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Universität Augsburg Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik Prof. Dr. Volker Ulm Stochastik in der Grundschule Tagung der Regionalkoordinatoren von „SINUS an Grundschulen“ in Augsburg am 11. Mai 2010 Gliederung 1. Einführung: Stochastik im Lehrplan und den Bildungsstandards 2. Kombinatorik: Systematisches Abzählen 3. Wahrscheinlichkeit: Entwicklung von Grundvorstellungen 4. Statistik: Daten erheben und darstellen 5. Unterrichtsmethodik für Stochastik 6. Warum Stochastik in der Grundschule? 7. Literatur 8. Zwei komplexere Lernumgebungen

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Universität Augsburg Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik Prof. Dr. Volker Ulm

Stochastik in der Grundschule

Tagung der Regionalkoordinatoren von „SINUS an Grundschulen“

in Augsburg am 11. Mai 2010

Gliederung

1. Einführung: Stochastik im Lehrplan und den Bildungsstandards

2. Kombinatorik: Systematisches Abzählen

3. Wahrscheinlichkeit: Entwicklung von Grundvorstellungen

4. Statistik: Daten erheben und darstellen

5. Unterrichtsmethodik für Stochastik

6. Warum Stochastik in der Grundschule?

7. Literatur

8. Zwei komplexere Lernumgebungen

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1. Einführung: Stochastik im Lehrplan und den Bildungsstandards

Bei manchen Erwachsenen entstehen beim Wort „Stochastik“ negative Gefühle und unange-nehme Erinnerungen an die eigene Schulzeit. Dieser Beitrag möchte Anstöße geben, um sol-che bedrohlichen Gefühle abzubauen bzw. gar nicht erst entstehen zu lassen. Er zeigt, dass Stochastik in der Grundschule Schülern wie Lehrkräften Spaß machen kann und dass dabei gleichzeitig substanzielles mathematisches Lernen stattfindet. 1.1 Stochastik – ein Oberbegriff „Stochastik“ (von griech. stochasmos: „Vermutung“) ist ein Oberbegriff. Die Inhalte gliedern sich in drei Teilbereiche:

Der Teilbereich „Kombinatorik“ befasst sich mit der Frage: Wie viele Möglichkeiten gibt es eigentlich, …? Es geht um systematisches Zählen von Möglichkeiten.

Der Bereich „Wahrscheinlichkeit“ befasst sich mit dem Zufall. Es wird versucht, den

Zufall sprachlich und mit Zahlen zu beschreiben – z. B. beim Würfeln.

In der „Statistik“ geht es in der Grundschule um die Erhebung, Darstellung und Inter-pretation von Daten. Das Arbeiten mit Diagrammen ordnet sich hier ein.

Im Folgenden wird an zahlreichen Beispielen gezeigt, wie diese drei Gebiete der Stochastik den Mathematikunterricht in der Grundschule bereichern können.

Stochastik

Kombinatorik Statistik Wahrscheinlichkeit

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1.2 Stochastik im bayerischen Lehrplan der Grundschule Der aktuelle Grundschullehrplan sieht bereits für die 2., 3. und 4. Jahrgangsstufe Grunderfah-rungen mit Phänomenen der Stochastik in allen drei Teilbereichen vor. Kombinatorik 2.4.2: - Aufgaben zur Kombinatorik

z. B. verschieden farbige Häuserfronten und Dächer kombinieren leistungsschwächere Schüler: einige Möglichkeiten durch Probieren finden (Handeln, Zeichnen) leistungsstärkere Schüler: alle Möglichkeiten durch Probieren finden (Handeln, Zeichnen); eine systematische Vorgehensweise entwickeln; den gefundenen Möglichkeiten eine Multiplikationsaufgabe zuordnen

3.4.2: - Aufgaben zur Kombinatorik

z. B. Kombinationsmöglichkeiten von Zahlenschlössern Wahrscheinlichkeit 3.4.2: - Aufgaben zur Wahrscheinlichkeit

z. B. ein Würfel mit Farbflächen in unterschiedlicher Häufigkeit; Glücksräder mit unterschiedlich großen Feldern

Statistik 2.4.2: - Informationen aus einfachen Tabellen und einfachen Schaubildern entnehmen und

versprachlichen - Tabellen anlegen

Daten von Sachsituationen in eine Tabelle eintragen und versprachlichen 4.4.2: - Informationen aus komplexen Tabellen, Schaubildern und Diagrammen entnehmen

und versprachlichen statistische Aufgaben, z. B.: Wie viele Kinder werden mit dem Auto in die Schule gebracht? Welche Strecke wird dabei täglich insgesamt zurückgelegt?

In den Lehrplänen für die Hauptschule, die Realschule und das Gymnasium wird der The-menstrang „Stochastik“ aufgegriffen und ausgebaut.

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Inhaltliche mathematische Kompetenzen, gegliedert nach den Leitideen Zahl und Operationen Form und Veränderung Muster und Strukturen Größen und Messen Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit

Allgemeine mathematische Kompetenzen Probleme mathematisch lösen Kommunizieren Mathematisch argumentieren Mathematisch modellieren Mathematische Darstellungen verwenden Nutzen mathematischer Hilfsmittel und

Arbeitsweisen

1.3 Stochastik in den Bildungsstandards Mathematik für die Primarstufe

Die von der Kultusministerkonferenz 2004 beschlossenen Bildungsstandards für die Primar-stufe legen fest, welche Kompetenzen Schüler am Ende der 4. Jahrgangsstufe im Fach Ma-thematik erworben haben sollen. Die Kompetenzen sind gegliedert in:

Die allgemeinen mathematischen Kompetenzen werden von Schülerinnen und Schülern in der Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten erworben. Die inhaltsbezogenen mathematischen Kompetenzen sind nach Leitideen geordnet. Leitideen vereinigen Inhalte verschiedener Jahrgangsstufen und durchziehen ein mathematisches Curri-culum spiralförmig. Sie stellen „rote Fäden“ der Schulmathematik dar. Die Bildungsstandards haben den Einzug der Stochastik in der Primarstufe unterstützt, denn sie fordern in den Inhaltsbereichen „Zahl und Operation“ sowie „Daten, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit“ u. a. folgende Kompetenzen: Kombinatorik

einfache kombinatorische Aufgaben (z. B. Knobelaufgaben) durch Probieren bzw. systematisches Vorgehen lösen

Wahrscheinlichkeit

Grundbegriffe kennen (z. B. sicher, unmöglich, wahrscheinlich) Gewinnchancen bei einfachen Zufallsexperimenten (z. B. bei Würfelspielen) einschät-

zen Statistik

in Beobachtungen, Untersuchungen und einfachen Experimenten Daten sammeln, strukturieren und in Tabellen, Schaubildern und Diagrammen darstellen

aus Tabellen, Schaubildern und Diagrammen Informationen entnehmen aus Grundschulbüchern:

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Inhaltliche mathematische Kompetenzen, gegliedert nach den Leitideen Zahl Messen Raum und Form Funktionaler Zusammenhang Daten und Zufall.

Allgemeine mathematische Kompetenzen Probleme mathematisch lösen kommunizieren mathematisch argumentieren mathematisch modellieren mathematische Darstellungen verwenden mit symbolischen, formalen und techni-

schen Elementen der Mathematik umgehen

1.4 Stochastik in den Bildungsstandards Mathematik für den Mittleren Schulabschluss

Die von der Kultusministerkonferenz 2003 beschlossenen Bildungsstandards für den Mittleren Bildungsabschluss legen fest, welche Kompetenzen Schüler am Ende der Sekundarstufe I im Fach Mathematik erworben haben sollen. Die Kompetenzen sind gegliedert in:

Wie in der Primarstufe gilt auch hier: Die allgemeinen mathematischen Kompetenzen werden von Schülerinnen und Schülern in der Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten er-worben. Die inhaltsbezogenen mathematischen Kompetenzen sind nach Leitideen geordnet. Leitideen vereinigen Inhalte verschiedener Jahrgangsstufen und durchziehen ein mathematisches Curri-culum spiralförmig. Sie stellen „rote Fäden“ der Schulmathematik dar. Unter der Leitidee „Daten und Zufall“ ist in den Bildungsstandards für den Mittleren Schul-abschluss aufgeführt: (L 5) Leitidee Daten und Zufall Die Schülerinnen und Schüler

werten graphische Darstellungen und Tabellen von statistischen Erhebungen aus, planen statistische Erhebungen, sammeln systematisch Daten, erfassen sie in Tabellen und stellen sie graphisch dar,

auch unter Verwendung geeigneter Hilfsmittel (wie Software), interpretieren Daten unter Verwendung von Kenngrößen, reflektieren und bewerten Argumente, die auf einer Datenanalyse basieren, beschreiben Zufallserscheinungen in alltäglichen Situationen, bestimmen Wahrscheinlichkeiten bei Zufallsexperimenten.

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2. Kombinatorik: Systematisches Abzählen In der Grundschule bieten sich im Rahmen des Rechnens mit natürlichen Zahlen bzw. des Arbeitens an Sachsituationen auch kombinatorische Fragestellungen an. Die Kombinatorik befasst sich mit Problemen der Art „Wie viele Möglichkeiten gibt es eigentlich, ...?“. Dabei geht es um systematisches Abzählen von Möglichkeiten. Ein zentrales Ziel des Mathematikunterrichts zur Stochastik ist es hier, bei den Schülern ein tiefes Verständnis für das Zählprinzip allmählich anzubahnen und zu erzeugen. 2.1 Ein Zugang über Aufgaben Wir betrachten zunächst eine Reihe von Aufgaben und arbeiten anschließend das gemeinsame mathematische Muster, die gemeinsame Struktur heraus. Auf wie viele Arten können sich drei Schüler für ein Foto nebeneinander stellen? In der Klasse bieten sich verschiedene Zugänge an:

Drei Schüler versuchen, möglichst alle Aufstellungen vorzuführen. Alternativ stellt man Stofftiere nebeneinander. Um die gefundenen Möglichkeiten festzuhalten, werden Strichmännchen gezeichnet. Statt der Strichmännchen könnte man auch die Anfangsbuchstaben dreier Schüler ne-

beneinander schreiben. Durch Experimentieren und anschließendes Ordnen der gefundenen Möglichkeiten, gewinnen die Schüler Zugang zur mathematischen Struktur der Situation. Sie können so Strategien für systematisches Abzählen entwickeln, z. B.: Die linke Position kann mit drei Personen besetzt werden. Für jede dieser Wahlen gibt es zwei Möglichkeiten für die mittlere Position. Rechts muss sich die übrig gebliebene Person hinstellen. Insgesamt sind damit alle Aufstellungen in drei Zweierbündel strukturiert. Es gibt also 3 · 2 = 6 verschiedene Aufstellungen. Verallgemeinerung Auf wie viele Arten können sich vier Schüler für ein Foto nebeneinander stellen?

Welche der obigen Zugangswege sind hier noch zweckmäßig? Wie viele Möglichkeiten gibt es bei fünf, sechs, ... Schülern? Bearbeitung analoger Probleme Du hast einen blauen, einen roten und einen gelben Legostein. Wie viele verschiedene Türme aus drei Steinen kannst du damit bauen? Du nimmst noch einen grünen Baustein dazu. Wie viele Türme aus vier Steinen gibt es damit?

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Laura möchte drei Bücher ins Regal stellen. Wie viele Möglichkeiten hat sie dazu? Wie viele Möglichkeiten gibt es, wenn sie noch ein viertes Buch dazustellt? Durch das Bearbeiten gleichartiger Probleme zeigen sich die den Situationen gemeinsamen mathematischen Strukturen. Es geht dabei ausdrücklich nicht darum, systematisch Kombinatorik zu betreiben („mit/ohne Wiederholungen“ bzw. „mit/ohne Berücksichtigung der Reihenfolge“). Vielmehr ist das Ziel, das Zählprinzip (siehe unten) tief im Verständnis der Schüler zu veran-kern. Erwachsenen fallen selbst strukturell einfache kombinatorische Fragen schwer, wenn sie nicht in ihrer Kindheit die nötige Einsicht in das Zählprinzip gewonnen haben. Situation mit anderer Struktur Häuser legen Du hast je ein blaues, rotes und gelbes quadratisches Plättchen bzw. dreieckiges Plättchen. Auf wie viele Arten kannst du damit ein einstöckiges Haus legen? Jeder Schüler hat das Material vor sich auf dem Tisch und kann damit experimentieren. Al-lerdings verliert man dabei leicht den Überblick, denn man weiß nicht mehr, welche Häuser man bereits gelegt hat. So entsteht die Notwendigkeit, die gefundenen Möglichkeiten grafisch festzuhalten. Zudem stellt sich nach den freien Erkundungen die Frage, ob bereits alle Mög-lichkeiten entdeckt sind bzw. welche es noch geben könnte? Hierfür besteht der entscheidende mathematische Gedanke darin, alle gefunden Möglichkeiten systematisch zu ordnen: Drei Häuser haben ein blaues Erdgeschoss, drei Häuser haben ein rotes Erdgeschoss und drei Häu-ser ein gelbes.

Diese systematische Ordnung führt zu tief liegenden Einsichten: Jede der drei Erdgeschoss-Farben ist mit jeder der drei Dach-Farben kombinierbar. So entstehen insgesamt drei Dreier-bündel. Wir sehen dadurch, dass alle Möglichkeiten gefunden sind und dass es insgesamt 3 · 3 = 9 verschiedene Häuserfronten gibt.

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Variationen

Nimm ein rotes Quadrat und/oder ein rotes Dreieck dazu.

Baue zweistöckige bzw. mehrstöckige Häuser.

Baue mehrstöckige Türme ohne Dach. Bei all diesen Variationen gewinnt man Übersicht über die verschiedenen Möglichkeiten, indem man diese systematisch bündelt. So ergibt sich die Zahl aller Möglichkeiten jeweils als Produkt aus der Zahl der Bündel und der Größe jedes einzelnen Bündels. Analoge Probleme

A B C Zugangswege:

Wege auf den Boden zeichnen und selbst gehen Zeichnungen anfertigen Baumdiagramm

Du hast in deinem Kleiderschrank fünf Pullover und drei Hosen. Auf wie viele Arten kannst du dich damit anziehen? Wie viele Möglichkeiten gibt es, mit der nebenstehenden Speisekarte ein Menü aus Suppe, Hauptgericht und Nachspeise zu-sammenzustellen?

Speisekarte Tomatensuppe

Lauchcremesuppe

* * * * * Schnitzel mit Pommes Frites

Hähnchen mit Reis Spaghetti Bolognese

* * * * * Eis

Obstsalat Kuchen

Wie viele Möglichkeiten gibt es, um auf den gezeichneten Wegen vom Ort A zum Ort C zu gelangen?

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2.2 Ein kurzer Ausflug in die Psychologie Der amerikanische Psychologe Jerome Bruner unterscheidet drei Ebenen, auf denen der Mensch seine Umwelt erschließen kann und die damit auch für Lernen in der Schule von fun-damentaler Bedeutung sind:

Darstellungsebenen nach J. Bruner

enaktive Ebene Sachverhalte werden durch Handlungen mit konk-reten Objekten erfasst.

ikonische Ebene Sachverhalte werden durch Bilder und Grafiken erfasst.

symbolische Ebene Sachverhalte werden durch Symbole (z. B. verbal oder durch mathematische Zeichen) erfasst.

Beim Lernen kommt es darauf an, Inhalte auf möglichst allen Ebenen zu erschließen und da-bei möglichst viele Übergänge zwischen den Darstellungsebenen zu pflegen. Die Schüler können die bislang vorgestellten Aufgaben auf allen drei Niveaus erschließen:

enaktiv: durch Handeln mit Gegenständen, ikonisch: durch Zeichnen von Bildern, symbolisch: durch Arbeiten mit Zahlen.

Zunächst wird jeweils mit Gegenständen experimentiert, danach werden die gefundenen Möglichkeiten zeichnerisch festgehalten, schließlich wird der Situation eine Multiplikation zugeordnet. Auf diese Weise gewinnen die Schüler Verständnis für diese Art von Problemen. 2.3 Arbeiten auf symbolischer Ebene: Probleme in größeren

Zahlbereichen Haben die Schüler mehrere repräsentative Beispiele intensiv erkundet, können sich insbeson-dere Leistungsstärkere allmählich von der enaktiven bzw. ikonischen Ebene lösen und Prob-leme mit größeren Zahlen bearbeiten. Hier stößt der enaktive bzw. ikonische Zugang an Grenzen: Harry Potter möchte für Hogwarts eine Fahne mit drei ver-schiedenfarbigen Streifen entwerfen. Er hat fünf Farben zur Verfügung. Wie viele verschiedene Fahnen könnte er gestalten? Bei dieser Aufgabe hilft reines Handeln oder Zeichnen kaum weiter. Dies ist aber auch gerade die Stärke der Mathematik. Die Schüler sollten an einfachen Beispielen auf enaktiver und ikonischer Ebene grundlegen-des Verständnis für das Zählprinzip gewonnen haben. Diese Einsichten können sie dann in

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Situationen mit größeren Zahlen auf symbolischer Ebene anwenden. Damit wird eine ganz typische Arbeitsweise der Mathematik erfahren. Wie viele Einstellmöglichkeiten gibt es bei einem Fahrradzahlenschloss mit drei drehbaren Scheiben, die jeweils die Ziffern 0, 1, 2, …, 9 zeigen? Wie viele Möglichkeiten gibt es, wenn sich auf jeder Scheibe nur die Ziffern 0, 1, 2, 3, 4, 5 befinden? 2.4 Das Zählprinzip als zu Grunde liegendes Muster Führen wir uns den universellen Gedankengang aller bisherigen Beispiele am obigen Beispiel „Fahne von Harry Potter“ nochmals vor Augen:

Für die Farbe des obersten Streifens dieser Flagge gibt es 5 Möglichkeiten. Für jede dieser 5 Möglichkeiten gibt es für den mittleren Streifen 4 Möglichkeiten.

Die beiden oberen Streifen lassen sich also auf 2045 =⋅ Möglichkeiten färben. Für jede dieser 20 Möglichkeiten kann der unterste Streifen noch auf 3 verschiedene

Arten gefärbt werden. Insgesamt gibt es für die Farbanordnung der Flagge also 60320345 =⋅=⋅⋅ Möglichkeiten.

Dieser Gedankengang lässt sich auf alle bisherigen Aufgaben übertragen. Er bietet einen Weg, zunächst unübersichtlich erscheinende Anzahlen systematisch zu ermitteln. Woraus besteht bei allen bisherigen Aufgaben das gemeinsame mathematische Muster? Zählprinzip

Es ist nach einer Anzahl von Möglichkeiten gefragt. Es sind Positionen zu besetzen, die in einer festen Reihenfolge stehen. Für die Besetzung jeder einzelnen Position gibt es eine feste Zahl von Möglichkeiten.

Die Zahlen der Möglichkeiten bei den einzelnen Positionen sind zu multiplizieren.

Diese Formulierung ist natürlich so nicht für Schüler gedacht, sondern als fachlicher Hinter-grund für Lehrkräfte. In der Grundschule sollte durch die Bearbeitung von Beispielen vor allem ein tiefes Grundverständnis der Schüler dafür erzeugt werden, dass den dargestellten Problemen jeweils eine Multiplikation zu Grunde liegt.

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2.5 Situationen mit anderer Struktur Das Zählprinzip lässt sich natürlich nicht auf jede kombinatorische Situation anwenden, son-dern nur, wenn obige Eigenschaften erfüllt sind. Um das Denken der Schüler flexibel zu ge-stalten, sollten auch Probleme mit anderer Struktur bearbeitet werden. Du hast einen blauen und drei gelbe Legosteine. Wie viele verschiedene Türme aus vier Stei-nen kannst du damit bauen? Wie viele Türme aus drei Steinen gibt es damit? Die Schüler gewinnen wieder spielerisch Zugänge, indem sie Türme bauen und Zeichnungen anfertigen. Durch Ordnen der gefundenen (vier) Möglichkeiten entwickeln die Schüler eine systematische Zählstrategie für das Problemfeld. Vielfältige Variationen bieten sich an: Du hast einen blauen, einen gelben und zwei rote Legosteine. Wie viele verschieden Türme aus vier Steinen kannst du damit bauen? Wie viele Türme aus drei Steinen gibt es? Auf wie viele Arten kannst du die vier Buchstaben OTTO der Reihe nach hinschreiben?

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3. Wahrscheinlichkeit: Entwicklung von Grundvorstellungen

Die Bildungsstandards weisen explizit den Bereich „Wahrscheinlichkeit“ als Teil der Grund-schulmathematik aus. Hierbei kann es nicht darum gehen, Wahrscheinlichkeiten zu berechnen (denn dafür braucht man Brüche bzw. Prozentsätze). Vielmehr ist das Ziel, bei den Schülern Grundverständnis für das Phänomen „Zufall“ zu erzeugen. 3.1 Zufall bewusst machen Zunächst bietet es sich an, mit den Schülern über den Zufall zu reden und dabei Begriffe wie „sicher“, „möglich“ und „unmöglich“ zu schärfen.

Dass es morgen regnet, ist das sicher, möglich oder unmöglich?

Dass morgen Weihnachten ist, ist das sicher, möglich oder unmöglich?

Dass morgen der Schulunterricht stattfindet, ist das sicher, möglich oder unmöglich?

Dass mich ein Schulbus heute nach Hause bringt, ist das sicher, möglich, unmöglich.

Dass ich mit einem Würfel 100 Mal hintereinander eine Sechs würfle, ist das sicher, möglich oder unmöglich?

Was ist eigentlich im Leben vom Zufall abhängig?

Die Welt ist voller Zufälle. Darüber mit Schülern zu reden, ist ausgesprochen allgemeinbil-dend. 3.2 Wahrscheinlichkeiten vergleichen Bei Diskussionen über Zufälle gelangt man in die Situation, dass man ausdrücken möchte: Das eine Ereignis ist „zufälliger“ als das andere. Es geht also darum, Wahrscheinlichkeiten zu vergleichen. Fragestellungen wie die folgenden können derartige Gespräche anregen:

Zwei Fußballmannschaften werfen eine Münze, um zu entscheiden, welche Mann-schaft auf welcher Platzseite beginnt. Ist dieses Verfahren fair?

Treten beim Würfeln alle Zahlen gleich wahrscheinlich auf?

Was ist wahrscheinlicher, mit einem Würfel eine Eins oder mit einer Münze eine Zahl zu werfen?

Was ist wahrscheinlicher, mit einem Würfel eine Sechs oder mit zwei Würfeln einen

Sechserpasch zu werfen?

Heidi hat beim Mensch-ärgere-dich-nicht bereits 20 Mal keine Sechs gewürfelt. Ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie beim nächsten Wurf eine Sechs erhält, nun größer als zu Beginn des Spiels?

Stefan wirft mehrmals eine Münze und notiert, ob „Kopf“ oder „Zahl“ oben liegt.

Welcher Ausgang ist wahrscheinlicher: KKKKKKKKKK oder KZKKZZKZZK?

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Max und Laura vereinbaren ein Spiel: In einer Lostrommel befinden sich 49 Lose mit Nummern 1 bis 49. Es wird ein Los gezogen. Max gewinnt, wenn eine gerade Zahl gezogen wird, Laura bei einer ungeraden. Ist das Spiel fair?

Bereits auf dieser sprachlichen Ebene – ganz ohne Brüche und Prozente – können sehr grund-legende Vorstellungen zum Thema „Zufall“ bei Schülern aufgebaut werden. 3.3 Wahrscheinlichkeit mit Verhältnissen beschreiben Im Mathematikunterricht der Sekundarstufe wird der Zufall mit Brüchen beschrieben und so quantifiziert.

Beispielsweise ist die Wahrscheinlichkeit, mit einer Münze „Zahl“ zu werfen, 1/2. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem Würfel eine der Zahlen „5“ oder „6“ zu werfen, ist

2/6. Im Allgemeinen ist Wahrscheinlichkeit als das Verhältnis der Zahl der günstigen Fälle zur Zahl aller möglichen Fälle definiert.

FällemöglichenderAnzahlFällegünstigenderAnzahllichkeitWahrschein =

Dabei darf keiner der möglichen Fälle gegenüber anderen bevorzugt sein. Diese Begriffsbildung geht auf Pierre Laplace (1749-1827) zurück. Die oben zusammengestellten Fragen zur Diskussion über Wahrscheinlichkeit in der Grund-schule können diese Begriffsbildung der Sekundarstufe inhaltlich vorbereiten und das erfor-derliche Grundverständnis für den Zufall anbahnen. Achtung Schüler wie auch Erwachsene verwenden in manchen Fällen intuitiv auch einen anderen Wahrscheinlichkeitsbegriff.

Auf die Frage nach der Chance, mit einer Münze „Zahl“ zu werfen, erhält man auch die Antwort „Die Chance ist eins zu eins.“ bzw. „Fifty fifty“.

Entsprechend wird für das Auftreten einer Sechs beim Würfeln die Wahrscheinlichkeit eins zu fünf angegeben.

Dahinter steht eine Vorstellung von der Wahrscheinlichkeit als das Verhältnis der Zahl der günstigen Fälle zur Zahl der ungünstigen Fälle. Letztlich wäre ein derartiger Wahrscheinlichkeitsbegriff ebenfalls tragfähig. Allerdings ist es zur Kommunikation über mathematische Inhalte notwendig, die verwendeten Begriffe eindeu-tig festzulegen, und die oben eingerahmte Festlegung von Wahrscheinlichkeit ist eben die historisch gewachsene und international übliche. Dies sollte bereits bei Gesprächen über Wahrscheinlichkeit in der Grundschule bedacht wer-den, um keine Fehlvorstellungen anzubahnen. D. h. beispielsweise: Die Wahrscheinlichkeit für eine „Sechs“ beim Würfeln ist „1 zu 6“ und nicht „1 zu 5“.

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4. Statistik: Daten erheben und darstellen Tagtäglich strömt eine Flut von Informationen in Form von Tabellen, Diagrammen oder Gra-fiken auf uns ein. Ein Ziel schulischer Bildung ist es, die Schüler in die Lage zu versetzen, mit Diagrammen zu arbeiten. Sie sollen vorgegebene Diagramme lesen, verstehen und interpretie-ren können sowie selbst Daten in Form von Diagrammen übersichtlich darstellen können. Doch mit welchen konkreten Fragestellungen kann man Schüler zu solchen Tätigkeiten anre-gen? 4.1 Statistiken aus Umfragen Zum einen bieten Umfragen allerlei Anlässe, Daten zu sammeln, darzustellen und zu diskutie-ren, z. B.:

Wie alt sind die Kinder unserer Klasse?

Wie kommen wir zur Schule?

Wie weit ist unser Schulweg?

Was ist unsere Lieblingssportart?

Welche bzw. wie viele Haustiere haben wir zuhause?

An welchen Wochentagen haben alle Schüler unserer Klasse heuer Geburtstag? Kommen alle Wochentage gleich oft vor?

Das Bedürfnis, die erhobenen Daten übersichtlich darzustellen, führt zu Stichlisten, Balken-diagrammen oder spontan erfundenen Grafiken. An solchen Beispielen lernen die Schüler, wie Diagramme „funktionieren“, wie man sie zu lesen hat und wie man sie selbst erstellen kann. 4.2 Statistiken aus Naturbeobachtungen Zum anderen liefern Beobachtungen der Natur Daten, mit denen die Natur durch statistische Analysen erforscht werden kann, z. B.:

Wie warm ist es im April um 8:00 Uhr vor unserem Fenster?

Wie schnell wächst eine Tomatenpflanze? Zur Erforschung der zweiten Frage werden Tomatenkerne in die Erde gesteckt und regelmä-ßig gegossen. Wenn die Pflänzchen aus der Erde herausschauen, messen die Schüler jede Woche, wie groß die Pflanzen sind. Diese Größe wird Woche für Woche in eine Tabelle und in ein Diagramm eingetragen. Das Diagramm macht so Informationen sichtbar, die man den Pflanzen direkt nicht ansieht, nämlich die zeitliche Entwicklung der Pflanzen: Wann sind sie schnell, wann sind sie langsam gewachsen?

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20 40 60 80 100 120

Spitze unten

Spitze oben

Als Variation bietet sich etwa an,

Pflanzen auf das Fensterbrett oder in den Schrank zu stellen und zu vergleichen, wel-che Auswirkungen dies auf das Diagramm hat,

verschiedene Pflanzen zu untersuchen (Tomaten, Gurken, Bohnen, ...). Damit betreibt man in bestem Maße fächerübergreifenden Mathematikunterricht. 4.3 Statistiken aus Zufallsexperimenten Statistiken helfen, das Phänomen „Zufall“ zu erforschen. So entstehen Verbindungen zwi-schen den Bereichen Statistik und Wahrscheinlichkeit. Ein Beispiel: Bleibt ein Reißnagel nach dem Werfen eher mit der Spitze nach unten oder der Spitze nach oben liegen? Bei dieser Frage hat man zunächst kaum eine Ahnung, wie die Antwort lauten könnte. Aller-dings hilft ein Experiment, den Zufall zu erforschen. Jeder Schüler erhält einen Reißnagel, wirft diesen 20 Mal und zählt, wie oft die Spitze nach unten bzw. oben zeigt. Wenn diese Re-sultate der einzelnen Schüler in der Klasse gesammelt und addiert werden, erhält man im Handumdrehen Daten für 20, 40, 60, 80, ..., 400 Würfe (je nach Klassengröße). Die Ergebnis-se werden in einer Tabelle und in einer Grafik – z. B. einem Balkendiagramm – dargestellt. Zahl der Würfe 20 40 60 80 100 120 ... Spitze unten 8 19 26 36 43 51 ... Spitze oben 12 21 34 44 57 69 ... Ein Reißnagel hat gegenüber einer Münze oder einem Würfel den Vorteil, dass man von vorn-herein nicht weiß, was herauskommen wird. Man muss das Experiment wirklich durchführen, um das Verhalten des Reißnagels zu erforschen. In einer ähnlichen Situation steht man, wenn man z. B. mit Streichholzschachteln oder Bausteinen würfelt.

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Weitere Experimente 1) Wirf eine Münze 10, 20, 30, ..., 100 Mal und notiere jeweils, wie oft die Sei-

te mit der Zahl oben liegt. Stelle deine Ergebnisse in einer Tabelle und in ei-nem Diagramm dar. Beschreibe deine Beobachtungen.

2) Wirf einen Spielwürfel 10, 20, 30, ..., 100 Mal und notiere jeweils, wie

oft die „Sechs“ erscheint. Stelle deine Ergebnisse in einer Tabelle und in einem Diagramm dar. Beschreibe deine Beobachtungen.

3) Beschrifte die sechs Seitenflächen einer Streichholzschachtel oder

eines Legosteins mit den Zahlen 1 bis 6. Würfle damit 10, 20, 30, ..., 100 Mal und notiere jeweils, welche Zahl oben liegt. Stelle deine Ergebnisse in einer Tabelle und in einem Diagramm dar. Beschreibe deine Beobachtungen.

5. Unterrichtsmethodik für Stochastik Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf Aufgaben und Inhalten für den Stochastikunterricht in der Grundschule. Es bleibt die Frage: Wie gehen wir damit im Unterricht um? Wie organi-sieren wir den Unterricht methodisch? Die Beispiele haben bereits durchblicken lassen: Im Stochastikunterricht geht es nicht um das Automatisieren von Inhalten, sondern eher um das Beschäftigen mit Situationen, in denen Mathematik steckt. Wenn man dabei über Unterrichtsmethodik nachdenkt, kommt man automatisch zu aktuellen Schlagworten wie:

selbstständiges, eigenverantwortliches, individuelles Lernen, kooperatives Arbeiten, Handlungsorientierung, Binnendifferenzierung oder forschendes, experimentell-entdeckendes Lernen.

Damit ist man aber bei den Programmen „SINUS“ und „Fibonacci“. Die Konzeption von Ma-thematikunterricht gemäß „SINUS“ und „Fibonacci“ ist so universell, dass sie auch genau auf den Stochastikunterricht passt. Auf diesen Themenkreis soll hier aber nicht eingegangen wer-den. Es sollten nur die Querverbindung hergestellt und mögliche Anknüpfungspunkte aufge-zeigt werden. Weiteres zu diesem Programmen findet man unter:

http://sinus-an-grundschulen.de und http://fibonacci-project.eu

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6. Warum Stochastik in der Grundschule? So „schön“ die vorgestellten Unterrichtsideen auch sein mögen, man sollte sich doch fragen: Ist es überhaupt gerechtfertigt, Stochastik in die Grundschule aufzunehmen?

Stochastik ist Teil des Alltags. Unser Leben umfasst viele vom Zufall bestimmte Phä-nomene (z. B. Würfelspiele, Lotterien, Stichproben, Prognosen aufgrund statistischer Daten, Konzeption von Versicherungen, ...). Zumindest in Spielsituationen haben die Grundschüler bereits Erfahrungen mit dem Zufall gesammelt.

Damit leistet Stochastikunterricht einen Beitrag zur Allgemeinbildung. Der Mathema-tikdidaktiker H. Winter drückt dies treffend aus: „Wenn eine der Grundaufgaben all-gemein bildender Schulen darin besteht, auf das Leben vorzubereiten und zur Erfas-sung der Wirklichkeit zu befähigen, dann kann man an dem Aspekt des ‚Zufalls im Leben’ nicht vorbeigehen.“

Die Problemstellungen der Stochastik sind oft anschaulich vermittelbar und leicht zu

verstehen. Durch diese Anschaulichkeit und den spielerischen Charakter des Arbeitens entsteht Motivation.

Stochastische Fragen bieten viele Möglichkeiten der Binnendifferenzierung. Leis-

tungsschwächere finden einfache Einstiege, Leistungsstärkere stehen vor substanziel-len Herausforderungen.

Mathematikunterricht wird experimentell: Die Schüler experimentieren mit realen Ge-

genständen und erforschen daran Mathematik.

Es zeigt sich, dass „verschiedenartigste“ Probleme die gleiche formale Struktur – das gleiche „Muster“ – besitzen (vgl. z. B. Zählprinzip). Das Herausarbeiten von allge-meinen „Mustern“ aus Beispielen wird als typische Arbeitsweise der Mathematik er-fahren.

Stochastikunterricht ist zumeist Problemlöseunterricht. Es geht nicht darum, Merksät-

ze zu lernen oder Algorithmen zu trainieren. Die Schüler sollen exemplarisch mathe-matikhaltige Situationen bearbeiten und sich in der jeweiligen Situation Strategien überlegen.

Schließlich bereichert Stochastik die Gesamtheit der im Mathematikunterricht vermit-

telten Kenntnisse und Denkfähigkeiten. Die Schule möchte ja das Denken der Kinder entwickeln und fördern. Warum sollte man dabei stochastisches Denken ausklam-mern?

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Schlussgedanke Warum fallen Erwachsenen selbst einfach strukturierte stochastische Fragen in der Regel schwer? (Z. B.: „Auf wie viele Arten können sich drei Personen zu einem Foto nebeneinander stellen?“)

Sie haben in ihrer eigenen Schulzeit nie ihr Denken in stochastischer Hinsicht geschult. Oder:

Sie haben sich (gemäß den alten Lehrplänen) erstmals in der 12. Jahrgangsstufe des Gym-nasiums mit stochastischen Themen befasst. Zu diesem Zeitpunkt war die Entwicklung ih-res Denkens aber bereits so weit fortgeschritten, dass die Fähigkeit zu stochastischem Denken nicht mehr tief verankert werden konnte.

Diesen Zustand gilt es für die kommenden Generationen zu ändern! Die aktuellen Lehrpläne für die Primar- und die Sekundarstufe bieten hierfür eine geeignete Basis. 7. Literatur Dolenc-Petz, R. (Hg.): Daten, Häufigkeit, Wahrscheinlichkeit, Grundschulmagazin, Heft

2/2009 Eichler, A., Vogel, M.: Leitidee Daten und Zufall, Von konkreten Beispielen zur Didaktik der

Stochastik (Broschiert), Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2009 Gasteiger, H.: Die Kunst des Mutmaßens – Aspekte von Zufall und Wahrscheinlichkeit, in:

lernchancen 55/2007, S. 22-27 Kütting, H., Sauer, M.: Elementare Stochastik, Mathematische Grundlagen und didaktische

Konzepte, Mathematik Primar- und Sekundarstufe, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin 2008

Martignon, L., Wassner, C.: Schulung frühen stochastischen Denkens von Kindern, in: Zeit-

schrift für Erziehungswissenschaft, 8. Jahrgang, Heft 2/2005, S. 202-222 Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung: Daten, Häufigkeit und Wahrschein-

lichkeit, Vorschläge für einen handlungsorientierten Mathematikunterricht in der Grundschule, München 2008 (http://www.isb.bayern.de Publikationen)