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  • !!JKRNTENINTERVIEW

    "Das sind wirklichkranke Leute"

    .Dieter Schmidt, vormaliger Umweltre-ferent der rztekammer, ber Elektro-sensibilitt und Probleme Betroffener.

    KLEINE ZEITUNGMONTAG, 8. SEPTEMBER 2014

    Die stillenElektrosensible Menschenleben auf der Schattenseite desFortschritts. Die Flucht vorHandystrahlung ist unmglich,dazu kommt Stigmatisierung.

    WOLFGANG RAUSCH

    Handy? So etwas besitzen sie. erst gar nicht. Oder sie habees, wie es Iosef Neuschitzerschon 2003 tat, weggeworfen,"weil ich mich nicht qulen las-se". Er habe einen Elektroschockam ganzen Krper gesprt, als erirgendwann im Jahr 2002 im Autodas Handy einschaltete.Handys, Sendernasten, WLAN.

    Dieses Triumvirat macht, nebenHochspannungsleitungen; Menesehen wie Iosef Neuschitzer dasLeben oftmals zur Hlle, weilman diesen Strquellen im Alltagkaum jemals entkommt. Neu-schitzer steht der Selbsthilfe-gruppe Elektrosmog/Elektrosen-sibilitt vor, wo Betroffene ein-mal im Monat in einem Klagen-furter Gasthaus im Kreis von Lei-densgenossen offen ihre Proble-me ausbreiten knnen. Dann hrtman von Schlaf- und Konzentra-. tionsstrungen, Tinnitus oderfalscher Klte- und Wrmewahr-nehmung. Oder vom "Mobilfunk-kater", den elektrosensible Men-schen durchleiden, wenn sie inein starkes Kraftfeld gekommensind. Neuschitzer: "Das dauertdann circa zwei Stunden, da mussman sich hinlegen."

    Herr Doktor, wie viele elektrosensible Menschen gibt es insterreich?DlETER SCHMIDT: Das lsst sich in Ermangelung von Statisti-ken nicht beziffern. In Deutschland spricht man von ei-nem Anteil von elf bis 18 Prozent Elektrosensiblen in derBevlkerung, von denen wiederum zehn bis 15Prozent so-gar hochsensibel sind. In sterreich drfte es nicht vielanders sein.Warum hat es dieses Thema so schwer, in das ffentliche

    Bewusstsein zu dringen?SCHMIDT: Weil es zwar ganz klare Hinweise auf diesesKrankheitsbild gibt, aber keinen wissenschaftlichen Be-weis. Der Nachweis funktioniert vereinfacht gesagt so:Ich schalte eine Strahlungsquelle ausund dem Elektrosensiblen geht esbesser. -Wie hufig sind Sie in Ihrer Praxis

    als Allgemeinmediziner mit Elektro-sensibilitt konfrontiert?SCHMIDT: Aufgrund meiner einschl-gigen Vortrge wenden sich mehrMenschen an mich als an andere Kol-legen. Ich kenne spektakulre Einzel-schicksale, fnf von ihnen habe ichbei einem Kongress vorgetragen. Mitdem Effekt, dass mir Kollegen vonhnlichen Erfahrungen berichtet ha-ben. . "Grenzwerte berdenken" -Kann man aufgrund dieser Erfah- Dieter Schmidt WEICHSELBRAUN

    rungen davon ausgehen, dass vieleMenschen zwar Beschwerden haben, aber gar nicht ahnen,dass sie elektrosensibel sind?SCHMIDT: Meine Beobachtung geht in diese Richtung.Wenn ich zum Beispiel an das hufige Krankheitsbildleichte Depression denke, behaupte ich, dass die Psychia-ter einen Gutteil der Patienten als gesund entlassen knn-ten, wrden sie Schlafplatzmessungen durchfhren.Was msste man angesichts dessen vom Gesundheitsmi-

    nisterium erwarten?SCHMIDT: Wir brauchen Forschung, Studien. Und hohePrioritt htte es, die Grenzwerte zu berdenken.Das wird alles viel Zeit bentigen. Aber wie kann man

    akut auf das Problem reagieren?SCHMIDT: Indem man Elektrosmog so gering wie mglichhlt. Und da soll man bei den Kindern anfangen. Dasheit: WLAN in den Schulen abschalten, erst gar keinWLAN im Kindergarten.Ein heikles Thema ist der Umgang mit Elektrosensibilitt

    und vor allem Betroffenen in der Gesellschaft.SCHMIDT: Die Dunkelziffer ist auch deswegen so hoch, weilviele sich nicht trauen, sich mit ihren Problemen zu outen.:Wir mssen diese Schicksale ernst nehmen. Das sind kei-ne Spinner. Das sind wirklich kranke Leute!

    Anders als im Ausland (sieherechts) ist Elektrosensibilitt insterreich Stiefkind von Medizinund Forschung, was fraglos zurStigmatisierung der Betroffenenbeitrgt. Nur wenige wagen es, sooffen ihre Probleme anzuspre-chen wie Iosef Neuschitzer, derauch keine Scheu hat, sich mitStrahlenschutzkappe zu prsen-tieren. "Sie hat ein eingearbeite-tes Metallgewebe, das wie ein fa-radayscher Kfig wirkt und dieStrahlung abhlt", sagt er.

    LeidenswegeMaria F.*war geradezu auf derFlucht vor Strahlung, wechsel-te zwei Mal die Wohnung undkonnte letztendlich auch imdritten Quartierihre Problemenur lindern. Sie leidet unterWLAN-Sensibilitt, die bei ihr"knstliche Klte" .auslst,"Ich fhle mich dann, als wr-de ich in einem Khlschranksitzen." Diese Diagnose hatFrau F. gleich zweifachschwarz auf wei: einmal vomArzt, einmal vom Baubiologen.In ihrem nunmehrigen Heimlie sie- einen Schutzanstrichanbringen, beim Schlafen hel-fen Tcher mit Spezialfaden.Andrea W* interessierte sich

  • KLEINE ZEITUNGMONTAG, 8. SEPTEMBER 2014 STRAHLUNG~

    Opfer von Handy und WLANnicht sonderlich dafr, als auf ei-nem Hochspannungsmast in derNhe ihres Hauses ein Handy-sender installiert wurde. Sie wur-de krank, ihr Herz begann zu"stolpern". Eineinhalb Jahre warsie wegen Herzrhythmusstrun-gen in Behandlung, als sie einArzt zufllig auf die richtige Spurbrachte: "Haben sie vielleicht ir-gendeinen Sender in der Nhe ih-res Hauses?"Mag sein,dass FrauW. be-son-derssensibelreagiert,weil esnach ei-nem Un-fall Metall-teile in ih-rem Krpergibt. Das n-dert nichts anihrem Marty-rium, das mannach zahlrei- _chen Messun-

    . ruCK \astet aufunertrgbcher 0 Menschene\e\drosensib\en fOl0Ll~ (3)

    Fr Ilse M.* wird jede Busfahrtzur Qual, 20 Minuten, gerade soviel, wie sie fr wichtige Erledi-gungen braucht, sind das Maxi-mum. "Ich spre sogar noch dieSpannung, wenn vorher vieleSchler mit ihren Handys drin-nen waren." Die unerwnschten

    Nebenwirkungen einer Busfahrtsind fr Ilse M. "krampfartige Zu-stnde und Verspannungen imNacken und Schulterbereich so-wie Nadelstiche im Kopf". Das al-les sei uerst unangenehm undnicht selten, "es plagen michdann Schweiausbrche".

    NAMEN GENDERT

    gen mit einem Schutzanstrichdes Hauses und einem Spezialgit-ter lindern konnte. "Wenn derSender eingeschaltet wurde",

    haben sich bei mir richtig dieHaare aufgestellt", berichtet sie."Grund zum Einschreiten sah dasMinisterium aber trotz sehr ho-her Werte nicht."

    HINTERGRUND

    Recht auf einenstrahlungsfreienArbeitsplatzSchweden, das Paradiesfr Elektrosensible.

    Es ist nicht .~o, dass das Pro-blem in Osterreich unbe-kannt ist. Die Erzdizese Salz-burg beispielsweise verbietetdie Errichtung von Handymas-ten auf kirchlichen Liegen-schaften. Und die AllgemeineUnfallversicherung hat mit demProjekt "Athem" alarmierendeFakten zutage gefrdert. Mehran Reaktion als diverse Rat-schlge fr den Umgang mitdem Handy ist hierzulande abernicht aktenkundig. Und Betrof-fene werden, wie man es ehe-dem mit Umweltschtzern tat,als "Spinner" abgetan.Es geht aber auch anders. In

    Schweden sind Elektrosensibleals krperlich beeintrchtigteingestuft, sie haben sogar dasRecht auf einen strahlungsfrei-en Arbeitsplatz. Dafr Sorgetragen muss der Arbeitgeber. InGrobritannien gibt es WLAN-freie Privatschulen. Vorreiterwar brigens bereits 2009 einefranzsische Gemeinde. Selbstin sterreich gibt es inzwischenTourismusbetriebe, die Elektro-sensiblen Zuflucht bieten.

    lasef Neu-schitzer(Selbsthilfe-gruppe"Elektro-senSible")mit Schutz-gewand

    PIRKER