichkeit.
„Habermas sieht den demokratischen Staat dort bedroht, wo die Öffentlichkeit ihre genuin
politische Funktion verliert. Diese Gefahr besteht immer dann, wenn sich das politische
System von den Meinungs- und Willensbildungsprozessen der Öffentlichkeit abkapselt und
sich selbstreferentiell schliesst.“ (Palazzo 2002: 58) Entgegengewirkt werden kann dem aber
durch emanzipative Bewegungen, die eine fragile Grundlage zur Revitalisierung
demokratischer Öffentlichkeit darstellen. (Zwittel 2004: 60) Zivilgesellschaft ist dabei die
soziale Grundlage für das Entstehen und den Fortbestand von autonomer Öffentlichkeit und
somit von deliberativen Prozessen. (Habermas 1992: 363) „Zivilgesellschaft besteht für
Habermas aus Vereinigungen, Organisationen und Bewegungen, die weder dem politischen,
noch dem ökonomischen System zuzuordnen sind, sondern sich dort mehr oder weniger
spontan formieren, wo gesellschaftliche Probleme in privaten Lebensbereichen Betroffenheit
erzeugen und Protest auslösen. Zivilgesellschaftliche Akteure nehmen diese individuellen
Betroffenheitsbekundungen auf und transformieren sie in kollektives Engagement.“ (Palazzo
2002: 61) Traditionelles Bindeglied zwischen Öffentlichkeit und Staat ist dabei der
Parlamentarismus, über den Forderungen institutionalisiert werden. Die wachsende
Heterogenität der Gesellschaft stellt ein großes Problem für das Repräsentationsprinzip und
den Parteienstaat/Parlamentarismus dar. Die breite Artikulation von vielen Interessen führt zu
einer inhaltlichen Leere und Austauschbarkeit.
21
Der Zivilgesellschaft kommt somit vermehrt die Aufgabe der Interessensartikulation zu, die
sie schneller und konzentrierter als die etablierten Institutionen der Demokratie wahrnimmt.
Auch die Massenmedien der Moderne haben für Habermas eine tragende Rolle für die
Öffentlichkeit. Durch die Kommerzialisierung der Massenmedien können öffentliche
Meinungen strategisch beeinflusst und inszeniert werden. Massenmedien verlieren damit
zunehmend ihr Kritikpotential. (Habermas 1978: 225) Der frühe Habermas glaubte, die
politische Öffentlichkeit könne dem Verfall der Demokratie keinen Einhalt bieten, weil sie
selbst immer stärker in die ökonomische Entscheidungslogik gezwungen wird. Er hofft jedoch
auf die Widerstandsfähigkeit des pluralistischen und nach innen differenzierten
Massenpublikums. Öffentlichkeit besteht aus vielen Teilöffentlichkeiten und die Manipulation
wird durch ihre anarchischen Strukturen begrenzt. Der Manipulation kann dort widerstanden
werden, wo der Modus der Beschaffung durchschaut wird. Zweck von politischer
Öffentlichkeit ist es, die Institutionen der Macht wieder an die kritische autonome
Kommunikation der BürgerInnen zu binden. (Palazzo 2002: 57)
Auch bei diesen theoretischen Überlegungen fehlt es leider an der Anführung von konkreten
Beispielen, welche Bewegungen als emanzipativ zu bewerten sind. Anzunehmen ist, dass z.B.
Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), die sich außerparlamentarisch Legitimität
verschaffen und somit in die Politik und Ökonomie eingreifen, als solche Bewegungen zu
bewerten sind.
Die Aufgabe einer partizipativen Politik sollte es dementsprechend sein, günstige
institutionelle Rahmenbedingungen für den Fortbestand und das Durchsetzungsvermögen von
emanzipativen Bewegungen zu schaffen. In wie weit dies durch politische Maßnahmen
kurzfristig möglich ist, soll bei den Strategien der partizipativen Demokratie näher geklärt
werden. Eine Möglichkeit jedenfalls scheint in dem Ausbau von Instrumenten der Direkten
Demokratie zu liegen, um der Zivilgesellschaft Nachdruck zu verleihen und ihr
Eingriffsmöglichkeiten in die Legislative zu geben.
• Der anwendungsorientierte Ansatz
Dieser Ansatz verzichtet, wie der Name schon vermuten lässt, auf die Definition allgemeiner
Modelle der partizipativen Demokratie und untersucht einzelne empirische Projekte, denen
der Anspruch auf Demokratisierung zugrunde liegt. „Das Erkenntnisinteresse dieser Variante
partizipativer Demokratie besteht in der Analyse spezifischer Projektdesigns und ihrer
22
politischen Entstehungsbedingungen sowie in der Frage nach der letztendlichen Wirkung
dieser Reformprojekte auf politische Beteiligung.“ (Zittel 2004: 60)
Die einzelnen Studien bieten jedoch keine Grundlage für eine verallgemeinernde Aussage zur
Demokratieentwicklung. Es besteht das Problem ein einzelnes Ereignis überzuinterpretieren
und es aus seinem spezifischen Kontext zu lösen. Wird versucht unterschiedliche empirische
Phänomene in einen theoretischen Rahmen zu bringen, läuft man Gefahr einer
konzeptionellen Verwässerung. Der Bestand an Fallstudien hilft aber unbestritten bei dem
empirischen Nachweis und der Illustration von deliberativen Verfahren in der Willensbildung.
Viele Autoren sehen im anwendungsorientieren Ansatz eine Waffe gegen den Reformstau,
und nicht ein Konzept, das eine umfassende Reform der liberalen Demokratie vorsieht,
sondern in bestimmten Bereichen versucht, zu mehr Demokratie und Selbstbestimmung zu
gelangen. Besonders Verfahren zur Demokratisierung des administrativen Bereichs, sowie auf
lokaler Ebene werden als zentrale Entwicklungsoptionen gesehen. (Zittel 2004: 61)
• Der ideengeschichtliche Ansatz
Dieser Ansatz sieht seinen Ausgangspunkt bei J. J. Rousseau und der Unterscheidung in
repräsentative und direkte Demokratie. Besonders geprägt wurde dieser von Carole Pateman
und deren Buch „Participation and Demokratic Theory“ (1970), das hier als Grundlage zur
Erklärung des Ansatzes herangezogen werden soll.
Die Chance zur Teilnahme an Sachabstimmungen wird bei Pateman zum Kriterium der
Legitimität einer politischen und wirtschaftlichen Ordnung. Sie untersucht ausgehend von J.
Schumpeter die modernen Theorien der Demokratie. In weiterer Folge werden B.R. Berelson,
R. A. Dahl, G. Satori und H. Eckstein untersucht. Sie alle sehen die Partizipation von
BürgerInnen primär auf Wahlen beschränkt und kritisieren die „klassischen Theoretiker“ der
Demokratietheorie für ihre zu normative Sichtweise. (Pateman 1970: 13-15) Pateman
kritisiert darauf die genannten Theoretiker, die „Klassiker“ nicht genügend zu unterscheiden
und die normative Signifikanz der Theorie zu vernachlässigen und diese all zu schnell
abzuschütteln. „…empirical evidence can lead us to change normative theories under certain
circumstances, although they add that as far as changing the ideal is concerned it needs to be
shown exactly how and way the ideal is rendered improbable or impossible of attainment.
This has nowhere been done.“ (Pateman 1970: 16) Pateman geht also einen Schritt zurück und
untersucht die „Klassiker“ und findet mit J.J. Rousseau, J.S. Mill, und G.D.H. Cole, drei
Theoretiker, bei denen politische Partizipation die wichtigste Stellung einnimmt.
23
Besonders die politische Beteiligung bei J.J. Rousseau ist Ausgang der Überlegung, wie die
positiven Auswirkungen der Partizipation, die der Franzose besonders in der
Erziehungsfunktion von Entscheidungsbeteiligung sieht, auch in modernen Gesellschaften
erhalten werden können. Diese Unterscheidung in Repräsentation und direkter Beteiligung
wird zum Ausgang der weiteren Ausführung. J.S. Mill sieht die vielen Voraussetzungen
Rousseaus, wie einer kleinen Gesellschaft mit einer unabhängigen Wirtschaft und einer
wirtschaftlichen Gleichheit der Bürger(Innen), als zu sehr von der damaligen Realität entfernt.
Seine Theorie lässt sich nur phasenweise der partizipatorischen Theorie zuweisen. Doch auch
Mill sieht in der Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungsprozessen die Möglichkeit,
die Selbstregierung zu erlernen. In der Auseinandersetzung mit A. Tocquevilles Werken sieht
J.S. Mill besonders auf der lokalen Politikebene die Chance zum Erlernen von Demokratie.
„It is by participating at local level that the individual learns democracy. (Pateman 1970: 31)
Dennoch bricht es seine Argumentation in seiner Theorie und geht von einem
Repräsentationsschema als ideale Lösung aus. (Pateman 1970: 32) Trotz dieses Hin und Her
bringt J.S. Mill in seinem Werk Essays on Politics and Culture (1835) eine wichtige Idee für
die Beteiligungstheorie hervor. Sich mit den positiven Effekten von Beteiligung
auseinandersetzend, sieht er in der sich wandelnden Wirtschaft (industrielle Revolution)
großes Potenzial für gesellschaftliche Lernprozesse in der Regelung von kollektiven
Angelegenheiten. „In the same way that participation in local government is a necessary
condition for participation at the national level because of its educative or improving effect, so
Mill is suggesting that participation in the government of the workplace could have the same
impact. These wider implications of Mill´s arguments about the importance of education are
usually overlooked, yet they are of great significance for democratic theory. If such
participation in the workplace is to be possible than the authority relationship in industry
would have to be transformed from the usual one of superiority-subordination (manager and
men) to one of co-operation or equality with the managers (government) being elected by the
whole body of employees just as representatives at the local level are elected.” (Pateman1970:
34-35)
Den Sprung zur modernen Gesellschaft vollzieht Pateman mit der Analyse von G.D.H. Cole.
Dieser sieht in seinem Werk Social Theory (1920) ähnlich wie Rousseau, auf den er sich auch
hauptsächlich bezieht, das Repräsentationsprinzip als Problem moderner Demokratien. „To
translate their [peoples] will into action in a way that does not infringe upon their individual
freedom, Cole argues that men must participate in the organisation and regulation of their
associations. …that the object of social organisation is not merely material efficiency, but
24
also essentially the fullest self-expression of all the members. Self-expression involves self-
government and this means that we must call forth the people´s full participation in the
common direction in the affairs of the community. (Pateman 1970: 36) Bei dem Versuch, den
Kern Rousseaus Theorie auf die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts zu übertragen, ersetzt er
das herkömmliche System der Repräsentation durch eine funktionale Interessensvertretung.
Traditionelle Repräsentation ist aus zwei Gründen eine missglückte Vertretung für Cole.
Erstens, weil sich Repräsentation nicht nach funktionalen Kriterien vollzieht, sondern Anhand
von sehr vielen unterschiedlichen Kriterien und sich somit weitgehend der Kontrolle entzieht.
Zweitens hat einE WählerIn keine Kontrollmöglichkeit über die gewählten RepräsentantInnen
und auch keine Möglichkeit des Mitwirkens am Regieren. (Pateman 1970: 37)
Eine Repräsentation, die auf funktionalen Zusammenschlüssen aufbaut, existiert fortlaufend
über die Legislaturperiode hinweg und kann somit kritisieren, beratschlagen und wenn nötig
den Repräsentanten auch auswechseln. Auch hat eine funktionale Repräsentation den Vorteil,
dass der/die Delegierte sich in dem Bereich, den er/sie vertritt, auskennt, genauso wie die
Personen die er/sie vertritt. (Pateman 1970: 37) Cole entwickelt auf diesen Ideen beruhend ein
politisches und wirtschaftliches System der funktionalen Interessensvertretung.
Pateman gelingt es somit eine ideengeschichtliche Brücke von Rousseau bis zur Moderne zu
schaffen und die wichtige Rolle der Partizipation herauszuheben.
Doch gesteht Pateman dass ein System, das nur auf direkter Demokratie aufgebaut ist, in
einem modernen Nationalstaat kein wünschenswerter Zustand darstellt und keine umfassende
Alternative zur liberalen Demokratie ist.
Es kommt somit zu einer differenzierten Betrachtung der liberalen Demokratie mit dem
Ergebnis, dass auf lokaler Ebene sowie in der Arbeitswelt, auch in modernen Nationalstaaten
eine partizipative, direktdemokratische Ordnung wünschenswert und überlegen ist.
Durch die Demokratisierung des Repräsentationsprinzips versucht Pateman die
Unvereinbarkeit von Repräsentation und Partizipation aufzulösen. Sie folgt der Theorie von
Cole und setzt auf eine funktionale Repräsentation, die auf einer weitgehenden
Demokratisierung des Entscheidungsprozesses innerhalb funktional definierter Gruppen und
auf der Idee der Weisungsgebundenheit politischer Repräsentanten beruht. Repräsentation
wird dabei als Delegation begriffen und löst die Unvereinbarkeit somit theoretisch auf. (Zittel
2004: 62)
Der ideengeschichtliche Ansatz kritisiert also im speziellen das Repräsentationsprinzip im
liberalen Demokratieverständnis. Die positiven emanzipatorischen Kräfte der Beteiligung von
BürgerInnen an Entscheidungen müssen mehr genutzt werden um sich der normativen
25
Vorgabe der Selbstregierung anzunähern. Praktische Handlungsspielräume liegen besonders
auf lokalpolitischer Ebene, aber auch rund um den Arbeitsplatz. Beginnend auf diesen Ebenen
soll die Selbstbestimmung erlernt und auf weitere Gesellschaftsbereiche ausgeweitet werden.
5 Bausteine für ein Modell der partizipativen Demokratie
Die drei verschiedenen Ansätze von partizipativer Demokratie zeigen, in welch
unterschiedlichen Konzeptionen gedacht wird. Während der anwendungsbezogene Ansatz auf
eine größere Theorie im Hintergrund verzichtet, nehmen der philosophische und der
ideengeschichtliche Ansatz ähnliche Analysen vor; der philosophische Ansatz mehr auf einer
soziologischen Ebene, der ideengeschichtliche mehr mit Rückgriff auf konkreten Ideen der
Partizipation. Alle drei verbindet aber die Forderung nach mehr Partizipation und besonders
beim Herausstreichen von möglichen Wirkungsbereichen der partizipativen Demokratie treten
Überschneidungen und Affinitäten auf, die ein Bild von einer möglichen Demokratie
entstehen lassen, das Zittel in fünf Bausteinen eines empirischen Modells zusammenfasst.
Diese fünf praktischen Grundsätze sind:
• Die Beförderung eines neuartigen Modus der Willensbildung (Deliberation);
• Die Stärkung des Entscheidungsmodus der direkten Demokratie;
• Die Verlagerung von Kompetenzen auf die lokale Ebene (Dezentralisierung);
• Die Demokratisierung von funktional definierten Systemeinheiten (Segmentierung);
• Die Umsetzung der Idee der Repräsentation als Delegation. (Zittel 2004: 62)
Die oben genannten fünf Maßnahmen gehen von der Annahme aus, dass deren Umsetzung die
Bereitschaft zur politischen Beteiligung signifikant steigern kann. Empirische Nachweise
dafür sind mangelhaft vorhanden, dem Zusammenhang zwischen Institutionen und
politischem Verhalten ist auch theoretisch nicht oft nachgegangen worden.
Aufgrund der drei Ansätze lassen sich auch drei Begründungszusammenhänge ausarbeiten.
Diese Strategien der Partizipation sind dabei nicht den drei Ansätzen zuzuteilen, sondern
ergeben sich aus einer Einteilung der empirischen Stoßrichtung der partiziativen Demokratie
26
und beziehen sich unterschiedlich stark auf die jeweiligen Ansätze und die fünf Maßnahmen
der partizipativen Demokratie.
2.3 Strategien partizipativer Demokratie
2.3.1 Expansive Demokratisierung
Ausgang dieser Strategie ist, dass die politische Apathie auf einer rationellen Entscheidung
der BürgerInnen beruht. Diese verstehen ihre vorhandenen Teilhaberechte als chancenlos,
Einfluss auf politische Entscheidungen auszuüben. Durch den Ausbau von
Beteiligungsrechten soll auch deren Effektivität gesteigert werden und zu mehr Beteiligung
führen. Die Stärkung von Verfahren direkter Demokratie ist dabei ein wichtiges Anliegen.
Doch gibt es den Einwand, dass eine Stimme in einem modernen Staat beinahe gar keine
Auswirkung auf das Gesamtergebnis hat und daher kein weiterer Nutzen für die Beteiligten
entsteht. Differenzierter wird der Nutzen in der Theorie des rationalen Wählens betrachtet.
Dort wird festgehalten, dass besonders bei Wahlen in liberalen Demokratien der Nutzen
weniger im Ergebnis liegt, als viel mehr im Wahlvorgang selbst. Dieser gibt den BürgerInnen
Gelegenheit zur politischen Artikulation (expressive Funktion) und die lange Tradition des
Wählens führte zu einer Überzeugung, dass Wahlen ein konstitutives Element von
Demokratie darstellt, an deren Teilnahme der Erhalt und somit die Demokratie gesichert wird.
(Zittel 2004: 63)
Auch zeigt sich ein ähnliches Bild für die direkte Demokratie, in der eine einzelne Stimme
wenig bewirkt, es aber dennoch in der jüngsten Vergangenheit zu einem signifikanten Anstieg
der Instrumente der direkten Demokratie gekommen ist. (Zittel 2004: 64)
Besonders Referenden stehen im Mittelpunkt der praktischen Erfahrungen, dabei ist negativ
anzumerken, dass die Kontrolle über die politische Agenda in den Händen der Eliten bleibt.
Volksinitiativen bei denen politische Vorhaben aus der Mitte der Bevölkerung propagiert
werden und durch entsprechende Unterstützung zur Abstimmung gebracht werden, könnten
ein höheres Maß an Zustimmung für die direkte Demokratie mit sich bringen.
Eine weitere Erhöhung der Nutzenfunktion bringt die Demokratisierung der lokalen Ebene
mit sich. Je weniger Personen eine Entscheidung betrifft, desto höher ist die Stimme des
Einzelnen und desto höher die Motivation sich zu beteiligen. Voraussetzung dabei ist
natürlich, dass die lokale Ebene auch über entsprechende Entscheidungsbefugnisse und
Kompetenzen verfügt. „Lokale Demokratie setzt deshalb in diesem theoretischen
Zusammenhang zwingend die Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen voraus. Nur
27
unter diesen Bedingungen ist ein Grad der politischen Einflussnahme erreicht, der eine
rationale Grundlage für politische Beteiligung bietet.“ (Zittel 2004: 64)
Ganz allgemein kann auch die Funktionsweise der direkten Demokratie als Nutzeneffektivität
der Beteiligung gesehen werden. Sie steigert nämlich die Anzahl der kollektiven
Entscheidungen im Gegensatz zur liberalen Demokratie um ein Vielfaches. An einer
spezifischen Sachabstimmung werden sich nur jene Personen beteiligen, die ein ausgeprägtes
Interesse an dem Ausgang haben. Es kommt zu einer kleineren Zahl von
EntscheidungsträgerInnen und somit zu einem größeren Nutzen der Beteiligung.
In der repräsentativen Demokratie wird mit der Wahl einer Partei oder eines Abgeordneten zu
einem Zeitpunkt über alle politischen Themen entschieden. Somit ist die Beteiligung an
solchen Wahlen natürlich vergleichsweise hoch und das Gewicht einer einzelnen Stimme
verhältnismäßig gering. (Zittel 2004: 64) Eine Stimme zu haben bei mehreren Millionen
Wahlberechtigten ist keine direkte Motivation zur Teilnahme an Wahlen.
Mit dieser Argumentation soll nicht eine niedrigere Beteiligung als wünschenswert
empfunden werden, doch durch die Aufteilung der Mitbestimmung auf einzelne Themen
ergibt sich eine größere effektive Beteiligung und ein größerer rationeller Nutzen für die
BürgerInnen.
2.3.2 Integrative Demokratisierung
Diese Strategie geht davon aus, dass Menschen nicht als BürgerInnen geboren werden,
sondern erst zu staatsbürgerschaftlichen Tugenden erzogen werden müssen. Demokratie muss
erst erfahren und erlernt werden. Gelernt werden soll, sich kritisch gegenüber seinen eigenen
Impulsen und Motivationen (intern) zu distanzieren, und gleichzeitig die Subjektivität zu
realisieren sowie die damit zusammenhängende Begründungspflicht des eigenen
Standpunktes (extern). (Zittel 2004: 65) Allgemeiner formuliert geht es darum zu lernen, sich
selbst als Teil einer Gemeinschaft zu begreifen. Diese Fähigkeit wird dabei weder als eine
angeborene Eigenschaft des Menschen wahrgenommen, noch als eine Verhaltenstechnik, die
durch institutionelle politische Rahmenbedingungen einfach geschaffen und gesichert werden
kann. „Die Strategie der integrativen Demokratie sieht den Kontext, der eine Grundlage für
die Transformation des Menschen zum Bürger bietet, nicht auf der Ebene verfasster
Strukturen bestimmt.“ Es geht also um die …“Vorstellung von Demokratie als soziale Praxis,
die sich dem Einzelnen in alltäglichen Erfahrungen vermittelt und die so die Funktion der
Sozialisation ausfüllt, die eine Voraussetzung für einen Prozess der Selbsttransformation
darstellt.“ (Zittel 2004: 66) Diese demokratische Sozialisation soll vor allem im täglichen
28
Leben erfahrbar sein. In Mittelpunkt der Theorie stehen soziale Gruppen, die jedoch eine
differenzierte Betrachtung verlangen. Homogene Gruppen, die sich um ein spezifisches
Interesse bilden werden in der klassischen Demokratietheorie bereits als Demokratie
hinderlich gesehen. Voraussetzung sind also Gruppen mit heterogenen Interessen, die
funktional zusammengesetzt sind und ein lebensweltlichen Bezug haben. Ein Beispiel dafür
wäre das Konzept der „workplace democracy“ bei dem es um demokratische Entscheidungen
am Arbeitsplatz geht. Staatliche Eingriffe in die privatwirtschaftlichen Betriebe sind in
liberalen Systemen selten. Österreich verfügt dennoch über mehrere Regelungen für mehr
Demokratie am Arbeitsplatz. Zum Beispiel die Arbeiterkammerwahlen, Betriebsräte, und
Arbeitervertretungen sind historisch gewachsene Gebilde, die sich trotz neoliberalistischen
Zuwächsen behaupten konnten. Zum Entstehen einer demokratischen Kultur in der
Arbeitswelt konnten diese jedoch nicht beitragen. Diese hängt wesentlich mehr von dem
Willen der/des ArbeitsgeberIn ab, auf die Wünsche seiner Angestellten und ArbeiterInnen
einzugehen und entzieht sich im Wesentlichen den direkten staatlichen Eingriffen.
Wichtig für die integrative Demokratisierung ist auch die primäre Sozialisationsebene, also
die demokratische Kultur innerhalb der Familie und des Freundeskreises.
Die aufkommende Frage bei der Idee der integrativen Demokratie ist, in wie weit sich solche
demokratische Gruppenprozesse der sozialen Integration von der Politik steuern lassen.
Gesellschaftliche Sozialisationsagenturen werden eher als Ergebnis historischer, kultureller
oder ökonomischer Entwicklungen begriffen, die sich somit der kurzfristigen Steuerung durch
politische Reformen entziehen. (Zittel 2004: 67) Zittel gibt jedoch drei positive Antworten,
wie der Staat eingreifend wirksam werden kann. Erstens die Demokratisierung von
funktional definierten Lebensbereichen im Zuge staatlicher Regulierungen (z.B. workplace
democracy, Betriebsräte, Sozialpartnerschaft). Zweitens die Stärkung der Zivilgesellschaft
und ihrer emanzipativen gesellschaftlichen Gruppen durch einen Machttransfer. Auch dabei
stellt sich die Frage, wie der Staat dauerhaft Macht an die Zivilgesellschaft transferieren kann.
Der Ausbau von direkter Demokratie ist dabei denkbar, sowohl auf lokaler Ebene, durch
direkte Beteiligung am Regieren, als auch durch die Erweiterung von Eingriffsrechten auf
Bundesebene (z.B. durch zwingende Volksabstimmungen bei entsprechender Unterstützung).
Drittens gelten für viele die neuen technischen Möglichkeiten rund um das Internet als eine
mögliche Grundlage für eine entstehende virtuelle Gemeinschaft. Diese Ansicht findet jedoch
sehr viel Kritik auch innerhalb der partizipativen Demokratietheorie. (siehe dazu weiter unten,
unter e-democracy)
29
Auch der Austausch von Argumenten und Standpunkten durch die Medien hat eine
integrative Funktion. Dabei wird die Grundlage der öffentlichen Meinung wesentlich
mitbestimmt. Die Frage, ob die massenmediale Öffentlichkeit überhaupt
Diskursqualität erreichen kann oder ob Diskurse nicht per se in kleine
Präsenzöffentlichkeiten gehören erscheint in dem Zusammenhang als entscheidend. Der
Zugang zur massenmedialen Öffentlichkeit ist ohne hin beschränkt auf wenige organisierte
Akteure. Das Bild der massenmedialen Öffentlichkeit ähnelt eher dem eines
Meinungsmarktes als dem einer abwägenden und reflektierten Kommunikation. (Ottmann
2006: 332) Dem zu Folge ist ein echter Diskurs auf nationaler Ebene nur sehr bedingt
möglich. Dennoch erscheint eine Demokratisierung der Medien als besonders wichtig.
Medienkonzentrationen können die öffentliche Meinung entscheidend manipulieren. Hier
bieten sich Möglichkeiten für den Gesetzgeber eingreifend zu wirken.
2.3.3 Effizienzorientierte Demokratisierung
Ähnlich wie die Strategie der expansiven Demokratisierung sieht die effizienzorientierte
Demokratisierung das Problem der politischen Apathie als Ergebnis eines ungleichen Kosten-
Nutzen-Verhältnisses. Doch will sie nicht wie die expansive Strategie den Nutzen erhöhen,
sondern den Kostenaufwand der Beteiligung reduzieren. Besonders in jüngster
Vergangenheit hat sich die Diskussion um die elektronische Demokratie verhärtet. Die
technischen Möglichkeiten bieten eine starke Reduzierung der Beteiligungskosten. Neben
Abstimmungen, Umfragen und Koordination stehen besonders Konsultationen im Mittelpunkt
praktischer Versuche. Zum Beispiel im Britischen Unterhaus werden Live-Konsultation via
Internet zugelassen und umgesetzt. Das Hauptproblem des Internet für Wahlen liegt in der
grundsätzlichen Offenheit des Mediums. Kritikern zufolge können das Wahlgeheimnis und
die Wahlfreiheit nicht gewährleistet werden. Auch wird die Manipulierbarkeit des
Wahlergebnisses befürchtet, weil eine erneute Zählung der Stimmen nicht möglich ist. (Zittel
2004: 68-69)
Es darf die grundsätzliche Frage stellt werden, in wie weit sich die effizienzorientierte
Demokratisierung als eine Alternative zur liberalen Demokratie begreifen lässt. Mehr
Effizienz durch weniger Aufwand ist auch das Prinzip der repräsentativen Demokratie. Nur
eine Vereinfachung der traditionellen Vorgänge wird auch nicht das Legitimitätsproblem der
liberalen Demokratie lösen. Im Sinne des philosophischen Ansatzes der partizipativen
Demokratietheorie muss somit die effizienzorientierte Demokratisierung als Einzelmaßnahme
(ohne integrative oder expansive Wirkung) besonders kritisch betrachtet werden.
30
Konkrete politische Beteiligungsversuche und Prozesse lassen sich aber ohnehin nicht immer
klar einer der drei Strategien alleine zuschreiben. Viel mehr kann von einer Mischung
gesprochen werden, in der ein Strategieansatz besonders hervorsticht oder fehlt. Praktische
Modelle der partizipativen Demokratie sollten also auf alle drei Strategien der
Demokratisierung hin geprüft werden. Somit sollten 1. die Ausweitung der Mitbestimmung,
2. der innere Prozess der Mitbestimmung und 3. die Kostenreduzierung der Mitbestimmung
als Richtlinien für partizipative Demokratieprojekte gesehen werden.
Exkurs: e-democracy
Bevor der theoretische Teil der Arbeit noch einmal zusammenfassend abgeschlossen wird, soll kurz
auf den Begriff der „e-democracy“ und die damit verbundenen Hoffnungen eingegangen werden.
Die technologischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte werden von vielen als eine Chance für mehr
Demokratie angesehen. Unter dem Begriff „e-democracy“ oder zu deutsch „elektronische
Demokratie“ werden Vorgänge erfasst, die sich den neuen Informations- und
Kommunikationstechniken (besonders dem Internet) bedienen, um politische Partizipation
herzustellen. Die Formen der Beteiligung über das Internet sind dabei sehr vielfältig: Referenden,
Umfragen, Rundmails, Live-Schaltungen, Konsultationen, Politik-Chats, Informationsweitergabe,
Online-Unterstützungen/Petitionen, Zweckwidmungen usw.
Die Fülle an Veränderungen und damit zusammenhängenden Fragen, die die Nutzung des Internets
mit sich bringt, können hier nur punktuell im Hinblick auf politische Partizipation betrachtet werden.
Die ökonomischen und technischen Probleme der Implementierung werden deshalb nur ungenügend
zu Beginn angesprochen. Ich erhebe mit der folgenden Behandlung sicherlich keinen Anspruch auf
Vollständigkeit, doch will ich die zukünftige Wichtigkeit des Mediums nicht ungeachtet lassen.
Probleme durch den Zugang und das Anwendungswissen
Durch die junge und schnelle Entwicklung des Mediums spielen bei der Nutzung klassische Faktoren
wie Alter, Geschlecht, formale Bildung und Berufstätigkeit immer noch eine Rolle, jedoch mit stark
abnehmender Tendenz. Somit kann von einer „Demokratisierung des Netzes“ gesprochen werden.
„Das soziodemographische Profil der Onliner nähert sich damit zunehmend der Gesamtbevölkerung
an.“ (Hoecker 2006: 293) Der Vorwurf einer Spaltung der Gesellschaft durch das Internet (digital-
exklusion) kann also nach Hoecker (in Österreich und Deutschland) zunehmend abgewehrt werden,
dennoch besteht nach wie vor eine Segmentierung. Auch ist es fraglich in was für Zeiträumen gedacht
wird, wenn von der „Demokratisierung des Internets“ gesprochen wird. Der momentane Zustand ist
nicht demokratisch. Das Alter ist der größte spaltende Faktor.
31
Technische Probleme
Die unglaubliche Dynamik des Internets ist auch ein Problem. So bringen fortlaufende technische
Erneuerungen ständig die Gefahr der Manipulation mit sich. Die Verfälschung von Ergebnissen kann
nicht ausgeschlossen werden. Sicherheitssysteme werden immer wieder durchbrochen und auch die
Kontrolle der Initiatoren einer Befragung, Abstimmung, Umfrage, usw. ist nicht gesichert.
Um zu der eigentlichen Fragestellung für das Thema zu kommen sollen die beiden oben kurz
erwähnten Probleme einmal als theoretisch gelöst betrachtet werden. Kann eine elektronische
Demokratie die strukturellen Hindernisse moderner Gesellschaften für die Umsetzung einer
partizipatorischen Demokratie aufheben?
Probleme der virtuellen Gemeinschaft
Das Internet ermöglicht die Bildung von virtuellen Gemeinschaften und die Aufrechterhaltung dieser
über große Distanzen hinweg. Raum und Zeit wird damit immer weniger zum Problem der
Gemeinschaft. Doch stellen die im Internet auf thematischer Grundlage zusammengefassten
Kommunikationsgemeinschaften eine fragmentierte Öffentlichkeit dar. Für die Herausbildung eines
gemeinsamen Willen ist dies somit wenig hilfreich. (Fuchs 2004: 44-45) Ähnlich wie Gruppierungen
mit homogenen Interessen nicht förderlich für die integrative Demokratisierung sind, so müssen auch
virtuelle Gemeinschaften differenziert betrachtet werden. „Als die wichtigsten Gründe (für eine
kritische Betrachtung) sind die Erschwerung der deliberativen Herausbildung eines kollektiven
Willens und der Konstitution einer politischen Gemeinschaft angegeben worden. Und beides sind
Voraussetzungen dafür, dass sich der Demos als ein kollektives Subjekt selber regiert.“ (Fuchs 2004:
49) Einen Gemeinwohl stiftenden Prozess darf das Internet somit nicht unbedingt für sich
beanspruchen. Über die Art der Entscheidungsfindung sagt das neue Medium wenig aus.
Vorteile der Kostensenkung
Einer der größten Vorteile des Internets ist die Erleichterung der Partizipation im Sinne der
effizienzorientierten Demokratisierung. Traditionelle Methoden der Beteiligung können theoretisch
von jedem Standort zu jeder Uhrzeit aus über das Internet erfolgen. Die Kostensenkung für die
Durchführung von politsicher Partizipation sowie die Senkung der Beteiligungskosten sind dabei
enorm. Raum und Zeit verlieren einen Teil ihrer Bedeutung für die politische Beteiligung.
Die Einführung von Referenden über das Internet scheint in Anbetracht der neuen Gegebenheiten als
die machtvollste mögliche Form der politischen Beteiligung des Volkes. Dabei muss jedoch das
ungelöste Problem der Informationskosten angesprochen werden, die mit einer solchen Einführung
entstehen würden. Die Meinungen über die Umsetzbarkeit einer solchen Demokratie gehen stark
auseinander. Kritiker sehen die Konstitution einer politischen Gemeinschaft als größtes Problem. Das
32
Volk wird sich aus rationellen Gründen nicht umfangreich und nicht kontinuierlich an einer
Referendumsdemokratie beteiligen. (Fuchs 2004: 42) Die Befürworter verweisen dabei oft auf das
Schweizer Modell, das auf Basis einer Referendumsdemokratie funktioniert.
Neben einer Referendumsdemokratie, die über das Internet aufgebaut ist, gibt es aber eine große
Menge an abgeschwächten Beteiligungsformen zur Legitimitätserhöhung, die zu Beginn kurz
angesprochen wurden und die sich dieser Diskussion entziehen.
Die Möglichkeiten solcher Beteiligungen über das Netz werden dabei von den politischen Parteien,
Regierungen und Behörden noch ungenügend genutzt.
Beispielsweise attestiert Hoecker den deutschen Parteien, dass das interaktive Potenzial zur
Intensivierung der Repräsentationsbeziehung zwischen Wählern und Gewählten weitgehend ungenutzt
bleibt. Diese nutzen das Internet mehr für die Selbstdarstellung der Partei. Wirkliche Macht wird den
Partizipierenden nicht übertragen. Vorschläge und Kritik sind zwar willkommen, die Art der
Weiterbehandlung hängt aber maßgeblich von den Verantwortlichen innerhalb der Partei ab.
Institutionen, die eine zwingende Behandlung eines Themas bei entsprechender Zustimmung vordert,
gibt es nicht. (Hoecker 2006: 296-297)
Medium für alle
Das Internet ist rasch und ungefiltert. Zwar gibt es klassische Medienstrukturen innerhalb von
Onlinemediendiensten, doch auch Freiraum für BürgerInnen selbst ihre Meinung kund zu tun.
Verfasser und Leser von politischen Informationen sind zunehmend identisch und nicht wie bei
anderen Medien strikt getrennt. Es gibt keine Zensur, kein Chefredakteur der entscheidet, wer oder
was publiziert wird. Einträge werden innerhalb von Minuten für alle sichtbar.
Zusammenfassend kann also die Frage nach der Überwindung der Hindernisse moderner
Gesellschaften bei der Implementierung partizipativer Mechanismen nicht ganz klar beantwortet
werden. Auf jeden Fall aber tragen die technischen Möglichkeiten zum Abbau von formalen
Problemen in der Umsetzung von Beteiligungsprozessen bei. Die Reduzierung der Beteiligungskosten
ist im Sinne der partizipativen Demokratie und führt näher an eine mögliche Selbstbestimmung.
Die Hoffnungen auf eine demokratische Revolution durch das Internet werden besonders durch die
Erwartungen an das neue Medium im Hinblick auf die Herausbildung einer deliberativ konstituierten
Gemeinschaft gemindert. Das Entstehen eines Gemeinwillens wird durch das Internet nicht gefördert.
Es kann also von einem Abbau der Hindernisse gesprochen werden, nicht aber von einer
Überwindung. Viel mehr kann, dem Umfang dieses Exkurses entsprechend, nicht gesagt werden.
33
2.4 Kritik an der partizipativen Demokratietheorie
M. Schmidt fasst in seinem Lehrbuch „Demokratietheorie“ die Kritik diverser Theoretiker an
der partizipativen Demokratietheorie in sechs Punkten zusammen.
Ausgehend von dieser Aufstellung will ich jeden einzelnen Einwand behandeln und auf sein
Zutreffen hin prüfen. Am Ende sollen die gravierenden Kritikpunkte zusammengefasst
werden und besonders bei den ausgesuchten Modellen der praktischen partizipativen
Demokratie neuerlich auf ihr Zutreffen hin geprüft werden.
• Primat des Normativen
• Unrealistisches Menschenbild
• Tocquevilles Problem
• Destabilisierung durch Übermobilisierung
• Eindimensionalität
• Überschätzung der Bürger(Innen) Kompetenzen (Schmidt 2000: 261)
Primat des Normativen
Viele Aussagen der partizipativen Demokratietheorie werden als zu wenig empirisch
abgesichert angesehen. Der Sollwert wird in der Demokratie sehr hoch angesetzt und
allgemeinen Aussagen über das Volk und den Beteiligungsprozess fehlt es an
Differenziertheit. Belohnung und Anreiz zur politischen Beteiligung sind höchst
unterschiedlich verteilt in einer modernen Gesellschaft.
Dem Vorwurf des Normativen kann mit dem oben beschriebenen Verlust des Normativen in
der liberalen Demokratie begegnet werden. Ohne einen normativen Ausgang in der Theorie
kann keine Veränderung eingeleitet werden. Stabilitätseifer kann zu einer theoretischen
Unveränderbarkeit führen, die jedoch nur scheinbar besteht. Der generelle Vorwurf, die
partizipative Demokratietheorie sei zu wenig empirisch abgesichert, kann nur durch eine
praktische Anwendung und Auswertung entkräftet werden. Besonders in jüngerer
Vergangenheit ist es auf kommunaler Ebene zu vielen Beispielen gekommen, in denen
Partizipation längst die tradierten Mechanismen liberaler Demokratie erweitert hat.
(Konsultationen, BürgerInnenbefragungen, offen Diskussionsrunden, usw.) Empirische
Untersuchungen von solchen Prozessen nehmen stark zu und helfen der partizipativen
Demokratietheorie sich von dem Vorwurf des Normativen zu lösen.
34
Unrealistisches Menschenbild
Der Mensch ist ein Maximierer individuellen Eigennutzens und nur unter speziellen
Bedingungen zu gemeinwohlorientierter Kooperation willens und fähig.
Die partizipative Demokratiethorie geht nicht von einem vorbestimmten Menschenbild aus,
sondern glaubt an die Veränderbarkeit und Lernfähigkeit des Menschen. Auf Verständnis
orientierte Kommunikation kann genauso wie andere staatsbürgerschaftliche Tugenden erlernt
werden. Der Ist-Zustand des Menschen darf sicher nicht unbeachtet bleiben, doch kann dieser
auch verändert werden. Wenn ein Mensch unter „speziellen Bedingungen zu
gemeinwohlorientierter Kooperation willens und fähig“ ist, so sollte doch versucht werden,
diese speziellen Bedingungen zu schaffen und für den politischen Prozess zu nutzen.
Was die liberale Theorie mit ihrer vertragstheoretischen Konzeption von Gesellschaft, also
des Abgleichs von feststehenden individuellen Präferenzordnungen besonders verneint, ist die
Möglichkeiten des Diskurses. „Sie [die Vertragstheoretiker] verneinen die Fähigkeit, im
Lichte eines argumentativen Austausches die je eigene Position verändern zu können.“
(Palazzo 2000: 20) In der liberalen Theorie treffen Individuen mit fixen/unveränderlichen
Wertevorstellungen, Präferenzen und Meinungen aufeinander. Der Diskurs hat nur die
Funktion mehr oder weniger kontingente Übereinstimmungen festzustellen und daraus
allgemeingültige Normen oder Entscheidungen abzuleiten. (Palazzo 2002: 20)
Der Vorwurf eines unrealistischen Menschenbildes, bzw. der Verkennung der realen
Gegebenheiten trifft also nur da zu, wo versucht wird ohne Schaffung von entsprechenden
Bedingungen, ohne die Einleitung von partizipativen Prozessen und ohne Analyse der
spezifischen Situation partizipative Demokratie umzusetzen.
Zu Tocquevilles Problem
Eine umfassende Demokratisierung steigert die Gefahr des Minderheits- oder
Mehrheitsdespotismus. Die steigende Gleichheit gefährdet die Freiheit des Individuums. Die
Allmacht der Mehrheit ist ein gefährliches Konzept, das schnell zu Unterdrückung, ja gar bis
zur physischen Vernichtung von Minderheiten führen kann.
Dieser Vorwurf an die partizipative Demokratie geht Hand in Hand mit jenem der
Eindimensionalität. Die Kritiker neigen dazu die partizipative Demokratie auf den Wert der
Beteiligung zu reduzieren. Andere bedeutsame liberal demokratische Errungenschaften wie
die gesetzliche Freiheit bleiben scheinbar ohne besonderen Stellenwert.
35
Die partizipative Demokratie nimmt jedoch Werte wie Gleichheit und Freiheit als Grundlage
für den Prozess der Einigung und Entscheidungsfindung an. Der scheinbare Wertemangel
oder die vermeidliche Eindimensionalität resultiert also aus einer Umlagerung der Maxime
auf den Beteiligungsprozess. Verfahren, die richtig im Sinne der partizipativen Demokratie
durchgeführt werden, können nicht zu einem Mehrheitsdespotismus führen. Deliberative
Entscheidungsfindung schließt per Definition einen Despotismus aus. Doch ob es möglich ist,
die Werte im Verfahren zu sichern/zu garantieren, z.B. die deliberative
Entscheidungsfindung, ist vielleicht die eigentliche Frage im Streit um die partizipative
Demokratie.
Wie schon A. Tocqueville selbst feststellte, sind Sitten und Gebräuche ein wichtiges
Gegenmittel neben Gesetzen und Institutionen. (Schmidt 2000: 142) Tocqueville spricht unter
anderem die dezentrale Organisation der Verwaltung sowie die Zusammenschlüsse der
BürgerInnen in Vereinen und Verbänden an, welche den Menschen aus seiner Isolation
herausführen und in die Kunst der geselligen Vereinigungen führen. (Schmidt 2000: 141)
Besonders wichtig bei der Gefahr des Mehrheitsdespotismus sind die gesellschaftlichen
Gegebenheiten. Gibt es bereits Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen und die Gefahr
einer Unterdrückung der Minderheit oder Mehrheit, so sind direktdemokratische
Entscheidungen gefährlich für die Freiheit des Individuums. Befragungen der Bevölkerung
und die sich daraus ergebende Mehrheiten bleiben normativ leichtgewichtig, wenn nicht der
Befragung ein kommunikativ ablaufender Meinungsbildungsprozess vorgelegt ist. (Palazzo
2002: 18) Somit muss bei der Umsetzung von Direkter Demokratie besonders auf die
spezifischen gesellschaftlichen Gegebenheiten des jeweiligen Territoriums geachtet werden.
Die Formulierung einer Demokratietheorie ohne gleichzeitige Reflexion der
gesellschaftlichen Macht- und Zwangverhältnisse und der Form, in der diese Verhältnisse
geändert werden können, kann den Bedürfnissen von systematisch unterlegenen Minderheiten
nicht gerecht werden. (Scholdan 1999: 161)
Die partizipative Demokratie lässt sich aber nicht auf direktdemokratische Verfahren
reduzieren. Auch bei der Integration von sozial exkludierten Gruppen findet sie Formen der
Beteiligung, die nicht in einem Mehrheitsdespotismus münden. Als konkretes Beispiel sei hier
das Integrationsleitbild des Landes Tirol genannt, das die Annäherung von schlecht
integrierten Minderheiten mit der Mehrheit und umgekehrt zum Ziel hat. Darauf werde ich im
dritten Kapitel der Arbeit genauer eingehen.
Somit kann die partizipative Demokratie vielleicht sogar auf eine bessere Integrationsfunktion
und Abwehr des Mehrheitsdespotismus verweisen als die liberale Demokratietheorie, die
36
Minderheiten zwar vertraglich (verfassungstechnisch) schützt, aber an der Basis keine
Maßnahme der Regulierung vorsieht.
Als konkretes Beispiel in Österreich könnte der Ortstafelstreit in Kärnten gelten. Dieser soll
kurz und vereinfacht für die Thematik dargestellt werden. Laut Verfassungsgerichtshof
müssen in Ortschaften mit slowenisch-sprachigen Minderheiten von 10 Prozent in Kärnten
zweisprachige (österreichische und slowenische) Ortstafeln aufgestellt werden. Im
Bundesland Kärnten findet diese Maßnahme jedoch keine breite Mehrheit in der Bevölkerung
und die Vollziehung durch die lokale Regierung erfolgt nicht dem Bundesgesetz
entsprechend. Die slowenisch-sprachige Minderheit verliert somit in der Praxis ihr
theoretisches Recht. Ein härteres Vorgehen des Bundes würde zu einer Verschärfung des
Konfliktes führen und ist somit auch nicht im Interesse der slowenisch-sprachigen Kärntner.
Gesellschaftliche Vorgänge und Meinungen lassen sich nur bedingt durch Verfassungs- oder
Gesetzesvorlagen steuern. Ein nachhaltiger Prozess der Integration kann/sollte auch einen
entsprechenden gesetzlichen Schutz der Minderheit mit sich bringen, doch ohne integrative
Maßnahmen auf lokaler und kommunaler Ebene bleibt die Diskrepanz zwischen
Mehrheitsmeinung und Gesetz erhalten und dieser Konflikt wird zu Lasten der Minderheit
ausgehen. Ob die partizipative Demokratie das Problem der Kärntner Slowenen wirklich
besser lösen würde, ist nicht empirisch nachprüfbar. Der momentane Zustand zeigt jedoch,
dass die liberale Demokratie das Recht der slowenisch-sprachigen Minderheit zwar
festschreibt, in der Praxis aber nicht durchsetzen kann.
Das Kärntner Beispiel widerspiegelt die Probleme der liberalen, aber auch der partizipativen
Demokratie auf eine eindrucksvolle Weise. Es zeigt das grundsätzliche Dilemma der
Demokratie, dass demokratische Entscheidungen bewusst einen undemokratischen Zustand
herbeiführen können. Es liegt in der Natur der Demokratie, dass sie sich selbst demokratisch
abschaffen kann. Weder der liberale, noch der partizipative Ansatz bietet einen sicheren
Schutz dagegen. Tocquvilles Problem bezieht sich meiner Meinung nach also gleichermaßen
auf die liberale, wie auf die partizipative Demokratietheorie.
Destabilisierung durch Übermobilisierung
Eine expansive Demokratie läuft in Gefahr, einen Überschuss an Beteiligung und Ansprüchen
gegenüber dem politischen System zu erzeugen. Die Balance zwischen Konflikt und Konsens
sowie zwischen Aktivismus und Apathie wird gestört und destabilisiert somit die politische
Ordnung und bringt nicht die erhofften BürgerInnentugenden hervor.
37
Kritik wird heute seltener als Krisenindikator und Bedrohung von Demokratie, sondern als
Antriebskraft für politische Reformen gesehen. Demokratische Systeme entwickeln sich
weiter, wenn kritische BürgerInnen die Umsetzung demokratischer Ideale und institutioneller
Reformen fordern. Ohne kritische BürgerInnen würden sich Korruption, Selbstbereicherung
und andere Formen der Misswirtschaft unter dem politischen Führungspersonal ausbreiten.
(Geißel 2008: 3) Kritische BürgerInnen sind somit ein historischer Schritt für die Entwicklung
und Verbesserung demokratischer Institutionen und Prozesse.
Als demokratieförderliche Einstellungen werden Partizipation, politische Informiertheit,
demokratische und politische Identifikation bzw. Nicht-Entfremdung und
Kompetenzbewusstsein betrachtet. Sowohl die VertreterInnen der repräsentativen, als auch
der partizipativen Demokratietheorie, haben kein Interesse an passiven BürgerInnen. Auch die
repräsentative Theorie setzt ein Mindestmaß an den genannten Eigenschaften voraus. (Geißel
2008: 5-6) Kann jedoch eine wachsende kritische Masse an BürgerInnen zu einer Gefahr für
die Demokratie werden? Voraussetzung dabei wäre, dass kritikbereite BürgerInnen häufiger
politisch entfremdet oder uninformiert sind.
Eine in Deutschland durchgeführte Studie aus dem Jahre 2004 mit 2000 befragten
BürgerInnen ergab, dass demokratieförderliche Merkmale häufiger vorkommen bei
kritikbereiten Personen als bei Nichtkritikbereiten. „Kritikbereite entstammen nicht den
Randgruppen der Gesellschaft, sondern sind – im Gegenteil – besonders häufig in den gut
gebildeten und gut situierten Bevölkerungsgruppen zu finden. Revolutionäre Umbrüche sind
von ihnen nicht zu erwarten. Es scheint sich eher um eine Gruppe zu handeln, welche
hinsichtlich ihrer Statuszugehörigkeit eine relativ sichere Position in der Gesellschaft inne hat,
Politik überdurchschnittlich ernst nimmt und sich bereitwillig sowie kenntnisreich für die
Demokratie einsetzt.“ (Geißel: 2008: 9) So wird die Studie kommentiert, aber der Ausgang
einer einzelnen Studie soll nicht zur alleinigen Rechtfertigung der Erhöhung von Beteiligung
herangezogen werden. Doch der geschilderte historische Prozess der Ausweitung der
Beteiligten, sowie die Antriebskraft von kritischen BürgerInnen, bzw. die Gefahr von
passiven BürgerInnen, lassen die Annahme einer Destabilisierung durch Übermobilisierung
als nicht zutreffend erscheinen. Der Begriff der Übermobilisierung ist somit in Frage zu
stellen, bzw. braucht eine differenziertere Ausformulierung, um als Kritikpunkt mehr
Gültigkeit zu erlangen.
38
Eindimensionalität
Die partizipative Demokratie vernachlässigt die Effizienz und ist ignorant gegenüber
Zielkonflikten. Qualität und Folgeprobleme politischer Entscheidungen, die durch den
Prozess partizipativer Demokratie entstehen, werden zu wenig beachtet. Lediglich die
politische Beteiligung steht im Vordergrund und somit ergibt sich die Kritik der
Eindimensionalität. Überspitzt dargestellt werden andere Zielgrößen als die politische
Partizipation nicht wahrgenommen.
Diese Betrachtung der partizipativen Demokratie gründet in der Annahme, dass Demokratie
an sich keine Werte mit sich bringt, sondern nur die wertfreie Art der Entscheidungsfindung
beschreibt. Volksherrschaft kann demnach auch eine Diktatur der Mehrheit sein. Die
Thematik des Minderheitenschutzes wurde aber bei Tocquevilles Problem bereits
aufgegriffen, auch die dabei behandelte Kritik hängt mit dem Vorwurf der Eindimensionalität
zusammen.
Bleibt also das Problem der Effizienz von Entscheidungen. Effizienz und Legitimität stehen
natürlich in einem Spannungsverhältnis. Partizipatorische Prozesse können sicherlich in
puncto Entscheidungsgeschwindigkeit und Aufwandsminimierung mit traditionellen
repräsentativen Methoden der Entscheidung nicht mithalten. Doch was die Qualität der
gefassten Entscheidungen angeht und die durch das Verfahren getragenen Lernprozesse der
Beteiligten, so kann von einer langfristigen Effizienz der Entscheidungen gesprochen werden.
Die Kritik ist jedoch dennoch nicht völlig abzuweisen und Verfahren der partizipativen
Demokratie müssen auch immer wieder auf ihre Effizienz hin kontrolliert werden. Doch
Effizienz ohne Legitimität entspricht einer Diktatur und dieser Logik folgend kann getrost ein
Weniger an Entscheidungseffizienz gegenüber der liberalen Demokratie in Kauf genommen
werden.
Überschätzung der BürgerInnenkompetenzen
Die politischen Kompetenzen und Ressourcen der BürgerInnen sind begrenzt und werden von
der partizipativen Demokratietheorie stark überschätzt. Zeit ist ein knappes Gut und die
Beschaffung von Informationen und die Beteiligung an Entscheidungsfindungen sowie an
Abstimmungen führen zu einem ungleichen Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Die Kritiker der partiziativen Demokratie sprechen von einem „demokratischen Dilemma“,
weil die StimmbürgerInnen nicht in der Lage sind, vernünftige Entscheidungen zu treffen.
39
Hierbei soll noch einmal auf die Punkte von Fuchs verwiesen werden, die in einem Konflikt
mit der erreichbaren Selbstregierung stehen. Diese sind: Ausdehnung des Territoriums,
Anzahl der BürgerInnen, Menge der Entscheidungen und Komplexität der Probleme. Diese
Auflistung führt zu der Annahme, dass Beteiligung nur auf Gemeindeebene oder bestenfalls
Landesebene möglich ist, doch wird dabei mehr oder weniger von absoluter Selbstregierung
und nicht nur Beteiligung ausgegangen. Partizipation kann aber auch auf einer höheren Ebene
zu einem wichtigen positiven Prozess und Ergebnis führen. Dabei ist aber besonders die
Differenz zwischen der intellektuellen Elite und einer unbeteiligten und verständnislosen
Masse zu beachten. „Den Schlüssel zur Lösung dieses Problems liefert die Vorstellung einer
starken und emanzipierten Zivilgesellschaft. Ihr gelingt es nicht nur, die Technokraten der
Systeme in einen normativen Diskurs zu zwingen, sondern als Netzwerk vereinnahmt sie das
Expertenwissen selbst. In einer informationstechnologisch vernetzten und deliberativ
strukturierten zivilen Gesellschaft steht den Bürgerinnen und Bürgern das Expertenwissen
ebenso zur Verfügung, wie den Systemen.“ (Palazzo 2002: 65)
Eine Überschätzung der BürgerInnenkompetenzen liegt nur unter speziellen Bedingungen
vor. Auf Gemeindeebene können Probleme volksnah erklärt werden und
Wirkungszusammenhänge leichter eingeschätzt werden. Auf einer nationalen Ebene oder
internationalen Ebene sind Täuschung und Selbsttäuschung bei direktdemokratischen
Entscheidungsprozessen sicherlich eher gegeben. Medien bekommen eine wichtige Funktion
durch die Information der Massen. Medienmonopole können dabei leichter zur Manipulation
der Bevölkerung beitragen. Einzelinteressen von Mächtigen überschatten dabei den
Informationsfluss, bzw. leiten ihn in eine bestimmte Richtung. (Kronenzeitung in Österreich).
Dauerhaft sollte sich jedoch die direkte Demokratie auch auf den Mediendiskurs positiv
auswirken und zu einer differenzierten Diskussion führen.
Doch auch hier läuft man in Gefahr, die partizipative Demokratie auf direktdemokratische
Entscheidungsverfahren zu reduzieren. Wie oben angeführt geht von der Zivilgesellschaft und
ihr innewohnenden Organisationen eine steigende Macht aus. NGOs bekommen Aufgaben in
der Interessensvertretung, weil sie diese effizienter wahrnehmen können als politische
Parteien. (z.B. Shell-Greenpeace Konflikt)
40
3. Zusammenfassung
Ein geschlossenes Modell ist die partizipative Demokratie nicht. Ihr Ansatzpunkt, die liberale
Demokratie zu analysieren und besonders auf den mangelnden normativen Anspruch
aufmerksam zu machen, ist ihre größte Errungenschaft. Die interne Auseinandersetzung mit
der etablierten Demokratie erfolgt auf verschiedenen Ebenen und lässt sich grob in die drei
Ansätze (philosophisch, ideengeschichtlich und anwendungsbezogenen) unterscheiden. Dabei
wird sehr unterschiedlich herausgearbeitet weshalb die liberale Demokratie zu verbessern ist.
Von reinen theoretischen Überlegungen ohne speziellen empirischen Anspruch bis zur
Untersuchung von Einzelbeispielen ohne komplexen theoretischen Hintergrund sind die
Ansätze unterschiedlich. Einigend wirkt die Forderung nach politischer Partizipation.
Die daraus gezogenen fünf Grundsätze sollen als Gerüst einer praktischen Umsetzung
betrachtet werden. Die Beförderung eines neuartigen Modus der Willensbildung
(Deliberation), die Stärkung des Entscheidungsmodus der direkten Demokratie, die
Verlagerung von Kompetenzen auf die lokale Ebene (Dezentralisierung), die
Demokratisierung von funktional definierten Systemeinheiten (Segmentierung) und die
Umsetzung der Idee der Repräsentation als Delegation, sollen der liberalen Demokratie zu
mehr politischer Beteiligung und somit zu mehr Legitimität und besseren Entscheidungen für
das Gemeinwohl helfen.
Die Überlegenheit der partizipativen Demokratietheorie wird, besonders was ihre praktische
Umsetzung angeht, von vielen TheoretikerInnen infrage gestellt. Die Untersuchung der sechs
gängigsten Kritikpunkte zeigt besonders ein wenig differenziertes Bild von partizipativer
Demokratie. Oft wird diese von den Kritikern auf Verfahren der direkten Demokratie
reduziert und neben politischer Beteiligung werden ihr zu Unrecht keine Werte
zugeschrieben. Auch wird in der Kritik ausschließlich bzw. besonders stark auf
bundespolitische Maßnahmen der Partizipation eingegangen. Regionale und lokale Lösungen
sind somit, der Funktionslogik von Selbstbestimmung folgend, öfter von der Kritik
ausgenommen. Auch neigen TheoretikerInnen dazu die partizipative Demokratie als
universellen Lösungsansatz zu kritisieren, ohne dass diese selbst den Anspruch auf
umgehende und umfassende politische Beteiligung erhebt. Dennoch gibt es Kritikpunkte, die
nicht gänzlich abgewehrt werden können. Generell könnte vielleicht von der Gefahr
gesprochen werden, dass die partizipative Demokratie mit ihrem Ausgang vom lernfähigen
Menschen auch in der Lage sein muss zu erkennen, wie der reale Zustand in der jeweiligen
Situation ist und die beteiligten Menschen nicht überfordert. Deliberative Prozesse finden nur
41
unter sehr speziellen Bedingungen statt und eine Verallgemeinerung und Übertragung von
Konzepten ist mit großer Vorsicht zu vollziehen. Es nehmen nicht alle BürgerInnen an
solchen Prozessen teil und so kann sich die Ausgangssituation in einem Projekt jedes Mal
aufs Neue ändern.
Auch liegt es in der Logik emanzipatorischer Prozesse, dass eine ständige Erweiterung
stattfindet. Stillstand bedeutet Rückschritt. (Leubold/Novy, 2004: 20)
Verwirklichungsstrategien der partizipativen Demokratie gibt es dabei, genau so wie
Theorieansätze, sehr unterschiedliche. Expansive und effizienzorientierte Ansätze
beschäftigen sich mehr mit der Kosten-Nutzen-Frage von Beteiligung und kommen dabei zu
sehr konkreten Forderungen und Maßnahmen, während sich die integrative
Demokratisierungstheorie mehr mit den grundsätzlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten
beschäftigt, die Partizipation und besonders Deliberation erst möglich machen. Dieses
soziologische Herangehen bringt vermehrt Unklarheiten bei der praktischen Umsetzung in der
Politik, weil eine Wirkungsanalyse von entsprechenden Maßnahmen sich einer einfachen
Evaluierung entzieht. Die Veränderung von gesellschaftlichen Grundlagen wird sicherlich
auch durch Politik herbeigeführt, doch machen sich institutionelle Änderungen oft erst
langfristig bemerkbar.
Entscheidend für Projekte der partizipativen Demokratie sind alle drei Theorien, weil diese
aufeinander einwirken. Konkrete Projekte beanspruchen auch oft alle drei Strategien bei der
theoretischen Rechtfertigung. Die Unterteilung macht dennoch Sinn und rechtfertigt sich, will
man zu einem theoretischen Gebilde von partizipativen Handlungsspielräumen kommen.
42
Kapitel II: Möglichkeiten partizipativer Demokratie in Österreich
1. Allgemeines zum politischen System Österreichs
Die österreichische Bundesverfassung ist die rechtliche Grundlage, auf der das politische
System Österreichs aufgebaut ist. Das Bundesverfassungsgesetz aus dem Jahre 1920 bildet
den Kern der heute gültigen Verfassung. Sie sieht in ihrem Aufbau folgende Prinzipien vor,
die somit als Grundsätze des österreichischen Systems genannt werden können.
Demokratisches Prinzip
Das Demokratieprinzip geht auf den ersten Artikel des Bundesverfassungsgesetzes (BV-G)
zurück: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ (Artikel
1, BV-G). Die Volksherrschaft wird jedoch in modernen Flächenstaaten oft auf die Wahlen
von RepräsentantInnen reduziert. Auch in Österreich gilt somit das Prinzip der
repräsentativen Demokratie. Das Volk „regiert“ nur bei Wahlen und Volksabstimmungen, in
der Zwischenzeit wird es durch jene Institutionen bestimmt, die direkt oder indirekt durch
Wahlen kreiert werden.
Republikanisches Prinzip
An der Spitze des österreichischen Staates steht der Bundespräsident, der direkt vom Volk
legitimiert wird. Die republikanische Staatsform wird in Abgrenzung zur Staatsform der
Monarchie durch die Verfassung vorgeschrieben.
Bundesstaatliches Prinzip
In Artikel 2 Absatz 1 des Bundesverfassungsgesetzes ist das Bundesstaatsprinzip verankert:
„Österreich ist ein Bundesstaat.“ Dieser setzt sich aus den neun Bundesländern zusammen.
Die Gesetzgebung und Vollziehung ist somit zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Trotz
der geteilten Staatsfunktionen müssen die Länder die Möglichkeit zur Mitwirkung an der
Bundesgesetzgebung haben. (z.B. Bundesrat)
Rechtsstaatliches Prinzip
Festgelegt in Artikel 18 (1 und 2) des BV-G, regelt das rechtsstaatliche Prinzip, dass die
gesamte Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden kann. Jede
43
Verwaltungsbehörde kann innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen auf Grund
entsprechender Gesetze erlassen. Der Beitritt zur Europäischen Union brachte das
gemeinschaftsrechtliche Legalitätsprinzip mit sich, das ebenfalls eine gesetzliche Grundlage
für das Handeln einzelner Körperschaften vorsieht und damit das österreichische
rechtsstaatliche Prinzip ersetzt.
Gewaltentrennendes Prinzip
Die Gewaltentrennung hat in Österreich primär die Aufgaben die Staatsfunktionen,
Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung zu trennen. Die Abgrenzung wird jedoch
vielfach durchdrungen. Beispiele sind die Verordnungsrechte der Verwaltung oder die
parlamentarische Kontrolle der Verwaltung.
(Ucakar 2006: 131-133) (Müller 2006: 105) (Loibelsberger/Neisser/Strobl 2005: 43-49)
Parteienstaat
Neben den oben genannten Prinzipien herrscht in Österreich ein parteienstaatlicher
Parlamentarismus. Das richtungweisende Organ im österreichischen System ist der
Nationalrat, dessen Mitglieder durch Wahlen legitimiert werden. Parteien spielen bei der
Wahl eine große Rolle, so wird in der Regel eine Partei gewählt, die eine Liste mit ihren
KandidatInnen aufstellt. Das freie Mandat verliert somit an Bedeutung, weil der oder die
gewählte ParlamentarierIn der Partei verpflichtet ist. Clubzwang bei wichtigen
Abstimmungen ist deshalb bezeichnend für den österreichischen Parlamentarismus. Parteien
sind Träger des öffentlichen Interesses und für das österreichische System von großer
Bedeutung. Österreich wird somit auch oft als Parteienstaat bezeichnet.
Sozialpartnerschaft
Eine weitere Besonderheit des österreichischen politischen Systems liegt im sogenannten
Austrokorporatismus. Besonders in der Einkommens-, Wirtschafts-, Sozial- und
Arbeitsmarktpolitik werden Dachverbände der ArbeitgeberInnen- und
ArbeitnehmerInnenorganisationen in politische Entscheidungen mit einbezogen. Die
Dachverbände verfügen dementsprechend über mehr Macht als in rein liberalen Systemen.
Diese besondere Art der Interessenspolitik hat in Österreich eine lange Tradition. (Tálos
2006:425-426)
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Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Österreich eine repräsentativ demokratische
Republik ist, an deren Spitze der Bundespräsident steht, jedoch durch die Regierung die aus
dem Parlament hervorgeht, geführt wird. Im Hinblick auf die partizipative Demokratie fällt
das Prinzip des Bundesstaates auf. Dieses sichert den Ländern zwar eine gewisse
Unabhängigkeit und durch das Organ des Bundesrates auch eine reduzierte Mitsprache auf
Bundesebene, doch kann nicht von einem föderalen System gesprochen werden. Dies will ich
jedoch durch die Machtaufteilung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden
genauer belegen.
Bevölkerungsverteilung in Österreich
Wesentlich für die partizipative Demokratie ist die Größe der Einheit, auf der sich die
Beteiligung abspielen soll. Um ein differenzierteres Bild von Österreich zu erhalten, nehme
ich hier die Verteilung der Bevölkerung auf die gesetzlichen Körperschaften unter die Lupe.
Anzahl und Einwohner der Gemeinden in Österreich (Stand 2001)
Gemeindegröße Anzahl der Gemeinden
Bevölkerung absolut Bevölkerung in Prozent
Bis 500 173 57.746 0,7 501 – 1000 426 317.612 4,0 1001 – 2500 1.131 1.819.615 22,6 2501 – 5000 412 1.383.606 17,2 5001 – 10.000 144 953.094 11,9 10.001 – 20.000 49 622.440 7,7 20.001 – 50.000 16 458.732 5,7 50.001 – 200.000 6 643.674 8,0 200.001 – 500.000 1 226.244 2,8 500.001 und mehr 1 1.550.123 19,3 Alle Gemeinden 2.359 8.032.886 100
(Steininger 2006: 993) 2
2 Quelle bei Steininger: Statistik Austria (Hg.) (2004): Statistische Jahrbuch, 43.
45
Die Bevölkerungsverteilung in Österreich zeigt, dass ein Großteil des Volkes in kleinen
Gemeinden lebt. Beinahe die Hälfte aller ÖsterreicherInnen lebt in einer Gemeinde unter 5000
EinwohnerInnen! Weitere 12 Prozent in Gemeinden mit einer Personenanzahl zwischen 5001
und 10.000 und ungefähr zweidrittel aller ÖsterreicherInnen leben in Gemeinden, die weniger
als 20.000 Einwohner zählen. Noch gravierender wird die Zahl, wenn man die
Bundeshauptstadt Wien einmal aus der Statistik nimmt. Dann leben knapp 80 Prozent in einer
Gemeinde unter 20.000 EinwohnerInnen.
Verteilung der Bevölkerung auf die Länder (Stand 2008)3
Landesname Gemeindeanzahl Bevölkerung (total)
Bevölkerung in (Prozent)
Durchschnittliche Gemeindegröße
Burgenland 171 281.190 3,4 1644 Kärnten 132 561.094 6,7 4251 Niederösterreich 573 1.597.240 19,2 2788 Oberösterreich 444 1.408.165 16,9 3172 Salzburg 119 530.576 6,4 4459 Steiermark 542 1.205.909 14,5 2225 Tirol 279 703.512 8,4 2522 Vorarlberg 96 366.377 4,4 3816 Wien 1 1.677.867 20,1 1677867 Österreich (total) 2357 8.331.930 100 3535
Auch durch die Aufteilung der Gemeinden auf die jeweiligen Bundesländer ergibt sich keine
wesentliche Veränderung an der Aussage, dass in Österreich sehr viele Menschen in kleinen
Gemeinden (unter 10.000 Personen) wohnen. Zwar kommt es zu Schwankungen zwischen
den Bundesländern, diese sind jedoch nicht gravierend. Wien muss natürlich als Sonderfall
behandelt werden.
Im Theorieteil habe ich festgehalten, dass je kleiner die Einheit ist in der man lebt, der Grad
der erreichbaren Selbstregierung steigt. Kleine Gemeinden sind folglich ideale Bedingungen
für die politische Partizipation und BürgerInnenentscheidungen. Die Bevölkerungsverteilung
in Österreich ist somit eine sehr gute Voraussetzung für mehr politische Beteiligung und
unmittelbare Demokratie.
3 Eigene Aufstellung, Zahlen von der Statistik Austria, http://www.statistik.at/web_de/statistiken/regionales/regionale_gliederungen/bundeslaender/index.html, 14.08.2008
46
2. Die Kompetenzverteilung in Österreich
Das politische System Österreichs teilt sich laut Verfassung in Bund, Länder und Gemeinden
auf. Auf der Ebene der Verwaltung kommen noch die politischen Bezirke dazu, denen jedoch
ein demokratisch legitimiertes Organ fehlt und die somit als „unpolitisch“ gelten. An deren
Spitze stehen Bezirkshauptleute, die als verlängerter Arm der Landesregierungen in den
Bezirken gesehen werden können. (Pelinka, Rosenberger 2007 [2000]: 244)
Politisch werden die Zuständigkeiten also zwischen Bund, Ländern und Gemeinden
aufgeteilt, wobei in Österreich der Zentralismus, also eine starke Stellung des Bundes,
besonders ausgeprägt ist.
Die folgende Ausführung soll die Aufteilung der Kompetenzen zwischen den Körperschaften
zum Inhalt haben und für weitere Überlegungen der Beteiligungsmöglichkeiten
aufschlussreich sein. Seit dem EU-Beitritt Österreichs kommt eine weitere politische Ebene
hinzu, die ich im Anschluss an die innerösterreichische Aufteilung behandeln werde.
2.1 Allgemeine Kompetenzverteilung
Die österreichische Bundesverfassung teilt die Staatsaufgaben in vier Kategorien ein:
• Aufgaben, für die der Bund ausschließlicher Gesetzgeber und Vollzieher ist (Art. 10
B-VG);
• Aufgaben, wo Gesetzgebung und Vollziehung den Ländern zugeordnet sind (Art. 15
B-VG);
47
• Aufgaben, bei denen der Bund Gesetzgeber ist, die Länder jedoch die Vollziehung zu
besorgen haben (Art. 11 B-VG);
• Sowie Aufgaben, bei denen dem Bund die Grundsatzgesetzgebung und den Ländern
die Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung zustehen. (Art. 12 B-VG) (Luther,
Richard Kurt 1997: 907)
2.2 Die allgemeine Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern
Kompetenztypen Materien (Auswahl)
Bund Gesetzgebung →
Bund Vollziehung
Äußere Angelegenheiten, Einwanderung, Bundesfinanzen,
Geld- und Bankwesen, Gewerbe und Industrie, Zivil- und
Strafrecht, allgemeine Sicherheitspolizei, Verkehr, Post, Berg-
und Forstwesen, Wasserrecht, Sozialversicherung,
Gesundheit, Luftreinhaltung, Abfallwirtschaft, Arbeitsrecht,
militärische Angelegenheiten
Bund Gesetzgebung →
Land Vollziehung
Staatsbürgerschaftsrecht, Volkswohnungswesen (ausg.
Wohnbauförderung), Straßenpolizei, Stadterneuerung,
Umweltverträglichkeitsprüfung
Bund Grundsatzgesetz-
gebung →
Land Ausführungsgesetz-
gebung und Vollziehung
Sozialhilfe, Krankenanstalten, Mutter- und Jugendfürsorge,
Bodenreform, Pflanzenschutz, Teile des Elektrizitätswesens,
land- und forstwirtschaftliches Arbeiter- und
Angestelltenrecht
Land Gesetzgebung →
Land Vollziehung
Gemeinderecht, Baurecht, Wohnbauförderung, Raumordnung,
Grundverkehr, Fremdenverkehr, Naturschutz, Land- und
Frostwirtschaft, Jagd und Fischerei, Sport, Jugendschutz,
Kindergarten- und Hortwesen
(Quelle: Fallend 2006: 1029)
Die angeführten Bereiche einzeln zu gewichten und den genauen Grad der Autonomie und
Abhängigkeit festzustellen ist sehr schwierig, dennoch handelt es sich bei der Verteilung der
Kompetenzen eindeutig um eine zentralistische Ordnung. Die Generalkompetenz, nach der
den Ländern alle Bereiche zufallen, die nicht ausdrücklich dem Bund oder den Ländern
zugewiesen sind, hat aufgrund der genauen Zuweisung mehr symbolischen Charakter. Auch
48
verfügen die Länder über keinerlei richterliche Staatsgewalt, was im internationalen Vergleich
als besonders zentralistisch auffällt. (Auch Bezirks- und Landesgerichte sind
Bundesbehörden) (Fallend 2006: 1028)
Verwaltungskompetenzen
Im Bereich der Verwaltung fällt den Ländern aber eine große Bedeutung zu. Bei der
mittelbaren Bundesverwaltung (Gewerbe-, Wasser-, Forst- und Kraftfahrrecht etc.)
übernehmen die Landeshauptleute Aufgaben der Bundesverwaltung und betrauen die übrigen
Mitglieder der Landesregierungen und die ihnen unterstellten Ämter der Landesregierungen
und Bezirksverwaltungsbehörden damit. Einschränkend wirkt jedoch das Legalitätsprinzip,
das für jedes Verwaltungshandeln eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung fordert.
Zusätzlich ist die Landesverwaltung in den Bereichen direkt dem/der jeweiligen
BundesministerIn untergeordnet, die Erlässe, Rundschreiben oder Durchführungsordnungen
herausgeben können, was jedoch selten vorkommt und somit Reibungen verhindert. (Fallend
2006: 1028)
Privatwirtschaftsverwaltung
Einen weiteren Spielraum erhalten die Länder durch die Privatwirtschaftsverwaltung, die es
ihnen ermöglicht in Bereichen tätig zu werden, die nicht unter ihrer Hoheit stehen. Somit
können Anstalten (z.B. Kindergärten, Seniorenheime, Krankenhäuser) betrieben oder
Förderungen (für regionale Struktur-, Wirtschaft-, Arbeitsmarkt-, Kulturpolitik etc.) vergeben
werden. Die Umgehung der allgemeinen Kompetenzverteilung durch die
Privatwirtschaftsverwaltung kann allerdings auch vom Bund genutzt werden. Dieser kann z.B.
Förderungen für Sport vergeben, obwohl er keine Gesetzgebungsbefugnis hat. Somit profitiert
der Bund mindestens im selben Maße von der Aushebelung.4 (Fallend 2006: 1028)
Die Kompetenzverteilung zeichnet ein klares Bild. Das Übergewicht auf Seiten des Bundes ist
dominant und auch wenn es durch den „Vollzugsföderalismus“ ansatzweise einen Ausgleich
des Ungleichgewichtes gibt, so sind die Länder in ihren Kompetenzen und Souveränität
massiv beschnitten. Die Generalkompetenz der Länder ist durch die genaue Zuteilung und
Regelung von Bereichen fast bedeutungslos. Die Autonomie der Länder ist stark begrenzt.
Machtvolle Kompetenzen sind in Österreich durch den Bund geregelt. Dennoch gilt:
4 (http://www.konvent.gv.at/K/DE/AVORL-K/AVORL-K_00162/fnameorig_013831.html, 19.05.2008)
49
Politikbereiche die nicht genau zugeteilt sind, können von den Ländern kreativ ausgeübt
werden. Die Privatwirtschaftsverwaltung ermöglicht es den Ländern darüber hinaus in
bundesstaatliche Politikbereiche vorzudringen, immer verbunden jedoch mit den Gefahren
von privatwirtschaftlichem Agieren. Einschneidend dabei wirkt sich auch der begrenzte
finanzielle Spielraum aus, auf den ich im 3. Punkt dieses Kapitels noch zu sprechen kommen
werde.
2.3 Kompetenzen der Gemeinden
Die Gemeinden stellen die unterste Politikebene dar und verfügen über einen autonomen
Wirkungsbereich, durch den sie im Rahmen der Bundes- und Landesgesetze eigenständig
entscheiden können. Grundsätzlich gibt es keine rechtliche Unterscheidung der verschiedenen
Gemeinden in Österreich. Lediglich die Statutarstädte5 und Wien nehmen eine Sonderstellung
ein. Ansonsten haben alle Gemeinden unabhängig von der Bevölkerungszahl oder der
wirtschaftlichen Leistung die gleichen Aufgaben und Rechte. (Pelinka, Rosenberger 2007
[2000]: 244)
Grundsätzlich können die Kompetenzen der Gemeinden in einen eigenen und einen
übertragenen Wirkungsbereich eingeteilt werden.
Der eigene Wirkungsbereich
Der eigene Wirkungsbereich beinhaltet alle Angelegenheiten, „die im ausschließlichen oder
überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen
und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu
werden.“ (Art. 118 Abs. 2 B-VG)
• Bestellung der Gemeindeorgane unbeschadet der Zuständigkeit überörtlicher
• Wahlbehörden; Regelung der inneren Einrichtungen zur Besorgung der
Gemeindeaufgaben;
• Bestellung der Gemeindebediensteten und Ausübung der Diensthoheit unbeschadet
der Zuständigkeit überörtlicher Disziplinar-, Qualifikations- und
Prüfungskommissionen;
• Örtliche Sicherheitspolizei (Artikel 15 Absatz 2), örtliche Veranstaltungspolizei;
Verwaltung der Verkehrsflächen der Gemeinde, örtliche Straßenpolizei;
5 Statutarstädte verfügen zusätzlich über die Verwaltungskompetenzen eines Bezirks. Dieser Status kann eine Gemeinde durch ein entsprechendes Landesgesetz erhalten. Statutarstädte gibt es in Österreich lediglich 15 (Eisenstadt, Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Krems, Linz, Rust, Salzburg, Steyr, St. Pölten, Villach, Waidhofen an der Ybbs, Wels, Wien, Wiener Neustadt. (http://aeiou.iicm.tugraz.at/aeiou.encyclop.s/s751638.htm, 12.08.2008)
50
• Flurschutzpolizei;
• Örtliche Marktpolizei;
• Örtliche Gesundheitspolizei, insbesondere auch auf dem Gebiete des Hilfs- und
Rettungswesens, sowie des Leichen- und Bestattungswesens;
Sittlichkeitspolizei;
• Örtliche Baupolizei, soweit sie nicht bundeseigene Gebäude, die öffentlichen Zwecken
dienen (Artikel 15 Absatz 5) zum Gegenstand hat;
• Örtliche Feuerpolizei;
• Örtliche Raumplanung;
• Öffentliche Einrichtungen zur außergerichtlichen Vermittlung von Streitigkeiten;
freiwillige Feilbietungen beweglicher Sachen. (Art. 118 Abs. 3 B-VG)
Trotz der gesetzlichen Zuteilung muss bei jedem erlassenen Gemeindegesetz der eigene
Wirkungsbereich bezeichnet werden (=Etikettierungspflicht). (Steininger 2006: 1001) Der
eigene Wirkungsbereich sichert den Gemeinden ihren autonomen politischen Spielraum und
unterstreicht die Wichtigkeit der Gemeinden im österreichischen System.
Der übertragene Wirkungsbereich
Neben dem eigenen Wirkungsbereich verwalten die Gemeinden auch den übertragenen
Wirkungsbereich, bei dem sie als verlängerter Arm des Landes agieren. (Pelinka, Rosenberger
2007: 245) Dabei werden Bundes- oder Landesgesetze auf lokaler Ebene umgesetzt. Es bleibt
wenig Gestaltungsspielraum für die Gemeindepolitik, weil die Vorgaben genau umgesetzt
werden müssen.
51
• Durchführung des Wahlverfahrens sowohl zur Wahl des Bundespräsidenten, des
Nationalrates und Landtages als auch zum Europäischen Parlament;
• Mitwirkung an der Durchführung von Volksbegehren, Volksbefragungen und
Volksabstimmungen. Dazu gehört auch die Aufgabe, laufend die Verzeichnisse der
stimmberechtigten Personen zu führen. Führung der Staatsbürgerschaftsevidenz: Die
Gemeinden führen Verzeichnisse über alle Personen, welche die österreichische
Staatsbürgerschaft besitzen, sowie über alle Eheschließungen, Geburten und
Todesfälle in der Gemeinde.
• Führung des Melderegisters:
In Gemeinden, welche nicht im Vollziehungsbereich einer Bundespolizeibehörde
liegen, haben die Bürgermeister auch die Aufgaben der Meldebehörde.
• Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Gewässer
• Sicherungsmaßnahmen bei Tierseuchen
• Durchführung von statistischen Erhebungen
• Treffen von Vorkehrungen gemäß § 43 Abs. 2 Epidemiegesetz 1950“6
Daseinsvorsorge
Unter den Begriff der Daseinsvorsorge fallen Gemeindeaufgaben, die den unmittelbaren
Lebensbereich der BürgerInnen treffen. Diese gehören Großteils zum eigenen
Wirkungsbereich und sind beispielsweise: Wasserversorgung, Abwasserentsorgung,
Abfallentsorgung, Energieversorgung, Straßen und Wege usw. Eine genau österreichische
Definition für Daseinsversorgung gibt es nicht. Es besteht aber ein breiter Konsens darüber
welche Bereiche dazugehören und der Österreichische Städtebund erhebt die Forderung einer
gesetzlichen Festschreibung. Die EU-Kommission definiert Daseinsvorsorge als
„marktbezogene und nichtmarktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit
erbracht und daher von den Behörden mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft
werden“ (Mitteilung der Kommission über Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, KOM
(2000) 580, Anhang II, 42, zitiert nach Steininger 2006: 1001) Der Bereich der
Daseinsvorsorge kann somit als eine Politikfeld bezeichnet werden, dass von den BürgerInnen
unmittelbar wahrgenommen wird. Die ersten Politik- und Demokratieerfahrungen finden auf
dieser Ebene statt. (Stingl 2003: 9) Durch die Überschaubarkeit und die Wichtigkeit für das
alltägliche Dasein herrscht ein BürgerInnenwissen, das durch unterschiedliche
Beteiligungsformen besser genutzt werden kann. Die Daseinsvorsorge ist somit als die 6 http://www.staedtebund.at/de/recht/kommunalstrukt.htm, 16.05.2008
52
wichtigste Kompetenz der Gemeindepolitik zu betrachten und eignet sich besonders gut für
Beteiligungsprozesse.
Privatwirtschaftsverwaltung
Ebenso wie der Bund und das Land können sich auch die Gemeinden privatwirtschaftlich
betätigen. Dies fällt unter den eigenen Wirkungsbereich und ist im Art. 116 Abs. 2 B-VG
geregelt: „Die Gemeinde ist selbständiger Wirtschaftskörper. Sie hat das Recht, innerhalb der
Schranken der allgemeinen Bundes- und Landesgesetze Vermögen aller Art zu besitzen, zu
erwerben und darüber zu verfügen, wirtschaftliche Unternehmungen zu betreiben sowie im
Rahmen der Finanzverfassung ihren Haushalt selbständig zu führen und Abgaben
auszuschreiben.“ Verschiedene Formen der Kommunalwirtschaft sind z.B. Regiebetriebe,
ausgegliederte Unternehmen oder auch Unternehmensbeteiligungen.
Ausgliederungen der Gemeindeaufgaben im Verwaltungsbereich kommen vermehrt vor. Der
primäre Sinn dabei ist die Entlastung des Gemeindebudgets. Es existieren ca. 1400
Unternehmen im mehrheitlichen Eigentum der Gemeinden, großteils in den Bereichen
Energie-, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung sowie Kongress- und
Erholungseinrichtungen. (Steininger 2006: 1002) Die Privatwirtschaftsverwaltung sichert der
Gemeinde eine eigenständige Politik, zwingt aber auch ansatzweise zu Ausgliederungen und
somit zur Abgabe von Gemeindekompetenzen besonders im Bereich der Verwaltung. Ähnlich
wie bei den Ländern können die Gemeinden durch die Privatwirtschaftsverwaltung die
klassische Kompetenzverteilung überbrücken. Einschränkend wirkt auch hier der finanzielle
Spielraum.
2.4 EU-Einwirkungen
Seit dem Beitritt zur Europäischen Union ist die klassische Kompetenzverteilung auf eine
weitere Ebene angewachsen. Das europäische Recht steht dabei über der österreichischen
Bundesverfassung. Die Rahmenbedingungen des regionalen und kommunalen Handelns
werden somit oft nicht nur vom Bund vorgegeben, sondern durch europäisches Recht.
Der Einfluss des EU-Rechts auf die Gemeinden nimmt verstärkt zu. Ungefähr 60-70 Prozent
aller Regelungen, die die Gemeinden betreffen, gehen auf EU-Entscheidungen zurück.
Unmittelbar richteten sich bisher jedoch nur zwei Gesetze an die Gemeinden. 1. Die
Ausweitung des Wahlrechts auf kommunaler Ebene für alle Unions-BürgerInnen und 2. die
Richtlinie über kommunale Abwässer.
53
Umgekehrt haben die Gemeinden und Länder nur begrenzte Möglichkeiten um auf die Politik
der EU Einfluss zu nehmen. 1992 wurde ein Anhörungs- und Mitwirkungsrecht der Länder
und Gemeinden in der Bundesverfassung festgehalten, nach dem der Bund die Länder bzw.
Gemeinden sofort von geplanten EU-Vorhaben informieren muss, die in den
eigenen/selbstständigen Wirkungsbereich der jeweiligen Körperschaft eingreift. Diese haben
dann die Möglichkeit zur Stellungnahme, welche sie an das Bundeskanzleramt richten
müssen. 1994 wurde der Ausschuss der Regionen (AdR) gegründet, der die Anliegen der
Länder und Städte/Gemeinden vertritt, jedoch nur eine Beratungsfunktion einnimmt. Von den
zwölf Mitgliedern des AdR werden drei vom Städtebund und Gemeindebund, die anderen
neun von den Ländern vorgeschlagen. Die Interessensvertretung der lokalen Gemeinschaft
wird durch den AdR aber nur ungenügend wahrgenommen und leidet an
Effektivitätsproblemen. (Ebner 2003: 57)
Ein wichtiger Grundsatz auf dem die Europäische Union aufgebaut ist das
Subsidiaritätsprinzip, das im Vertrag von Maastricht festgeschrieben ist. (Artikel 5 [Art. 3 b]
Europäischer Gemeinschaftsvertrag)7. Alle politischen Angelegenheiten sollen auf der
kleinstmöglichen Ebene geregelt werden und nur dann übergelagert werden, wenn die
BürgerInnen davon profitieren. Das Subsidiaritätsprinzip sichert also der Gemeinde ihren
eignen Wirkungsbereich und stärkt somit einen dezentralen Aufbau, ganz nach den
Forderungen der partizipativen Demokratietheorie. Wann es jedoch sinnvoll ist eine
Kompetenz an eine übergelagerte Ebene abzugeben, hängt mit dem jeweiligen Standpunkt
zusammen. Die Dezentralisierung sollte nicht auf Bundes- oder Landesebene enden, sondern
bei den betroffenen BürgerInnen.
Im gescheiterten Verfassungsvertrag der EU wird die Daseinsvorsorge, die Verankerung des
Subsidiaritätsprinzips, die Konsultationspflicht mit kommunalen Spitzenverbänden sowie die
Verpflichtung, finanzielle Auswirkungen von EU-Regelungen auf nachgeordnete
Gebietskörperschaften abzuschätzen, festgeschrieben. Der Verfassungsvertrag ist gescheitert,
doch wird der Prozess weiter vorangetrieben werden und die sehr wichtigen
Verfassungsregelungen für die Gemeinden in Europa werden wahrscheinlich auch in den
folgenden Verträgen zu finden sein. Sie können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
kommunale Selbstverwaltung durch europäisches Recht immer weiter zurückgedrängt wird.
(z.B. Gender-Mainstreaming-Programmen, Vergaberichtlinien, Abwasser-Richtlinien, Natura
2000-Richtlinie) (Steininger 2006: 1005-1006)
7 http://www.europarl.europa.eu/factsheets/1_2_2_de.htm, 25.10.2008
54
Durch die EU kommt es neben innerstaatlicher Zusammenarbeit der Länder und Gemeinden
nun auch vermehrt zu Zusammenschlüssen mit Ländern und Gemeinden der Nachbarstaaten
im Bereich Wirtschaft, Verkehr, Tourismus, Arbeitsmarkt oder Kultur. (z.B. Euregio
Salzburg-Berchtesgadener Land/Traunstein mit 114 Mitgliedsgemeinden)
(Fallend 2006: 1038) Die Euregios bieten wesentliche Vorteile der Zusammenarbeit, die
zuvor durch die starren nationalen Grenzen nicht möglich waren. Probleme halten sich nicht
an eine politische Grenzziehung und Lösungsansätze können durch die Kooperation
wesentlich effizienter und synergetischer gestaltet werden.
Schlussbemerkung
Der Beitritt zur europäischen Union hat die Kompetenzverteilung verändert. Viele erlassene
Gesetze greifen zwar nicht direkt auf die lokale und kommunale Ebene ein, doch wird der
Spielraum eingeengt. Die genaue Ausformung obliegt aber nach wie vor den Körperschaften.
Ähnlich wie zuvor der Bund den Großteil der Gesetze vorgegeben hat, kommen diese nun von
einer höheren Ebene. Ob die Vorgaben nun in Wien oder Brüssel gemacht werden, hat für die
einzelne Gemeinde recht wenig Bedeutung.
Für die Länder nimmt die Einflussnahme auf die europäische Gesetzgebung zwar ab, aber der
Bundesrat, mit der Funktion als Interessensvertretung der Länder im österreichischen
Parlament hat ohnehin auch eine sehr schwache Stellung. Für die Möglichkeiten der
kommunalen und lokalen Beteiligung an politischen Vorgängen ändert sich somit nicht allzu
viel. Kritisch betrachtet werden muss der zentralistische Aufbau bei der Machtverteilung
zwischen Bund und Land. Die Kompetenzen, die dem Land durch die Verfassung
zugeschrieben werden, sind besonders im ökologischen (Naturrecht, Pflanzenschutz, Land-
und Frostwirtschaft, Fremdenverkehr, Elektrizität [teilweise]), sowie sozialen Bereichen
(Kindergarten, Hortwesen, Altenpflege, Sozialhilfe, Krankenanstalten, Mutter- und
Jugendführsorge), und in Sachen Raumordung, Baurecht, Grundverkehr zu sehen.
Auch das Gemeinderecht ist eine wichtige Landeskompetenz. Neben den verfassungsmäßig
festgeschriebenen Kompetenzen der Gemeinden regelt das Land die darüber hinausgehenden
Kompetenzen und Möglichkeiten der Gemeinden im jeweiligen Bundesland. Die
Landesautonomie ist dennoch im Vergleich zu föderalistischen Staaten relativ schwach
ausgebaut.
Die Gemeinden genießen hingegen durch die Daseinsvorsorge und dem damit
zusammenhängenden eigenen Wirkungsbereich mehrere wichtige Kompetenzen.
Konkrete wichtige Aufgaben der Gemeinde sind:
55
• Baurecht;
• Gemeindestraßen- und
Verkehrsplanung;
• Straßenbeleuchtung;
• Wasserversorgung;
• Abwasserentsorgung;
• Müllbeseitigung;
• Schneeräumung;
• Straßenkehrung;
• Pflege öffentlicher Plätze;
• allgemeine Wirtschaftsförderungen;
• spezielle Förderungen für
neuanzusiedelnde Betriebe;
• Förderungen für Vereine und
Private;
• Eingeschränkt kommen noch die
Raumordnung;
• mobile Sozial- und
Gesundheitsdienste;
• Rettungs- und
Krankentransportwesen;
• Feuerwehrwesen etc. hinzu.
(Ebner 2003: 57)
Hier werden bürgerInnennahe Themen auf dezentraler Ebene behandelt. Die Kompetenzen
sind wichtig für die BürgerInnen, die Komplexität begreifbar, die Menge der Entscheidungen
begrenzt und die Wirkung auf das Territorium der Gemeinde beschränkt. Ideale
Voraussetzungen also für eine Ausweitung der Selbstregierung der Bevölkerung.
Der übertragene Wirkungsbereich hält dagegen nur wenige Spielräume für die Gemeinden
offen und ist somit für die Arbeit von geringerem Interesse.
Durch die Privatwirtschaftsverwaltung kann die allgemeine Kompetenzverteilung
überschritten werden. Diese gilt dabei für alle Körperschaften, also nicht nur Gemeinden und
Länder haben die Möglichkeit Kompetenzen zu überschreiten, sondern auch der Bund.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass sich interessante Politikbereiche auf lokaler
und kommunaler Ebene befinden. Auch wenn allgemein ein zentralistischer Aufbau zu
erkennen ist, so sind Spielräume für politische Partizipation gegeben. Eine Ausweitung von
Landes- und Gemeindekompetenzen ist im Sinne der partizipativen Demokratie anzustreben.
56
3. Die Finanzaufteilung in Österreich
Zusätzlich zur Aufteilung der Kompetenzen im österreichischen System ist die
Finanzaufteilung von großer Bedeutung für die Autonomie der Körperschaften. Erhaltene
Kompetenzen können nur hinreichend ausgeübt werden, wenn auch entsprechende finanzielle
Möglichkeiten bestehen. Selbstständiges Handeln hängt stark mit der Finanzkraft der
jeweiligen Körperschaft zusammen.
Der Großteil der Steuern wird in Österreich durch den Bund eingehoben (ca. 80 Prozent).
Über den Finanzausgleich werden die Mittel dann auf die Gebietskörperschaften aufgeteilt.
Der oder die FinanzministerIn ist für die Erstellung des Finanzausgleichs verantwortlich.
Dabei ist er oder sie nur an Verhandlungen mit den Ländern und Gemeinden (vertreten durch
die LandesfinanzreferentInnen und den Städte- und den Gemeindebund) gebunden. Ein
Finanzausgleichsgesetz ist meist über mehrere Jahre hinweg gültig und wird vom Nationalrat
mit einfacher Mehrheit beschlossen.
57
Finanzausgleich (2002), in Mrd. Euro
80%
15%
5%
Gesamteinnahmen des Staates
ausschließliche Bundesabgaben 49,3 (80%)
gemeinschaftliche Bundesabgaben 9,5 (15%)
Landes- und Gemeindeabgaben 3,3 (5%)
57%21%
9%
10%3%
Verteilung der staatlichen Gesamteinnahmen
Bund 35,2
Länder 13,1
Wien 5,3
Gemeinden 6,2
EU 2,1
Gesammtsumme inkl. Transfers und Finanzzuweisungen
(Quelle für beide Diagramme: Fallend 2006: 1031, nach: Der Standard 10.08. 2004, S. 14)
Sowohl die ausschließlichen als auch die gemeinschaftlichen Bundesabgaben werden vom
Bund eingehoben und machten 2002 95 Prozent der gesamten Einnahmen aus. 8
Auffallend sind die hohen ausschließlichen Bundesabgaben und die niedrigen Landes- und
Gemeindeabgaben. Das zweite Diagramm zeigt, dass bei weitem keine Selbstfinanzierung der
Körperschaften stattfindet. Ein Vorteil der hohen ausschließlichen Bundesabgaben ist die
dadurch ermöglichte gerechtere Verteilung der Einnahmen auf Länder und Gemeinden durch
den Finanzausgleich. Nachteilig wirkt sich jedoch die starke Abhängigkeit vom Bund und
8http://www.tirol.gv.at/fileadmin/www.tirol.gv.at/landtag/landesrechnungshof/downloads/ber_2006/e2006abgaben.pdf, 16.05.2008 http://www.staedtebund.at/de/recht/kommunalstrukt.htm, 16.05.2008 http://www.gemeindebund.gv.at/rcms/upload/downloads/FAG_Text_171104.pdf?PHPSESSID=7d2b0bbb784f456f1674246ae5da8ef0, 16.04.05
58
somit von der jeweiligen Regierung aus, welche die finanziellen Rahmenbedingungen
wesentlich mitbestimmen. Eine eigenständige Politik braucht auch eine eigenständige
Finanzierung.
Ein weiteres Problem für den Föderalismus sind Mischfinanzierungen in der Praxis. Zum
Beispiel bietet eine Landesregierung dem Bund an, bei entsprechender Vollziehung von
Bundesprojekten im eigenen Bundesland, sich an der Finanzierung zu beteiligen. In weiterer
Folge kann der Bund die Länder zu einer Finanzierungsbeteiligung zwingen.
Eine Verbesserung für die Länder bei der Zuteilung ergab sich durch den EU-Beitritt. Die
Konvergenzkriterien für die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion brachten
1999 einen Stabilitätspakt zwischen Bund, Ländern und Gemeinden mit sich, der durch einen
Konsultationsmechanismus ergänzt wurde. Dadurch können Länder und Gemeinden, wenn sie
eine finanzielle Belastung durch eine Bundesgesetzesvorlage entsteht, die Einberufung eines
Konsultationsgremiums verlange (bestehend aus Vertretern der Bundesregierung, der
Landesregierungen sowie des Städte- und des Gemeindebundes). Kommt das Gremium nicht
zu einer Lösung, so muss jene Körperschaft zahlen, die das Gesetz beschließt.
Beschränkend wirken wiederum die kurzen Stellungnahmefristen und unvollständige
Kostendarstellungen, welche es den Länder und Gemeinden erschweren von der Regelung zu
profitieren.
Die bei der Aufstellung als EU-Gelder ausgewiesenen Anteile kommen in verschiedenen
Formen teilweise wieder den Körperschaften zugute. Diese sind zwar sehr klein, es muss aber
der Richtigkeit halber darauf hingewiesen werden. Die wichtigsten EU-Förderungen für die
Länder sind Strukturfonds und territoriale Beschäftigungspakte. Beide sollen wirtschaftlich
sowie sozial benachteiligten Regionen dienen.
(Europäische Fonds für Entwicklung/EFRE, den Europäischen Sozialfonds/ESF und den
Europäischen Ausgleichs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft/EAGFL).Wirtschaftliche
und sozial benachteiligte Regionen erhalten von der EU Förderungen. (Fallend 2006: 1038)
3.1 Landesfinanzen
Die Einnahmen der Länder bestehen zu 95 Prozent aus gemeinschaftlichen Bundesabgaben,
die nach der Bevölkerungszahl auf die Länder aufgeteilt werden.
Ausschließliche Landesabgaben spielen im österreichischen Steuersystem eine geringe
Rolle. Sie finanzieren nur etwa 1,4 Prozent der Ausgaben der Länder. Zu den ausschließlichen
Landesabgaben zählen jene Abgaben, deren Ertrag ganz den Ländern/Gemeinden zufließt.
59
(z.B. Grundsteuer, Kommunalsteuer, Zweitwohnsitzabgaben, Fremdenverkehrsabgaben,
Mautabgaben, Lustbarkeitsabgaben, Feuerschutzabgaben) 9
Die Landesausgaben werden durch das Landesbudget geregelt, das durch eine einfache
Mehrheit im Landtag verabschiedet wird. Es versieht die Kompetenzen der Länder mit einem
entsprechenden Rahmen. Der Stabilitätspakt der Körperschaften sieht dabei einen
Budgetüberschuss der Länder vor. Die Vorgabe für 2008 liegt mit 0,75% ähnlich hoch wie die
Jahre zuvor.10 Bei der Gestaltung des Budgets sind dem Land vom Bund sonst keine
grundsätzlichen Vorschriften auferlegt, der Stabilitätspakt und die ordnungsgemäße
Kompetenzen- und Verwaltungsausübung engen jedoch den Spielraum zunehmend ein.
Kontrolliert werden die öffentlichen Finanzen der Länder vom jeweiligen
Landesrechnungshof oder Bundesrechnungshof. Kontrolliert wird dabei auf
Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit.
Die Länder sind in ihrer Finanzierung also stark vom Bund abhängig. Erst durch den
Finanzausgleich bekommen die Landesregierungen einen finanziellen Spielraum zur
Ausübung der Kompetenzen. Passend zur zentralistischen Kompetenzenverteilung lässt auch
die Finanzierung der Länder keine echte Autonomie entstehen.
3.2 Gemeindefinanzen
Die Einnahmen der Gemeinden setzen sich aus dem Anteil an gemeinschaftlichen
Bundesabgaben, aus Finanzzuweisungen und Zuschüssen sowie aus ausschließlichen
Gemeindeabgaben auf Grund freien Beschlussrechtes zusammen. (z.B. Einnahmen aus
Kurzparkzonen im Gemeindegebiet, Abgaben für Hundehaltung)
Die Gemeindeabgaben machen ca. 40 Prozent [2002 über 50% laut Diagramm] der
Gesamtausgaben aus und bestehen hauptsächlich aus der Kommunalsteuer und der relativ
niedrigen Grundsteuer. Somit ist zumindest knapp die Hälfte der Finanzierung durch eigenes
Einheben geregelt. Die andere Hälfte erhalten die Gemeinden durch Bundesabgaben. Bei der
Verteilung der Abgaben spielt die Zahl der Einwohner eine große Rolle. Dabei kommt ein
abgestufter Bevölkerungsschlüssel zum Einsatz. Je größer eine Gemeinde, desto mehr wird
ihr zugewiesen. Der Anstieg ist dabei überproportional und das Verfahren wird oft kritisiert,
9http://www.tirol.gv.at/fileadmin/www.tirol.gv.at/landtag/landesrechnungshof/downloads/ber_2006/e2006abgaben.pdf, 16.05.2008 http://www.wirtschaft.steiermark.at/cms/dokumente/10434251_13147337/26bc8fe0/lehner%20studie_bundesl%C3%A4ndervergleich_kurzfassung.pdf, 16.05.08 http://www.gemeindebund.gv.at/rcms/upload/downloads/FAG_Text_171104.pdf?PHPSESSID=7d2b0bbb784f456f1674246ae5da8ef0, 16.05.2008 10 http://www.bmf.gv.at/Budget/Finanzbeziehungenzu_658/sterreichischerStab_700/OeStP_05.pdf, 16.05.2008
60
weil es die Zentralfunktion diverser Gemeinden nicht berücksichtigt, kleine Gemeinden
benachteiligt werden und Gemeinden mit hohem Steueraufkommen beziehungsweise
günstiger Einwohner-Finanzrelation einen Vorteil haben.
Die Finanzkraft der Gemeinden ist dabei sehr unterschiedlich. Bäuerlich strukturierte
Gemeinden sowie Wohngemeinden ohne Gewerbe und Industrie sind in der Regel eher
finanzschwach. (Neuhofer 1997: 871) Ärmere Gemeinden erhalten einen Finanzzuschuss und
auf Landesebenen findet ein „interkommunaler Finanzausgleich“ statt.
Beim Finanzausgleich 2005 kam es zu einer Aufstockung der Zuweisung um 100 Millionen
und der abgestufte Bevölkerungsschlüssel wurde zugunsten der finanzschwachen Gemeinden
geändert. (Steininger 2006: 1003) (Pramböck 2005: 149)
Oft wird durch die wachsenden Aufgaben der Gemeinden von einem nicht mehr
ausreichenden Ausgleich gesprochen. Besonders der Österreichische Städtebund und der
Gemeindebund erheben Forderungen nach mehr finanziellen Mitteln für die Gemeinden.
Auch die Gemeinden können grundsätzlich frei darüber bestimmen für welchen Zweck die
Einnahmen eingesetzt werden sollen. Der Gemeinderat beschließt jährlich einen
Gemeindevoranschlag, der als bindende Grundlage für die Führung des Gemeindebudgets
durch den oder die BürgermeisterIn gilt. Für die Erstellung des Voranschlages sowie des
Rechnungsabschlusses ist die bundeseinheitliche Voranschlags- und
Rechnungsabschlussverordnung (VRV), BGBl. 159/1983 i.d.F. 440/1986 zu beachten. Die
Gemeindeordnungen, das Stadtrecht sowie die Gemeindehaushalts-, Kassen- und
Rechnungsordnung schränken die Haushaltsführung weiter ein. (Neuhofer 1997: 871)
Der Stabilitätspakt zwischen den Körperschaften sieht darüber hinaus keine weitere
Verschuldung der Gemeinden vor, was in den letzten sechs Jahren auch umgesetzt wurde. 11
Öffentliche Investitionen
Die Gemeinden tätigen rund 70 Prozent der Investitionen des öffentlichen Sektors. Davon
fallen 18 der 70 Prozent auf Wien, bleibt jedoch immer noch einen unglaublich hoher Anteil
von 52 Prozent. Der Bund hält bei 20 und die Länder bei 9 Prozent. [fehlt 1%]. 2002
investierten die Gemeinden rund 3,05 Milliarden in den öffentlichen Sektor, was 20,9 Prozent
der Gesamtausgaben darstellen. Die leichte Schwankung der Investitionssumme in den letzten
Jahren hängt mit den Einnahmeverlusten bzw. Einnahmenzuwächsen zusammen. Die
11 http://www.kommunal.at/kommunal/download/AktuelleAusgabe/Seiten%2012_13_Stabilität.pdf , 15.04.2008
61
Wichtigkeit der Gemeinde für kommunale Investitionen und die kommunale Wirtschaft
werden somit vielfach unterschätzt. (Steininger 2006: 1003-1004)
Der Strukturwandel der Ökonomie setzt die kommunale Wirtschaftsförderung seit den 1980er
Jahren vermehrt unter Druck. Arbeitsplatzbeschaffung und der Transfer von Know-how und
technischem Wissen in örtliche Klein- und Mittelbetriebe stehen dabei im Zentrum der
Investitionen. Neben der „Gewerbeförderung“ entstanden so Technologietransferstellen bzw.
–zentren. (Steininger 2006: 1004)
Die Wichtigkeit der öffentlichen Investitionen, die durch die Gemeinden getätigt werden, ist
beachtlich und stellt eine wichtige Aufgabe dar, in die die Bevölkerung eingebunden werden
sollte. Von Vorschlägen über die Entscheidung bis hin zur Kontrolle können hier wirksame
Prozesse der Partizipation entstehen.
Kontrolle
Die Kontrolle der Finanzen der österreichischen Gemeinden obliegt dem
Landesrechnungshof, wenn die Gemeinde mehr als 20.000 Einwohner zählt. In Österreich
betrifft dies gerade einmal 24 Gemeindebudgets, die vom Rechnungshof kontrolliert werden
können. Bei den mehr als 2300 übrigen Gemeinden kann der Landesrechnungshof nur durch
ein begründetes Ersuchen der zuständigen Landesregierung tätig werden. Es besteht also ein
großes Kontrolldefizit in diesem Bereich. (Fiedler 2004: 5) (Buchner 2004: 73) Partizipative
Regelungen könnten hier eine effektive Kontrolle durch die BürgerInnen ermöglichen.
Schlussbemerkung
Beim Einheben von Steuern kann festgehalten werden, dass der Bund eine dominante Rolle
spielt. Durch die ausschließlichen Landes-/Gemeindeabgaben sowie den Gemeindeabgaben
auf Grund freien Beschlussrechts verfügen die Länder und Gemeinden zwar über eigene
Einnahmequellen, die jedoch sehr gering sind. Besonders die Landeseinnahmen weisen einen
sehr hohen Grad von Abhängigkeit auf. Drei Beschränkungen sind für eine mögliche
Ausweitung kritisch zu erwähnen:
• Es besteht eine rechtliche Hürde. Der Bund besitzt ein Einspruchsrecht;
• Die Länder heben nur einfache Steuern ein, weil sie über keinen
ausgebauten Einhebungsapparat verfügen;
62
• Standort- und Wettbewerbsaspekte. 12
Wird hier ein Weg gefunden die eigenen Einnahmen auszubauen, so besteht beispielsweise
durch die Privatwirtschaftsverwaltung, die ausgenommen ist vom Legalitätsprinzip, eine
Möglichkeit auch kompetenzüberschreitend zu investieren.
Bei der Verwendung der Einnahmen bestimmen die Länder und Gemeinden grundsätzlich
selbst, was jedoch verbunden mit der Abhängigkeit der Einnahmen ein schwacher Trost
darstellt. Der Bund ist in den letzten Jahren eher sparsam mit der Finanzierung der
Gemeinden und Länder umgegangen. Die bundesstaatlich eingetriebenen Steuergelder, die
durch den Finanzausgleich den Körperschaften zukommen, sind für diese überlebenswichtig.
Der Zentralismus ist also auch bei der Budgetplanung dominant und kann nur durch die
eigenen Steuern in gewissem Maße abgeschwächt werden. Einschränkend wirkt jedoch der
Stabilitätspakt, der einen positiven Abschluss bzw. einen Überschuss im Budget vorschreibt.
Die Wichtigkeit der öffentlichen Investitionen, die durch die Gemeinden getätigt werden, will
ich noch einmal erwähnen. Hier sind effektive Möglichkeiten für mehr Beteiligung gegeben.
Allgemein kann auch von einem Kontrolldefizit der Öffentlichkeit im Bezug auf Finanzen
gesprochen werden. Dies gilt für die Landes-, besonders aber für die Gemeindeebene.
12http://www.wirtschaft.steiermark.at/cms/dokumente/10434251_13147337/26bc8fe0/lehner%20studie_bundesl%C3%A4ndervergleich_kurzfassung.pdf, 16.05.2008
63
4. Formen der unmittelbaren Demokratie in Österreich
In den österreichischen Gesetzen finden sich unterschiedliche Formen der direkten
Demokratie. Bevor ich zu neuen Möglichkeiten der Partizipation komme, will ich die
bestehenden unmittelbaren Demokratieformen aufzeigen und analysieren. Dabei will ich
auch auf deren realpolitische Bedeutung verweisen und entsprechende Schlüsse für eine
Verbesserung ziehen.
4.1 Unmittelbare Demokratie auf Bundesebene
Die österreichische Bundesverfassung sieht drei Instrumente der direkten Demokratie auf
Bundesebene vor: Volksabstimmung, Volksbefragung und Volksbegehren.
Volksabstimmung
Obligatorisch sind Volksabstimmungen nur bei einer Gesamtänderung der Bundesverfassung
bzw. der Absetzung des Bundespräsidenten. Ansonsten kann jeder Gesetzesbeschluss des
Nationalrates einer Volksabstimmung unterzogen werden. Voraussetzung dafür ist die
Zustimmung einer Mehrheit im Nationalrat.
Der Logik des repräsentativen Parlamentarismus folgend, kam es in Österreich bisher nur zu
einer, durch den Nationalrat initiierten Volksabstimmung und dies war 1978 zur Nutzung der
Kernenergie in Österreich.
1994 wurde über den EU-Beitritt abgestimmt, der eine Gesamtänderung der Verfassung mit
sich brachte und somit obligatorisch zu einer Volksabstimmung führen musste. Dies waren
die beiden einzigen Volksabstimmungen, die in der Zweiten Republik stattfanden.
Volksbefragung
Seit dem Jahre 1989 gibt es in Österreich die Möglichkeit zur Volksbefragung. Auf Beschluss
des Nationalrates oder der Bundesregierung kann zu einer Angelegenheit von grundsätzlicher
und gesamtösterreichischer Bedeutung eine Befragung durchgeführt werden. Dabei werden
zwei verschiedene Lösungsvorschläge bzw. eine Ja-Nein-Frage zur Wahl gestellt.
Das Ergebnis hat keine rechtliche Bindung, in der Praxis wird sich jedoch kaum eine
Regierung wagen, gegen den Volkswillen zu entscheiden. Bis zum jetzigen Zeitpunkt kam es
jedoch noch nie zu einer Volksbefragung.
64
Volksbegehren
Beim Volksbegehren muss ein Einleitungsantrag mit einem ausformulierten Gesetzestext oder
einer Anregung für ein Gesetz von einem Promille der Bevölkerung beglaubigt unterschrieben
werden. Erst wenn dem Antrag durch das Innenministerium stattgegeben wird, liegt der
Antrag auf der Ebene der Gemeinden zur Unterstützungsunterschrift für eine Woche auf und
muss von 100 000 StaatsbürgerInnen in der Hauptwohnsitzgemeinde unterzeichnet werden.
Voraussetzung ist dabei das vollendete 16. Lebensjahr. Werden die erforderten Unterschriften
erbracht, muss das Anliegen im Nationalrat behandelt werden. Darüber hinaus haben die
Organisatoren des Volksbegehrens seit 1998 die Möglichkeit bei den Ausschussberatungen
im Parlament teilzunehmen.
Bisher gab es in Österreich 32 Volksbegehren, wobei ein Großteil der Begehren von Parteinen
initiiert wurde und somit als Teil der parlamentarischen Oppositionsmöglichkeiten betrachtet
werden kann.13 (Müller 2006: 110) Von den 32 erfolgreich eingebrachten Volksbegehren
konnten vier eine direkte gesetzliche Umsetzung und drei eine Teilumsetzung bewirken.
(Rehmet 2003: 6) Diese konnten alle auf die Unterstützung einer der beiden Volksparteinen
aufbauen. BürgerInnenbewegungen fehlt es oft an der Organisationsstruktur und der
Medienpräsenz, ohne die ein positives Einbringen kaum machbar ist.
Im Vergleich mit der Schweiz fällt vor allem der kurze Eintragungszeitraum von 8 Tagen in
Österreich (in der Schweiz von 2 Monaten bis zu einer unbegrenzten Dauer), die finanzielle
Belastung (Kostenbeitrag von 2.456,70 Euro, wird jedoch bei positivem Ausgang fünffach
rückvergütet) sowie die Verbindlichkeit des Ausganges des Begehrens (in der Schweiz kann
eine verbindliche Volksabstimmung herbeigeführt werden) auf.
Dass bei der Behandlung von eingebrachten Volksbegehren ein Handlungsbedarf besteht,
bestätigt auch der Entwurf der FPÖ-ÖVP Regierung des Jahres 2000.
Die Regierung plante ein „Initiativreferendum“, das dem Volksbegehren zu mehr politischer
Macht verhelfen sollte. Dabei sollte es zu einer zwingenden Volksabstimmung bei
Volksbegehren in Gesetzesform kommen. Voraussetzung dafür sollte die Unterzeichnung von
mindestens 15 Prozent der stimmberechtigten BürgerInnen sein und keine positive Erledigung
innerhalb von 9 Monaten nach dem Abschluss des Eintragungsverfahrens durch den
Nationalrat und Bundesrat. Auch darf keine EU-rechtliche oder völkerrechtliche
Verpflichtung gebrochen werden, keine Verfassungsänderung herbeiführen, Landesrecht nicht
berühren und den Bundeshaushalt nicht gefährden.
13 http://www.bmi.gv.at/Wahlen, 5.5.2008
65
Gescheitert ist die Ausweitung der Wirkung des Volksbegehrens an der nötigen Zweidrittel-
Mehrheit im Nationalrat.
Über die genaue Ausformung einer neuen Regelung die dem Volksbegehren mehr Wirkung
sichern soll, wird gestritten. Der jetzige Zustand ist jedoch mangelhaft.
Zusammenfassung
Die drei Beteiligungsformen die auf Bundesebene existieren, sind als schwach zu bewerten.
Wirklich direktdemokratisch ist lediglich das Volksbegehren, das durch die BürgerInnen
selbst initiiert werden kann. Volksbefragung und Volksabstimmung sind an eine Mehrheit im
Parlament bzw. an eine maßgebliche Änderung der Verfassung gebunden.
Dem Volksbegehren aber mangelt es an politischer Bedeutung. Vermehrt kritisiert wird die
schwache rechtliche Bindung des Volksbegehrens. 100 000 Unterschriften nur für eine
Behandlung des Themas im Nationalrat ist ein schwacher Trost für die Initiatoren und
Unterstützer des Begehrens. Alle erfolgreichen Volksbegehren konnten auf die Unterstützung
von Parteien zurückgreifen. Für eine BürgerInneninitiative bleibt es weiterhin sehr schwer
ohne den organisatorischen Hintergrund einer Partei erfolgreich ein Volksbegehren
einzubringen. Von einem Kompetenzentransfer von den Parteien hin zur Zivilgesellschaft
kann in Österreich also nicht die Rede sein. (Pelinka/Rosenberger 2007: 88)
Die direkt demokratischen Elemente auf Bundesebene sind sehr mangelhaft. Die
repräsentative Demokratie hat die direkte Demokratie im Griff. Das Volk selbst kann nicht
bestimmen, ob es selbst bestimmen darf. (Welan 2000: 2)
4.2 Unmittelbare Demokratie auf Landesebene
Auf der Ebene der Länder unterscheiden sich die Formen der direkten Demokratie natürlich
stark. Jedes Land hat seine eigene Verfassung und somit seine eigenen Ausprägungen der
unmittelbaren Demokratie.
Unterschieden werden können die unmittelbaren Demokratieformen in Willensbildung- und
Entscheidungsbereiche. Bei den Formen mit Entscheidungscharakter ist der Gesetzgeber an
den Ausgang der BürgerInnenbeteiligung gebunden, bei einer willensbildenen Form nicht.
Auch kann zwischen plebiszitärer und direktdemokratischer Variante unterschieden werden.
Die Instrumente der Volksabstimmung, Volksbegehren und Volksbefragung können jeweils
zwei Ausformungen haben, je nach zustande kommen von oben (plebiszitär) oder von unten
(direktdemokratisch).
66
• Entscheidungsbereich
Obligatorische Volksabstimmung
Zwingende Volksabstimmungen sehen nur die Landesverfassungen Vorarlbergs und
Salzburgs vor. In Vorarlberg kommt es zu einer Entscheidung des Volkes bei einer Änderung
der materiellrechtlichen Kompetenzzuweisung. Ähnlich gibt es in Salzburg bei einer
Gesamtänderung der Landesverfassung eine Volksabstimmung (kam 1998 beim Wechsel von
Mehrheits- auf Verhältniswahlrecht zur Anwendung).
Fakultative Volksabstimmung
Die fakultative Volksabstimmung ist entweder plebiszitär (durch den Landtag) oder als
Vetoinstrument (erzwungen von Gemeinden oder Bevölkerung) ausgestattet.
Mittlerweile haben alle Bundesländer das Instrument der Volksabstimmung in ihren
Verfassungen verankert.
Im Bereich der Gesetzgebung gibt es keine Volksabstimmungsmöglichkeit. Doch in der
Mehrzahl der Länder hat das Volk die Möglichkeit durch unterschiedlich hohe Quorren der
Stimmberechtigten ein Volksveto gegen Beschlüsse des Landtages zu erwirkten. Darüber
hinausgehende Formen der Volksbeteiligung bei der Gesetzgebung sind jedoch
verfassungswidrig.
(Z.B. sah Vorarlberg eine Referendumsinitiative nach Schweizer Art, also die Koppelung der
Instrumente Volksbegehren und Volksabstimmung mit rechtlicher Bindungswirkung für den
Landtag, vor. Dies wurde jedoch vom Bundesverfassungsgerichtshof als verfassungswidrig
bezeichnet, weil es gegen das grundlegende Prinzip der mittelbaren [repräsentativen]
Demokratie verstößt.)
Gemeindevetos
In Niederösterreich, Steiermark, Tirol und Vorarlberg gibt es die Gemeindevetos, bei denen
Gesetzesbeschlüsse der Landtage durch eine bestimmte Anzahl von Gemeinderatsbeschlüssen
blockiert werden können und eine Volksabstimmung verlangt werden kann. (unmittelbare
Mitwirkung des Volkes)
• Willensbildungsbereich
Volksbegehren und Volksbefragung sind die institutionalisierten Formen. Beide können
plebizitär und/oder direktdemokratisch eingerichtet sein. Auf Länderebene überwiegt
traditionell die direktdemokratische Variante.
67
Volksbegehren
Alle Bundesländer außer Salzburg haben ein Volksbegehren, das zwischen 1 und 5 Prozent
der Bevölkerung vorsieht, um im Landtag vorgebracht zu werden.
Oft gibt es auch eine Koppelung von Volksbegehren mit der Volksbefragung. (Salzburg,
Oberösterreich, Steiermark)
Auch im Verwaltungsbereich gibt es die Möglichkeit zum Volksbegehren in manchen
Bundesländern. (in Vorarlberg, Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Burgenland.)
Allgemein sind jedoch höhere Quorren für eine Behandlung im Landtag notwendig.
Auch die Gemeinden können in allen Bundesländern Anträge auf Erlassen, Abänderung oder
Abschaffung von Gesetzen stellen. In Verwaltungsangelegenheiten haben nur die Gemeinden
in Niederösterreich und Vorarlberg diese Möglichkeit.
Volksbefragung
Die Volksbefragung ist öfter im Bereich der Verwaltung verankert. In der plebiszitären
Variante kommt es zu einer Aufhebung der Gewaltenteilung und die Landesregierung kann
eine Volksbefragung für den Bereich der Gesetzgebung starten. In Vorarlberg, Tirol und in
der Steiermark kann der Landtag eine Befragung für den Bereich der Verwaltung initiieren.
Nur selten gelten diese Rechte auch für kleine Minderheiten und sind somit als Stärkung der
Opposition oder von Minderheitengruppen nicht immer geeignet.
In Kärnten ist auch im Falle einer Zusammenlegung von Gemeinden der Wille der
Bevölkerung zu erforschen.
In Wien gibt es das Instrument der Volksbefragung nur auf dem Gemeindebereich.
Bürgerbegutachtung
Ebenfalls der Erforschung des Volkswillens dienen die allgemeine Bürgerbegutachtung von
Regierungsvorlagen (Burgenland, Steiermark, Vorarlberg). Weitere Varianten der
Bürgerbegutachtung gibt es in Oberösterreich und der Steiermark. Die Landesregierungen
können ihre Verordnungsentwürfe allgemein begutachten lassen, andererseits ist auch bei
Initiativanträgen von Abgeordneten oder Landtagsausschüssen die Bürgerbegutachtung
durchzuführen, wenn es der zuständige Ausschuss (Oberösterreich) oder der Landtag mit
einer Mehrheit von zwei Drittel der Stimmen beschließt (Steiermark).
68
Kontrollinitiative des Rechnungshofes durch BürgerInneninitiative
In der Steiermark und in Vorarlberg können die Stimmberechtigten eine Kontrollinitiative
durch den Landesrechnungshof starten.
Individuelle politische Rechte
Dies sind beispielsweise das traditionelle Petitionsrecht und das in der BV seit 1988 fest
gehaltene allgemeine Auskunftsrecht gegenüber allen Bundes-, Landesorganen und den
Gemeinden sowie deren Körperschaften (nur für die Mitglieder) des öffentlichen Rechts.
Es gibt jedoch bedeutende Ausnahmebestimmungen für die Volksrechte. So werden in den
Landesverfassungen Wahlen, individuelle Personalangelegenheiten, finanzielle
Angelegenheiten (Abgaben, Entgelte, Tarife) sowie individuelle, konkrete Verwaltungsakte
ausgeschlossen. „Demgegenüber ist gerade in der Schweiz das Finanz- bzw.
Ausgabenreferendum, durch das nicht zuletzt auch die politische Planung des Staates vom
Volk kontrolliert und korrigiert werden kann, das Rückgrat der Referendumsdemokratie.
Gerade zu absurd erscheint es daher, wenn diese Materien sogar für den Bereich der
Willensbildung der Organe ausgenommen sind.“ (Marko/Poier 2006: 956)
Besonders im Bereich der Offenlegung von öffentlichen Finanzen herrscht im internationalen
Vergleich ein Handlungsbedarf in Österreich. Öffentliche Gelder sollten auch durch die
Öffentlichkeit kontrollierbar sein.
Empirische Erfahrungen mit der unmittelbaren Demokratie auf Landesebene
Die Formen der unmittelbaren Demokratie in Österreich auf Landesebene sind von
Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Dennoch können die empirischen Erfahrungen
und Kritikpunkte zusammengefasst werden.
Herrschaft des Repräsentativen
Die Normalität des politischen Alltages wird von Repräsentativorganen, d.h. Eliten der
Parteinen, Verbände und Bürokratie, beherrscht. Es besteht durchaus ein Bedarf die
direktdemokratischen Elemente auszubauen. (Volksbefragung in Wien zum Sternwartepark
ohne Gesetzesgrundlage, Pro-Vorarlberg Volksabstimmung durch Petition an den Landtag
getragen) Petitionsrechte müssen zum Teil für die mangelnde direkte Demokratie herhalten.
Ein Grundproblem dabei ist der Verfassungsgrundsatz der mittelbaren Demokratie.
69
Parteipolitische Überformung
Ausgangspunkt vieler unmittelbar demokratischer Prozesse sind Parteien. Oft werden die
Möglichkeiten zur Beteiligung von Regierungsparteinen genutzt, um die eigene Meinung zu
kräftigen oder bei strittigen Entscheidungen das Volk entscheiden zu lassen. (Olympische
Spiele, Weltausstellung, Tempolimit, Umweltschutz, usw.)
Oppositionsfunktion
Elemente der direkten Demokratie werden auch gerne genutzt von Oppositionsparteien, um
außerparlamentarisch in die Gesetzgebung einzugreifen. Auffallend dabei ist jedoch, dass vor
allem die großen Parteinen über die nötigen Organisationsstrukturen verfügen, um die
erforderliche Beteiligung an den Verfahren zu gewährleisten. Zeit und Geld stellen für
kleinere Gruppierungen oft ein unüberwindbares Hindernis dar. Zwar ist auf Landesebnen das
erfolgreiche Einbringen eines Begehrens ohne Parteistruktur einfacher als auf Bundesebene,
doch auch hier spielt dieses eine große Rolle. Auch kommt den Massenmedien eine
bedeutende Stellung zu. Regionale Medienkonzentrationen könnten somit verstärkt auf die
Legislative einwirken.
Nach dem direktdemokratischen Hoch der 1980er Jahre auf Ebene der Länder lässt sich in
den letzten Jahren ein Rückgang verzeichnen. Viele politische Eliten sehen das Volk als
unmündig an, um es an politischen Entscheidungen teilhaben zu lassen. Hinzu kommt noch
die Angst vor populistischem Missbrauch der direktdemokratischen Instrumente, die durch
Boulevardmedien noch zusätzlich unterstützt und mitgetragen werden.
Auch wird die mangelnd ausgebildete Zivilgesellschaft als Grund gegen eine Aufwertung der
partizipativen Demokratie angeführt. Bei den letzten Verfassungsnovellen in Oberösterreich
(2002) und in der Steiermark (2005), wurden die Instrumente der direkten Demokratie
jedenfalls weiter beschnitten. (Marko/Poier: 2006: 952-957)
Die mangelnde BürgerInnenmündigkeit und zu wenig Zivilgesellschaft werden mit der
Zurückdrängung der Beteiligungsformen auch nicht gestärkt sondern geschwächt. Die
Auseinandersetzung mit politischen Themen erfolgt zum Großteil über die Medien. Boulevard
Blätter sind ein Problem, jedoch auch kein dauerhaftes Argument gegen mehr Beteiligung und
eine öffentliche Auseinandersetzung. Die regionale Ebene erlaubt einen Diskurs, der nicht nur
von Massenmedien getragen wird.
70
Zusammenfassung
Ähnlich wie auf Bundesebene gibt es auf Landesebene keine Form der unmittelbaren
Demokratie, die vom Volk initiiert werden kann und direkt in die Gesetzgebung eingreift. Der
Vorstoß in Vorarlberg mit einer Koppelung von Volksbegehren und Volksabstimmung wurde
als verfassungswidrige abgewiesen. Die bestehenden Formen der unmittelbaren Demokratie
geben dem Volk zwar Möglichkeiten zur politischen Beteiligung, von Entscheidungen bleibt
es jedoch ausgeschlossen.
Einen Machttransfer zugunsten der Zivilgesellschaft findet auch auf Landesebene nicht statt.
Die Kritik kann in den behandelten Punkten (Herrschaft des Repräsentativen, Parteipolitische
Überformung und Oppositionsfunktion) festgehalten werden. Handlungsbedarf besteht
darüber hinaus in der öffentlichen Kontrolle der Finanzen. Die Offenlegung wird in vielen
Bereichen gesetzlich verweigert, was besonders zu kritisieren ist. Die Kritik am Zustand
unterscheidet sich nicht wesentlich von jener auf Bundesebene.
4.3 Formen der unmittelbaren Demokratie auf Gemeindeebene
Auf Gemeindeebene gilt Ähnliches wie auf Länderebene; jedes Land hat andere
Ausformungen der unmittelbaren Demokratie in seiner Verfassung festgeschrieben und selbst
jede Gemeinde unterscheidet sich durch eine unterschiedliche Nutzung der vorgegebenen
Spielräume. Ich will hier auf die gängigsten Varianten der Beteiligung verweisen.
BürgerInnenbegehren
Eine gewisse Anzahl von Unterschriften macht eine Behandlung des Themas durch den
Gemeinderat notwendig. Behandlung und Wirkung sind dabei aber äußerst unterschiedlich.
(Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Salzburg, Steiermark, Vorarlberg)
BürgerInnenbefragungen
BürgerInnenbefragungen können in allen Gemeinden Österreichs auf Initiative des
Gemeinderates durchgeführt werden, sind aber in der Regel nicht bindend.
BürgerInnenentscheidungen
Der Gemeinderat kann eine BürgerInnenentscheidung herbeiführen, die in der Regel bindende
Wirkung besitzt. (alle außer Vorarlberg, Tirol, Niederösterreich)
71
Jährliche Gemeindeversammlung
Vorgeschriebene jährliche Versammlung zur Information der BürgerInnen über wichtige
Gemeindeangelegenheiten. (alle außer Vorarlberg und Niederösterreich)
Zusammenfassung
Die Behandlung der Formen unmittelbarer Demokratie in Österreich stellt klar, dass das Volk
in Österreich keine Möglichkeit besitzt in die Gesetzgebung entscheidend einzugreifen.
Keines der direktdemokratischen Instrumente führt zu einer zwingenden gesetzlichen
Umsetzung. Die bestehenden Maßnahmen sind mehr als eine Erweiterung der
Oppositionsfunktion von Parteinen zu sehen. Es wird keine Macht an die Zivilgesellschaft
abgegeben. Welan fasst die momentane Situation wie gefolgt zusammen:
„Da die Demokratie weitgehend ein Konzept ohne Konsequenz in Österreich ist, wäre ein rein
repräsentativ demokratisches System ehrlicher. Anderenfalls müsste die österreichische
Bundesverfassung nicht nur das Volksbegehren mit rechtsverbindlicher Wirkung ausstatten
und die Möglichkeit eines Vetoreferendums vorsehen sowie den Bundesländern freie Hand
bei Gestaltung der direkten Demokratie lassen. Die Erneuerung der Demokratie in diesem
Sinn setzt einen neuen Föderalismus voraus.“ (Welan 2000: 5)
Ausgang einer wirklichen Änderung müsste also eine Verfassungsänderung zu Gunsten der
direkten Demokratie sein. Die damit verbundene Ausformung der direktdemokratischen
Maßnahmen obliegt ohnehin der Legislative. Somit wird sie ihre Kompetenzen und
Handlungsfähigkeit auch in einem direktdemokratischen System wahren.
Ich will jedoch nicht den Fehler begehen und die partizipativen Demokratieausformungen auf
direktdemokratischen Mechanismen reduzieren. Dies ist entgegen der Logik der theoretischen
Erkenntnisse, die im ersten Kapitel festgehalten sind. Selbstregieren muss erlernt werden und
Deliberation wird nicht nur durch Entscheidungsbeteiligung erzeugt. Partizipative
Maßnahmen sind bei weitem vielfältiger als nur direktdemokratische
Entscheidungsmöglichkeiten. Im ersten Kaptitel habe ich drei Formen der
Demokratisierungsstrategie festgehalten, zu denen ich jetzt zurückkommen will. Die
bestehenden Formen von partizipativer Demokratie innerhalb des österreichischen Systems,
besonders auf lokaler und regionaler Ebene, soll nun eingeteilt werden in expansive-,
effizienzorientierte- und integrative Maßnahmen und Verbesserungspotenzial sichtbar
gemacht werden.
72
5. Ausbaumöglichkeiten der partizipativen Demokratie auf kommunaler
und regionaler Ebene
5.1 Expansive Maßnahmen
Die expansive Demokratisierungsstrategie ist darauf aus die Nutzenfunktion der
Beteiligungsmöglichkeiten zu erhöhen und dies auszuweiten. Umgelegt auf das
österreichische System heißt dies eine Dezentralisierung und ein Ausbau der Partizipation und
besonders eine Erhöhung der Verbindlichkeit der Beteiligungsergebnisse.
Die Ergebnisse der partizipativen Maßnahmen müssen einen verbindlichen Charakter
bekommen. Dies gilt für alle drei politischen Ebenen gleichermaßen.
Die Ausweitungsbereiche sind dabei sehr vielfältig. Von Ideen der Demokratie am
Arbeitsplatz, Volksabstimmungen und -begehren, Einbindung funktional organisierter
Gruppen in die Entscheidungsfindung bis zu Petitionsrechte des Einzelnen, wird hier ein sehr
breit gestreutes Feld von Möglichkeiten angesprochen. Dem Grundsatz der Dezentralisierung
folgend will ich einige Maßnahmen für die lokale und regionale Ebene nennen.
• Landesbereich
Koppelung von Volksbegehren mit Volksabstimmung oder Volksbefragung
Im Bereich der unmittelbaren Demokratie sollte bei einer Verfassungsänderung zu Gunsten
der direkten Demokratie die Koppelung des Volksbegehrens mit einer Volksabstimmung (bei
entsprechender Zustimmung mit längeren Eintragungsfirsten, weniger Kosten für die
Initiatoren) erfolgen. Ansonsten ist auch die Koppelung des Volksbegehrens mit der
Volksbefragung zielführend. Der Ausgang einer Befragung nimmt einen verbindlichen
Charakter für die Regierung an.
BürgerInnenveto
Bei einer entsprechenden Unterstützung durch das Volk soll ein Landesgesetz verhindert
werden können. Somit wäre der Bevölkerung nicht nur das Initiativrecht sondern auch ein
Verhinderungsrecht gegeben.
Volksabstimmung bei Verfassungsänderungen
In allen Bundesländern sollte es zu einer Volksabstimmung kommen, wenn die
Landesverfassung geändert wird.
73
Ausweitung des Wahlrechts
In Österreich wohnende AusländerInnen sind von den Wahlen ausgeschlossen. Ab einer
gewissen Aufenthaltsdauer (z.B. ab 2 Jahre) sollen in Österreich wohnende Personen ein
aktives und passives Wahlrecht für alle politischen Wahlen erhalten. Zugewanderte sollten die
Möglichkeit haben am politischen Leben zu partizipieren. (Siehe auch unter: 5.3 Integrative
Maßnahmen)
Rundetische/Ausschussteilnahme
In den Bereichen Wohnbau, Verkehr, Naturschutz, öffentliche Investitionen sollten Verbände,
Vereine, Organisationen und sonstige Zusammenschlüsse mit entsprechendem Schwerpunkt
an den Regierungsverhandlungen teilnehmen können. Eine gesetzlich gesicherte Teilnahme
für thematische Zusammenschlüsse (ab einer bestimmten MitgliederInnenanzahl und nur bei
passenden Bereichen) ist vorstellbar.
• Gemeindebereich
Koppelung von Volksbegehren mit Volksabstimmung oder Volksbefragung
Gleich wie auf Landesebene sollten die GemeindebürgerInnen (bei entsprechender
Zustimmung, zusätzlich längere Zeiträume und weniger Kosten) durch ein Volksbegehren
eine verpflichtende Volksabstimmung oder eine Volksbefragung auslösen können.
BürgerInneninitiative zur Prüfung von Gemeindefinanzen
Bei den Gemeindefinanzen habe ich auf das Prüfungsdefizit verwiesen. Eine Offenlegung
sämtlicher Finanzflüsse der Gemeindekassa und eine Prüfung durch den jeweiligen
Landesrechnungshof bzw. Bundesrechnungshof der Gemeindefinanzen durch entsprechend
BürgerInnenunterstützung könnte eine bessere Kontrolle auch von mittelgroßen und kleinen
Gemeinden garantieren.
Zivilgesellschaftliche Gremien
In den Bereichen Flächenwidmung, Wohnbau, Verkehr und öffentliche Investitionen sollten
interessierte Personen die Möglichkeit haben Ideen, Anregungen, Kritik usw. anbringen zu
können. Eine Institutionalisierung der Beteiligung in diesen Bereichen ist durch
BürgerInnenräte, Planungswerkstätten, Mediationsverfahren, Leitbilderstellungen,
Rundetische, EinwohnerInnenfragestunde, öffentliche Auslegung von Plänen,
Arbeitsgruppen, BürgerInnenforen, Planungszelle/BürgerInnengutachten denkbar. Die
74
Ergebnisse sind öffentlich wirksam zu präsentieren. Bei den Investitionen ist auch eine Art
BürgerInnenhaushalt denkbar, bei dem die Bevölkerung der Gemeinde entscheidet, was mit
den Geldern passieren soll.
5.2 Effizienzorientierte Maßnahmen
Die effizienzorientierte Demokratisierung versucht den Nutzen der politischen Beteiligung
durch sinkende Kosten zu erhöhen. Wie können also Beteiligungskosten in Österreich gesenkt
werden? Im Theorieteil bin ich auf das Internet und dessen Möglichkeiten und Vorteile zur
Aufwandssenkung eingegangen. Sämtliche konventionelle Beteiligungsformen wie Wahlen,
Volksbegehren, Volksabstimmung oder Volksbefragung könnten in Zukunft über das Internet
abgehalten werden. Auch die damit zusammenhängenden Probleme wurden bereits
angesprochen.
In Österreich gibt es einen Mangel in der Kontrolle von staatlichen Organen. Besonders
finanzielle Undurchsichtigkeit und gesetzlich geschützte Bereiche machen eine
zivilgesellschaftliche Kontrolle schwer. Der Informationsfluss zwischen Land/Gemeinde und
Bevölkerung ist nicht genügend gesichert. Voraussetzung zur Partizipation ist auch
Sachwissen, das durch den Informationsaustausch entsteht.
Die Art der Beteiligungsform ist die zweite Wirkungsschiene von effizienzorientieren
Maßnahmen. Wenn von zu Hause aus partizipiert werden kann, werden die Kosten der
Beteiligung gesenkt. Doch wie ich im ersten Kapitel unter Exkurs: e-democracy bereits
festgehalten habe, wird der öffentliche Diskurs stark abgebaut.
• Landesbereich
Jährliche Auflistung sämtlicher Landesfinanzen im Internet und in Zeitungen
BürgerInnenbegutachtungen, in jedem Gemeindeamt, Internet, und Zeitungen
Öffentliche Ausschreibung von Landesaufträgen und offenen Verwaltungsposten
Verlängerung der Öffnungszeiten der Wahllokale.
• Gemeindebereich
Jährliche Auflistung der Gemeindefinanzen im Gemeindeblatt und Internet.
Panaschieren bei Gemeinderatswahl. Personen aus verschiedenen Parteien können gewählt
werden (z.B. eine Person aus der SPÖ, zwei von der ÖVP) Wirkt gegen eine
Parteienüberformung und für das freie Mandat und ist auf Gemeindeebene möglich.
Öffentliche Ausschreibung von Gemeindeaufträgen und offenen Verwaltungsposten.
75
Verlängerung der Öffnungszeiten der Wahllokale.
5.3 Integrative Maßnahmen
Integrative Demokratisierungsmaßnahmen beschäftigen sich mit Voraussetzungen, die
notwendig sind, um deliberative Prozesse möglich zu machen. Das Volk ist nicht eine
homogene Masse und dem entsprechend muss auf bestehende Konfliktlinien geachtet werden.
Integrative Vorgänge sollen die unterschiedlichen Interessen in einem Diskurs einander näher
bringen und die Bildung eines Gemeinwillens ermöglichen. Bevor ich zu konkreten Formen
der integrativen Demokratisierung komme, will ich auf Konfliktlinien und Problemfelder
innerhalb Österreichs verweisen. Diese können in diesem Rahmen sicherlich nicht ausführlich
behandelt werden, doch sollen sie nicht ungenannt bleiben.
Nationalität
In Österreich befinden sich 854.752 Personen, die keine österreichische Staatsbürgerschaft
besitzen.14 Das heißt über zehn Prozent der EinwohnerInnen Österreichs sind von politischen
Wahlen ausgeschlossen. (Angehörige von EU-Staaten haben auf kommunaler Ebene die
Möglichkeit zu wählen.) Doch nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich werden
Zugewanderte selbst mit österreichischer Staatsbürgerschaft oft ausgeschlossen. Es bilden
sich Parallelgesellschaften mit einer einheimischen Mehrheitsgesellschaft und einer
zugewanderten Minderheitengesellschaft.(Gensluckner 2001: 170) Politisch wurden sehr spät
und nur vereinzelt Maßnahmen zur Integration unternommen, was wiederum damit
zusammen hängt, dass die Zugewanderten im Verhältnis zu ihrer Anzahl an der
Gesamtbevölkerung politisch nur ungenügend vertreten sind. Diesem strukturellen Ausschluss
von MigrantInnen muss politisch entgegen gesteuert werden. Die restriktive
Einbürgerungspolitik in Österreich lässt das Recht zur Teilnahme an politischen Wahlen für
Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft als wesentlich erscheinen. MigrantInnen,
die eine gewisse Anzahl von Jahren in Österreich wohnhaft sind, müssen ein aktives und
passives Wahlrecht auf allen Ebenen erhalten.
Geschlecht
Nach wie vor werden Frauen in Österreich in fast allen gesellschaftlichen Bereiche
diskriminiert. Die Breite der Ungleichbehandlung ist groß. Es kommt zwar immer mehr zu
14http://www.statistik.at/web_de/static/ergebnisse_im_ueberblick_bevoelkerung_nach_staatsangehoerigkeit_und_geburt_031396.pdf, 16.09.2008
76
einer Emanzipation von Frau und Mann vom gängigen patriarchalen Herrschaftssystem, doch
sind auch die westlichen Demokratien, besonders Österreich, von einer gesellschaftlichen
Gleichstellung noch weit entfernt.
Eklatant ist die Ungleichheit was die politische Repräsentation angeht. Im Jahre 2000 waren
53% Prozent der österreichischen Wählerschaft weiblich, doch nur 26,8 Prozent der
Nationalratsmandate entfielen auf Frauen. Noch niedriger ist die Quote in den Landtagen mit
einem durchschnittlichen Frauenanteil von 23,8 Prozent (Wien 37%, Tirol und Burgenland
17%). In den Gemeinderäten wurde für das Jahr 1999 gar nur ein Frauenanteil von 14 Prozent
geschätzt! Im Europäischen Parlament waren unter den österreichischen Abgeordneten 38,1
Prozent Frauen, also immer noch knapp 15 Prozent weniger als der demographischen
Durchschnitt vermuten lässt. (Steininger 2000: 141-167)
Alter
Das Alter der ÖsterreicherInnen ist ein weiteres Konfliktfeld, das durch die jüngste Änderung
in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gestellt wurde. Dabei wurde das aktive
Wahlalter bei Nationalratswahlen, und damit folglich auch bei Landtags- und
Gemeinderatwahlen (Homogenitätsprinzip) auf 16 Jahre gesenkt. Alle ÖsterreicherInnen, die
vor der jeweiligen Wahl das 16. Lebensjahr vollendet haben, sind zu den Wahlen zugelassen.
Die Politikverdrossenheit ist bei Jugendlichen besonders groß und ihre älteren
MitbürgerInnen haben durchschnittlich ein höheres Interesse an Innenpolitik. In wie weit sich
das durch die Wahlreform ändert, ist fraglich. Durch gezielte Maßnahmen zur Information
und Aktivierung soll die Wahlbeteiligung der Jungwähler zumindest nicht drastisch unter den
Durchschnitt fallen. Dennoch wird ein Sinken der allgemeinen Wahlbeteiligung erfolgen.
(Karlhofer 2007: 42) Legitimität gewinnt die repräsentative Demokratie also nur bedingt. Die
Politikverdrossenheit in den Reihen der Jugend wird auch nicht direkt bekämpft.
Im österreichischen Nationalrat liegt das durchschnittliche Alter der 183 Mandatare bei 50,5
Jahren, nur vier Abgeordnete sind unter 30 und nur 20 unter 40 Jahren.15 In der Bevölkerung
hingegen liegt das durchschnittliche Alter bei 40,9 Jahren.16 Durch das Herabsenken des
Wahlalters werden sich die Parteien zwar auf die neue WählerInnenschaft einstellen, aber
durch die demografisch bedingte, wachsende Zielgruppe der älteren Wähler (besonders über
60-Jährige), wird die Jungwählerschaft nachrangig bleiben. (Karlhofer 2007: 41) Eine
15 http://www.parlament.gv.at/WW/NR/STAT/ALTER/GP/XXIII/show.psp?p_inf2=20080915, 23.09.2008 16http://www.statistik.at/web_de/static/demographische_abhaengigkeitsquotienten_und_durchschnittsalter_seit_1869_031395.pdf, 23.09.2008
77
positive Auswirkung ist jedoch die unerwartete Aufwertung der politischen Bildung in der
Schule, die mit dem Senken des Wahlalters einen neuen Stellenwert einnimmt.
Die alleinige Erweiterung des Wahlrechts auf die 16-17 Jährigen wird aber die politische
Partizipationskultur nicht verbessern. „Gerade auf Gemeindeebene werden die politischen
AkteurInnen gefordert sein, Maßnahmen zu überlegen, wie das aktive (mit passiver
politischer Partizipation verbundene) Wahlrecht in aktive Mitwirkung am politischen
Geschehen münden kann.“ (Karlhofer 2007: 42)
Arbeitsverhältnis
Ein weiteres Spannungsverhältnis in der Gesellschaft ist jenes zwischen ArbeitgeberInnen
und ArbeitnehmerInnen. Wirtschaftlich geführte Unternehmungen sind beinahe alle
hierarchisch gestaltet. Demokratie in der Arbeitswelt nimmt eine sehr schwache Stellung ein.
In Österreich verfügt die organisierte Arbeiterschaft aber über eine relativ starke Stellung. Das
österreichische System der Sozialpartnerschaft stellt in diesem Bereich einen Ausgleich dar,
der der partizipativen Demokratie im weitesten Sinne entspricht. Bei Einkommens-,
Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik werden Dachverbände der ArbeitgeberInnen-
und ArbeitnehmerInnenorganisationen in politische Entscheidungen mit einbezogen. Die
Konsensfindung findet zwischen der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), der
Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, dem Österreichischen
Gewerkschaftsbund (ÖGB) und der Bundesarbeiterkammer (BAK) statt. (Tálos 2006: 425-
426) Die Verflechtung von Verbänden und Parteien, die Verhandlungen ohne Beteiligung der
Öffentlichkeit und die Nachwirkungen des Proporzes (Gremien sind ÖVP/SPÖ nahe besetzt),
gelten als die Hauptprobleme für einen Ausbau der Demokratie im System der
Sozialpartnerschaft. Aus Sicht der partizipativen Demokratie, besonders mit den Augen des
ideengeschichtlichen Ansatzes, ist die österreichische Form des Korporatismus eine
wünschenswerte Form der Beteiligung. Dennoch bedarf es einer Demokratisierung, was die
Wahlen und Abwahl von Repräsentanten und die Öffentlichkeit der Entscheidungsfindung
angeht.
Auf Betriebsebene gibt es in Österreich das Recht für die ArbeitnehmerInnen, bei einer
Betriebsgröße von fünf ArbeiterInnen oder Angestellten eine Betriebsrätin oder einen
Betriebsrat zu wählen. Dies liegt jedoch in der Verantwortung der ArbeiterInnen und
Angestellten. Der Betriebsrat verfügt über eine besondere Stellung und vertritt die Interessen
der Belegschaft. Das System der Betriebsräte und Betriebsrätinnen wurde erstmals 1919
gesetzlich verankert. Die aktuelle Gesetzesgrundlage geht auf das Jahre 1973 zurück. § 38
78
Arbeitsverfassungsgesetz: „Die Organe der Arbeitnehmerschaft des Betriebes haben die
Aufgabe, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der
Arbeitnehmer im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern.“ § 39. (1)“ Ziel der Bestimmungen
über die Betriebsverfassung und deren Anwendung ist die Herbeiführung eines
Interessenausgleichs zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebes.“17 Um diese
Repräsentationsfunktion entsprechend auszuführen sind die Kompetenzen des Betriebsrates
und der Betriebsrätin gegenüber anderen Angestellten und ArbeiterInnen erweitert (z.B.
erhöhter Kündigungsschutz usw.). Dennoch hat ein Betriebsrat oder eine Betriebsrätin ohne
organisatorische Verflechtung mit dem ÖGB nur eine sehr eingeschränkte Macht. Die
zentralistische Ausrichtung und die oben angesprochenen Punkte der internen
Demokratisierung und besonders die Wahl und Abwahl von RepräsentantInnen ist dabei zu
kritisieren. Die Möglichkeit einer Abwahl eines Betriebsrates oder einer Betriebsrätin sollte
jederzeit durch eine Mehrheit der ArbeiterInnenschaft möglich sein.
Durch die Globalisierung der Wirtschaft gerät die österreichische ArbeiterInnenschaft und das
System der Sozialpartnerschaft vermehrt unter Druck. Neue internationale
Organisationsformen sind unerlässlich und entstehen auch nach und nach. (z.B. Europäische
Betriebsrat) Dennoch kann nicht die nationale Organisation vernachlässigt werden, will man
sich über die Staatsgrenzen hinaus solidarisieren und formieren.
Medien
Der Wichtigkeit von Medien für den Diskurs in modernen Gesellschaften bin ich bereits im
Theorieteil der Arbeit nachgegangen. Obwohl Medien keine gesellschaftliche Konfliktlinie
bilden, will ich kurz auf die österreichische Situation und die Probleme verweisen. Besonders
im Printmedienbereich hat Österreich eine europaweit einmalige Konzentration
hervorgebracht. Sowohl was den Tageszeitungs-, als auch den Wochenzeitschriftenmarkt
betrifft, gibt es sehr hohe Marktanteile einzelner Anbieter. Es herrscht eine horizontale,
vertikale, diagonale, und konglomerale Konzentration am österreichischen Pressemarkt, die
eine Einschränkung des publizistischen Qualitäts- und Innovationswettbewerbes mit sich
bringt, die Einflussnahme von EigentümerInnen und die Markt- und Profitorientierung
vergrößert, den intermedialen Wettbewerb einschränkt und bis hin zu einer Ausblendung von
Gegenmeinungen führt. (Plasser 2006: 528) Die Manipulierbarkeit der Öffentlichkeit ist bei
einer solchen Konzentration ungemein stärker und die Teilnahme am öffentlichen Diskurs
17 http://www.bmwa.gv.at/NR/rdonlyres/9845478E-D2E3-4442-A4FF-18968BA0278D/0/Arbeitsverfassungsgesetz.pdf, 24.09.2008
79
noch exklusiver als bei einer breiteren Streuung. Gesetzliche Regelungen, die eine
Monopolstellung verbieten sind dabei zu wenig wirksam aufgebaut (Presseförderung) oder
wurden immer nur zögerlich und mit zu wenig Konsequenz angewendet (Kartellgesetz).
(Plasser 2006: 528)
Die starke Stellung des öffentlich rechtlichen Rundfunks (ORF) ist zwar seit mehreren Jahren
rückgängig, aber immer noch übermächtig. Gesetzliche Veränderungen wie das Rundfunk-
Gesetz von 2001 erlauben zwar zunehmend eine Marktbewegung, doch ist die Stellung des
ORF für die politische Meinungsbildung durch das Fernsehen immer noch
dominant.(Steinmaurer 2001: 55) Der Stiftungsrat als oberstes Gremium des ORF ist offiziell
zwar unpolitisch, doch lassen sich mehr oder weniger alle Mitglieder einer bestimmten Partei
zuordnen. (Götzendorfer 2001: 49) Die indirekte Kontrolle/Einflussnahme der Regierung auf
die politische Meinungsbildung durch das Fernsehen, ist äußerst problematisch.
• Landesbereich
Integrationsleitbild
Die Landesebene eignet sich besonders zur Erstellung eines Leitbildes für die Integration mit
Zugewanderten. Tirol und Oberösterreich haben bereits dementsprechende Leitbilder erstellt
und arbeiten somit nachhaltig an der gegenseitigen Verständigung in der Gesellschaft.
Leitbilder beinhalten umfassende Maßnahmen zur Integration in allen gesellschaftlichen
Teilbereichen und tragen zum Abbau der Konfliktlinie bei. Bei der Erstellung ist auf eine
breite Beteiligung der Zugewandertengesellschaft zu achten.
Beteiligung von funktional definierten InteressensvertreterInnen bei Entscheidungen im
jeweiligen Bereich. (z.B. AusländerInnenbeiräte, Frauenvereine)
Quotenregelungen
Eine Quotenregelung, die sich ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zum Ziel macht, ist
in Verwaltungsbereich und in politischen Organen eine effektive Lösung für mehr Gleichheit
zwischen Mann und Frau. Besonders der schwachen Repräsentation von Frauen auf Landes-
und besonders auf Gemeindeebene muss entgegengewirkt werden.
• Gemeindebereich
Auch auf Gemeindeebene, besonders in größeren Gemeinden und Städte, ist die Erstellung
eines Leitbildes oder Konzeptes für die Integration mit Zugewanderten notwendig. Darüber
80
hinaus gibt es viele kleine Möglichkeiten, den Dialog zwischen Zugewanderten und
„Einheimischen“ zu fördert. (z.B. Fest der Kulturen, ein Teil des Gemeindeblattes für die
zugewanderte Gesellschaft offenhalten und Teile mehrsprachig drucken, offizielle
Besichtigung der islamischen Gebetshäuser, zugewanderte Personen in der Verwaltung, usw.)
Gemeindewohnungen
Auch bei der Wohnungsvergabe durch die Gemeinden ist auf Ausgeglichenheit zu achten und
eine örtliche Ansammlung der Zugewanderten zu vermeiden.
Quotenregelungen
Auch auf Gemeindeebene sind Quoten, die langsam zu einer Parität führen, anzustreben.
Zusammenfassung
Die von mir gemachte Analyse des repräsentativen Systems und die damit
zusammenhängende Forderung der Ausformung von Maßnahmen nach den fünf Bausteinen
der partizipativen Demokratie habe ich auf das österreichische System übertragen. Die sich
daraus ergebenden konkreten Handlungsforderungen für mehr Partizipation sind sehr
vielfältig und behandeln, den drei Wirkungsbereichen (expansiv, effizient, integrativ)
entsprechen sehr unterschiedliche Formen der Beteiligungssteigerung. Die gemachte
Aufstellung von Möglichkeiten zur partizipativen Demokratisierung erhebt nicht den
Anspruch vollständig zu sein, weder was die Anzahl der Möglichkeiten, noch deren
Ausarbeitung betrifft. Zu groß und vielgestaltig sind die Möglichkeiten. Doch will ich mit der
Auflistung von partizipativen Demokratisierungsmaßnamen aufzeigen, dass eine Änderung
der Gesetzeslage zwar notwendig ist, dennoch auch im momentanen Kontext mehr
Partizipation möglich und sinnvoll ist. Auf die Schwierigkeiten der Umsetzung und die
staatliche Steuerung, besonders bei der integrativen Demokratisierung, will ich noch einmal
hinweisen. (Siehe Kapitel II, 2.3 Demokratisierungsstrategien, Integrative Demokratisierung)
Die genannten Maßnahmen sind somit als allgemein und noch ohne konkreten empirischen
Bezug zu bezeichnen. Im letzten Teil meiner Arbeit will ich mich daher auf zwei bestimmte
Projekte der partizipativen Demokratie konzentrieren. Damit will ich einen Nachweis
erbringen, wie partizipative Maßnahmen Politik und Gesellschaft zu einer positiven
Entwicklung verhelfen.
81
Kapitel III: Praktische Beispiele partizipativer Demokratie in
Österreich
Die Möglichkeiten zur Partizipation auf kommunaler und regionaler Ebene, die ich im
vorigen Kapitel aufgelistet habe, sind nur kurz behandelt worden und es fehlt eine genauere
Betrachtung. Um nicht Gefahr zu laufen sich nur in allgemeinen Möglichkeiten zu verlieren,
sollen zwei Beteiligungsformen aus der Praxis genauer untersucht werden. Auf Landesebene
ist dies das Integrationsleitbild des Bundeslandes Tirol und auf Vorarlberger Gemeindeebene
der BürgerInnenrat in Wolfurt. Neben erhältlichen Unterlagen und Dokumenten der
Verwaltung, dienten mir Interviews/Gespräche mit involvierten Personen als Grundlage für
die Erfassung der Thematik. Diese sind der Arbeit angehängt.
1. Das Integrationskonzept des Landes Tirol
Das Integrationsleitbild des Landes Tirol ist ein Konzept, das die Integration von
Zugewanderten in Tirol fördern soll. Für die partizipative Demokratietheorie ist das Konzept
besonders wegen dessen integrativer Demokratisierungsstrategie von Interesse. Die
Ausgangssituation stellt sich so dar, dass eine klar umrissene Gruppe nicht am
gesellschaftlichen Leben partizipiert. Diese Exklusion führt auf Dauer zu einer gespaltenen
Gesellschaft. Der Freiheits- und Gleichheitsanspruch geht verloren. Für die partizipative
Demokratie ist Integration also ein sehr wichtiger Punkt. Ein Diskurs und das Entstehen eines
Gemeinwillens sind in einer klar geteilten Bevölkerung kaum möglich. Folglich müssen
integrative Demokratisierungsmaßnahmen ergriffen werden.
Der Tiroler Landtag beschloss im Oktober 1999, dass die Landesregierung dazu aufgefordert
wird zu prüfen, auf welche Weise Maßnahmen und Projekte zur sozialen, wirtschaftlichen
und kulturellen Integration von Zugewanderten gefördert werden können.18 Darauf hin wurde
der Integrationsbeirat des Landes Tirol gegründet. Dieser war eine Zusammenführung von
bereits existierenden informellen Gruppen aus Verwaltung und Zivilgesellschaft. Der Beirat
18 Integration MIT Zugewanderten, S. 22, http://www.tirol.gv.at/fileadmin/www.tirol.gv.at/themen/gesellschaft-und-soziales/integration/integrationsleitbild/integrationskonzept.pdf, 15.07.2008, in weiterer Folge: Integration MIT Zugewanderten
82
schlug bereits in der ersten Sitzung vor, ein Integrationsleitbild für das Land Tirol zu
erstellen.19 Es folgte eine Ausschreibung, bei der base (Büro für angewandte Sozialforschung
und Entwicklung) aus Basel den Zuschlag erhielt. Das Ergebnis des folgenden Prozesses ist
ein fast 100-seitiges Dokument mit dem Titel: Integration MIT Zugewanderten.
Integrationskonzept des Landes Tirol mit Maßnahmenempfehlungen. Dieses wurde im Juni
2006 veröffentlicht und stellt eine Möglichkeit der partizipativen Demokratie auf
Landesebene dar.
Ich will das Integrationsleitbild auf den Gehalt von partizipativer Demokratie in Theorie und
Umsetzung untersuchen. Ausgehend vom erstellten Leitbild und den darin enthaltenen
Maßnahmenempfehlungen, will ich durch Gespräche/Interviews mit Mag. Johann Gstir vom
JUFF Referat für Integration des Landes Tirol (21.8.2008) und mit Mag. Oskar Thomas-
Olalde vom Haus der Begegnung der Diözese Innsbruck (11.9.2008) herausfinden, in wie
weit das theoretische Leitbild der Realität entspricht, wie die beteiligten Akteure die
Entstehung empfunden haben, und welche Maßnahmen wirklich umgesetzt wurden bzw. wie
der aktuelle Stand der Dinge ist. Die vollständigen Interviews sind der Arbeit angehängt.
1.1 Inhalt des Dokuments „Integration MIT Zugewanderten“
Das von Kenan Güngör verfasste Dokument, Integration MIT Zugewanderten.
Integrationskonzept des Landes Tirol mit Maßnahmenempfehlungen, wurde im Juni 2006
fertiggestellt. Der folgende Teil bezieht sich auf den Inhalt des Leitbilddokuments. Das
Inhaltsverzeichnis zeigt die Hauptpunkte des Leitbildes.
Inhaltsverzeichnis20
Teil A: Integration MIT Zugewanderten: Das Konzept
1 Das Integrationskonzept
2 Erläuterungen zu den Leitsätzen
3 Integrationsverständnis
4 Zuwanderung und Integrationspolitik
5 Herausforderungen und neue Perspektiven
6 Die Entstehung des Integrationskonzeptes im Prozess
7 Projektorganisation
19 Interview mit Mag. Johann Gstir vom Integrationsreferat des Land Tirols (21.08.2008), in weiterer Folge: Interview Gstir 20 Integration MIT Zugewanderten, S. 3
83
Teil B: Strategische Organisationsentwicklung und Maßnahmenempfehlungen
8 Strategische Organisationsentwicklung
9 Die Maßnahmenempfehlungen
Im Folgenden will ich die wichtigsten Punkte des Inhaltsverzeichnisses herausgreifen und auf
partizipative Elemente hin prüfen. Dabei kann ich aus Platzgründen nicht auf jeden Punkt
genau eingehen, dennoch will ich einen Überblick zum Leitbilddokument geben.
Grundsätzlich teilt es sich in einen A- und B-Teil. Der A-Teil beschreibt den geschichtlichen
Hintergrund der Zuwanderungsthematik, die aktuelle rechtliche und soziale Situation von
Zugewanderten, die demographische Zusammensetzung von Zugewanderten in Tirol, die
Entstehung des Leitbildprozesses und die generellen Leitsätze, nach denen sich die
Integrationspolitik richten soll.
Im B-Teil sind konkrete Maßnahmen aufgelistet und beschrieben, die zu einer besseren
Integration in allen Lebensbereichen führen sollen. Auch ist eine gewünschte
Organisationsstruktur angegeben, die eine institutionelle Vernetzung der wichtigsten Akteure
sicherstellt.
1.1.1 Die theoretischen Leitsätze und Richtlinien des Konzeptes
Die Leitsätze
Das Konzept beginnt mit Leitsätzen, die den Prozess der Integration von Zugewanderten
führen sollen. Vielfalt Leben. Potenziale Nutzen. Zukunft Gestalten. Nach diesen drei
Maximen soll sich das Konzept richten.
Die Zielsetzung des Konzeptes ist eine Veränderung im gesellschaftlichen, politischen und
verwaltungsinternen Bewusstsein im Hinblick auf das Thema „Integration MIT
Zugewanderten“. Integration soll als gesamtgesellschaftliche Problematik wahrgenommen
werden und ihr Potenzial soll, ohne die Probleme und Herausforderungen zu missachten,
herausgestrichen werden.21
Hintergründe zur Zuwanderung und der Integrationspolitik
Unter dem vierten Punkt wird auf die geschichtliche Entwicklung der Zuwanderung
verwiesen und die damit zusammenhängenden Versäumnisse in der Politik. Auch wird der
21 Integration MIT Zugewanderten, S. 9
84
rechtliche Rahmen behandelt, in dem sich Zuwanderung in Österreich abspielt. Die Tioler
Zuwanderung der letzten Jahre wird untersucht und auf die Herkunftsländer der MigrantInnen
aufgeteilt.
Breit angelegte Beteiligung
Das Leitbildkonzept wird im Dokument als Prozess geschildert, der möglichst vielen
Interessensgruppen eine Teilnahme an der Umsetzung ermöglichen will. Dabei sollen alle
Organisationen im direkten Umfeld von Integration eine Repräsentation erhalten und durch
die damit verbundene institutionelle Vernetzung der Akteure für eine nachhaltige Umsetzung
sorgen.
Das Konzept soll von den allgemeinen Aussagen und Zielsetzungen zu konkreten Aufgaben
und Maßnahmenempfehlungen kommen. Dabei sollen Ideen und Vorschläge der beteiligten
Organisationen, Gruppen und Personen in inhaltlichen Arbeitsgruppen erfasst und nach
Umsetzbarkeit, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit ausgewählt und geordnet werden.22 Bei der
Erstellung haben über 350 Personen sich selbst und ihre Erfahrungen und Kompetenzen in
Steuerungsgruppen, Arbeitskreisen, Regionalveranstaltungen eingebracht.23
Machttransfer an die Zivilgesellschaft
Ein interessanter Punkt für die partizipative Demokratietheorie findet sich unter dem Punkt
5.4 im Leitbild und nennt sich „Erweiterung und Optimierung des Kompetenztransfers
zwischen den zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen im Integrationsbereich“.
Dabei wird die Wichtigkeit der Umlagerung von Kompetenzen durch die zentralen
gesellschaftlichen Regelsysteme wie Bildung, Wirtschaft, Verwaltung angesprochen. „Hier
könnten die zivilgesellschaftlichen Institutionen, die sich explizit als Träger der
Integrationsthematik verstehen, ihr spezifisches Wissens-, Kompetenz- und
Innovationspotential zum Nutzen einer gelingenden gesamtgesellschaftlichen
Integrationsarbeit erbringen, über das sie nicht zuletzt auf Grund ihrer Schlüsselposition mit
Zugangsmöglichkeiten sowohl zur Migrationsbevölkerung, als auch zu den Institutionen der
aufnehmenden Gesellschaft verfügen. Dank dieser Positionierung sind
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auch in der Lage, als Frühwarnsysteme für
gesellschaftliche Entwicklungen zu wirken und einen wichtigen Beitrag für die pluralistische
22 Integration MIT Zugewanderten, S. 9 23 Ebd., S. 22
85
Meinungsbildung in einer demokratisch verfassten Gesellschaft zu leisten. Mit Blick auf die
Zukunft sollte sich eine Kultur der vertieften Kooperationen etablieren, zwischen staatlichen
und nichtstaatlichen Organisationen im Integrationsbereich, unter Beibehaltung ihrer
jeweiligen Autonomie.“24 Besonders diese Passage erinnert stark an Habermas und dessen
Begriff der Öffentlichkeit und die wachsende Anforderung an die Zivilgesellschaft. Die
Maßnahme kann der integrativen Demokratisierungsstrategie zugeordnet werden. Der
Forderung des Kompetenztransfers von staatlicher Seite hin zur zivilgesellschaftlichen
Organisationen wird hier theoretisch Folge geleistet.
Auch erhoffen sich die Verfasser des Konzepts eine wachsende Diversitätskompetenz
staatlicher Institutionen. Das soll heißen, durch den Austausch mit NGOs kommt es zu
größeren Unterschiedlichkeit der MitarbeiterInnen in ethnischer, sozialer, kultureller und
geschlechtlicher Hinsicht. Das wird als Chance für Verbesserungen in der
Verwaltungsdienstleistung gesehen und soll wirtschaftlich genutzt werden.
Neben der Verbindung zwischen Staat und Zivilgesellschaft sollen sich auch überregionale
Netzwerke innerhalb der NGOs bilden, weil hier viel ungenütztes Potential geortet wird.
„Ein primäres Ziel besteht denn auch in der Unterstützung der integrationsrelevanten
Aktivitäten von NGOs, Initiativen, MigrantInnenorganisationen etc. Diese Institutionen der
Zivilgesellschaft und ihre Netzwerke sind entsprechend anzuerkennen und zu fördern.“25
Dezentralisierung
Auch die regionale Einbeziehung von Gemeinden und Bezirken nahm laut Verfasser eine
zentrale Bedeutung ein. Regionalveranstaltungen in den Bezirken sollten für die Erfassung
spezifischer Bedürfnisse und Erwartungen sorgen und die Einbindung, Sensibilisierung und
Vernetzung in den Gemeinden sichern und die Bildung regionaler Trägerschaften in den
Bezirken fördern.26 Formal wurde somit der Forderung nach Dezentralisierung, einer
maßgeblichen partizipatorischen Demokratieforderung, nachgegangen und als Leitlinie
festgehalten.
24 Integration MIT Zugewanderten, S. 21 25 Ebd., S.21 26 Ebd., S. 22
86
Gendergleichheit
Auch auf die ausgewogene Beteiligung von Frauen und Männern am Prozess wird im
Dokument großen Wert gelegt.
Bei allen Maßnahmenvorschlägen sollte auch die Frage der sozialen Ungleichheit zwischen
den Geschlechtern stets gestellt und bei allen Planungs- und Entscheidungsschritten
berücksichtigt werden. Denn besonders Frauen laufen Gefahr in einer dreifachen Weise
diskriminiert zu werden; neben ihrer sozioökonomischen Positionierung und ihrer ethnischen
Herkunft auch wegen ihres Geschlechts.27
Der ganze erste Teil liest sich wie ein direkter Übertrag der integrativen
Demokratisierungsstrategie auf die Integrationsthematik. Viele der Ziele im Leitbild setzen
maßgeblich auf das Einbeziehen von nichtstaatlichen Vereinen, Organisationen, und
Gruppierungen, die mit Zugewanderten zu tun haben. Auch die Dezentralisierung durch die
Regionalveranstaltungen und das Einbeziehen der Gemeinden entspricht der partizipativen
Forderung, Zentralismus abzubauen. Verglichen mit der langen staatlichen Untätigkeit im
Bereich der Integration erscheinen die staatlichen Erkenntnisse und Eingeständnisse gerade zu
als revolutionär.
1.1.2 Projektorganisation und Erarbeitung des Leitbildes
Unter dem siebten Punkt wird die Projektorganisation vorgestellt. Diese war für die
Erstellung, den Aufbau und alle damit zusammenhängenden Strukturen verantwortlich.
An der Spitze steht dabei die strategische Steuerungsgruppe mit der damaligen
Landeshauptmannstellvertreterin Dr. Elisabeth Zanon und der Co-Leitung durch base, (Büro
für Angewandte Sozialforschung und Entwicklung) vertreten durch Dipl.soz.wiss. Kenan
Güngör. base brachte einen Vorschlag, wie der Erstellungsprozess grundsätzlich gestaltet
werden sollte und in Absprache mit dem Integrationsbeirat wurde das weitere Vorgehen
ausgearbeitet. Die Leitsätze und der theoretische Hintergrund des Konzeptes, die bisher von
mir beschrieben wurden, sind durch die Steuerungsgruppe entstanden.
Die Erstellung beinhaltete auch eine Kooperation mit dem Institut für Organisation und
Lernen (IOL) der Fakultät für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. StudentInnen machten
27 Integration MIT Zugewanderten, S. 23
87
in einem Seminar eine Bestandsaufnahme der integrationsrelevanten Strukturen und Prozesse
in Tirol. Die erhobenen Daten der Studierenden wurden als Grundlage für die folgenden
Arbeitskreise herangezogen. Bei den Arbeitskreisen handelt es sich um vordefinierte
Schwerpunktbereiche, in denen neben Fachleuten besonders VertreterInnen der
Zuwanderungsgesellschaft zusammenarbeiteten. Eingeteilt wurde in folgende sieben
Bereiche:
• Bildung, Erziehung, Schule
• Wirtschaft und Arbeitsmarkt
• Verwaltung und Sicherheit
• Zusammenleben, Partizipation, Gleichstellung
• Wohnen, Wohnumfeld
• Gesundheit und Soziales
• Freizeit, Kultur, Sport, Religion
Für jeden Arbeitskreis wurde einE LeiterIn von der Planungsgruppe (Beirat, base) bestimmt.
Wichtige VertreterInnen aus dem jeweiligen Bereich wurden eingeladen und so ergaben sich
Gruppen in der Größe zwischen 12 und 25 Personen. Die Arbeitskreise trafen sich insgesamt
sechs bis sieben Mal.28 In der ersten Phase legten die Mitwirkenden Schwerpunkte und
Handlungsbereiche fest. Danach wurden eine Ist-Zustandanalyse gemacht und Projektideen
gesammelt und zu Maßnahmenvorschlägen weiter entwickelt. In einer letzen Phase fand eine
Reihung der Maßnahmen statt.29
Zeitgleich bzw. den Arbeitskreisen vorgelagert, fanden Regionalveranstaltungen in beinahe
allen Bezirken statt. Dabei wurden die örtlichen Probleme und Anforderungen an ein Leitbild
erfasst. TeilnehmerInnen wurden teilweise vom Beirat vorgegeben, aber auch durch die
jeweilige Gemeindeverwaltung mitbestimmt. Auch interessierten BürgerInnen mit
entsprechendem Wissen stand die Teilnahme offen.
Die Ergebnisse der Regionalveranstaltungen wurden von den Arbeitskreisen in die
Maßnahmenempfehlungen eingearbeitet.
Nach einer Zusammenführung der Maßnahmen durch das Integrationsreferat und den Beirat,
(doppelt genannte und Landeskompetenzen überschreitende Maßnahmen wurden gestrichen)
28 Interview Gstir 29 Integration MIT Zugewanderten, S. 24
88
blieben 43 von ehemals 70 Maßnahmen über. Dies geschah in Absprache mit den
GruppenleiterInnen, die die Änderungen wiederum mit den ArbeitskreisteilnehmerInnen
besprachen.30
Während dessen einigten sich der Integrationsbeirat, das Integrationsreferat und base auf die
Fixierung von Leitsätzen und einem theoretischen Verständnis der Thematik, die ich zuvor
bereits analysiert habe. Auch gelangte man zur Ansicht, dass eine Organisationsstruktur
instrumentalisiert werden sollte, um die Umsetzung der Maßnahmen und die Kommunikation
zu gewährleisten.
1.1.3 Strategische Organisationsentwicklung
Nach der Projektplanungsorganisation sieht das Leitbild die Herausbildung einer strategischen
Organisation vor, die eine Mischung aus bereits existierenden Strukturen und Neugründungen
ist. Die gewünschten Strukturen des Leitbildes sollen hier in einem Organigramm dargestellt
werden und im Anschluss genauer erklärt werden. Die Institutionen aus Politik, Verwaltung
und Zivilgesellschaft werden miteinander verknüpft und zeigen den Aufbau und die
Kommunikationsflüsse der Integrationspolitik in Tirol.
30 Interview Gstir
89
(Direkt entnommen aus dem Tiroler Integrationskonzept)31
Politische Gesamtzuständigkeit (Politische Ebene)
31 Integration MIT Zugewanderten, S. 29
90
Diese liegt bei dem zuständigen Regierungsmitglied. Zur Zeit der Erstellung war dies Dr.
Elisabeth Zanon von der Volkspartei. Durch die Landtagswahlen 2008 und die neue
Regierung hat dieses Amt Gerhard Reheis von den Sozialdemokraten übernommen.
Arbeitsgruppe der Landesregierung für Integration (Politische Ebene)
Diese dreiköpfige Arbeitsgruppe der Landesregierung für Integrationsfragen sollte ca. alle 4
Monate zusammentreffen, um die Organisation der Integrationspolitik im Rahmen der
politischen Zuständigkeit zu leiten.
Referat JUFF-Integration (Verwaltungsebene)
Das Referat ist seit 2002 die zentrale Koordinationsstelle im Bereich der Integration MIT
Zugewanderten. Im Auftrag der Regierung führt es die finanzielle Integrationsförderung
durch und begleitet die politisch initiierten Integrationsprojekte. Derzeit sind drei Personen
angestellt. Zu den wichtigsten Tätigkeiten zählen Empfehlungen an Behörden und
Dienststellen, die Kontrolle in Hinblick auf die Nachhaltigkeit im Sinne dieses Konzeptes und
die Vermittlung der Resultate an die Öffentlichkeit. Im Leitbild wird es daher als eine
vernetzende Kompetenzschnittstelle genannt. Es stellt Kontakte zwischen Behörden,
Einheimischen und Zugewanderten her und erhält diese.
Abteilungsübergreifende Netzwerk-Integration (Verwaltungsebene)
Bestehend aus Fachleuten aller Ressorts, ist dieses für die Abstimmung der Maßnahmen und
die Koordination in der Verwaltung zuständig. Bei Bedarf sollen externe Fachleute, Personen
aus den Projekten und außenstehende BeobachterInnen eingeladen werden, vornehmlich aus
dem Gremium des Integrationsforums.
Integrationsbeirat
Der Integrationsbeirat hat die Aufgabe, die gesamte Integrationspolitik des Landes zu beraten
und zu reflektieren und eine Schnittstelle zwischen der Verwaltung und der Zivilgesellschaft
(besonders den NGOs) herzustellen. VorsitzendeR des Rates ist das zuständige Mitglied der
Landesregierung für Integration, damals Dr. Elisabeth Zanon, heute Gerhard Reheis. Dazu
kommen RepräsentantInnen von NGOs und den Regionen.
91
Integrationsbeiräte auf Bezirksebene (Verwaltungsebene)
Dieser ist für die regionale Umsetzung, Kontrolle und Reflektion verantwortlich und steht im
Kontakt mit dem Referat JUFF-Integration.
Der Aufbau der Integrationsbeiräte auf Bezirksebene wird als eine der
Maßnahmenempfehlungen unter Punkt 20 im Leitbild angegeben. Zusammensetzen soll sich
der Integrationsbeirat aus VertreterInnen der Verwaltungseinheit, Gemeinden, Sozialpartnern,
MigrantInnenvertretungen, Vereinen und NGOs.
Integrationsforum (zivilgesellschaftliche Ebene)
Auf zivilgesellschaftlicher Ebene kommt dem Integrationsforum die Vernetzung und
Verankerung von Projekten zu. Darüber hinaus soll es die gesellschaftliche Reflexion über die
Integrationsarbeit auffangen und wiedergeben. Bestehend aus VertreterInnen von NGOs soll
die Zivilgesellschaft mit der Politik und Verwaltung vernetzt werden.
Der Aufbau der strategischen Organisationsentwicklung ist zwar von oben nach unten, also
von dem zuständigen Mitglied der Landesregierung für Integration geleitet und daher
hierarchisch angelegt, doch durch die vielen VertreterInnen der Zivilgesellschaft und der
Eingewandertengesellschaft in den Institutionen der Verwaltung ein wenig abgeschwächt. In
wie weit diese nur eine beratende Funktion einnehmen, ist im Leitbild nicht erwähnt. Bei
einem Konflikt wird sich jedoch immer die politische Führung durchsetzen. Die Beteiligung
an Entscheidungsbereichen ist somit nicht institutionell gewährleistet und an den „guten
Willen“ des zuständigen Mitgliedes der Landesregierung gekoppelt.
Finanziell sind alle maßgeblichen NGOs, die im Forum vertreten sind, abhängig vom Land
Tirol und somit von dem zuständigen Mitglied der Landesregierung. Kritik kann also nicht
ganz frei angebracht werden, auch wenn geschlossen als Integrationsforum aufgetreten wird.
Nichts desto trotz stellt diese Organisation aber einen Gewinn an Beteiligung für die
zivilgesellschaftlichen Akteure dar. Vertreten durch Vereine, Gruppen und Experten aus den
„eigenen“ Reihen in der Verwaltung und im zivilgesellschaftlichen Raum, nimmt die
Einfußmöglichkeit auf Politik und Gesellschaft zu. Theoretisch wird Macht somit in sehr
geringen Mengen transferiert, auch wenn keine direkte Beteiligung an Entscheidungen
erfolgt.
92
Einige der Organe in der Struktur sind nach wie vor noch nicht umgesetzt worden. Die
Umsetzung der Arbeitsgruppe der Landesregierung soll, laut Johann Gstir, in der nächsten
Zeit angegangen werden.32 Das abteilungsübergreifende Netzwerk Integration ist hingegen
noch ohne Überlegungen oder konkreten Umsetzung unbehandelt geblieben. Die
Integrationsbeiräte auf Bezirksebene existieren auch noch nicht, in Reutte und Landeck gibt
es jedoch erste Ansätze zu solchen. Deren Erfahrung soll den anderen Bezirken beim Aufbau
eines eigenen Beirates helfen.
Das Integrationsforum funktioniert laut Gstir auch eher mäßig. Unregelmäßige Treffen von
wenigen gleichbleibenden Personen sei dabei das Problem. Es fehlt der Anreiz, an einem rein
beratenden Organ teilzunehmen. Entscheidungskompetenzen bekommen die
zivilgesellschaftlichen VertreterInnen keine zugesprochen.
Die mangelnde Umsetzung in der Organisationstruktur hinterlässt auch einen zweifelhaften
Eindruck. Auch fehlt in der Organisationsstruktur ein Organ, das den Austausch von
Erfahrungen von Gemeinden fördert. Die im theoretischen Teil beschriebene
Dezentralisierung und der Machttransfer an die Zivilgesellschaft sind damit nur ungenügend
erfolgt.
1.1.4 Maßnahmenempfehltungen
Die letzte theoretische Betrachtung gilt den entwickelten Maßnahmenempfehlungen, die in
den jeweiligen Bereichen der Arbeitskreise entstanden. 43 Maßnahmen wurden erstellt und
sind im Leitbild beschrieben.
32 Interview Gstir
93
94
(Direkte Übernahmen aus dem Tiroler Integrationskonzept)33
33 Integration MIT Zugewanderten, S. 31 -32
95
Jede einzelne Maßnahme wird im Leitbild unter den Unterpunkten Zielsetzung,
Kurzbeschreibung, Zielgruppe, Aktivitäten/Projektschritte, Verantwortliche Zuständigkeiten,
Zeitrahmen und Ressourcenbedarf genauer beschrieben. Die Maßnahmen beeindrucken beim
Lesen, durch die breite Auslegung auf viele Gesellschaftsbereiche und kreative Möglichkeiten
zur besseren Verständigung zwischen Zugewanderten und „Einheimischen“. (z.B. Kurse für
JournalistInnen zum Thema Migration und Integration)
Aus Platzgründen will ich hier nicht näher auf die einzelnen Maßnahmen eingehen. Mit der
Erstellung der Maßnahmenempfehlung ist der Übertrag von theoretischen Forderungen auf
konkrete Handlungen geglückt.
Das Tiroler Integrationsleitbild, das in dem Dokument „Integration MIT Zugewanderten“
festgehalten wurde, ist beim Lesen als eine gelungene Methode der partizipativen Demokratie
zu verstehen.
Auch wenn es, besonders was die Organisationsstruktur angeht, Mängel bzw.
Ausweitungsmöglichkeiten der Beteiligung gibt, so sind die Maßnahmenempfehlungen, die
theoretischen Richtlinien (wie Dezentralisierung, Geschlechterausgewogenheit, Stärkung der
Zivilgesellschaft) und der breite Erstellungsprozess rund um das Leitbild als integrativ und
partizipativ zu bezeichnen. Theoretisch ist es also gelungen, partizipativ zu Maßnahmen zu
kommen, die die zugewanderte Bevölkerung nachhaltig integriert. In wie weit sich das
Dokument in der Realität durchgesetzt hat und welche Dinge wirklich umgesetzt wurden, soll
im folgenden Unterkapitel behandelt werden.
1.2 Umsetzung und Probleme des Leitbildes
Das theoretische Konzept des Leitbildes, das durch eine breite partizipative Erstellung über 40
Maßnahmenempfehlungen hervorgebracht hatte, findet mehr als zwei Jahre nach der
Präsentation in der Öffentlichkeit noch immer keine ausreichende Umsetzung. Die
Hauptursachen und Probleme, die verantwortlich sind für den aktuellen Stand der mangelnden
Umsetzung sind:
Machtkonzentration im Aufbau
Das Konzept ist so angelegt, dass sich die gesamte Entscheidungsmacht im zuständigen
Mitglied der Landesregierung konzentriert. Kommt es zu einem politischen Wechsel an der
Spitze, wird die gesamte Umsetzung in Frage gestellt. Nach den Landtagswahlen 2008 kam es
96
zu einem personellen Wechsel in der Regierung. Dr. Elisabeth Zanon von der Volkspartei
wurde von Gerhard Reheis von den Sozialdemokraten abgelöst. Johann Gstir vom JUFF
Referat für Integration ist davon überzeugt, dass das erarbeitete Leitbild weiter Gültigkeit
behält und die Umsetzung fortgesetzt wird. Natürlich kann es unter der politischen Leitung
von Gerhard Reheis zu einer Schwerpunktverschiebung kommen. Diese erwartet Gstir jedoch
langsam und Schritt für Schritt. Ideologisch sieht er keine all zu großen Unterschiede
zwischen den beiden Persönlichkeiten.
Der Wechsel an der Entscheidungsspitze des Leitbildes ist durch eine ähnliche Positionierung
von Zanon und Reheis nicht ganz so problematisch, wie ein Regierungswechsel, der eine
Partei an die Macht bringt, die eine ganz andere Vorstellung von Integration hat. Doch
müssen alle VertreterInnen im organisatorischen Aufbau des Leitbildes sich erst an die neue
Spitze gewöhnen. Alte Abmachungen verlieren eventuell ihre Gültigkeit und die
aufkommende Unsicherheit muss abgebaut werden. Der Wechsel macht deutlich, wie sehr
sich das Konzept rund um die politische Spitze konstruiert.
Der Aufbau der Entscheidungsmacht im Integrationsbereich ist hierarchisch. Alle Macht
konzentriert sich bei dem zuständigen Mitglied der Landesregierung. Der Integrationsbeirat
hat durch seine ausschließliche beratende Funktion wenig Attraktivität für die
zivilgesellschaftlichen Akteure, sich im Integrationsforum zu organisieren. Der Machttransfer
an die Zivilgesellschaft ist somit kaum bemerkbar und muss ausgebaut werden.
Finanzen
Das Aktions- und Förderbudget für den Bereich Integration beträgt 400.000 Euro. Integration
wird somit nicht gerade ein großer finanzieller Spielraum zur Verfügung gestellt. Öffentlich
wirksame Maßnahmen sind oft mit hohen Kosten verbunden und sind für das Leitbild
unerschwinglich. Die Budgetverhandlungen der Landesregierung laufen gerade und eine
Erhöhung währe laut Gstir natürlich wünschenswert, jedoch lässt sich der Ausgang nur
schwer vorhersagen.34
Ein zweites Problem im Zusammenhang mit den Finanzen ist die finanzielle Abhängigkeit der
zivilgesellschaftlichen Akteure von der Landesseite. Aufgeteilt wird das Budget durch das
Referat für Integration, nach dem Willen des zuständigen Mitgliedes der Landesregierung.
Auch hier herrscht wie bei der Entscheidungsstruktur eine klare Hierarchie. Die meisten
NGOs sind von den finanziellen Zuschüssen des Landes abhängig und somit nicht ganz frei in
ihrem Handeln.
34 Interview Gstir
97
Besonders problematisch ist jedoch, dass es nie einen Budgetplan für die Umsetzung der
Maßnahmen von Seiten der zuständigen Politik gegeben hat. Die mangelnde Implementierung
der Maßnahmen hängt entscheidend damit zusammen, dass es kein fixes Budget für das
Leitbild gibt, sondern bei jedem Umsetzungsprojekt erneut um finanzielle Unterstützung
angesucht werden muss.
Öffentlichkeitswirksam
Die Maßnahmenempfehlungen und das gesamte Integrationsleitbild sind von großen Teilen
der Öffentlichkeit überhaupt nicht wahrgenommen worden. Ein Problem, bei dem es auch laut
Gstir anzusetzen gilt, ist die öffentliche Wahrnehmung der Integrationsthematik.35
Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen gab es nur wenige bisher. Zwei wichtige Gründe dafür
sind der finanzielle Aufwand und die fehlende Kooperation mit den Medien. Der politische
Rückzieher bei der öffentlichen Präsentation und die verabsäumte Möglichkeit, das Konzept
im Landtag zu präsentieren und einen Budgetplan für die Umsetzung durchzusetzen, tragen
auch zur schwachen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit bei.
Mangelnde Dezentralisation
Die Stärkung der Dezentralisierung ist bisher mehr theoretisch erfolgt. Es gibt noch keinen
Integrationsbeirat auf regionaler Ebene und auch keine andere Institution, die für einen
Erfahrungsaustausch der Gemeinden verantwortlich ist. Die Kommunikation zwischen Land
und Gemeinden ist nicht auf eine formale Ebene gestellt.
Kommunikation zwischen Initiatoren und Mitwirkenden
Nach der Abgabe der Maßnahmenempfehlung durch die Arbeitskreise wurde von vielen
TeilnehmerInnen das Gefühl geäußert, es sei zu einem Stillstand gekommen und es erfolge
keine koordinierte Umsetzung der Maßnahmenempfehlungen. Bereits ein regelmäßiges
Schreiben, das über den momentanen Stand der Umsetzung aufklärt, hätte dabei Abhilfe
geschaffen. Besser noch wäre ein gemeinsam erarbeiteter Implementierungsplan mit
entsprechenden Budgetzuweisungen. Viele der Beteiligten sind besonders mit der Umsetzung
der erarbeiteten Maßnahmen sehr unzufrieden, weil sie mit mehr politischer Unterstützung
35 Interview Gstir
98
gerechnet haben.36 Dieser Punkt muss jedoch in Verbindung mit dem mangelnden politischen
Willen zur Implementierung betrachtet werden.
Langsame unkoordinierte Umsetzung der Maßnahmenempfehlungen
Mit dem oben genannten Punkt hängt auch die nur langsame unkoordinierte Umsetzung der
Maßnahmenempfehlungen zusammen.
Verzerrend wirkt dabei sicherlich, dass viele bereits umgesetzte Maßnahmen sich der
öffentlichen Wahrnehmung entziehen. Gstir vom Integrationsreferat ist mit der Umsetzung im
Grunde zufrieden. In allen Bereichen bis auf den Wohnungsbereich konnten erste
Maßnahmen umgesetzt werden. Thomas-Olalde vom Haus der Begegnung sieht das
wesentlich nüchterner. Er ist der Meinung, dass alles was bisher an Maßnahmen umgesetzt
worden ist, auch ohne Leitbild zustande gekommen wäre. Er vermisst den klaren politischen
Willen, die gemachten Maßnahmen auch zu implementieren. Es gibt keinen Umsetzungsplan
mit Budget und Zeitplan und auch die Maßnahmenempfehlungen sind zu einer reinen
Prioritätenliste bei der Vergabe von Förderungen geworden. Es ist nicht gelungen, die
partizipative Erstellung in einer konsequenten breiten Umsetzung fortzusetzen. „Also viel
Partizipation bei der Erstellung. Wenig Mitgestaltungsmöglichkeit nach der Erstellung und
bei der Implementierung. Und kein Budget!“ So fasst Thomas-Olalde die Vorgänge kritisch
zusammen.
Mangelnder politischer Wille
Elisabeth Zanon entschied als zuständiges Mitglied der Landesregierung, keine Präsentation
des Leitbildes im Landtag vor zu nehmen. Der Grund für die Entscheidung ist wohl im
zeitgleichen Nationalratswahlkampf 2006 zu suchen, bei dem die ÖVP das kritische Thema
Integration nicht zusätzlich anheizen wollte. Der Öffentlichkeit wurde das Konzept dann ohne
Einbeziehung der Mitwirkenden präsentiert.
Die einzige Legitimation seitens des Landtages kam im Nachhinein durch einen
Regierungsentschluss, der die Umsetzung der Leitbildmaßnahmen vorsieht und somit indirekt
auch dem dahinter stehenden Konzept Legitimität verleiht. Eine offizielle Vorstellung im
Landtag gab es bis heute noch keine.37 Ein Budgetplan für die Umsetzung der Maßnahmen
wurde im Landtag nie vorgeschlagen, geschweige den ein umfassender
Implementierungsplan. Die politischen Parteien blieben formell über das Integrationskonzept
36 Interview mit Mag. Oscar Thomas-Olalde vom Haus der Begegnung Innsbruck (11.09.2008), in weiterer Folge: Interview Thomas-Olalde 37 Interview Gstir
99
uninformiert. Nur auf Eigeninitiative hin erfuhren diese von den Vorgängen.38 So erklärt sich
auch das Fehlen der Arbeitsgruppe der Landesregierung für Integration und auch der Mangel
an öffentlicher Wahrnehmung des Konzeptes.
1.3 Zusammenfassung
Das Integrationsleitbild, das im Dokument „Integration MIT Zugewanderten.
Integrationskonzept des Landes Tirol mit Maßnahmenempfehlungen“ verfasst ist, kann
großteils als gelungene theoretische Umsetzung der integrativen Demokratisierungstheorie
angesehen werden. Auf sehr vielfältige Weise wird versucht, die Integration mit
Zugewanderten voranzutreiben. Der sehr partizipativ angelegte Prozess der Erstellung, in dem
über 350 Personen aus den Bereichen der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft,
Verwaltung und Politik zur Thematik diskutierten und gemeinsame Standpunkte festlegten,
kam zu einem interessanten Ergebnis mit 43 Maßnahmen in diversen Gesellschaftbereichen,
die umgesetzt werden sollten.
Der institutionelle Aufbau, der mit dem Integrationskonzept verbunden ist, konnte noch nicht
realisiert werden. Immer noch fehlen vorgesehen Organe, besonders auf lokaler Ebene und in
der Landespolitik. Die Machtabgabe an die Zivilgesellschaft, die in den theoretischen
Leitlinien des Konzeptes festgehalten ist, wird beim Aufbau der Organisation und der
dazugehörigen Machtverteilung nicht umgesetzt. Über eine Beratungsfunktion gehen die
Kompetenzen des Integrationsforums nicht hinaus. Mitsprache gekoppelt an Entscheidungs-
oder Vetobefugnisse bei der gesamten Integrationspolitik, wäre eine Möglichkeit den
zivilgesellschaftlichen AkteurInnen mehr Macht zu überlassen und damit verbunden auch
eine wachsendes Engagement im Integrationsforum.
Bei der Umsetzung der Maßnahmen ist besonders der fehlende politische Wille
ausschlaggebend für die genannten Probleme. Es gab keine Präsentation im Landtag39 und
kein Ansuchen für ein Budget, das für die Implementierung der Maßnahmen sehr wichtig ist.
Nach der gelungenen Erstellung wurde das Integrationskonzept nicht entsprechend umgesetzt.
Nach der Fertigstellung des theoretischen Konzeptes lässt sich ein Bruch orten. Die
aufwändige, breit angelegte Erstellung steht nicht im Verhältnis zur zögernden, wenig
partizipativen Umsetzung der Maßnahmen. Keine Steuerung lässt sich erkennen und die
Maßnahmenempfehlungen wurden lediglich als Prioritätenliste für die Vergabe von Geldern
verwendet.
38 Interview Gstir 39 Ebd.
100
Mehr als zwei Jahre nach der Erstellung sind sehr viele der Maßnahmen noch nicht umgesetzt
worden. Bedauerlich aus partizipatorischer Sicht ist, dass der partizipative Erstellungsprozess
nicht bei der Umsetzung fortgeführt worden ist. Die Verantwortung dafür trägt in erster Linie
die Politik und die fehlende Kompetenzenabgabe innerhalb der Organisationsstruktur. Positiv
kann zwar auf die Effekte der Erstellung verwiesen werden. Das Zusammenkommen von
vielen Personen mit Integrationsbezug aus diversen Bereichen brachte eine nachhaltige
Auseinandersetzung und Diskurs zum Thema Integration. Und auch ohne politische
Steuerung wurden so in verschiedenen Bereichen Maßnahmen selbstständig ergriffen und
umgesetzt. Doch besitzt das Land Tirol ein sehr gutes Integrationskonzept, das Maßnahmen
vorsieht, die durch die partizipative Erstellung über einen breiten Konsens in der
Zivilgesellschaft verfügen, und dennoch fand bis zum jetzigen Zeitpunkt keine gesteuerte,
koordinierte Umsetzung statt.
Ob sich mit dem politischen Wechsel an der Spitze etwas Zentrales ändern wird, bleibt
abzuwarten. Mit fortwährender Untätigkeit bei der gesteuerten Umsetzung geht jedoch auch
die Gültigkeit des Konzeptes verloren und auch die Bereitschaft bei den
zivilgesellschaftlichen Organisationen, sich zu beteiligen und mitzuarbeiten.40
Das Integrationskonzept auf Landesebene als Maßnahme der partizipativen Demokratie wirkt
auf zwei Ebenen. Zum einen ist der Prozess der Erstellung zu beleuchten, zum anderen die
daraus resultierenden Ergebnisse und Veränderungen. Beim Tiroler Beispiel werden dies zwei
Ebenen besonders deutlich. Es wurden partiziativ sinnvolle Maßnahmen zur Integration von
Zugewanderten erstellt und auch ein theoretischer Hintergrund geschaffen, der partizipativen
Anforderungen entspricht. Bei der Organisationsstruktur und besonders bei der Umsetzung
bleibt das Konzept aber sehr deutlich hinter seinen Ansprüchen zurück. Die Schlüsselfrage,
ob das Konzept die Integration von Zugewanderten in Tirol positiv verändert hat, ist daher nur
sehr schwer zu beantworten. Trotz der positiven Prozesse durch die Erstellung überwiegt klar
die mangelnde Umsetzung der Maßnahmen.
40 Interview Thomas-Olalde
101
2. Der BürgerInnenrat der Gemeinde Wolfurt
2.1 Allgemeine Informationen und Hintergründe zum BürgerInnenrat in Wolfurt
Die Gemeinde Wolfurt
Wolfurt ist eine Marktgemeinde in Vorarlberg, die im Nordwesten des Bundeslandes,
zwischen Bregenz und Dornbirn liegt. Am Jahresbeginn 2008 waren 8.138 Einwohner mit
ihrem Hauptwohnsitz in der Gemeinde gemeldet. Der Anteil an Personen ohne österreichische
StaatsbürgerInnenschaft liegt bei über 12 Prozent. In Wolfurt gibt es 374 Arbeitsstätten mit
4543 Arbeitsplätzen.41
BürgerInnenrat
Der BürgerInnenrat, wie er in Wolfurt ausgeführt wurde, entspricht über weite Teile dem
theoretischen Konzept eines „Wisdom Councils“, das durch den US-Amerikaner Jim Rough
entwickelt wurde. Die Methode wurde jedoch an die speziellen Wolfurter Gegebenheiten
angepasst. Die folgende Erklärung des BürgerInnenrates ist also vom praktischen Modell in
Wolfurt abgeleitet und nicht vom System des „Wisdom Councils“.
Der BürgerInnenrat ist eine neuartige Methode zur Förderung von Selbstorganisation und
Partizipation in einer Gemeinde. 12 bis sechzehn BürgerInnen werden mittels
Zufallsverfahren aus dem Wohnsitzregister der Gemeinde gezogen. Zusätzlich wird auf die
Repräsentativität in den Bereichen Geschlecht, Alter und Wohnform (Miet- oder
Eigentumswohnform) geachtet.
Die ausgewählten BürgerInnen besprechen an zwei aufeinander folgenden Tagen in einem
speziell moderierten Verfahren (Dynamic Facilitation) öffentliche Themen, die sie
beschäftigen. Am Ende verfassen sie ein gemeinsames Statement, das in der Öffentlichkeit
präsentiert und diskutiert wird. Der Gemeinderat soll mit den Ergebnissen arbeiten und diese
in seinen Entscheidungen respektieren. Das Ziel des Beteiligungsprozesses liegt im Aufbau
einer Kultur der Partizipation durch regelmäßig stattfindende BürgerInnenräte. Damit
verbunden, soll es zu einer besseren Selbstorganisation und einer höheren
Partizipationsmotivation von BürgerInnen in ihrer Gemeinde kommen.42
41 http://www.wolfurt.info/node/1231 07.09.2008 , http://www.statistik.at/blickgem/blick1/g80240.pdf, 07.09.2008 42 http://www.partizipation.at/fileadmin/media_data/Downloads/Praxisbeispiele/B_rgerInnenrat_Wolfurt.pdf, 07.09.2008
102
Zustandekommen des Rates in Wolfurt
Die Marktgemeinde Wolfurt arbeitete 2006 gerade an einem Leitbild für ihre Zukunft. Neben
der Beschäftigung mit verschiedenen Fachthemen (Wirtschaft, Arbeit, Senioren etc.) ist in
diesem Zusammenhang die Frage aufgetaucht, wie man längerfristig Selbstorganisation und
Partizipation der Bürgerinnen und Bürger verbessern könnte. Wie kann es gelingen,
Menschen zu gewinnen, sich aktiver bei der Gestaltung der Entwicklung einzubringen und
mitzuwirken, die sich normalerweise nicht besonders für Politik und/oder
Gemeindeangelegenheiten interessieren? Dr. Manfred Hellrigl vom Büro für Zukunftsfragen
wurde eingeladen, im Rahmen des oben erwähnten Leitbildprozesses ein Referat zum Thema
Selbstorganisation und Partizipation zu halten. Im Zuge der Vorbereitung dieses Referates
kam die Idee auf, nicht nur zu theoretisieren, sondern gleich ein praktisches Beispiel eines
neuen Partizipationsprozesses auszuprobieren. Hellrigl schlug vor, einen BürgerInnenrat nach
dem Vorbild des „Wisdom Councils“ von Jim Rough zu organisieren. Im Büro für
Zukunftsfragen suchte man schon längere Zeit nach einer Gemeinde, die sich dazu bereit
erklärte, einen BürgerInnenrat durchzuführen und war froh, mit Wolfurt einen Partner
gefunden zu haben.43
Interne Koordination
Im Vorfeld des BürgerInnenrates erfolgten mehrere Gespräche zwischen Hellrigl vom Büro
für Zukunftsfragen und der Gemeinde Wolfurt, vertreten durch den Bürgermeister Erwin
Mohr und den Gemeindesekretär Sylvester Schneider. Hellrigl stand dabei im ständigen
Kontakt mit Jim Rough dem Begründer der Dynamic Facilitation-Methode. So wurde ein
Termin und ein Zeitplan für den ersten BürgerInnenrat im deutschsprachigen Raum erstellt. 44
Für den BürgerInnenrat gab es keinen eigenen Gemeinderatsbeschluss. Legitimiert wurde das
Gremium im Rahmen der Leitbilderstellung.45
Auswahl und Einladung der TeilnehmerInnen
Die Zufallsauswahl erfolgte auf Basis der Kriterien Alter, Geschlecht, Wohnform (Eigentum
oder Miete) und Wohnviertel.46 Der BürgerInnenrat sollte gewissermaßen einen Mikrokosmos
der Gemeinde repräsentieren. Aufgrund dieser Zufallsauswahl handelt es sich bei den
43 Interview mit Dr. Manfred Hellrigl vom Büro für Zukunftsfragen des Land Vorarlbergs (02.09.2008), in weiterer Folge: Interview Hellrigl 44 Interview Hellrigl 45 Telefonat mit Bürgermeister Erwin Mohr aus Wolfurt (26.09.2008), in weiterer Folge: Telefonat Mohr 46 http://www.partizipation.at/fileadmin/media_data/Downloads/Praxisbeispiele/B_rgerInnenrat_Wolfurt.pdf, 07.09.2008
103
TeilnehmerInnen um „ganz normale“ Leute, die sich sonst vielleicht gar nicht politisch
engagieren. JedeR spricht für sich selbst und nicht für eine Interessensgruppe. Die Beteiligten
wurden nun vom Bürgermeister persönlich per Brief und Telefongespräch eingeladen, an der
2-tägigen Veranstaltung teilzunehmen.
Die Rücklaufquote war durch die persönliche Einladung per Telefon sehr hoch. Beinahe alle
Eingeladenen sagten ihr Kommen zu.47 Kritisiert werden muss die Abwesenheit von
MitbürgerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Zwei Personen mit
Migrationshintergrund wurden eingeladen, sagten aber ihr Kommen ab. Als Gründe wurden
die Unabkömmlichkeit für die Zeit der Veranstaltung und mangelnde Sprachkenntnisse
genannt.48 Über 12 Prozent der GemeindebewohnerInnen sind keine österreichischen
StaatsbürgerInnen. Dazu kommen noch viele mangelhaft integrierte, zugewanderte
ÖsterreicherInnen, die ebenfalls keine Vertretung im Rat fanden. In Summe eine hohe Zahl
von Personen, die sich höchst wahrscheinlich durch den BürgerInnenrat wenig repräsentiert
fühlt.
Die erste Einladung erfolgte wie bereits beschrieben durch den Bürgermeister Erwin Mohr.
Die zweite Kontaktaufnahme wurde von Michael Stabodin im Auftrag des Büros für
Zukunftsfragen durchgeführt. Dabei erhielten die TeilnehmerInnen ganz grundsätzliche
Informationen zum BürgerInnenrat. Elf der zwölf TeilnehmerInnen, die ihre Kommen
zugesagt hatten, fanden sich am ersten Tag des Rates ein, wobei zwei weitere nicht die vollen
eineinhalb Tage dabei sein konnten, womit die Gruppe auf neun Personen schrumpfte.49
Dynamic Facilitation
Der Kern des BürgerInnenrates stellt eine moderierte Methode mit dem Namen Dynamic
Facilitation dar. Dabei sitzen die TeilnehmerInnen in ein einem Halbkreis und in der Mitte
steht einE ModeratorIn mit einer Flip-Chart-Tafel. Der/die ModeratorIn führt jeweils nur mit
einer Person einen Dialog, ohne dass einE andereR TeilneherIn dieseN unterbrechen darf. Das
Thema des Gespräches wird von den TeilnehmerInnen selbst gewählt. Im Gegensatz zu
anderen Moderationsverfahren wird der/die ModeratorIn dazu aufgefordert, nicht beim
Thema zu bleiben, sondern bei der Energie der Gruppe. Sie/er ermutigt die TeilnehmerInnen
grundsätzliche Fragen aufzuwerfen. Vorgegeben wir nur, dass am Ende ein gemeinsames
Statement, eine Position herauskommt, die von allen vertreten wird und mit der alle 47 Interview Hellrigl 48„ Dokumentation BürgerInnen-Rat, Wolfurt, 22.-23.09. 2006“, ein Dokument des Büro für Zukunftsfragen Vorarlberg 49 Ebd.
104
übereinstimmen können. Die Aussagen der TeilnehmerInnen werden in vier Kategorien
gesammelt auf die Flip-Chart-Tafel geschrieben. Unterschieden wird in Probleme, Lösungen,
Bedenken zur Lösung und in Daten/Fakten. Diese Einteilung hilft den TeilnehmerInnen, das
Gesagte zu strukturieren und zum eigentlichen Kern des Problems zu kommen. Am Ende
wird ein gemeinsames Statement zum Thema erarbeitet und festgehalten.50
2.2 Umsetzung und Ergebnisse des BürgerInnenrates
Durchführung
Am 22. und 23. September 2006 fand in Wolfurt der BürgerInnenrat statt. Neben den
TeilnehmerInnen waren drei ModeratorInnen vorgesehen. Neben Hellrigl, der den Großteil
des Rates moderierte, waren zwei weitere Personen unterstützend beteiligt. Im Hinblick auf
zukünftige Räte sollten die Beiden Erfahrungen in der Moderation sammeln.
Nach einer Begrüßung und Einführung durch Hellrigl fand eine Eingangsphase nach dem
beschriebenen Verfahren (Dynamic Facilitation) statt. Dabei sprachen die TeilnehmerInnen
die Themen Lebensqualität im Ort, Jugendkriminalität und Vandalismus, Belastungen durch
den Straßenverkehr sowie Jugendarbeitslosigkeit an. Die Gruppe einigte sich auf das Thema
„Erhaltung der guten Lebensqualität und des hohen Lebensstandards“. Überraschend dabei
war, wie Hellrigl erklärte, die schnelle Einsicht, dass man bereits über einen sehr hohen
Lebensstandard und eine gute Lebensqualität im Ort verfügt und es mehr um den Erhalt geht,
als um eine Verbesserung.51
Hellrigl war auch von dem schnellen Umdenken der Beteiligten beeindruckt. Die Fähigkeit,
gemeinwohlorientiert zu denken und sich nicht nur mit Forderungen an die Politik zufrieden
zu geben, sondern sich selbst und die MitbürgerInnen einzubeziehen, waren überraschende
Vorgänge für die Organisatoren.52
Am zweiten Tag wurde über die Aussagen und Probleme des ersten Tages noch einmal
reflektiert. Anschließend wurden die TeilnehmerInnen in zwei Gruppen aufgeteilt, mit der
Aufgabe, zu einem Statement über das Diskutierte zu kommen. Die Ergebnisse wurden
wiederum im Plenum vorgestellt und diskutiert.
50 Interview Hellrigl 51 Ebd. 52 Ebd.
105
Präsentation in der Öffentlichkeit
Am folgenden Montag, dem 25.09.2006, wurden die Ergebnisse im Wolfurter Cubus
(Gemeindesaal) präsentiert. Vor knapp 200 Personen wurde nach einem Vortrag von Hellrigl
zum Thema Selbstorganisation die Ergebnisse des BürgerInnenrates von zwei
TeilnehmerInnen selbst präsentiert. Es fand eine öffentliche Diskussion zu den
Lösungsansätzen statt, und Termine für zwei weiterführende Arbeitsgruppen im Rahmen des
Wolfurter Leitbildprozesses wurden bekannt gegeben. Die Verwendung der Ergebnisse des
BürgerInnenrates wurde somit durch den Leitbildprozesses sichergestellt und der
BürgerInnenrat wieder aufgelöst.
Zusammenfassung des Ablaufs
• Mitte August: Zufallsauswahl der TeilnehmerInnen durch die Gemeinde
• Ende August: Persönliche Einladung der TeilnehmerInnen durch Bgm Erwin Mohr
(Brief + Telefon)
• Anfang September: Detailinformationen für die TeilnehmerInnen zu Ablauf, Inhalt
und Organisatorischem durch das Moderatorenteam
• 22/23. September: Durchführung BürgerInnen-Rat
• 25. September: Öffentliche Präsentation der Ergebnisse vor ca. 150 -200 Personen im
Gemeindesaal (Cubus) in Wolfurt
• Oktober: 2 öffentlich zugängliche Arbeitsgruppen-Sitzungen, bei denen die Ergebnisse
des BürgerInnen-Rates diskutiert werden. Das Resultat dieser Arbeitsgruppen findet
dann Berücksichtigung im neuen Gemeinde-Leitbild
Ergebnisse
Das öffentlich präsentierte Ergebnis ist in einem Dokument zusammengefasst, das auf der
Homepage53 der Gemeinde Wolfurt erhältlich ist und hier abgebildet ist.
53 http://wolfurt.info/files/ergebnis_buergerinnenrat.pdf, 08.09.2008
106
Ergebnis des BürgerInnen-Rates
Wolfurt 22.-23. September 2006
Lebensqualität in Wolfurt erhalten!
Wir haben einen hohe Lebensqualität- Wir wollen die se erhalten!
Was ist uns an Wolfurt wichtig?
• Wir wollen ein Dorf bleiben.
• Wir wollen die inneren Werte der Gemeinde kultivieren und
pflegen.
Wir wollen ein Dorf bleiben.
• Dörfliche Struktur mit hochwertigen Lebensräumen
• Veranstaltungen mit Bezug zur Bevölkerung
• Brauchtumspflege
• Kein städtischer Charakter
Wir wollen die inneren Werte der Gemeinde kultivier en und pflegen.
• Verantwortung
• Genügsamkeit
• Zivilcourage + Sicherheit
• Eigeninitiative
• Selbstbewusstsein
107
� Diese hohe Lebensqualität wollen wir erhalten (punktuell verbessern)
Was müssen wir dafür tun?
Wir müssen
… Verantwortung übernehmen (für uns, unsere Kinder, unsere Familie,
unsere Firma, für Senioren, das Gemeindebild und die Gesellschaft)
… zeit haben
… couragiert sein (Zivilcourage)
… ein gutes Beispiel geben
… „innere Werte“ transportieren
Was können andere dafür tun?
• Meinungen von anderen hinterfragen (akzeptieren)
• Autoritäten annehmen, akzeptieren
• Die Bildung (Ausbildung) forcieren
• Anstand im Umgang mit anderen
o mit Andersdenkenden
o mit Minderheiten
o gilt auch für Bundespolitiker
Die Ergebnisse dienten als Grundlage für zwei weitere öffentliche Arbeitsgruppen, die am
Leitbild der Gemeinde Wolfurt arbeiteten. Somit fanden die Ergebnisse sofort Verwendung
und prägten das entstehende Leitbild. In wie weit sich die Politik an die Vorgaben durch das
Leitbild hält, ist eine andere Frage. Jedenfalls kann auf die gemachten Ergebnisse verwiesen
werden.
Die positive Wirkung des Verfahrens auf die TeilnehmerInnen ist auch ein Ergebnis, auf
welches die Organisatoren besonders aufmerksam machen.
„Die BürgerInnen lernen die Gemeinde einmal aus einem anderen Blickwinkel kennen: aus
der Perspektive des Gemeinwohls. Im Lauf der Diskussion erfahren sie, wie komplex
Zusammenhänge sein können und wie wichtig Engagement und Haltung jedes Einzelnen für
ein gedeihliches Zusammenleben in der Gemeinde ist. Darüber hinaus werden die
TeilnehmerInnen selbst zu Botschaftern ihrer Ergebnisse, indem sie ihre Erfahrungen in der
Familie oder am Arbeitsplatz besprechen. Auch stärkt die Teilnahme die Identifikation der
108
BürgerInnen mit der Gemeinde. Die Gemeinde wiederum erhält durch die freie Themenwahl
unkompliziert und schnell ein qualitativ hochwertiges Stimmungsbild, welche Themen für
‚normale’ Bürgerinnen und Bürger, die sich sonst nicht besonders für Politik interessieren,
relevant sind und kann diese dadurch besser in die eigene Arbeit integrieren.
Die Ergebnisse sind authentisch und für die lokale Öffentlichkeit besonders interessant. Das
politische System wird dabei in Resonanz versetzt.“ 54
Betrachtet man nur das verfasste Statement und lässt einmal den wichtigen Wert des
Entstehungsprozesses wegfallen, so erscheint das Dokument als eine recht allgemeine und
teils fragwürdige Ansammlung von moralisch überladenen Verhaltensrichtlinien. Der Wert
des Ergebnisses definiert sich aber maßgeblich durch den Entstehungsprozess. Für die
Beteiligten haben die festgehaltenen Aussagen einen verbindlichen Charakter und die
Gemeinde erhält effektiv Informationen, was die Zukunft der Gemeindepolitik betrifft. (z.B.
Wolfurt soll Dorf bleiben) Das Ergebnis des BürgerInnenrates war beinahe deckungsgleich
mit den Resultaten des Leitbildprozesses. Es konnten also in zwei Tagen mit einer Hand voll
BürgerInnen die gleichen Erfahrungen für die Gemeinde gewonnen werden, wie durch einen
eineinhalb Jahre langen Prozess, an dem sich dutzende Personen beteiligten.55
Ob aber Personen, die nicht am BürgerInnenrat und an der öffentlichen Veranstaltung
teilgenommen haben, mit den gemachten Statements etwas anfangen können, ist sehr fraglich,
hebt aber die Wichtigkeit von regelmäßig abgehaltenen Räten hervor.
Feedback und Evaluation
Am Ende des zweiten Tages des BürgerInnenrates wurde von den TeilnehmerInnen ein
Fragebogen über den Rat ausgefüllt. Die Ergebnisse zeigen ein durchwegs positives Bild.56
Auf die Frage…
-ob die Vorinformation ausreichend war, antworteten von den Neun befragten vier mit „Ja“,
vier mit „Eher schon“ und eineR mit „eher nicht“.
-ob sie den BürgerInnenrat als interessant empfanden, antworteten alle neuen mit „Ja“,
-ob die Themen die diskutiert wurden, für die TeilnehmerInnen persönlich wichtig sind,
antworteten sechs mit „Ja“ und drei mit „Eher schon“.
54 http://www.partizipation.at/fileadmin/media_data/Downloads/Praxisbeispiele/B_rgerInnenrat_Wolfurt.pdf, 07.09.2008 55 Telefonat Mohr 56 „Auswertung: Evaluation BürgerInnen-Rat, Wolfurt, 22.-23.09.2006“ vom Büro für Zukunftsfragen Vorarlberg
109
-ob sie mit den erarbeiteten Ergebnissen zufrieden sind, antworteten acht mit „Ja“ und eineR
mit „Eher schon“.
Auf die offene Frage warum mit „Ja“ geantwortet wurde antworteten die TeilnehmerInnen:
• Eigene Meinung konnte ausreichend eingebracht werden.
• Weil ein gemeinsamer Konsens gefunden wurde und die Ergebnisse von allen
getragen werden, obwohl die Runde eine sehr „illustre“ Struktur hatte.
• Sie entsprechen meinen Erwartungen.
• Wir sind auf einen gemeinsamen Punkt gekommen! Lebensqualität ist ein wichtiges
Thema und sehr interessant.
• Weil wir von den anfänglichen „Oberflächlichkeiten“ schlussendlich ein interessantes
Ergebnis fanden.
• Die Ergebnisse sind ohne Geld umsetzbar.
Auf die offene Frage, warum mit „Eher schon“ geantwortet wurde:
• Es wurde neutral diskutiert, ohne dass sich einige Teilnehmer(Innen) hervorgetan
haben.
Auf die Frage…
-ob die TeilnehmerInnen mit der Moderation, Organisation, Bewirtung und den
Räumlichkeiten zufrieden waren (alle Kategorien wurden einzeln befragt), antworteten alle
neun mit „Ja“.
-ob sie erneut an einem BürgerInnen-Rat teilnehmen würden, antworteten sechs mit „Ja“,
zwei mit „Eher schon“ und eineR mit „Nein“.
-ob sie ihren Bekannten, Freunden, Verwandten eine Teilnahme am BürgerInnen-Rat
empfehlen würden, antworteten acht mit „Ja“ und eineR mit „Eher schon“.
Auf die offene Frage, ob es etwas gibt, das besser gemacht werden hätte können, kamen die
Antworten:
• Nein, Moderatoren waren sehr, sehr nett. Hat mir gut gefallen.
110
• Ich glaube nicht.
• Nein – zumindest nichts Offensichtliches.
• Passt so!
• Kann ich nach der ersten Veranstaltung nicht sagen.
• Es sollten nur Leute teilnehmen, die sich an 2 Tagen Zeit nehmen.57
Die Erfahrungen, die die TeilnehmerInnen gemacht haben, lassen sich als sehr positiv
beschreiben. Besonders die hohe Zufriedenheit mit dem Ergebnis und das Empfehlen einer
Teilnahme an Bekannte, Freunde und Verwandte unterstreichen diese Aussage. Bei der
Präsentation der Ergebnisse zeigten sich die Anwesenden ebenfalls beeindruckt. Durch die
Präsentation der TeilnehmerInnen erhielten die präsentierten Ergebnisse einen authentischen
Charakter und stießen auf breite Zustimmung bei der Veranstaltung. Die öffentliche
Diskussion im Anschluss bestätigte den positiven Eindruck. Neben dem Büro für
Zukunftsfragen war auch der Bürgermeister hoch erstaunt über die Ergebnisse des
BürgerInnenrates. So grundsätzliche Antworten hätte sich niemand von den OrganisatorInnen
erwartet. Negative Rückmeldungen gab es allerdings auch. Wie mir Hellrigl im Gespräch
mitteilte, kam von VertreterInnen der repräsentativen Demokratie vermehrt der Einwand, dass
der BürgerInnenrat auf Dauer den Gemeinderat gefährde und diesen in Bedrängnis bringe.
Die Aussage zeigt, dass die Ergebnisse von der Politik mit Beachtung aufgefasst wurden.58
Die Angst, die hier geäußert wurde, Macht an ein anderes Gremium zu verlieren, ist ein Indiz
für das Funktionieren des Machttransfers an die Zivilgesellschaft. Doch handelt es sich bei
dem Rat „nur“ um ein beratendes Organ und die konkreten Entscheidungen werden nach wie
vor im Gemeinderat getroffen. Dies wird sich auch durch eine Institutionalisierung des
BürgerInnenrates nicht so schnell ändern. Auch will die Theorie der BürgerInnenräte gar nicht
das Gemeindeparlament ablösen, sondern sich als ergänzendes Gremium etablieren.
Die mediale Präsenz des BürgerInnenrates hielt sich stark in Grenzen. Die Vorarlberger
Nachrichten druckten einen Bericht über das Verfahren und natürlich gab es im Wolfurter
Gemeindeblatt eine Berichterstattung.59 Darüber hinaus erhielt die Gemeinde Wolfurt von der
57 „Auswertung: Evaluation BürgerInnen-Rat, Wolfurt, 22.-23.09.2006“ Büro für Zukunftsfragen Vorarlberg 58 Interview Hellrigl 59 Telefonat Mohr
111
ÖGut im Jahre 2006 den ersten Preis in der Kategorie „Innovative und nachhaltige Projekte
im Bereich Partizipation“.60
2.3 Besonderheiten, Wirkung und Probleme des BürgerInnenrates
Kosten
Ein großer Vorteil des BürgerInnenrates liegt in den niedrigen Kosten. Verglichen mit
anderen Methoden zur Feststellung des BürgerInnenwillens ist der Rat ein hoch effizientes
Verfahren. Die genaue Kostenaufstellung für Wolfurt habe ich nicht bekommen, aber eine
vergleichbare Auflistung für die Gemeinde Nenzing, die sich für die Durchführung eines
Rates interessiert. Die Kosten werden in der Regel zwischen Land (Büro für Zukunftsfragen)
und Gemeinde aufgeteilt. Die Gemeinde muss für die Räumlichkeiten, die Einladung der
TeilnehmerInnen, die Bewirtung, und für die Moderationskosten aufkommen. Das Büro für
Zukunftsfragen übernimmt die Detailinformation der TeilnehmerInnen, die Abstimmung mit
der Moderation, die Organisation der Präsentationsveranstaltung sowie die Nachbearbeitung,
Dokumentation und Evaluation.
Im Falle von Nenzing machen die Räumlichkeiten (eigener Gemeindesaal), die Organisation,
und die Bewirtung 800.- Euro aus, dazu kommen noch die Kosten für die Moderation, die
sich für geschätzte 21 Stunden auf 2.770.- Euro belaufen. Gesamtkosten für die Gemeinden
sind also in der Höhe von 3.570.- Euro anzunehmen. Das Büro für Zukunftsfragen rechnet mit
einem Arbeitsaufwand von 25 Stunden, der 1500.- Euro ausmacht und von der Behörde selbst
getragen wird.61
Deliberative Momente und Besonderheiten des BürgerInnenrates
Eine Besonderheit des BürgerInnenrates liegt in dem zirkulären Verfahren, das immer tiefer
zum Kern des Problems führt. Klassische Verfahren haben einen linearen Aufbau, bei dem
man sich zuerst ein Ziel setzt und dann nach geeigneten Umsetzungsmaßnahmen sucht. Oft
kommt es dabei vor, dass man während des Vorganges merkt, es geht um etwas anderes, doch
man steckt mitten im Prozess und kann nicht mehr aussteigen und man will den Rahmen nicht
sprengen. Am Ende ist die Energie der Gruppe weg und niemand ist wirklich glücklich mit
dem Ergebnis. Beim BürgerInnenrat ermutigt die/der ModeratorIn die Gruppe dazu, immer
wieder grundsätzliche Fragen zu stellen und versucht bei der Energie der Gruppe zu bleiben.
Durch die Einteilung in die vier Kategorien erhält das Gespräch eine effiziente Struktur.
60 http://www.oegut.at/de/events/umweltpreis/2006-part.php, 15.09.2008 61 „Angebot BürgeInnen-Rat Nenzing“ vom Büro für Zukunftsfragen Vorarlberg
112
Irgendwann kommt man auf den Kern der Sache, das eigentliche Problem. Und mit der
Lösung dieses Problems lassen sich auch alle festgehaltenen Probleme und Bedenken lösen.62
Hellrigl erzählt begeistert vom schnellen Umdenken der Beteiligten innerhalb des Verfahrens.
Unerwarteter Weise haben sich partikulare Interessensäußerungen sehr schnell eingestellt und
sich einer gemeinschaftlichen Sicht der Dinge untergeordnet. „Es war sehr ermutigend zu
sehen, dass das im Menschen offenbar drinnen steckt, dass er die Fähigkeit hat in
Gemeinwohlkategorien zu denken. Das Setting ist dabei natürlich ganz wichtig. Ich glaube
man kann alles aus einem Menschen herausholen und dieses Setting hat gezeigt, dass es sehr
gut geeignet ist, das Verantwortungsbewusstsein im Menschen hervorzuholen.“63 Das Setting
besteht dabei aus der zufälligen Auswahl der TeilnehmerInnen und dem moderierten
Verfahren (Dynamic Facilitation). Das Moderationsverfahren schützt dabei schwächere
Redner und sorgt für mehr Ausgeglichenheit. Durch den Dialog zwischen ModeratorIn und
TeilnehmerIn entsteht ein geschützter Raum für den/die jeweiligeN BürgerIn.
Sprachkenntnisse und Artikulationsgeschick bleiben zwar nach wie vor ein Kriterium, aber
durch die spezielle Moderation werden alle TeilnehmerInnen ermutigt sich zu äußern. Es
entsteht ein breites Bild und die Vielzahl der Meinungen führt zur Suche nach einem
gemeinsamen Nenner. Selbst in einem der BürgerInnengutachen in Bregenz, in dem ein
Teilnehmer seit längerem im Konflikt mit der Stadtregierung stand, funktionierte die
gemeinschaftliche Interessensvertretung. Zwar machte die Person immer wieder auf ihr
Thema aufmerksam, doch wurde es als ein Problem von vielen erkannt. Die Gruppe folgte
aber der Frage nach wesentlicheren Dingen und machte spürbar, dass es sich um ein
Einzelinteresse handelte. Die gemeinschaftliche Sicht konnte sich durchsetzen.64 Das
Verfahren führt bei den TeilnehmerInnen zu einer deliberativen Sicht der Dinge und trägt
somit wesentlich zu einer Gemeinwohlsicht bei, die über die Dauer des Rates hinaus anhält.
Ausbreitung und momentaner Stand
Der Wolfurter BürgerInnenrat wurde von den Organisatoren, den TeilnehmerInnen und der
Öffentlichkeit großteils als sehr positiv gesehen. Sofort kam die Idee auf, einen weiteren
BürgerInnenrat zum Thema „Integration“ abzuhalten. Dieser wurde für 2007 geplant, fand
aber noch nicht statt. Bürgermeister Mohr versichert aber, es werde nächstes Jahr zu einer
Umsetzung kommen.
62 Interview Hellrigl 63 Ebd. 64 Ebd.
113
Einem regelmäßigen Stattfinden eines BürgerInnenrates steht er kritisch gegenüber. Er
bevorzugt den Rat themenspezifisch einzusetzen. Eine Institutionalisierung mit zwei bis drei
Treffen pro Jahr hält er in Wolfurt für wenig sinnvoll, verweist aber auf funktionale
zusammengesetzte Bürgerbeteiligung. („Barrieren freies Wolfurt“ – BürgerInnengruppe,
bestehend aus behinderten BürgerInnen, die Verbesserungen beraten)
Für die Kontrolle der Umsetzung des Leitbildes hat die Gemeinde allerdings eine
Checkgruppe (bestehend aus den TeilnehmerInnen des BürgerInnenrates) ins Leben gerufen,
die mehrmals jährlich zusammenkommt und auf Mängel aufmerksam machen soll.65
Auch gibt es in der Region mittlerweile mehrere BürgerInnenräte. Bregenz hat sich
entschieden eine Reihe von solchen Veranstaltungen durchzuführen, beginnend mit Frühjahr
2009. In der Talschaft „Großes Walsertal“ fand noch im September 2008 ein BürgerInnenrat
statt. Darüber hinaus haben mehrere Gemeinden Interesse gezeigt und sich Angebote vom
Büro für Zukunftsfragen erstellen lassen. Das Büro für Zukunftsfragen arbeitet
währenddessen an einem BürgerInnenrat Handbuch, das den Gemeinden ermöglichen sollte,
weitgehend selbstständig einen BürgerInnenrat zu organisieren. Durch die positiven
Erfahrungen in Wolfurt kann von einer zunehmenden Verbreitung innerhalb Vorarlbergs
gesprochen werden. Die jungen Erfahrungen lassen aber noch wenige Schlüsse über die
Zukunft des BürgerInnenrates zu. Die kommenden Räte werden entscheidend für den
weiteren Erfolg des Verfahrens und für eine mögliche Etablierung in einer Gemeinde mit
mehreren BürgerInnenräten pro Jahr sein.
Probleme und Kritik
Das größte Problem mit dem BürgerInnenrat liegt laut Hellrigl darin, dass er gar nicht
angewendet wird. Zu groß ist die Angst vieler Politiker vor den Ergebnissen. Der Rat lässt
sich nicht steuern und trotz der niedrigen Kosten und den guten Erfahrungen ist für viele die
Unsicherheit, sich auf ein solches Verfahren einzulassen zu groß.66 Erfahrungen der
Gemeinden, welche durch die kommenden BürgerInnenräte gesammelt werden, können
helfen, solche Ängste der Politik abzubauen.
Ist einmal ein Entschluss zu einem BürgerInnenrat gefallen, so besteht die Gefahr einer
Manipulation in mehrfacher Hinsicht. Die Auswahl der TeilnehmerInnen muss transparent
ablaufen und die Zusammensetzung repräsentativ sein. Das ist für eine breite Erfassung des
65 Telefonat Mohr 66 Interview Hellrigl
114
Themas und eine integrative Demokratisierung unerlässlich. Dabei will ich noch einmal auf
das Fehlen eines Vertreters oder einer Vertreterin der zugewanderten Bevölkerungsteile in
Wolfurt verweisen. Wesentlich beeinflusst werden können die TeilnehmerInnen durch die
Moderation. Die Macht der Moderation sollte nicht unterschätzt werden. Die Personen
können zwar frei entscheiden worüber sie reden wollen, doch kann eine gekonnte Moderation
das Ergebnis wesentlich in eine bestimmte Richtung beeinflussen. Auch wird durch das
Moderationsverfahren dem/der ModeratorIn vieles abverlangt. Mit ihr/ihm steht und fällt der
Erfolg des Verfahrens.
Ein weiteres Problem ist die Sprache. Es wird von den TeilnehmerInnen verlangt, dass sie
sich und ihre Anliegen artikulieren können und dem Gesprächsverlauf folgen können. Die
Moderationsmethode hilft dabei sprachlich Schwächeren und sich Zurückhaltenden auch
entsprechend gehört zu werden, dennoch leben die Argumente auch von der sprachlichen
Fähigkeit des Vortragenden. Personen mit Migrationshintergrund haben, verglichen mit der
heimischen Bevölkerung, öfters Sprachprobleme und sind somit strukturell benachteiligt.
Um ein Kultur der Partizipation zu erzeugen, ist es wichtig, dass der BürgerInnenrat
regelmäßig stattfindet. Wie das Beispiel in Wolfurt zeigt, besteht die Gefahr, dass die Politik
den Rat mehr als effektive Methode der Ergebnisbeschaffung sieht und nicht den
emanzipativen Charakter würdigt.
Eine einzelne Veranstaltung wird dieser Zielsetzung nicht gerecht. Eine Institutionalisierung
des Rates mit zwei bis drei Veranstaltungen pro Jahr ist anzustreben. Erst dann entsteht eine
wirkliche öffentliche Debatte. Unterstützend dazu sind auch die Medien gefordert. Dem
Gemeindeblatt, regionalen Zeitungen und dem Internet kommen dabei wesentliche
unterstützende Aufgaben zu. Besonders in größeren Gemeinden, in denen die Werbung durch
die TeilnehmerInnen in ihrem Bekanntenkreis nicht ausreicht, um eine breite
Bevölkerungsschicht anzusprechen, bekommen Medien eine Schlüsselfunktion zugesprochen.
Damit verknüpft sind wiederum Probleme der Unabhängigkeit von Medien zu
berücksichtigen, die in kleinen Gemeinden nicht so ausgeprägt sind.
2.4 Zusammenfassung
Der BürgerInnenrat ist eine geeignete Methode der partizipativen Demokratie auf
Gemeindeebene. Die Erfahrungen in Wolfurt zeigen ein positives Bild. Besonders
beeindruckend erscheinen die deliberativen Prozesse, die durch den Rat bei den
TeilnehmerInnen ausgelöst wurden. Im gleichen Zuge muss aber auf die Begrenztheit dieses
Vorganges verwiesen werden. Für eine nachhaltige Änderung der Partizipationskultur sind
115
weitere Räte und eine Institutionalisierung notwendig. Die Ergebnisse, die für die Politik
wohl die primäre Motivation darstellen, sind äußerst effektiv. Damit verbunden besteht aber
auch die Gefahr, den BürgerInnenrat nur vereinzelt und selektiv zu gewissen Themen
anzuwenden. Der Machttransfer an die BürgerInnen ist somit in zweifacher Hinsicht begrenzt.
Erstens ist der BürgerInnenrat kein fixer Bestandteil der Gemeindepolitik und zum zweiten
sind seine Ergebnisse allgemeine Statements mit beratendem Charakter und keine konkreten
Entscheidungen. Die Beachtung der Ergebnisse des BürgerInnenrates durch die Politik ist also
ein weiteres Problem, das zwar durch Checkgruppen (wie in Wolfurt) kontrolliert, nicht aber
sanktioniert werden kann.
Die sofortige Umsetzung eines regelmäßig stattfindenden Rates mit
Entscheidungsbefugnissen erscheint weder als wünschenswert im Hinblick auf den
langfristigen Erfolg des Verfahrens, noch erscheint es politisch umsetzbar. Ein
kontinuierliches Anwachsen der Partizipationskultur verbunden mit einem langsamen
Kompetenzentransfer ist den lokalen Umständen entsprechend der geeignetere Weg. In wie
weit jedoch die Politik dazu bereit ist, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Für meine
Arbeit lässt sich aber festhalten, dass mit dem BürgerInnenrat der Diskurs gefördert und
wirkungsvolle Beratungskompetenzen an die BürgerInnen abgegeben werden.
Die beiden untersuchten Modelle der partizipativen Demokratie tragen auf sehr
unterschiedliche Weise zu einer Demokratisierung der Gesellschaft bei. Während das
Integrationskonzept des Landes Tirol sich die Einbindung einer klar umrissenen
Bevölkerungsgruppe zum Ziel macht und von der Ausrichtung her eher der integrativen
Demokratisierungsstrategie zuzuordnen ist, wirkt der BürgerInnenrat gleichermaßen
integrativ, effektiv und expansiv. Unterschiede gibt es auch bei der Entstehung der zwei
Modelle. Während in Tirol die zivilgesellschaftlichen VertreterInnen seit langem auf einen
Leitbildprozess bestanden, wurde in Wolfurt der Rat von Regierungsseite her eingeleitet. Ob
das Einfluss auf den politischen Durchsetzungswillen nahm, kann hier nicht geklärt werden.
Beide Konzepte haben ihre jeweiligen Probleme eine optimale Wirkung im Sinne der
partizipativen Demokratie zu erreichen. Der Machttransfer ist in der Praxis von der
regierenden Politik abhängig, beide Modelle sichern den Einfluss der Zivilgesellschaft nicht
langfristig ab. Der Kompetenzentransfer ist begrenzt auf Beratung und mehr selektiv als
kontinuierlich. In wie weit politische Parteien als Träger des Machttransfers auftreten wollen
und können ist fraglich. Auf Gemeindeebene erscheint dies jedenfalls einfacher realisierbar.
116
Der mangelhafte politische Wille im Falle des Integrationsleitbildes Tirol ist leider auch der
Grund für die fehlende Umsetzung und Wirkung der erarbeiteten Maßnahmen. Dabei sei noch
einmal erwähnt, dass beide Verfahren nicht direkt durch den Landtag bzw. Gemeinderat
legitimiert wurden.
Die Beschäftigung mit den beiden praktischen Modellen zeigt jedoch, dass diese
hoffnungsvolle Möglichkeiten zur Demokratisierung der Gesellschaft sind. Auch wird klar,
dass nur ernstgemeinte Bemühungen der Politik, die Zivilgesellschaft mit einzubeziehen,
funktionieren können. Halbherzige Versuche und Rückzieher schaden der Reputation und der
weiteren Durchführung von partizipativen Maßnahmen mehr, als dass sie an Positivem
bewirken.
117
Schlussbemerkung
Die Theorie der partizipativen Demokratie und den demokratischen Mangel des
repräsentativen Momentanzustandes habe ich im ersten Kapitel dargestellt. Der
österreichischen Situation mit allen wichtigen Gegebenheiten und Möglichkeiten für mehr
partizipative Maßnahmen auf Gemeinde- und Landesebene habe ich mich im zweiten Kaptitel
angenommen und zuletzt die beiden Projekte in Tirol und Wolfurt genau betrachtet.
Auffallend dabei ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Was sich in der Theorie
wunderbar umsetzen lässt, trifft in der Realität auf strukturelle Vorgaben, die nicht immer
einfach geändert werden können. Dies betrifft die gesetzliche Lage genauso, wie politisch
kulturell gewachsene Traditionen, deren Änderung keine kurzfristige Angelegenheit ist. Ein
einheitlicher theoretischer Hintergrund macht für eine normative Rechtfertigung sicherlich
Sinn, je konkreter eine theoretische Handlungsanweisung jedoch ist, desto weniger kann sie
auf praktische Gegebenheiten umgelegt werden. Keine Situation tritt zweimal ein. Ein
generelles Wundermittel der partizipativen Demokratie gibt es nicht. Das repräsentative
System zu durchbrechen und eine Partizipations- und Diskurskultur zu etablieren, kann daher
nicht der Anspruch eines einzelnen Projektes oder Verfahrens sein, aber es kann Teil einer
Bewegung sein, die die Begrenztheit des Systems erkennt und neue Formen der politischen
Beteiligung entstehen lässt, in denen gemeinschaftlich Probleme gelöst werden.
Die von mir untersuchten Modelle der partizipativen Demokratie spiegeln diese Aussage in
gewisser Weise wider. Trotz der Probleme, die beide Modelle aufweisen und die starke
Abweichung von den theoretischen Anforderungen der partizipativen Demokratietheorie,
können sie dennoch als ein wertvoller Anfang gesehen werden. Beteiligte BürgerInnen und
besonders die Verwaltung und Politik sammeln erste Erfahrungen mit partizipativen
Möglichkeiten. Das Integrationskonzept und der BürgerInnenrat haben ein sehr gutes
theoretisches Ergebnis hervorgebracht, was die langfristige Effizienz von politischer
Beteiligung unterstreicht. Bei der Umsetzung ist der mangelnde Machttransfer an die
Zivilgesellschaft ein Grund für die Unzufriedenheit. Eine sich selbst organisierende
Zivilgesellschaft, die bindende Entscheidungen für die Politik trifft, ist wohl noch in weiter
Ferne. Der Druck auf die Politik Verfahren zu institutionalisieren, die BürgerInnen
mindestens eine Mitsprache ermöglichen, wird jedoch immer höher. Und wo dauerhaft
mitgesprochen wird, ist der Schritt zu einer Entscheidungsabgabe bereits wesentlich kleiner.
Die Formen der Partizipation sind überaus vielfältig und betreffen alle möglichen
Gesellschaftsbereiche. Soll es zu einem gesamtgesellschaftlichen Umdenken kommen, so ist
118
es notwendig, dass Verfahren sich nicht nur auf die Politik beschränken, sondern sich auch in
der Familie, in Freundeskreisen und in der Arbeitswelt eine Partizipationskultur etabliert. Der
Anfang dazu liegt in Projekten wie in Tirol und in Wolfurt.
119
Anhang
1. Interview mit Mag. Johann Gstir von JUFF Referat für Integration Tirol (21.
August 2008)
Vielleich können wir so beginnen, dass Sie mir chronologisch erzählen, wie es zum Integrationsleitbild
gekommen ist?
Also 1999 war es so, dass Landeshauptmann Weingartner und Prock, zuständig für Soziales und Flüchtlinge,
unabhängig von einander Arbeitsgruppen zum Thema Integration eingerichtet haben. Prock hat eine NGO
Gruppe und Weingartner eine Verwaltungsgruppe eingerichtet. Diese hatten jedoch einen informellen Charakter
und wussten nichts von einander. Mein damaliger Chef, Edwin Klien, bekam von Weingartner den Auftrag die
Verwaltungsgruppe zu moderieren. Nach dem dieser von der anderen Gruppe erfuhr, führte er beide zusammen
zu einer Integrationsplattform. Immer noch sehr informell. Es entstand sehr schnell die Forderung eine
Koordinationsstelle einzurichten. Prock und Weingartner haben darauf hin einen entsprechenden
Regierungsbeschluss im Landtag durchgesetzt. Also die Einrichtung einer Koordinationsstelle für Integration.
Aus der dann das Referat für Integration im JUFF hervorging. Mit den Schwerpunkten Koordination und
Vernetzung.
Der Regierungsbeschluss zur Koordinationsstelle umfasste auch einen Entschluss zum Integrationsbeirat, aus
Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, der die Landesregierung beraten sollte. Bisher war es so, dass das für
Integration zuständige Regierungsmitglied den Vorsitz hat, das für Soziales und Flüchtlingswesen zuständige
Regierungsmitglied hat den stellvertretenden Vorsitz. Zusätzlich drei Vertreter aus der Verwaltung, das ist ein
Bezirkshauptmann, der Vorstand der Abteilung für Integration (Integrationsreferat), als dritter ein(e)
Bürgermeister(In) , zurzeit der Bürgermeister von Schwaz, Bürgermeister Lindner, und drei NGO-Vertreter, die
vom Integrationsforum vorgeschlagen werden. Das Integrationsforum ist eine Selbstorganisation der
Integrationsvereine und diese schlagen drei Vertreter(Innen) für den Integrationsbeirat vor, die bisher auch
immer bestellt worden sind. Jetzt gibt es aber die neue Situation, in der Reheis nicht nur für Integration zuständig
ist, sondern auch für Flüchtlingswesen und daher Leiter und Stellvertreter zugleich wäre. Wir prüfen gerade, ob
es daher eines Regierungsbeschlusses zur Änderung bedarf.
Und wie findet die Entscheidungsfindung innerhalb des Beirates statt? Gilt jede Stimme gleich viel?
Bis jetzt hat es noch keine Abstimmung oder Kampfabstimmung gegeben, aber wenn es darauf ankommt, würde
eine Mehrheitsentscheidung gelten. Da es jedoch ein empfehlendes Organ ist, der Beirat wirft Themen auf,
diskutiert diese, und macht Empfehlungen an die Politik, in dem Fall an den Vorsitzenden, braucht es keine
Abstimmung, weil es keine Umsetzungsgarantie gibt.
Das Integrationsreferat ist Ende 2001 gegründet worden, ich war davor im Jugendbereich tätig und habe ab
Herbst 2001 das Integrationsreferat aufgebaut. Die erste Beiratssitzung war auch ca. 2001 in der zweiten
Jahreshälfte. Und bei der ersten Sitzung ist schon der Vorschlag gekommen, man sollte ein Integrationsleitbild
machen für Tirol. Der Hintergrund war der, dass bei dieser Integrationsplattform 1999, die haben sich immer
wieder Experten und Expertinnen eingeladen und da war eine, die Rebecca Ehret aus Basel, eine Ethnologin, die
zum damaligen Zeitpunkt gerade ein Integrationsleitbildprozess in Basel abgeschlossen hatte. Dies war recht
120
beeindruckend und man hat gesagt es wäre recht sinnvoll dies auch für Tirol zu machen. Die Form und der
Prozess waren dann in Tirol anders. In Basel war es mehr ein Auftrag an die Uni dies zu machen. In Tirol ein
breit angelegter Prozess der Meinungsbildung.
Und darauf hin ist dann der Auftrag an base erfolgt?
Es hat eine Ausschreibung gegeben und base consult und eine zweite Schweizer Agentur haben ein Angebot
gestellt. Und base consult bekam aufgrund des besseren Angebotes und der Erfahrung im Integrationsbereich
den Zuschlag.
Und wie kam es dann zu den Arbeitskreisen, und wann wurde die Universität im Prozess integriert?
Base consult hat für das Angebot einen Vorschlag gemacht, wie man den Prozess grundsätzlich gestalten könnte.
Dieser ist im Integrationsbeirat vorgestellt und ausgefeilt worden und man hat gesagt, man will es in dieser
breiten Form anlegen, man will die Arbeitskreise machen. Wir haben dann dazu ergänzt, dass wir regionale
Arbeitskreise machen wollen, dass es ein wenig von dieser Innsbruck-Zentrierung wegkommen soll. Und schon
bei der Ausschreibung war ein Kriterium, dass man die Universität einbinden soll. Die Zusammenarbeit hat dann
darin bestanden, dass das Institut ein Seminar gemacht hat zum Thema Integration. Und die Studentinnen und
Studenten in Arbeitskreisen Basisdaten für Integration erhoben haben. Teilweise sehr gute brauchbare
Ergebnisse und teilweise aber auch nicht so gute. In Summe aber sehr interessant und zusätzlich wurden 35
angehende Wirtschaftler auf das Thema Integration aufmerksam gemacht. Was sonst im Studium wahrscheinlich
nicht vorgekommen wäre.
Das ganze war den Arbeitskreisen vorgelagert. Auch wollte man vor den Arbeitskreisen
Regionalveranstaltungen machen. Aber zuerst zu den Arbeitskreisen:
Wir (base und der Integrationsbeirat) haben in die Ihnen bekannten Arbeitskreise eingeteilt. Religion wurde
zunächst bewusst weggelassen, weil Integration sehr oft am Thema Religion aufgehängt wird, aber nicht die
Realität wiederspiegelt. Es ist weniger Religion das Entscheidende, sondern andere Faktoren. Hinten nach haben
wir es dann wieder mit hinein genommen, in den letzten Arbeitskreis (Sport, Freizeit und Kultur), mit dem
Bewusstsein, dass man es nicht ganz ignorieren kann. Religion spielt eine Rolle, ihr sollte aber dennoch nicht zu
viel Bedeutung zukommen.
Die Arbeitskreise haben wir so gebildet, dass wir erst ModeratorInnen (ArbeitskreisleiterInnen) gesucht haben
für die jeweiligen Bereiche, die von der Moderationsfähigkeit und aber auch von ihrer Position her geeignet
waren. Wir haben den ArbeitskreisleiterInnen eine Moderationsseminarangeboten, da oft auch uns persönlich
unbekannte Personen einen Arbeitskreis leiteten. Dies fand dann aber in einem sehr kleinen Rahmen statt.
Anschließend wurde überlegt in Abstimmung mit den LeiterInnen, welche Personen haben eine zentrale Rolle in
dem jeweiligen Bereich, die unbedingt dabei sein sollten und auch über entsprechendes Wissen verfügen, in dem
Bereich arbeiten und wissen wo der Schuh drückt. So haben wir also die Arbeitskreismitglieder(Innen)
eingeladen. Eingeladen wurden viel mehr als dann tatsächlich gekommen sind. Es war alles freiwillig, also
ehrenamtlich neben der beruflichen Tätigkeit. Die Größe der Arbeitskreise schwankte zwischen zehn und 25
Leuten.
Gab es auch öffentliche Ausschreibungen an interessierte BürgerInnen?
Nein, aber dies geschah auf regionaler Ebene. Die Aufgabenstellung an die Arbeitskreise war einmal die
Situation zu erfassen, sich Überlegungen zu machen was ein wünschenswertes Ziel wäre, was für eine
Vorstellung von Integration hat man, und als zweiter Arbeitsauftrag maximal zehn Maßnahmenempfehlungen.
Diese sollten auch möglichst konkret ausgearbeitet werden. Wer soll es machen? Was kostet es? Wie könnte
121
man das organisieren? Also zumindest die Grundzüge festlegen. Dies war die Aufgabenstellung an die
Arbeitskreise, die dann anhand ihres eigenen Knowhows und ihrer Erfahrung und den Unterlagen der
StudentInnen sowie den Inputs aus den Regionalveranstaltungen umgesetzt wurde.
Regionalveranstaltungen haben wir vor und aber auch fast parallel zu den Arbeitskreisen gestaltet. Es hat ein bis
zwei Regionalveranstaltungen davor gegeben, aber manche auch erst danach. Bei manchen Arbeitskreisen haben
wir gewartet bis alle Regionalveranstaltungen beendet waren, bei manchen nicht. Es war also eine Art fließender
Übergang.
Regionalveranstaltungen gab es in jedem Bezirk mit der Ausnahme von Osttirol, das wir bewusst ausgelassen
haben, mit dem Hintergrund, dass es sehr wenig Ausländer, Zugewanderte, in Osttirol gibt und der Aufwand
sehr hoch wäre. Allerdings gab es in Osttirol bei der Bürgermeister(Innen)konferenz eine Vorstellung von mir
des Projektes und ich habe die Bürgermeister(Innen) dazu eingeladen, Fragen und Anregungen an mich zu
richten. Es ist dann aber nichts gekommen. In allen anderen Bezirkte mit der Ausnahmen von Reutte, auf das ich
noch zu sprechen kommen will, gab es diese Regionalveranstaltungen. Wir haben uns dabei als Partner den
Bezirkshauptort gesucht. In Innsbruck-Land haben wir zwei gemacht, einmal in Telfs und einmal in Hall. Mit
diesen gemeinsam haben wir die Veranstaltung organisiert, überlegt wer sollte eingeladen werden, wir haben
vorgegeben die und die Organisationen sollten dabei sein, aber auch gebeten informell wichtige Personen
einzuladen. Wir wollten von den Leuten wissen, was gibt es für Projekte, wo gibt es Probleme, was hat sich als
erfolgreich dargestellt und was erwarten sie sich vom Integrationsleitbild. In Kitzbühel waren es zwölf Leute, in
Landeck waren es 50, so in der Bandbreite war die Teilnahme. Aufgeteilt wurde in maximal drei Arbeitskreise.
Die Ergebnisse waren besonders der Schwerpunkt Sprache und Bildung und was von uns davor nicht genug
beachtet worden ist, die direkte Begegnung und das Zusammenleben, das für die Bezirks- und Gemeindeebene
wichtig ist. In einem Dorf ist es nicht gut, wenn Menschen aneinander vorbei leben, in der Stadt ist das weniger
problematisch. Auf der Gemeindeebene gibt es Bereiche, in denen man miteinander etwas macht. Z.B. Dorffest.
Und die Tatsache, dass eine klar umrissene Gruppe sich an dem Dorfleben nicht beteiligt, ist nicht akzeptiert
worden. Erst da haben wir gemerkt, das Thema Begegnung Einheimische und Zugewanderten, ist ein
wesentlicheres als wir im Vorhinein gedacht hatten und haben einen Schwerpunkt darauf gelegt. Dies waren die
wesentlichen Erkenntnisse aus den Bezirken. In Reutte gab es deshalb keine Regionalveranstaltung, weil es
unabhängig vom Leitbildprozess ein Projekt am laufen hatte, wo man tiefergehende Erhebungen gemacht hatte.
Dies war ein Regioprojekt, von der EU gefördert und wir haben deshalb keine Regionalveranstaltung gemacht,
weil wir die Informationen aus der Studie viel genauer entnehmen konnten.
Dies war die erste Runde der Regionalveranstaltungen und daraufhin haben die Arbeitskreise sechs bis sieben
Mal getagt und haben ihre Aufgabe im Wesentlichen einmal gut geleistet. Dazwischen hat es immer wieder
Sitzungen der Steuerungsgruppe gegeben, bei denen auch die Arbeitsgruppenleiter[Innen] teilnahmen. Base
consult, Politik, Sozialpartner und NGOs waren dabei auch vertreten. Diese hat in der Zwischenzeit die Leitsätze
und den Grundgedanken des Leitbildes formuliert. Dann haben wir das vorläufige Endergebnis gehabt. Haben
Überschneidungen zwischen den Maßnahmen der Arbeitsgruppen zusammen geführt und alles was nicht auf
Landesebene umgesetzt werden konnte herausgestrichen. Wir haben die ca. 70 Maßnahmenempfehlungen auf
43 reduziert und das religiöse Element aufgrund der Regionalversammlungen noch etwas stärker mit
hineingenommen. Alles in Absprache mit den Gruppenleiter[Innen], die teilweise die Änderungen mit den
Gruppen abgesprochen haben, damit sich die Arbeitskreismitglieder mit den Maßnahmen identifizieren können.
122
Hat es dabei negative Rückmeldungen gegeben, dass etwas anderes in den Maßnahmenempfehlungen
geschrieben wurde als in den Gruppen ausgemacht?
Nein, was die Maßnahmenempfehlungen betrifft nicht, aber bei vielen ist der Eindruck entstanden es passiert
nichts mehr. Auf das will ich aber später zu sprechen kommen und jetzt noch den Prozess fertig darstellen.
Dann haben wir die zweite Runde der Regionalveranstaltungen gemacht. Gleiche Arbeitskreise, gleiche
Zielgruppe und dies mit der Aufgabe Rückmeldung zu den Maßnahmen abzuliefern und diese gegebenenfalls zu
ergänzen. Einzelne Bereiche wurden noch verändert, Konkretes fällt mir jetzt nichts ein. Es handelte sich aber
eher um kleine Umformulierungen und der gleichen.
Jetzt will ich auf ihre Frage von vorhin beantworten, was die politische Steuerung und die Unzufriedenheit
angeht.
Es war geplant, dass es eine Art Abschlussfest gibt, mit einer offiziellen Präsentation und Teilnahme aller
Arbeitskreismitglieder. Das hat dann nicht mehr stattgefunden, weil Zanon es nicht mehr wollte. Aus zwei
Gründen. Erstens weil ein Fest so viel kostet und ein Fest eigentlich das falsche Signal für die Öffentlichkeit ist.
Zanon meinte wir präsentieren es in der Öffentlichkeit, aber wir werden kein großes Fest daraus machen und die
Mitarbeiter(Innen) nicht alle einbinden. Da war ich nicht ganz zufrieden, aber musste es als politische
Entscheidung akzeptieren. Das hat bei manchen Teilnehmer[Innen] der Arbeitskreisgruppen zum Eindruck
geführt, es passiert jetzt nichts mit den Maßnahmenempfehlungen. Es ist zwar der Presse vorgestellt worden,
aber das war es dann auch schon. Zumindest von der Außenwahrnehmung her. Wir haben natürlich Prioritäten
bei der Umsetzung gesetzt, aber das war nach außen nicht oder zu wenig sichtbar. Wir wollten von Anfang an
die Arbeitskreisteilnehmer(Innen) über den Prozess am Laufenden halten, durch ein Rundschreiben, was dann
aber auch mehr als notwendig war, aufgrund von schwerster Unzufriedenheit.
Das wäre das Eine und das Andere, die politische Unzufriedenheit, dabei ist es so vorgesehen gewesen, dass es
ein zusätzliches Gremium gibt, wo die politischen Parteien vertreten sind. Dabei wäre es aber zu einer
Überstrapazierung von einzelnen Leuten aufgrund von Mehrfachfunktionen gekommen. Wir wollten zwar die
Parteien einbinden, aber der Organisationsaufwand wäre zu groß gewesen. Wir haben damit aber zu spät
verstanden, dass wir die Parteien gar nicht im Prozess integriert haben. Und das war sicher ein Problem.
Vereinzelt gab es eine Kommunikation mit VertreterInnen der Parteien, doch war dies nicht genug und ich
wollte eigentlich eine zwischen Präsentation im Landtag. Aber Zanon wollte aufgrund der Nationalratswahlen
2006 das kritische Integrationsthema nicht noch zusätzlich anheizen. Aus Angst vor Widerstand aufgrund der
Vorwahlzeit, wollte Zanon das Integrationsleitbild als zuständiges Regierungsmitglied zum Beschluss erheben
und als Basis für ihre Politik nehmen, wozu sie rechtlich in der Lage war. Damit fehlte die formelle Einbindung
der Politik.
Hat es gar keine Präsentation im Landtag gegeben?
Nein, aber es hat auf eine andere Art eine Bestätigung des Integrationsleitbildes durch den Landtag gegeben. Die
Grünen haben einen Antrag auf Aufstockung der Mittel des Integrationsleitbildes gestellt. Rot und Schwarz
haben das dann abgelehnt und einen eigenen Antrag eingebracht, der die Umsetzung des Integrationsleitbildes
forderte. Somit haben sie das Integrationsleitbild nachträglich mit einer Legitimation des Landtages versehen.
Der Antrag sah ein Prioritätensetzung und einen Umsetzungsplan vor und somit wurde das dahinterstehende
Konzept auch mit beschlossen. Es ist also auf Umwegen doch noch zu einer politischen Deklaration gekommen.
Aber es war formell nicht ganz in Ordnung. Das war einer der Punkte, wo man etwas genauer bei der politischen
Einbindung vorgehen hätte sollen.
123
Gab es bei dem Beschluss auch einen finanzielle Zusicherung bzw. wie groß ist das finanzielle Budget
hinter dem Leitbild?
Wir mussten und müssen weiterhin mit dem Budget arbeiten, dass wir davor gehabt haben. Das sind 400.000
Euro, reines Aktions- und Förderbudget, also ohne Büro und Miterbeiter(Innen)kosten. Ich bin dabei gespalten,
ich hätte natürlich gerne mehr Geld, aber das Leitleitbild soll nicht nur vom Land umgesetzt werden, sonder auch
von Wirtschaft, Arbeiterkammer, Vereinen und, und, und. Somit ist es auch nicht nur Geld des Landes, und
besonders nicht nur Geld des Integrationsreferats, das verwendet werden soll. Sondern auch Bildungsbudget,
Kulturbudget usw.
Bei den Maßnahmenempfehlungen gibt es teilweise genaue Angaben was eine Umsetzung kostet. Jetzt fällt
das ja nicht nur wie sie gesagt haben auf das Integrationsreferat zurück, sonder auch auf Wirtschaft,
Bildung usw. Wie sieht da die Kommunikation zwischen der Verwaltung aus. Sucht da das
Integrationsreferat um Mittel an bei der jeweiligen Landesabteilung, oder sind es die zuständigen NGOs?
In der Regel ist es so, dass wir in diesen Fällen eher eine Koordinationsfunktion oder Beratungsfunktion
wahrnehmen. Z.B. gab es eine Maßnahmenempfehlung im Bereich der Wirtschaft mit dem Titel: Förderungen
im Arbeitsmarkt. Das Land finanziert dabei gemeinsam mit dem AMS von der Arbeitsmarktpolitischen-
Gesellschaft die Maßnahme und hat einen Schwerpunkt gesetzt, bei Migrantenjugendlichen, speziell bei jungen
Frauen. Und das hat jetzt dazu geführt, dass in weiterer Folge eine Studie gemacht wird, wie die
Entscheidungsfindungen in Migrantenfamilien ablaufen, betreffend die schulische und berufliche Ausbildung.
Welche Einflussfaktoren dabei wirken, was entscheidend ist für die Wahl des Berufes und wie man dies
beeinflussen und eingreifen kann. Im Grunde wird dies durch das AMS Land über Arbeitsmarktmittel finanziert
und hat mit dem Integrationsbudget nichts zutun. Ich bin dabei als Berater in der Studie integriert. Das ist
eigentlich die Idealvariante. Wir schauen dabei welche Arbeitskreisthemen es gibt und wie stehen wir da. Ich bin
dabei ganz zufrieden, es gibt dabei in allen Bereichen laufende Projekte, der einzige Bereich, in dem ich mir
Sorgen mache ist der Wohnungsbereich. Dabei ist es uns noch nicht gelungen etwas umzusetzen. Die Partner
sind dabei in erster Linie Wohnbaugenossenschaften, die mit dem Thema nicht besonders viel am Hut haben. Da
braucht es viel Überzeugungskraft.
Ich versuche also allgemein in den Bereichen zu erkennen, ob es etwas anzustoßen gibt. Das sehe ich als meine
Aufgabe. Es gibt aber auch einige Maßnahmenempfehlungen, in denen wir als Integrationsforum selbst
zuständig sind. Das geht im Moment nicht ganz so gut. Es ist etwas holprig. Bei anderen Projekten sind wir
wirklich nur Anhängsel und vieles passiert ohne unser zutun. Das liebste ist mir, wenn Leute sehen, da gibt es
etwas in meinem Bereich und ich muss da etwas tun. Und ich erst hinten nach davon erfahre, dass da etwas läuft.
Das ist zwar selten, aber da hat jemanden ganz pragmatisch gedacht und hat gar nicht an jemand anderen
Zuständigen gedacht. Das ist ja das klassische Ziel, sich selbst überflüssig zu machen. Im Grunde genommen
müsste es gar keine Integrationsbudget geben, weil jeder in seinem Bereich die Aufgabe der Integration
wahrnehmen sollte. Und wenn dass umgesetzt werden würde, bräuchte es mich nicht mehr. Den Haupterfolg des
Prozesses sehe ich in Projekten, die ohne großes Zutun des Integrationsreferats erfolgen.
Sind Sie zufrieden mit der Umsetzung der Maßnahmenempfehlungen?
Ja, ich bin eigentlich ganz zufrieden, weil einige der Maßnahmenempfehlungen im Begriff der Umsetzung sind.
Vieles noch nicht. Da wünsche ich mir natürlich noch mehr. Mit mehr Geld oder mehr Personal könnte man da
mehr bewirken, aber ich verzweifele nicht deswegen, sondern ich sehe was sich da daneben abspielt, dadurch,
dass ein stärkeres Bewusstsein da ist.
124
(Wir besprechen das Organigramm) Zusammenfassung der Aussagen:
Die Arbeitsgruppe der Landesregierung existiert noch nicht und soll aber angegangen werden, (eventuell mit
Reheis, Platter, …)
Abteilungsübergreifendes Netzwerk Integration (Diese ist sehr zeitaufwendig und ich bin es noch nicht
angegangen)
Integrationsbeirat auf Bezirksebene (In Reutte gibt es Ansätze und auch in Landeck, diese sollen eine Art
Modellfunktion haben)
Integrationsforum (funktioniert so la la, diese treffen sich keine drei, vier mal im Jahr, manchmal bin ich dabei,
aber normalerweise sind nur fünf sechs Leute da, der harte Kern. Es bedeutet für die Verterter[Innen] zusätzliche
Arbeit, ohne finanzielle Deckung. Und insoweit ist es ok wie es läuft.
Ist schon einmal ein Partner im NGO Bereich ausgestiegen?
Nein, aber die sind ja auch finanziell abhängig vom Land. Aber ich habe ein gutes Verhältnis zu allen und nicht
das Gefühl, dass es eine totale Ablehnung der Politik der Landesregierung gibt. Hier sollte aber mehr
Kommunikation stattfinden. Ich will demnächst wieder ein Schreiben an alle zuständigen NGO-Vertreter(Innen)
senden, um aufzuklären über laufende Projekte in den diversen Bereichen.
Der Machttransfer an die Zivilgesellschaft beschränkt sich ja auf eine beratende Rolle, Entscheidungen
werden nach wie vor vom zuständigen Mitglied der Landesregierung getroffen. Gibt es da Ansätze, wie
man Kompetenzen effektiver abgeben könnte?
Das ist letztlich fast nicht anders machbar. Ich könnte als Politiker schon sagen, dass ich dem Integrationsforum
100.000 Euro gebe und sie sollen selber Ihre Projekte damit machen. Ich glaube persönlich, aber ich bin da
befangen, dass es schlechter wäre, weil jeder etwas zu verlieren hat. Alle Mitglieder bekommen Mittel aus dem
Topf. Solange die Vergabe von der Landesseite funktioniert, es gibt Kriterien nach denen die Vergabe erfolgt,
hat das Integrationsreferat nichts zu verlieren. Ich bin der Meinung Demokratie funktioniert so, dass
Entscheidung nach oben delegiert wird.
Was würde es Ihrer Meinung nach für Maßnahmen geben, dass das Integrationsforum gestärkt wird, es
nicht ganz so lose ist? Könnte man da finanzielle oder organisatorische Anreize schaffen?
Ich glaube, das Integrationsforum kann nur davon leben, dass Leute es als profitabel, gewinnträchtig sehen, sich
auszutauschen. Wenn sich das Integrationsforum als solches äußert, dann hat das ganz einen anderen
Stellenwert, als wenn sich einzelne Organisationen äußern. Das Integrationsforum wird auch direkt Kontakt zum
Landesrat Reheis suchen. Das Integrationsforum entsendet auch die Vertreter in den Integrationsbeirat, und hat
somit ein Mitspracherecht. Die Vorschläge sind immer angenommen worden bisher. Was wir (das
Integrationsreferat) tun könnten zur Stärkung? Theoretisch könnte man die ganze Organisation übernehmen.
Einladung, Protokoll usw. Das will ich nicht, weil mein Zeitbudget sehr knapp ist. Das wäre aber unter
Umständen eine Möglichkeit, dass wir immer zu den Treffen einladen. Auf der anderen Seite will ich das nicht,
weil die untereinander reden sollen. Es soll wirklich eine Selbstorganisation sein. Ich war am Anfang recht oft
dabei, habe dann auch gesagt: Ihr müsst mir sagen, wann ich nicht kommen soll, da ich das Ohr der
Landesregierung bin und es Dinge gibt, die ich nicht hören sollte und die ich nicht hören will. Wir haben das
dann so geregelt, dass sie mich einladen, wenn sie mich brauchen. Und da funktioniert die Zusammenarbeit ja
auch wirklich gut. Ich berate das Forum ja auch bei entsprechenden Anliegen, z.B. wie man am besten mit der
Forderung an die Politik geht.
125
In wie weit kann man schon etwas über den Wechsel an der politischen Spitze sagen, wird das Leitbild in
der momentanen Form weitergeführt? Gibt es Schwerpunktverlagerungen? Budgetveränderungen?
Da kann man noch nicht viel sagen, die Budgetverhandlungen laufen jetzt gerade. Der Ausgang ist fraglich, ich
will keine Prognose abgeben. Reheis hat schon auch erklärt, dass er es für wichtig hält und da wahrscheinlich
mehr Geld gebraucht wird in dem Bereich. Was sicherlich ein Thema für mich ist, dass in Zukunft mehr in
Angriff genommen werden soll, und das ist sicherlich im Sinne des Landesrates: Wie geht die einheimische
Gesellschaft mit dem Thema um? Ich glaube, dass wir einen Trend, eine Hauptlinie haben, die ablehnend
gegenüber Zugewanderten ist. Grundsätzlich distanziert und ablehnend, ich sage noch gar nicht
fremdenfeindlich, das ist auch dabei, aber so von der Grundsatzhaltung ist eher eine Distanzierung da. Durchaus
eher ein Wir und Ihr, als wir alle. Und das ist für mich eines der Haupthindernisse der Integration, weil ich
glaube, ich kann schwer von einem Zugewanderten Entgegenkommen und Aufgeschlossenheit erwarten und die
Bereitschaft sich in die Gesellschaft einzubringen, wenn der in seinem realen Leben einfach permanent mit
Ausgrenzungserfahrungen zu tun hat. Ganz kleine Geschichten, alltägliche Geschichten, manchmal vielleicht
auch nicht offener Rassismus, aber das motiviert natürlich nicht. Und ich glaube, dass wir im Moment eine
Tendenz in der Gesellschaft haben, die in diese Richtung geht.
Aber das zu ändern ist ja Kernaufgabe des Leitbildes und die Maßnahmenempfehlungen setzten ja genau
da Stück für Stück an, um Integration zu erleichtern. Sind diese nicht genug?
Ja, im Grunde genommen ist die Überlegung, was macht man im Sinne von Öffentlichkeitsarbeit. Wie bewegt
man die Meinung der Gesellschaft? Wir werden sicherlich nie eine riesen Werbekampagne machen, aber wir
werden verstärkt bei den Medien ansetzen müssen.
z.B. Maßnahmen wie die Weiterbildung von Journalisten?
Ja, genau, dass man da einfach stärker vertreten ist. Mein Wunsch wäre eine pragmatischere Berichterstattung.
Manchmal passiert es schon, aber im Grunde ist sie eher polemisch. Und da sehe ich einen Ansatzpunkt. Das
Bewusstsein zu denken, eine vielfältige Gesellschaft ist auch Realität und bietet durchaus auch Potentiale und
Chancen.
Eine Maßnahme also wie die Plakate und Aufdrucke auf den M-Preis-Einkaufstaschen?
Ja genau, aber noch stärker. Wie verändern wird die Meinung der Massen?
Kooperation mit Medien?
Ja, das wäre ein denkbarer Weg. Möglichst effizient und ohne große Kosten. Ich weiß aber noch nicht wie
Reheis an die Sache herangegangen wird. Schwerpunkte, die er anders setzen wird, davon weiß ich noch nichts.
Auch von ihm wird in der Situation keine fundierte Aussage kommen, bevor nicht alles abgesprochen und
Verhandlungen beendet sind.
Dass eine ganz andere Richtung eingeschlagen wird und alles über den Haufen geworfen wird, ist aber
nicht zu erwarten?
Nein, weder aus einer total anderen Ideologie von Rot und Schwarz heraus, ich meine auch Zanon war im
Rahmen der konservativen Gedanken, eher eine von den fortschrittlicheren, noch habe ich jetzt das Gefühl, dass
Reheis meint, dass ist alles ein Quatsch was bisher passiert ist. Das ist nicht zu erwarten. Verschiebungen wird es
wahrscheinlich langsam im Laufe der Zeit geben.
126
Eines was ich vielleicht noch erwähnen möchte. Ein zentrales Element ist, dass Integration auf lokaler Ebene
passiert. Und da tut sich auch Vieles. Gemeinden sehen das Thema sehr pragmatisch, um den sozialen Frieden
im Ort zu bewahren. Da bin ich auch optimistisch, dass die Bewegung noch stärker wird. Wir können nur
Rahmenbedingungen schaffen, Förderungen vergeben da und dort, aber im Grunde genommen passiert
Integration vor Ort, in der Nachbarschaft, in der Schule, am Arbeitsplatz usw.
Und werden Maßnahmen auch positiv aufgenommen und wahrgenommen in den Gemeinden, da diese
den Handlungsbedarf erkennen?
Also die Gemeinden haben, wie in den meisten anderen Fällen auch einen rein pragmatischen Zugang. Da gibt es
ein Problem, oder es entwickelt sich ein Problem, und ich muss etwas tun, um das Problem zu lösen. Das ist der
riesige Vorteil von Gemeindepolitik, dass sie so unmittelbar ist. Nehmen wir an, ich bin ein ausländerfeindlicher
Bürgermeister und ich sage, die sollen gefälligst so tun wie wir usw. Dann sehe ich da kommt ein Problem, weil
es nicht so passiert, nur weil ich mein es sollte so sein. Wenn ich pragmatisch denke, sage ich, ich werde die
nächste Wahl nicht gewinnen, wenn ich einen Konfliktherd in meiner Gemeinde habe. Also muss ich dagegen
etwas tun. Dieser pragmatische Zugang, ganz egal wie ich ideologisch denke über Ausländer(Innen), gibt es am
ehesten auf der Gemeindeebene, durch die Unmittelbarkeit. Es gibt Gemeinden wie Wörgl, Telfs, Schwaz, die
auch auf Basis des Integrationskonzeptes sagen, da tu ich dies und jenes.
Wie wird denn der Austausch zwischen den Gemeinden gefördert? Es gibt keine entsprechende Struktur
im Konzept? Wie können sich Gemeinden über positive und negative Maßnahmen austauschen?
Ja, da sind wir gerade dran wo es Ansprechpartner auf Gemeindeebene gibt, diese auf der Landesebene zu
vernetzen, damit diese miteinander ins Gespräch kommen. Das ist eine Struktur, die im Leitbild noch nicht
drinnen ist, aber im Grunde genommen noch ergänzt werden sollte. Diese Landesvernetzung der kommunalen
Politik.
Ein Grundgedanke im Integrationskonzept ist auch, dass wir zwar ein Element von Integration herausnehmen,
nämlich Integration mit Zugewanderten, dass aber Integration eben mehr heißt. Integration betrifft alle
Bevölkerungsgruppen. Und eine Gesellschaft, die positiv zu Integration steht, die tut sich mit Randgruppen aller
Art leichter, bindet sie leichter und offener ein. Im Grunde geht es um eine offene Gesellschaft, die sich mit
Themen auseinandersetzt und etwas daraus macht.
2. Interview mit Mag. Oscar Thomas-Olalde vom Haus der Begegnung Innsbruck
(11. September 2008)
Sie haben bei der Leitbilderstellung im Arbeitskreis Partizipation, Gleichstellung und Zusammenleben
mitgearbeitet. Wie haben sie überhaupt vom Leitbild erfahren, wie ist es zu ihrem Engagement
gekommen?
Es war der Tiroler Regierung ein großes Anliegen, so viele zivilgesellschaftliche Akteure zu integrieren wie
möglich. Alle die im Bereich Integration etwas machen. Und ich habe damals, und heute, das Tiroler
Integrationsforum koordiniert. Das ist eine unabhängige Plattform von NGO´s, Organisationen,
MigrantInnenvereine und sonstigen Einrichtungen, die mit dem Thema zu tun haben. Wir waren damals schon
127
im Beirat des Landes vertreten. Und eigentlich hat das Integrationsforum die Erstellung eines Leitbildes bereits
vor fünf Jahren vorgeschlagen. Insofern waren wir auch die ersten Adressaten, vom Integrationsreferat, als die
beschlossen haben ein Leitbild zu erstellen. Es war ein Aufruf sich an den verschiedenen Arbeitskreisen zu
beteiligen.
Hat es einen speziellen Grund, weshalb Sie in dem Arbeitskreis Partizipation, Gleichstellung und
Zusammenleben mitgearbeitet haben?
Das ist inhaltlich ein Schwerpunkt von mir, interkulturelle Bildungsarbeit. Ich bin auch sonst in der
Integrationsszene und war damals schon Koordinator im Integrationsforum. Und das sind die Themen an denen
ich auch sonst dran war. Politische Partizipation, Religion, Wahlrecht, und überhaupt Integrationsgremien die
funktionieren, wie Beiräte. Das waren Themen, die mich sowieso interessiert haben.
Waren Sie mit der Zusammensetzung ihres Arbeitskreises zufrieden, oder ist Ihnen jemand besonders
abgegangen aus der Szene? Hätte man mehr Leute integrieren sollen?
Das ist schwierig zu sagen, bei so partizipativen Sachen. Was entspricht nicht nur den Ressourcen von den
Menschen, sondern auch den Gestaltungsmöglichkeiten von dem ganzen Arbeiten? Das heißt natürlich hätte man
mehr Leute einbeziehen können, die Frage ist, hätte man das Ganze auch steuern können? Hätte man auch den
richtigen Zeitrahmen gehabt? Es war so schon sehr zeitaufwändig für die Leute, die es unentgeltlich gemacht
haben. In so fern glaube ich, dass die Größe die Richtige war. Für die Arbeit in der Gruppe und die Ergebnisse in
der Gruppe. Die Ergebnisse waren die konkreten Maßnahmen, die wir dann vorgeschlagen haben.
Für das gesamte Leitbild würde ich schon plakativ sagen, dass der Output nicht der Größe des Prozesses
entspricht. Aber das ist wahrscheinlich ein anderes Thema. Es wurde viel diskutiert und sehr breit diskutiert. Die
Maßnahmen bzw. die Umsetzungsmöglichkeiten sind dann nicht mehr so mit partizipativen Methoden und
Instrumenten implementiert worden. Also viel Partizipation bei der Erstellung und wenig
Mitgestaltungsmöglichkeit nach der Erstellung, bei der Implementierung und kein Budget! Das war ein wenig
das Ungleichgewicht. In anderen Prozessen ist es oft umgekehrt, man will etwas umsetzen, wo die Partizipation
bei der Erstellung sehr gering war. Hier war es umgekehrt.
Waren Sie mit den Ergebnissen ihrer Arbeitsgruppe zufrieden?
Mit dem Papier schon. Mit der Umsetzung im allgemeinen nicht. Das Problem ist, es gibt kein
Implementierungsprogram für die Maßnahmen. Die Maßnahmen stehen da, de facto aber nur als Empfehlungen.
Ohne Zuständigkeiten und ohne Budget. Es gibt kein Budget für die Implementierung des Leitbildes, wovon wir
immer ausgegangen sind. Was ein Leitbild auch immer braucht, wenn es um konkrete Maßnahmen geht. Wir
haben zwar einen Zeitplan formuliert, aber es gibt keine Zuständigkeit bei der Implementierung. Natürlich
passieren Sachen, bei denen man sagen kann, das entspricht der Maßnahme. Das stimmt, aber das hätte
wahrscheinlich auch ohne Leitbild stattgefunden. Momentan aber habe ich eher die kritische Betrachtung zu
sagen, es wurde zu wenig gemacht und es war sehr wenig politischer Wille und Durchsetzungsvermögen da, um
die Implementierung des Leitbildes tatsächlich abzusichern. Das müsste zunächst einmal budgetär anfangen,
sonst passiert ja nichts, das ist klar.
Das Integrationsreferat hat ja ein Budget von 400.000 Euro, da hat sich durch das Leitbild nicht viel
verändert, aber gab es nie eine Zuteilung des Geldes auf die Maßnahmen?
Das funktioniert so wie eine Förderungsstelle. Mehrere Projekte von verschiedenen Organisationen werden auch
tatsächlich gefördert. Auch einige Projekte von uns. Aber das hat mit dem Prozess an sich nichts zu tun. Das sind
einzelne Organisationen, einzelne Initiativen, die beim Integrationsreferat ansuchen. Natürlich kann man im
128
Nachhinein sagen, das wurde alles gefordert und dass Maßnahmen so oder so doch umgesetzt worden sind. Am
Ende war die politische Aussage so: Wir haben leider kein Budget, wir werden aber diesen Maßnahmenkatalog
als Prioritätenliste verstehen für die Vergabe von Förderungen über das Integrationsreferat.
Das ist die tatsächliche Umsetzung des Leitbildes. Und das ist natürlich sehr wenig für den Aufwand, zum einen
und für die konkreten Vorschläge zum Anderen.
Und für die Beteiligten auch sehr enttäuschend ?
Es war schon eine Enttäuschung, nachdem wir erfahren haben, dass die Sache mit dem Budget nie geklärt
werden wird, bzw. der politische Wille nicht da war das zu klären. Es gibt natürlich auch die positive
Betrachtungsweise, die auch damals von der zuständigen Politikerin immer wieder betont wurde: Ja vielleicht
können wir nicht alles umsetzen, aber dass wir uns getroffen haben, dass wir darüber diskutiert haben, dass
dieser ganze Prozess im Gange war, das ist ganz wichtig und das ist schon an sich Integration.
Das stimmt schon. Es war wirklich ein guter Anlass, um grundsätzliche Themen zu besprechen, aber das kann
man in einem anderen Rahmen auch machen. Und in so fern ist der Aufwand nicht angemessen an den Prozess.
Resultiert der fehlende politische Wille aus dem Zusammentreffen der Endphase der Leitbilderstellung
mit dem Nationalratswahlkampf 2006, bei dem man das Thema Integration nicht mehr anheizen wollte
von Seiten der zuständigen Politik?
Das war ihnen wahrscheinlich zu heiß. Das war damals 2006. Aber es gibt immer irgendwelche Aufregungen
zum Thema und so Anlassfälle. Was war damals? Ich weiß nicht, ob es um Minarette gegangen ist, es war irgend
etwas zur Diskussion und man hat gesagt, dass können wir jetzt nicht ansprechen. Die Wahlen kommen. Es
wurde einfach beschlossen, dass es ein Leitbild gibt. Aber das kann man nicht einfach beschließen, dass es
irgendetwas gibt. Es existierte ja bereits.
Es gab auch keine Präsentation im Landtag?
Es hat eine Diskussion, eine Debatte gegeben und das war es auch schon. Es wurde kein Budget beschlossen und
aber auch keines vorgeschlagen. Dann gab es eine Präsentationsveranstaltung in Innsbruck und andere
Regionalveranstaltungen. Welche die damalige Landesrätin Zanon persönlich organisiert hat, ohne wirkliche
Einbeziehung der Beteiligten. Wir wurden zwar alle eingeladen hin zu gehen, aber als ZuhörerInnen. Und es lief
ein wenig so nach dem Motto: Die Landesrätin präsentiert ihr Leitbild. Es wurde dann nach den Veranstaltungen
ganz breit diskutiert über Integrationsfragen in Tirol. Einmal in Innsbruck und in acht oder neuen
Bezirksveranstaltungen. Das war die ganze mediale Präsenz. Inhaltlich wurde gar nichts vermittelt was im
Leitbild steht. Es wurde mehr mit der Person der Landesrätin verbunden. Als eine Art persönliches politisches
Programm oder Anliegen von ihr. Es wurde erwähnt, dass man ein Leitbild, jetzt heißt es übrigens Konzept,
erstellt worden ist. Das war es dann auch schon.
Wie schätzen Sie den momentanen Stand der Dinge ein, die Landesrätin ist nicht mehr da, Herr Reheis
hat die Zuständigkeit übernommen, erhoffen sie sich einen positiven Wechsel, vielleicht neuen Schwung
bei der Umsetzung? Die findet ja eher lose statt bisher.
Es war alles lose. Es gibt keine Verbindlichkeit zu diesem Konzept, das ist was man leider feststellen muss. Das
Papier ist sehr gut, und es ist auch als Richtungweiser ohne Budget wichtig, das ist keine Frage. Doch wenn es so
ist, dann können ein paar Experten ein Papier erstellen. Wenn man einen breiten Prozess macht, erwarten die
Leute auch eine Umsetzung. Das ist ja der Sinn der Sache, wenn ich partizipativ etwas erstelle, dann, weil ich
tatsächliche Partizipation für die Umsetzung in Aussicht stellte. Und das ist was nicht gestimmt hat. Deswegen
129
gibt es ein bisschen ein allgemeines Klima der Müdigkeit in der Integrationsszene, um nicht zu sagen
Enttäuschung oder Frustration.
Hoffen Sie auf neuen Schwung durch den politischen Wechsel?
Das ist schwierig einzuschätzen. Erst nächste Woche haben wir (Integrationsforum) einen ersten Termin mit dem
Landesrat Reheis. Da werden wir das alles ansprechen. Wie soll es weitergehen mit dem Integrationsleitbild, das
was ich Ihnen im Großen und Ganzen erzähle, dass das Papier immer noch gut ist und Gültigkeit hat, die Chance
da wäre dass die Umsetzung klappt, stufenweise aber koordiniert, gezielter und partizipativer. Ich kann es noch
nicht einschätzen, wie er dazu steht. Keine Ahnung. Einiges glaube ich wurde schon verabsäumt. Da ist der
Wind ein bisschen aus dem Segel. Atmosphärisch gemeint. Das ist schon zwei Jahre her. Viele haben das Thema
schon abgehakt und abgeschlossen. Es könnte sich auch die Versuchung spürbar machen, mit dem politischen
Wechsel das Rad neu zu erfinden. Dass jetzt die Politik meint, man muss ganz etwas anderes machen. (nach
dem Motto:) Das hat ja damals nicht geklappt, jetzt müssen wir es anders machen. Ich weiß es nicht. Eine
Neuigkeit ist, dass auch unter der Zuständigkeit des neuen Landesrates nicht nur Integrationspolitik, sondern
auch Flüchtlingswesen, anfällt. Und das ist ein großes Novum. Das wird da einiges ändern hoffentlich. Bisher
war das sehr streng getrennt und durchaus ein Politikum. Die für Integration zuständige war die Landesrätin die
für Familie, Jugend und Gesellschaft. Flüchtlingswesen war glaube ich beim Sozialressort angesiedelt.
Eigentlich nur als Anhang im Sozialressort. Man hat immer gesagt, das sind zwei verschiedene Sachen, man
kann nicht über Flüchtlinge sprechen beim Integrationskontext oder Integrationsbeirat. Das ist sowieso ein ganz
anderes Thema. Und von anderen politischen Zuständigkeiten geregelt. Was schon stimmt, die meisten
wichtigen Fragen, im Flüchtlingswesen werden auf Bundesebene entschieden und nicht auf Landesebene, da
sind die Entscheidungskompetenzen schon wo anders angesiedelt. Aber trotzdem ist das interessant, ob sich jetzt
vielleicht etwas tut, weil die Thematiken einfach zusammen gehören. Das wissen vor allem die Leute, die in der
Praxis arbeiten. Die wissen, wenn Flüchtlinge nicht den Asylstatus bekommen sind sie schlecht integriert und so
gesehen müssen auch Maßnahmen ineinander greifen. Asylbetreuung ist ein erster Integrationsprozess. Zugang
zum Arbeitsmarkt. Also da könnt vielleicht etwas Neues herauskommen. Wie Reheis zum Konzept steht, das
kann ich noch nicht einschätzen.
In der Organisationsstruktur ist das Integrationsforum als Sammelstelle für die Zivilgesellschaft
angesiedelt. Wie sieht denn da die interne Organisation aus?
Das Integrationsforum gibt es mittlerweile seit über acht Jahren. Es ist eine unabhängige Plattform von Vereinen,
die mit dem Thema zu tun haben. Wir treffen uns mit regelmäßigen Abständen, ca. sechs bis zehn Mal im Jahr.
Und wir können drei Vertreter in den Integrationsbeirat entsenden. Bis jetzt war es so, das kann sich aber ändern
mit der neuen Zuständigkeit. Der Beirat entscheidet aber über nichts. Er ist nur ein beratendes Organ. Wir haben
dadurch wenigstens die Chance Einwände zu formulieren.
Hat eine Stellungnahme durch das Integrationsforum mehr Gewicht, als wie wenn jetzt ein einzelner
Verein eine Forderung stellt?
Das Gewicht vom Integrationsforum in Tirol ist sehr gering. Das hängt von vielen anderen Sachen ab. Das hängt
auch mit den noch schwachen Partizipationsmöglichkeiten zusammen. Menschen engagieren sich, wenn sie
auch die Möglichkeit haben sich zu artikulieren. Es gibt verschiedene Modelle wo Beiräte, z.B. Staatsbeiräte,
oder Kommunalgremien für Integrationspolitik, tatsächlich Entscheidungskompetenzen haben. Zum Beispiel
über die Vergabe von Fördergeldern für konkrete Integrationsprojekte. Oder wenn Integrationsbeiräte gewählt
werden, die auch eine Entscheidungsfunktion haben in der Regierung. Mit solchen Strukturen, kann man sich
130
mehr Partizipation, Gewicht und eine höhere Vernetzung erwarten. Da wo wir nur berichten, beraten, versuchen
die Anliegen von der Szene weiterzugeben, da ist der politische Anreiz für verschiedene Akteure, die doch
Interessengruppen sind, nicht groß. MigrantInnenvereine haben doch einmal erst das Interesse zu überleben, die
Lokalmiete zahlen zu können, und wenn sie nicht das Gefühl haben über diese Kanäle ist das möglich eigene
Interessen zu vertreten, dann ist der Anreiz sehr gering, weil das Leute sind, die das ehrenamtlich machen. Wir
vermissen im Integrationsforum seit Jahren die starke Präsenz von MigrantInnenvereinen. Wir sind mehr zu
einer Plattform von NGO´s geworden, die gute Kontakte haben zu MigrantInnen, aber die MigrantInnenvereine
vermissen wir, weil der Anreiz mitzumachen sehr gering ist. Es geht um sehr wenig. Partizipationsmöglichkeiten
gibt es kaum. Und alle Vereine müssen einzeln mit dem Integrationsreferat um ihr Budget verhandeln.
Wäre es eine Möglichkeit, dass man sagt die Hälfte des Budgets vom Integrationsreferat bekommt das
Integrationsforum zur freien Verfügung?
Es gibt mehrere Modelle. Schlussendlich geht es um Partizipation. Es gibt glaube ich nicht das eine Rezept. Es
geht um Mitgestaltungsmöglichkeiten. Wenn es die gibt, dann stimmt auch der Anreiz für die Partizipation. Mit
Entscheidungskompetenzen! Das könnte zum Beispiel ein Beirat für das Integrationsleitbild sein. Nicht für die
ganze Regierung, sondern konkret für das Integrationsreferat. Auch mit Entscheidungskompetenzen oder
Vetostimmen ausgestattet, wo es tatsächlich um die Richtung der Integrationspolitik geht. Es läuft im Moment
über zivilgesellschaftliche Projekte und dabei geht’s um die Finanzierung, deshalb ist die Frage nach dem
Budget so zentral. Die Leute finden sowieso zusammen um Sachen zu machen. Das ist so, mit oder ohne
Konzept. Jetzt geht es darum findet man eine gemeinsame Richtungslinie oder man gibt eine Richtung an. Wie
viele haben wirklich die Chance die Richtung mit zu gestalten, mit zu bestimmen. Das wäre zum Beispiel ein
Modell, wo eine Plattform, sei es das Integrationsforum oder eine neue Plattform, die Möglichkeit hätte, Leute
zu entsenden, die dann zum Beispiel über die Vergabe von Fördergeldern im Integrationsbereich mitentscheiden
können. Dann müssten auch Wahlen stattfinden, um eine Vertretung zu finden. Also mehr Partizipationskanäle,
automatisch eine breitere Basis, die Notwendigkeit eines breiteren Diskurses, die Notwendigkeit der
Konsensherstellung, alles was Partizipation ausmacht. Das wäre ein Modell. Es gibt zum Beispiel auch das
Grazer Modell, da finden auch Wahlen statt und die AusländerInnenbeiräte haben Budgetkompetenzen im
Integrationsbereich. Ich beobachte das schon in verschiedenen Städten. Da, wo es Entscheidungskompetenzen
gibt, ist die Partizipation wesentlich höher. Da muss man die Sachen auch miteinander ausmachen und sagen
was wollen wir unterstützen, befördern, warum ist das Eine wichtiger als das Andere. Um diese
Diskussionsprozesse geht es und die laufen natürlich anders ab bei einer Veranstaltung mit persönlicher
Wortmeldung, als wie wenn es breite Verhandlungsprozesse gibt. Es ist doch demokratischer die ganze
Geschichte. Man muss Sachen ausverhandeln, einen Konsens herstellen, sagen ok da treffen wir uns und das ist
eine mögliche Richtung. Und da fehlt es momentan in der Integrationspolitik in Österreich, weil die
Partizipationsmöglichkeiten sehr gering sind. Es beginnt schon auf gesetzlicher Ebene, wo MigrantInnen nicht
wählen und nicht gewählt werden können, beginnt das Ganze mit dem Mangel an Partizipation.
Zusammenfassend, glauben Sie, dass sich etwas geändert hat durch das Leitbild?
Leider nein. Ich meine es ist wirklich ein gutes Papier geworden und wir haben uns auch Mühe gegeben, uns X
Leitbilder angeschaut, Modelle verglichen, geschaut was ist kompatibel mit dem Rahmen der auch das Gesetz
vorgibt. Wir waren da sehr zurückhaltend mit wirklich großen Visionen und gesagt es müssen auch Dinge sein,
die umsetzbar sind. Wir haben ein paar Empfehlungen gemacht, wohl bewusst, dass die Maßnahmen filtriert
werden. Es waren erst ca. 80 Maßnahmen. Maßnahmen wie: Die Tiroler Landesregierung könnte auf
131
Bundesebene zumindest bestimmte poltische Ansichten vertreten. Zum Beispiel kommunales Wahlrecht nach
einer bestimmten Zeit, etc. Es gäbe einen gewissen Konsens, der glaube ich noch getragen werden würde von
den wichtigen, nicht von allen, AkteurInnen im Land. Das ist was sich geändert hat. Konkret in der Umsetzung
oder in der Handhabung von Integrationspolitik muss ich sagen, leider nein.
Jetzt hat sich Johann Gstir vom Integrationsreferat wesentlich positiver geäußert, können sie auch
positive Schlüsse ziehen?
Ja, es ist schon gut, dass es das (Leitbild/Konzept) gibt. Es ist mir auch nicht zu schade um die Zeit, die ich
investiert habe. Es stimmt einfach der Imput und der Output nicht zusammen. Es wurde am Anfang wirklich in
Aussicht gestellt, dass wir Maßnahmen formulieren, die dann vielleicht nicht alle umgesetzt werden, aber
irgendjemand sich um die Umsetzung kümmert und Verantwortung übernimmt. Und das müsste der sein, der das
Ganze einberufen hat, also die zuständigen PolitikerInnen der Landesregierung. Und sie [Zanon] hat sich
zurückgezogen aus dieser Verantwortung. Das Problem… Ich weiß nicht, was Gstir gesagt hat, aber die
optimistische Version der Landesrätin war: Dass der Prozess gut war, es wurden viele Leute erreicht und
diskutiert, das ist doch ganz gut. Das stimmt schon, aber dann könnte man wie gesagt, das Ganze auch anders
machen. Viele Veranstaltungen zum Thema oder so. Die andere Stellungnahme der Landesrätin ist, dass wir eine
ganz gute Prioritätenliste haben, an Hand derer wir die Projekte fördern. Stimmt auch, aber dann kann man auch
nur einen Prioritätenkatalog erstellen an zwei Tagen und nicht einen zweijährigen Prozess anpeilen. Was gibt es
sonst noch Positives? Ja, dass breit diskutiert worden ist und man damit auch in die Regionen gegangen ist. Das
war auch ganz gut konzipiert mit den Regionen, vielleicht ein wenig zu ambitioniert. Wir waren am Anfang zu
naiv zu glauben, dass diese ganz breiten Visionen dann auch wirklich umgesetzt werden. Wir haben ja die Politik
von früher gekannt. Wir haben ja seit Jahren darauf gepocht, dass es so etwas gibt. Da sind wir naive gewesen zu
glauben, jetzt wollen sie alles auf einmal und auch in den Regionen und wir können vorschlagen, mit Zeitplänen
und Finanzierungsmöglichkeiten. Wir haben nicht gemeint, dass alles durch gehen wird, aber wir haben gedacht,
es wird ernst genommen bei der Umsetzung. So eine koordinierte Umsetzung hat es einfach nicht gegeben. Es
wird einfach als Prioritätenliste behandelt und nicht als wichtiger Prozess wahrgenommen und diese zwei
Sachen stimmen einfach nicht miteinander über ein.
Nebeneffekt ist sicherlich so ein gewisser – es war ja ein breiter Diskussionsprozess – positiver Effekt für die
TeilnehmerInnen, wenn man sich so einem Konsensherstellungsprozess ausliefert. Da verändert sich auch
sicherlich etwas. Irgendwie glaube ich sogar, dass einzelne Teile des Konzeptes umgesetzt werden können von
einzelnen AkteurInnen, aber unabhängig von der Regierung. Weil die Diskussion so wichtig war, und man
gesagt hat, ja genau, dass wir solange diskutiert haben war wichtig. Es passiert zentral politisch wenig und dann
machen die Beteiligten irgendwie etwas selbst. Das gab es schon. Das ist ein Nebeneffekt, der schon stattfindet.
Aber man könnte viel mehr machen, das lastet ja alles auf dem Rücken der zivilgesellschaftlichen AktuerInnen
ohne Verstärkung durch die Politik.
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3. Interview mit Dr. Hellrigl Manfred vom Büro für Zuk unftsfragen Vorarlberg
(2. September 2008)
Wie kam es zu dem BürgerInnenrat in Wolfurt?
Es war glaube ich 2006, als die Gemeinde Wolfurt am Erstellen eines Leitbildes war. Und ich habe von
Bürgermeister, Erwin Mohr, die Anfrage erhalten, ob ich nicht ein Referat halten könnte. Der Leitbildprozess ist
mit einer breiten Beteiligung erfolgt, es sind mehr als 200 Leute beteiligt gewesen. Es hat dabei immer wieder
öffentliche Veranstaltungen gegeben, bei denen ein auswärtiger Referent gekommen ist und zu bestimmten
Themen referierte. Und als eines der letzten Themen, im Rahmen dieser Leitbilderstellung, ist es um
Selbstorganisation gegangen. Und dazu hat Bürgermeister Mohr bei mir angefragt, ob ich dazu referieren will.
Bei der Vorbereitung zu dem Referat ist die Idee aufgetaucht, dass man es mit einem praktischen Beispiel
verbinden könnte. Also nicht nur theoretisieren über Partizipation und Beteiligung, sondern es praktisch
durchzuführen.
Zu diesem Zeitpunkt haben wir gerade angefangen eine Gemeinde zu suchen, die sich bereit erklären würde
einen BürgerInnenrat durchzuführen/auszuprobieren. Und interessanter Weis hat Bürgermeister Mohr sofort
zugesagt. Wolfurt war somit die erste Gemeinde in der wir das durchführen konnten.
Die Vorgeschichte dazu ist, dass wir von der Regierung dazu im Jahre 2004 eine Anfrage erhielten, ob wir eine
Idee hätten, wie man den politischen Schwerpunkt Kinderfreundlichkeit aufrollen könnte. Normalerweise würde
man in so einem Fall ein externes Büro beauftragen, Fachexperten, die ein Konzept machen, eine Strategie, die
dann von der Regierung beschlossen wird. Und es ist aber eine Spezialität unserer Stelle, dass wir sehr gerne mit
Bevölkerungsbeteiligung arbeiten und Selbstorganisationsmodelle konstruieren. Es ist eine Erfahrung, die wir in
den 1990er Jahren gemacht haben, wir haben damals mit Umweltthemen gearbeitet, angefangen von Ozon über
Mobilität, Klima hin zu nachhaltiger Entwicklung, dass die dezentrale Mobilisierung von Menschen manchmal
besser und manchmal schlechter funktioniert. Es hat dabei ein paar Projekte gegeben, die sehr gut gelaufen sind.
Und wir haben versucht die Erfolgsfaktoren zu entschlüsseln und haben gemerkt, dass Selbstorganisation eine
zentrale Rolle spielt. Und bei Selbstorganisation ist wiederum Partizipation ein Schlüsselfaktor. Und wie wir
also 2004 die Anfrage von der Regierung bekommen haben, war ich gerade zufällig in einer Tagung in Berlin,
wo es um Planungszellen gegangen ist. Es ist ein Verfahren von Peter Dienel aus Wuppertal, das mich gleich
fasziniert hat. Ich war am Freitag auf der Tagung und am Dienstag darauf habe ich ein Treffen gehabt mit dem
Landeshauptmann. Er fragte mich, wie wir das anpacken würden und ich habe gesagt, ich würde ein
BürgerInnengutachten machen. Nach dem Zufallsprinzip wird eine gewisse Anzahl von Leuten ausgesucht und
diese sitzen vier Tag lang zusammen und gutachten über die Regierung. Der Vorteil ist, dass die
Wahrscheinlichkeit dass gute Ideen dabei herauskommen, die akzeptiert werden, viel höher ist, als wenn ich
Fachexperten einspanne und es schwierig ist das Ganze herunter zu brechen, zu erklären und Akzeptanz zu
bekommen. Der Landeshauptmann hat spontan gesagt, das machen wir. Und wir [Büro für Zukunftsfragen]
haben den Auftrag erhalten, eine Planungszelle, BürgerInnengutachten aufzusetzen. Wir haben das sofort ein
wenig modifiziert. Wir haben nicht nur das BürgerInnengutachten gemacht, weil dabei nur Erwachsene
vorkommen und es eigentlich um Kinder und Jugendliche geht, sondern Zukunftswerkstätte gemacht mit
Kindern und Jugendlichen. Und haben openspace organisiert mit Fachleuten. Und wir konnten schön ansehen,
wie sich das zueinander verhält. Das Ergebnis bei den Kindern und Jugendlichen war gut und spannend,
133
besonders auch der Unterschied zwischen Stadt- und Landkindern. Das von den Experten war auch ok, aber das
was wirklich der Knaller war, was uns wirklich überzeugt hatte, war das BürgerInnengutachten. Wie die Leute
innerhalb von kürzester Zeit in eine Gemeinwohlperspektive hineingekommen sind, das hat uns total überrascht
und uns bestärkt den Weg den wir eingeschlagen haben noch weiter auszureizen, um zu sehen, wie weit man
dabei gehen kann. Der einzige Haken an der Geschichte war, dass das Ding sehr kostspielig war. Ich kann mich
jetzt nicht genau erinnern, aber es waren mehr als 20.000 Euro. Jedenfalls hat es eine Stange Geld gekostet und
es war klar, wir können uns das nicht bei jedem Thema leisten. Die Erfahrungen haben mich damals motiviert
nach ähnlichen Ansätzen zu suchen, die aber kostengünstiger sind. Ich hatte dann das Glück, dass Mathias zur
Bonsen aus Frankfurt solche neuen Verfahren nach Europa bringt. Er ist einer von den Ersten, der neue Dinge
bringt. Ungefähr zu der Zeit habe ich ein Newsletter von ihm bekommen, da ich bereits eine Veranstaltung bei
ihm gemacht habe, und dabei stellte er ein neues Verfahren vor, ein neues Moderationsverfahren, mit dem
Namen Dynamic Faciliation. Darf ich da kurz darüber erzählen?
Die klassischen Verfahren, Problemlösungsverfahren sind so, dass man sich erst ein Ziel überlegt und dann die
Maßnahmen und wie man diese umsetzen kann. Also ein sehr linearer Prozess, bei dem man nach und nach
draufkommt es geht eigentlich um etwas anderes, aber man kann jetzt nicht wieder von vorne beginnen, man
steckt in diesem Prozess drinnen und macht ihn somit auch fertig. Am Ende ist die Energie der Gruppe weg und
man hat das Gefühl es geht eigentlich um etwas Anderes, aber man will den Rahmen nicht sprengen und man
bringt es zu einem Ende, aber niemand ist wirklich glücklich. Und das was Jim Rough entwickelt hat, ist ein
zirkuläres Verfahren, bei dem es egal ist, wo man beginnt, beim Problem, bei der Lösung, bei den Bedenken zur
Lösung, es ist ein zirkuläres Verfahren, das eigentlich immer tiefer zum Kern des Problems führt. Der
Moderator ist ungewöhnlicher Weise nicht dazu aufgefordert beim Thema zu bleiben, sondern bei der Energie
der Gruppe. Immer wieder zu ermutigen grundsätzliche Fragen zu stellen. Auch wenn diese unlösbar erscheinen.
Und ich habe darauf hin sofort angefangen mit dieser Methode zu arbeiten. Ohne wirkliche Ausbildung. Ich habe
nur das gelesen. Das Prinzip ist, alles was von der Gruppe kommt, die man moderiert, nur Häufchen zu machen
und die Statements aufzuteilen. Ist es ein Problemstatement, das formuliert man dann als Herausforderung, ist es
eine Lösung, oder ist es ein Bedenken zur Lösung. Und alleinig durch das Zuteilen der Statements hilft man der
Gruppe zu erkennen und wertzuschätzen miteinander umzugehen. Man spart sich viel leeres Gerede, weil man
eine klare Struktur für das Gespräch hat und es ist unglaublich effektiv. Ich habe dann sicherlich bereits ein Jahr
lang gearbeitet mit dieser Methode, ohne dass ich viel mehr gewusst habe als das. Und ich habe es in
verschiedensten Settings ausprobiert. 2004 oder 2005 habe ich dann ein Seminar gemacht bei Jim Rough in
Frankfurt bei dem er fast neben bei erzählt hat, dass er neben bei in der Anwendung von Dynamic Faciliation
eine Weiterentwicklung gemacht hat und diese Wisdom Council nennt. Er ist darauf gekommen, dass wenn
immer er dieses Dynamic Faciliation offen einsetzt und nicht zu fokusiert ist auf ein bestimmtes Thema, die
Menschen im Verfahren dann eigentlich zu ganz wunderbaren Schlussfolgerungen kommen. Oder elementare,
ich weiß es klingt jetzt alles recht pathetisch, elementare Menschheitsfragen ansprechen, die man normalerweise
nicht wagt zu stellen, da sie so unlösbar erscheinen. Und seine Erfahrung war, dass es die Menschen unglaublich
mobilisiert hat und eine tolle Wirkung hat. Das hat mich natürlich interessiert und er hat dann einen ganzen Tag
über den Wisdom Council geredet bei der Veranstaltung, obwohl hauptsächlich ModeratorInnen und
UnternehmensberaterInnen anwesend waren, die weniger interessiert waren. Aber bei mir war die Flamme
entfacht und auch Rough ist spontan mit nach Bregenz gekommen, weil er sich für unser Büro interessiert hatte.
Ich habe dann weiter experimentiert mit Dynamic Faciliation, aber noch keine Gemeinde gefunden, um einen
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Wisdom Council abzuhalten, bis dann 2006 das Glück mit Wolfurt kam. Es war dabei eine kühne Geschichte,
denn es sollte nicht zu viel Zeit verstreichen zwischen dem BürgerInnenrat, wie wir den Wisdom Council
nennen, und der Präsentation in der Öffentlichkeit. Dieser Termin war bereits fixiert, mein Referat in
Kombination mit der Präsentation der Ergebnisse des BürgerInnenrates. Und somit haben wir einfach das
Wochenende davor den BürgerInnenrat gemacht. Wir wussten nicht, ob es überhaupt funktioniert, kommt etwas
heraus? Was kommt heraus? Das war ein extremer Stress. Zu meiner Überraschung und zur Überraschung aller
Beteiligten hat es auf Anhieb funktioniert. Das Grundprinzip ist eigentlich das gleiche wie beim
BürgerInnengutachten. Bürgerinnen und Bürger werden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, und das ist für
mich der große Quantensprung zu vielen anderen Verfahren. Nur geht jetzt Jim Rough her und braucht nicht
dutzende bis hundert Leute, wie es Peter Dienel macht, sondern er geht von einer relativ kleinen Zahl aus. Zwölf
bis 16 Personen genügen. Aber die Idee ist es eine Kultur der Partizipation zu entwickeln. Der BürgerInnenrat
sollte regelmäßig stattfinden, zwei dreimal im Jahr. Und so sollte sich eine Auseinandersetzung entwickeln in
der Gemeinde, im Gemeinwesen, die nachhaltiger ist, die dauerhafter ist.
Bleiben die Personen immer die selben?
Nein, immer neue Personen. Das ist ganz wichtig. Man kann sich zum Beispiel nicht hinein reklamieren in einen
BürgerInnenrat. Man wird ausgewählt. Somit ist er für Lobbies bereits verschlossen. Die Idee ist aber, dass jeder
einmal eingeladen wird. Früher oder später bin ich auch einmal Mitglied im Wisdom Council. Es geht Rough
weniger darum, dass er repräsentativ zusammengesetzt ist, ich habe das auch nicht gleich verstanden, und wir
schauen immer noch, dass ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis gegeben ist, die Altersgruppen
gleichermaßen vorkommen, das verschiedene Ortsteile entsprechend vorkommen. Wobei Rough sagt verkopft
euch dabei nicht zu sehr, das ergibt sich schon wenn der Rat kontinuierlich stattfindet. Es ist nicht der Anspruch,
dass die Ergebnisse repräsentativ sind, obwohl sie dies bei unseren Erfahrungen waren. Der Anspruch ist der, das
System in Resonanz zu versetzen. Das ist ein wenig Theorie die dahinter steckt.
(Hellrigt macht eine Zeichnung, in dem er mir das politische System erklärt.)
Ortwin Renn aus Stuttgart hat dies aufgestellt. Im Wesentlichen werden Politik von Verwaltung, Fachleuten,
Politikern und Wirtschaft bestimmt. Ein geschlossenes System. Wer in diesem System kaum vorkommt sind die
BürgerInnen, die Öffentlichkeit. Durch die heterogener werdende Gesellschaft ist es für Politiker und Parteien
immer schwieriger zu wissen, was die BürgerInnen wollen. Die die sich im System artikulieren sind
hauptsächlich Lobbygruppen. Das ist schon so professionalisiert. Diese können sich sehr gut zu Wort melden
und bestimmen die politische Debatte. Z.B. bei einer öffentlichen Veranstaltung, bei der man Fragen stellen kann
am Ende, melden sich ganz spezielle Personen zu Wort. Und man schließt aus den Wortmeldungen wie der Saal
denkt. Das ist ein großer Irrtum. Oft machen wir auch Befragungen nach einer Veranstaltung und kommen zu
einem ganz anderen Schluss, als der durch die Fragestellungen/Wortmeldungen bekommene Eindruck über die
Meinung der TeilnehmerInnen. Wie kann man also die Öffentlichkeit besser beteiligen? Die Politiker haben aber
oft ein falsches Verständnis von Partizipation. Meinungsumfragen, usw.
Wie haben Sie nach einer Gemeinde gesucht? Gab es da ein Rundschreiben oder etwas in die Art?
Wir haben viele kommunale Beziehungen, wir arbeiten viel mit Gemeinden aus dem Land zusammen, und ich
habe das so nebenbei immer wieder einmal gebracht, wenn ich mit einem/einer BürgermeisterIn zu tun hatte, ob
dieseR Lust hätte, einen BürgerInnenrat durchzuführen. Was für die Politiker sehr schwer ist. Sie gehen ein
Risiko ein, weil sie es nicht kennen. Sie wissen nicht, was dabei herauskommt. Üblicherweise macht man eine
Befragung zu etwas sehr konkretem, dem Bau einer Straße usw. Die reine Lehre von Jim Rough sieht aber vor,
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dass die BürgerInnen selbst entscheiden, über was sie reden wollen. Der erste Teil des Rates sieht also so aus,
dass jeder erklärt was für Dinge er ansprechen möchte und sich die Gruppe dann auf ein Thema einigt. Die
einzige Vorgabe die sie haben, ist dass sie am Ende eine gemeinsame Erklärung verfassen sollen, die dann
veröffentlicht wird.
War das in Wolfurt auch so? Oder war das Thema vorgegeben?
Wir haben nur gesagt, es geht um das Leben in der Gemeinde und sie haben sich dann auf das Thema
Lebensqualität geeinigt. Die BürgerInnen total frei wählen zu lassen ist vielleicht auch eine Überforderung
dieser. Sie waren jedoch nicht beschränkt nur über Kommunalpolitik zu reden. Wir machten also einen sehr
kleinen Einstieg. Es geht um das entstehende Leitbild der Gemeinde und wir werden ein bis zwei Tage dazu
reden. So in etwa haben wir das Thema vorgegeben und einen Einstieg gemacht. Es sind dann ganz
unterschiedlichen Sachen vorgebracht worden. Es hat ein paar Tage zuvor ein paar Vandalismusvorfälle von
Jugendlichen gegeben, die eine Telefonzelle zerstört haben. Ein Anderer hat vorgebracht, dass es wenige
Zebrastreifen in der Gemeinde gibt. Ein Anderer hat gemeint, man muss die Hecken besser schneiden, weil sonst
Äste über die Straße hängen. Also wirklich ein Sammelsurium an Themen die aufgegriffen wurden. Aber es war
bereits sehr spannend die TeilnehmerInnen einfach reden zu lassen, dass diese merken es ist wichtig was sie
sagen, die eigene Perspektive ist wichtig und sie werden ernst genommen. Und so haben sie sich allmählich auf
das Thema Lebensqualität geeinigt, eine Art roter Faden, der alles umfasst was angesprochen wurde. Sie haben
zuerst gemeint, dass sie jetzt irgendwelche Forderungen an die Politik stellen und dann sind sie darauf
gekommen, dass der Standard bereits sehr hoch ist, es eine sehr hohe Lebensqualität im Ort bereits gibt und sie
sich nicht groß beklagen können. Das war für die TeilnehmerInnen eine verblüffende Entdeckung und für uns
auch. Sie haben dann daraus den Schluss gezogen, die Herausforderung besteht also darin, wie können wir
diesen Lebensstandard in Zukunft halten. Und auch dabei haben sie ursprünglich vorgehabt, Forderungen an die
Politik zu erheben. Es war erstaunlich wie schnell es sich dann gedreht hatte, dass am Ende Dinge
herausgekommen sind, bei denen sie selbst stark gefordert sind. Dinge wie Genügsamkeit und Zivilcourage,
wenn das ein Politiker sagt… Ein Politiker würde es gar nicht aussprechen und es würde sich auch komisch
anhören. Aber wenn es von den Leuten selbst kommt, hat es ganz einen anderen Beigeschmack.
Die Gemeinwohlperspektive hat sich auch recht bald eingestellt haben Sie gesagt, hat sich das in der
Sprache niedergeschlagen, oder durch was ist es Ihnen besonders aufgefallen?
Ja, ich war erstaunt darüber. Ich hatte die Befürchtung, es werden möglicherweise viele Einzelblickwinkel und
Partikularinteressen kommen. Bei einem Rat, den wir heuer in Bregenz gemacht haben war eine Person dabei,
die seit langem mit der Stadt Bregenz im Konflikt steht. Dabei ist es um Müllsammelstellen gegangen und dabei
hat er ein Problem gehabt. Somit hat er versucht immer wieder sein Thema einzubringen, aber es ist interessant
wie es sich neutralisiert, wenn zwölf bis 16 Personen beieinander sind. Es kann sich nicht einer die Gruppe unter
den Nagel reißen. Dann klinken die Anderen aus. Die Moderation folgt aber der Energie. Es wird zwar gehört,
ernst genommen, und auf dem Flip Chart festgehalten. Aber man merkt, dass es nicht die große Bedeutung hat.
Es geht eher darum den gemeinsamen Nenner zu finden und das ist interessanter Weise etwas, bei dem es den
Schalter umlegt und die meisten Leute haben noch nie etwas mit Politik zu tun gehabt oder sich irgendwie
engagiert. Es war sehr ermutigend zu sehen, dass es im Menschen offenbar drinnen steckt, dass er die Fähigkeit
hat in Gemeinwohlkategorien zu denken. Das Setting ist dabei natürlich ganz wichtig. Ich glaube man kann alles
aus einem Menschen herausholen und dieses Setting hat gezeigt, dass es sehr gut geeignet ist, das
Verantwortungsbewusstsein im Menschen hervorzuholen.
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Die Moderation ist dabei das Entscheidende?
Ja, das ist ein wichtiger Hinweis. Die Dynamic Faciliation Methode funktioniert so. (Hellrigl beginnt zu
Zeichnen) Die Leute sitzen in einem Halbkreis und der Moderator ist sehr prominent in der Mitte mit einem Flip
Chart, daneben stehen Pinwände, und der Moderator redet immer mit einer Person. Es ist keine Diskussion. Es
ist eine sehr ungewohnte Situation, aber die Leute checken sehr schnell wie es funktioniert. Zuerst fragt der
Moderator in die Runde, was sind Themen die euch beschäftigen und vielleicht gibt es jemanden der wirklich
etwas auf der Leber hat, wie die Busse kommen nicht, es gibt immer einen Stau, wenn die Schüler über den
Zebrastreifen gehen usw. Und der Moderator/die Moderatorin tritt mit der Person, die scheinbar am meisten
Energie einbringt in einen Dialog und schreibt alles auf und sortiert es nach den vier Kriterien, Problem, Lösung,
Bedenken oder Daten, Fakten. In dem sich der Moderator dieser Person widmet und das Scheinwerferlicht auf
leuchtet, hören alle auf denjenigen und es ist für viele eine neue Erfahrung. Der Moderator/die Moderatorin
schützt diese Person, damit sie frei ihre Meinung äußern kann. Es ist wichtig, dass es authentisch ist und von
Herzen kommt und ernst gemeint ist. Dabei ist es egal in welche der vier Kategorien es gehört. Sobald die
Person befreit ist von dem, und alles raus lassen konnte, schaut der Moderator /die Moderatorin in die Rund und
bei jemandem platzt der Kragen, weil er findet, dass es ein völliger Blödsinn ist, was dieseR gerade gesagt hat
oder sie/er bestätigt das oder hat eine Lösung. Der Moderator vermerkt das und macht die Gruppe darauf
aufmerksam, wendet sich an die Gruppe und sagt, der erste hat eine Herausforderung/Problem formuliert und sie
hat eine Lösung dafür. Und dann schreibt man die Lösung hin und jetzt kann jemand einen Einwand zur Lösung
und ein Bedenken äußern. Und durch diesen Prozess wird das ganz transparent, wie das Gespräch läuft und das
Verblüffende ist, dass irgendwann kommt in dem Gespräch ein Punkt, wo es still wird. Das ist meist kurz vor
dem Durchbruch, kurz bevor man zum Kern des Problems kommt oder man wechselt die Ebene, weil man
erkennt es geht um etwas ganz anderes. Man redet über etwas, aber eigentlich geht es um etwas ganz anders und
über das reden wir nicht, weil wir das Gefühl haben, es ist etwas zu groß es ist zu heikel. Aber eigentlich
müssten wir über das reden. Es ist faszinierend zu spüren, was dabei abgeht. Irgendwann kommt man auf den
Kern der Sache, das eigentliche Problem. Und dann findet man meist eine Lösung. Was mich dabei wieder
verblüfft, Sie merken schon es ist sehr emotional, viel Staunen bei der ganzen Arbeit, viel Lernen, man kann
hergehen und alle Herausforderungen, die bis dato formuliert worden sind, anschauen und es prüfen mit der
Lösung und man kommt darauf, dass alles mit der Lösung abgehakt ist. Erstaunlich. Aus meiner Sicht ein sehr
kostbares und wertvolles Verfahren. Und das ist der Grund, warum ich sehr viel Zeit und Energie investiere. Wir
stehen ja ganz am Anfang, das will auch dazu sagen. Wir haben 2006 den BürgerInnenrat in Wolfurt gemacht
und dann ist es immer noch lange gegangen die nächste Gemeinde zu finden. Wolfurt sagt zwar, sie würden
gerne weiter machen, doch sie haben nicht weitergemacht. Es hat sich dann Bregenz weiter interessiert dafür und
da haben wir jetzt den Auftrag eine ganze Serie von BürgerInnenräten zu machen. Wir haben mittlerweile auch
einen Mütterrat gemacht in einem eigenen Spezialformat. Und jetzt kommen so langsam die Anfragen. Jetzt
haben wir einen regionalen BürgerInnenrat geplant im Großen Walsertal und es gibt noch andere Gemeinden die
Interesse gezeigt haben. Ich habe das Gefühl, es kommt jetzt mehr und mehr auf. Aber es sind immer noch sehr
viele Fragen offen. Es gibt Ängste von Seiten der Politik: Was kommt dabei raus? Was machen wir mit den
Ergebnissen? Wie gehen wir verantwortungsvoll damit um? Und das Ziel dabei ist, dass der BürgerInnenrat
wirklich das System in Resonanz versetzt. Wie schaffen wir das? Momentan haben wir noch nicht so eine breite
Öffentlichkeit angesprochen. In Wolfurt haben wir es eigentlich gut umgesetzt, wir haben eine Präsentation vor
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gut 250 Personen gehalten. In Bregenz fehlt diese öffentliche Wahrnehmung noch. Wir sind dabei noch viel am
experimentieren und brauchen noch Zeit um Erfahrungen zu sammeln.
Neben Ihnen waren Kerstin Klingenschmid und Michael Stabodin die ModeratorInnen in Wolfurt. Wie
sind Sie auf diese gekommen?
Ich habe beide gekannt vorher. Die Kerstin hat bei uns ein Praktikum gemacht und an der FH studiert und dann
Dynamic Faciliation als Diplomarbeitsthema ausgewählt. Ich habe zu ihr gesagt, wenn du die Diplomarbeit
darüber schreibst, mach doch auch die Ausbildung bei Jim Rough. Und das hat sie dann auch gemacht. Und ich
habe ihr angeboten auch beim Wolfurter BürgerInnenrat mit zu moderieren.
Michael Stabodin ist auch kein Unbekannter. Er leitet, oder ist Mitarbeiter, des Umweltressort in Götzis und wir
haben seit vielen Jahren immer wieder mit ihm zu tun gehabt. Und er ist der Lebensgefährte von Kerstin und er
hat auch die Ausbildung, die Schulung bei Rough gemacht. Es waren also beide dafür ausgebildet und deshalb
habe ich sie mitgenommen. Und auch weil ich gewusst habe, wir werden das nicht alles selber machen können.
Es ist nicht das Ziel, dass wir alle Veranstaltungen moderieren. Wenn es in die Breite gehen würde und viele
BürgerInnenräte stattfinden würden braucht es professionelle ModeratorInnen die zur Verfügung stehen.
Haben in Wolfurt alle drei moderiert?
Hauptsächlich habe ich moderiert. Kerstin hat einmal kurz angefangen und dann habe ich wieder übernommen.
Und Michael hat besonders unterstützend gewirkt. Er hat die ganze Dokumentation gemacht. Sie waren beide bei
der Vorbereitung besonders aktiv. Sie haben sich um die organisatorischen Dinge gekümmert und um die
Dokumentation. Moderiert habe hauptsächlich ich. Man muss aber dazu sagen, ich habe es unterschätzt. Man
kann nicht einfach einen Wisdom Council oder einen BürgerInnenrat moderieren, nur weil man die Methode
kennt. Man muss sehr viel Erfahrung haben. Und besonders nicht nur Moderationserfahrung, sondern auch die
(Wort fehltl) Erfahrung. Es ist wirklich ein spezielles Verfahren. Viele Leute tun sich sehr schwer die konkreten
Statements zuzuordnen. Ist es ein Bedenken oder ist die Herausforderung neu definiert? Es ist gar nicht immer so
einfach. Nach dem Rat habe ich mir drei Personen gesucht, die sehr viel Moderationserfahrung haben (was
Kerstin und Michael nicht haben, sie haben beide andere Jobs), diese nach Frankfurt zur Ausbildung geschickt
und einen Teil davon bezahlt, damit wir mehr ModeratorInnen zur Verfügung haben. Und sogar diese tun sich
oft schwer beim Zuordnen.
Ich hätte noch einmal eine Frage zur Organisation, wie wurde diese zwischen Gemeinde und Land
aufgeteilt?
Wir haben es uns aufgeteilt. Bei den ersten BürgerInnenräte… Und eigentlich ist es heute noch so, dass wir
einen sehr hohen Organisationsaufwand haben. Wir entwickeln jetzt gerade ein Handbuch. Es gibt ein Toolbook
vom Jim Rough, das als Hilfestellung dient bei der Organisation von Wisdom Councils. Aus dem heraus haben
wir ein eigenes Handbuch entwickelt, wie man einen BürgerInnenrat organisiert und das Ziel dabei ist, dass wir
so gute Unterlagen zur Verfügung stellten, dass die Gemeinden einen Rat selber organisieren können. Der heikle
Punkt ist sicherlich die Auswahl der TeilnehmerInnen. Es ist ähnlich wie bei der Auswahl von Schöffen. Man
geht her und nimmt aus dem Wählerverzeichnis nach dem Zufallsprinzip einzelne Personen heraus. Diese
bekommen einen Brief vom Bürgermeister/von der Bürgermeisterin, in Wolfurt sind sie sogar angerufen worden,
was in Bregenz nicht möglich ist, da hat der Bürgermeister zu viel um die Ohren. Aber der grundsätzliche
Ablauf ist der, dass die TeilnehmerInnen einen persönlichen Brief von dem/der BürgermeisterIn bekommen mit
der Einladung am BürgerInnenrat teilzunehmen. Wir haben dabei sehr unterschiedliche Rücklaufquoten. In
Wolfurt, durch die persönlichen Anrufe des Bürgermeisters, haben fast alle zugesagt. In Bregenz haben wir
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gemerkt, wir brauchen ungefähr 100 Adressen, um auf die zwölf bis 16 Personen zu kommen. Wir sammeln aber
dabei noch Erfahrungen. Im Großen Walsertal sind wir gerade dabei einzuladen. Es ist Almabtrieb und äußerst
schwierig Personen zu finden. Bei den Bürgergutachten/Planungszellen war gerade Wintersaison und somit
fallen alle Tourismusgebiete aus. Es ist also entscheidend auch den richtigen Zeitpunkt für die jeweilige
Gemeinde oder Region zu finden, bei dem viele Personen Zeit haben.
Welche Kriterien sind bei der Auswahl vorgegeben?
Alter, Geschlecht, soziale Schicht. Das war damals in Wolfurt ausschlaggebend und wir wollten es auch genau
umsetzen. Rough hat gemeint spart euch das. Wir wollten aber nicht nur Hausbesitzer haben und nicht nur Leute,
die in Mietwohnungen leben. Deswegen das Kriterium, damit es ein wenig gemischt ist. Damit haben wir auch
verschiedene Schichten im Rat gehabt.
Was mir aufgefallen ist, rein von den Namen her, war in Wolfurt niemand aus der
Zugewandertengesellschaft, keine MIgrantInnen vertreten. Stimmt das?
Da bin ich mir jetzt nicht sicher. Wir schauen eigentlich immer, dass wir auch ein, zwei Personen mit
migrantischem Hintergrund dabei haben. Ich kann mich erinnern, in Wolfurt war sicher einer dabei, aber der hat
die ganze Zeit nichts gesagt. Das ist manchmal ein Problem, ich will mich jetzt nicht negativ äußern, aber ich
hatte das Gefühl, er hatte die Sprache nicht soweit im Griff dem Ganzen ausreichend zu folgen. Dem war das
sicherlich zu hefig was da abgegangen ist.
Bei den BürgerInnengutachten in Bregenz waren sehr viele mit migrantischem Hintergrund dabei. Es gab sehr
große Unterschiede. Viele hatten überhaupt kein Problem mit der Sprache und andere die größte Mühe. Aber es
gibt ähnliche Probleme bei der einheimischen Bevölkerung.
Ein totales Phänomen ist auch bei älteren Frauen, dass diese sagen: Fragen sie meinen Mann der kennt sich da
besser aus. Da muss man sie oft ermutigen, damit sie ihre eigene Meinung zu einem Thema sagen. Wir schreiben
das auch in die Einladung, dass keine besonderen Vorkenntnisse nötig sind und jeder geeignet ist.
Sie haben mir gesagt, dass nach Jim Rough, das Ergebnis gar nicht repräsentativ sein muss. Wie meint er
dass?
Es ist gar nicht so einfach zu verstehen. Stellen sie sich einmal vor, sie greifen mit der Zufallsauswahl völlig
daneben. Nehmen wir ein Extrembeispiel: Sie haben zwölf tschetschenische Asylanten, die ausgewählt werden
für ein BürgerInnengutachten einer ländlichen Gemeinde. Unwahrscheinlicher Fall, aber nehmen wir an es
würde passieren.
Das Ergebnis hätte sicherlich nicht die Akzeptanz in der breiten Bevölkerung!?
Nein. Dem Rough wäre das egal. Ich formuliere jetzt überspitzt, aber alle wohnen in der Gemeinde und haben
ihre eigene Sicht der Dinge. Und jemanden eine Plattform zu bieten, in der sie ihre Sicht der Dinge einmal
transportieren kann, sich ausdrücken kann, das betrachtet er als wertvoll genug, um diesen die Chance zu geben.
Und das muss nicht repräsentativ sein. Wir haben auch gedacht es wird ein Microkosmos abgebildet, aber es
geht mehr um den Dialog. Jemandem eine Stimme zu verleihen und ihn zu hören und sich dann damit
auseinander zusetzen. Sie haben dann immer noch das Recht zu sagen, es ist ein Topfen und damit kann ich
nichts anfangen. Ich habe eine andere Meinung. Es hat ja keine legale Folge, es ist ja kein
Entscheidungsgremium. Es werden keine Beschlüsse gefasst. Und ich habe den Eindruck, dass die
TeilnehmerInnen es auch nicht vermissen. Es ist erstaunlich mit was für einer Begeisterung die Leute dabei sind
und wie sie im Nachhinein über die Räte reden. Wir evaluieren das auch immer und ich kann ihnen das gerne zur
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Verfügung stellen. Die TeilnehmerInnen sagen durch die Bank, sie würden wieder teilnehmen, sie würden es
auch ihren Freunden und Verwandten empfehlen an einem BürgerInnenrat teilzunehmen.
Also nur positive Rückmeldungen von Seiten der TeilnehmerInnen?
Fast ausschließlich positive Rückmeldungen.
Wie waren die Rückmeldungen von Seiten der Gemeinde in Wolfurt?
Ich würde ihnen empfehlen mit dem Bürgermeister zu reden. Aber was er bei der Veranstaltung gesagt hat, er ist
20 bis 25 Jahre schon im Geschäft, war, dass er beeindruckt war, wie effektiv das Verfahren ist. Das es möglich
ist mittels Zufallsauswahl innerhalb von eineinhalb Tagen so grundlegende Antworten zu bekommen, dass war
für uns alle erstaunlich, inklusive Bürgermeister. Das heißt aber nicht, dass es keine kritischen Rückmeldungen
gegeben hat. Was wir immer wieder merken ist, dass die VertreterInnen der repräsentativen Demokratie mit
solchen Beteiligungsverfahren oft Schwierigkeiten haben. Der klassische Einwand, oder Befürchtung, Sorge,
Bedenken ist: Wozu braucht es uns dann noch. Sie haben oft Angst, es könnte sie überflüssig machen. Obwohl
wir immer Wert darauf legen zu betonen, dass der BürgerInnenrat keine fixe Einrichtung ist und es kein
Parlament oder ein Gemeinderat ist. Es ist eine interessante Ergänzung, eine temporäre Geschichte. Ich bin
überzeugt, dass der BürgerInnenrat ein Schlüsselinstrument für politische Bildung sein könnte. Mit den
klassischen Kampagnen werden wir die Menschen nicht zur Wahlurne bringen können. Und ich glaube auch
nicht, dass es damit getan wäre, sie alle vier fünf Jahre zur Wahl zu bringen. Auf diese Art und Weise (durch den
Rat) gelingt es Menschen auf eine sehr positive, konstruktive Art zu politisieren. Ohne, dass das missbraucht
wird oder ein Kalkül dahinter steckt, sie zu manipulieren. Es geht darum Menschen zu begeistern, sie an
Prozessen zu beteiligen und sie merken dabei, dass sie ExpertInnen sind.
Ich bin sehr euphorisch und enthusiastisch, ich muss sagen das Verfahren hat mich sehr überzeugt.
Wie schaut es denn aus mit der Umsetzung in der Praxis in Wolfurt hat es ja nur einen BürgerInnenrat
gegeben. Der Bürgermeister war begeistert!? Wissen Sie warum es nicht zu weiteren Räten gekommen ist,
so wie es auch geplant war?
Zunächst einmal es hat Folgen gehabt. Aufgrund des Rates hat man eigene Gruppen gemacht, wo man diese
Ergebnisse eingespeist hat in den Leitbildprozess. Meiner Ansicht nach war das OK, was die
Ergebnisverwertung anbelangt hat. Da waren wir in Bregenz nicht so weit.
Jetzt hat das Eingang gefunden in das Leitbild von Wolfurt, doch ist das ganze eine sehr grobe Vorgabe
und die Politik muss sich nicht daran halten bzw. es ist schwer zu kontrollieren, ob sie sich daran hält.
Wird wirklich Macht abgegeben an die Öffentlichkeit? Natürlich ist der Prozess an sich für die Beteiligten
gut, aber in wie weit beeinflussen Sie damit auch die Politik?
Was für ein Nutzen glauben sie hat Beteiligung? Was meinen Sie?
Legitimität einmal als größter Faktor und Effizienz. Glaube ich.
Ich habe meine eigene Theorie dazu. Es gibt zwei Typen von Politikern, schwarz weiß dargestellt. Sehr
vereinfacht. Es gibt den klassischen Politiker, der sehr machtorientiert arbeitet, ein wenig patriarchalisch,
hierarchisch strukturiert ist und der versucht, sein Geschäft zu kontrollieren. Das ist legitim. Ich möchte jetzt
nicht einmal sagen, dass der nicht in der besten Absicht handelt. Er will etwas für das Wohl der Gemeinde tun.
Er ist in eine bestimmte Art sozialisiert worden und überträgt das System in seine politische Arbeit. Das wäre der
klassische Ortskaiser. Der alle kennt und weiß, wie die Fäden laufen. Und er spielt das Spiel mehr oder weniger
auch weiter aus. Ich glaube, dass diese Art von Politiker eher eine bedrohte Art ist und der es immer schwieriger
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hat, zu überleben. Weil die Gesellschaft eben so an Vielfalt zunimmt und es für ihn immer schwieriger wird das
Spiel unter Kontrolle zu halten, weil er nicht mehr weiß, wie sich die Dynamik entwickelt.
Es gibt einen neuen Typus von Politiker oder PolitikerIn, der/die eher moderiert, der/die nicht so der/die
MacherIn ist, sondern eher der/die KoordinatorIn. Erwin Mohr67 ist für mich so ein Beispiel. Ein Politiker der
versucht, die Strömungen aufzunehmen, die da sind und mit ihnen zu arbeiten und nicht gegen sie. Und da bietet
Partizipation die Möglichkeit in Kontakt zu treten und es ist nicht nur eine Legitimation für mein eigenes
Handeln, sondern es erhöht auch die Qualität der Lösung und die Akzeptanz der Lösung. Und ein Problem, das
wir heute haben, ist dass wir vor grundlegenden Fragen stehen. Wo fangen wir an? Klimawandel,
demographischer Wandel, Globalisierung, die Liste ist endlos. Und meist ist die Fragestellung recht komplex
und es ist schwierig einen Konsens herzustellen. Eigentlich wären die Lösungen ja nicht schwierig. Aber wie
gelingt es diese herauszubekommen? Zum Beispiel glaube ich, wir könnten einen Großteil unser Klimaprobleme
lösen, wenn wir unsere Energiepreise in die Höhe setzen würden. Aber wer wählt eineN PolitikerIn, der/die auf
diese Idee kommt. Und da steckt man im Dilemma des kollektiven Handelns. Kann ich das fordern, was
eigentlich notwendig wäre? Kann einE PolitikerIn das fordern? In vielen Fällen wäre das politischer Selbstmord.
Und da steht das politische System vor einer unglaublich spannenden Herausforderung. Die Lösung ist meiner
Meinung nach nicht auf der ideologisch programmatischen Ebene zu suchen, sondern liegt eigentlich in diesen
Beteiligungsverfahren, in dem den Menschen Verantwortung übergeben wird. Ich würde es nicht nur auf diese
Frage reduzieren, ob der Politiker bereit ist Macht abzugeben. Wenn ich es auf der Ebene sehe, kommen dann so
Beteiligungsverfahren heraus, bei denen ich nicht so begeistert bin, die rein auf Befragungen hinaus laufen und
am Ende nicht viel dabei herauskommt. Das Kunststück besteht also darin, die besseren Lösungen zu finden. Da
müssen viele Politiker über ihren Schatten hinaus springen, weil man in ein offenes Verfahren hinein geht, das
er/sie nicht kontrollieren kann und er/sie nicht weiß, was dabei herauskommt. Das ist ganz eine große Hürde und
ganz eine große Herausforderung und deswegen glaube ich auch, dass es noch länger gehen wird bis man da
wirklich einen Durchbruch findet. Es ist jetzt schon einmal viel, dass wir experimentieren dürfen, dass wir die
Dinge ausprobieren können und Erfahrungen sammeln. Aber wir sind ganz am Anfang.
Wie wäre es möglich, dass man einen BürgerInnenrat auch einem/einer PolitikerIn der alten Schule näher
bringt? Wie kann man ihn/sie davon überzeugen?
Ich glaube dass ein Gemeinwesen, das sich dem BürgerInnenrat bedient, besser fahren wird. Es wird
erfolgreicher sein. Das ist eine Hypothese. Im politischen Wettbewerb wird sich das schnell herumsprechen. Wir
haben ja auch einen Newsletter, wo wir so Sachen auch publizieren. Und da merke ich, es wird diskutiert in den
Gemeindestuben oder mit dem/der BürgermeisterIn. Es sind ganz bestimmt Personen, die sich jetzt an uns
wenden. Da gibt es eine interessante Entwicklung . Wir haben eine Landtagsanfrage von der FPÖ bekommen, in
der sie wissen wollten, wie es mit Partizipation im Land aussieht. Und über diese Anfrage, die wir zur
Beantwortung bekommen haben, haben wir auch den Auftrag bekommen, was gibt es eigentlich an Partizipation,
auf der Gemeindeebene, in der Verwaltung, auf Landesebene und aus dem heraus möchten wir eine
Weiterbildung konstruieren oder anbieten, weil wir einfach merken es besteht ein großer Bildungsbedarf bei den
verschiedenen Stellen. Vielleicht kann man damit auch externe dritte Anbieter positionieren, die den Standpunkt
vertreten diese Verfahren müssen von neutralen Stellen angeboten werden. Und da kommt jetzt wirklich etwas in
67 Erwin Mohr ist langjähriger Bürgermeister der Gemeine Wolfurt
141
Bewegung. Ich bin mir aber sicher Partizipation wird sich nicht durchsetzten, weil es ethisch überlegen ist,
sondern weil es effektiver ist. Und dabei ist mir auch am wohlsten, wenn es sich deswegen durchsetzt.
Wie sieht es mit der Medienresonanz aus? Gab es viele Berichterstattungen in den lokalen Medien?
Also ich muss diese übersehen haben. Aber der Fairness halber muss ich sagen, dass die Gemeinden gar nicht
groß die Werbetrommel gerührt hat, weil ja niemand gewusst hat, was dabei rauskommt. Und man wird so etwas
nicht an die große Glocke hängen, wenn die Gefahr da ist, dass es floppt und nichts dabei raus kommt.
Aber im Nachhinein, als man gesehen hatte es funktioniert und kommt sehr gut an, hat es da Berichte
gegeben?
Ich persönlich habe den Verdacht, die Medien, nennen wir es beim Namen, die VN und der ORF, die haben ihre
eigenen Formate, wo sie mit BürgerInnenforen arbeiten und sich fast ein wenig konkurrenzieren. Ich vermute,
dass sie jetzt nicht so begeistert sind über die BürgerInnenräte, weil sie da sogar Konkurrenz zu ihren eigenen
Aktivitäten sehen. Vielleicht ist das auch eine Erklärung, warum da nicht berichtet worden ist. Ich habe kein
Problem damit, das passt schon so.
Von der ÖGUT haben wir einen Preis gewonnen für das Verfahren. Wir haben dabei die ÖGUT-Einreichung für
Wolfurt gemacht, weil wir das Jahr davor bereits einen Preis gewonnen haben und hatten das Gefühl wir können
nicht schon wieder etwas einreichen und haben für Wolfurt die ganzen Formulare und der Gleichen ausgefüllt.
Und Wolfurt hat dann auch wirklich den ersten Preis gewonnen.
Die Finanzen würden mich auch interessieren, die Kosten wurden ja aufgeteilt zwischen Wolfurt und dem
Land. Wie hoch sind den die Kosten für einen BürgerInnenrat?
Das sind Peanuts. Eigentlich reicht einE ModeratorIn. Wir arbeiten nur jetzt mit zwei drei ModeratorInnen,
damit möglichst schnell viele Leute Erfahrung sammeln können. Wir sind überzeugt, dass es schnell Nachfrage
geben wird und somit versuchen wir Leute entsprechen auszubilden. Im Prinzip reicht einE ModeratorIn, der/die
hat einen Tagessatz zwischen 1000 und 1500 Euro. Und ich glaube wir haben uns geeinigt, dass die
ModeratorInnen für 1100 Euro arbeiten. Da kann man sich ausrechnen, es sind eineinhalb Tage, wie viel es
ausmacht. Ich kann es ihnen schnell heraussuchen.
Kosten entstehen für die Räumlichkeiten, dabei fällt oft gar nichts an, weil die Gemeinde ja ohnehin einen
Gemeindesaal oder dergleichen hat. Die BürgerInnen werden zu einem Mittagessen eingeladen. Das sind 15 bis
20 Euro pro Person. Also da kommen wir auf 200 bis 300 Euro. Die Moderation macht in Summe im Höchstfall
2000 Euro aus. Wenn man jetzt einmal den ganzen organisatorischen Aufwand, Auswahl, Einladung, usw.,
außer Acht lässt, dann hat man mit effektiven Kosten in der Größenordnung von ca. 3000 Euro zu rechnen. Das
kostet ein BürgerInnenrat. Jetzt kommt noch die Präsentationsveranstaltung dazu, dabei kommt es darauf an, in
welchem Rahmen man das macht. Normalerweise kostet das auch nicht wirklich etwas. Die Kosten sind
eigentlich minimal.
Gibt es auch Ansätze zu sagen man entschädigt die BürgerInnen für die Zeit die diese aufbringen? Auch
um die Rücklaufquote zu erhöhen?
Also wir haben darüber nachgedacht. Es wäre ja kein Problem, den Bürgerinnen und Bürgern auch etwas zu
zahlen. Auf diese 1500 Euro kommt es dann auch nicht mehr drauf an. Man gibt allen TeilnehmerInnen einen
Hunderter. Aber wir haben gesagt, das wollen wir nicht. Das ist ein Dienst an der Gemeinschaft und das ist
unbezahlbar. Es wäre eigentlich eine Abwertung den Leuten einen Hunderter in die Hand zu drücken. Worüber
wir reden können ist Kinderbetreuung, die wir anbieten wenn es gewünscht ist, Transport, dass wir, wenn
142
jemand gebrechlich ist, oder abgelegen wohnt, wir sie/ihn abholen und wieder nach Hause bringen, oder
spezielle Essenswünsche, Diäten usw. Über das können wir alles reden. Gar kein Problem. Aber die Leistung ist
unbezahlbar und das ist auch wichtig. Es sollte nicht damit abgegolten sein, in dem man der Person ein Geld
gibt, sondern es ist wirklich unbezahlbar.
Stellt das somit auch eine erste Auswahl der TeilnehmerInnen dar?
Genau. Wenn jemand nur kommen würde, um die Hundert Euro zu bekommen, das wär nicht im Sinne des
Rates.
Wie sind den die Kosten zwischen Land und Gemeinde aufgeteilt worden und auf welcher rechtlichen
Grundlage bezahlt das Büro für Zukunftsfragen solche BürgerInnenräte? Wie hoch ist das entsprechende
Budget?
Ich kann Ihnen das alles der Reihe nach beantworten. Ich habe dieses Jahr für BürgerInnenräte 15.000 Euro
budgetiert. Das ist von unserer Seite dafür vorgesehen. Das war im letzten Jahr viel weniger. Wie wir es nächstes
Jahr machen werden hängt von den Erfahrungen ab, die wir heuer damit machen. Wir sind relativ flexibel, wir
machen eine Leistungsvereinbarung mit der Regierung darüber, was das Zukunftsbüro überhaupt macht. Und
dann bin ich sehr flexibel, in dem was ich wirklich mache. Wenn ich merke, etwas das wir vorgesehen haben
läuft nicht wirklich, dann streich ich das. Ich kann auch für den BürgerInnenrat 30.000 Euro ausgeben, wenn ich
das Gefühl habe, man muss investieren. Auch umgekehrt, wenn ich merke wir haben auf das falsche Pferd
gesetzt, dann stoppen wir das. Auch wenn da 15.000 im Budget steht, muss ich das nicht ausgeben und nehme
das Geld für etwas Anderes her. Von einer Stelle wie uns erwartet man, dass wir sehr flexibel sind. Wir sind
keine klassische Verwaltungseinheit.
Uns ist auch wichtig, dass die Gemeinde etwas bezahlt. Wir könnten das ja auch alles selber zahlen, aber es wäre
nicht gut. Es ist ähnlich wie mit den TeilnehmerInnen des Rates. Wenn die Gemeinden das alles nachgeworfen
kriegen, dann schätzen sie es weniger. Für uns ist das wichtigste, dass die Ergebnisse ernst genommen werden.
(Hellrigl sucht nach Dokumenten)
Hier ist noch einmal erklärt, wie alles funktioniert, was hinter dem BürgerInnenrat steht. Hier sieht man, wie sich
die Kosten zusammensetzen.
Wo sehen Sie die größten Probleme bei der Umsetzung? Gibt es starke Manipulationsgefahren durch die
Moderation?
Ich will das nicht ausschließen. Es wäre unseriöse, wenn ich sagen würde, dass das nicht stattfindet. Allerdings
glaube ich, ist es eine geringe Gefahr. Das Hauptproblem liegt mehr darin, dass es zu einem BürgerInnenrat
kommt. Wenn es einen BürgerInnenrat gibt, ist das nächste Problem, dass das Ergebnis wertgeschätzt wird. Und
dabei sehe ich gar nicht so sehr das Problem, dass die Politik zu wenig aufnahmebereit wäre, sondern das
Kunststück ist eigentlich, dass es zu einer anderen Kultur in der Gemeinde kommt. Es geht nicht um den
einzelnen BürgerInnenrat, sonder dass er zu einem System wird, das fortlaufend angewendet wird. Und das
Etablieren ist schwierig und die eigentliche Aufgabe. Man kennt es nicht, es ist ungewohnt und wir müssen
zuerst Erfahrungen sammeln. Deshalb bin ich froh, dass wir in Bregenz die Möglichkeit haben eine ganze Serie
von Räten zu machen. Bregenz hat sechs BürgerInnenräte bestellt und wir können wirklich einmal Erfahrungen
machen und etwas ausprobieren. Das Kunstwerk für uns ist auch, wie wir die Ergebnisse an die Öffentlichkeit
bringen. Wie schaffen wir es, dass die Öffentlichkeit sich mit den Ergebnissen beschäftigt? Wie kommen wir in
143
die Medien damit? Aber das ist mir eigentlich auch noch zu wenig. Ich will, dass es zum Tagesgespräch wird.
Da steckt ja so viel Stoff darin. Der Bregenzer BürgerInnenrat hat als ein Ergebnis hervorgebracht, dass man das
GWL [Einkaufszentrum] sprengen sollte. Das klingt jetzt sehr heftig, aber ich habe lange darüber nachgedacht
und wenn sie mit den BürgerInnen in Bregenz reden, dann sind sich alle einig, dass es architektonisch nicht ins
Stadtzentrum passt. Es ist eine Bausünde aus den siebziger Jahren. Es wagt sich keinE InteressensvertreterIn das
öffentlich zu äußern. Und das ist gleichzeitig die große Stärke von so einem Verfahren, dass Dinge ins
Bewusstsein bringt, die sonst gerne einmal verdrängt werden. Ich denke mir also: 1. Problem. Der
BürgerInnenrat wird gar nicht gemacht 2. Problem. Wie erreicht man, dass es nicht nur bei den Leuten bleibt, die
da zusammengekommen sind. Dass es auch in der Gemeinde diskutiert wird. Das sind die zwei größten
Herausforderungen. Im schlimmsten Falle war es für die zwölf Leute, die zusammengekommen sind, eine ganz
tiefe Erfahrung. Auch wenn es sonst nichts bringt, für die zwölf war es eine gut investierte Zeit.
Wäre also eine Institutionalisierung mit zwei bis drei BürgerInnenräten in einer Gemeinde pro Jahr ein
erstrebenswertes Ziel?
Ja und Nein. Wenn sie Jim Rough fragen, und das ist gleichzeitig wo er an seine Grenzen stößt, ist das so. Sein
Traum wäre, ein Rat der von den BürgerInnen selbst initiiert wird, um sich Luft zu verschaffen, um sich zu
artikulieren, und der sich erwartet, dass das politische System das aufnimmt und damit arbeitet. Das ist eine
emanzipatorische Leistung der BürgerInnen. Ich teile zwar die Begeisterung für die Vision, doch ich bin da zu
pragmatisch, als dass ich glaube, dass das funktioniert. Vielleicht später einmal, aber jetzt ist es wichtig, dass
Regierungen solche Dinge aufnehmen und zum Leben bringen. So sehr ich auch die Gefahr sehe, dass das
missbraucht werden könnte. Jim Rough war sich am Anfang gar nicht sicher, ob es gut ist, wenn eine Gemeinde
oder Landesregierung Promotor ist. Da braucht es viel Fingerspitzengefühl. Für mich ist ein wichtiger Punkt,
was wir bisher auch immer eingehalten haben, dass wir die BürgerInnen entscheiden lassen über was sie reden.
Wir haben es ein wenig verlassen mit dem Mütterrat. Das dürfte man nicht unbedingt so machen nach der reinen
Lehre von Jim. Wir sind in ständigem Austausch, wir telefonieren oft miteinander und er sieht, dass es kaum
einen Ort gibt, in dem es sich so entwickelt wie jetzt in Vorarlberg. Beim Mütterrat wollte die Regierung wissen,
wie geht es eigentlich Müttern mit drei und mehr Kindern. Jetzt hätte man eine Studie machen können, dann
wartet man ein Jahr auf ein Ergebnis und es kostet viel Geld und man weiß nicht, ob ein brauchbares Ergebnis
heraus kommt. Wir haben also 20 Mütter eingeladen, zwei Tage konnten wir aus Zeitmangel nicht machen, das
war unmöglich für die Mütter. So haben wir das Format auf vier Stunden reduziert. Freitag Nachmittag mit
Kinderbetreuung. Und auch da waren die Ergebnisse hoch interessant. Erstaunlich was in so einer kurzen Zeit
heraus kommt.
Genauer vorgegeben war dabei das Thema auch nicht oder?
Ein bisschen schon, weil wir wissen wollten, wie es ihnen als Mütter geht. Alles andere war zweitrangig und hat
uns nicht so interessiert.
Worauf wir gekommen sind ist, dass der klassische top-down Ansatz, der immer mehr an die Grenzen gerät,
nicht einfach durch ein botton-up Ansatz abgesetzt werden kann. Oder zumindest nur kurzfristig. Viele Leute
interessieren sich nicht für Politik und das Thema und schon gar nicht dauerhaft. Sie wollen vielleicht punktuell
einmal dabei sein, aber nicht längerfristig. Selbstverwaltete Betriebe, war beispielsweise ein Thema als ich in
Ihrem Alter war und es war ernüchternd zu sehen, dass Leute einfach nur arbeiten und ihr Geld wollen und nicht
interessiert waren an einer Selbstorganisation. Und über die Geschichte mit dem Wisdom Council sind wir
darauf gekommen, dass es da noch etwas anderes gibt, nämlich nicht nur botton-up oder top-down, sondern es
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gibt den Dialog auf Augenhöhe. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen
Hintergründen zusammenkommen. Bildungsschicht, Geschlecht, was auch immer. Die Erklärung, wieso das so
wichtig ist, liegt in der Zusammensetzung, durch die man sich ein besseres Bild von der Wirklichkeit machen
kann. Jeder bringt ein bisschen Wahrheit/Wirklichkeit mit. Niemand hat sie gepachtet, keiner weiß es. Weder er
noch wir, keiner weiß, wie die Lösung aussieht. Erst durch das Gespräch miteinander und den Austausch wird
das Bild vollständiger. Und da geschieht beinahe etwas Magisches, wenn unterschiedliche Menschen an einem
Tisch sitzen und miteinander reden. Das ist der Kern des BürgerInnenrates und von allen partizipativen
Verfahren. Und diesen Kern bekommt man nicht, wenn man einfach nur eine Befragung macht. Die Weisheit der
Vielen.
4. Zusammenfassung des Telefonats mit Bürgermeister Erwin Mohr vom 26.
Sepeptember 2008
Im Rahmen der Leitbilderstellung wurde die Idee zum BürgerInnenrat vorgebracht. Die Legitimation erfolgte
also im Rahmen dieses Prozesses. Es gab keinen Beschluss im Gemeinderat zur Durchführung.
Beeindruckend sind die Ergebnisse des BürgerInnenrates. In zwei Tagen kam diese Fokusgruppe zu den gleichen
oder sehr ähnlichen Ergebnissen, wie die des eineinhalb Jahre langen Leitbildprozess mit sehr viel mehr
involvierten Personen. Die Erkenntnisse waren fast deckungsgleich.
In den Medien wurde über den BürgerInnenrat nicht besonders stark berichtet. In den Vorarlberger Nachrichten
und natürlich im Gemeindeblatt erschien jeweils ein Bericht.
Negative Rückmeldungen gab es keine, weder von Seiten des Gemeinderates, noch von der Bevölkerung. Es gab
jedoch mehrere BürgerInnen, die wissen wollten, was ein BürgerInnenrat ist und welche Funktion er hat.
Keinen weitere BürgerInnenrat gab es nur noch nicht, weil derzeit an einem neuen Widmungsplan gearbeitet
wird und dabei sich der Rat weniger anbietet und ein eigenes Büro beauftragt wurde, die auch mit
Bevölkerungsbeteiligung arbeiten. Der geplante BürgerInnenrat zum Thema Integration ist auf das nächste Jahr
(2009) verschoben. Dabei sollen mindestens drei bis vier MigrantInnen unter den TeilnehmerInnen sein.
Es gibt auch eine Checkgruppe bestehend aus den ursprünglichen TeilneherInnen des abgehaltenen
BürgerInnenrates, die die Umsetzung des Leitbildes in der Politik kontrollieren sollen.
Bemühungen einen BürgerInnenrat der zwei bis drei Mal im Jahr stattfindet zu etablieren gibt es nicht. Es wird
eher Themen abhängig geschaut was sich anbietet. Heuer gibt es in Wolfurt z.B. eine BürgerInnengruppe die
zum Thema „Barriere freies Wolfurt“ zusammen kommt und sich berät. Diese Gruppe besteht aus zwei blinden
Personen, zwei Rollstuhlfahren, zwei Gehörlosen und zwei Fachexperten. Eine solche Zusammensetzung macht
hinsichtlich der Thematik mehr Sinn. Es wird also geschaut, wo sich der BürgerInnenrat anbietet und bei Bedarf
organisiert.
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Danksagung
Ich möchte mich herzlich bei Frau Prof. Erna Appelt bedanke, dass sie sich dazu bereit
erklärt hat meine Arbeit zu betreuen. Ihre kritischen Anregungen sowie ihr Lob halfen mir
und motivierten mich entscheidend bei der Bearbeitung des Themas.
Ein großer Dank gebührt auch meinen Interviewpartnern, die sich Zeit genommen haben mir
meine Fragen zu beantworten und dafür teilweise sogar ihre Freizeit opferten.
Bedanken will ich mich auch bei meiner Familie, besonders meinen Eltern, die mich stets
umfassend unterstützt und mich nie unter Druck gesetzt haben.
Auch möchte ich mich bei allen bedanken, die mir bei der Korrektur der Arbeit geholfen
haben, besonders bei meinem Vater.
Ebenso möchte ich mich bei all meinen Freunden bedanken, die mir über das gesamte
Studium hinweg Anregung, Motivation und Abwechslung boten.
Besonders möchte ich mich auch bei meiner Freundin, Giorgia, bedanken, für die vielen
liebevollen Aufmunterungen und Hinweise mich nicht selbst unnötig unter Druck zu setzen
sowie ihr ständiges Vertrauen in mich.
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Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre hiermit an Eides Statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit
selbständig angefertigt habe. Die aus fremden Quellen direkt oder indirekt
übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht.
Die Arbeit wurde bisher weder in gleicher noch in ähnlicher Form einer anderen
Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.
Innsbruck, Oktober 2008
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Lebenslauf
1984 29. Oktober 1984 Geburt in Feldkirch
1991 - 1995 Volksschule Rankweil
1995 - 1999 Sporthauptschule Rankweil
1999 - 2004 Höhere Lehranstalt für Tourismus in Bludenz
2004 Reifeprüfung/Touristikkaufmann
2004 Studium der Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck
2006/07 Erasmus-Sokrates Auslandssemester an der Loughborough University
in Großbritannien
2007 Praktikum im Europäischen Parlament bei Dr. Hans-Peter Martin
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