Stellungsnahme Beschwerdeablehnung RTVG

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Zur Vernehmlassung zu meiner Abstimmungsbeschwerde betreffend RTVG Ich danke Ihnen für die Gelegenheit mich zur Vernehmlassung des Justiz- und Sicherheitsdepartements zu äussern. Frau Xs Begründung zur Feststellung es sei „im Kanton Luzern weder bei der Vorbereitung noch bei der Durchführung am Abstimmungssonntag oder bei der Kontrolle der Abstimmungsresultate zu Fehlern oder anderen Unregelmässigkeitn gekommen“ erstreckt sich lediglich auf die Einhaltung der formellen Abläufe. Für die in Frage stehende Erfahrungstatsache von Zählfehlern bei äusserst knappen Abstimmungen können diese jedoch nicht behelflich und hinreichend sein. Überhaupt kann eine sinnvolle Aussage über Fehler selbstverständlich erst getroffen werden, nachdem eine Nachzählung stattgefunden hat. Dass die formellen Abläufe an eine Abstimmung seitens der Regierung erfüllt worden sind, bestreite ich nicht. Die Begründung von Frau Lauber geht damit leider an der Sache vorbei. Wie bereits festgestellt, ist gemäss Bundesgericht „[e]in sehr knappes Abstimmungsresultat [..] gleich zu behandeln wie "Unregelmässigkeiten" i.S. von Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR“ Ich zitiere dazu bei dieser Gelegenheit aus besagtem Urteil BGE 136 II 132: „Zählfehler sind Unregelmässigkeiten, die aufgrund der erfahrungsgemässen Fehlerquote zu vermuten sind, deren Nachweis jedoch nur mittels Nachzählen überhaupt möglich ist. Zwar kann es sein, dass äussere Anhaltspunkte darauf hinweisen, dass nicht korrekt ausgezählt wurde. Indessen gibt es Zählfehler, für welche äusserlich keine Anhaltspunkte bestehen. Es hiesse die Augen vor dieser Erfahrungstatsache zu verschliessen, würde eine Nachkontrolle auch bei einem äusserst knappen Ergebnis zusätzlich von "konkreten" Anzeichen für Unregelmässigkeiten abhängig gemacht. Die Praxis hat denn auch desto geringere Anforderungen an den Nachweis von Unregelmässigkeiten gestellt, je knapper ein Wahlresultat ausgefallen war (vgl. die Nachweise bei LUTZ/FELLER/MÜLLER, Nachzählung bei knappen Wahl- und Abstimmungsergebnissen - überhöhte Erwartungen?, AJP 2006 S. 1519). Insoweit wird die grundsätzlich geforderte kumulative Voraussetzung der Unregelmässigkeit bei einem äusserst knappen Resultat praktisch vernachlässigt, wie dies bereits im Urteil des Bundesgerichts 1P.363/1994 vom 15. Dezember 1994 zum Ausdruck gelangte. Dieses Urteil hat in der Literatur starke Beachtung gefunden (siehe die Hinweise in BGE 131 I 442 E. 3.5 S. 450 f.).“ Und: „Es handelt sich um die gesetzlich normierte Tatsachenvermutung, dass ein knappes Resultat mit entscheidenden Zählfehlern behaftet ist. Diese Tatsachenvermutung wird durch Nachzählen bestätigt oder widerlegt.“ Und: „Eine Nachzählung findet nicht unter den gleichen Bedingungen statt wie die erste Auszählung. Bestehende Stapel können überprüft und falsch zugeteilte Stimmzettel auf den korrekten Stapel gelegt werden. Die folgende Neuzählung dürfte mit besonderer Umsicht, aber auch ohne Zeitdruck, damit insgesamt sorgfältiger vorgenommen werden. Das spricht für eine grössere Zuverlässigkeit des Resultats einer Nachzählung. Die Literatur befürwortet denn auch mehrheitlich eine Nachzählung bei einem sehr knappen Resultat, soweit zu der Frage Stellung genommen wird (HANGARTNER/KLEY, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2000, Rz. 2561; BERNHARD MAAG, Urnenwahl von Behörden im Majorzsystem, 2004, S. 66 und 68; MÜLLER/SCHEFER, a.a.O., S. 622 Fn. 73; STEPHAN WIDMER, Wahl- und Abstimmungsfreiheit, 1989, S. 173 f.; vgl. für weitere Hinweise [ohne eigene

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Stellungsnahme RTVG

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  • Zur Vernehmlassung zu meiner Abstimmungsbeschwerde betreffend RTVG

    Ich danke Ihnen fr die Gelegenheit mich zur Vernehmlassung des Justiz- und Sicherheitsdepartements zu ussern.

    Frau Xs Begrndung zur Feststellung es sei im Kanton Luzern weder bei der Vorbereitung noch bei der Durchfhrung am Abstimmungssonntag oder bei der Kontrolle der Abstimmungsresultate zuFehlern oder anderen Unregelmssigkeitn gekommen erstreckt sich lediglich auf die Einhaltung der formellen Ablufe. Fr die in Frage stehende Erfahrungstatsache von Zhlfehlern bei usserst knappen Abstimmungen knnen diese jedoch nicht behelflich und hinreichend sein. berhaupt kanneine sinnvolle Aussage ber Fehler selbstverstndlich erst getroffen werden, nachdem eine Nachzhlung stattgefunden hat. Dass die formellen Ablufe an eine Abstimmung seitens der Regierung erfllt worden sind, bestreite ich nicht. Die Begrndung von Frau Lauber geht damit leider an der Sache vorbei. Wie bereits festgestellt, ist gemss Bundesgericht [e]in sehr knappes Abstimmungsresultat [..] gleich zu behandeln wie "Unregelmssigkeiten" i.S. von Art. 77 Abs. 1 lit.b BPR

    Ich zitiere dazu bei dieser Gelegenheit aus besagtem Urteil BGE 136 II 132:

    Zhlfehler sind Unregelmssigkeiten, die aufgrund der erfahrungsgemssen Fehlerquote zu vermuten sind, deren Nachweis jedoch nur mittels Nachzhlen berhaupt mglich ist. Zwar kann essein, dass ussere Anhaltspunkte darauf hinweisen, dass nicht korrekt ausgezhlt wurde. Indessen gibt es Zhlfehler, fr welche usserlich keine Anhaltspunkte bestehen. Es hiesse die Augen vor dieser Erfahrungstatsache zu verschliessen, wrde eine Nachkontrolle auch bei einem usserst knappen Ergebnis zustzlich von "konkreten" Anzeichen fr Unregelmssigkeiten abhngig gemacht. Die Praxis hat denn auch desto geringere Anforderungen an den Nachweis von Unregelmssigkeiten gestellt, je knapper ein Wahlresultat ausgefallen war (vgl. die Nachweise bei LUTZ/FELLER/MLLER, Nachzhlung bei knappen Wahl- und Abstimmungsergebnissen - berhhte Erwartungen?, AJP 2006 S. 1519). Insoweit wird die grundstzlich geforderte kumulative Voraussetzung der Unregelmssigkeit bei einem usserst knappen Resultat praktisch vernachlssigt, wie dies bereits im Urteil des Bundesgerichts 1P.363/1994 vom 15. Dezember 1994 zum Ausdruck gelangte. Dieses Urteil hat in der Literatur starke Beachtung gefunden (siehe die Hinweise in BGE 131 I 442 E. 3.5 S. 450 f.).

    Und:

    Es handelt sich um die gesetzlich normierte Tatsachenvermutung, dass ein knappes Resultat mit entscheidenden Zhlfehlern behaftet ist. Diese Tatsachenvermutung wird durch Nachzhlen besttigt oder widerlegt.

    Und:

    Eine Nachzhlung findet nicht unter den gleichen Bedingungen statt wie die erste Auszhlung. Bestehende Stapel knnen berprft und falsch zugeteilte Stimmzettel auf den korrekten Stapel gelegt werden. Die folgende Neuzhlung drfte mit besonderer Umsicht, aber auch ohne Zeitdruck, damit insgesamt sorgfltiger vorgenommen werden. Das spricht fr eine grssere Zuverlssigkeit des Resultats einer Nachzhlung. Die Literatur befrwortet denn auch mehrheitlich eineNachzhlung bei einem sehr knappen Resultat, soweit zu der Frage Stellung genommen wird (HANGARTNER/KLEY, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2000, Rz. 2561; BERNHARD MAAG, Urnenwahl von Behrden im Majorzsystem, 2004, S. 66 und 68; MLLER/SCHEFER, a.a.O., S. 622 Fn. 73; STEPHAN WIDMER, Wahl- und Abstimmungsfreiheit, 1989, S. 173 f.; vgl. fr weitere Hinweise [ohne eigene

  • Stellungnahme]: MICHEL BESSON, Behrdliche Information vor Volksabstimmungen, 2003, S. 390 ff.; ETIENNE GRISEL, Initiative et rfrendum populaires, 3. Aufl. 2004, Rz. 292; CHRISTOPH HILLER, Die Stimmrechtsbeschwerde, 1990, S. 25, 31; RHINOW/SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, Rz. 2100; WALTER STUTZ, Rechtspflege, in: Das Bundesgesetz ber die politischen Rechte, 1978, S. 129; PIERMARCO ZEN-RUFFINEN, L'expression fidle et sre de la volont du corps lectoral, in: Verfassungsrecht der Schweiz, 2001, 21 Rz. 39).

    Und:

    Vor diesem Hintergrund und damit in Nachachtung des verfassungsmssigen Anspruchs auf unverflschte Stimmabgabe (Art. 34 Abs. 2 BV) ist auch Art. 77 Abs. 1 lit. b BPR auszulegen. Es drngt sich daher auf, die Tatsachenvermutung, ein sehr knappes Resultat sei mit entscheidenden Zhlfehlern behaftet, gleich zu behandeln wie der Verdacht auf "Unregelmssigkeiten". Die Nachzhlung bei sehr knappen Resultaten strkt die demokratischen Institutionen. Je sicherer ist, dass ein Resultat ordnungsgemss zustande gekommen ist, desto leichter fllt es den Unterlegenen, es zu akzeptieren.

    Letztlich: Da davon ausgegangen werden kann, dass die Nachzhlung zu einem zuverlssigeren Ergebnis fhrt, muss ihr eine grssere Bestandeskraft zugesprochen werden.

    Die Beschwerde bezieht sich aber nicht alleine auf die Besttigung oder Widerlegung der Ergebnisse: Ich bemngle auch Rechtsstaatswidrigkeiten im Vorfeld der Abstimmung, die einer Nachzhlung zwar ebenfalls einen erheblichen Nachdruck verschaffen, aber grundstzlicher sind und nach juristischer Erwgung eine Ungltigkeitserklrung der Abstimmung nach sich ziehen knnten:

    1. Eine Einfhrung einer Steuer ohne Verfassungsnderung ist nach gefestigter Rechtslehre verfassungswidrig. Der Anspruch auf Konsistenz des Rechts wird folglich durch die rechtswidrige Rechtssetzung durch Bundesbern verwssert. Fr die Erhebung von Steuern braucht der Bund eine ausdrckliche und spezifische verfassungsrechtliche Grundlage. Eine blosse Sachkompetenz gengt nicht. (Aubert (Anm. 15), S. 998, N. 2; Blumenstein/Locher (Anm. 19), S. 44; Peter Locher, in: Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Basel/Zrich/Bern 1987 ff., Art. 41 bis aBV Rz.)

    2. Darber hinaus bestand bei dieser Abstimmung ein Widerspruchsverhltnis zwischen dem Anspruch nach Objektivitt medialer Berichterstattung und dem Umstand, dass einzelne Medienhuser (damit nicht nur die SRG) grundstzlich von einer Annahme des RTVG-Gesetzes profitieren. Das Stimm- und Wahlrecht rumt allgemein den Anspruch darauf ein, dass kein Abstimmungs- und Wahlergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbrger zuverlssig und unverflscht zum Ausdruck bringt; jeder Stimmbrger soll seinen Entscheid gesttzt auf einen mglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen knnen (BGE 119 Ia 271 E. 3a).

    3. Nach Art. 34 Abs. 2 BV schtzt die Garantie der politischen Rechte die freie Willensbil-dung und die unverflschte Stimmabgabe der Stimmberechtigten. Diese Wahl- und Abstimmungsfreiheit umfasst insbesondere den Anspruch auf richtige Zusammensetzung der Aktivbrgerschaft, auf korrekte Formulierung der Abstimmungsfragen, auf rechtmssige Durchfhrung von Wahlen und Abstimmungen sowie auf korrekte und zurckhaltende behrdliche Informationen im Vorfeld von Abstimmungen und Wahlen.

    In der Abstimmungsbrschre wird dem Stimmbrger ganze vier mal manipulativ das Versprechen

  • eingeblut, die Belastung sinke bei einer Annahme:

    Tiefere AbgabeDank diesem Systemwechsel kann die Abgabe fr Haushalte gesenkt werden. Weil die Finanzierung breiter abgesttzt wird, zahlen Haushalte fr Radio und TV nur noch rund 400 statt 462 Franken pro Jahr. Fr Unternehmen hngt die Hhe der Abgabe vom Umsatz ab wobeiUnternehmen mit geringem Umsatz keine Abgabe bezahlen mssen. Damit werden drei Viertel allerUnternehmen keine Abgabe leisten mssen. Der Systemwechsel dient nicht dazu, den Gesamtertrag zu erhhen.

    Keine Erhhung des GesamtertragsDer Systemwechsel erfolgt ertragsneutral: Die neue Abgabe dient nicht dazu, insgesamt mehr Geld fr Radio und Fernsehen einzuziehen.

    Hhe der HaushaltabgabeDie Hhe der Abgabe legt der Bundesrat wie bisher in der Verordnung fest. In der Botschaft an das Parlament hat der Bundesrat erklrt, dass die Abgabe fr Radio und TV neu rund 400 statt 462 Franken pro Jahr betragen soll.

    Was passiert bei einem Nein?Der Wechsel zu einer allgemeinen gerteunabhngigen Abgabe erfolgt nur bei einem Ja zur RTVG-Revision. Bei einem Nein bleibt es bei den heutigen jhrlichen Empfangsgebhren fr Radio undFernsehen (462 Franken pro Jahr fr Haushalte; fr Unternehmen pro Betriebssttte je nach Nutzung zwischen 612 und 1409 Franken). Haushalte und Unternehmen mssten sich bei einem Nein weiterhin individuell bei der Erhebungsstelle Billag an- und abmelden, die Rechnungen bezahlen und Kontrollbesuche von ihr gewrtigen.

    Abgabe wird fr viele billigerDie meisten Haushalte werden entlastet: Sie mssen fr Radio und Fernsehen nur noch rund 400 statt 462 Franken pro Jahr bezahlen und sparen so jedes Jahr rund 60 Franken.

    Manipulativ ist hier auch wieder die unablssige Weigerung, die Steuer als Steuer zu bezeichnen und stattdessen stets von einer Abgabe zu sprechen, obwohl Kausalitt und die quivalenz zwischen Leistung und Abgabe bei all den Haushalten, die eben keine Programme der SRG nutzen oder gar keine Gerte haben [fehlen], wie Verfassungsrechtsprofessor Rainer Schweizer rgt. Dazuwird behauptet, die Abgabe diene nicht dazu, ingesamt mehr Geld (recte: Steuern) einzuziehen. Darauf ist der Bundesrat dann auch zu behaften.

    Von der naheliegenden Konsequenz, dass bei einer Annahme die durch das Gesetz erheblich strker belasteten KMUs die Steuern zwangslufig ber Produktepreise und Mieten wieder auf die Privathaushalte abwlzen mssen, ist keine Rede. Es ist naheliegend, dass unter diesen Voraussetzungen 1. von einem Stimmenkauf und 2. von einer eigentlichen Irrefhrung (siehe: Verbot der Irrefhrung: Hfelin/Haller/Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7. Aufl., Zrich 2008) ber konomische Konsequenzen dieser Abgabe in den Abstimmungsunterlagen gesprochen werden muss. Zumal bei der Preisumwlzung ber die Produktepreise darber hinaus auch noch hhere MWST-Einnahmen fr den Bund resultieren, die bekanntlich wirtschaftlich weniger betuchte Haushalte proportional strker belasten. Diese konomischen Folgen als auch das Steuerverhltnis htten dem Stimmbrger der Objektivitt halber vermittelt werden mssen, statt ihn mit dem manipulativ wiederholten Versprechen, seine Belastung durch Fernsehabgaben wrde sinken, zu kdern und hinters Licht zu fhren. Ich darf daran erinnern, dass jede direkte Einflussnahme der Behrden, welche dazu geeignet ist, die freie Willensbildung der Stimmbrgerinnen und Stimmbrger im Vorfeld von Abstimmungen zu verflschen, laut

  • Rechtslehre grundstzlich unzulssig ist (BGE 117 Ia 41 E. 5a) Eine unerlaubte Beeinflussung kannetwa dann vorliegen, wenn die Behrde in amtlichen Erluterungen nicht objektiv informiert und ber den Zweck und die Tragweite der Vorlage falsch orientiert.

    Freundliche Grsse