Steiner Voträge Über Erziehung Waldorfschule

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RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABE VORTRÄGE VORTRÄGE ÜBER ERZIEHUNG Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 1

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Grundlagen der Waldorfschule

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  • RUDOLF STEINER GESAMTAUSGABEVORTRGE

    VORTRGE BER ERZIEHUNG

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  • RUDOLF STEINER

    Idee und Praxisder Waldorfschule

    Neun Vortrge, eine Besprechungund Fragenbeantwortungen zwischen dem24. August 1919 und 29. Dezember 1920

    in verschiedenen Orten

    1998

    RUDOLF STEINER VERLAGDORNACH / SCHWEIZ

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  • Nach vom Vortragenden nicht durchgesehenen Nachschriftenherausgegeben von der Rudolf Steiner-Nachlaverwaltung

    Die Herausgabe besorgten Martina Maria Sam und Walter Kugler

    1. Auflage Gesamtausgabe Dornach 1998

    Bibliographie-Nr. 297Alle Rechte bei der Rudolf Steiner-Nachlaverwaltung, Dornach/Schweiz

    1998 by Rudolf Steiner-Nachlaverwaltung, Dornach/SchweizSatz: Rudolf Steiner Verlag / Bindung: Spinner GmbH, Ottersweier

    Printed in Germany by Konkordia Druck, BhlISBN 3-7274-2970-4

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  • Zu den Verffentlichungenaus dem Vortragswerk von Rudolf Steiner

    Die Gesamtausgabe der Werke Rudolf Steiners (1861-1925) gliedertsich in die drei groen Abteilungen: Schriften - Vortrge - Knst-lerisches Werk (siehe die bersicht am Schlu des Bandes).

    Von den in den Jahren 1900 bis 1924 sowohl ffentlich wie frdie Mitglieder der Theosophischen, spter AnthroposophischenGesellschaft frei gehaltenen Vortrgen und Kursen hatte RudolfSteiner ursprnglich nicht gewollt, da sie schriftlich festgehaltenwrden, da sie von ihm als mndliche, nicht zum Druck be-stimmte Mitteilungen gedacht waren. Nachdem aber zunehmendunvollstndige und fehlerhafte Hrernachschriften angefertigt undverbreitet wurden, sah er sich veranlat, das Nachschreiben zuregeln. Mit dieser Aufgabe betraute er Marie Steiner-von Sivers.Ihr oblag die Bestimmung der Stenographierenden, die Verwal-tung der Nachschriften und die fr die Herausgabe notwendigeDurchsicht der Texte. Da Rudolf Steiner nur in ganz wenigenFllen die Nachschriften selbst korrigieren hat, mu gegenberallen Vortragsverffentlichungen sein Vorbehalt bercksichtigtwerden: Es wird eben nur hingenommen werden mssen, dain den von mir nicht nachgesehenen Vorlagen sich Fehlerhaftesfindet.

    Nach dem Tode von Marie Steiner (1867-1948) wurde gemihren Richtlinien mit der Herausgabe einer Rudolf Steiner Ge-samtausgabe begonnen. Der vorliegende Band bildet einen Be-standteil dieser Gesamtausgabe. Soweit erforderlich, finden sichnhere Angaben zu den Textunterlagen am Beginn der Hinweise.

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  • INHALT

    Welche Gesichtspunkte liegen der Errichtung der Waldorf-schule zugrunde?Stuttgart, 24. August 1919 15

    Die bevorstehende Grndung der Waldorfschule als erster Schrittauf dem Wege zu einem freien Geistesleben. Die bisherige Abhn-gigkeit des Schulwesens vom Staat. Die Herrschaft der Phrase unddas Aneinandervorbeireden; ein Beispiel aus der Pdagogik. DieBestrebungen der letzten Jahrzehnte auf pdagogischem Gebiet (1)Die experimentelle Psychologie (2) Herbartsche Pdagogik: Forde-rung nach Willens- und Gemtsbildung, jedoch Aufbau der Her-bartschen Psychologie ausschlielich auf dem Vorstellungsleben.Die Notwendigkeit einer neuen Menschenkunde: Beobachtung desganzen Menschenwesens. Vorstellen und Wollen als verschiedeneEntwicklungszustnde desselben; die Vorstellung als altgewordenerWille. Die Einbeziehung des Vorgeburtlichen und des Nachtodli-chen. Ein Beispiel fr die Suche nach Neuem im Schulwesen undNicht-heraus-Knnen aus dem Alten: Zitate aus dem Buch Ent-wicklungs-Psychologie und Erziehungswissenschaft von JohannKretzschmar (ber Staats- und Unterrichtswesen; ber Lehrerbil-dung). Waldorfschule keine Weltanschauungsschule. Das Strebennach einer neuen Methodik und Unterrichtspraxis in der Waldorf-schule.

    Aus welchem Geiste kann sich eine Erziehungskunst derGegenwart entwickeln?Stuttgart, 31. August 1919, nachmittags 42

    Wahre Erziehungskunst als Bedingung fr die Gestaltung einersozialen Menschenzukunft. Die Bedeutung der Lehrerbildung. Dievergebliche Suche der Pdagogen Sallwrk, Vogt und Rein nachneuen Erziehungsgesichtspunkten in Naturwissenschaft und Ge-schichte. Die Notwendigkeit einer neuen Menschenkunde. DieErziehungsprinzipien fr die siebenjhrigen Lebensabschnitte inder Kindesentwicklung; Nachahmung vor, Autoritt nach demZahnwechsel. Die Unterteilung der einzelnen Lebensjahrsiebte undihre bergnge (Lebensrubikone) am Beispiel des zweiten Jahr-siebts: (1) Das sieben- bis neunjhrige Kind: das Zusammenwirkenvon Nachahmungs- und Autorittskrften; ber den Anschau-

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  • ungsunterricht; der Drang zu moralisierender Betrachtung derWelt (Beispiel: Einfhren einer Fabel). (2) Das neun- bis zwlfjh-rige Kind: Naturkundlicher Unterricht in Beziehung auf den Men-schen; ein Beispiel aus der Tierkunde (Tintenfisch) (3) Das zwlf-bis vierzehnjhrige Kind: Ausbildung der Urteilsfhigkeit; Beginndes eigentlichen naturwissenschaftlichen Unterrichtes. Die heutigenaturgeme Entwicklung des Menschen bis zum 27. Jahr; dielngere Entwicklungsfhigkeit in frheren Kulturepochen. - berErziehungsbegabung. Die Erziehung von Intellekt, Gemt undWillen. Lebendige Begriffe. Das Wesen des Spiels; Spiel und Ar-beit. Die Hinordnung des Intellekts auf das Geistige durch Wil-lenserziehung. Frhe Pflege des elementar Knstlerischen. DieBehebung sozialer Mistnde durch eine neue, auf Menschenkundebasierende Erziehungskunst. Intensivstes Interesse fr das Lebenals Vorbedingung fr das Lehrersein.

    Vortrag fr die Eltern der Waldorf SchulkinderStuttgart, 31. August 1919, abends 64

    Die Notwendigkeit einer neuen Erziehung und einer Umgestaltungder sozialen Verhltnisse. Lehrerbildung auf der Grundlage einerwirklichen Menschenerkenntnis als Voraussetzung dafr. Die Be-deutung der Nachahmung bis zum Zahnwechsel, der Autoritt imVolksschulalter. Enthusiasmus und Menschenliebe durch Kenntnisder Menschennatur. Unterrichtskunst statt toter Pdagogik. DiePflege der Willenskraft durch das Knstlerische. Der Schreibunter-richt. Die heutige Erziehung fr den Staat. Die Erziehung wirklichpraktischer Menschen durch praktische Erziehung. Pioniere fr einzuknftiges Erziehungswesen. ber Spiel und Arbeit beim Kinde;die Waldorfschule als Beispiel. Die Lebensfremdheit vieler Erzie-her. Bedingungen fr das Gedeihen der Waldorfschule. ber denReligionsunterricht: Respektieren der Konfessionen. Die Er-fordernis von Kompromissen durch die bernahme von Kindernaus anderen Schulen.

    bersinnliche Erkenntnis und sozial-pdagogische LebenskraftStuttgart, 24. September 1919 89

    Die Unwirksamkeit des guten Willens und der schnen Gedan-ken fr die Umwandlung der heutigen sozialen Verhltnisse.Impuls der Geisteswissenschaft: Gemts- und Willenskultur, Um-wandlung des alten instinktiven in ein vollbewutes Leben. DieBegrndung der Waldorfschule: Anknpfung an den Industrialis-mus. Die naturwissenschaftliche Denkungsart als einzige Quelle

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  • der Zeitbildung. Der Weg der Geisteswissenschaft: die Erweckungder den Menschen bis in die Zwanzigerjahre unbewut organisie-renden Krfte als Imagination, Inspiration und Intuition. Die Ver-wandlung der wirkenden Krfte des dritten Jahrsiebts in Imagina-tionen; des zweiten Jahrsiebts in Inspirationen; des ersten Jahr-siebts in Intuitionen. Das heutige soziale Denken nach dem Musterdes naturwissenschaftlichen, objektiven. Die Befeuerung derWillens- und Gemtskrfte durch die geisteswissenschaftliche Er-kenntnis. Die sozial-pdagogischen Gebiete des Jugendunterrichtesund der Lehre des Lebens: (1) Statt abstrakt-toter eine lebendige,konkrete Pdagogik: Die Betrachtung des Menschen in seinemWerden. Forderungen fr die Lehrerbildung. Waldorfschule keineWeltanschauungsschule. ber die Banalitt des Anschauungs-unterrichtes. Das 9. Lebensjahr. ber den Schreib- und Lese-unterricht. (2) ber die sogenannte Frauenfrage. Die Wirkung derGeisteswissenschaft auf die Frau und den Mann. Der Drang nach und ihre erttende Tendenz am Beispiel Rulands(Lenin). Die Sprache als soziales Instrument. Die Schule des Le-bens. Die heutigen abstrakten ueren und die zuknftigen geistig-seelischen inneren Organisationen. Die Lebensfremdheit der soge-nannten . Die Notwendigkeit wirklichen statt metaphy-sischen, weltfremden Geistes fr das heutige Leben. - Suchet daswirklich praktische materielle Leben ...

    Die sozial-pdagogische Bedeutung der anthroposophischorientierten GeisteswissenschaftBasel, 25. November 1919 118

    Die Ohnmacht des Geisteslebens gegenber der sozialen Frage. DieTrennung von Wissenschaft und Glaube; Geistesleben als Ideolo-gie. Intellektuelle Bescheidenheit; Ergreifen schlummernder Er-kenntniskrfte durch die Geisteswissenschaft. Gastrollen desGeistes im Spiritismus. Betrachtung der allmhlichen Herausent-wicklung des Geistes aus dem werdenden Menschen. Drei Ab-schnitte im Leben des jugendlichen Menschen: (1) Der Mensch alsNachahmer bis zum Zahnwechsel; Beispiel eines hinkenden Kindes(2) Hingabe an die Autoritt bis zur Geschlechtsreife. Impondera-bilien zwischen Erzieher und Kind; das Segensreiche eines spterenVerstehens des im Kindesalter Aufgenommenen (3) Eigene Urteils-fhigkeit nach der Geschlechtsreife. - Erkenntnis der Lebensalterund die Umwandlung der ihnen zugrundeliegenden Krfte inimaginative, inspirative und intuitive Erkenntnis durch die Geistes-wissenschaft. Das Ungeeignete der naturwissenschaftlichen Me-thode fr die Betrachtung des sozialen Lebens (Beispiel: zweiBcher von Oscar Hertwig). Durchpulsung des sozialen Wollens

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  • mit geistiger Erkenntnis. Bedingungen der Geistesforschung; Ver-stndnis ihrer Ergebnisse durch den gesunden Menschenverstand.Der Schrei nach Geistigkeit im modernen Leben.

    Fragenbeantwortung, Basel, 25. November 1919 . . . . 147Das Berechtigte in der heutigen Naturwissenschaft, Philosophie,Kunst. ber Expressionismus und Naturalismus. Der DornacherBau. Die Waldorfschule. Pdagogik als aus dem produktiven Erleb-nis des Geistes heraus lebendig schaffende Kunst. Die Verbindungdes Geistes im Menschen mit dem Geist der Welt. Soziale Auf-gaben der Gegenwart.

    Geisteswissenschaft und PdagogikBasel, 27. November 1919 157

    Zwei einleitende Bemerkungen. Der Einflu der naturwissenschaft-lichen Denkungsart auf die pdagogische Kunst: Vergessen desmenschlichen Selbst im Anschauen der Welt. Die Umkehrung derBeobachtung durch die Geisteswissenschaft: intellektuelle Be-scheidenheit^ Die Untauglichkeit der geschichtswissenschaftlichenMethode fr die Erziehung. Entwicklungsepochen des werdendenMenschen: (1) Das Kind als Nachahmer bis zum Zahnwechsel;ber das in diesem Zusammenhang (2) Hingabe an dieAutoritt bis zur Geschlechtsreife (a) das Zusammenwirken beiderPrinzipien in der Zeit vom 7. bis 9, Lebensjahr. Die Waldorfschule.Der Lehrplan: die Entwicklung des Intellektes aus dem Willen. Dasknstlerisch-sthetische Element am Beipiel des Schreibunterrich-tes. Imponderabilien zwischen Erzieher und Kind; der Glaube andie gegebenen Bilder. Die Metamorphose von Seelenkrften, (b)Das neue Ich-Erlebnis des Kindes um das 9. Jahr. Der naturkund-liche Unterricht vor und nach dem 9. Jahr. ber den sogenanntenAnschauungsunterricht. Die Ausbildung des Willenselementes.Turnen und Eurythmie. Die Verinnerlichung des Menschen um das9. Jahr; die Beziehung zwischen Gefhlsleben und Gedchtnis indiesem Alter. Die Herausbildung des Intellektuellen aus dem Wil-lens- und Gefhlselement. Der werdende Mensch als heiliges Rt-sel. Geistgeme Lebensgestaltung durch die richtige Pdagogik.

    Fragenbeantwortung, Basel, 27. November 1919 . . . . 182Das Berechtigte des Turnunterrichtes neben dem Eurythmieunter-richt. - Das Malen aus der Farbe heraus. - Die HerbartschePdagogik. - Die Methode des Zeichen-, Musik- und Geographie-unterrichtes.

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  • Erziehung und soziale Gemeinschaft vom Gesichtspunkt derGeisteswissenschaftAarau, 21. Mai 1920 190

    Das Anliegen der Geisteswissenschaft. Intellektuelle Bescheiden-heit als Ausgangspunkt. Die Entwicklungsfhigkeit der Krfte dermenschlichen Natur durch intime Seelenarbeit: Ausbildung desErinnerungs- und Willensvermgens. Die Befruchtung des pdago-gischen Lebens durch die Geisteswissenschaft. Ablesen des Lehr-plans aus der Beobachtung der Entwicklung des Kindes mit Hilfeder Geisteswissenschaft. Die ersten Lebensepochen des Kindes:Das Prinzip der Nachahmung und der Autoritt. Der Rubikon des9. Jahres. Einzelheiten aus der pdagogischen Praxis (Eurythmie,Fremdsprachen). Die soziale Bedeutung der Erziehungsfrage. Derdreigegliederte soziale Organismus.

    Pdagogisch-didaktische Kunst und die Waldorf schuleDornach, 8. September 1920 197

    Licht- und Schattenzeichen in der Gegenwart: Professor Spittaber wiederholte Erdenleben; ein Artikel eines englischen Journa-listen ber das Goetheanum. Die Befruchtung der pdagogisch-didaktischen Kunst durch die Geisteswissenschaft. Die Wal-dorfschule. Bedingungen und Schwierigkeiten geisteswissenschaft-licher Forschung; ihr Verhltnis zur Naturforschung; Unter-tauchen in die Wirklichkeit und intimes Erkennen der mensch-lichen Wesenheit. Unsterblichkeit und Ungeborenheit. DieFruchtbarkeit der Geistesforschung fr den Erzieher. Der Zahn-wechsel: Umwandlung der bis dahin den Leib organisierendenKrfte in Verstandeskraft. Das Zusammenwirken von Leib undSeele in verschiedenen Lebensaltern. Der Schreibunterricht. DerEpochen-Lehrplan. Das Hinzufgen des Didaktischen zur heuti-gen Pdagogik durch die Geisteswissenschaft. Der Unterricht umdas 9. Jahr. Ehrfurcht und Verantwortungsgefhl gegenber demwerdenden Menschen. Der Umgang mit ber das Verstndnis desKindes hinausgehenden Begriffen (Beispiel: die unsterbliche Men-schenseele) und ihre Bedeutung fr das Menschenleben. Die Erzie-hungsprinzipien des ersten und zweiten Jahrsiebts: Nachahmungund Hingabe an eine verehrte Autoritt. Der Religionsunterricht.Eurythmie und Turnen. Das Wesen der Eurythmie. Das Rhyth-mische in der Sprache; ber die Rezitation. Das pdagogisch-didaktische Element der Eurythmie: Strkung der Wiensinitiative.

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  • Besprechung pdagogischer und psychologischer FragenDornach, 8. Oktober 1920 222

    (1) ber die Temperamente bei Kindern. Das Erkennen desTemperamentes am Beispiel der Reaktion auf eine Lehrerfrage: Dassanguinische, das melancholische, das phlegmatische, das chole-rische Kind. - Die Wirkung der Farben auf die Temperamente beiKindern: die innere Bildung der Komplementrfarbe. (2) ber denUnfug einer Rckschau fr Kinder: Eingriff in das Verhltniszwischen Geistig-Seelischem und Leiblich-therischem. Rck-schau als bewute bung, zu einer geistigen Anschauung zu kom-men. (3) ber das 9. Lebensjahr und die Entwicklung des Ich-Gefhls; der Unterricht in dieser Epoche. Waldorfschule: KeineHindressur nach einem Spezialismus, sondern Entwicklung desganzen Menschen. (4) Pestalozzi: Erziehungserfolge durch per-snliche Liebenswrdigkeit statt durch eigentliche pdagogischePrinzipien. Waldorfschul-Pdagogik: Unterrichtsmethode wich-tiger als die Inhalte. Der Intellektualist Herbart als pdagogischerImpulsgeber. Schillers Briefe ber die sthetische Erziehung alsbedeutsamer pdagogischer Impuls. Robert Zimmermann. DieHerbartsche sthetik: Ethik auf dem Wege des Intellektuellen. DasDisziplinierende in Herbarts Philosophie. Der Mensch als bloerKopfmensch. Hermann Rollen.

    Anthroposophie und pdagogische Kunstlten, 29. Dezember 1920 240

    Die Anschauung der heutigen Wissenschaft ber die Grenzen desmenschlichen Erkenntnisvermgens. Der Ausgangspunkt der an-throposophischen Geisteswissenschaft: intellektuelle Beschei-denheit. Selbsterziehung; Aufwecken und Strken schlummernderSeelenkrfte durch Unterordnung des Denkens unter den Willen:Meditation und Konzentration. Entwicklung schauenden Erken-nens durch Ausbilden der Aufmerksamkeit und Verwandeln derErkenntniskraft in Liebe. Die Nachahmung von Labormethodenim Spiritismus. Unsterblichkeit und Ungeborenheit. Befruchtungder Wissenschaft und des praktischen Lebens durch Geisteswissen-schaft; Beispiel: Pdagogik. Innere Durchdringung des Menschenstatt uerlicher experimenteller Psychologie. Der Mensch als drei-gliedriges Wesen: die organischen Grundlagen der Seelenbettigun-gen. Erziehen aus Erkenntnis der Kindesentwicklung: Entwickelnder menschlichen Individualitt im lebendigen Anschauen. DieErziehungsprinzipien der ersten drei Lebensjahrsiebte: (1) Nachah-mung bis zum 7. Jahr. ber das Stehlen bei Kindern. Waldorf-schule und Religionsunterricht. ber den Schreibunterricht. (2)

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  • Entwickeln des natrlichen Autorittsgefhles bis zum 14. Jahr.ber den Anschauungsunterricht. Die Bedeutung des gedchtnis-mig Gelernten. Der Zusammenhang zwischen kindlichem Spielund spterer Lebenspraxis. Der Rubikon des 9. Jahres: Beginn derUnterscheidung zwischen Subjekt und Objekt. Das Wirken aufden Willen durch bildhaften Unterricht. Der Lehrer und Erzieherals pdagogischer Knstler. Anregungen durch die Geistes-wissenschaft.

    Fragenbeantwortung, lten, 29. Dezember 1920 . . . . 267(1) Das kindliche Spiel: Spiel und Temperament. Kindliche Klei-dung. Spielzeuge. (2) Das Heranbringen von Mrchen. ber denOsterhasen. Ernst Mach und seine Ablehnung von Mrchen.Ludwig Laistners Rtsel der Sphinx. ber den Traum. DieGestalt des Nikolaus und der Weihnachtsbaum. (3) Psychoanalyseund Geisteswissenschaft. Oberbewutsein und Unterbewutsein.

    ANHANG

    Zeitungsberichtezum Vortrag in Stuttgart am 24. September 1919 . . . 279zum Vortrag in Aarau am 21. Mai 1920 280Ankndigung zum Vortrag vom 24. September 1919 . . 286

    Notizbucheintragungenzu den Vortrgen vom 24. und 31. August 1919nachmittags in Stuttgart, und zu den Vortrgenvom 25. und 27. November 1919 in Basel 287

    HinweiseZu dieser Ausgabe 309Hinweise zum Text 311

    Namenregister 331

    bersicht ber die Rudolf Steiner Gesamtausgabe . . . 333Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 13

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  • WELCHE GESICHTSPUNKTE LIEGEN DER ERRICHTUNGDER WALDORFSCHULE ZUGRUNDE?

    Stuttgart, 24. August 1919

    Heute mchte ich zu Ihnen sprechen in Anknpfung an die vonunserem Freunde, Herrn Molt, begrndete Waldorfschule. Wie Siewohl aus den Ankndigungen wissen, soll mit dieser Schule eine Arterster Schritt auf dem Weg zu einem freien Geistesleben getan wer-den. Herr Molt hatte sich mit der Begrndung dieser Waldorfschulein einem hohe Mae bewogen gefhlt, etwas in der Richtung einesfreien Geisteslebens zu tun, die - in bezug auf die sozialen Aufgabender Gegenwart und Zukunft - vorgezeichnet werden soll durch dieDreigliederung des sozialen Organismus. Diese Waldorf schule kannselbstverstndlich nur dann gelingen, wenn sie ganz durchdrungenist von dem Geiste, aus dem heraus die Dreigliederung des sozialenOrganismus erstrebt wird. Es ist nur allzu begreiflich, da ein sol-cher erster Schritt nicht gleich vollkommen sein kann, und die Ein-sicht, da ein solcher erster Schritt nicht gleich vollkommen seinkann, wird dazugehren zu dem Verstndnis, von dem wir so sehrmchten, da es wenigstens von einigen Zeitgenossen dieser Schui-grndung entgegengebracht wrde.

    Die Arbeit hat schon begonnen, und zwar damit, da jene Per-snlichkeiten, die sich von sich aus zur Mitarbeit entschlossen ha-ben beziehungsweise die von uns in Aussicht genommen wurden,gegenwrtig an einer Art seminaristischem Kurs teilnehmen, dervor kurzem begonnen hat und der eine Vorbereitung fr das Wir-ken an der Waldorfschule sein soll. Zu diesem Kurs sind nur einigewenige Persnlichkeiten eingeladen worden, und zwar solche, diedurch ihre bisherigen Lebensumstnde geeignet erscheinen, imSinne derjenigen Kulturbewegung zu wirken, welcher die Waldorf-schule dienen soll, und die speziell dazu berufen erscheinen, aufdem pdagogischen Gebiet zu wirken. Aber es besteht natrlich inhchstem Grade die Notwendigkeit, da der Waldorfschule, we-nigstens zunchst in engerem Kreise, Verstndnis entgegengebracht

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  • wird. Man wird ja immer mehr und mehr bemerken, je mehr manin das Soziale hineinwchst, da das gegenseitige Verstndnis derMenschen mit Bezug auf ihre Leistungen in erster Linie zu demzuknftig zu begrndenden sozialen Leben gehrt. Und so schei-nen mir zunchst diejenigen Persnlichkeiten, die von sich aus ihrInteresse bekunden knnen, am geeignetsten zu sein, bei den Aus-einandersetzungen teilzunehmen, die heute und am nchsten Sonn-tag hier in Anknpfung an die Bestrebungen der Waldorfschulegepflogen werden sollen.

    Am liebsten wre es mir allerdings, wenn auch noch etwas an-deres zur Pflege dieses Verstndnisses zustande kommen knnte:Ein weitgehendes Interesse an demjenigen, was durch die Waldorf -schule geschehen soll, haben ja zweifellos alle Eltern derjenigenKinder, welche die Waldorfschule besuchen wollen. Und so wrees mir ein besonderes Bedrfnis, wenn es zustande kommen knn-te, da vor der Erffnung dieser Waldorfschule in der ersten Hlftedes September noch einmal irgendwie eine Versammlung einberu-fen werden knnte, an welcher alle Eltern derjenigen Kinder teil-nehmen wrden, welche diese Waldorfschule besuchen wollen;denn nur dasjenige wird in einem wirklich sozial orientierten Ge-sellschaftsleben gedeihen knnen, was wurzelt in dem Verstndnisderjenigen, die mit ihren Seelen und mit ihrem ganzen Leben ansolchen Grndungen beteiligt sind.

    Was ich Ihnen heute auseinandersetzen mchte, das soll eineBesprechung der Ziele und auch in einigem schon eine Bespre-chung der Methoden der Unterrichts- und Erziehungsweise sein,wie sie durch die Waldorfschule in Angriff genommen werdensollen. Wir mchten ja in der Tat mit der Waldorfschule dasjenigeschaffen, was nach unserer Einsicht aus der besonderen Ent-wicklungsstufe der Menschheit heraus geschaffen werden soll, diedurch die Gegenwart und fr die nchste Zukunft geschichtlicherreicht ist. Man miverstehe die Grndung der Waldorfschulenicht dahingehend, da etwa geglaubt wrde, im alten Schulwesensei alles schlecht. Es sollte auch nicht geglaubt werden, da unsereAusgangspunkte bei Begrndung der Waldorfschule nur eine Kri-

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  • tik des alten Schulwesens seien. Es handelt sich vielmehr um etwasganz anderes.

    Es haben sich im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte imgesellschaftlichen Leben ein Staats-Rechts-Leben, ein Geistes- undKulturleben und ein wirtschaftliches Leben herausgebildet, die einebestimmte Konfiguration angenommen haben und jetzt, wie jafters von mir in diesen Zeiten auseinandergesetzt worden ist,einem Neubau unserer sozialen Verhltnisse, man mchte schonsagen entgegenstrmen. In dieses Vorwrtsstrmen ist das Schul-wesen gerade dadurch besonders eingegliedert, da dieses Schulwe-sen in den letzten drei bis vier Jahrhunderten ganz abhngig ge-worden ist von dem Staatswesen, so da man sagen kann: In einerganz besonderen Weise nimmt das Schulwesen an dem Staatswesenteil. Nun kann man sagen: Bis zu einem gewissen Grade - aller-dings aber nur bis zu einem gewissen sehr niederen Grade - warunser Schulwesen den Einrichtungen, in die die Menschen hinein-gewachsen waren durch die Staatenkonfiguration der zivilisiertenWelt, angemessen. Aber gerade nach einer Umwandlung dieserStaatenkonfiguration wird ja gestrebt, und nach den Anschauun-gen, die zugrunde liegen werden den zuknftigen Staatenkonfigu-rationen, wird es nicht mglich sein, das Schulwesen in derselbenVerbindung mit dem Staatswesen zu lassen, in dem es bisher ge-wesen ist. Gerade wenn eine soziale Gestaltung des Staats- undWirtschaftswesens angestrebt wird, dann wird sich um so dringen-der das Bedrfnis herausstellen, das geistige Wesen berhaupt, undinsbesondere das Schul- und Erziehungswesen in seiner Verwal-tung, herauszugliedern aus dem Staats-Rechts-Leben und aus demWirtschaftsleben. Gefhlt wird die Sache schon sehr, sehr lange.Aber man mchte sagen: alles pdagogische Streben in der jngstenVergangenheit und insbesondere in der Gegenwart hat etwas Ge-drcktes, hat etwas, was wenig ausblicken mchte von den groenGesichtspunkten des Kulturlebens berhaupt. Das alles ist so ge-kommen durch die besondere Art, wie das ffentliche Leben sichin der jngsten Vergangenheit und insbesondere in der Gegenwartzu solchen Bestrebungen, wie die pdagogischen sind, gestellt hat.

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 17

  • Natrlich wird die Waldorfschule sich fgen mssen all dem,was vorhanden ist gegenwrtig an ffentlichen Anschauungen undEinrichtungen ber Erziehung und Unterricht; wir werden nichtgleich morgen alles dasjenige leisten knnen, was wir leisten mch-ten - wir werden ganz selbstverstndlich gentigt sein, im allgemei-nen stufenweise die Lehrplne einzuhalten, welche gegenwrtigffentlich vorgeschrieben sind. Wir werden gentigt sein, bei denvon unserer Schule Abgehenden diejenige Stufe zu erreichen, dieverlangt wird fr den bergang in hhere Schulen, namentlich indie Hochschulen. Wir werden daher unseren Unterrichtsstoff nichtso gliedern knnen, wie wir das dem Ideal einer wirklichen Men-schenerziehung entsprechend finden; wir werden gewissermaennur die Lcher, die noch gelassen sind von dem dichtmaschigenNetz, das sich ausbreitet ber dem Schulwesen, bentzen knnen,um im Sinne eines ganz freien Geisteswesens fr den Unterrichtund die Erziehung der der Waldorfschule anvertrauten Kinder zuwirken. Diese Maschen werden wir sorgfltig nach jeder Richtungausntzen. Wir werden gewi nicht dann schon eine Musterschuleschaffen knnen, werden aber zeigen knnen, zu welchem Gradeinnerer Erstarkung und innerer wirklicher Erziehung der Menschgebracht werden kann, wenn diese innere Erstarkung und Erzie-hung bewirkt wird nicht durch etwas von auen Vorgeschriebenes,sondern rein durch die Anforderungen des geistigen, des Kultur-lebens selber bewirkt wird.

    Wir werden gerade mit Bezug auf das Verstndnis, das uns heutenoch entgegengebracht werden kann, mit vielem Widerstrebendenzu kmpfen haben, werden deshalb mit viel Widerstrebendem zukmpfen haben, weil ja mit Bezug auf ihr Verstndnis in der Ge-genwart - wie ich auch hier an diesem Ort fters erwhnt habe -die Menschen eigentlich aneinander vorbeigehen. Gerade auf demGebiet des Unterrichts- und Erziehungswesens kann man es immerwieder und wiederum erleben, da man anscheinend von den Ge-sichtspunkten aus, die hier vertreten werden, auch anderswo bereine Umwandlung dieses Erziehungs- und Unterrichtswesensspricht. Die Menschen, die mit ihren Anschauungen ganz in der

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  • gegenwrtigen Periode jngstvergangener Unterrichts- und Erzie-hungsprinzipien drinnen stecken, hren einem dann zu und sagen:Ja, das ist ganz richtig, das wollen wir ja lngst! - Sie wollen natr-lich etwas ganz anderes in Wirklichkeit. Aber wir haben uns heute,indem wir unsere Worte aussprechen, so sehr entfernt von denSachen, da wir uns zuhren und glauben, bei denselben Wortendasselbe zu meinen - und eigentlich das Entgegengesetzte meinen.So stark ist ber die zivilisierte Welt hin das geworden, was man inweitestem Umfange als Phrase bezeichnen mu! Haben wir dochwirklich durch lange Zeiten innerhalb dieser unserer zivilisiertenWelt in ausgiebigstem Mae erlebt die Herrschaft der Phrase, undin diese Herrschaft der Phrase war eingesponnen das furchtbarsteEreignis, das die Weltgeschichte getroffen hat: die schreckensvolleKriegskatastrophe der letzten Jahre! Denken Sie nur einmal nach,wie sehr die Phrase bei alldem, was mit dieser Katastrophe zu-sammenhngt, eine Rolle gespielt hat, und Sie werden ein wirklichinnerlich Sie entsetzendes Urteil gewinnen ber die Herrschaftder Phrase in unserer Zeit.

    So kann man heute auch auf pdagogischem Gebiete von denje-nigen, die wahrhaftig etwas ganz anderes innerlich anstreben alsdas, was hier gemeint ist, hren: es komme beim Erziehen undUnterrichten nicht auf den Lehrstoff an, sondern auf den Zgling.Sie wissen, da wir uns einmal der Worte aus unserem Sprachschatzbedienen mssen, so werden wir auch vielfach zu sagen haben: eskomme nicht auf den Lehrstoff, es komme auf den Zgling an, undwir wollen innerhalb unserer Waldorfschule den Lehrstoff so be-ntzen, da er auf jeder Stufe des Unterrichts nicht zur bermitt-lung eines ueren Wissens dient, sondern da er dient dem Wei-terkommen der menschlichen Entwicklung des Zglings mit Bezugauf die Willens-, Gemts-, und Verstandesbildung. Jedes einzelneUnterrichtsfach soll nicht irgendeinen Selbstzweck in sich tragen inbezug auf seine Vermittelung, sondern es soll in der Hand desLehrers zur Kunst werden, so da es durch seine Behandlung inder entsprechenden Weise so auf den Zgling wirkt, wie im Sinneeiner wirklich begriffenen Menschheitsentwicklung in den betref-

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  • fenden Entwicklungsjahren auf den Zgling gewirkt werden soll,damit er ein dem Leben gewachsener, im Leben seinen Platz aus-fllender Mensch werde. Bewut mu man sich dabei werden, dajedes Lebensalter des Menschen aus den Tiefen der Menschennaturdie Anlagen zu gewissen Seelenkrften hervortreibt. Werden dieseAnlagen in dem betreffenden Lebensalter nicht ausgebildet, soknnen sie spter nicht mehr in Wahrheit ausgebildet werden: siemssen dann verkmmern, und der Mensch ist in bezug auf seinenWillen, in bezug auf sein Gemt, in bezug auf seinen Verstand demLeben nicht gewachsen; er stellt sich nicht in richtiger Weise aufden Platz, auf den er durch das Leben gestellt wird. Gerade zwi-schen dem Zahn Wechsel und der Geschlechtsreife, in welche Zeit jagerade die Jahre des eigentlichen Schulwesens hineinfallen, geradein diesem Lebensalter ist es von eminentester Wichtigkeit, zu er-kennen, welche Seelen- und Krperkrfte aus dem Menschen her-aus wollen, damit er spter seinen Platz im Leben ausfllen knne.

    Alles, was ich jetzt gesagt habe, knnte sich zum Beispiel je-mand anhren, der die pdagogischen Gedanken der letzten Jahr-zehnte in sich aufgenommen hat, und er wrde sagen: Ganz meineMeinung! Aber das, was er auf Grundlage dieser Meinung erziehe-risch tut, ist durchaus nicht dasjenige, was hier gewollt werden soll.Wir reden eben in der Gegenwart vielfach aneinander vorbei, unddeshalb mu versucht werden, in einer etwas tieferen Weise auf dasaufmerksam zu machen, was eigentlich die Waldorfschule will. Vorallen Dingen ist heute der Mensch, man mchte schon fast sagenbesessen von einem gewissen Trieb, alles absolut zu nehmen. Ichmeine damit das Folgende: Spricht man heute davon, der Menschsolle in dieser oder jener Weise erzogen werden - wir wollen nurdarber sprechen; man knnte dieselben Betrachtungen in variier-ter Weise auch auf andere Gebiete des Lebens ausdehnen -, so hatman immer im Auge, da es sich um etwas handeln solle, was nunim absoluten Sinne fr den Menschen gilt, was sozusagen dasabsolut Richtige ist, was, wenn es nur htte angewendet werdenwollen, fr den Menschen auch htte angewendet werden knnen,zum Beispiel im alten gypten, im alten Griechenland, wie es auch

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  • noch in viertausend Jahren angewendet werden knnte von denMenschen, die dann leben werden, was auch von China, Japan etc.angewendet werden kann. Diese Anschauung, von der der heutigeMensch geradezu besessen ist, da er etwas absolut Gltiges auf-stellen kann, das ist der grte Feind aller Wirklichkeit. Daherhandelt es sich gerade darum, zu erkennen, da wir nicht im ab-soluten Sinne Menschen sind, sondern Menschen eines ganz be-stimmten Zeitalters; da die Menschen in bezug auf ihre Seelen-und sogar Krperverfassung im gegenwrtigen Zeitalter andersbeschaffen sind, als zum Beispiel die Griechen und Rmer waren,und auch, da sie anders beschaffen sind, als schon die Menschennach einer verhltnismig kurzen Zeit, nach einem halben Jahr-tausend sein werden. Daher fassen wir die Erziehungsaufgabe nichtim absoluten Sinne, sondern wir fassen sie auf als hervorgehend ausden Bedrfnissen der Gegenwart und der nchsten Zukunft derMenschheitskultur.

    Wir fragen: Wie ist die zivilisierte Menschheit heute beschaffen?- und begrnden darauf unsere Anschauung, wie wir sie zu erzie-hen und zu unterrichten haben. Wir wissen ganz gut, ein Griecheoder Rmer hat anders erzogen werden mssen, und in fnfhun-dert Jahren schon wiederum wird der Mensch anders erzogenwerden mssen. Wir wollen eine Erziehungsgrundlage fr unsereGegenwart und die nchste Zukunft schaffen. Nur dadurch widmetman sich wirklich der Menschheit, da man sich dieser realen Be-dingung fr die Entwicklung der Menschheit bewut werde undnicht immer nebulose, absolute Ziele ins Auge fat. Daher ist esnotwendig, hinzuweisen auf dasjenige, was gerade mit Bezug aufdas Erziehungs- und Unterrichtswesen der Gegenwart droht undwas wir von dieser Gegenwart abwenden wollen.

    Ich habe eben darauf hingewiesen, wie manche Leute schonsagen, es komme nicht auf den Lehrstoff, es komme auf den Zg-ling an, es komme darauf an, wie der Lehrer sich verhalten soll imUnterweisen des Zglings, wie er den Unterrichtsstoff zu dieserUnterweisung, zu dieser Erziehung verwende. Aber daneben sehenwir eine merkwrdige andere Richtung gerade bei denjenigen

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  • Menschen, die solches aussprechen, eine andere Richtung, die ge-wissermaen das, was sie so mehr fr den Zgling als fr denUnterrichtsstoff fordern, durchaus paralysiert und unmglichmacht.

    Man hat wahrgenommen, wenn man so spricht, da durch dieSpezialisierung des Wissenschaftsstoffes allmhlich den Menschendas intellektuelle Leben der Wissenschaft ber den Kopf gewach-sen ist und da der Wissenschaftsstoff in einer gewissen uer-lichen Weise, ohne auf den Zgling hinzuschauen, rein um dessenErkenntnis willen an ihn herangebracht worden ist. So sagt manjetzt: Das darf man nicht tun, man mu den Zgling so erziehen,wie es im Wesen des jungen Menschenkindes begrndet ist. Aberwovon will man denn lernen, wie man den Zgling nun behandelnwill? Man will es lernen von derjenigen Wissenschaft, die sich ge-rade ausgebildet hat unter jenem Regime, das man auf der einenSeite bekmpfen will; man will das Wesen des Kindes kennenler-nen, aber man strebt darnach, es zu untersuchen in allerlei expe-rimentellen Psychologien nach denjenigen Methoden, welche dieWissenschaft angenommen hat, indem sie sich eingezwngt hat injenen Mangel, dem man abhelfen will. So will man auf dem Wegeder experimentellen Psychologie an den Universitten die speziel-len Methoden untersuchen, die fr die Pdagogik die richtigensind. Man will hineintragen in dieses Universittsleben experimen-telle Pdagogik, will hineintragen alles das, was die Wissenschaft anEinseitigkeiten angenommen hat. Also man will reformieren. Manwill reformieren, weil man ein dunkles Gefhl von der Reform-notwendigkeit hat, aber aus dem Geiste heraus, der gerade das Altegebracht hat, das man behalten will. Eine Erziehungswissenschaftmchte man begrnden, aber man mchte etwas begrnden ausjenem wissenschaftlichen Geiste heraus, der dadurch gekommenist, da man die Menschen nicht richtig erzogen hat.

    Solche stark wirkenden Krfte in unserer Kulturentwicklungsieht man noch gar nicht. Man sieht gar nicht, wie man sich inWiderstreit und Widersprche einlt, indem man nach der einenSeite den allerbesten Willen hat. Wenn vielleicht auch der eine oder

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  • andere eine andere Anschauung haben kann ber dasjenige, was ichjetzt aussprechen werde, so kann man aber doch sagen, da invielen Richtungen auf pdagogischem Gebiet einer der bedeutsam-sten Persnlichkeiten der neueren Zeit Johann Friedrich Herbartist. Herbart steht durch die pdagogische Richtung, die er begrn-det hat, eigentlich in einer gewissen Beziehung einzig als pdago-gischer Schriftsteller und als pdagogischer Arbeiter in der neuerenZeit da. Im Jahre 1806 ist seine Allgemeine Pdagogik erschie-nen. Er hat dann seine ja selbst pdagogisch geartete Ttigkeit vonJahr zu Jahr so verfolgt, da er immer Neues lernen konnte. ImJahre 1835 ist dann der Umri seiner pdagogischen Vorlesungenerschienen, die zeigen, wie er selbst vorgeschritten ist in der Erfas-sung der pdagogischen Probleme. Dann aber kann man sagen, daein gut Stck der pdagogischen Entwicklung in der zweiten Hlftedes 19. Jahrhunderts ausgegangen ist von dem Impuls, den die Her-bartsche Pdagogik gebracht hat, da ja zum Beispiel das ganzesterreichische Schulwesen inspiriert worden ist von Herbarts Pd-agogik. Und auch in Deutschland lebt heute noch in der Unter-richts- und Erziehungsgesinnung auerordentlich viel von demGeiste der Herbartschen Pdagogik. Man mu sich daher heuteschon - wenn man sich orientieren will gerade in dem Sinn, daman nicht absolutistisch, sondern mit dem Bewutsein spricht, daman in einer bestimmten Kulturepoche steht - etwas mit demauseinandersetzen, was Inhalt der Herbartschen Pdagogik ist undwas wirklich eine pdagogische Kraft, eine pdagogische Wirklich-keit ist.

    Will man Herbart richtig verstehen, so kann man sagen: DieserHerbart steht mit allen seinen Gedanken und Ideen in jener Kul-turperiode noch voll drinnen, die ihren deutlichen Abschlu ge-nommen hat fr den wahren Menschheitsentwicklungs-Betrachtermit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Wir stehen einmal seit derMitte des 15. Jahrhunderts fr die zivilisierte Menschheit in einerneuen Epoche drinnen, aber wir haben noch wenig erreicht in derVerfolgung derjenigen Impulse, die im 15. Jahrhundert aufgegan-gen sind; und dasjenige, was vor dem 15. Jahrhundert gewirkt hat,

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  • setzt sich noch in unser Leben fort. In unser pdagogisches Lebenhinein hat es sich geistvoll, bedeutsam fortgesetzt in alledem, wasHerbart selbst gearbeitet hat und was von ihm ausgegangen ist.Wenn man charakterisieren soll, was eigentlich jenem langen Zeit-raum in der Entwicklung der Menschheit, der im 8. vorchristlichenJahrhundert begonnen hat und in der Mitte des 15. Jahrhundertsschliet, mit Bezug auf die Menschheitsentwicklung zugrundeliegt, so mu man sagen: die Menschheit hat sich innerhalb diesesZeitraumes so entwickelt, da alles Verstandes- und Gemtsmi-ge wie instinktiv noch war. Seit diesem Zeitpunkt, seit der Mittedes 15. Jahrhunderts, strebt die Menschheit nach dem Persnlich-keitsbewutsein, sie strebt darnach, sich auf die Spitze der eigenenPersnlichkeit zu stellen. Keinen wichtigeren Wandel der ge-schichtlichen Impulse fr die Entwicklung der Menschheit, inso-fern sie jetzt und in der Zukunft in Betracht kommen, als dasinstinktive Verstndnis, die instinktive Gemtsbettigung der grie-chisch-lateinischen Epoche, die langsam bis ins 15. Jahrhunderthinein abluft - und der neueren Epoche, die seit dem 15. Jahrhun-dert begonnen hat! Alle einzelnen Ausfhrungen zum Beweisedessen, was ich gesagt habe, finden Sie in meinen Schriften undVerffentlichungen dargestellt. Hier mssen wir es einfach als eineTatsache hinnehmen, da mit der Mitte des 15. Jahrhunderts etwasNeues beginnt mit der Menschheit: das Streben nach bewuterPersnlichkeitswirkung, whrend frher ein instinktives Verstnd-nis und Gemtsstreben vorhanden war. Dieses instinktive Ver-stndnis und Gemtsstreben hatte eine gewisse Tendenz, das intel-lektuelle Leben einseitig zu pflegen. Es knnte sonderbar erschei-nen, da man gerade von einer Zeit, die den Verstand instinktivorientiert hat, sagt, da diese Zeit in ihrem Gipfel zu einer beson-deren Ausbildung, einer berausbildung des Intellektuellen, derIntellektualitt des Menschen hingefhrt hat. Aber man wird sichnicht mehr ber eine solche Idee verwundern, wenn man bedenkt,da ja das Intellektuelle, was im Menschen wirkt, durchaus nichtimmer ein bewut Persnliches sein mu, da gerade instinktiv dasIntellektuelle im hchsten Grade zum Ausdruck kommen kann.

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  • Man braucht sich ja nur daran zu erinnern, da die Menschen vielspter das Papier entdeckt haben als die Wespen durch ihren aller-dings instinktiven Intellekt; denn die Wespennester bestehen ausPapier, sind ganz richtig so aus Papier geformt, wie die Menschenaus ihrem Intellekt heraus das Papier formen. Denn Intellektbraucht durchaus nicht blo durch die Menschen zu wirken, son-dern er kann auch die anderen Wesen durchdringen, ohne da diePersnlichkeit, die sich erst in unserem Zeitalter entwickeln soll,gleichzeitig zu ihrer hchsten Hhe gebracht wird.

    Nun war selbstverstndlich aus einer solchen Zeit heraus, inwelcher die Intellektualitt nach ihrer hchsten Hhe sich zu ent-wickeln bestrebt hat, auch das Bestreben vorhanden, das Erzie-hungswesen und alles, was gedanklich das Erziehungswesen durch-zieht, mit Intellektualitt zu durchdringen. Wer nun die Herbart-sche Pdagogik ansieht, der findet zwar innerhalb derselben vielbetont, man solle den Willen, solle das Gemt erziehen. Aber wennman nicht stehenbleiben wrde bei den bloen Stzen, sondernwenn man zur Wirklichkeit bergehen wrde, so wrde man dasfolgende bemerken. Man wrde bemerken, da die Ausbildungvon Regierung und Zucht, wie sie bei Herbarts Pdagogik zutagetritt, etwas krampfhaft immer fordert: es soll der Wille, es soll dasGemt ausgebildet werden. Was aber Herbart an Inhalt bietet, dasist eigentlich nur geeignet, die Intellektualitt auszubilden. Undweil instinktiv gefhlt wird, gerade von Herbart selbst am meisten,da dasjenige, was er an pdagogischen Grundstzen bietet, nichthinreicht, um den ganzen Menschen zu begreifen, sondern nurden Menschen als Intellektualitt, so fordert er aus einem gesundenInstinkt heraus immer wieder und wieder: es mu aber auchGemts- und Willensbildung da sein.

    Es fragt sich nur: Kann man aus diesen Grundlagen heraus wirk-lich Gemt und Willen in entsprechender Weise, in einer demMenschenwesen entsprechend begrndeten Weise erziehen undunterrichten? Ich mchte Sie darauf aufmerksam machen, da jaHerbart davon ausgeht, da alle Pdagogik begrndet sein mu aufPsychologie und Philosophie, also auf die allgemeine Weltanschau-

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 2 5

  • ung und auf die Erkenntnis des menschlichen Seelenlebens. Nunhat Herbart ein durch und durch abstrakt gerichtetes Denken, unddieses abstrakt gerichtete Denken hat er ja namentlich in seinePsychologie hineingetragen. Ich mchte Ihnen das an einem Bei-spiel der Herbartschen Psychologie populr auseinandersetzen.

    Wir wissen, da in der menschlichen Wesenheit drei Grundkrf-te wirken: Denken, Fhlen und Wollen. Wir wissen, da die Ge-sundheit der menschlichen Seele davon abhngt, da diese dreiGrundkrfte - Denken, Fhlen und Wollen - in der entsprechen-den Weise zur Entwicklung kommen, da jede dieser Grundkrftezu ihrem Rechte kommt. Was liegt fr die Erziehung dieserGrundkrfte innerhalb der Herbartschen Philosophie vor?

    Herbart ist der Meinung, da das ganze Seelenleben im Vorstel-lungsleben zunchst aufgeht, er findet in dem Fhlen eigentlich nurVorstellungsgebilde. Und auch das Wollen, das Streben, das Begeh-ren sind fr Herbart Vorstellungsgebilde. So knnen Sie von Her-bartianern folgendes hren: Wenn wir streben, Wasser zu trinken,weil wir Durst haben, so streben wir eigentlich durchaus nicht nachdem Inhalt des Wassers, sondern wir streben darnach, jene Vor-stellung, die der Durst in uns auslst, loszubekommen und in un-serer Seele zu ersetzen durch die Vorstellung des gelschten Dur-stes. Wir begehren also durchaus nicht das Wasser, sondern wirbegehren, da die Durstvorstellung aufhre und durch die Vorstel-lung des gelschten Durstes ersetzt werde. Wenn wir eine angereg-te Unterhaltung erstreben, so erstreben wir nicht den Inhalt dieserangeregten Unterhaltung, sondern wir haben Sehnsucht nach einernderung der gegenwrtig in uns befindlichen Vorstellungen undstreben eigentlich nach dem, was in uns als Vorstellung auftauchenwird durch die angeregte Unterhaltung. Wenn wir eine Lust haben,so haben wir diese Lust nicht als eine Auswirkung einer elemen-taren Kraft unserer Seele, sondern wir haben sie dadurch, da ge-wisse Vorstellungen, die uns angenehm sind, leicht in unser Be-wutsein heraufdringen, die entgegengesetzten Hemmungen leichtberwinden, und dieses Erleben, da eine Vorstellung leicht gegen-ber den ihr widerstrebenden Hemmungen in unser Bewutsein

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  • eindringt, das ist die Lust. Alles bewegt das Vorstellungsleben, dasandere ist eigentlich dasjenige, was sich nur durch das bewegteVorstellungsleben offenbaren soll. Man kann sagen: Die ganzeHerbartsche Denkweise und alles, was sich bis heute darauf aufge-baut hat - und mehr, als man glaubt, hat sich auf der HerbartschenDenkweise aufgebaut -, ist durchdrungen von einem allerdingsnicht bewuten, sondern unbewuten Glauben, da das wahreSeelenleben in dem Ablauf der gegenseitigen Hemmung und Un-tersttzung der Vorstellungen besteht, und da dasjenige, was alsGefhl und Wille zutage tritt, eben nur in den Bewegungen desVorstellungslebens besteht. Man darf sich nicht beirren lassendurch die Tatsache, da zwar sehr viele pdagogisch orientierteLeute heute bekmpfen wollen, da man so unterrichten und erzie-hen will, indem man nur auf das Vorstellungsleben seine Bestre-bungen lenkt. Sie sagen es zwar, aber sie tun nicht das Entspre-chende; sie tun alles, was sie tun, so, da doch zugrunde liegt: aufdie Vorstellung kommt es an! Und das Sonderbarste, was manheute erleben kann, ist ja dieses Leben der Menschen in solchenWidersprchen. Was wird heute gepredigt und deklamiert davon,da man eigentlich auf den ganzen Menschen sehen sollte, da mansehen soll darauf, da ja das Gemtsleben, also das Gefhls- undWillensleben, nicht zu kurz komme. Ja aber wenn man wieder andie Praxis geht, so ist es gerade bei denjenigen, die so ber dieAusbildung des Gefhls- und Willenslebens deklamieren, am mei-sten der Fall, da sie in der Erziehung und dem Unterricht intel-lektualisieren. Die Menschen verstehen sich eben selbst nicht, weilsich das Wort so sehr von der Sache entfernt hat und zur Phrasegeworden ist.

    Das sind die Dinge, auf die heute wirklich mit aller Intensitthingeschaut werden mu, wenn man gerade auf dem Gebiete desErziehens und Unterrichtens zu denjenigen Forderungen strebt,die gerade unserem Kulturzeitraum entsprechen.

    Damit komme ich zu einer Hauptsache: Man sagt schon, eskomme nicht auf den Lehrstoff an, sondern auf den Zgling, aber,wie ich schon erwhnt habe, nach den Methoden der einseitigen

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 2 7

  • Wissenschaft will man durch eine Erziehungswissenschaft denZgling studieren. Aber man kommt dem Menschen nicht nahe mitder uerlich gerichteten Wissenschaft der letzten Jahrhunderte.Man braucht eine ganz andere Orientierung, um dem Menschennahe zu kommen. Und diese Orientierung wird durch unsereanthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft angestrebt. Wirwollen die uerlich gewordene Anthropologie, die uerlich ge-wordene Menschenerkenntnis ersetzen durch eine andere, die aufden ganzen Menschen, auf seine leibliche, seelische und geistigeWesenheit wirklich eingeht. Gewi, man betont heute, auch demWorte nach, das Geistige und das Seelische, aber man kennt es janicht.

    Und so kommt es, da man gar nicht aufmerksam darauf gewor-den ist, da so etwas wie die Herbartsche Weltanschauung gerademit Bezug auf die Seele ganz intellektualistisch ist, da sie daherden Weg in unser Kulturzeitalter hinein nicht finden kann. Auf deranderen Seite will Herbart aufbauen auf Philosophie. Aber jenePhilosophie, worauf er baut, ist ebenfalls mit dem Ende desjenigenZeitraumes, der da seinen Abschlu genommen hat in der Mitte des15. Jahrhunderts, zu ihrem Absterben gekommen. In unserem Zeit-raum will eine wirklich auf das Geistige gehende WeltanschauungPlatz haben. Und von dieser Weltanschauung aus kann auch dasSeelisch-Geistige des Menschen wirklich so erstarkt werden, da esverbunden werden kann mit dem, was wir rein anthropologischfinden mit Bezug auf das Leiblich-Krperliche. Denn wahrhaftiggro ist unsere Zeit auch in der Kindheits-Erkenntnis in bezug aufdas Leiblich-Krperliche, wenn sie auch vielfach das Seelische nurerwhnt. Aber nehmen Sie eine heutige Psychologie in die Handund seien Sie dabei gesund empfindende Menschen - fragen Siesich, was Sie aus einer heutigen Psychologie eigentlich gewinnenknnen. Da finden Sie Auseinandersetzungen ber die Vorstel-lungswelt, ber die Gefhlswelt, ber die Willenswelt. Aber dasje-nige, was Sie an diese Worte Vorstellen, Fhlen, Wollen geknpftfinden - es ist im Grunde genommen ein Spiel mit Worten. Siewerden nicht klger ber das Wesen von Vorstellung, Gefhl und

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 2 8

  • Wille, wenn Sie die heutige Psychologie durchgehen. Daher kannman auf die heutige Psychologie auch nicht gut wirkliche Pdago-gik bauen. Es mu erst wiederum eingegangen werden knnen aufdas Sachliche, auf das wirkliche Wesen von Vorstellen, Fhlen undWollen. Dazu ist nicht ntig jener berreife, scholastische Geist,der heute in den Psychologien waltet, sondern dazu ist notwendigeine wirkliche Beobachtungsgabe fr das menschliche Leben. Washeute beobachtet werden soll in den Psychologien und pdago-gischen Laboratorien, das kommt einem vor wie etwas, was inseinem Streben von dem besten Willen beseelt ist, was aber deshalbdiese Richtung genommen hat, die es eben genommen hat, weil imGrunde genommen gar nicht die Fhigkeit da ist, eine wirklicheMenschenbeobachtung zu entfalten.

    Man mchte am liebsten heute den werdenden Menschen in daspsychologische Laboratorium einspannen und uerlich kennen-lernen, wie er sich innerlich entwickelt, weil man das lebendigeVerhltnis von Mensch zu Mensch verloren hat. Solche Beobach-tung ist fr das Leben notwendig, und die ist in hohem Gradeverlorengegangen. Wir reden heute ber das Geistig-Seelische so,wie wir in bezug auf den Menschen ber ueres reden. Wenn wireinem Kinde begegnen, einem Menschen mit 35 Jahren begegnenund einem Greis begegnen - wir sagen: dies ist ein Mensch, dies istein Mensch, dies ist ein Mensch. Aber eine wirkliche Beobachtungunterscheidet doch so, da das Abstraktum Mensch seine gewisseBerechtigung hat, da aber doch schlielich eine Wirklichkeit zu-grunde liegt: da das Kind ein Mensch von 35 Jahren wird und daein Mensch von 35 Jahren ein Greis wird. Einer wirklichen Beob-achtung mu der Unterschied in diesem Werdegang sehr klar vordas Auge treten. Nun ist es verhltnismig leicht, ein Kind zuunterscheiden von einem Menschen mit 35 Jahren und von einemGreis. Aber schon etwas schwieriger ist es mit Bezug auf das Inner-liche des Menschen, nun wirkliche Beobachtungen fr solche Un-terschiede anzustellen. Daher verwuselt man in der heutigen Zeitimmerzu die Einheit mit der Mannigfaltigkeit, die Einheit desseelischen Lebens mit jener Mannigfaltigkeit, die zum Beispiel

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 2 9

  • durch die drei Glieder des Seelenlebens - Denken, Fhlen undWollen - ausgelst wird. Sind denn Denken, Fhlen und Wollenganz voneinander verschiedene Dinge? Wren sie das, dann wre jaunser Seelenleben absolut in drei Glieder gespalten, dann wre keinbergang zwischen Wollen, Fhlen und Denken und damit demIntellektuellen des Menschen, wenn dies drei Glieder des mensch-lichen Seelenlebens wren, die man einfach so, wie es die Menschenheute bequem finden, zur Einteilung nebeneinander stellen knnte.Gerade aus dem Grunde, weil man das nicht kann, versucht Her-bart, Denken, Fhlen und Wollen einheitlich zu betrachten. Aberer hat das Ganze nach der Vorstellungsseite hinbergeleitet, undseine ganze Psychologie ist im Grunde genommen intellektuali-stisch geworden. Man mu einen Sinn in sich entwickeln, auf dereinen Seite die Einheit von Denken, Fhlen und Wollen zu sehenund auf der anderen Seite wiederum die Unterschiede von Denken,Fhlen und Wollen zu erkennen.

    Betrachtet man nun, nachdem man sich gengend dazu vorbe-reitet hat, das Wollen des Menschen, alles, was mit Begehren undWollen zusammenhngt, dann kann man dieses Wollen mit etwasvergleichen, was weiter im Seelenleben davon absteht, mit demIntellektuellen, und man kann sich fragen: Wie verhlt sich dasWillensleben, das Begehrungsleben zum intellektuellen Vorstel-lungsleben? Und man kommt nach und nach darauf, da einEntwicklungsunterschied besteht zwischen dem Wollen, dem Be-gehren und dem Vorstellen, ein solcher Entwicklungsunterschiedwie zwischen dem Kinde und dem Greise zum Beispiel. Aus demKinde wird der Greis in der Entwicklung; aus dem Wollen wird inder Entwicklung das Vorstellen. Die beiden sind nicht sovoneinander verschieden, da man sie nebeneinander stellen kannund sagen: Das eine ist das, das andere ist das -, sondern sie sindso voneinander verschieden, wie Entwicklungszustnde verschie-den sind. Man wird erst das menschliche Seelenleben in seiner Ein-heit richtig verstehen knnen, wenn man wissen wird: Wenn einscheinbar reines Begehren in der menschlichen Seele, ein reinesWollen auftritt - so ist das eine jungzustndliche uerung des

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 3 0

  • Seelenlebens, da lebt die Seele in ihrem Jugendzustand. Tritt intel-lektuelles Leben auf, tritt Vorstellungsleben auf, so lebt die Seele indem Zustand, der schon voraussetzt die Willensentfaltung, dergeworden ist aus der Willensentfaltung, und das Gemts- undGefhlsleben steht mitten drin, so wie der fnfunddreiigj hrigeMensch zwischen dem Kinde und dem Greise. Durch das Gemts-element hindurch entwickelt sich das Wollen zum intellektuellenLeben. Nur dadurch, da man Wollen, Fhlen und Denken nichtwie drei nebeneinanderstehende Seelenfhigkeiten auffat, wie esvon Herbart bekmpft, aber nicht richtig korrigiert worden ist,sondern dadurch, da man diese drei Seelenfhigkeiten in ihrerLebendigkeit, in ihrem Auseinanderhervorgehen auffat, kommtman zu einer wirklichen Erfassung des menschlichen Seelenlebens.

    Nun wird aber allerdings die Beobachtung leicht getuscht,wenn wir das Seelenleben nach diesem Gesichtspunkte auffassen.Die Beobachtung wird leicht getuscht, weil wir niemals innerhalbdes Lebens zwischen Geburt und Tod beim Menschen stehenblei-ben knnen, wenn wir diese Gesichtspunkte zugrunde legen. Werda glauben wollte, da das Leben zwischen Geburt und Tod soverluft, da einfach aus dem Willen sich die Intelligenz entwickelt,der wrde auf einem falschen Boden stehen. Wir sehen, wie sich dieIntelligenz allmhlich heraus offenbart aus den Untergrnden dermenschlichen Wesenheit bei dem werdenden Kinde. Wir knnendasjenige, was da an Intelligenz auch durch die Erziehung heraus-geholt werden kann, nur herausholen, wenn wir uns bewut sind,da dasjenige, was das Kind erlebt nach seiner Geburt, die Vorstel-lung, die Folge dessen ist, was es erlebt hat vor der Geburt be-ziehungsweise in dem vorgeburtlichen Dasein, vor der Empfngnis.Und wir verstehen dasjenige, was als Wille sich ausbildet im Lebenzwischen Geburt und Tod nur, wenn wir Rcksicht nehmen dar-auf, da der Mensch durch die Pforte des Todes geht, in ein geisti-ges Leben eingeht und sich dort sein Willenselement weiter ausbil-det. Wir knnen nicht, ohne auf das Gesamtleben des MenschenRcksicht zu nehmen, den Menschen wirklich erziehen. Wenn wiruns blo sagen: wir wollen das heranerziehen, was in der Zukunft

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 31

  • da sein soll - dann nehmen wir keine Rcksicht darauf, da dieMenschenwesenheit so beschaffen ist, da jedes Kind rtselhaft vonTag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr durch dasGewebe des Leibes das offenbart, was sich entwickelt hat im vor-geburtlichen, beziehungsweise vor der Empfngnis liegenden Le-ben. Und mit Bezug auf den Willen werden wir niemals eine rich-tige Ansicht gewinnen, wenn wir uns nicht bewut werden, dadasjenige, was sich als Wille geltend macht, nur ein Keim ist, dererst zur vollen Entfaltung kommt, wenn der uere Leib, in dem ersich wie in einem Boden entwickelt, abgelegt ist. Gewi, wir ms-sen die sittlichen Ideen in einem Menschen entwickeln, aber ms-sen uns klar sein, da diese sittlichen Ideen mit ihrem Eingebettet-sein in den Willen noch nicht zwischen Geburt und Tod alles dasbedeuten, als was sie sich uern, sondern da ihr volles Leben erstauftritt, wenn dieser Leib verlassen ist. Das schockiert den heutigenMenschen noch, wenn man fr eine vollstndige Menschen-erkenntnis eine Eingliederung des Menschen in die ganze, auchzeitliche Welt fordert, wenn man dazunimmt zu dem, was im Men-schen lebt, dasjenige, was er vor der Geburt durchgemacht hat undwas er nach dem Tode durchmachen wird. Aber nimmt man dasnicht dazu, betrachtet man den Menschen so, wie es die heutigeAnthropologie tut, nur in seinen uerungen zwischen Geburtund Tod, so hat man es nicht mit dem vollstndigen Menschen zutun, sondern nur mit einem Stck des Menschen, und dieses Stckdes Menschen kann man aus dem Grunde nicht erziehen, weil mansich hinstellt vor das werdende Kind und etwas erziehen will,wovon man nichts wei. Es wollen die Eigenschaften heraus, diesich entwickeln wollen nach Magabe dessen, was vorgeburtlichist; aber man nimmt keine Rcksicht darauf. Man lst nicht dasRtsel des Kindes, weil man keine Ahnung hat, was in dem Kindedrinnen steckt aus dem Leben vor der Geburt, und man lst dasRtsel des Kindes auch nicht nach der anderen Seite, weil mannicht wei, was Werdeprinzip ist, was sich erst entwickelt, wenn esdurch den Tod gegangen ist.

    Das mu eine Hauptforderung der heutigen Erziehung werden,

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 3 2

  • aus einer Wissenschaft heraus, die den ganzen Menschen ins Augefat; nicht aus einer Wissenschaft heraus, die behauptet, statt aufden Lehrstoff auch auf den Zgling zu sehen; nicht aus einer Wis-senschaft, die nicht den Menschen ins Auge fat, sondern einwesenloses Abstraktum des Menschen. Es ist wahrhaftig keine ein-seitige Mystik, die dem Erziehungswesen zugrunde gelegt werdensoll, indem so gesprochen wird, sondern es ist nur eine vollstndigeBeobachtung des ganzen Menschenwesens. Es ist der Wille, wirk-lich den ganzen Menschen in der Erziehung zu begreifen. Strebtman einseitig, so wie Herbart, nach der Entwicklung der Intellek-tualitt, so mu Willens- und Gemtsbildung unerzogen und un-entwickelt bleiben, denn man wird dann glauben, da man durchdas Beibringen von gewissen Vorstellungen, durch das Aufstellenund Vorbringen gewisser Vorstellungen jene Bewegung, jene Hem-mung und Sich-Sttzung der Vorstellung hervorrufen kann, vonder man ja spricht, wenn man von dem Gefhl und dem Willenspricht. Das kann man nicht; man kann nur den altgewordenenWillen, das heit die Intellektualitt, durch eine intellektuelle Er-ziehung entwickeln. Man kann das Gemt nur durch jenes Verhlt-nis entwickeln, das sich herausbildet zwischen Lehrer und Zglingin einer gemthaften Weise selbst; und man kann den Willen nie-mals anders entwickeln, als indem man sich bewut wird der ge-heimnisvollen Fden, die unterbewut zwischen Zgling und Er-zieher sind. Alles abstrakte Aufstellen von Erziehungsgrundstzenfr die Gemts- und Willensentwicklung kann nichts fruchten,wenn nicht Rcksicht genommen wird auf die Durchdringung desErziehers und Unterrichtenden selbst mit solchen Gemts- undWillenseigenschaften, die geistig - nicht durch Ermahnung, dasist physisch - wirken knnen auf den Zgling. So mu auch dasErziehungs- und Unterrichtsverhltnis nicht einseitig auf Intellek-tualitt gebaut sein, sondern mu ganz auf die Beziehung zwischenMensch und Mensch gestellt sein. Sie sehen daraus, da es notwen-dig ist, alles, was auf Erziehung sich bezieht, zu erweitern, alsodarauf Rcksicht zu nehmen, da tatschlich jenes intime Ver-hltnis zwischen Erzieher und Unterrichter und dem Zgling

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 3 3

  • hergestellt werden kann, wodurch hinausgehoben wird ber diePhrase der Satz: man solle nicht Lehrstoff bermitteln, sondernman solle den Zgling erziehen. Das wird man aber nur knnen,wenn man sich bewut wird, da dann, soll so etwas erstrebt wer-den, das ganze Leben des Unterrichtenden und Erziehenden nichtabhngig sein kann von etwas anderem, von dem staatlichen oderdem Wirtschaftsleben, sondern da das Erziehungs- und Unter-richtswesen ganz allein auf sich selbst gestellt sein mu, damit eswirken knne aus seinen eigenen Impulsen, aus seinen eigenenBedingungen heraus.

    Was geltend gemacht wird sowohl auf anthroposophischem Ge-biete wie auf dem Gebiete der Dreigliederung des sozialen Orga-nismus, das wird ja eigentlich dumpf von den besseren Persnlich-keiten der gegenwrtigen Menschheit schon gefhlt. Aber da auchdiese besseren Persnlichkeiten der gegenwrtigen Menschheitmutlos davor zurckscheuen, sich wirklich einzulassen auf einegeistige Erfassung des Lebens, wie sie angestrebt wird durch eineanthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, so knnen diesePersnlichkeiten beim besten Willen das volle Wesen des Men-schen nicht erkennen, was sie dazu bringen knnte zu sagen:Gerade das Unterrichts- und Erziehungswesen mu auf die wirk-liche Erfassung und auf das wirkliche Erleben des geistig Impul-siven selbst gestellt sein. Es ist interessant zu sehen, wie, ich mch-te sagen kmmerlich sich durch die Kultur der Gegenwartdurchzwngen manche Gefhle besserer Persnlichkeiten nacheiner Befreiung des Unterrichts- und Erziehungswesens und wiesie nicht heraus knnen, weil sie eigentlich nicht wissen, was siemachen sollen, weil sie im Widerspruch drinnen leben, mit einerWissenschaft reformieren zu wollen, die noch ganz aus dem Altenherausgewachsen ist.

    Da liegt ein Buch vor mir ber Entwicklungs-Psychologie undErziehungswissenschaft von Doktor Johannes Kretzschmar, dertatschlich etwas Neues aus dem Unterricht machen will, der dafhlt, da das Unterrichtswesen nicht richtig in der sozialen Ver-fassung der Gegenwart drinnen steht. Sehen wir uns einmal etwas

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 3 4

  • Charakteristisches gerade bei diesem Mann an. Er sagt auf Seite 210seines Buches:

    Gehen wir nun auf diese Weise vom Standpunkte der selb-stndigen, der forschenden Erziehungswissenschaft aus - und ermeint eine Erziehungswissenschaft damit, die durchaus auf derGrundlage der alten Wissenschaft gebaut ist , so wird dadurchnicht nur die Lehrerbildung und die Schularbeit beeinflut, son-dern auch die Stellung des Lehrers, des Pdagogen im Staate, in derSchulverwaltung. Zunchst ist prinzipiell selbstverstndlich, dader Lehrer, hnlich wie der Arzt, Staat und Gemeinde gegenbereine Vertrauensstellung einnehmen mu. Sie mssen ihm zugeste-hen, da auch die Erziehung - wie die Gesundheitspflege - eineSache ist, fr die in erster Linie das Gutachten des wissenschaftlichgeschulten Sachverstndigen magebend sein mu, nicht die Wn-sche und Forderungen politischer und kirchlicher Parteien; daferner die Leitung der Schule weniger eine Verwaltungsttigkeit alseine wissenschaftliche Funktion ist.

    Was fhlt der Mann also? Er fhlt, da die Verwaltungsttigkeit,die eine staatliche Funktion ist, nicht so voll ausgedehnt werdenkann auf den Unterricht und die Erziehung und da in den Impul-sen des Unterrichtenden und Erziehenden zu wenig von dem drinist, was man ber das Wesen des Menschen wissen kann. Der Mannmchte die Verwaltung ersetzt wissen durch eine Erteilung desUnterrichts- und Erziehungswesens im Sinne desjenigen, was manwissenschaftlich ber das Wesen des Menschen erkennen kann.Deshalb sagt er aus einem dumpfen Gefhl heraus: da ferner dieLeitung der Schule weniger eine Verwaltungsttigkeit als eine wis-senschaftliche Funktion ist, mithin nicht auf dem Wege behrd-licher Verordnungen bis in alle Einzelheiten hinein vorgeschriebenwerden kann. Gemeinde und Staat mssen zur Lehrerschaft dasvolle Vertrauen haben, da sie ihrem Amte gewachsen ist, da sieihrer Pflicht in vollem Umfange sich bewut und daher von ue-ren Anregungen unabhngig ist. Dieses Vertrauen wird sich darinuern, da - soweit die internen Angelegenheiten des Schulbetrie-bes in Betracht kommen - neben den Direktoren auch die Kolle-

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 3 5

  • gien zu ihrem Recht kommen, der Lehrer also nicht blo alsUntergebener, als Beamter betrachtet wird. Die rechte Wrdigungder pdagogischen Ttigkeit wird sich sodann in der Regelung derSchulaufsichtsfrage zeigen mssen. Weder der Geistliche noch derPhilolog kann als die geeignete Persnlichkeit fr die Schulleitungund Schulaufsicht erachtet werden.

    Man fragt sich dann nur: Wieso kommt der Mann noch nichtdazu, auch einzusehen, da auch der Schulaufseher nicht vom Staaternannt werden kann, da er aus dem Schulwesen selber herausgestellt werden mte?

    Beides mu durchaus in die Hnde von Fachleuten, von Pd-agogen, gelegt werden: Ja, warum soll es dann nicht gleich vompdagogischen Felde aus geleitet werden? Warum erst auf demUmwege von etwas, was im Grunde genommen sachlich nichtmitsprechen kann!

    Da auch Frsorgeerziehungsanstalten, Schwachsinnigenschu-len usw. weder von Pfarrern noch von rzten zu leiten sind, bedarfwohl keines eingehenden Beweises. - Von grter Wichtigkeit istaber nun vor allem der Einflu der Lehrerschaft auf die Schul-gesetzgebung.

    Dieser Einflu der Lehrerschaft auf die Schulgesetzgebung wirdganz gewi am allergrten dann sein, wenn die Lehrer selbst dieseSchulgesetze machen in dem selbstverwalteten Geistesleben im Sin-ne des dreigliedrigen sozialen Organismus.

    Sie sehen in alledem ein dumpfes Sich-Hinbewegen zu dem,wozu nur der Impuls des dreigliedrigen sozialen Organismus denMut hat, es wirklich in die Auenwelt einpflanzen zu wollen. AlsBedrfnis ist es bei den besten Menschen der Gegenwart vorhan-den, was der Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismuswill. Nur sind diese besten Menschen der Gegenwart in ihremgeistigen Atmen so beengt durch die dumpfe Luft des heutigenffentlichen Lebens, durch die Vorurteile, welche alles zusammen-schweien in den Einheitsstaat, so da sie nicht dazu kommen, ihreGedanken wirklich zu Ende zu bringen. Und so kann man lesen,da die Gesetzgebung wird darauf hinzuwirken haben, da der

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 3 6

  • Einflu der Schule auf das Elternhaus durch den Staat zu sttzenund zu strken ist, da unter Umstnden schulfeindliche und wi-derspenstige Eltern zur richtigen Erziehung ihrer Kinder zu zwin-gen sind. Die Schulsynode wrde also den Staat zu bestimmensuchen, da er nicht nur das Auf sichtsrecht ber das Schulwesenausbt, sondern auch den Lehrer schtzt und untersttzt in seinerWirksamkeit.

    Man fragt sich: Ja, warum soll das der Lehrer nicht alles selbermachen knnen? - Weil solche Menschen, die nach dieser Richtungdenken, eben, wie gesagt, die freie Atemluft nicht fhlen, die dasfreie Geistesleben gewhrt. Sie sind durch die Verkmmerung desDenkens im Sinne des alten Einheitsstaates soweit gebracht wor-den, da sie gar nicht daran denken, welch ein Unding es doch ist,da dasjenige, was - wie sie es selbst verlangen - von dem geistigenGliede des sozialen Organismus verwaltet werden soll, nicht erstvon dem Rechtsgliede befohlen, nicht erst von dem Rechtsgliedegeschtzt und untersttzt zu werden braucht. Sind nicht die Wor-te, da der Lehrer geschtzt und untersttzt werden soll vomStaate, recht charakteristisch? Das ist so, wie wenn jemand sagt:Wir getrauen uns nicht, selber diesen Zustand herbeizufhren, derwnschenswert wre, wir wollen, da wir angetrieben werden.Aber dieser Antrieb kommt nicht. Denn auf jener Seite, von derman ihn erwartet, besteht eben - selbstverstndlich ganz gerecht-fertigt - kein Verstndnis fr das, was eigentlich geschehen soll.

    Dieser grere Einflu des Staates auf die Erziehung - also erwill sogar noch einen greren Einflu des Staates auf das, was derLehrer und Erzieher tun soll - liegt ja ganz logisch in der Rich-tung der historischen Entwicklung. Ja, in der Richtung der histo-rischen Entwicklung liegt es wirklich, aber die historische Ent-wicklung mu um ihrer Gesundheit willen einen anderen Laufnehmen als zu dem, wozu sie bis jetzt den Anlauf nimmt. DenkenSie einmal, eine Pflanze wrde im Sinne der Goetheschen Meta-morphose immer nur grne Bltter hervorbringen und nicht vomgrnen Laubblatt zum farbigen Blumenblatt bergehen wollen,dann wrde sie das Ziel ihrer Entwicklung nicht erreichen. In hn-

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 3 7

  • lichem Sinne mu man beachten, da nicht immer im Sinne derhistorischen Entwicklung in gleicher Weise weitergegangen werdenkann, sondern da in der Entwicklung eine Epoche die andereablsen mu.

    Es gab eine Zeit, da der Staat noch kein unmittelbares Interesseam Bildungswesen hatte, und dann kam die Zeit, wo er dieses In-teresse im Schulzwang und im Schulunterricht zum Ausdruckbrachte. Der moderne Staat als Verfassungsstaat, in dem das Volkan der Gesetzgebung unmittelbar beteiligt ist, mu neben der po-litischen auf die allgemeine Bildung seiner Glieder ganz besonde-ren Wert legen. Da nun aber die Erziehungsmglichkeit der Schulenur eine begrenzte ist, so mu der Staat seinen Einflu auf alleGebiete der Erziehung ausdehnen, also auch auf die Familie unddie Umwelt des Kindes. - Nun soll der Staat zum Miterzieherberufen werden neben dem, was das Geistesleben aus sich selbsthervorbringen kann. Sie sehen daran, da man dumpf richtig fhltund von diesem Gesichtspunkt zu dem Gegensatz von dem ge-langt, was aus einer gesunden Anschauung heraus heute angestrebtwerden soll: Dasjenige Gebiet der pdagogischen Wissenschaft,das fr ihn den grten Wert besitzt, ist naturgem die pdago-gische Soziologie.

    Also er will das soziale Leben zur Richtschnur fr die Pdago-gik machen, whrend gerade die sozialen Triebe in dem Menschendurch eine richtige Erziehung entfacht werden mssen, damit siezur Gesundung des sozialen Lebens vorhanden sein knnen.

    Sie zeigt ihm einerseits den Einflu der Erziehung auf die f-fentliche Wohlfahrt und klrt ihn andererseits darber auf, inwie-weit die Entwicklung des Zglings nicht blo von der systemati-schen Erziehung, sondern auch von den Miterziehern abhngig ist.Auf die Wichtigkeit dieser pdagogischen Soziologie mu auch dieSchulsynode immer wieder hinweisen, deren Rat fr den Staat umso unentbehrlicher wird, je mehr sein Einflu auf die Erziehungwchst.

    Also Kretzschmar sieht ein: Der Staat wird immer mehr ntighaben, auf die Erziehung zu hren. Trotzdem soll sie nicht unmit-

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 3 8

  • telbar ausgefhrt werden durch eine Einrichtung, die durch dasErziehungswesen selbst geschaffen werden kann, sondern es sollerst der Staat das ausfhren; dann wird erst darauf hingewiesen,da er auch anordnen kann. Also gesttzt will das sein, waseigentlich die Forderung in unserer Zeit erheben mu, sich frei,unabhngig zu entfalten.

    Etwas ist ganz besonders interessant in diesem Buche. Selbstver-stndlich wird ein Mann, der so gutwillig ist wie Kretzschmar,auch aufmerksam darauf, da die Lehrerbildung anders werdenmte. Er findet, da in den Lehrerbildungsanstalten auch nichtalles so ist, wie er es haben mchte. Er bemerkt es und sagt sich:Da mu manches anders werden. Er bemerkt: die Pdagogik wirdan den Universitten so als Nebenfach behandelt, aber sie umfatnach seiner Ansicht so vieles, da sie nicht als Nebenfach behandeltwerden drfte, sondern sie mte eingegliedert werden in dieUniversitten als selbstndiges Lehrfach. Nun denkt er nach: diesogenannten vier Fakultten sind schon durchbrochen worden,man hat schon zu der philosophischen Fakultt die naturwissen-schaftliche hinzugefgt und zur juristischen die staatswissenschaft-liche. Er denkt nun nach, ob man nicht vielleicht die Pdagogik mitirgendeiner Fakultt durch die Erweiterung dieser Fakultten ver-binden knnte. So gibt es heute Universitten, die haben neben denbekannten vier Fakultten - also der theologischen, der philosophi-schen, der medizinischen, der juristischen - noch die staatsrecht-liche und die naturwissenschaftliche Fakultt. Nun meint er, da eszu allerlei Kalamitten fhren knnte, eine eigene pdagogischeFakultt zu errichten. Aber mit welcher Fakultt sollte man Pd-agogik sonst verbinden? Und es ist sehr charakteristisch, da erdazu kommt, da er die Pdagogik der Staatswissenschaft zuweisenund eine staatswissenschaftlich-pdagogische Fakultt begrndenmochte.

    Sie sehen, so stark wirkt der Zwang, da vom Staate alles das-jenige ausgehen soll, was auf den Menschen wirkt, da selbst ein soaufgeklrter Herr es am gnstigsten findet, die Pdagogik zum Ge-schwisterwesen des Staatsrechtes zu machen. Ich habe es ja hier

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 3 9

  • schon gesagt: die Menschen streben immer dahin, nicht als dasjeni-ge zu gelten, was sie durch ihr Wesen sind, sondern als das, was siedurch die Abstempelung des Staates sein knnen. Selbst freie Br-ger sollen sie nicht sein, sondern Menschen, die irgendwie mit ih-ren Brgerrechten in den Staat eingetragen sind. Die Menschenstreben darnach, Glieder der Staatsordnung zu werden. Das bildetden Gedanken aus: Also mu man die Menschen so erziehen undunterrichten, da sie richtige Glieder des Staates werden. Wo solltealso die Pdagogik besser hingestellt werden als zum Staatsrecht?Es ist interessant, da ein Mann, der ganz richtige Empfindungenhat fr das, was geschehen soll, die entgegengesetzten Schlssezieht aus seinen Voraussetzungen, als man meinen sollte.

    Sehen Sie, ich habe Ihnen damit heute vor allen Dingen zunchstdie Widerstnde charakterisiert, mit denen man zu kmpfen habenwird, wenn man eine solche Schule aufbauen will, wie es die Wal-dorfschule werden soll. Sie widerstrebt den Gedanken der Men-schen, selbst den Gedanken der besten Menschen. Sie mu wider-streben; denn wrde sie nicht widerstreben, so wrde sie nicht inder Richtung der Zukunftsentwicklung arbeiten. Aber es wird indieser Zukunftsrichtung gerade auf geistigem, erzieherischem undunterrichtendem Gebiete gearbeitet werden mssen. Wir werdenwahrhaftig keine einseitige Weltanschauungsschule errichten. Werglaubt, da wir eine Anthroposophenschule grnden wollen,oder wer das verbreitet, der glaubt oder verbreitet eine Verleum-dung. Das wollen wir ganz und gar nicht, und wir werden es zei-gen, da wir es nicht wollen. Denn kommt man uns mit allem soentgegen, wie wir allem entgegenkommen, dann wird in der Wal-dorfschule der Religionsunterricht der evangelischen Kinder vondem am Orte lebenden evangelischen Pfarrer beziehungsweise Vi-kar erteilt werden, der katholische Unterricht wird von dem katho-lischen Priester erteilt, der jdische von dem Rabbiner. Das heit,wir werden uns nicht darauf einlassen, irgendeine Weltanschau-ungsschule zu begrnden, wir wollen nicht den Inhalt der Anthro-posophie in unsere Schule hineintragen, wir wollen etwas anderes.Anthroposophie ist Leben, ist nicht blo eine Theorie. Und An-

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 4 0

  • throposophie kann bergehen in die Gestaltungsfhigkeit, in dieHandhabung des Unterrichts - insofern Anthroposophie pdago-gisch werden kann, insofern durch Anthroposophie die Fertigkeitgewonnen werden kann, zum Beispiel besser das Rechnen zulehren, als es bisher gelehrt wurde, besser das Schreiben, besser dieSprachen, besser die Geographie zu lehren, als sie bis jetzt gelehrtwurden. Also insofern eine Methode fr diese Schule geschaffenwerden soll durch Anthroposophie, insofern streben wir. Wir er-streben Methodik, Unterrichtspraxis. Das ist es, in was wir auslau-fen lassen mchten dasjenige, was aus einer wirklichen Erkenntnisdes Geistigen wahrhaftig folgen wird. Wir werden eben so lesenlehren, wir werden so schreiben lehren und so weiter, wie es derWesenheit des Menschen angemessen ist. Dadurch werden wirzunchst ganz absehen von dem, was man uns wahrscheinlich un-terstellen wird: da wir durch eine Schule schon bei den KindernPropaganda machen wollen fr Anthroposophie. Das werden wirnicht wollen. Denn wir wissen ganz gut, da die Widerstnde, diewir schon zu berwinden haben, ins Unermeliche steigen. Wirwerden nur streben, zu unterrichten insofern, als durch das Durch-lebtsein mit anthroposophischen Impulsen gut unterrichtet underzogen werden kann. Deshalb wird es uns nicht stren, wenngewissen Anforderungen gengt wird, die von da oder dort kom-men, zum Beispiel, da der Religionsunterricht in den einzelnenKonfessionen von den Verwaltern, die innerhalb dieser Konfessionstehen, besorgt wird.

    Damit habe ich zunchst einiges einleitend ber dasjenige ge-sagt, was die Waldorfschule sein will. Ich werde am nchsten Sonn-tag um dieselbe Zeit in diesen Betrachtungen fortfahren.

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 41

  • AUS WELCHEM GEISTE KANN SICH EINEERZIEHUNGSKUNST DER GEGENWART ENTWICKELN?

    Stuttgart, 31. August 1919 (nachmittags)

    Vor acht Tagen versuchte ich, die Gesichtspunkte darzulegen,die der Begrndung der Waldorfschule zugrunde liegen. Ich habeschon darauf aufmerksam gemacht, da natrlich diese Begrn-dung nicht ins Blaue hinein gemacht wird, sondern da sie mit demwird rechnen mssen, was nun einmal Schulerziehungen der Ge-genwart sind, so da dasjenige, was unseren Zielen, unseren Er-kenntnissen entspricht, in die Schulentwicklung der Gegenwart nurwird hineingestellt werden knnen. Ich habe auf Schwierigkeitenhingewiesen, welchen eine wirkliche Erziehungskunst in unsererGegenwart begegnet. Und ich will heute - ich kann das natrlichnur in einigen allgemeinen Umrissen - auf einiges hinweisen, ausdem Sie werden ersehen knnen, wie der Geist sein mu, aus demsich gegenwrtig eine Erziehungskunst entwickeln kann. Es ist jadurchaus so, da aus den mannigfaltigsten Untergrnden heraus inweitesten Kreisen eine dunkle oder auch mehr oder weniger helleAhnung davon besteht, da in unserem Erziehungswesen etwasanders werden mu. Und es hngt eigentlich die wirkliche, richtigeGestaltung der sozialen Menschheitszukunft an der Ausgestaltungeiner wahren Erziehungskunst, einer Erziehungskunst, die wirklichden Kultur auf gaben unserer Gegenwart und der nchsten Zukunftgewachsen ist.

    Nun handelt es sich dabei vor allen Dingen darum, da man zurErziehung und zum Unterricht insbesondere fr das kindlicheAlter die entsprechende Lehrerschaft hat. Was die Lehrerschaft denKindern entgegenbringt, die Impulse, aus denen heraus die Lehrer-schaft ihre Kunst ausbt, das ist etwas von dem allerallerwesent-lichsten. Und gerade wenn man diese Gesichtspunkte ins Augefat, wird man finden, da da vieles in der Gegenwart ist, waseinem richtigen Einnehmen dieses Gesichtspunktes widerstrebt. Esist ja nun natrlich, da der Lehrer, der Erzieher zunchst durch

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 4 2

  • diejenigen Bildungsanstalten durchgeht, die aus dem mehr oderweniger wissenschaftlichen Bewutsein der Gegenwart herausentwickelt sind. Aber dieses wissenschaftliche Bewutsein der Ge-genwart ist so, da es keinen Gesichtspunkt abgibt, den werdendenMenschen wirklich zu erkennen. Und gerade in diesem Punkte hatdas erste eingesetzt, was wir notwendigerweise fr die Begrndungder Waldorfschule tun muten. Ich habe ja schon im letzten Vor-trag hier gesagt, da die knftige Lehrerschaft der Waldorfschulebereits vereinigt ist und da eine pdagogisch-didaktische Vor-bereitung stattfindet. Es handelt sich dabei darum, da vor allenDingen die Lehrer dazu kommen, die richtigen Gesichtspunkte zufinden: erstens fr das Erkennen der werdenden Menschennatur,wie sich diese in der Kindheit offenbart; zweitens, da sie dazukommen, aus der Einsicht in diese werdende Menschennatur dieErziehungskunst auszuben. Namentlich ist es in der Gegenwartnotwendig, eine ganz neue, fr die Auenwelt neue Menschen-kunde und Menschenerkenntnis erst herauszuarbeiten.

    Unsere wissenschaftliche Gesinnung ist stolz auf ihre Erfah-rungs- und Beobachtungsmethode. Und diese Erfahrungs- und Be-obachtungsmethode hat ja auf naturwissenschaftlichem Felde zugroen Triumphen gefhrt. Allein, im Grunde genommen haben inder Gegenwart recht viele, die gerade dem Erziehungswesen nahe-stehen, schon herausgefhlt, da aus dieser Erfahrungs- und Beob-achtungsmethode Gesichtspunkte fr das Erziehen nicht zu findensind. Solche von einer gewissen Seite her einsichtigen Menschenhaben sich gefragt: Was machen wir in den aufeinanderfolgendenLebensepochen des Kindes, um die Entwicklungskrfte, die in die-sen aufeinanderfolgenden Lebensepochen des Kindes herauskom-men, richtig zu bentzen? Man braucht nur auf einzelnes hinzu-weisen, dann wird man finden, da solche Sehnsucht, das Kindseiner Entwicklung nach wirklich kennenzulernen, bei Pdagogeneigentlich schon da ist, da sich aber diese Pdagogen aus der ge-genwrtigen wissenschaftlichen Gesinnung heraus solchen Fragengegenber gewissermaen nicht zu helfen wissen. Da brauche ichnur darauf hinzuweisen, da zum Beispiel schon im Jahre 1887 der

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 4 3

  • Pdagoge Sallwrk auf das folgende aufmerksam gemacht hat. Ersagte sich: Die Naturwissenschaft hat zum Beispiel herausgefun-den, da in der Entwicklung der Organismen ein gewisses Gesetzherrscht, das der jngst verstorbene Ernst Haeckel bezeichneteals das biogenetische Grundgesetz. Nach diesem biogenetischenGrundgesetz entwickelt sich whrend des Embryonallebens dereinzelne Mensch so, da er die Stammesentwicklung der Tierreiheverfolgt. Whrend der embryonalen Entwicklung ist der Mensch inden ersten Wochen einem niederen Tier hnlich und steigt dannhinauf, bis er sich zum Menschen entwickelt. Die individuelleEntwicklung ist eine kurze Wiederholung einer langen Entwick-lung in der Welt drauen. Nun haben sich die Pdagogen gefragt:Kann so etwas hnliches auch gelten fr die Entwicklung des ein-zelnen Kindes in bezug auf das Geistig-Seelische? Und kann dieErziehungswissenschaft irgendeine Sttze finden in einem Gesetz,das nachgebildet wird diesem biogenetischen Grundgesetz?

    Sie sehen, es ist das Bemhen schon da, nicht einfach daraufloszu erziehen, sondern einen Gesichtspunkt zu finden gegenber derEntwicklung des werdenden Menschen. Da war es naheliegend,zum Beispiel zu sagen: Nun, die ganze Menschheit hat durchge-macht die Zeit der Urkultur; dann sind solche Kulturen daraufgefolgt, wie wir sie geschichtlich berliefert haben in den altenorientalischen Kulturen; dann folgte darauf das Griechentum, dasRmertum, dann die Entwicklung des Mittelalters und so weiterbis in die neuere Zeit hinauf. Knnen wir fr den einzelnen indi-viduellen Menschen sagen, da er als Kind in der Kindheit diemenschliche Urkultur und dann weitere Stufen der menschlichenEntwicklung wiederholt hat? Und knnen wir, indem wir dieGeschichte in ihren Gesetzmigkeiten verfolgen, daraus etwasgewinnen fr die Entwicklung des einzelnen Kindes? Sallwrk hatschon 1887 in seinem Buch Gesinnungsunterricht und Kultur-geschichte in entschiedenster Weise bestritten, da man aus sol-chen Untergrnden heraus irgendwelche Anhaltspunkte fr die Er-ziehungskunst gewinnen knne. Ja, schon frher hat der aus derHerbartschen Anschauung hervorgegangene Pdagoge Theodor

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 4 4

  • Vogt darauf hingewiesen, da man in der Gegenwart ohnmchtigist, sich pdagogisch solche Fragen zu beantworten. Er sagte schon1884: Gbe es eine vergleichende Geschichtswissenschaft, wie eseine vergleichende Sprachwissenschaft gibt, so knnte man viel-leicht aus einer solchen vergleichenden Geschichtswissenschaftheraus fr die Erziehung des Kindes ebensolche Anhaltspunktefinden, wie man aus der vergleichenden Stammesgeschichte desTierreiches Anhaltspunkte fr das eben gekennzeichnete biogene-tische Grundgesetz gefunden hat. Aber er gestand sich, da es soetwas wie eine vergleichende Geschichtswissenschaft, aus der sol-che Gesetze gewonnen werden knnen, eben nicht gibt. Und derJenenser Pdagoge Rein sprach ihm das 1887 nach, und so liegendie Dinge in der ueren Pdagogik und ueren Erziehungskunstnoch heute. Sie knnen mit Recht gegenber solchen Bestrebungenund in der Diskussion ber solche Bestrebungen sagen: Ja, sollteman sich als Erzieher nicht lieber auf den Standpunkt der gesundenMenschenempfindung stellen, statt sich von einer abstrakten Wis-senschaft her diktieren lassen zu mssen, was fr die Entwicklungdes werdenden Kindes ntig ist? Und Sie haben recht mit einemsolchen Einwand. Denn dieser Einwand ergibt sich auch, wennman die Sache etwas tiefer und grndlicher betrachtet. Er ergibtsich deshalb, weil in der Tat, wenn man nichts hat als diejenigeWissenschaft, die auf den Methoden des gegenwrtigen Natur-erkennens aufgebaut ist, aus den Abstraktionen, die man durch siegewinnt, nichts fr die Entwicklung des Menschengeistes und derMenschenseele gewinnen kann. Man strebt vergeblich, wenn mannach so etwas strebt. Aber man kann auch nicht aus dem bloenunentwickelten Menschenverstand und Menschenempfinden her-aus wirklich ein Erziehungsknstler werden. Man braucht etwas,was einem Gesichtspunkte gibt. Und gerade hier zeigt sich dieNotwendigkeit, eine neue Menschenkunde aufzubauen als Grund-lage fr eine wirkliche Erziehungskunst der Zukunft. Die landlu-fige Wissenschaft hat gar nicht die Untergrnde fr eine solcheMenschenkunde. Sie mssen gewonnen werden durch die Erkennt-nis des Menschengeistes und auch des Werdens des Menschen-

    copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 4 5

  • geistes innerhalb der Menschheitsgeschichte. Man mu viel weitereGesichtspunkte haben, als die gegenwrtig auf Naturwissenschafthin orientierte Wissenschaft hat.

    Wenn wir das werdende Kind beobachten, so finden wir zu-nchst - ich habe schon fter darauf aufmerksam gemacht -, daein lngerer Entwicklungszeitraum liegt zwischen der Geburt unddem Zahnwechsel gegen das siebente Jahr. Wenn man das, was inder Seele des Kindes sich bettigt in dieser Zeit, vergleicht mit alldem, was sich vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife entfaltet,so ergibt dies einen groen Unterschied. Dieser Unterschied be-steht darin, da das Kind in den ersten Lebensjahren bis zumZahnwechsel darauf hinorientiert ist, dasjenige nachzumachen, wases in der Umgebung sieht und hrt und wahrnimmt. Das Kind istein Nachahmer in dieser Zeit. Vom siebenten bis zum fnfzehntenJahre, vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, ist das Kinddarauf hingeordnet, da die Autoritt seiner Umgebung auf eswirkt. Es ahmt dann in der Hauptsache nicht mehr blo nach,sondern will von Erwachsenen hren, was richtig, was gut ist. Eswill glauben knnen an die Einsicht der Erwachsenen; instinktivwill es Autoritt. Und es kann sich nur entfalten, wenn es diesenGlauben entwickeln kann.

    Sieht man dann aber weiter zu, dann ergeben sich wiederumEinschnitte auch in diesen groen Lebensabschnitten. Wir sehenzum Beispiel einen deutlichen Einschnitt innerhalb der Zeit vonder Geburt bis zum Zahnwechsel so um das dritte Lebensjahr her-um, wo das Kind in das Entwicklungsstadium eintritt, in dem eszum ersten Mal ein deutliches Ich-Gefhl entwickelt. Da beginntderjenige Zeitabschnitt, bis zu dem man sich im spteren Lebenzurckerinnert, whrend das frhere Erleben in den Schlaf derKindheit hineinverschwindet. Und manches andere tritt um dieseLebenszeit in der Entwicklung des Kindes auf, so da man sagenkann: trotzdem das Kind im wesentlichen ein Nachahmer ist in denersten sieben Lebensjahren, liegt um die Mitte dieser ersten siebenLebensjahre herum ein wichtiger Abschnitt, der in der ersten Er-ziehung bercksichtigt werden mu. Dann aber liegen wiederum

    Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 2 97 Seite: 4 6

  • zwei wichtige Abschnitte in der Zeit von dem Zahnwechsel bis zurGeschlechtsreife, also gerade in dem Zeitalter des Kindeslebens, indem die Volksschulerziehung sich abwickeln soll. Wenn sich dasKind ungefhr dem neunten Jahre nhert, wird man einen groenUmschwung in der Entwicklung des Kindes beobachten knnen.Was im Menschenleben auftritt, ist ja nach der einen Seite hindeutlich da. Es geht wiederum das eine in das andere ber. DasKind ist in den ersten sieben Lebensjahren ein Nachahmer; aberwenn es nach dem Zahnwechsel schon hinneigt zum Autorittsge-fhl, bleibt ihm noch etwas von der Sehnsucht nachzuahmen ausden frheren Jahren da, so da sich bis zum neunten Jahre hin imKinde fortwhrend der Drang vermischt, seine Umgebung nachzu-ahmen und schon die Autoritt auf sich wirken zu lassen. Wennman beobachtet, welche Krfte da im kindlichen Lebensalter her-auskommen aus dem Innern der Menschennatur, dann findet man- wie gesagt, ich kann diese Dinge heute nur andeuten - durch eineweitere Erwgung und Beobachtung, da in dieser Zeit bis zumneunten Jahre hin gerade die Krfte, die da herauskommen, ver-wendet werden mssen, um dem Kinde das beizubringen, was sichals die ersten Anfangsgrnde des Lesens und Schreibens ergibt.Und man soll diese Anfangsgrnde im Lese