Österreichische Zeitschrift für PFLEGERECHT€¦ · Quelle: Sethi et al (Hrsg), European report...

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Österreichische Zeitschrift für PFLEGERECHT Zeitschrift für die Heim- und Pegepraxis und Krankenanstalten GuKG, Arbeitsrecht & Anstaltenrecht Vordienstzeitenanrechnung vor dem 18. Lebensjahr Pegegeld & Sozialrecht Reformarbeitsgruppe Pege Den Herausforderungen begegnen HeimAufG & UbG Der richtige Umgang mit Gewalt in der Pege Haftung, Kosten & Qualität Das neue Organ- transplantationsgesetz 1/2013 Schriftleitung: Martin Greifeneder und Klaus Mayr ISSN 2079-0953 P.b.b. Verlagsort 1010 Wien Plus.Zeitung 10Z038521P pegerecht.manz.at

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Österreichische Zeitschrift für

PFLEGERECHTZeitschrift für die Heim- und Pflegepraxis und Krankenanstalten

GuKG, Arbeitsrecht & Anstaltenrecht

Vordienstzeitenanrechnungvor dem 18. Lebensjahr

Pflegegeld & Sozialrecht

Reformarbeitsgruppe Pflege –

Den Herausforderungen begegnen

HeimAufG & UbG

Der richtige Umgang mit Gewaltin der Pflege

Haftung, Kosten & Qualität

Das neue Organ-transplantationsgesetz

1/2013Schriftleitung: Martin Greifeneder und Klaus MayrISSN

2079

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P.b.b. Verlagsort 1010 Wien Plus.Zeitung 10Z038521P

pflegerecht.manz.at

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HeimAufG & UbGHeimAufG & UbG

ao. Univ.-Prof. Dr. Michael GannerUniversität Innsbruck

Der richtige Umgang mit Gewalt in der PflegeRechtliche Aspekte. Welche Formen der Gewalt treten in der Pflege auf und welche rechtlichenKonsequenzen sind damit verbunden? Wie kann sich das Pflegepersonal vor Gewalt durchpflegebedürftige Personen schützen und welche Pflichten hat das Personal, wenn es Gewaltdurch andere Personen wahrnimmt? Diese Fragen werden im folgenden Beitrag überblicksmäßigbeantwortet.

EinleitungGewalt in der Pflege ist für Personal undgepflegte Personen nichts Außergewöhnli-ches. Sie sind ihr auf die eine oder andereWeise, und zwar sowohl als Täter als auchals Opfer, regelmäßig ausgesetzt. Die Sta-tistiken kommen in den Details zu rechtunterschiedlichen Ergebnissen, was wohlvor allem mit den jeweiligen Definitionenvon Gewalt und den Untersuchungsmetho-den zu tun hat. Tendenziell wird vom Pfle-gepersonal in stationären Einrichtungenmehr Gewalt wahrgenommen als im ambu-lanten Bereich. Tatsächlich dürften aber ge-rade alte Menschen im privaten Umfeldhäufiger Opfer von unmittelbarer Gewaltsein als in der stationären Betreuung, wostrukturelle Gewalt (zB Personalmangel)eine zentrale Rolle spielt.1 Eindeutig ist je-denfalls, dass die Gewalt mit der Pflegebe-dürftigkeit zunimmt.

Anteil des Pflegepersonals, das im letzten JahrGewalt an pflegebedürftigen Personen

wahrgenommen hat:Körperliche

GewaltPsychische Ge-walt + Vernach-lässigung etc

stationär 20 – 25% 50 – 60%

ambulant 8 – 12% 25 – 30%

Tabelle

Quelle: Sethi et al (Hrsg), European report on

preventing elder maltreatment (WHO 2011)

Vor allem im Bereich der Angehörigen-pflege wird Gewalt nach wie vor stark ta-buisiert, im professionellen Pflegebereichwird sie hingegen schon eher als grundle-gendes Problem erkannt.

Das Ziel ist die gewaltfreie Pflege, dieBestrebungen und Entwicklungen im Rah-men der gewaltfreien Erziehung könnenhier als Vorbild dienen. Klar muss abersein, dass – zumindest solange auf Seitender Pflegenden (und der Gepflegten) nichtausschließlich Roboter tätig sind – voll-kommen gewaltfreie Pflege, ebenso wievollkommen gewaltfreie Erziehung, ein un-erreichbares Ziel bleiben wird. Gewalt alsAusfluss von Gefühlsregungen ist nämlich

menschlich. Ein gewisses Maß an Gewaltmuss man daher, sowohl als pflegende alsauch als gepflegte Person, aushalten.

Aufgabe der Rechtsordnungist es nicht, jede kleinsteForm der Gewalt oderAggression zu verhindernoder gar zu bestrafen. Dazuwäre der Staat auch nichtin der Lage.

Staatliche Zwangsmaßnahmen, wieetwa die gerichtliche Wegweisung oderGeld- und Haftstrafen, sind in langdauern-den Nahebeziehungen nur bei Gewaltex-zessen geeignet, Abhilfe zu verschaffen.Viele kleine Aggressionen und Gewaltaus-übungen können nur durch indirekte Maß-nahmen eingedämmt werden. Im Vorder-grund stehen vielmehr die Freiheit und dieEigenverantwortung der Personen, ihrepersönlichen Verhältnisse und Beziehun-gen selbst zu gestalten (Privatautonomie).Vor allem im familiären Bereich gilt zu-sätzlich das Prinzip der staatlichenNichteinmischung. Alles hat aber seineGrenzen. Wo diese überschritten werden,greifen die sehr vielseitigen und hier nichtvollständig darstellbaren rechtlichen In-strumentarien und Sanktionen ein.2

Die Formen der Gewalt sind vielfältigund nur ein Teil davon ist überhauptrechtlich untersagt. In der Regel sprichtman beim Verhältnis zwischen pflegendenund gepflegten Personen von drei Katego-rien von Gewalt:3

Die personelle Gewalt: Zu verstehenist darunter die durch die jeweilige Personunmittelbar ausgeübte Gewalt. Dazu zäh-len bspw körperliche Gewaltanwendungen(fixieren, einsperren, schlagen, sexuelleÜbergriffe etc), Beschimpfungen, das Ver-nachlässigen (zB durch Wartenlassen beider Versorgung, auf der Toilette oder beimEssen und Trinken), die Verweigerung derKommunikation sowie das Vorenthalten

von Informationen. Pflegende und Gepfleg-te können hier Täter und Opfer sein.

Die strukturelle Gewalt: Sie entstehtdurch Umstände im direkten Pflegeumfeldund ist oft die Grundlage für personelleGewalt. Umstände, die strukturelle Gewaltverursachen, sind zB zu wenig Personal,mangelnde Qualifikation des Personals,schlechte räumliche und technische Aus-stattung, schlechte Arbeitszeiten und -be-dingungen, schlechte Entlohnung, unzurei-chende Durchsetzung von Gesetzen undmangelhafte Kontrollen. Die Opfer sind indiesen Fällen sowohl Pflegende als auchGepflegte.

Die kulturelle Gewalt: Sie hat ihre Ur-sachen in gesamtgesellschaftlichen Um-ständen, wie zB in einem negativen Imagedes Alters und des Pflegeberufs insgesamt,in der Gewaltakzeptanz insgesamt, imPrinzip „Sicherheit vor Lebensqualität“, inVorurteilen gegenüber psychisch krankenPersonen sowie in zu geringen finanziellenAufwendungen für die Pflege seitens derGesellschaft. Sie ist oft die Grundlage fürstrukturelle, aber auch für personelle Ge-walt. Die Opfer sind auch hier das Pflege-personal und pflegebedürftige Personen.

In der Folge werden praktisch nur dierechtlichen Aspekte der personellen Gewaltbesprochen. Nur in diesem Bereich habenPflegende und Gepflegte einen Handlungs-spielraum, durch dessen Veränderung sieselbst eine Verbesserung einer unbefriedi-genden Situation bewirken können. Im Be-reich der strukturellen und kulturellen Ge-walt sind vor allem Trägereinrichtungensowie (Sozial-)Politik aufgerufen, die ent-sprechenden Voraussetzungen für einemöglichst gewaltfreie Pflege zu schaffen.

1 Vgl BMASK (Hrsg), Übergriffe, Gewalt und Aggression gegenältere Menschen (2009); ausführliche Statistiken bei Hirsch,Gewalt in der Pflege: Ursachen, Häufigkeiten und Prävention,Österreichische Pflegezeitschrift I 2011 11. 2 Ausführlich dazudie Studie des BMASK, Prävention und Intervention bei Gewaltgegen ältere Menschen (https://broschuerenservice.bmask.gv.at/). 3 Vgl auch Ganner, Recht und Gewalt in der stationärenPflege, medical tribune (Teil I) 2003, Heft 43, 17.

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Gewalt von Pflegendenan GepflegtenBei körperlicher Gewalt durch pflegendePersonen sind primär strafrechtliche As-pekte zu beachten. Strafbar sind grund-sätzlich alle Körperverletzungen. Das giltauch für solche, die bloß fahrlässig – alsoaufgrund einer Unachtsamkeit – zugefügtwerden, wenn sie nicht bloß geringfügigsind.4 Eine fahrlässige Körperverletzungliegt etwa bereits vor, wenn eine Pflegeper-son heißen Tee verschüttet und dabei dieHand eines Patienten verbrüht. Aber auchin der Rechtspraxis wird die Suppe nichtso heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Sol-che Fälle landen nicht vor dem Richter.

Auch bei schwereren Ver-stößen kommt es praktischnie zu einem Strafverfah-ren, sodass entsprechendeHaftungsängste des Pflege-personals durchwegsunberechtigt sind.

Ein Verstoß gegen das Strafgesetzbuchliegt auch dann vor, wenn jemand durchGewalt oder durch Drohung dazu gebrachtwird, etwas zu tun, was er nicht tun wollte,oder etwas nicht zu tun, was er tun wollte.In diesem Fall liegt eine Nötigung vor(§ 105 StGB). Das heißt aber nicht, dassman nicht auf jemanden einen gewissenDruck ausüben dürfte, damit er etwa beiden Pflegemaßnahmen mitwirkt (zB sichwaschen oder versorgen lässt). Das Krite-rium dabei ist, ob der ausgeübte Druck imEinzelfall den „guten Sitten“ entspricht.Unter den „guten Sitten“ ist nicht das zuverstehen, was sich im Pflegealltag als üb-lich darstellt, sondern was unter Beach-tung der Interessen der Betroffenenrechtlich, aber auch moralisch und ethischrichtig ist. Es gibt keine einzige auffindba-re Gerichtsentscheidung, die eine Nötigungdurch Pflegepersonal zum Gegenstand hat.Solche Fälle werden also regelmäßig nichtangezeigt bzw strafrechtlich verfolgt.

Andere Formen der Gewalt, wie dieVernachlässigung, Unfreundlichkeit unddas Vorenthalten von Informationen,stellen allenfalls eine Verletzung der dienst-rechtlichen bzw vertraglichen Pflichten dar.Das ist primär nicht strafbar, kann abervon Seiten des Dienstgebers arbeitsrechtli-che Konsequenzen (bis hin zur Entlas-sung) und von Seiten der gepflegten Person

die Kündigung des Vertrags, die Rückfor-derung von Entgelt sowie eventuell Scha-denersatzansprüche zur Folge haben.

Zwangsmaßnahmen im (vermeintli-chen) Interesse der betroffenen Person, ins-besondere etwa das Zurückbringen dieserauf ihre Station oder in ihr Zimmer gegenihren Willen, sind rechtlich eindeutig(im Heimaufenthaltsgesetz) geregelt. Nurwenn eine aktuelle erhebliche Selbst- oderFremdgefährdung gegeben ist, sind solcheMaßnahmen – unter Einhaltung der weite-ren gesetzlichen Voraussetzungen – zuläs-sig. In allen anderen Fällen muss man ver-suchen, die betroffene Person (zB durchÜberreden, durch Ablenkung, durch denEinsatz von Lockangeboten) zu einer Mei-nungsänderung zu bewegen.

Anzeige- und MeldepflichtenBeim Verdacht, dass durch eine strafbareHandlung eine schwere Körperverletzungoder der Tod verursacht wurde, bestehtfür Angehörige der Gesundheits- undKrankenpflegeberufe eine Meldeermächti-gung an persönlich betroffene Personen so-wie an Behörden oder öffentliche Dienst-stellen (§ 8 GuKG). Das heißt, dass sie denVorfall an diese melden können, aber nichtmüssen. Die Meldung muss unterbleiben,wenn die Geheimhaltung für das Opferwichtiger ist als die Meldung, was aber nurin den seltensten Fällen gegeben sein wird.Innerbetrieblich besteht in diesen Fällenregelmäßig eine Meldepflicht an denDienstgeber. Einrichtungen sollten dafürklare Richtlinien haben.

Nur bei selbständiger Tätigkeit desPflegepersonals besteht eine gesetzlicheAnzeigepflicht an die Sicherheitsbehörde(§ 7 GuKG). Beim Verdacht auf Misshand-lung, Quälen, Vernachlässigen oder auf se-xuellen Missbrauch besteht, sowohl beiselbständiger als auch bei unselbständigerTätigkeit, eine Meldepflicht an die Jugend-wohlfahrtsbehörde, wenn das Opfer min-derjährig ist, oder an das Bezirksgericht,wenn das Opfer volljährig ist. Die Meldungkann in diesen Fällen aber unterbleiben,wenn keine Wiederholungsgefahr besteht.5

Ärzte haben auch in diesen Fällen eineAnzeigepflicht an die Sicherheitsbe-hörde.

Jedenfalls sollten die Opfer von Gewalt-taten auf Opferschutzeinrichtungen (zBdie Gewaltschutzzentren und Kinder- undJugendanwaltschaften der Bundesländer)6

hingewiesen werden. Das gilt vor allem bei

Gewalt in der extramuralen Pflege bzw inder Familie.

Gewalt von Gepflegtenan PflegendenEine typische Pflegekraft muss erwarten,monatlich 9,3-mal durch einen Alten-heimbewohner angegriffen zu werden und11,3-mal verbal aggressiven Äußerungenausgesetzt zu sein.7 Aggressive Äußerun-gen von Klienten müssen sich auch andereGruppen von Arbeitnehmern gefallen las-sen, in der Pflege ist aber die Gewalt, derdas Personal ausgesetzt ist, zweifellos au-ßergewöhnlich hoch. Hier stellt sich dieFrage, was man sich gefallen lassen mussund wie man sich schützen kann und darf.

Es ist im Rahmen der Notwehr jeden-falls erlaubt, sich in dem Ausmaß zu weh-ren, welches notwendig ist, um einen Angriffeffektiv abzuwehren. Je schwerer die zu be-fürchtenden Folgen des Angriffs sind (zBKörperverletzung), desto gravierendere Ab-wehrmaßnahmen sind zulässig, und zwarauch, wenn dadurch die angreifende Personverletzt wird. Bei der Einschätzung, welcheAbwehrmaßnahme im Einzelfall die gelin-deste ist, kann man sich natürlich täuschen,zumal die Entscheidung zumeist sehrschnell getroffen werden muss. Nur wenndie Entscheidung auf einer vorwerfbarenFehleinschätzung beruht und dadurch diebetreute Person einen Schaden erleidet,kommt überhaupt eine Haftung in Frage. Ei-ne Fehleinschätzung ist aber nur dann vor-werfbar, wenn jemand unter Beachtung derjeweiligen Umstände sorgfaltswidrig han-delt, also die in der konkreten Situation zu-mutbare und gebotene Sorgfalt nicht einhält.

Zu beachten sind aber auch die Folgender Abwehrhandlung für die angreifendePerson: Ist es offensichtlich, also für diePflegeperson leicht erkennbar, dass die Ab-wehrhandlung ein hohes Verletzungsrisikofür die pflegebedürftige Person birgt, ob-wohl ihr selbst bloß ein geringer Nachteildroht, so ist die Notwehr nicht erlaubt.Das heißt, dass man in bestimmten Fällen– zum Schutz der aggressiven Person – ei-ne geringfügige eigene Beeinträchtigung inKauf nehmen muss.

4 Gem § 88 Strafgesetzbuch (StGB) ist eine Körperverletzungnicht strafbar, wenn die Gesundheitsschädigung oder Berufs-unfähigkeit der Person nicht mehr als vierzehn Tage dauert.5 Laut Gesetz, „sofern dies zur Verhinderung einer weiterenerheblichen Gefährdung des Wohls der betroffenen Person[nicht] erforderlich ist.“ 6 Die Kontaktdaten und Adressen fin-den Sie unter www.bmi.gv.at/cms/BMI_Links/intervention/start.aspx 7 Goodrige/Thompson, Conflict and Aggression asStressors in the Work Environment of Nursing Assistants(1996).

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HeimAufG & UbG

Wenn eine Person wegen ihrer Krank-heit betreut wird und krankheitsbedingtbesonders aggressiv und allenfalls nichtmehr voll zurechnungsfähig ist, gilt diesumso mehr.

Ein Besucher eines Pflege-heims hat also ein weiter-gehendes Notwehrrechtgegenüber aggressiven Be-wohnern als das Personal,welches aufgrund seinerBetreuungsaufgabe mehrakzeptieren muss.

Kommt es aber zB aus Angst zu einerÜberreaktion des Pflegepersonals bei derVornahme einer Abwehrhandlung, so istdies nur strafbar, wenn zumindest einenicht nur geringfügige Körperverletzungzugefügt wird und dies der Pflegepersonauch vorwerfbar ist.

Dient eine Abwehrhandlung demSchutz eines Dritten, so ist es Nothilfe. Fürdas Pflege- und Betreuungspersonal bestehtallenfalls die Pflicht zur Nothilfe. Diese er-gibt sich bei der Betreuung in stationärenEinrichtungen aus dem jeweiligen Vertrag(zB Heimvertrag) und den daraus resultie-renden vertraglichen Schutz- und Sorgfalts-pflichten oder aus der allgemeinen Hilfeleis-tungspflicht. Zu denken ist dabei bspw anden Schutz von Bewohnern vor körperli-chen Attacken aggressiver Mitbewohner.

SchlussWie Sie schon festgestellt haben, versprichtdie Überschrift des Beitrags mehr, als erbieten kann. Die Frage nach dem richtigenUmgang mit Gewalt kann nicht rein recht-lich beantwortet werden. Die rechtlichenNormen dienen primär der Absteckungvon Grenzen, die auf keinen Fall über-schritten werden dürfen. Sekundär ist es

Aufgabe der Rechtsordnung, für Rechtssi-cherheit zu sorgen. Diese ist nämlich einewesentliche Voraussetzung dafür, dass dasPflegepersonal fachlich ordentlich, also denAnforderungen entsprechend und daherauch zum Wohle der pflegebedürftigen Per-sonen arbeiten kann. Derzeit wird die Tä-tigkeit des Pflegepersonals oft von Haf-tungsängsten begleitet. Diese sind zwarweitgehend unbegründet, weil es in der Pra-xis so gut wie nie zur Haftung kommt –

und zwar auch in jenen Fällen, in denen die-se durchaus gerechtfertigt wäre –, es führtaber dennoch dazu, dass oft Maßnahmengesetzt werden, die weder fachlich noch fürdie pflegebedürftige Person die richtigensind (zB Freiheitsbeschränkungen).

Die Lösung des Gewaltproblems in derPflege liegt erstens in der Gestaltung derpersönlichen Beziehung von Pflegendenund Gepflegten, wofür verschiedenste Fak-toren (Strukturen, Ausstattung, Bezah-lung, persönliche Eigenschaften etc) von

entscheidender Bedeutung sind. Zweitensbedarf es der Gewaltprävention durchgrundsätzliche und umfassende gesell-schaftliche Ächtung von Gewalt und derAnerkennung, dass es Aufgabe der Ge-meinschaft ist, Schwächere zu schützen.Drittens bedarf es effektiver Interven-tionsmechanismen: zB das Krisentelefonin der ambulanten Pflege, die Entlastungvon Angehörigen, allenfalls ein flexiblerPersonaleinsatz (wer kann mit wem?) oderSupervision zumindest für professionellesPflegepersonal.

Gewalt ist in solchen Beziehungen abernicht vollständig vermeidbar. Daher istviertens Professionalität des Personalsim Umgang mit Gewalt gefordert, welchedurch entsprechende Schulungen gefördertwerden kann. Im professionellen Bereichdie Voraussetzungen dafür zu schaffen, istTeil der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflichtdes Dienstgebers.

ÖZPR 2013/14

Zum Thema

In KürzeRechtliche Instrumente sind bei Gewalt in Nahebeziehungen nur beschränkt hilfreich. Sie

dienen oft mehr der Abschreckung als der Verbesserung der persönlichen Beziehungen. Als

Orientierungshilfen und Handlungsanweisungen sind Rechtsnormen aber unverzichtbar.

Zusätzlich bedarf es auch anderer Mittel, um die schwierigen Situationen – Überforderung

des Personals, krankheitsbedingte Aggressivität pflegebedürftiger Personen etc – zu meis-

tern.

Über den Autor

ao. Univ.-Prof. Dr. Michael Ganner ist an der Universität Innsbruck außerordentlicher Pro-

fessor für Bürgerliches Recht unter besonderer Berücksichtigung des Altenrechts. Seit

15 Jahren beschäftigt er sich ua mit rechtlichen Aspekten der Betreuung pflegebedürftiger

Personen, insbesondere etwa mit dem Heimvertrag, mit Freiheitsbeschränkungen in

Pflegeeinrichtungen und mit dem Sachwalterrecht; siehe auch www.uibk.ac.at/zivilrecht/

mitarbeiter/ganner/

LiteraturhinweiseBMASK, Prävention und Intervention bei Gewalt gegen ältere Menschen (2012):

https://broschuerenservice.bmask.gv.at/