Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

26
Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien über horizontale Kooperationen ©BDI Wettbewerb, Öffentliche Aufträge und Verbraucher Die Europäische Kommission hat am 4. Mai 2010 die Entwürfe zweier überarbeiteter Verordnungen und der zugehörigen Leitlinien für die Prüfung von Kooperationsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern veröffentlicht. Bei den neuen Regelungen handelt es sich um den Entwurf der Verordnung über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV auf Gruppen von Spezialisierungsvereinbarungen („Spezialisierungs-GVO“), den Entwurf der Verordnung über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV auf Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung („F&E- GVO“) sowie die Neufassung der Leitlinien über Vereinbarungen über ho- rizontale Zusammenarbeit („Horizontalleitlinien“). Die derzeit geltenden Vorschriften laufen am 31. Dezember 2010 aus. Der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) dankt der Europäi- schen Kommission für die Möglichkeit, zu den Entwürfen der Neuregelun- gen über horizontale Kooperationen Stellung zu nehmen. Wie der BDI auch schon in seiner Stellungnahme vom 10. Februar 2009 zu den Erfahrungen mit den derzeit geltenden Regelungen zur horizontalen Zusammenarbeit deutlich gemacht hat, befürwortet die deutsche Industrie die Regelungen zu horizontalen Kooperationen, die den Unternehmen in der Praxis wertvolle Orientierungshilfen zur kartellrechtlichen Beurteilung ihrer gemeinsamen Vorhaben bieten. Kooperationen sind für Unternehmen von zunehmend großer Bedeutung. Im Zuge der Globalisierung, des raschen technischen Wandels und der wachsenden Dynamik der Märkte sind Unter- nehmen beim Ringen um die vorderen Plätze im Wettbewerb verstärkt auf die horizontale Zusammenarbeit angewiesen. Kooperationen können dabei wirtschaftlichen Nutzen schaffen und einen wirksamen Wettbewerb ge- währleisten. Aus diesem Grund begrüßt der BDI, dass die Europäische Kommission nach Auslaufen der derzeit geltenden Regelungen zu horizontalen Koopera- tionen Ende 2010 neue Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien für diesen wichtigen Bereich einführen möchte. Die Neuregelungen in den Entwürfen, insbesondere die Ergänzungen in den Horizontalleitlinien, wer- den insgesamt positiv aufgenommen. Mehrere Anregungen aus der Stel- lungnahme des BDI vom 10. Februar 2009 wurden durch die Kommission aufgegriffen. Registrierungsnummer im Register der Interessenvertreter 1771817758-48 Dokumenten Nr. D 0353 Datum 2. Juli 2010 Seite 1 von 26 Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Mitgliedsverband BUSINESSEUROPE Telekontakte T: 0032 2 792 1005 F: 0032 2 792 1010 Internet www.bdi.eu E-Mail [email protected]

Transcript of Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

Page 1: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

Stellungnahme

Konsultation der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien über horizontale Kooperationen

©BDI Wettbewerb, Öffentliche Aufträge und Verbraucher

Die Europäische Kommission hat am 4. Mai 2010 die Entwürfe zweier

überarbeiteter Verordnungen und der zugehörigen Leitlinien für die Prüfung

von Kooperationsvereinbarungen zwischen Wettbewerbern veröffentlicht.

Bei den neuen Regelungen handelt es sich um den Entwurf der Verordnung

über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV auf Gruppen von

Spezialisierungsvereinbarungen („Spezialisierungs-GVO“), den Entwurf

der Verordnung über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV auf

Gruppen von Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung („F&E-

GVO“) sowie die Neufassung der Leitlinien über Vereinbarungen über ho­

rizontale Zusammenarbeit („Horizontalleitlinien“). Die derzeit geltenden

Vorschriften laufen am 31. Dezember 2010 aus.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) dankt der Europäi­

schen Kommission für die Möglichkeit, zu den Entwürfen der Neuregelun­

gen über horizontale Kooperationen Stellung zu nehmen.

Wie der BDI auch schon in seiner Stellungnahme vom 10. Februar 2009 zu

den Erfahrungen mit den derzeit geltenden Regelungen zur horizontalen

Zusammenarbeit deutlich gemacht hat, befürwortet die deutsche Industrie

die Regelungen zu horizontalen Kooperationen, die den Unternehmen in der

Praxis wertvolle Orientierungshilfen zur kartellrechtlichen Beurteilung ihrer

gemeinsamen Vorhaben bieten. Kooperationen sind für Unternehmen von

zunehmend großer Bedeutung. Im Zuge der Globalisierung, des raschen

technischen Wandels und der wachsenden Dynamik der Märkte sind Unter­

nehmen beim Ringen um die vorderen Plätze im Wettbewerb verstärkt auf

die horizontale Zusammenarbeit angewiesen. Kooperationen können dabei

wirtschaftlichen Nutzen schaffen und einen wirksamen Wettbewerb ge­

währleisten.

Aus diesem Grund begrüßt der BDI, dass die Europäische Kommission

nach Auslaufen der derzeit geltenden Regelungen zu horizontalen Koopera­

tionen Ende 2010 neue Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien

für diesen wichtigen Bereich einführen möchte. Die Neuregelungen in den

Entwürfen, insbesondere die Ergänzungen in den Horizontalleitlinien, wer­

den insgesamt positiv aufgenommen. Mehrere Anregungen aus der Stel­

lungnahme des BDI vom 10. Februar 2009 wurden durch die Kommission

aufgegriffen.

Registrierungsnummer im Register der Interessenvertreter 1771817758-48

Dokumenten Nr. D 0353

Datum 2. Juli 2010

Seite 1 von 26

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. Mitgliedsverband BUSINESSEUROPE

Telekontakte T: 0032 2 792 1005 F: 0032 2 792 1010 Internet

www.bdi.eu E-Mail

[email protected]

Page 2: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

Aus Sicht des BDI könnte die Kommission zur Vermeidung rechtlicher Un­

sicherheiten für die Unternehmen in einigen Bereichen jedoch weitere Klar­

stellungen schaffen. Begrüßenswert wäre auch eine positivere Grundhaltung

der Europäischen Kommission zu Fällen des Informationsaustausches zwi­

schen Unternehmen sowie zu Vereinbarungen über Normen. Schließlich

möchte der BDI auch seine Kritik an dem Konzept der Marktanteilsschwel­

len in den Regelungen zu horizontalen Kooperationen erneuern.

Im Folgenden gehen wir auf diese und einige weitere Punkte gesondert ein,

die aus unserer Sicht verbesserungswürdig erscheinen. Dabei konzentrieren

wir uns insbesondere auf die Neuerungen in den Horizontalleitlinien und

auf Anmerkungen zum Entwurf der F&E-GVO.

Gliederung

A. Bemerkungen zum Konzept der Marktanteilsschwellen

B. Bemerkungen zum Entwurf neuer Horizontalleitlinien I. Allgemeine Bemerkungen II. Einzelkommentare 1. Vereinbarungen zwischen Muttergesellschaften und ihren

(mit) kontrollierten Tochtergesellschaften 2. Konzept des „am weitesten vorgelagerten unerlässlichen Bausteins“ 3. Wettbewerbsrechtliche Würdigung des Informationsaustauschs 4. Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion 5. Einkaufsvereinbarungen 6. Vermarktungsvereinbarungen 7. Vereinbarungen über Normen

C. Bemerkungen zum Entwurf der F&E-GVO I. Allgemeine Bemerkungen II. Einzelkommentare 1. Nebenabreden in nicht wettbewerblich beschränkenden F&E-

Vereinbarungen 2. Spezialisierung auf Forschung und Entwicklung Art.1 Nr. 12 F&E-

GVO 3. Spezialisierung auf die Verwertung, Art. 1 Nr. 13 F&E-GVO 4. Begriff des „potentiellen Wettbewerbers“, Art. 1 Nr. 16 F&E-GVO 5. Offenlegung sämtlicher bestehender und anhängiger Rechte des geisti­

gen Eigentums, Art. 3 Abs. 2 F&E-GVO 6. Zugang zu vorhandenem Know-how, Art. 3 Abs. 4 F&E-GVO 7. Marktanteilsschwelle und Freistellungsdauer, Art. 4 F&E-GVO 8. Vertriebsbeschränkung, Art. 5 Buchst. d) F&E-GVO

D. Bemerkungen zum Entwurf der Spezialisierungs-GVO

Seite 2 von 26

Page 3: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

A. Bemerkungen zum Konzept der Marktanteilsschwellen

Der BDI hat sich schon in der Vergangenheit wiederholt gegen das Konzept

der Marktanteilsschwellen ausgesprochen. Dem von der Europäischen

Kommission angestrebten Ziel der angemessenen Rechtssicherheit für die

Unternehmen stehen die Schwierigkeiten bei der belastbaren Ermittlung

von Marktanteilen entgegen. Vor allem das Gesamtmarktvolumen ist häufig

nicht aus verlässlichen Datenquellen verfügbar. Schätzungen von Marktan­

teilen sind möglich, verlagern aber die Unsicherheit über die Anwendung

einer Gruppenfreistellungsverordnung auf die Unternehmen.

Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind auf die Synergieeffekte aus

Kooperationen angewiesen. Sie müssen in einem verschärften Wettbewerb

auf globalen Märkten bestehen. Gleichwohl werden kleine und mittlere Un­

ternehmen oft nicht in den Genuss der Gruppenfreistellungsverordnungen

kommen, da ihr Marktanteil trotz ihrer geringen Unternehmensgröße jeden­

falls dann oberhalb der Marktanteilsschwellen liegt, wenn sie in Nischen­

märkten tätig sind. Gerade zugunsten dieser Unternehmen sollten aber die

Möglichkeiten der Kooperation ausgeweitet werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass die verschiedenen Schwellen in den Reg­

lungen zu horizontalen Kooperationen beträchtlich variieren. Für Einkaufs­

und Vermarktungsvereinbarungen gilt beispielsweise auch nach dem neuen

Entwurf der Horizontalleitlinien eine Marktanteilsschwelle von 15 %. Die

Spezialisierungs-GVO will Unternehmen mit Marktanteilen von bis zu

20 % freistellen. Nach der Neufassung soll hier sogar eine zweite Marktan­

teilsschwelle für Spezialisierungsvereinbarungen über die Herstellung von

Zwischenprodukten, die eine oder mehrere der Parteien ganz oder teilweise

intern für die Produktion nachgelagerter Produkte verwenden, eingeführt

werden. Für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen kommen die

Unternehmen noch bis zu einem Marktanteil von 25 % in den Genuss der

F&E-GVO.

Wenn die Kommission trotz der vorgetragenen grundsätzlichen Einwände

an Marktanteilsschwellen festhalten will, sollte sie die Schwellen für hori­

zontale Kooperationen vereinheitlichen und anheben. Auf diese Weise

könnten die Unwägbarkeiten bei der Bestimmung der relevanten Marktan­

teile zumindest ein wenig gesenkt werden. Praktisch handhabbar und wett­

bewerbspolitisch angemessen wäre eine einheitliche Marktanteilsschwelle

von 25 %. Zudem wäre es hilfreich, wenn die Kommission den Unterneh­

men konkretere Orientierungshilfen bei der Bestimmung des relevanten

Marktes zur Verfügung stellen würde. Die Bekanntmachung der Kommissi­

on von 1997 über die Definition des relevanten Marktes ist in unseren Au­

gen zu abstrakt und hilft den Unternehmen in der Praxis kaum.

Seite 3 von 26

Page 4: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

B. Bemerkungen zum Entwurf neuer Horizontalleitlinien

I. Allgemeine Bemerkungen

Der BDI begrüßt es, dass die Kommission in den Horizontalleitlinien An­

haltspunkte für die kartellrechtliche Bewertung verschiedener Formen hori­

zontaler Kooperationen gibt. Die aktuellen Leitlinien aus dem Jahr 2001

stammen noch aus einer Zeit, in der Unternehmen im Wege von Individual-

freistellungen und Negativattesten Rechtssicherheit über die Vereinbarkeit

konkreter Vereinbarungen mit (heute) Art. 101 AEUV erlangen konnten.

Diese Möglichkeit besteht seit Einführung des Grundsatzes der Selbstein­

schätzung im Rahmen der Verordnung 1/2003 grundsätzlich nicht mehr. Es

ist daher konsequent, wenn die Kommission in den Horizontalleitlinien zu­

sätzliche Anhaltspunkte für die kartellrechtliche Bewertung bestimmter

Formen horizontaler Zusammenarbeit gibt. Insbesondere ist es hilfreich,

dass die Kommission anhand von Beispielsfällen relevante Fallgruppen he­

rausgreift und Anhaltspunkte für deren Bewertung gibt.

Grundsätzlich begrüßt der BDI auch den „More Economic Approach“ der

Kommission bei der Bewertung kartellrechtlicher Fragestellungen. Denn

nur Verhaltensweisen, die objektiv nachweislich den Wettbewerb beschrän­

ken, dürfen durch das Kartellrecht verboten werden. Der objektive Nach­

weis der Wettbewerbsbeschränkung kann aber nur durch ökonomische Be­

wertungen und Analysen und gegebenenfalls entsprechende Berechnungen

geführt werden. Zugleich wirft der More Economic Approach in der Praxis

erhebliche Probleme im Hinblick auf die von der VO 1/2003 geforderte kar­

tellrechtliche Selbstveranlagung auf, insbesondere bei „normalen“ Kartell­

rechtsfällen. Die Quantifizierung und Abwägung der Wettbewerbsnachteile

und Effizienzen einer konkreten Kooperation ist – insbesondere im Hinblick

auf das praktische Erfordernis eines hinreichenden Grades an Rechtssicher­

heit – in der Beratungspraxis häufig dann schwierig, wenn die für eine um­

fassende ökonomische Analyse notwendigen Daten nicht vorhanden sind

oder nur mit erheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand erhoben

werden können. Hinzu kommt, dass die Leitlinien die Anwendbarkeit von

Artikel 101 AEUV – zum Beispiel bei Einkaufs- und Vermarktungskoope­

rationen – an das Erreichen von Marktanteilsschwellen anknüpfen. In der

Praxis können regelmäßig nur bei einzelnen, prominenten Fällen, die mög­

licherweise Gegenstand eines behördlichen oder gerichtlichen Verfahrens

sind, die für eine ökonomische Analyse notwendigen Daten umfassend er­

mittelt und – zum Beispiel im Rahmen einer ökonometrischen Analyse –

sachverständig bewertet werden.

In der täglichen Beratung des operativen Geschäfts ist dies in der Regel

keine Option. Für die Vielzahl solcher, in der Summe praktisch enorm be­

deutsamer, Fälle müssen daher relativ einfach handhabbare Grundregeln ge-

Seite 4 von 26

Page 5: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

funden werden, die zu belastbaren Ergebnissen und damit zu Rechtssicher­

heit führen. Den Rechtsanwendern wird bislang nur eine Tendenz zur recht­

lichen Zulässigkeit gegeben. Der BDI würde sich daher noch detailliertere

Anhaltspunkte durch die Kommission und einen Ausbau der Fallbeispiele

für zulässige und verbotene Kooperationsformen wünschen, insbesondere

auch zu der Frage, welche Verhaltensweisen in der Regel kartellrechtlich

unbedenklich sind („safe harbors“). Die in den Horizontalleitlinien formu­

lierten Beispielsfälle stellen vielfach nur die relativ eindeutig unzulässigen

den kartellrechtlich erlaubten Anwendungsbeispielen einer Kooperations­

form gegenüber (vgl. etwa Rn. 216 und 217 hinsichtlich Einkaufskooperati­

onen). Anstelle einer Illustration vor allem der beinahe zweifelsfrei verbo­

tenen und zulässigen Extrempole bestimmter Formen horizontaler Zusam­

menarbeit wäre es begrüßenswert, wenn die Horizontalleitlinien für den Be­

reich des Spektrums möglicher Zusammenarbeit, deren Beurteilung sich re­

gelmäßig einer schematischen „Schwarz-/Weiß“-Bewertung entzieht, weite­

re und konkretere Hinweise geben würden. Die Unternehmen können nur

dann solche Grauzonen-Fälle einigermaßen zuverlässig bewerten, wenn sie

die von der Kommission insoweit regelmäßig zu Grunde gelegten Kriterien

kennen und verstehen.

II. Einzelkommentare:

1. Vereinbarungen zwischen Muttergesellschaften und ihren (mit) kontrollierten Tochtergesellschaften (Rn. 11 der Horizontalleitli­nien)

Die Horizontalleitlinien stellen klar, dass Art. 101 AEUV keine Anwendung

findet im Verhältnis zwischen Muttergesellschaften und ihren

(mit) kontrollierten Tochtergesellschaften. Diese Klarstellung begrüßen wir

im Grundsatz. Sie hat erhebliche praktische Bedeutung insbesondere für

Vereinbarungen von Gemeinschaftsunternehmen („GU“) mit ihren sie (ge­

meinsam) kontrollierenden Müttern. Derartige Vereinbarungen sind richti­

gerweise nach der nunmehr eindeutigen Aussage in Rn. 11 der Horizontal­

leitlinien einer Kontrolle anhand von Art. 101 AEUV entzogen.

Der BDI würde sich aber noch eindeutigere Aussagen zur Nichtanwendbar­

keit von Art. 101 AEUV in den beschriebenen Konstellationen wünschen:

a) Die Kommission sollte eindeutig die konkreten sachlichen Kriterien für

einen Ausschluss von Art. 101 AEUV benennen. Die Horizontalleitlinien

führen zur Bestimmung einer zum Ausschluss von Art. 101 AEUV führen­

den engen Verbindung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft zwei (je

nach Verständnis ggf. auch drei) Kriterien an, die nicht eindeutig deckungs­

gleich und in ihrem Verhältnis zueinander unklar sind:

Seite 5 von 26

Page 6: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

Die Kommission nennt zunächst – unter Verweis auf Entscheidungspraxis

des Gerichts und des EuGH – den Aspekt des „bestimmenden Einflusses“

(englische Fassung: „decisive influence“) auf die Tochtergesellschaft (bzw.

ein GU). Vereinbarungen zwischen einer Muttergesellschaft und ihrer

Tochtergesellschaft würden nicht der Kontrolle durch Art. 101 AEUV un­

terliegen, wenn die Tochtergesellschaft dem „(gemeinsam) bestimmenden

Einfluss“ einer Muttergesellschaft unterliegt, weil beide dann eine einzige

wirtschaftliche Einheit bilden würden und folglich Teil desselben Unter­

nehmens seien. In derartigen Fällen fehle es – wie für die Anwendung von

Art. 101 AEUV erforderlich – an einer Vereinbarung zwischen unabhängi­

gen Unternehmen.

Die Horizontalleitlinien nennen aber zugleich das in der Fusionskontrolle

relevante Kriterium der „(Mit) Kontrolle“ als relevanten Maßstab. Ferner

führt die Kommission (in Fußnote 6 zu Rn. 11 der Horizontalleitlinien) aus,

dass die „gemeinsame Leitungsbefugnis“ der Muttergesellschaften dafür

konstitutiv sein soll, dass diese „bestimmenden Einfluss“ über das GU ha­

ben.

Die Kommission erklärt nicht, ob es sich bei den genannten Kriterien nur

um sprachlich unterschiedliche Formulierungen des jeweils sachlich identi­

schen Maßstabs handelt oder ob vielmehr zwei (bzw. drei) sachlich unter­

schiedliche Prüfungsmaßstäbe bestehen sollen. Falls die letztere Interpreta­

tion zutreffen sollte, nimmt die Kommission auch nicht dazu Stellung, wor­

in der Unterschied bestehen soll zwischen einem „(gemeinsam) bestimmen­

den Einfluss“ (bzw. einer „gemeinsamen Leitungsbefugnis“) und dem – von

der Kommission offenbar kumulativ verwendeten – Kontrollbegriff.

Der BDI ist der Auffassung, dass nur ein einziges Kriterium für die Anwen­

dung von Art. 101 AEUV auf Vereinbarungen zwischen Mutter- und Toch­

tergesellschaften maßgeblich sein sollte. Es ist unklar, wie sich der „(ge­

meinsam) bestimmende Einfluss“ bzw. die „gemeinsame Leitungsbefugnis“

zum Begriff der (gemeinsamen) Kontrolle verhalten. Auch ist nicht einsich­

tig, welchen sachlichen Nutzen eine etwaige Mehrzahl von Prüfkriterien

haben soll, und welchem Kriterium – bei Konfliktfällen – der Vorrang zu­

kommt.

Die Verwendung eines einheitlichen, praktisch handhabbaren Kriteriums

scheint auch aus Gründen der Rechtssicherheit vorzugswürdig. Andernfalls

ist etwa den Müttern eines gemeinschaftlich kontrollierten GU regelmäßig

keine belastbare Bewertung möglich, ob eine konkrete Kooperation (zum

Beispiel eine F&E-Vereinbarung mit dem GU) der Anwendbarkeit des

Art. 101 AEUV entzogen ist, oder ob stattdessen die Vorgaben der F&E-

GVO oder von Art. 101 Abs. 3 AEUV beachtet werden müssen. Nur bei

Verwendung eines eindeutigen Kriteriums kann den Unternehmen, wie von

Seite 6 von 26

Page 7: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

der VO 1/2003 gefordert, eine kartellrechtliche Selbstveranlagung zugemu­

tet werden (ultra posse nemo obligatur). Eine belastbare Selbsteinschätzung

ist für die Unternehmen auch wegen des bei Anwendbarkeit von Art. 101

AEUV bestehenden Bußgeldrisikos von erheblicher praktischer Bedeutung.

Nach Auffassung des BDI sollte allein der jeweils für die Fusionskontrolle

relevante Zusammenschlussbegriff ausschlaggebend sein. Für die EU ist

dies der Kontrollbegriff. Dieser ist in der Praxis, insbesondere in einer Viel­

zahl von Fusionskontrollentscheidungen und der Konsolidierten Mitteilung

der Kommission zu Zuständigkeitsfragen (dort Rn. 11 ff.), auf eine große

Bandbreite unterschiedlicher Sachverhalte angewendet worden und hat da­

bei eine erhebliche Differenzierung erfahren. Die bisherigen Erfahrungen

im Bereich der Fusionskontrolle zeigen, dass das Kriterium praktisch gut

handhabbar ist. Es wäre daher zu begrüßen, wenn das der Kartellrechtspra­

xis bereits vertraute Kriterium auch für die in Rn. 11 der Horizontalleitli­

nien behandelte Fragestellung (alleine) maßgeblich wäre. Dagegen sollten

die in den Horizontalleitlinien enthaltenen Bezugnahmen auf anders formu­

lierte Prüfmaßstäbe – zumal diese hier keinen zusätzlichen Erkenntnisge­

winn versprechen und insoweit lediglich Verwirrung stiften – gestrichen

werden. Dies würde die Transparenz und praktische Handhabbarkeit des

von der Kommission in Rn. 11 formulierten Ansatzes signifikant erhöhen.

b) Der BDI fände es zudem vorteilhaft, wenn die Kommission einige konkrete

Beispiele für eine Nichtanwendung von Art. 101 AEUV auf Vereinbarun­

gen zwischen Müttern und ihren (mit) kontrollierten Tochtergesellschaften

einfügen würde. Die Horizontalleitlinien sollten insbesondere klarstellen,

dass die entsprechenden Ausführungen nicht nur für horizontale Kooperati­

onen relevant sind, sondern auch für vertikale Kooperationsformen (bei­

spielsweise Vertriebsvereinbarungen zwischen einer Muttergesellschaft und

dem von ihr (mit) kontrollierten GU). Dadurch würde zugleich die Rechts­

sicherheit erhöht.

c) Der BDI weist darauf hin, dass die Ausführungen in Rn. 11 der Horizontal­

leitlinien nicht dahingehend missverstanden werden sollten, dass bei Beste­

hen von Mit-Kontrolle über eine Tochtergesellschaft zwangsläufig deren

Muttergesellschaft für Kartellverstöße der Tochter oder des GU haftet. Ob

bzw. unter welchen Voraussetzungen eine Haftung der Muttergesellschaft

für Kartellverstöße eines GU in Betracht kommt, wird derzeit vor den euro­

päischen Gerichten erst entschieden (siehe z.B. Rs. T-76/08 – Du Pont de

Nemours/Kommission; Rs. T-77/08 – Dow Chemical/Kommission; Rs. T-

541/08 – Sasol u.a./Kommission). Nach Ansicht des BDI kann eine Haftung

der Muttergesellschaft überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn die

Muttergesellschaft über ihre Kontrollrechte nachweislich und aktiv das kar­

tellrechtswidrige Verhalten der Tochter oder des GU mitsteuert.

Seite 7 von 26

Page 8: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

d) Der BDI regt außerdem an, in das Kapitel zum Informationsaustausch (Rn.

54 ff) auch nähere Angaben zum Informationsaustausch im Rahmen von

Gemeinschaftsunternehmen zu integrieren (siehe unten unter B II 3).

2. Konzept des „am weitesten vorgelagerten unerlässlichen Bausteins“ ( Rn. 13 f. der Horizontalleitlinien)

Rn. 13 f. enthalten ein neues Konzept zur Bestimmung derjenigen Kapitel

der Horizontalleitlinien, die Ausgangspunkt für die Beurteilung „gemisch-

ter“, verschiedene Kooperationsformen betreffender Vereinbarungen sein

sollen. Während bislang ein „center of gravity“- Test darüber entschied,

welche Abschnitte der Horizontalleitlinien auf typengemischte Verträge

Anwendung fanden, soll nunmehr der „am weitesten vorgelagerte unerläss­

liche Baustein“ einer integrierten Zusammenarbeit das Ausgangskapitel der

Horizontalleitlinien für die kartellrechtliche Prüfung bestimmen. Allerdings

sollen „normalerweise“ auch die in den Kapiteln über nachgelagerte Tätig­

keiten der integrierten Zusammenarbeit dargelegten wettbewerbsrechtlichen

Bedenken und Ausführungen bei der Prüfung dieser Tätigkeiten berücksich­

tigt werden.

Der BDI begrüßt das Ziel der Kommission, den Unternehmen mittels eines

neuen Tests mehr Rechtssicherheit zu verschaffen. Es ist nach unserer Auf­

fassung aber fraglich, ob und inwieweit das neue Kriterium des „am weites­

ten vorgelagerten unerlässlichen Bausteins“ insoweit weiterhilft. Die Aus­

führungen in den Horizontalleitlinien sind jedenfalls teilweise missverständ­

lich und daher zumindest klarstellungsbedürftig.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Relevanz der anwendbaren Frei­

stellungen („safe harbors“) verschiedener Kapitel der Horizontalleitlinien.

Nach Rn. 13 sollen ausschließlich diejenigen safe harbors für die gesamte

integrierte Zusammenarbeit gelten, die in dem Kapitel über den „am weites­

ten vorgelagerten unerlässlichen Baustein“ aufgeführt sind. Zugleich soll

aber die Prüfung „anders ansetzen“ (Rn. 14), wenn die Parteien einen be­

stimmten Baustein „auf jeden Fall“, ungeachtet der anderen Bausteine ver­

einbaren. In solchen Fällen soll die (offenbar gesamte) Vereinbarung nach

den Grundsätzen des Kapitels untersucht werden, das sich mit dem „auf je­

den Fall vereinbarten“ Baustein der Vereinbarung befasst.

Dieser Ansatz schafft, sofern er nicht noch eingehender erläutert wird, An­

wendungsprobleme für eine Vielzahl denkbarer „kombinierter“ Vereinba­

rungen. Dies gilt insbesondere, wenn Zweifel bestehen, ob und in welchem

Umfang die verschiedenen Vertragselemente aufeinander aufbauen bzw.

wirtschaftlich voneinander abhängen.

Seite 8 von 26

Page 9: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

Beispiel: Zwei Wettbewerber einigen sich auf eine „kombinierte“ Einkaufs­

und F&E-Vereinbarung. Die Marktanteile der Kooperationspartner betragen

für die F&E-Komponente etwa 40 %. Für den gemeinsamen Einkauf der für

die F&E (nicht jedoch die spätere Produktion des Forschungsergebnisses)

eingesetzten homogenen Massengüter – zum Beispiel Kupferdrähte – liegt

der gemeinsame Marktanteil weit unter 15 %.

· Soweit hier die F&E-Komponente als der „am weitesten vorgelagerte

unerlässliche Baustein“ angesehen würde, könnte entsprechend Rn. 13

die Vereinbarung in ihrer Gesamtheit einer Rechtfertigung entzogen

sein, weil die 25 %-Schwelle des F&E - safe harbor überschritten ist.

Der in Rn. 13 formulierte Grundsatz soll offenbar unabhängig von den

konkreten Marktauswirkungen der Vereinbarung sowie unabhängig da­

von gelten, dass zugleich die für Einkaufsvereinbarungen maßgebliche

15 %-Schwelle (Rn. 203 der Horizontalleitlinien) gewahrt ist. Ein derar­

tig „schematisches“ Ergebnis ist überraschend. Zudem zeigt dieses Bei­

spiel auch, dass der Test des „am weitesten vorgelagerten unerlässlichen

Bausteins“ ausfüllungsbedürftig ist. Vorliegend könnte man nämlich

auch die Einkaufskomponente als den „am weitesten vorgelagerten un­

erlässlichen Baustein“ ansehen, soweit ohne den gemeinsamen Einkauf

eine Entwicklungskooperation keinen Sinn machen würde und er daher

Basis der Kooperation ist. Dies würde maßgeblich von den Umständen

des Einzelfalls und im Ergebnis – wohl mehr oder weniger – von dem

Schwerpunkt der Vereinbarung abhängen. Dann aber ist der Unterschied

des neuen Kriteriums zum bislang verwendeten „center of gravity“ -

Test nicht eindeutig. Wenn man den letzteren Ansatz zu Grunde legt,

wäre wegen Unterschreitens der 15 %-Schwelle neben der Einkaufsko­

operation offenbar auch die nachgelagerten F&E mit gerechtfertigt. Man

käme demnach zum gegenteiligen Ergebnis. Die Horizontalleitlinien

sind insoweit korrektur-, jedenfalls aber konkretisierungsbedürftig.

· Wenn die Parteien hingegen „auf jeden Fall“, ungeachtet der gemein­

samen F&E, Kupferdraht einkaufen wollen, könnte man entsprechend

Rn. 14 die Prüfung offenbar von Anfang an „anders ansetzen“ und da­

mit die safe harbors für Einkaufskooperationen zu Grunde legen. Dann

wäre jedenfalls die Einkaufskooperation gerechtfertigt. Ungeklärt bleibt

nach dem Entwurf der Kommission, was für den restlichen Teil der Ko­

operation gilt. Aus Rn. 14 ergibt sich nur, dass „die Vereinbarung“ nach

den für Einkaufskooperationen maßgebenden Grundsätzen zu beurteilen

ist, nicht jedoch, ob diese Maßstäbe (und insbesondere die entsprechen­

den safe harbors) auch für die gemeinsame F&E maßgebend sind.

Die aufgezeigten Anwendungsprobleme werden sich ohne ein klares Ver­

ständnis der dem neuen Test zu Grunde liegenden Intention kaum zufrie­

denstellend und mit der für die Unternehmen notwendigen Vorhersehbar-

Seite 9 von 26

Page 10: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

keit lösen lassen. Da Sinn und Zweck des neuen Kriteriums nicht ohne Wei­

teres ersichtlich sind, wäre als Leitfaden für die Anwendung der Horizontal­

leitlinien auf „kombinierte“ Vereinbarungen eine Erläuterung der Beweg­

gründe und Zielrichtung wünschenswert, die für die Kommission bei der

Wahl und Ausgestaltung des Kriteriums ausschlaggebend waren.

Soweit die Kommission beabsichtigt, das neue Konzept beizubehalten, regt

der BDI ferner an, mehrere zusätzliche Anwendungsbeispiele zu seiner

Verdeutlichung und Konkretisierung aufzunehmen. Im Rahmen dieser Bei­

spiele sollte insbesondere noch deutlicher herausgearbeitet werden, unter

welchen Voraussetzungen ein Vertragsbaustein gegenüber den anderen

Bausteinen als „unerlässlich“ und „vorgelagert“ anzusehen ist. Insbesondere

sollte klar gestellt werden, ob das Kriterium des „vorgelagerten Bausteins“

auch für (mit anderen Bausteinen kombinierte) Einkaufskooperationen gilt,

oder ob der Test nur auf Kombinationen von jeweils auf den Produktabsatz

gerichteten Tätigkeiten anwendbar ist (zum Beispiel Kombination von

F&E, nachgelagerter gemeinsamer Produktion und wiederum nachgelager­

tem gemeinsamen Vertrieb). Auch wäre eine Klarstellung wünschenswert,

unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen eine „integrierte“ Zusam­

menarbeit vorliegt (d.h. Beurteilung nach dem „am weitesten vorgelagerten

unerlässlichen Baustein“), und ob dann tatsächlich ausnahmslos immer al­

leine die safe harbors dieses Bausteins maßgebend sind. Ferner sollte klar­

gestellt werden, welche Beweisanforderungen für den Nachweis entspre­

chend Rn. 14 gelten, dass eine Vertragskomponente „auf jeden Fall“, unge­

achtet der anderen Bausteine, vereinbart wurde. Dies ist von zentraler prak­

tischer Bedeutung. Denn das neue Konzept der Kommission macht offenbar

erhebliche Unterschiede zwischen „einfachen“ Kombinationen verschiede­

ner, nur unwesentlich oder gar nicht inhaltlich miteinander verwobener,

Vertragselemente, die ebenso gut in verschiedenen Vertragsurkunden ent­

halten sein könnten, und integrierten Vereinbarungen, deren unterschiedli­

che Bausteine miteinander „stehen und fallen“ sollen. Schließlich sollte für

die „einfach“ kombinierten Verträge eine Klarstellung erfolgen, ob die safe

harbors des „auf jeden Fall“ vereinbarten Bausteins auch die übrigen Ver­

tragselemente rechtfertigen können. Diese Frage wird in Rn. 14 bislang

nicht eindeutig beantwortet.

3. Wettbewerbsrechtliche Würdigung des Informationsaustauschs, Rn. 54 ff der Horizontalleitlinien

Der BDI begrüßt, dass die Kommission Hinweise zu den allgemeinen

Grundsätzen für die wettbewerbsrechtliche Würdigung des Informations­

austauschs in die Horizontalleitlinien aufnehmen will. Insbesondere ist es

hilfreich, dass die Kommission ihre bisherige Praxis aus vielen Einzelfällen

Seite 10 von 26

Page 11: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

in einem Dokument zusammengefasst hat. Dies wird es den Unternehmen

und Anwälten erleichtern, sich hierüber einen raschen Überblick zu ver­

schaffen.

Insgesamt scheint die Kommission den Informationsaustausch zwischen

Unternehmen - trotz der grundsätzlich positiven Aussage in Rn. 58, nach

der ein Informationsaustausch häufig wettbewerbsfördernde Wirkung hat –

mit großer Skepsis zu betrachten. Dies ist bedauerlich, insbesondere da die

Kommissionspraxis zu horizontalen Kooperationen an vielen Stellen einen

Informationsaustausch zwischen den Unternehmen fordert, beispielsweise

bei der Ermittlung von Marktanteilen oder der Offenlegung von Rechten

des geistigen Eigentums. Eine positivere Grundhaltung der Kommission

zum Informationsaustausch wäre daher hilfreich.

Der BDI bemängelt, dass die Horizontalleitlinien im Kapitel zur Würdigung

des Informationsaustauschs keine konkreten Vorschläge machen, unter wel­

chen Voraussetzungen regelmäßig nicht mit wettbewerbeschränkenden

Auswirkungen zu rechnen ist. Ohne entsprechende safe harbors wird es vie­

len Unternehmen und Verbänden schwer fallen, ihre Praxis mit der notwen­

digen Rechtssicherheit an den Horizontalleitlinien auszurichten. Hilfreich

wäre in diesem Zusammenhang, wenn die safe harbors so formuliert wären,

dass auch kleinere und mittelgroße Unternehmen ohne die Einschaltung auf

das Kartellrecht spezialisierter Rechtsanwälte die Horizontalleitlinien prob­

lemlos umsetzen könnten.

Daneben plädiert der BDI für eine Anreicherung der Beispiele in Rn. 98 ff.

Aus unserer Sicht gehen die genannten Beispiele leider nicht ausreichend

auf die Bedürfnisse der Praxis ein, da sich die Fälle in der operativen Bera­

tung nur selten so klar zulässig oder unzulässig wie in den von der Kom­

mission gewählten Beispielen darstellen.

Im Einzelnen:

Zu Rn. 68 der Horizontalleitlinien

Der BDI bezweifelt, dass Fälle, in denen die Verknüpfung verschiedener

Arten von Daten auch Rückschlüsse auf geplante künftige Preise oder Men­

gen zulässt, regelmäßig in die Kategorie der bezweckten Wettbewerbsbe­

schränkungen gehören. Für die Bewertung dürften vielmehr die Umstände

des Einzelfalles entscheidend sein. So sind ohne Weiteres Konstellationen

denkbar, in denen eine entsprechende Verknüpfbarkeit nicht auf der Hand

lag und damit nicht ohne Weiteres der Intention der beteiligten Unterneh­

men entsprach. Nach unserer Auffassung setzt eine Beurteilung als be­

zweckte Wettbewerbsbeschränkung vielmehr voraus, dass nach den Um­

ständen des Einzelfalls für die Beteiligten offensichtlich gewesen sein muss,

dass die ausgetauschten Informationen – mittels Verknüpfung – direkte

Seite 11 von 26

Page 12: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

Rückschlüsse auf geplante künftige Preise oder Mengen liefern und damit

zu wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweisen genutzt würden. Wenn

dies nicht der Fall ist, liegt keine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vor.

Es kommt dann allenfalls, je nach den konkreten Markteffekten im Einzel­

fall, eine „bewirkte“ Wettbewerbsbeschränkung in Betracht. Die Einord­

nung eines Informationsaustauschs als „Hardcore“ - Verstoß sollte auf die

in Rn. 67 genannten Fälle beschränkt werden.

Zu Rn. 73 ff der Horizontalleitlinien

Der BDI würde sich konkretere Hinweise und Definitionen in den Absätzen

über Markteigenschaften und deren Bewertung für den Informationsaus­

tausch wünschen. So ist beispielsweise nicht auf den ersten Blick klar, was

die Kommission unter einem „engen Oligopol“ (Rn. 75) versteht.

Zu Rn. 81 der Horizontalleitlinien

Grundsätzlich ist es positiv zu bewerten, dass die Kommission in Rn. 81 ei­

ne Typisierung von Informationen in „sensible / nicht-sensible“ Daten vor­

nimmt. Der BDI würde sich jedoch eine größere Differenzierung der ein­

zelnen Daten wünschen. Auch wenn die Kommission angibt, welche Infor­

mationen ihrer Ansicht nach strategisch am wichtigsten sind, verbleibt hier

für die Unternehmen eine große Unsicherheit. So sollte beispielsweise hin­

sichtlich des Kriteriums „Umsatz“ danach unterschieden werden, ob sich

der Umsatz auf ein einzelnes Produkt oder auf die Produktpalette bezieht.

Die „strategische Wichtigkeit“ der Information könnt hier unterschiedlich

ausfallen. In der Regel ist eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung auch

erst beim Zusammenspiel mehrerer strategisch wertvoller Daten zu befürch­

ten.

Zu Rn. 82 f der Horizontalleitlinien

Die Kommission scheint ihre Beurteilung, ob eine Information „öffentlich“

oder „nicht-öffentlich“ ist, in erster Linie danach vorzunehmen, ob ein kos­

tenloser Zugang zu der Information gewährleistet ist. Aus unserer Sicht

kommt es jedoch vielmehr darauf an, ob ein transparenter und diskriminie­

rungsfreier Zugang ermöglicht wird.

Zu Rn. 85 f der Horizontalleitlinien

Hinsichtlich der Aussagen zu „echten aggregierten“ Daten sowie zu „histo-

rischen“ Daten in den Rn. 85 und 86 plädiert der BDI für weitere Klarstel­

lungen. So könnte die Kommission hinsichtlich der Unterscheidung zwi­

schen individuellen und aggregierten Daten in Rn. 85 auf eine bestimmte

Mindestteilnehmerzahl bei der Aggregation abstellen. Laut Rn. 86 richtet

Seite 12 von 26

Page 13: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

sich die Frage, ob Daten als historisch eingestuft werden, nach den konkre­

ten Eigenschaften des relevanten Marktes. Dabei „können“ Daten als histo­

risch gelten, wenn sie um „ein Mehrfaches älter sind als die durchschnittli­

che branchenübliche Vertragsdauer“. Hierdurch wird den Unternehmen

keine ausreichende Rechtssicherheit geboten. Unklar bleibt auch, ob - und

falls dies der Fall ist, warum – die Kommission von ihrer bisherigen, in

Fußnote 57 angesprochenen Praxis abweicht, nach der Daten, die älter sind

als ein Jahr, bereits als historisch einzustufen sind.

Informationsaustausch und Verbandsarbeit

In Rn. 59 der Leitlinien zur kartellrechtlichen Beurteilung von Seeverkehrs­

dienstleistungen vom 1.7.2008 (Amtsblatt C 245/2) erkennt die Kommissi­

on die Bedeutung von Verbänden als Mittel zum legitimen Austausch von

Informationen ausdrücklich an. Der BDI würde es begrüßen, wenn die

Kommission auch in die Horizontalleitlinien einen entsprechenden Absatz

aufnehmen könnte. In vielen Wirtschaftszweigen ist es üblich – und wett­

bewerbsrechtlich nicht zu beanstanden -, über die Branchenverbände statis­

tische Aggregate und allgemeine Marktinformationen einzuholen, auszutau­

schen und zu veröffentlichen. Diese veröffentlichten Marktinformationen

sind ein gutes Mittel zur Verbesserung der Markttransparenz und zur In­

formation der Abnehmer und ermöglichen folglich Effizienzgewinne. Auf­

grund unklarer rechtlicher Vorgaben herrscht bei Unternehmen und Ver­

bänden jedoch große Rechtsunsicherheit.

Aus Sicht des BDI wäre es daher vorteilhaft, wenn die Kommission für die­

jenigen Fälle einen safe harbour schaffen würde, in denen ein Informati­

onsaustausch zwischen einer angemessenen Anzahl an Unternehmen über

eine Institution, beispielsweise einen Verband, erfolgt, der selbst nicht auf

dem relevanten Markt tätig ist und der die Informationen der einzelnen Un­

ternehmen sammelt und so aggregiert, dass ein Rückschluss auf einzelne

Unternehmen nicht mehr möglich ist.

Informationsaustausch und Gemeinschaftsunternehmen

Der BDI würde sich eine Ergänzung der Ausführungen und der Fallbeispie­

le zum Informationsaustausch mit Blick auf Gemeinschaftsunternehmen

wünschen. Für die praktische Rechtsanwendung sehr hilfreich wäre insbe­

sondere eine Erläuterung, inwiefern Artikel 101 AEUV anwendbar ist auf

die Informationsflüsse

- innerhalb des GU (z.B. Informationsaustausch zwischen Mitarbeitern des

GU, die von ihren Müttern jeweils entsandt wurden),

- zwischen dem GU und den Muttergesellschaften (z.B. Informationen, die

zur Steuerung des GU notwendig sind oder Nutzung der im GU gewonne-

Seite 13 von 26

Page 14: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

nen Erkenntnisse innerhalb der jeweiligen Muttergesellschaften bei ande­

ren Projekten),

- zwischen den Müttern, soweit sie das GU betreffen.

4. Vereinbarungen über die gemeinsame Produktion Rn. 144 ff der Hori­zontalleitlinien

Der BDI begrüßt, dass die Kommission den Zuliefervereinbarungen zwi­

schen Wettbewerbern in den Rn. 145 ff der Horizontalleitlinien mehr Raum

widmet. In den bislang geltenden Regelungen fehlen konkretere Ausle­

gungsmaßstäbe für die Zulässigkeit solcher, für viele Unternehmen sehr

wichtigen, Vereinbarungen. Die Erwähnung zu Beginn des Kapitels zu Ver­

einbarungen über die gemeinsame Produktion macht deutlich, dass das ge­

samte Kapitel auf Zuliefervereinbarungen Anwendung findet.

5. Einkaufsvereinbarungen Rn. 189 ff der Horizontalleitlinien

Grundsätzlich ist die Überarbeitung der Leitlinien im Zusammenhang mit

Einkaufsvereinbarungen begrüßenswert. Im Ergebnis bringt die Überarbei­

tung nach unserem Verständnis keine wesentlichen Änderungen, sondern

bestätigt die Kernaussagen der bestehenden Horizontalleitlinien bzw. kon­

kretisiert diese weitergehend.

Die Kommission geht allerdings weiter davon aus, dass Einkaufsvereinba­

rungen zwischen Wettbewerbern dann nicht von Art. 101 Abs. 1 AEUV er­

fasst werden, wenn die an der Vereinbarung Beteiligten einen gemeinsamen

Marktanteil von weniger als 15 % nicht nur auf den betroffenen Einkaufs­

märkten, sondern auch auf den Verkaufsmärkten halten (RN 203). Bei der

Ermittlung der Marktanteile sollte jedoch allein auf die Einkaufsmärkte ab­

gestellt werden. Die Berücksichtigung der Verkaufsmärkte bei der Marktan­

teilsberechnung führt dazu, dass Einkaufskooperationen großer Unterneh­

men regelmäßig in den Anwendungsbereich von Art. 101 Abs. 1 AEUV fal­

len. Es kommt hinzu, dass die Marktanteile auf den Verkaufsmärkten – ge­

rade bei großen Einkaufskooperationen - wohl kaum rechtssicher zu ermit­

teln sind.

Aus Sicht des BDI wäre es auch wünschenswert, wenn die neuen Horizon­

talleitlinien deutlicher klarstellen würden, unter welcher Voraussetzung die

Anwendung von Art. 101 Absatz 1 auf Einkaufsvereinbarungen unwahr­

scheinlich ist, wenn die Parteien nicht auf denselben relevanten nachgeord­

neten Märkten tätig sind (d.h. keine Wettbewerber auf den Verkaufsmärkten

sind). Hier wird in Rn. 197 pauschal auf einen „erheblichen Grad an

Marktmacht“ (der nicht auf Marktbeherrschung hinauslaufen muss) abge­

stellt. Für den Anwender verbleibt eine weitgehende Unsicherheit im Hin-

Seite 14 von 26

Page 15: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

blick auf Fälle, bei denen die gemeinsame Einkaufsmacht zwischen 15%

und der Marktbeherrschung liegt. Es wäre aus Gründen der Rechtssicherheit

äußerst hilfreich, wenn der unbestimmte Rechtsbegriff des „erheblichen

Grads an Marktmacht“ für den Fall des Wettbewerbs alleine auf den Ein­

kaufsmärkten weiter konkretisiert würde.

Der BDI begrüßt, dass in das Kapitel zu Einkaufsvereinbarungen auch An­

gaben zum Informationsaustausch aufgenommen wurden (Rn. 210 f). Al­

lerdings sollten die Angaben zum Bestehen einer gemeinsamen Einkaufsor­

ganisation konkretisiert werden. Insbesondere wären wir daran interessiert,

ob eine gemeinsame Einkaufsorganisation notwendigerweise eine eigen­

ständige gesellschaftsrechtliche Einheit voraussetzt. Gerade kleine und mitt­

lere Unternehmen werden in der Regel keine solche gesonderte Einkaufsor­

ganisation gründen können. Hilfreich wären auch nähere Angaben zur

Durchführung einer Einkaufskooperation ohne separate Einkaufsorganisati­

on.

Positiv ist, dass die Kommission in Rn. 215 die Einschränkung in Rn. 134

der derzeit geltenden Leitlinien, nach der eine beherrschende Marktstellung

entweder auf dem Einkaufs- oder auf dem Verkaufsmarkt eine Freistellung

ausschließt, gestrichen hat.

6. Vermarktungsvereinbarungen Rn. 220 ff der Horizontalleitlinien

Der BDI plädiert auch im Kapitel über Vermarktungsvereinbarungen für ei­

ne weitergehende Klarstellung der den Unternehmen zur Verfügung gestell­

ten Kriterien. So wird beispielsweise nicht deutlich, was die Kommission

unter „Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern ab einer bestimmten Grö-

ße“ in Rn. 222 versteht. Gleiches gilt für die Behandlung nicht gegenseiti­

ger Vertriebsvereinbarungen, zu denen die Kommission lediglich feststellt,

dass ein geringeres Risiko der Marktaufteilung bzw. wettbewerbsbeschrän­

kender Auswirkungen gegeben ist als bei gegenseitigen Vereinbarungen

(Rn. 231, 233). Klare Konsequenzen für die Unternehmen ergeben sich dar­

aus nicht. Hier wäre die Einführung zusätzlicher safe harbors wünschens­

wert, nach denen beispielsweise nicht gegenseitige Vertriebsvereinbarun­

gen, die keine Preisvereinbarungen oder Kunden-/Gebietszuweisungen ent­

halten, unter einem gewissen gemeinsamen Marktanteil in jedem Fall frei­

gestellt sind. Bei der bestehenden Marktanteilsschwelle von 15 % in Rn.

235 wird bislang nur von einer „wahrscheinlichen“ Freistellung gesprochen.

7. Vereinbarungen über Normen Rn. 252 ff der Horizontalleitlinien

Der BDI begrüßt, dass die Kommission Hinweise zur Bewertung verschie­

dener kartellrechtlicher Fragen der Lizenzierung in die Horizontalleitlinien

aufgenommen hat. Insbesondere ist es hilfreich, dass die Kommission in

Seite 15 von 26

Page 16: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

Rn. 258 der Horizontalleitlinien die regelmäßig positiven Wirkungen von

Normenvereinbarungen auf die Wirtschaft betont und in Rn. 276 ff. der Ho­

rizontalleitlinien einen safe harbor für Normenvereinbarungen und Stan­

dardbedingungen aufnimmt. Die deutsche Wirtschaft setzt sich für eine ef­

fiziente, transparente und diskriminierungsfreie Normensetzung ein. Dabei

unterstützt sie das Bestreben der Kommission um eine klare und ausgewo­

gene Politik zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums, welche

gleichzeitig eine missbräuchliche Ausnutzung des Normungsprozesses

vermeidet.

Allerdings befürchtet der BDI, dass der vorliegende Entwurf zu einer kar­

tellrechtlich nicht erforderlichen Überregulierung von Normenvereinbarun­

gen führen würde. Trotz Betonung der regelmäßig positiven Wirkungen von

Normenvereinbarungen legen es verschiedene Stellen in den Leitlinien na­

he, dass ein kartellrechtlicher, sich gegen die Zulässigkeit von Normenver­

einbarungen richtender Generalverdacht die Grundlinie des Entwurfs be­

stimmt. Dies ist nach unserer Auffassung nicht gerechtfertigt. In der ganz

überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird vielmehr das von der Kommission

beschriebene Spannungsverhältnis zwischen den verschiedenen Interessen

der Beteiligten für einen Ausgleich sorgen und verhindern, dass einzelne

Unternehmen ihre Interessen einseitig zu Lasten von Konkurrenten

und/oder Kunden durchsetzen können. Entgegen der Kommission sind in­

soweit nicht nur die Interessen der Wettbewerber für die relevanten Techno­

logien in den Normungsdiskussionen vertreten, sondern regelmäßig auch

die Interessen der Endkunden, Zwischenkunden / Systemintegratoren, Lie­

feranten, Hersteller, vertikal integrierten Technologieinhaber und Produkt­

hersteller, Wissenschaft/Forschungsinstitute etc. Der BDI regt an, diese

breite Interessenvertretung als Best Practice - Empfehlung für den Nor-

mungsprozess in den Horizontalleitlinien festzuschreiben.

Einzelkommentare:

Zu Rn. 259 der Horizontalleitlinien

Wir sehen aufgrund der in aller Regel heterogenen Zusammensetzung der

an einem Normungsprozess beteiligten Unternehmen keine besonderen An­

haltspunkte dafür, dass Diskussionen über Normung wie andere Treffen

zwischen Wettbewerbern dazu verleiten könnten, den Preiswettbewerb zu

mindern oder gar auszuschalten.

Zu Rn. 260 der Horizontalleitlinien

Diese Randnummer erscheint missverständlich. Es sollte klar gestellt wer­

den, dass die Gefahr des Ausschlusses konkurrierender Technologien nur

besteht, wenn die Norm – rechtlich oder de facto - verbindlich eine be-

Seite 16 von 26

Page 17: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

stimmte Technologie für eine ganze Produktgattung festlegt und konkurrie­

rende Normen für austauschbare Produkte daneben nicht denkbar oder zu­

lässig wären. Andernfalls würde der Wettbewerb zwischen verschiedenen

Normen verhindern, dass die Festlegung einer bestimmten Technologie in

einer Norm sich als Marktzutrittsschranke für konkurrierende Technologien

auswirkt.

Zu Rn. 276 ff der Horizontalleitlinien

Der BDI würde sich eine nähere Konkretisierung der Voraussetzungen

wünschen, unter denen ein Unternehmen von dem safe harbour in Rn. 276

ff profitieren kann. So ist es zwar zu begrüßen, dass die Kommission ver­

sucht, sowohl den Interessen der Schutzrechtsinhaber an einer angemesse­

nen Verwertung ihrer Schutzrechte als auch den Interessen der Anwender

der Industriestandards an einem offenen Zugang zu den betroffenen Märk­

ten Rechnung zu tragen. Es verbleiben jedoch viele offene Fragen. Bei­

spielsweise ist hinsichtlich der Verpflichtung zur Offenlegung der erforder­

lichen Rechte des geistigen Eigentums in Rn. 281 nicht klar, auf welche

Weise die Kommission feststellen möchte, dass sich ein Schutzrechtsinha­

ber „nach Kräften darum bemüht hat“ festzustellen, ob er Eigentümer eines

möglicherweise erforderlichen Schutzrechtes für die anvisierte Norm ist.

Unklar bleibt auch, was im Rahmen der Verpflichtung zur Abgabe einer

FRAND-Erklärung in Rn. 282 unter „wesentlichen Rechten“ zu verstehen

ist. Hilfreich wären außerdem nähere Angaben zu der Frage, wann nach

Ansicht der Kommission eine Lizenzvergabe unter „angemessenen“ Bedin­

gungen erfolgt – beispielsweise welche Kriterien die Kommission bei der

Bewertung der Höhe der Lizenzgebühren zugrunde legt (Rn. 283). Die An­

gaben in den Rn. 284 f. helfen hier nicht weiter (s.u.).

Zu den Rn. 284 f. der Horizontalleitlinien

Wenngleich die Ausführungen der Kommission in den Rn. 284 und 285

sich auf Art. 102 AEUV beziehen und daher keine unmittelbare Bedeutung

für die kartellrechtliche Bewertung von Normenvereinbarungen nach

Art. 101 AEUV haben, begrüßt der BDI das Ziel, den Unternehmen An­

haltspunkte für die Bestimmung von fairen bzw. angemessenen Lizenzge­

bühren an die Hand zu geben. Der Vorschlag der Kommission, die Lizenz­

gebühren, die ein Unternehmen für ein Patent in Rechnung stellt, „ex ante“

und „ex post“ der Normensetzung zu vergleichen, sollte jedoch auf seine

Praktikabilität überdacht werden – insbesondere in Fällen komplexer und

dynamischer Entwicklungsprozesse dürfte diese Methode zu unsicheren Er­

gebnissen führen.

Seite 17 von 26

Page 18: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

Der BDI stimmt der Kommission hinsichtlich der Einschätzung kostenbe­

zogener Methoden zu. Diese eignen sich nicht für die Bestimmung des wirt­

schaftlichen Werts von Patenten. Zum einen bestehen, wie zu Recht von der

Kommission ausgeführt, übermäßig große praktische Schwierigkeiten bei

der Schätzung der Kosten. Zum anderen sind kostenbezogene Methoden

auch grundsätzlich nicht dazu geeignet, den wahren wirtschaftlichen Wert

von Patenten zu bestimmen. Erstens würde eine reine Kostenbestimmung

noch keinen Aufschluss über eine angemessene Ergebnismarge geben.

Zweitens würde eine rein kostenbezogene Wertbestimmung von Patenten

die vom Gesetzgeber gewollte Belohnungs- und Anreizfunktion eines Pa­

tentsystems strukturell gefährden, wenn nicht gar konterkarieren. Sinn und

Zweck einer Gewährung von Patentrechten liegen unter anderem gerade da­

rin, den Inhaber für seine Leistungen zu belohnen sowie ihm und anderen

einen Anreiz zur Entwicklung und Erforschung neuer Technologien zu set­

zen.

Ebenfalls skeptisch sind wir hinsichtlich der Einholung und Verwendung

etwaiger unabhängiger Expertengutachten. Aufgabe der Kommission wäre

es, Leitlinien zu entwickeln, an denen sich der Experte bei seiner Beurtei­

lung ausrichten könnte. Zudem hat der BDI Zweifel daran, ob es gelingen

kann, für wesentliche Patente desselben Standards – in Abhängigkeit von

ihrer qualitativen Bedeutung – unterschiedliche wirtschaftliche Werte zu

bestimmen. Regelmäßig werden alle wesentlichen Patente eines Standards

denselben wirtschaftlichen Wert haben, da ohne eine Lizenz zu diesen Pa­

tenten kein funktionierendes Produkt auf der Basis dieses Standards herge­

stellt und verwendet werden kann.

Zu Rn. 287 der Horizontalleitlinien

Der BDI hat Zweifel an der praktischen Relevanz einer unilateralen vorhe­

rigen Offenlegung der restriktivsten Lizenzbedingungen. In vielen Fällen

wird eine damit gewonnene Transparenz nicht helfen, kartellrechtswidrige

Lizenzbedingungen nach Normsetzung zu vermeiden. Erstens wird es be­

reits in der Mehrzahl von Fällen an einer Vergleichbarkeit fehlen. Lizenz­

gebühren können Einmalzahlungen, laufende Gebühren, Festbeträge, Pro­

zentbeträge vom Produktverkaufspreis, Minimumgebühren, Vorauszahlun­

gen, Volumenrabatte und andere Kompensationsformen sowie Kombinatio­

nen hiervon umfassen. Zweitens liegen zwischen dem ersten Entwurf eines

Standards und dem Massenverkauf der relevanten Produkte regelmäßig vie­

le Jahre, die eine Heranziehung der restriktivsten Lizenzbedingungen als

fraglich erscheinen lassen. Mehrere Jahre alte Lizenzbedingungen bieten

kaum mehr einen Anhaltspunkt für den wahren aktuellen Wert der relevan­

ten Patente und der zugrundeliegenden Technologie, die sich in der Zwi­

schenzeit ebenfalls grundlegend gewandelt haben kann. Schließlich ist da-

Seite 18 von 26

Page 19: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

vor zu warnen, Entscheidungen über die technisch richtige Norm gezwun­

genermaßen mit wirtschaftlichen Fragen zu überfrachten.

Vor diesem Hintergrund befürwortet der BDI, dass die Kommission eine

unilaterale vorherige Offenlegung der restriktivsten Lizenzbedingungen le­

diglich als ein Hilfsmittel einschätzt, um negative wettbewerbliche Auswir­

kungen durch die Normenvereinbarung zu vermeiden.

Zu Rn. 288 der Horizontalleitlinien

Der BDI regt an, die Annahme in Rn. 288 zu überdenken, derzufolge die

Einbeziehung substituierbarer Technologien den Wettbewerb zwischen

Technologien einschränken könnte und daher die Annahme wettbewerbsbe­

schränkender Auswirkungen wahrscheinlich macht. Erstens ist es heute eher

die Regel als die Ausnahme, dass vereinbarte Normen nicht nur wesentli­

che, sondern auch substituierbare Technologien einbeziehen. Zweitens ist es

nicht verständlich, wieso die Einbeziehung von Technologie A in Norm X

verhindern soll, dass eine mit A substituierbare Technologie in Norm Y

aufgenommen wird. Eine gewisse Wirkung könnte allenfalls dann auftreten,

wenn die relevanten Produkte die Normen X und Y kumulativ erfüllen müs­

sen, so dass es kosteneffizienter wäre, nur eine der beiden substituierbaren

Technologien zu beziehen und einzusetzen.

Zu Rn. 301 der Horizontalleitlinien

Potenziellen neuen Marktteilnehmern müssen die für die Normanwendung

erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen. Ein Hindernis könnten

die mitunter sehr hoch angesetzten Verkaufspreise für Normungstexte sein.

Der Zugang zu den Texten sollte vereinfacht werden, damit gerade auch

kleine und mittlere Unternehmen die Möglichkeit erhalten, sich über die

Normen zu informieren.

Zu Rn. 314 der Horizontalleitlinien

Hier könnte man die deutsche Fassung so verstehen, dass gerade bei De­

facto-Normen den Marktanteilen für das Ausmaß der verbleibenden Quel­

len tatsächlichen Wettbewerbs eine besondere Bedeutung zukommt. Dies

kann nicht gemeint sein.

Seite 19 von 26

Page 20: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

C. Bemerkungen zum Entwurf der F&E-GVO (einschließlich des ent­sprechenden Abschnitts in den Horizontalleitlinien)

I. Allgemeine Bemerkungen

Die Bedeutung und vielfältigen Erscheinungsformen der Zusammenarbeit

von Unternehmen im Bereich von Forschungs- und Entwicklungskooperati­

onen und die daraus resultierenden Implikationen für den Wettbewerb er­

fordern ein gemeinsames Verständnis von der Bewertung derartiger Koope­

rationen. Die Regelungen der F&E-GVO und die damit zusammenhängen­

den Erläuterungen in den Horizontalleitlinien der Kommission sind daher

äußerst positiv zu bewerten: Sie erleichtern den betroffenen Unternehmen

die Selbsteinschätzung und den Umgang mit F&E-Vereinbarungen und för­

dern durch Freistellungen die Innovation und damit den Wettbewerb.

Der vorliegende Entwurf der F&E-GVO enthält jedoch verschiedene, nach­

folgend kurz beleuchtete Regelungen, die aus unserer Sicht kritisch zu be­

werten sind.

II. Einzelkommentare

1. Nebenabreden in nicht wettbewerblich beschränkenden F&E-Vereinbarungen

Der BDI wiederholt seine Forderung nach einer deutlichen Klarstellung in

den Horizontalleitlinien, dass Nebenabreden in F&E-Vereinbarungen, die

zwar dem Partner Einschränkungen auferlegen, aber nicht den Wettbewerb

spürbar beschränken, nicht an den Vorgaben der F&E-GVO zu messen

sind. Ansonsten bestünde beispielsweise auch bei einer kartellrechtlich

grundsätzlich völlig unproblematischen F&E-Kooperation zwischen Nicht­

wettbewerbern die Notwendigkeit zur wechselseitigen Einräumung von so

genanntem Background Know-how nach Art. 3 Abs. 3 F&E-GVO, sobald

die F&E-Vereinbarung eine den Wettbewerb nicht spürbar beschränkende

Nebenabrede enthält.

Unter Nebenabreden, die den Wettbewerb nicht spürbar beschränken, sind

dabei Bestimmungen zu verstehen, die nicht den eigentlichen Gegenstand

der F&E-Vereinbarungen bilden, die aber mit deren Durchführung unmit­

telbar verbunden und für diese notwendig sind, wie z.B. die Verpflichtung,

allein oder mit Dritten während der Dauer der F&E-Kooperation keine

F&E-Arbeiten in demselben oder in einem eng benachbarten Bereich zu

betreiben. Dies entspricht bereits dem Gedanken der F&E-GVO, die derar­

tige Nebenabreden nach dem gegenwärtig noch gültigen Art. 1 Abs. 2 F&E-

GVO auch bei kartellrechtlich relevanten Kooperationen generell freistellt.

Darüber hinaus stünde eine solche Klarstellung im Einklang mit der von der

Rechtsprechung anerkannten Immanenz-Ausnahme: Wenn eine F&E-

Vereinbarung als solche kartellrechtlich zulässig ist und keinen wettbe-

Seite 20 von 26

Page 21: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

werblichen Bedenken begegnet, dann sollte dies auch für die mit der F&E-

Vereinbarung zusammenhängenden Nebenabreden gelten. Ansonsten fiele

die F&E-Kooperation alleine durch die Vereinbarung einer einschränken­

den Nebenabrede in den Anwendungsbereich der F&E-GVO und würde die

Einhaltung der weitergehenden Anforderungen der F&E-GVO erforderlich

machen. Dies erscheint jedoch nicht sachgerecht.

Regelmäßig enthalten fast alle – auch die kartellrechtlich völlig unproble­

matischen – F&E-Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern Nebenab­

reden der oben beschriebenen Art. Sinn und Zweck solcher Nebenabreden

ist primär die Sicherstellung des Erfolgs der F&E-Arbeiten durch Bünde­

lung der Kräfte in einem Forschungsprojekt, nicht aber die Beschränkung

des wettbewerblichen Verhaltens der beteiligten Unternehmen. In diesen

Fällen kann es nicht gewollt sein, Art. 101 AEUV und die Vorgaben der

F&E-GVO über die „Hintertür“ zur Anwendung zu bringen. Dem entspre­

chen auch die Aussagen in den Horizontalleitlinien, dass nur die wenigsten

F&E-Kooperationen von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst werden (Rn. 123).

Nebenabreden in kartellrechtlich relevanten, d.h. spürbar wettbewerbsbe­

schränkenden F&E-Vereinbarungen, blieben nach Art. 1 Abs. 2 F&E-GVO

freigestellt.

2. Spezialisierung auf Forschung und Entwicklung, Art. 1 Nr. 12 F&E-GVO

Nach Art. 1 Nr. 12 des Entwurfs der F&E-GVO muss jede Partei in gewis­

sem Umfang an der unter die Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung

fallenden Forschung und Entwicklung mitwirken. Nach dem ausdrücklichen

Wortlaut der Regelung umfasst dies nicht den Fall, „dass eine Partei alle

Forschungs- und Entwicklungsarbeiten ausführt und die andere diese Ar­

beiten lediglich finanziert oder die Ergebnisse verwertet“.

Diese Regelung ist unseres Erachtens äußerst problematisch und gefährdet

den Anreiz zur Durchführung gemeinsamer F&E-Tätigkeiten im Allgemei­

nen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Finanzierung weniger privile­

giert sein soll als die Durchführung der Forschungsarbeiten selbst. Deshalb

sollte statt der Neufassung eine klarstellende Ergänzung des Wortlauts in

Art. 2 Nr. 11 Buchst. c) der bestehenden F&E-GVO um den Begriff „Fi-

nanzierung“ erfolgen („….c) durch die Vertragsparteien selbst, von denen

jede eine bestimmte Aufgabe – Finanzierung, Forschung, Entwicklung,

Herstellung oder Vertrieb – übernimmt“).

Dies ist deshalb so wichtig, da die Finanzierung eine zentrale Rolle im

Rahmen von F&E-Vorhaben spielt: Die Entwicklung neuer Produkte und

die Durchführung entsprechender Projekte kann nur bei gesicherter Finan­

zierung mit Aussicht auf Erfolg durchgeführt werden. Die Finanzierung ist

damit ein ebenso bedeutsamer Bestandteil gemeinsamer F&E wie die ar-

Seite 21 von 26

Page 22: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

beitsteilige Durchführung der F&E-Arbeiten an sich. Damit müssen die Par­

teien auch dann von den Vorschriften der F&E-GVO profitieren, wenn sich

der Beitrag einer Partei aufgrund der arbeitsteiligen Rollenverteilung auf ei­

ne rein finanzielle Beteiligung beschränkt.

3. Spezialisierung auf die Verwertung, Art. 1 Nr. 13 F&E-GVO

Nach dem Wortlaut des Entwurfs muss nach Art. 1 Nr. 13 F&E-GVO „jede

der Parteien in gewissem Umfang an der Verwertung der Ergebnisse im

Binnenmarkt mitwirken“. Dabei muss insbesondere „jede Partei in gewis­

sem Umfang am Vertrieb der Vertragsprodukte im Binnenmarkt mitwirken,

zum Beispiel hinsichtlich bestimmter Gebiete, Kunden oder Anwendungsbe­

reiche, die ihr zugeordnet sind.“

Diese Regelung begegnet aus unserer Sicht größten Bedenken. Es sollte den

Parteien freistehen, die Verwertung der Ergebnisse und dabei insbesondere

den Vertrieb der Vertragsprodukte frei zu regeln. Dies sieht Art. 2 Nr. 11

Buchst. c) der bestehenden F&E-GVO gegenwärtig auch vor, (vgl. „....c)

durch die Vertragsparteien selbst, von denen jede eine bestimmte Aufgabe –

Forschung, Entwicklung, Herstellung oder Vertrieb – übernimmt“).

Durch die Neuregelung wird den Parteien der Anreiz zur Durchführung von

gemeinsamen F&E-Tätigkeiten genommen. Gerade die Aufgabenverteilung

bzgl. Forschung, Entwicklung, Herstellung und Vertrieb ist ein zentrales

Element bei der Bewertung von F&E-Vorhaben. Insbesondere in Fällen, bei

denen eine der Parteien sehr viel Know-how und Schutzrechte in ein ge­

meinsames F&E-Vorhaben einbringt, kann die alleinige Vermarktung durch

eine Partei für einen bestimmten Zeitraum besonders wichtig sein. Deshalb

sollte hier an der bestehenden Regelung – unter Erweiterung auf den Aspekt

der Finanzierung – festgehalten werden.

4. Begriff des „potentiellen Wettbewerbers“, Art. 1 Nr. 16 F&E-GVO

Der BDI begrüßt, dass die Kommission in Artikel 1 Nr. 16 F&E-GVO den

Begriff des „potentiellen Wettbewerbers“ präzisiert. Demnach ist ein poten­

tieller Wettbewerber ein Unternehmen, „bei dem realistisch und nicht nur

hypothetisch davon ausgegangen werden kann, dass es ohne die For-

schungs- und Entwicklungsvereinbarung als Reaktion auf einen geringen,

aber anhaltenden Anstieg der relativen Preise wahrscheinlich innerhalb

von höchstens drei Jahren die zusätzlichen Investitionen tätigen oder sons­

tigen Umstellungskosten auf sich nehmen würde, die erforderlich wären, um

Produkte, Technologien oder Verfahren anbieten zu können, die auf dem

räumlich relevanten Markt durch das Vertragsprodukt oder das Vertrags­

verfahren verbessert oder ersetzt werden können.“

Uns würde allerdings interessieren, weshalb die Kommission hier einen

Zeitrahmen von drei Jahren gewählt hat, während die Horizontalleitlinien in

Seite 22 von 26

Page 23: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

Rn. 10 von einem potentiellen Markteintritt „innerhalb kurzer Zeit“ spre­

chen und die Leitlinien zu vertikalen Vereinbarungen in Rn. 27 eine Frist

von höchstens einem Jahr vorsehen. Unklar ist auch, welche Anforderungen

an die Prognose zu stellen sind, ob ein Unternehmen innerhalb des Drei­

Jahreszeitraums tatsächlich in Substitute- oder Komplementärprodukte in­

vestieren könnte oder würde. Die zur Beurteilung aus Sicht der Europäi­

schen Kommission relevanten Parameter sollten klargestellt werden.

5. Offenlegung sämtlicher bestehender und anhängiger Rechte des geistigen Eigentums, Art. 3 Abs. 2 F&E-GVO

Art. 3 Abs. 2 des Entwurfs der F&E-GVO fordert, „dass alle Parteien vor

Beginn der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sämtliche ihnen zuste­

henden bestehenden und anhängigen Rechte des geistigen Eigentums offen­

legen, sofern diese für die Verwertung der Ergebnisse durch die anderen

Parteien von Bedeutung sind.“

Diese Verpflichtung zur Offenlegung ist aus Sicht des BDI problematisch.

Insbesondere ist vor Beginn der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten re­

gelmäßig noch nicht absehbar, welche Rechte des geistigen Eigentums für

das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben und die dabei gefundenen Er­

gebnisse tatsächlich relevant sein werden. Außerdem gestaltet sich die Veri­

fizierung möglicherweise relevanter geistiger Schutzrechte bei einem sehr

großen Patentportfolio äußerst schwierig und ist mitunter sehr zeitaufwän-

dig.

Insofern erscheint die Einhaltung der festgelegten Verpflichtung kaum

möglich. Die Regelung erscheint auch nicht zwingend erforderlich, da rele­

vantes Know-how (und wohl auch Patente), welches für die Verwertung der

Ergebnisse erforderlich ist, nach Art. 3 Abs. 3 F&E-GVO ohnehin lizenziert

werden muss.

Die festgelegte Verpflichtung und eine daraus resultierende Nicht­

Einhaltung der Verpflichtung birgt für die Parteien ein mögliches Haftungs­

risiko. Dies wiederum ist geeignet, den Anreiz zur Durchführung gemein­

samer F&E-Tätigkeiten zu vermindern.

Nach unserer Meinung sollte die Regelung deshalb entweder gestrichen,

oder aber dergestalt abgeändert werden, dass zum einen – wie auch in Art. 3

Abs. 4 F&E-GVO vorgesehen – auf die „Unerlässlichkeit“ der Rechte des

geistigen Eigentums für die spätere Verwertung abgestellt wird und die Par­

teien zum anderen lediglich angemessene Bemühungen zur Identifizierung

relevanter Rechte des geistigen Eigentums vornehmen und die aufgrund

dieser Bemühungen identifizierten Rechte offenlegen müssen. Alternativ

kommt eine Regelung in Betracht, dass zusätzliche, nachträglich – also

Seite 23 von 26

Page 24: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

während der gemeinsamen F&E – identifizierte relevante Rechte des geisti­

gen Eigentums ebenfalls (nachträglich) offenzulegen sind.

6. Zugang zu vorhandenem Know-how, Art. 3 Abs. 4 F&E-GVO

Nach Art. 3 Abs. 4 des Entwurfs der F&E-GVO muss „jeder Partei Zugang

zum vorhandenen Know-how der anderen Partei“ gewährt werden, „sofern

dieses Know-how für die Verwertung der Ergebnisse durch die Partei uner­

lässlich ist.“

Nach der Definition in Art. 1 Nr. 10 umfasst der Begriff „Know-how“ die

„Gesamtheit nicht patentgeschützter praktischer Kenntnisse“. Patente sind

also vom Begriff des Know-how ausgeschlossen.

Damit stellt sich die Frage, ob die Parteien sich (i) gegenseitig überhaupt

keinen Zugang an Patenten einräumen müssen, die für die Verwertung der

Ergebnisse unerlässlich sind, oder (ii) ob die Parteien sich zwar entspre­

chende Patente einräumen müssen, diese aber von der Zahlung von fairen

und nicht diskriminierenden Lizenzgebühren abhängig gemacht werden

dürfen.

Außerdem stellt sich auch bzgl. des gegenseitig einzuräumenden Know­

hows die Frage, ob die Parteien die entsprechende Einräumung von der

Zahlung fairer und nicht diskriminierender Lizenzgebühren abhängig ma­

chen dürfen.

Eine Klarstellung im Hinblick auf die aufgeworfenen Fragen erscheint im

Interesse der Rechtssicherheit geboten.

7. Marktanteilsschwelle und Freistellungsdauer, Art. 4 F&E-GVO

Der BDI regt an, in Art. 4 Abs. 3 F&E-GVO neben der Marktanteilsschwel­

le in Anlehnung an die US-amerikanische Praxis einen weiteren safe harbor

in die F&E-GVO oder wenigstens in die Horizontalleitlinien einzuführen.

Nach unserer Auffassung sind generelle Wettbewerbsbedenken auszu­

schließen, wenn neben der zu beurteilenden F&E-Kooperation mindestens

zwei weitere unabhängige Forschungsprojekte mit vergleichbaren Ressour­

cen bestehen. Diese Ansicht wird auch in der Lehre geteilt (siehe z.B. Fuchs

in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG/Teil 1, 4. Auflage, F&E-

VO, Rn. 95.)

Die vorgeschlagene safe-harbor-Regelung würde wettbewerbspolitisch rich­

tig auf die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Forschungs- und Innovations­

markt abstellen und käme ohne eine Betrachtung der Marktanteile auf den

gegenwärtigen Produktmärkten aus. Im Falle der Existenz weiterer unab­

hängiger Forschungsprojekte mit vergleichbaren Forschungsressourcen wä­

re sichergestellt, dass die beabsichtige F&E-Kooperation den Forschungs­

und Innovationswettbewerb nicht spürbar beschränken kann. Dies würde

Seite 24 von 26

Page 25: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

selbst dann gelten, wenn die F&E-Kooperationspartner auf dem gegenwär­

tigen Produktmarkt signifikante Marktanteile halten würden. Ihre Marktstel­

lung auf dem gegenwärtigen Produktmarkt sagt noch nichts darüber aus,

wie ihre Marktstellung im Hinblick auf den Forschungswettbewerb für die

hier in Frage stehende neue Technologie zu beurteilen ist. Die vorgeschla­

gene safe-harbor-Regelung steht im Einklang mit der US-amerikanischen

Praxis. Eine entsprechende Regelung findet sich auch in den „Antitrust

Guidelines for Collaborations among Competitors“ der Federal Trade

Commission und des US Department of Justice (April 2000, S. 26 f).

Wenn auch die US-amerikanischen Kartellbehörden im Jahr 2000 einen sa­

fe harbor erst bei drei weiteren unabhängigen Forschungsprojekten aner­

kennen wollten, kann man darüber nachdenken, die Schwelle bei zwei wei­

teren unabhängigen Forschungsprojekten zu setzen. Bereits dann ist in den

allermeisten Fällen davon auszugehen, dass eine F&E-Kooperation, selbst

zwischen Wettbewerbern und mit gemeinsamer Verwertung, freistellungs­

fähig ist.

Schließlich würde die vorgeschlagene safe harbor-Regelung für die Unter­

nehmen ein Mehr an Rechtssicherheit bedeuten, selbst wenn im Einzelfall

die Feststellung vergleichbarere Forschungsprojekte nicht immer einfach

sein wird.

8. Vertriebsbeschränkung, Art. 5 Buchst. d) F&E-GVO

Nach der gegenwärtig gültigen Regelung in Art. 5 Buchst. e) F&E-GVO ist

eine Einschränkung der Freiheit der beteiligten Unternehmen hinsichtlich

der Wahl der zu beliefernden Kunden für den freigestellten Zeitraum von

sieben Jahren ab dem ersten Inverkehrbringen der Vertragsprodukte mög­

lich. Die Regelung ermöglicht eine Beschränkung sowohl des Aktiv- wie

auch des Passivvertriebs.

Nach Art. 5 Buchst. d) des Entwurfs der F&E-GVO soll dagegen nunmehr

nur noch eine Beschränkung des Aktivvertriebs möglich sein, der Passiv­

vertrieb darf dagegen nicht mehr beschränkt werden.

Aus Sicht des BDI stellt aber gerade die Möglichkeit, den Vertrieb an be­

stimmte Kunden für einen gewissen Zeitraum vollumfänglich zu beschrän­

ken, einen elementaren Anreiz für die Durchführung gemeinsamer F&E-

Arbeiten dar. Dieser Anreiz ist auch wettbewerbspolitisch legitim, da gera­

de bei innovativen, im Rahmen gemeinsamer F&E entwickelten Produkten

ein großes Risiko von Passivverkäufen besteht und nur bei umfassenden

Beschränkungsrechten weiterhin hohe Anreize für gemeinsame F&E und

entsprechende Produktinnovation bestehen. Die angestrebte Neuregelung

verringert diese Innovationsanreize und gefährdet damit die Durchführung

von F&E-Vorhaben im Allgemeinen. Um die Durchführung gemeinsamer

Seite 25 von 26

Page 26: Stellungnahme Konsultation der Europäischen Kommission zur ...

F&E-Vorhaben nicht zu gefährden, sollte hier die alte Regelung beibehalten

werden.

D. Bemerkungen zum Entwurf der Spezialisierungs-GVO

Nach Art. 3 i.V.m. Art. 1 Nr. 7 Spezialisierungs-GVO soll für Spezialisie­

rungsvereinbarungen über die Herstellung von Zwischenprodukten, die eine

oder mehrere der Parteien ganz oder teilweise intern für die Produktion

nachgelagerter Produkte verwenden, welche von diesen Parteien auf dem

Handelsmarkt verkauft werden, eine zweite Marktanteilsschwelle von 20 %

auf dem Markt für die nachgelagerten Produkte eingeführt werden. Die Ein­

führung einer zweiten Marktanteilsschwelle ähnelt dem bereits im Rahmen

der neuen Vertikal-GVO angewandten Ansatz der Europäischen Kommissi­

on.

Unsere Kritik an dem Konzept der Marktanteilsschwellen haben wir bereits

dargelegt. Die Freistellungsreichweite der Spezialisierungs-GVO würde

durch die Einführung einer zusätzlichen Schwelle eingeschränkt, die prakti­

sche Relevanz der Spezialisierungs-GVO geschmälert. Im Übrigen würde

die Einführung der zweiten Schwelle zu einer weiteren Zersplitterung der

Anwendungsvoraussetzungen der Gruppenfreistellungsverordnungen füh­

ren. Wir empfehlen daher, von der Einführung einer zweiten Marktanteils­

schwelle abzusehen.

Seite 26 von 26

Niels Lau Nadine Rossmann