Österreichische Post AG Info.Mail Entgelt bezahlt · Werkraum Bregenzerwald N°9 | 5 Gedanken von...

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Werkraum Bregenzerwald N°9 | 1 Österreichische Post AG Info.Mail Entgelt bezahlt

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Werkraum Bregenzerwald N°9 | 1

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Werkraum Bregenzerwald N°9 | 5

Gedanken von Peter Zumthor, aufgezeichnet von Karin Guldenschuh

Bei Handwerk+Form sind erstmals die Modellskizzen zum Werkraum Haus öffentlich zu sehen. Der Entwurf stammt von Peter Zumthor. Der renommierte Schweizer Architekt und Pritzker-Preisträger 2009 ist dem Handwerk außerordentlich verbunden, zumal er selbst ursprünglich gelernter Möbelschreiner ist. Seine guten Beziehungen zu den Bregenzer-wälder Handwerkern gehen auf den Bau des Kunsthauses in Bregenz zurück. Beim letzten Gestaltungswettbewerb Handwerk+Form 2006 war Peter Zumthor Juryvorsitzender. Seine Thesen zum Handwerk lassen nicht nur seine große Wertschätzung für die Handwerker er-kennen, sie prägen auch seine Arbeit als Architekt.

These 1: Handwerk ist das, was die Handwerker tun.

Handwerk ist für Peter Zumthor das Herstellen von nützlichen Dingen im Sinne einer direk-ten Antwort auf Bedürfnisse. Das gilt auch für seinen Entwurf für das Werkraum Haus. Die Handwerker brauchen es, um ihre Leistungen gebündelt darzustellen. Zumthor sieht das Gebäude als Schaufenster, in dem die Produkte der Handwerker die „schönen Darsteller“ sind. Zugleich ist es die Brücke zu den Werkstätten der Betriebe. Es besteht aus einer Tra-gekonstruktion, einem Dach und einer Hülle. „Der Bau ist einfach, großzügig und transpa-rent. Keiner soll sagen, dass man da noch etwas weglassen könnte.“ Zumthor denkt dabei im Ansatz an ein industrielles Gebäude. „Es ist einfach wie eine Sägerei, aber es ist keine Sägerei, es ist schöner als eine Sägerei, denn es legt Wert auf ein anziehendes Äusseres.“

These 2: Handwerk ist gute Arbeit.

Handwerk ist gut gemacht. Schlechtes Handwerk ist für Peter Zumthor Pfusch. Die Werk-raum Handwerker und der Architekt teilen die Lust und die Freude am Tun und den hohen Anspruch an Konstruktion und Gestaltung. Gemeinsam ist den Handwerkern und dem Ar-chitekten außerdem die Fähigkeit der Geduld, ja der Ausdauer, eine unabdingbare Voraus-setzung für sorgfältiges und genaues Arbeiten. Das von Peter Zumthor geplante Werkraum Haus, bei dem die Handwerker Bauherren und ausführende Betriebe zugleich sind, ist Aus-druck seiner Wertschätzung für das Handwerk. „Ich empfinde Respekt für die Kunst des Fügens, für die Fähigkeiten der Konstrukteure, Handwerker und Ingenieure. Das Wissen der Menschen über die Herstellung von Dingen, das in ihrem Können enthalten ist, beein-druckt mich. Ich versuche darum, Bauten zu entwerfen, die diesem Wissen gerecht werden und es auch wert sind, dieses Können herauszufordern.“

These 3: Handwerk ist Arbeit nach Maß.

Handwerk geht an einen Ort und macht aus der Sicht von Peter Zumthor im besten Fall etwas nur für dort. Dadurch entstehen Originale, Unikate, authentische Stücke. Der Stand-ort des Werkraum Hauses ist Andelsbuch, direkt an der Straße neben dem Alten Bahnhof an der Trasse der ehemaligen Wälderbahn. An diesem historischen Umschlagplatz ist auch der Stein ins Rollen gekommen, als die Handwerker für die Handwerk+Form Ausstellungen in gemeinschaftlicher Arbeit ihre temporären Pavillons bauten. Für das feste Domizil des Werkraum Bregenzerwald entwirft Peter Zumthor ein einfaches, aber großzügiges Gebäude. „Das Bauwerk, ist es nur präzise genug für seinen Ort und seine Funktion erdacht, ent-wickelt seine eigene Kraft, die keiner künstlerischen Zutat bedarf.“

These 4: Handwerk ist Arbeit und Planung der Arbeit.

Der Handwerker findet Lösungen für bestimmte Aufgabenstellungen, im Zweifelsfall erfindet er sie. Er ist sein eigener Ingenieur. Der Architekt Peter Zumthor erfindet die Form seiner Gebäude durch die Arbeit mit Bildern. Er stellt sich den Ort, den Gebrauch und die Men-schen vor, die es benützen. „Ich mache mir alles bewusst, was zu meiner Entwurfsaufgabe gehört und beginne mir ein ‚Bild zu machen‘. Und diese Bilder, die nun entstehen, zeigen, weil sie eben Bilder sind, sofort ganz viele Facetten des Artefaktes. (…) Bildarbeit ist nicht nur alles, was ich im Moment aufnehme, um ein neues Bild zu generieren, sondern auch die Bearbeitung von schon vorhandenen Bildern auf dem sensiblen Hintergrund der Suche nach der neuen Form.“ Im Fall des Werkraum Hauses umfasst dieses Bild ein Dach, das von zwei Säulenreihen aus Beton getragen wird, und eine Fassade aus Glas. Das Gebäude ist über 60 Meter lang und 9 Meter hoch. Glas, Stahl und Beton sind die Materialien – nicht Holz, das in der ländlichen, bäuerlichen Region erwartet und üblicherweise verwendet wird. Die Betonsäulen verleihen dem Bau Gewicht und stecken den Ort ab. Peter Zumthor: „Die klassischen Säulen geben dem Gebäude den edlen Charakter, den ein Showroom haben muss. Sie müssen so massiv sein, dass sie den Ort behaupten, im Sinne von: Ich bin da, das ist ein Gebäude.“ Die Funktion bestimmt aus der Sicht von Zumthor die Form und die Materialwahl. „Es ist kein Wohnhaus und kein Gewerbebau, sondern eine Vitrine, und Vitri-nen sind eben aus Glas.“

These 5: Handwerk ist Lebensqualität.

Handwerk schafft für Peter Zumthor Werte für den, der Dinge herstellt und für den, der die-se Dinge nutzt. Gute Architektur löst das Problem der Form und macht zugleich Sinn. Das Werkraum Haus ist nicht nur ein Haus für das Handwerk und die Handwerker, es wird das Leben der Menschen in der Region verändern und bereichern. „Das bestehende Dorfzent-rum wird durch das Werkraum Haus gewinnen, es macht den Ortskern erst fertig“, so Peter Zumthor. Wichtig ist für ihn die richtige Balance zwischen globalen und lokalen Aspekten. „Schöpft ein Entwurf alleine aus dem Bestand und der Tradition, wiederholt er das, was sein Ort ihm vorgibt, fehlt mir die Auseinandersetzung mit der Welt, fehlt mir die Ausstrah-lung des Zeitgenössischen. Erzählt ein Stück Architektur nur Weltläufiges und Visionäres, ohne den konkreten Ort zum Mitschwingen zu bringen, vermisse ich die sinnliche Veran-kerung des Bauwerkes an seinem Ort, das spezifische Gewicht des Lokalen.“

Peter Zumthor, 1943 geboren in Basel, Ausbildung als Möbelschreiner, Gestalter und Architekt an der Kunst-gewerbeschule in Basel und am Pratt Institute, New York. Seit 1979 eigenes Architekturbüro in Haldenstein, Schweiz.

Ein Haus für das Handwerk

Ansicht Werkraum Haus, Montage Februar 2009 Präsentation Modell Werkraum Haus, Generalversammlung September 2009

Werkraum Bregenzerwald N°9 | 4

Karin Guldenschuh

Wer sich an einem Wochenende im Oktober nach Andelsbuch aufmacht, um sich die neuen Exponate von Handwerk+Form anzuschauen, wird auch vom jeweiligen Pavillon auf dem Bahnhofsgelände in Bann gezogen. Die architektonischen Prototypen fügen sich ganz selbstverständlich in die Ausstellung ein, für manchen Besucher sind sie gar heimliche Fa-voriten von Handwerk+Form, obwohl sie gar nicht Teil des Wettbewerbs sind.

Wenn sich im Vorfeld von Handwerk+Form 30 bis 40 Handwerker in Andelsbuch einfinden, um den Pavillon zu bauen, ist das gelebte Kooperation. Konkurrenzbetriebe arbeiten Hand in Hand. 2000 freiwillige Stunden investieren Zimmerer, Dachdecker, Baumeister, Maler, Sattler, Installateure und Tischler in die Konstruktion eines Pavillons. Das entspricht Kosten von 50.000 bis 60.000 Euro. In der Betriebskalkulation ist das die Jahresarbeitsleistung eines Mannes. Die Handwerker wollen mit den Pavillons immer wieder Neues ausprobieren und ihr Know-how vergrößern. Ungewöhnliche und recycelbare Materialien sollen zum Ein-satz kommen, sodass am Ende der Ausstellung nichts von dem Bauwerk zurückbleibt. Die eingesetzten Materialien werden nach dem Abbau wieder in ihrer ursprünglichen Funktion verwendet, seien es Bretter, Paletten oder wie diesmal Schalungsträger. Durch das Testen neuer Konstruktionstechniken ist jeder Pavillon eine Forschungsarbeit, die das Innovations-potenzial des Werkraum Bregenzerwald aufzeigt.

Der Bretterstapel-Pavillon 2003

Zwei Motive haben die Handwerker des Werkraum Bregenzerwald anlässlich von Handwerk+Form 2003 erstmals zu einer grandiosen Bauleistung im Kollektiv veranlasst: Der lang gehegte Traum von einem eigenen Handwerkerhaus und die Suche nach einem passenden Ausstellungszentrum für Bewirtung und Veranstaltungen. Das temporäre Bau-werk sollte die alten Werkstätten und Stadel ergänzen, in denen die zum Wettbewerb ein-gereichten Exponate gezeigt werden. Unter der Federführung von Zimmermeister Michael Kaufmann, Baumeister Werner Schedler und Architekt Johannes Kaufmann ist 2003 der erste Pavillon aus Bretterstapeln entstanden. Das Gebäude aus 100 Tonnen Fichtenholz hatte sogar einen offenen Kamin und, wie schon die alten Römer, eine Hypokausten-Fußbodenheizung. Im Sinne einer Organisation steht der Bau in der Tradition der mittelal-terlichen Bauhütten der Zimmerer. Die Initiatoren geben aber heute freimütig zu, dass der entscheidende Impuls zur Idee mit den Bretterstapeln vom Schweizer Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover kam, den Peter Zumthor entworfen hatte. Von einer Kopie könne man aber nicht sprechen, sei doch der Bregenzerwälder Zweckbau eine sehr brachiale Interpre-tation von Zumthors bis ins letzte Detail konzipiertem Baukörper aus Architektur, Klang und Text, für das die Bretterstapel eigens zugeschnitten worden waren.

Der Paletten-Pavillon 2006

Ganz anders, wenn auch in umgekehrter Richtung, verhält es sich mit dem Paletten-Pavil-lon von 2006. Das von Architekt Andreas Mohr entworfene Gebäude aus 800 Europaletten fand den Gefallen von zwei Studenten der Technischen Universität Wien. Sie reichten den-selben Entwurf beim Wettbewerb um den österreichischen Beitrag zur Architektur Biennale 2008 in Venedig ein und wurden prompt aus 400 Bewerbern ausgewählt. Aus der Sicht von Andreas Mohr handelt es sich eindeutig um ein Plagiat. Ein Patentanwalt befasst sich derzeit mit der delikaten Angelegenheit.

Der Schalungsträger-Pavillon 2009

Der Pavillon für Handwerk+Form 2009 soll eine Anspielung auf den bevorstehenden Bau des Werkraum Hauses und damit der letzte in der Serie sein. Monatelang haben Michael Kaufmann, Werner Schedler und Andreas Mohr an der Konstruktion getüftelt. Eine Art Kar-tenhaus aus Schalungsplatten wurde aus Sicherheitsgründen verworfen. Mit Holzklötzen im Maßstab 1:50 wurde schließlich eine andere Idee auf ihre Machbarkeit geprüft: eine Art Lego-Haus aus Paketen von Schalungsträgern. Die von der Firma Holzbau Kaufmann in Reuthe erzeugten gelb-roten T-Träger aus Fichtenholz verleihen dem Pavillon eine poppige Optik. Die verwendeten Folienpakete mit diesen Trägern in der Länge von 2,5 bis 6 Metern wiegen im Schnitt eine Tonne.

Schon zum Ritual geworden ist das Abbruchfest am Ende der Ausstellung zu Handwerk+Form. Diesmal ist es auch ein Zeichen des Aufbruchs. Einen Pavillon braucht es nicht mehr. Bis zum nächsten Wettbewerb 2012 wird das Werkraum Haus stehen. Der Entwurf von Peter Zumthor ist so transparent und offen gestaltet, dass die Handwerker auch in diesem fixen Bauwerk ihre Kreativität und ihr Können voll ausleben können. Doch bis dieses Haus fertig ist, werden sie im Vergleich zu den temporären Pavillons noch ein Vielfaches an Engagement, Zeit und Geld aufbringen müssen. Die Pavillons sind jedenfalls für die Fördergeber, Politiker und für die Bevölkerung überzeugende Schritte auf dem Weg zum neuen Haus, der gemeinsam gebauten Vision des Werkraum Bregenzerwald.

Karin Guldenschuh, geb. 1970, lebt in Wolfurt, hat an der Wirtschaftsuniversität Wien Handelswissenschaft studiert. Arbeitet seit 1986 als Journalistin für den ORF, Landesstudio Vorarlberg.

Schön und Gut

Bretterstapel-Pavillon 2003 Paletten-Pavillon 2006 Schalungsträger-Pavillon 2009