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Skriptum Studentische Onlinezeitschrift für Geschichte und Geschichtsdidaktik Autor: Thorsten Holzhauser Titel: Drei Fragen zum Staats- und Verfassungssystem der Vereinigten Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert Herausgegeben in: Skriptum 1 (2011), Nr. 1, S. 41-68 URL: http://www.skriptum-geschichte.de/?p=682 (01.05.2011) URN: - ISSN: - Lizenzierung: Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz . Sie dürfen das Werk zu den folgenden Bedingungen vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugänglich machen: Namensnennung — Sie müssen den Namen des Autors/Rechteinhabers in der von ihmfestgelegten Weise nennen. Keine Bearbeitung — Dieses Werk bzw. dieser Inhalt darf nicht bearbeitet, abgewandelt oder in anderer Weise verändert werden. Abbildung 1 steht unter einer Creative Commons Namensnennung- NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz . Namensnennung — Sie müssen den Namen des Autors/Rechteinhabers in der von ihm festgelegten Weise nennen. Keine kommerzielle Nutzung — Dieses Werk bzw. dieser Inhalt darf nicht für kommerzielle Zwecke verwendet werden. Keine Bearbeitung — Dieses Werk bzw. dieser Inhalt darf nicht bearbeitet, abgewandelt oder in anderer Weise verändert werden.

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Skriptum Studentische Onlinezeitschrift für Geschichte

und Geschichtsdidaktik

Autor: Thorsten HolzhauserTitel: Drei Fragen zum Staats- und Verfassungssystem der Vereinigten Niederlande im 17. und 18. JahrhundertHerausgegeben in: Skriptum 1 (2011), Nr. 1, S. 41-68URL: http://www.skriptum-geschichte.de/?p=682 (01.05.2011)URN: -ISSN: -

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Drei Fragen zum Staats- und Verfassungssystem der Vereinigten Niederlande im 17. und 18. JahrhundertThorsten Holzhauser

EinleitungÜber die staatsrechtliche Natur des frühneuzeitlichen Gemeinwesens, das als Republik der

Vereinigten Niederlande bekannt wurde und vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 18.

Jahrhunderts Bestand hatte, gibt es in der historischen Forschung noch immer Unklarheit,

Verwirrung und allzu widersprüchliche Urteile. Diese reichen von einem Staat „governed by

Princes“ mit einer als „at least quasi-monarchical“ bezeichneten Stellung1 über ein „quasi-

republican ‚Caesarian’ system“2 bis hin zur „aristokratisch-bürgerlichen Regierung“ „ohne

Monarch“3, vom „most successful of modern federal republics“4 bis hin zum reinen „Staatenbund“5

von „sieben faktisch souveräne[n] Staaten“, allein zur gemeinsamen Verteidigung verbündet6.

Das dahinter stehende Problem ist, wie J. L. Price richtig feststellt, „that the Republic does not fit

neatly into any of the available – then or now – categories of state“7, ein Staat mit einem

komplizierten, auf mehreren Ebenen durchdrungenen politischen Verfassungsgeflecht, erschwert

noch dadurch, dass diese frühneuzeitliche Republik – anders als die rund 200 Jahre später

gegründeten Republiken in den USA und in Frankreich – nicht auf einem einzigen geschriebenen

und nachlesbaren Verfassungsdokument basierte, sondern auf wenigen Vertragstexten, Traditionen,

Usurpationen und Gewohnheitsrechten und damit weit mehr Verfassungsrealität als

Verfassungstheorie war.

Dennoch war die Republik der Vereinigten Niederlande neben Venedig und der Schweiz eine der

wenigen, bekanntesten und am längsten bestehenden Republiken der Frühen Neuzeit. Insofern ist es

durchaus ein interessanter und lohnenswerter Versuch, das schwierige Verfassungsgeflecht dieses

Gemeinwesens in seiner Struktur und historischen Entwicklung nachzuvollziehen und hinsichtlich

seiner staatsrechtlichen Natur zu analysieren. Anknüpfend an die oben gestellten

Begriffsverwirrungen sollen drei, wie wir sehen werden, eng miteinander verknüpfte Hauptfragen

im Vordergrund stehen: Handelte es sich bei dem zu analysierenden ‚Staat’ überhaupt um einen

Staat oder doch eher einen Staatenbund? Haben wir es bei der ‚Republik’ nun tatsächlich mit einer 1 Price, J. L.: The Dutch Republic in the Seventeenth Century. Basingstoke und London 1998, S. 61.2 Israel, Jonathan: The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall 1477-1806. Oxford 1994, S. 700.3 North, Michael: Geschichte der Niederlande. München 1997, S. 37.4 Riker, William H.: Dutch and American Federalism. In: Journal of the History of Ideas Vol. 18, No. 4 (1957), S.

495-521, bes. S. 495.5 North: Geschichte, S. 37.6 Schama, Simon: Überfluß und schöner Schein. Zur Kultur der Niederlande im Goldenen Zeitalter. Übersetzt von

Elisabeth Nowak. Frankfurt a. M. [1988], S. 70.7 Price: Dutch Republic, S. 61.

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Republik zu tun oder doch eher mit einer (verkappten?) Monarchie? Und schließlich: Wer war der

eigentliche Souverän in diesem Gemeinwesen?

Um diese Fragen zu beantworten, werden zunächst in einem Überblicksteil die historischen

Rahmenbedingungen bei der Entstehung der Republik sowie die einzelnen Organe und Institutionen

der Republik auf föderaler und provinzialer Ebene sowie ihre historische Entwicklung dargestellt.

Sodann wird in einem zweiten Teil eingehender den drei gestellten Fragen nach der

konstitutionellen Natur des eigentümlichen nordniederländischen Gemeinwesens nachgegangen.

Die Arbeit konzentriert sich im Wesentlichen auf die Verfassungsstruktur, die sich seit den

Achtzigerjahren des 16. Jahrhunderts herausbildete und danach bis zum Ende des 18. Jahrhunderts

im Wesentlichen Bestand hatte. Dabei werden neben den Grundzügen und Kontinuitäten des

Staatswesens auch die wichtigsten konstitutionellen Entwicklungen aufgezeigt werden. Auf die

ereignisgeschichtlichen Hintergründe und vor allem die turbulenten Ereignisse der Spätphase wie

die Revolution der so genannten Patriotten in den Siebzehnhundertachtzigerjahren und den

Übergang zur Batavischen Republik 1795 kann hier jedoch nur sehr am Rande eingegangen

werden, das gänzlich anders gestaltete Verfassungssystem der Batavischen Republik wird nicht

behandelt.

Entstehung und Verfassungsgrundlage der Niederländischen Republik

Eine „unplanned consequence“8: Zur Entstehung der Republik aus der RebellionDer Staat auf dem Gebiet der nördlichen Niederlande, der gemeinhin als Republik der Vereinigten

Niederlande bezeichnet wird und bis zur Französischen Revolution Bestand hatte, ging aus der

Rebellion der niederländischen Provinzen gegen die Herrschaft der spanischen Habsburger unter

Philipp II. hervor. Ein Gründungsdatum ist schwer zu nennen, denn die Loslösung von der

habsburgischen Herrschaft und die Ausbildung eigener staatlicher Unabhängigkeit war ein Prozess,

der im Grunde erst mit dem Westfälischen Frieden von 1648 abgeschlossen war.

Auf den Hintergrund und den Anlass der niederländischen Aufstände seit 1566 und des folgenden

Krieges gegen Spanien kann hier nicht näher eingegangen werden. Wichtig für das hier behandelte

Thema ist jedoch der Hinweis, dass der niederländische ‚Freiheitskampf’ neben den religiösen auch

und vor allem konstitutionelle Hintergründe hatte und die Verteidigung der örtlichen Privilegien

gegen die vom spanischen König Philipp II. und seinen Statthaltern forcierten Übergriffe der

Zentralgewalt als Haupttriebfeder des frühen Widerstands gegen Philipp II. anzusehen sind.9

8 te Brake, Wayne P.: Popular Politics and the Dutch Patriot Revolution. In: Theory and Society, Vol. 14, No. 2 (1985), S. 199-222, hier S. 201.

9 Vgl. Parker, Geoffrey: Der Aufstand der Niederlande. Von der Herrschaft der Spanier zur Gründung der Niederländischen Republik 1549-1609. Übersetzung aus dem Englischen von Suzanne Annette Gangloff. München

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Nach wechselvollen Kämpfen und vergeblichen Einigungsversuchen der 17 niederländischen

Provinzen kam es 1579 zur Union von Utrecht als Gemeinschaft der nördlichen Provinzen, die

entschlossen waren, die spanische Herrschaft über Bord zu werfen und sich nach dem Scheitern der

Friedensverhandlungen mit Philipp schließlich 1581 im Placcart van Verlatinge offiziell von ihrem

Fürsten lossagten, ihn ‚verließen’. Die Absetzung Philipps II. als souveräner Fürst der

nordniederländischen Provinzen war für die Staaten der Union eine Flucht aus der „Spanish

slavery“, deren Legitimation sie darin sahen, dass Philipp seinem Auftrag zu „protection of our own

rights and those of our fellow-countrymen, of the privileges, traditional customs and liberties of the

fatherland“ nicht nachgekommen sei.10

Mit der Gründung der Union von Utrecht und der Absetzung Philipps II. war der Staat der

Vereinigten Niederlande im Grunde geboren, doch war sein zukünftiges Aussehen noch alles andere

als gewiss. Das Placcart van Verlatinge bedeutete faktisch zwar, dass die Niederlande ohne

fürstlichen Souverän dastanden, eine Entscheidung für die Republik und gegen die Monarchie war

es zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch nicht. Mit ihrer Rebellion hatten sich die niederländischen

Provinzen schließlich eigener Ansicht nach nicht gegen die Monarchie als solche11, sondern gegen

die Beschneidung ihrer Privilegien unter der zunehmend als Tyrannei empfundenen Herrschaft

Philipps II. und seiner Statthalter gewandt,12 wohingegen sich nicht wenige einen Fürsten im Stile

Karls V. zurückwünschten13 oder eher noch die „Etablierung eines dualen ständisch-monarchischen

Regiments“14 anstrebten. Noch im Jahr 1579 waren sowohl Holland als auch die Generalstaaten

überzeugt, dass die geschlossene Union nicht ohne fürstliches Oberhaupt und damit als Republik

regiert werden könne.15

Nach den Ereignissen von 1581 wurde daher die bereits zuvor begonnene Suche nach einem neuen

Fürsten intensiviert, der Philipp II. übergangslos und in einer geordneten Machtübertragung

ersetzen könnte.16 Mit dem Ziel ausländischer Unterstützung gegen Spanien wandten sich die

1979, S. 5 f.10 Edict of the States General of the United Netherlands by which they declare that the king of Spain has forfeited the

sovereignty and government of the afore-said Netherlands, with a lengthy explanation of the reasons thereof, and in which they forbid the use of his name and seal in these same countries, 26 July 1581. In: Kossman, E. H. und Mellink, A. F. (Hrsg.): Texts concerning the Revolt of the Netherlands. London, New York 1974, Nr. 49, S. 216-228, darin S. 225.

11 Und in der Eigenwahrnehmung der Niederländer auch lange nicht gegen Philipp II., sondern gegen dessen Vertreter Alba, s. Rowen, Herbert H.: The Princes of Orange. Stadholders in the Dutch Republic. Cambridge et al. 1988, S. 16.

12 Vgl. Parker: Aufstand, S. 289 f.13 Vgl. Duke, Alastair: From King and Country to King or Country? Loyalty and Treason in the Revolt of the

Netherlands. In: Transactions of the Royal Historical Society, Fifth Series, Vol. 32 (1982), S. 113-135, bes. S. 115.14 Mörke, Olaf: ‚Stadtholder’ oder ‚Staetholder’? Die Funktion des Hauses Oranien und seines Hofes in der politischen

Kultur der Republik der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert. Münster und Hamburg 1997 (Niederlande-Studien; 11), S. 35.

15 Vgl. Rowen: Princes, S. 23.16 Vgl. Parker: Aufstand, S. 235 und S. 239.

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Generalstaaten nacheinander an François d’Anjou, den jüngsten Bruder des französischen Königs,

den sie zum Prince et Seigneur der Niederlande machten17, und die englische Königin Elisabeth I.,

die mit der Entsendung des Grafen Leicester 1585/86 die Vereinigten Niederlande für wenige Jahre

zum de-facto-Protektorat Englands machte.18 Beide, Anjou und Leicester, scheiterten schließlich

aber am immensen Widerstand Hollands und der dortigen Regentenoligarchie gegen die jeweiligen

Zentralisierungsversuche.19

Erst dies bedeutete letztlich die Entscheidung für eine republikanische Staatsform und den Verzicht

auf einen fürstlichen Souverän als Schutzherrn. Nicht zu Unrecht wurde die Republik daher auch

als „unplanned consequence of a successful revolt“ bezeichnet20, die den schwierigen Spagat zu

meistern hatte, in einer weitestgehend monarchisch geprägten frühneuzeitlichen Umwelt eine

„distinctively new polity“ auf republikanischer Grundlage auszubilden21 und dennoch auf

althergebrachte Institutionen zurückzugreifen, um die Fiktion einer auf alten Freiheiten beruhenden

Gemeinschaft wahren zu können. In den auf die Abdikation Leicesters 1588 folgenden tien Jaren

(‚zehn Jahren’) wurde nicht nur die faktische Unabhängigkeit der Republik von Spanien

konsolidiert, sondern auch die politische Verfassung des neuen Staates ausgebildet22, der sich aus

der Taufe gehoben hatte.

Die Utrechter Union von 1579 als ‚Verfassung’ der RepublikAls Gründungsdokument und Verfassungsgrundlage (oder lex fundamentalis23) der Vereinigten

Provinzen kann am ehesten der Vertrag über die Union von Utrecht gelten, der am 23. Januar 1579

von Graf Johann von Nassau als Statthalter von Gelderland und den Delegierten der Provinzen

Holland, Zeeland, Utrecht und dem Umland von Groningen unterzeichnet wurde.24

Ziel der Union von Utrecht war es, den desintegrativen Tendenzen in der Union der 17 Provinzen

entgegenzuwirken und den Kern einer neuen Union zu schaffen. Der Ideengeber dieser neuen

engeren Union, Wilhelm von Oranien, hoffte auf diese Weise, die von Auflösungserscheinungen 17 Dazu kommt die Aussicht auf ein Bündnis mit England, da Anjou nicht nur als französischer Präsumptiverbe,

sondern als potenzieller Heiratskandidat der englischen Königin Elisabeth galt.18 Vgl. den Tex, Jan: Oldenbarnevelt. Zwei Bände. Band 1: 1547-1606; Band 2: 1606-1619. Cambridge 1973, Band I,

S. 38.19 Vgl. Prak, Marten: The Dutch Republic in the Seventeenth Century. The Golden Age. Translated by Diane Webb.

Cambrdige et al. 2005, S. 20 f.; Parker: Aufstand, S. 235 und S. 246 f. Hinzu kamen v.a. im Falle Anjous militärische Misserfolge und ein immenser Vertrauensverlust infolge des gescheiterten Coups auf Antwerpen.

20 te Brake: Popular Politics, S. 201. 21 te Brake: Popular Politics, S. 201.22 Vgl. Rowen: Princes, S. 37 f.23 de Jongste, Jan A. F.: Ein Bündnis von sieben souveränen Provinzen: Die Republik der Vereinigten Niederlande. In:

Fröschl; Thomas (Hrsg.): Föderationsmodelle und Unionsstrukturen. Über Staatsverbindungen in der frühen Neuzeit vom 15. zum 18. Jahrhundert. Wien und München 1994 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 21/1994), S. 127-141, darin S. 129.

24 Vgl. Boogman: The Union of Utrecht: Ist Genesis and Consequences. In: BMGN 94 (1975), S. 377-407, darin S. 385. Die Unionsprovinzen Friesland und Overijssel sowie Wilhelm von Oranien unterschrieben das Dokument erst später.

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geplagte weitere Union der 17 niederländischen Provinzen erneuern zu können.25 Als immer

deutlicher wurde, dass die Utrechter Union schließlich nurmehr die nördlichen Provinzen umfassen

würde und damit entgegen Oraniens Vorstellung der Beitritt der versöhnungswilligen südlichen

Provinzen unwahrscheinlich wurde, stimmte er erst im Mai und nur widerwillig der Union von

Utrecht zu, die damit faktisch das Gemeinwesen der Vereinigten Provinzen schuf.26

Die Gründungsumstände der Union beeinflussten maßgeblich den Charakter des Vertrags von 1579.

Er war weder ein intendierter Akt der Staatsgründung noch ein Verfassungsdokument in modernem

Sinne. Stattdessen handelte es sich um ein Defensivbündnis mit dem Ziel, „to ally and to unite more

closely and particularly [...] to protect themselves against all the difficulties that their enemy’s

practices, attacks or outrages might bring upon them“.27

Als Verfassungsdokument eines Staatswesens ist der Unionsvertrag von 1579 im Grunde wenig

brauchbar28, da einzelne Organe der neuen Union kaum ins Licht gerückt wurden. Weder über die

Staatsform, noch über das Organisationsprinzip der Union wurden genauere Angaben gemacht. Der

Charakter des neuen Bündnisses blieb offen und inhärent zwiespältig: Ein Bund, dessen Mitglieder

sich ewigen Zusammenhalt schworen, ihre jeweiligen althergebrachten und partikularen Vorrechte

und Privilegien aber nicht in Zweifel zogen.29

In Wirklichkeit wurde der Vertrag nie vollständig umgesetzt. Nach Boogman wurde mehr als die

Hälfte der 26 Artikel niemals Wirklichkeit, darunter die in Artikel 5 vorgesehene Schaffung

nationaler Milizen sowie die in Artikel 3 anvisierte Einführung von Bundessteuern. Stattdessen

blieb die Union fiskalisch dezentral organisiert und von den Zahlungen der Provinzen an den Bund

abhängig.30 Die in der Zeit der konfessionellen Kämpfe in den religiös gespaltenen Niederlanden

wichtige Frage der Religion31 wurde in Artikel 13 grundsätzlich zur provinzialen Angelegenheit

erklärt und damit der Kontrolle des Bundes entzogen.32 Dem Charakter der Union als

Defensivbündnis in Kriegszeiten entsprechend, wurden vor allem Fragen der Außen- und

Militärpolitik wie die Entscheidung über Krieg und Frieden zu Bundesangelegenheiten erklärt. Die

Provinzen sollten sich gegenseitig unterstützen und verteidigen und wurden davon abgehalten,

eigenmächtig Bündnisse mit fremden Fürsten und ausländischen Mächten zu schließen.33

25 Siehe dazu: Treaty of the Union, eternal alliance and confederation made in the town of Utrecht by the countries and their towns and members, 29 January 1579. In: Kossman/Mellink: Texts, Nr. 37, S. 165-173.

26 Vgl. Boogman: Union, S. 387 f.27 Treaty of the Union. In: Kossman/Mellink: Texts, Nr. 37, S. 166. Die Einschätzung der Union als defensives

Bündnis teilt auch de Jongste: Bündnis, S. 128.28 So auch die Einschätzung von De Jongste: Bündnis, S. 129.29 Vgl. Treaty of the Union. In: Kossman/Mellink: Texts, Nr. 37, S. 166.30 Vgl. Boogman: Union, S. 390.31 Siehe dazu etwa Crew, Phyllis Mack: Calvinist Preaching and Iconoclasm in the Netherlands 1544-1569. Cambridge

et al. 1978. 32 Vgl. Treaty of the Union. In: Kossman/Mellink: Texts, Nr. 37, S. 169.33 Vgl. Treaty of the Union. In: Kossman/Mellink: Texts, Nr. 37, S. 167.

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Obwohl als wichtigste Verfassungsgrundlage der Republik angesehen, darf die Geltung des

Unionsvertrages für die Verfassungswirklichkeit der Republik nicht überbewertet werden. Die vage

formulierten und nicht streng umgesetzten Vereinbarungen wurden stets durch die hergebrachten

Regeln des politischen Zusammenlebens der Provinzen ergänzt, das Zusammenspiel und die

Kompetenzen der größtenteils aus burgundisch-habsburgischer Tradition übernommenen Organe

erst in der Praxis herausgebildet.34

Die politischen Organe des niederländischen Gemeinwesens

Die Organe des Bundes (Generalität)Bereits in burgundischer Zeit bestanden die niederländischen Generalstaaten (Staten-Generaal) als

provinzübergreifende Ständeversammlung, doch machten sie von ihrem 1477 erhaltenen Recht, sich

selbst einzuberufen, kaum Gebrauch und tagten nur unregelmäßig.35 Erst mit der Revolte gegen

Spanien erhielten die Generalstaaten ein beträchtliches Eigengewicht und stellten sich als oberste

Versammlung der rebellischen Provinzen an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung. Nach der

Gründung der Union von Utrecht und der Annahme des Paktes durch die Generalstaaten im Jahr

158036 leiteten sie konkrete Schritte ein, um die spanische Herrschaft loszuwerden. Nach der

Erklärung Anjous zum Prince et Seigneur waren es die Generalstaaten, die 1581 das Placcart zur

Absetzung Philipps II. verabschiedeten und sich selbst zum neuen Oberhaupt der sieben Provinzen

zu machen suchten. Ihr Einfluss gegenüber den Einzelprovinzen blieb aber begrenzt und alle

Versuche der Folgejahre, einen zentralen Regierungsrat mit Macht auszustatten, schlugen fehl.37

Einer dieser Versuche der Verwaltungszentralisierung war die Einsetzung eines Staatsrats unter

Leicester 1585, dem neben zwei englischen Mitgliedern und den Statthaltern 12 weitere Delegierte

der Provinzialstaaten sowie mehrere Beamte der Republik angehörten und der durch das verankerte

Prinzip der Mehrheitsentscheidungen theoretisch das Potenzial hatte, die Zentralmacht gegenüber

den Provinzen zu stärken.38 Nach dem Scheitern und der Abdankung Leicesters wurden die

Befugnisse dieses Staatsrats aber durch die Generalstaaten drastisch beschnitten, sodass er nur noch

Anordnungen der Generalstaaten erledigen durfte und von diesen abhängig wurde.39

In der Folge übernahmen die Generalstaaten selbst die Funktion einer „supra-provincial federal

34 Vgl. Boogman: Union, S. 391.35 Vgl. Israel: Dutch Republic, S. 292.36 Während die engere Union und die Generalität zunächst in einem Spannungsverhältnis standen, nahmen die

Generalstaaten die Utrechter Union 1580 als Gründungsdokument an, doch erst mit der Rückeroberung des Südens durch Spanien wurden der Wirkungsbereich der Union von Utrecht und der der Generalstaaten deckungsgleich und die Union zur Verfassungsgrundlage des von den Generalstaaten repräsentierten Gemeinwesens der Vereinigten Niederlande. Vgl. Boogmann: Union, S. 388.

37 Vgl. Parker: Aufstand, S. 237 ff.38 Vgl. Parker: Aufstand, S. 290.39 Vgl. Parker: Aufstand, S. 290 f.; de Jongste: Bündnis, S. 134.

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authority“40. Sie waren für die typisch föderalen Angelegenheiten wie Krieg und Frieden,

auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung und das allgemeine Finanzwesen zuständig. Zudem

verwalteten sie quasi als Gemeinschaftsbesitz der Provinzen die im Krieg eroberten und nicht als

Provinzen anerkannten Generalitätslande und hatten später die Oberaufsicht über die bald

gegründeten Handelskompanien inne.41

Auch wenn sie die höchste gemeinsame Versammlung der Union darstellten, eine schlagkräftige

Zentralregierung waren die Generalstaaten nie. In Organisation und Entscheidungsfindung wiesen

sie wesentliche Merkmale einer Delegiertenversammlung auf und können nicht mit einem

Bundesparlament in einem modernen Föderalstaat verglichen werden. Alle sieben Provinzen

verfügten unabhängig von Größe, Einwohnerzahl und wirtschaftlicher Stärke in den Generalstaaten

über eine einzige Stimme und es war klar, dass in wichtigen Entscheidungen ein Konsens gefunden

und Einstimmigkeit erzielt werden musste.42 Die Delegierten der Staaten waren nicht frei in ihrer

Entscheidung, sondern an das imperative Mandat ihrer jeweiligen Provinzialstaaten gebunden43, mit

denen sie immer wieder Rücksprache halten mussten, was im Falle Hollands freilich einfacher war,

als im Falle Frieslands, da die Generalstaaten gewöhnlich in Den Haag tagten.44

Auch wenn die Generalstaaten das oberste alle Staaten repräsentierende Gremium des Bundes

waren und sich souverän wähnten (siehe „Wer war der Souverän?“), sah die tägliche Arbeit der

Versammlung relativ bescheiden aus. Bereits in den Neunzigerjahren des 16. Jahrhunderts nahmen

durchschnittlich nur acht oder neun Deputierte an den Sitzungen der Generalstaaten teil.45 Durch die

Errichtung fester Kommissionen verschob sich die Beschlussfassung zudem meist ins

Präliminarstadium und das Plenum als solches verlor an Gewicht.46 Durch die Verpflichtung der

Abgeordneten zur Rücksprache mit ihren Provinzen wurde das Handeln der Generalstaaten faktisch

von den Provinzen selbst bestimmt und ein Großteil der politischen Entscheidungen verlagerte sich

von der Bundesebene auf die der Provinzen, unter denen Holland eine herausragende Stellung

einnahm.

Die Staaten Hollands und die der anderen ProvinzenWichtigster Entscheidungsträger in der Provinz Holland war die dortige Ständeversammlung, die

Staten van Holland.47 Einst ein selten tagendes und vom Fürsten einberufenes Beratungsgremium,

40 Boogman: Union, S. 396.41 Vgl. de Jongste: Bündnis, S. 133; Mörke: ‚Stadtholder’, S. 35.42 Vgl. de Jonste: Bündnis, S. 133; Price: Holland, S. 212 f.43 Vgl. Mörke: ‚Stadtholder’, S. 35.44 Vgl. Price, J. L.: Holland and the Dutch Republic in the Seventeenth Century. The Politics of Particularism. Oxford

1994, S. 212 f.45 Vgl. Parker: Aufstand, S. 295.46 Vgl. de Jongste: Bündnis, S. 134.47 Vgl. Israel: Dutch Republic, S. 277.

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nur in Steuerfragen entscheidungsbefugt48, wandelte sich diese Institution im Zuge der Revolte

gegen die Habsburger zum Schlüsselorgan der Provinz. Die in Den Haag tagenden Staaten49 setzten

sich aus 19 Mitgliedern zusammen: Einem Vertreter des Adels (ridderschap) sowie den 18

wichtigsten Städten der Provinz, den so genannten stemhebende steden (‚stimmberechtigte

Städte’).50

Zwar besaß der Adel das meiste Prestige und durfte in Beratungen die wichtige erste Stimme

abgeben51, doch waren alle 19 Mitglieder formal gleichberechtigt und verfügten unabhängig von

Reichtum und Größe über eine einzige Stimme, womit das meiste politische Gewicht in den Staaten

Hollands eindeutig bei den 18 Städten lag.52 Ähnlich wie in den Generalstaaten gab es auch in der

Praxis der holländischen Staaten ungeschriebene Regeln, die das Funktionieren der Versammlung

verkomplizierten. Dazu gehörte die Bevorzugung von Konsensentscheidungen gegenüber

Mehrheitsentscheidungen, die zu einer oft schwierigen Entscheidungsfindung führte.53 Auch auf

Provinzebene waren die (städtischen) Delegationen in der Versammlung an das imperative Mandat

ihrer Heimatstädte gebunden und mussten für jede Entscheidung die Zustimmung ihrer jeweiligen

Ratsherren einholen (ruggespraak).54 Eigentlicher Machthaber in Holland wurde auf diese Weise

die städtische, etwa 2000 Personen umfassende Führungsschicht der Regenten, die sich im 17.

Jahrhundert zu einer ziemlich geschlossenen oligarchischen Elite entwickelte, die städtischen Ämter

unter sich verteilte und die Geschicke der holländischen Provinz wesentlich lenkte.55

Nicht nur Holland, sondern auch die die anderen Provinzen der Republik verfügten über eine

Staatenversammlung56, die zum Teil erheblich anders zusammengesetzt war als die Hollands.

Während das seit 1576 eng mit Holland assoziierte Zeeland nach einem ähnlichen Modus verfuhr

wie die Nachbarprovinz (Adel und sechs Städte)57, war der Einfluss von Adel und Städten in den

Binnenland-Provinzen deutlich besser ausbalanciert.58 Heraus stachen die Delegierten Staaten von

48 Vgl. Israel: Dutch Republic, S. 277 f.; Price: Holland, S. 122.49 Womit die provinziale Ständeversammlung (ndl. Staten) gemeint ist, welche im Denken der damaligen Zeitgenossen

die Stände, also die einzelnen Gliederungen der (frühneuzeitlichen) Gesellschaft selbst verkörperte. Die Begriffe Staaten und Stände werden daher weitgehend synonym verwendet, wobei Staaten stärker auf die Versammlung als politisches Organ, Stände auf die gesellschaftlichen Gliederungen fokussiert.

50 Vgl. Price: Holland, S. 123. Vor der Revolte waren es nur sechs Städte gewesen.51 Vgl. Price: Holland, S. 124 und S. 127.52 Vgl. Price: Holland, S. 125.53 Vgl. Price: Holland, S. 125 f.54 Vgl. Parker: Aufstand, S. 295; Price: Holland, S. 126.55 Vgl. North, Michael: Das Goldene Zeitalter. Kunst und Kommerz in der niederländischen Malerei des 17.

Jahrhunderts. 2., erweitere Auflage. Köln, Weimar, Wien 2001, S. 48; Price: Dutch Republic, S. 78.56 Drenthe als achte Provinz verfügte zwar über keine Stimme in den Generalstaaten, aber sehr wohl über eine eigene

Ständeversammlung, die Generalitätslande dagegen nicht. Vgl. Mörke: ‚Stadtholder’, S. 426.57 Vgl. Israel: Dutch Republic, S. 280 f; ’T Hart, Marjolein: Cities and Statemaking in the Dutch Republic, 1580-1680.

In: Theory and Society, Vol. 18, No. 5, Special Issue on Cities and States in Europe, 1000-1800 (1989), S. 663-687, darin S. 667.

58 Vgl. Price: Holland, S. 226 f; ’T Hart: Cities, S. 667.

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Friesland. Als einziges der Provinzialstaaten war dieses Organ auf repräsentativer Basis

zusammengesetzt und in vier ‚Quartiere’ eingeteilt, eines für die Städte und drei für die ländlichen

Gebiete. Auch wenn in den drei ländlichen Quartieren gewählt wurde, dominierte hier de facto der

einheimische Adel, während die Städte eine eher geringe Rolle spielten.59

Obwohl die Vereinigten Niederlande aus sieben Provinzen bestanden, entwickelte sich das stark

urbanisierte und wirtschaftlich prosperierende Holland de facto zur dominanten Kraft im politischen

System der Gesamtunion. Wesentlicher Grund für diese Dominanz waren die Einwohnerzahl und

die Wirtschaftskraft Hollands, das um 1680 ca. 40 Prozent der nordniederländischen Bevölkerung

und mehr als die Hälfte seines Reichtums ausmachte, das in dieser Hinsicht also – mit Abstrichen

bei den ebenfalls starken Provinzen Zeeland und Friesland – den Rest der Republik weit hinter sich

ließ.60 Die besonderen wirtschaftlichen Interessen Hollands führten nicht selten zu Zielkonflikten

zwischen der dominanten Provinz und dem ‚Rest’61 und dennoch gelang es Holland vor allem dank

seiner Stellung als stärkster Beitragszahler in den Unionshaushalt, eine relativ unangefochtene und

de facto mit Vetomacht ausgestattete Hegemonialstellung im Unionsverband einzunehmen, da kaum

eine politische Entscheidung ohne die Zustimmung dessen getroffen werden konnte, der

gewöhnlich auch die Hauptkosten zu tragen hatte.62

Da die Generalstaaten seit 1593 im gleichen Gebäude in Den Haag tagten wie die holländische

Ständeversammlung, da Holland bisweilen bis zu zwei Drittel des Unionshaushaltes bestritt und

weil das mächtige Holland daher auch über die Verwendung der wesentlich von ihm beigesteuerten

Mittel mitentscheiden wollte, wurden auch die Generalstaaten de facto von den holländischen

Delegierten dominiert.63 Die formale Gleichwertigkeit der Provinzen wurde auf diese Weise auch in

den Generalstaaten zugunsten Hollands und seiner Ständeversammlung ausgehöhlt.

Das wichtigste Führungsamt in der Provinz Holland war das des advocaat van den lande, der später

als raadpensionaris bezeichnet wurde und der bald auch auf Unionsebene eine erhebliche

Machtposition einnahm. Ursprünglich ein Rechtsberater der holländischen ridderschap, wurde das

Amt unter Johan van Oldenbarnevelt (1547-1619), der von 1586 bis 1619 als advocaat van den

lande amtierte, zum einflussreichsten Amt in der gesamten Republik. Der advocaat beriet die

holländischen Staaten in Rechtsfragen, war ihr Sekretär, insofern er die Sitzungen vorbereitete und

59 Vgl. Israel: Dutch Republic, S. 281 f; Price: Holland, S. 227.60 Vgl. Price: Holland, S. 222 ff.61 Vgl. Price: Holland, S. 228 ff.62 Vgl. Price: Holland, S. 235 ff. Anders die Einschätzung ’T Harts, die von einer gleichverteilten Macht aller

Provinzen ausgeht, s. ’T Hart: Cities, S. 670. Dies muss wohl aber eher auf die formalen Einflussmöglichkeiten (siehe Stimmgewicht in den Generalstaaten) als auf die reale Machtverteilung bezogen werden. Vgl. ’T Hart: Cities, S. 672: „When the interests of the various provinces conflicted, those of Holland and Amsterdam tended to prevail, provided they were in agreement.“

63 Vgl. Parker: Aufstand, S. 295.

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die Beratungsergebnisse zusammenfasste, und übernahm darüber hinaus Verwaltungsaufgaben. Er

war ständiges Mitglied der provinzialen Ausschüsse, kontrollierte de facto die Finanzen der reichen

Provinz und führte die Politik der Provinz gegenüber den anderen Provinzen. Alles in allem wurde

der advocaat zum ‚Premierminister’ Hollands, zumal sein Amt das einzige neben dem

Statthalteramt war, das „political leadership“ möglich machte.64

Über den erheblichen Einfluss Hollands in den Generalstaaten wurde dessen Ratspensionär, der dort

den holländischen Adel vertrat und die Stimme für Holland abgab, auch auf Bundesebene (neben

dem Statthalter) zum wichtigsten Amtsträger, der, obwohl die Außenpolitik in der Theorie eindeutig

Angelegenheit der Bundesorgane und damit der Generalstaaten war, erheblichen Einfluss auf

Diplomatie und auswärtige Politik erlangen konnte. Bereits unter Oldenbarnevelt und später unter

de Witt war es der Landesadvokat bzw. Ratspensionär, der die Geschäftskorrespondenz mit dem

Ausland übernahm, in Den Haag akkreditierte Diplomaten empfing und damit faktisch zum

‚Außenminister’ der Republik wurde.65

Für den Statthalter konnte der Ratspensionär – in den Worten de Jongstes der „wichtigste

Funktionär der Republik“66 – ein mächtiger Verbündeter sein, in jedem Fall aber musste der

Statthalter sich mit Holland und seinem ersten Beamten arrangieren.67 Der bereits erwähnte Johan

van Oldenbarnevelt erreichte sogar trotz eines amtierenden Statthalters die Stellung des de facto

wichtigsten Mannes in der Republik und prägte das Amt wesentlich.68 Seit 1586 im Amt, etablierte

er über lange Zeit eine Aufgabenteilung mit dem Statthalter Moritz von Oranien, die den Oranier

faktisch auf seine Funktion als Militärführer beschränkte, dem Landesadvokaten Hollands aber

zumindest lange Zeit die politische Führung überließ69.

Die Staaten von Holland erreichten bisweilen eine so starke Stellung, dass sie auch auf die

Ernennung eines Statthalters verzichten konnten, so geschehen in den Jahren 1650-1672 und 1702-

1747, in denen der holländische Ratspensionär alleine an der Spitze des Staates stand und die Macht

der holländischen Regentenschicht fast unumschränkt und die von den oligarchischen

Republikanern angestrebte Ware Vrijheid am spürbarsten war.70 Die holländischen Staaten erhielten

nun unmittelbaren Zugriff auf Diplomatie und Armee und übernahmen alle sonst den Statthaltern

64 Price: Holland, S. 130.65 Vgl. Price: Holland, S. 131; Boogman: Union, S. 397; de Jongste: Bündnis, S. 136. Auch die Ernennung der

Diplomaten war nur formal das Vorrecht der Generalstaaten, wurde in vielen Fällen aber de facto von der Provinz Holland wahrgenommen, die bis auf wenige Ausnahmen für die Bezahlung der Botschafter aufkam. Vgl. Boogman: Union, S. 397.

66 de Jongste: Bündnis, S. 136.67 Vgl. Price: Holland, S. 130.68 Vgl. Price: Holland, S. 129.69 Vgl. Price: Holland, S. 135.70 Vgl. Price: Dutch Republic, S. 81; Israel: Dutch Republic, Kap. 29.

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zukommenden Vorrechte.71 Obwohl nicht alle Provinzen in diesen zusammen 67 Jahren ohne

Statthalter waren, werden diese beiden Epochen als Statthalterlose Zeiten bezeichnet.

Das Statthalteramt und die Stellung des Hauses Oranien Der Statthalter einer Provinz war ursprünglich der Repräsentant und zugleich „eyes, ears and the

enforcing arms“ des souveränen Fürsten im Land und von diesem bzw. seinem General-Gouverneur

unter den hohen Adligen des Landes ausgesucht.72 Wilhelm von Oranien, der das Amt seit 1559 in

den Provinzen Holland, Zeeland und Utrecht bekleidete, war seit 1572 in der kuriosen Situation, als

Vertreter des Königs die Rebellion gegen diesen anzuführen.73 Als solcher wurde der Oranier nicht

nur zur militärischen, sondern auch zu einer politischen Führungsfigur in den niederländischen

Provinzen und legte mit seinem Prestige als Vader des Vaderlands einen wichtigen Grundstein für

die Macht der Oranier in der Republik.

Obwohl das Statthalteramt mit dem Wegfall des souveränen Prinzen seine ursprüngliche Funktion

verloren hatte, wurde es nicht abgeschafft und auch nach dem Tod Wilhelms von Oranien im Juli

1584 nach kurzer Zeit wieder unter dessen Sohn Moritz fortgeführt, der von den Niederländern zu

einem Gegengewicht zu dem von Elisabeth von England im Rahmen des englisch-niederländischen

Bündnisses ins Land geschickten Grafen von Leicester aufgebaut werden sollte.74 Bereits sein Vater

war von den holländischen Staaten als Gegengewicht gegen Anjou instrumentalisiert worden und

sollte 1584 sogar zum Grafen von Holland erhoben werden,75 ein Plan, den seine Ermordung

schließlich vereitelte.76

Die Oranier und ihre Anhänger vertraten bereits in dieser frühen Phase der niederländischen

Eigenständigkeit die Ansicht, dass das Land eine einigende Zentralgewalt im Kampf gegen die

spanischen Ansprüche brauche und richteten sich dabei vor allem gegen den in Holland verbreiteten

Partikularismus der Regenten.77 Als sowohl Anjou als auch Leicester dabei scheiterten, eine

Zentralgewalt als Führungsinstitution zu installieren, füllten die Oranier selbst die entstandene

Lücke aus und wurden so gleichsam zum monarchischen Überrest einer neuen, republikanisch

geprägten Ordnung. Obwohl die Statthalter in jeder Provinz einzeln gewählt wurden und damit ein

71 Vgl. Israel: Dutch Republic, S. 700 ff.72 Rowen: Princes, S. 3 f.73 Vgl. Price: Holland, S. 134 f. Zur Entwicklung „from courtier to rebel“ siehe so untertitelte Kapitel 1 bei Rowen:

Princes, S. 8-31. 74 Vgl. den Tex: Oldenbarnevelt, Band I, S. 42; de Jongste: Bündnis, S. 136 f.75 Vgl. den Tex: Oldenbarnevelt, Band I, S. 33.76 Vgl. Mörke: ‚Stadtholder’, S. 35.77 Siehe dazu Remonstrance of His Excellency at Antwerp to the States, 1 December 1581. In: Kossman/Mellink:

Texts, Nr. 52, S. 234-236; Advice of the prince of Orange as to which course to take in the critical situation in which the Netherlands find themselves, 7 February 1583. In: Kossman/Mellink: Texts, Nr. 53, S. 236-239; A warning to all honest inhabitants of the Netherlands, who are united and allied to protect the freedom of their religion, and all persons, privileges and old usages against the tyranny of the Spaniards and their adherents, 1583. In: Kossman/Mellink: Texts, Nr. 57, S. 249-251.

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provinziales Amt bekleideten, führte die Akkumulation mehrerer Statthalterwürden auf eine Person

dazu, dass die Oranierprinzen gleichzeitig zum Vertreter des Zentralstaats gegenüber dem

provinzialen Partikularismus wurden. Hinzu kam, dass sie nicht nur als Statthalter mehreren

Provinzen, sondern als Oberkommandierende der Unionsarmee auch den Generalstaaten gegenüber

verantwortlich waren.78

Nach der Erhebung Moritz von Oraniens zum Statthalter von Holland und Zeeland und später auch

von Utrecht, Geldern und Overijssel bekleideten die Oranier in dynastischer Folge und

kontinuierlich bis 1650 und danach erneut von 1672 bis 1702 und von 1747 bis 1795 das

Statthalteramt in der Mehrzahl der Provinzen. Ihr Amt blieb in der Republik eine „improvisation“79,

beruhend auf einer „ill-defined assembly of special rights, privileges, usurpations and informal

influence“.80 Während das Weiterbestehen des Amtes die Kontinuität zur Zeit vor der Rebellion

gegen Philipp II. anzeigen und dem neuen Staat zusätzliche Legitimität verschaffen sollte81,

wandelte sich seine Funktion grundlegend: Anders als zu burgundischer und habsburgischer Zeit

war er in der Republik nicht mehr Repräsentant des Souverän gegenüber den Ständen, sondern

vielmehr von ihnen beauftragt und damit ihr Amtsträger82, freilich mit eigenem politischem Gewicht

in den Provinzen. Er war allgemein für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens und für den

Schutz der Religion verantwortlich und nahm darüber hinaus in den unterschiedlichen Provinzen

verschiedene andere Funktionen wie etwa die des stimmberechtigten Ersten Adligen in den Staaten

von Zeeland wahr.83

Ein zentraler Bereich der statthalterlichen Macht beruhte auf seiner militärischen

Kommandogewalt. Da die Republik der Vereinigten Niederlande in Kriegszeiten gegründet worden

war, spielte diese Funktion besonders in der Anfangsphase der Republik eine zentrale Rolle, blieb

aber auch nach dem Ende des Krieges gegen Spanien 1648 bedeutend. Moritz von Oranien konnte

gegenüber den Staaten seine Entscheidungsgewalt über die militärischen Operationen durchsetzen,84

sodass der Statthalter als Oberbefehlshaber über die Armeen der Republik ein wichtiges

Machtinstrument in seiner Hand hielt, das es ihm im Zweifelsfall erlaubte, erheblichen Druck auf

die Staaten auszuüben.85

78 Vgl. ’T Hart: Cities, S. 663 und S. 668 f.79 Rowen: Princes, S. ix.80 Velema, Wyger R. E.: ’That a Republic is Better than a Monarchy’: Anti-monarchism in Early Modern Dutch

Political Thought. In: Van Gelderen, Martin und Skinner, Quentin (Hrsg.): Republicanism. A Shared European Heritage. Vol. 1: Republicanism and Constitutionalism in Early Modern Europe. Cambridge: 2002, S. 9-25, darin S. 11.

81 Vgl. Mörke: ‚Stadtholder’, S. 37.82 Vgl. Rowen: Princes, S. 17.83 Vgl. Price: Holland, S. 140 und S. 254 ff.84 Vgl. Parker: Aufstand, S. 296.85 Vgl. Price: Holland, S. 145. Dort werden aber auch die Grenzen eines solchen Drohpotenzials betont.

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Neben den militärischen verfügte der Statthalter aber auch über wichtige politische Befugnisse,

insbesondere über das aus habsburgischer Zeit übernommene Vorrecht, in die jährlichen

kommunalen Magistratswahlen (wetsverzettingen) einzugreifen und städtische Magistrate zu

ernennen. Zwar wurde dem Statthalter gewöhnlich eine begrenzte Liste von Kandidaten zur

Auswahl vorgelegt, doch konnte der Statthalter besonders im 18. Jahrhundert vereinzelt von den

Listen abweichen, sodass den Oraniern ein wichtiges Patronagemittel zur Verfügung stand, das dazu

befähigte, wichtige Abhängigkeiten auch innerhalb der Regentenschicht zu schaffen und

Parteigänger zu belohnen.86

Wegweisend für die Entwicklung des Statthalteramtes war der Coup des Moritz von Oranien gegen

die holländischen Städte in der waardgelder-Krise von 1617/18, der als Machtprobe zwischen dem

Statthalter und den holländischen Staaten zu werten ist.87 Hintergrund war ein theologischer Streit

zwischen reformistischen Remonstranten88 und orthodoxen Gegenremonstranten, der sich zu einem

wahren Bürgerkrieg auszuweiten drohte und in dem die holländischen Staaten bald mehrheitlich

Partei für die Remonstranten ergriffen und sich damit in Frontstellung gegen die Mehrheit der

anderen Provinzen sowie gegen das mächtige Amsterdam stellten. Als die Provinzialstaaten von

Holland unter Führung des mächtigen advocaat van den lande Oldenbarnevelt ihren Städten

erlaubten, eigene Truppen (so genannte waardgelders) zum Schutz der Remonstranten aufzustellen

und sich mit Bezugnahme auf ihre Prärogative in religiösen Entscheidungen gegen ein nationales

Konzil aussprachen, fürchtete der Statthalter Moritz von Oranien um sein militärisches Monopol

und den religiösen Frieden im Land, sodass er in der Folge mit Truppen durch die Städte des

Binnenlands und Hollands zog und in einem Staatsstreich die Stadtführungen von Remonstranten

säuberte. Oldenbarnevelt wurde zusammen mit anderen holländischen Politikern gefangen

genommen, von einem ad hoc berufenen Unionsgericht zum Tod verurteilt und schließlich im Mai

1619 hingerichtet.

Der Austausch und die Ersetzung unliebsamer Magistrate in den Städten Hollands wurde in der

Folge zu einem überaus wichtigen Machtinstrument für den Statthalter, zumal es den Oraniern auf

diese Weise möglich war, Einfluss auf die Zusammensetzung der Stadtregierungen und damit auch

der holländischen Staaten zu nehmen und diese mit Getreuen zu besetzen.89 Die so genannten

wetsverzettingen wurden den Statthaltern zwar niemals formal zuerkannt, von diesen aber nach dem

86 Vgl. Price: Holland, S. 140 ff.87 Zu Hintergrund und Hergang der waardgelder-Krise oder Truce Crisis vgl. den Tex: Oldenbarnevelt, Band II; Israel:

Dutch Republic, S. 465 ff.; Price: Holland, S. 114 ff.; Prak: Dutch Republic, S. 33 ff.88 Bei den Remonstranten, auch Arminianer genannt, handelte es sich um eine protestantische Bewegung, die sich in

der Folge Jacob Arminius’ gegen die strenge Prädestinationslehre der Calvinisten wandt und dadurch die theologische Vorherrschaft des orthodoxen Calvinismus in den nördlichen Niederlanden in Zweifel stellte.

89 Vgl. Price: Holland, S. 135 f.

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Präzedenzfall von 1618 de facto durchgesetzt und wiederholt angewandt.90 Mit dem Coup von 1618

stieg der oranische Statthalter zur eigentlichen Führungsfigur der Republik auf, eine Stellung, die

die Oranierprinzen nur in den Statthalterlosen Zeiten nicht ausüben konnten.91

Die Quasi-Erbfolge der Oranier als Statthalter von Holland, Zeeland und zeitweise auch anderen

Provinzen konnte nur in dynastischen Krisensituationen des Hauses durchbrochen werden. Beide

Statthalterlose Epochen im 17. und 18. Jahrhundert begannen mit einer schwierigen

Nachfolgefrage. Nach dem Tod Wilhelms II. im November 1650 war sein einziger Sohn und

potenzieller Nachfolger Wilhelm III. noch nicht geboren, dessen Tod im Jahr 1702 brachte das Haus

Oranien schließlich ganz zum Erlöschen, während die Legitimität des von Wilhelm als

Generalerben eingesetzten friesischen Statthalters Johan Willem Friso aus einer Nebenlinie des

Hauses als neuer Prinz von Oranien umstritten blieb.92

Gab es einen erwachsenen Oranierprinzen als potenziellen Statthalterkandidaten, begannen auf der

anderen Seite die Diskussionen um seine Einsetzung als Statthalter.93 Dennoch waren sowohl 1672

als auch 1747 äußere Schwächen sowie damit verbundene innere Krisen der dominanten

Regentenoligarchie nötig, um die Statthalterlose Zeit durch eine „orangistische Revolution“94 und

die Wiederbesetzung des Statthalteramtes in der wichtigsten Provinz Holland zu beenden.95

Aus beiden Statthalterlosen Zeiten gingen die Oranier gestärkt hervor. Wihelm III. griff zum Mittel

der wetsverzettingen, um einen personellen Austausch des durch die militärische Niederlage

diskreditierten holländischen Führungspersonals herbeizuführen und die Macht unter seinen

Anhängern in den Regentenoligarchien zu konzentrieren.96 Mehr noch, in den nicht-holländischen

Provinzen seiner Statthalterschaft konnte er mithilfe eines ausgereiften Patronagesystems und neu

eingeführten Verwaltungsordnungen die Kontrolle über Staaten und Stadträte übernehmen.97

Schließlich gelang es ihm gar, das Statthalteramt in der männlichen Linie erblich zu machen98, ehe

sein Nachfolger Wilhelm IV. nach der ‚Revolution’ von 1747 als Erster über alle Statthalterwürden

der Republik gleichzeitig verfügen und das Statthalteramt auch in weiblicher Linie zum Erbamt im

90 Vgl. Price: Holland, S. 136 ff.. Besonders Wilhelm III. konnte das Instrument nach der Restauration des Statthalteramts im Jahr 1672 erfolgreich anwenden. Sein Vorgänger Wilhelm II. war dagegen bei seinem versuchten Staatsstreich von 1650 weit weniger erfolgreich, da er nicht auf die Hilfe Amsterdams zählen konnte.

91 Vgl. Price: Holland, S. 136.92 Auch dieser hinterließ bei seinem Tod 1711 nur einen posthumen Sohn, was die Krise der Oranier verstärkte.93 Als Wilhelm IV. 1729 18 Jahre alt wurde, machten ihn die Stände von Friesland, Groningen, Drenthe und Utrecht

zum Statthalter. 94 Israel: Dutch Republic, S. 1067.95 Sowohl 1672 als auch 1747 standen französische Truppen auf niederländischem Boden und es kam in Folge dessen

zu einem „orangist revival“ (Israel: Dutch Republic, S. 994), Aufruhr und schließlich in beiden Fällen zum Ende der Statthalterlosen Zeit (vgl. Israel: Dutch Republic, S. 994 f. und North: Zeitalter, S. 57).

96 Vgl. Israel: Dutch Republic, S. 960; North: Zeitalter, S. 57; de Jongste: Bündnis, S. 137.97 Vgl. Israel: Dutch Republic, S. 963 ff.; de Jongste: Bündnis, S. 137.98 Vgl. de Jongste: Bündnis, S. 137. Freilich musste er vom Schritt zur ‚echten’ Monarchie mit der Annahme des

gelderländischen Herzogstitels Abstand nehmen, vgl. ebd.

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Hause Oranien machen konnte, sodass das ‚statthalterliche System’ wieder auf- und bis zum

Umsturz von 1795 weiterleben konnte.99 Nach Einschätzung Jonathan Israels wurde die Republik

mit den Veränderungen von 1747 „really more of a constitutional monarchy without a crowned

monarch.“100

Drei Fragen an die Verfassung der Vereinigten Niederlande

Wer war der Souverän?Die Frage nach dem Souverän der Vereinigten Niederlande war in der gesamten Zeit ihres

Bestehens ein Streitthema zwischen den verschiedenen politischen Parteien und Faktionen. Der von

Jean Bodin noch zur Zeit der niederländischen Rebellion eingeführte Begriff der Souveränität

bezeichnet traditionell die höchste Letztentscheidungsbefugnis im Staat bzw. in den Worten Bodins

„la puissance absoluë et perpetuelle d’une Republique“, die nach Bodin dem Fürsten zukommt.101

Da die niederländischen Provinzen in der Verlatinge von 1581 ihren gemeinsamen Fürsten Philipp

II. abgesetzt hatten, stellte sich in der inner-niederländischen Diskussion die Frage, wer ihm als

Inhaber der absoluten und dauerhaften Gewalt nachgefolgt sei.

Bereits während der Rebellion erkannten Holland und Zeeland Wilhelm von Oranien die

authoriteyt eines souverein ende overhooft (‚Souverän und Oberhaupt’) zu. Jedoch war dies nicht

mit der Souveränität im Sinne Bodins verbunden, da die ‚Souveränität’ Wilhelms auf die Kriegszeit

beschränkt blieb und die letztendliche Macht bei den Staaten blieb, die beiden Provinzen zudem mit

Philipp II. noch immer über einen fürstlichen Souverän verfügten.102 Nach der Loslösung von

Philipp II. versuchten zunächst die Staaten trotz ihrer Suche nach einem neuen Fürsten ihre

„puissance absoluë“ zu behaupten, mussten damit aber zwangsläufig in Konflikt mit Leicester

geraten, der sich nicht auf eine passive Rolle beschränken wollte. Thomas Wilkes, eines der

englischen Mitglieder des Staatsrates unter Leicester, wandte sich entschlossen gegen die

Herrschaft der Staaten und argumentierte, in der Absenz eines legitimen Fürsten liege die

Souveränität bei der Allgemeinheit. Die Mitglieder der Staatenversammlungen seien jedoch nicht

identisch mit der Allgemeinheit und daher nur Diener, Minister und Delegierte der Gemeinheit. Da

die Allgemeinheit aber die absolute Gewalt an Leicester als „dispositarius“ oder „guardian of

souvereignty“ delegiert habe, dürfe nur diese ihm die absolute Gewalt wieder entziehen.103

99 Vgl. de Jongste: Bündnis, S. 137 f..100 Israel: Dutch Republic, S. 1078. Ähnlich auch die Einschätzung von De Jongste: Bündnis, S. 138. Siehe dazu die

Diskussion unter dem Punkt „War die ‚Republik’ eine Republik?“.101 Bodin, Jean: Les Six Livres de la République. Livre Premier. Corpus des oeuvres de philosophie en langue

française. Fayard 1986. S. 179 ff.102 Vgl. Rowen: Princes, S. 19.103 Thomas Wilkes’ Remonstrance to the States General and the States of Holland, March 1587. In: Kossman/Mellink:

Texts, Nr. 65, S. 272-273.

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Wilkes’ Argumentation war ein direkter Angriff auf die Staaten von Holland, die bereits zu dieser

frühen Zeit einen anderen Blick auf die Souveränitätsfrage hatten. Der Pensionär von Gouda

François Vranck legte als Antwort auf Wilkes dar, die Staaten hätten schon von Anbeginn an die

Souveränität inne gehabt und diese freiwillig dem Fürsten anvertraut, die dazu angehalten waren,

im Konsens mit den Noblen und den Städten des Landes zu regieren. Da die Staaten die

Allgemeinheit repräsentierten, die sie regierten und beschützten, liege die Souveränität bei den

Staaten, also bei Adel und Städten, deren Autorität erhalten bleiben müsse.104

Während sich in dieser Phase noch eine Konfliktlinie zwischen den Staaten und den Anhängern

einer starken Zentralgewalt um Leicester aufzeigte, entwickelte sich nach der Abdankung Leicesters

vielmehr die Frage, wer die Souveränität der Staaten genau beanspruchen dürfe, die Generalstaaten

als oberste Versammlung der Republik oder aber die Provinzialstaaten, welche ihrerseits Delegierte

in die Generalstaaten entsandten. Noch 1590, zwei Jahre nach der Abdankung Leicesters,

bezeichneten sich die Generalstaaten selbst in einer Resolution als „het souvereine college van den

lande“ (‚das souveräne Kollegium der Lande’)105. Auch verschiedene Zeitgenossen und

ausländische Beobachter schrieben den Generalstaaten zumindest einen Anteil an der Souveränität

der Republik zu106 und selbst die Forschung beschreibt die Generalstaaten bisweilen als Souverän

der Republik.107

Gegen die Souveränität der Generalstaaten spricht allerdings die Funktionsweise der Generalstaaten

als Delegiertenversammlung, deren Entscheidungen maßgeblich von der Beschlussfassung der

verschiedenen Provinzialstaaten abhängig waren und denen damit „lediglich beauftragte Gewalt“

zukam.108 Zudem hatten sich die Generalstaaten im Normalfall nicht in die inneren

Angelegenheiten der Provinzen einzumischen. Bereits die Union von Utrecht berief sich auf den

Schutz der provinzialen Privilegien und Freiheiten als wichtigstes Ziel, sodass es logisch erschien,

diese auch gegenüber der Generalität zu schützen und die Provinzen als souverän anzusehen; und

tatsächlich setzte sich in der Republik bald die von den holländischen Regenten von Beginn an

vertretene Sicht durch, die Provinzialstaaten seien die eigentlichen Souveräne der Republik.109

Die Provinzialstaaten nahmen nicht nur entschieden Einfluss auf die Generalstaaten und die ihnen

vorbehaltenen Politikbereiche (v.a. Außenpolitik), sondern konnten in allen anderen – provinzialen

– Angelegenheiten frei entscheiden. Sie ernannten darüber hinaus den Statthalter und entschieden,

104 A short exposition of the rights exercised by the knights, nobles and towns of Holland and West Friesland from time immemorial for the maintenance of the freedoms, rights, privileges and laudable customs of the country, 16 October 1587. In: Kossman/Mellink: Texts, Nr. 66, S. 274-281.

105 Zitiert nach Mörke: ‚Stadtholder’, S. 36. Vgl. auch die deutsche Übersetzung des Zitats in Parker: Aufstand, S. 292. 106 Vgl. Mörke: ‚Stadtholder’, S. 23 f.107 So etwa die etwas ungenauen Ausführungen bei Parker: Aufstand, S. 291.108 Mörke: ‚Stadtholder’, S. 35.109 Vgl. Boogman: Union, S. 392; de Jongste, S. 131 f.

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wann es an der Zeit war, keinen Statthalter zu bestimmen. Am sichtbarsten wurde die Freiheit der

Provinzen in den Statthalterlosen Zeiten, in denen die Regentenherrschaft fast unumschränkt war.

Für Vertreter dieser Regentenherrschaft wie Pieter de la Court war eine derartige oligarchische

Regierungsform schließlich auch das Ideal eines „free Republican Government“, in dem eine

„Sovereign Assembly“ die volle Macht und Gewalt hatte ihre Resolutionen, Anweisungen und

Gesetze durchzusetzen.110

Zwei Probleme stellen sich aber auch in Hinblick auf die provinziale Souveränität. Erstens gab es in

der Verfassungspraxis der niederländischen Union immer wieder Fälle, in denen eine angebliche

Souveränität der Provinzen gebrochen wurde. Der ‚Coup’ Prinz Moritz’ von 1618 und die

Verurteilung und Hinrichtung Oldenbarnevelts, eines provinzialen Würdenträgers, durch ein ad hoc

eingerichtetes Gericht der Generalstaaten stellten einen klaren Eingriff in die Souveränität der

Provinz Holland dar, der zudem gegen die provinziale Prärogative in religiösen Angelegenheiten

verstieß. Es zeigte sich also, dass es einer Koalition zwischen Statthalter und Generalstaaten

durchaus möglich war, die provinziale Souveränität zumindest in Einzelfällen einzuschränken oder

zu durchbrechen.111

Zweitens lässt sich parallel zur obigen Argumentation hinsichtlich der Macht der Generalstaaten

auch schließen, dass selbst die Provinzialstaaten nicht souverän waren. Denn auch die

Provinzialstaaten funktionierten ja als Delegiertenversammlungen, im Falle Hollands und Zeelands

als eine der wichtigsten Städte (plus des Adels). Es ist daher nicht übertrieben, wenn man als

eigentliche Machthaber in der Republik die holländischen Regenten, also die Oligarchen der

‚stemhebbende steden’ ansieht, die nicht nur als oligarchische Führungsschicht die Belange ihrer

jeweiligen Stadt kontrollierten, sondern auch die Politik der Provinzialstaaten, zu denen sie

Delegierte schickten, und schließlich über die Provinzialdelegierten auch die Generalstaaten, in

denen Holland stets die Hegemonialstellung einnahm: „thus, it can be said that the States were not

really supreme, but that final authority rested collectively with the town governments, and that the

States were the institutional expression of that political power“112, d.h. die Souveränität der

Provinzen bedeutet nicht eine Souveränität der Provinzialstaaten, sondern derer, die sie

repräsentieren. Die Republik der Niederlande war unter diesem Gesichtspunkt also mehr ein „state

110 De la Court, Pieter: the true interest and political maxims of the Republick of Holland and West-Friesland. In three parts. London 1702, S. 368.

111 Ein Grund dafür, dass die rechtliche Natur der wetsverzettingen schwierig einzuschätzen ist: Meist werden sie in der Forschung dem Statthalter als Recht zuerkannt, die einzelne Ausübung wie durch Moritz 1618 aber im Widerspruch dazu als coup bezeichnet.

112 Price: Holland, S. 126. Ählich auch das Urteil Herbert Rowens, der aber mit Recht auch ein Mitspracherecht des Adels einräumt: Rowen, Herbert H.: The Dutch Republic and the Idea of Freedom. In: Wooton, David (Hrsg.): Republicanism, Liberty, and Commercial Society, 1649-1776. Stanford 1994, S. 301-340, darin S. 312.

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of fifty-eight cities“.113

War die Union ein Bundesstaat?Die Frage nach dem Souverän der Republik ist eng verbunden mit der nach der Organisation des

Staates und der Frage, ob es sich bei den ‚Vereinigten Provinzen’ überhaupt um einen einzigen Staat

gehandelt habe. Das Gründungsdokument der Utrechter Union lässt die Frage offen, ob es sich bei

dem zu gründenden Staatswesen nun um eine „union“, „alliance“ oder „confederation“ handeln

solle114. Freilich legt der Text besonderes Augenmerk auf die Funktion der Union als Schutz- und

Trutzbündnis und macht dabei kaum Angaben über Organe der Union. Der erst danach gebildete

und als Zentralregierung angelegte Staatsrat wurde bereits nach wenigen Jahren entmachtet und die

Generalstaaten wiesen Merkmale auf, die für das gemeinsame Organ eines Staatenbunds oder einer

Konföderation typisch sind115.

Die Gleichgewichtung der Stimmen und das Einstimmigkeitsprinzip in den Generalstaaten sind

typisch für die Beziehungen zwischen formal gleichberechtigten souveränen Mächten, als welche

sich die Provinzen spätestens seit 1650 mehrheitlich sahen und die sich Einmischungen der anderen

Provinzen und der Generalstaaten in ihre inneren Angelegenheiten verbaten.116 Die starke Stellung

Hollands in der Union rieb sich de facto zwar an der formalen Gleichberechtigung der Staaten,

sodass zumindest eine asymmetrische Machtstellung und eine faktische Hegemonie Hollands

innerhalb der Union attestiert werden muss,117 in innere Angelegenheiten der anderen Staaten griff

Holland freilich nicht ein. Die „Union“ erscheint vor diesem Hintergrund als Konföderation

souveräner Staaten, deren Außenpolitik mithilfe einer gemeinsamen Delegiertenkonferenz

koordiniert wurde und die mit Holland über einen Hegemon verfügte. Auch Zeitgenossen haben

dies so gesehen, wie etwa Johan de Witt, der mit Bezug auf die von ihm vertretene holländische

Souveränität von den respublicae foederatae im Plural spricht.118

Freilich muss auch diese Sicht differenziert werden. Denn zumindest in Phasen der Republik wurde

der Glaube auch tatsächlich durchgesetzt, „that the central authorities of the Republic must possess 113 So eine Kapitelüberschrift bei ’T Hart: Cities, S. 666. Oder wie Mörke urteilt: ein „zusammengesetzter Staat“, der

aber wesentlich von einem „stadtrepublikanischen“ Herrschaftssystem gesteuert wurde, s. Mörke: ‚Stadtholder’, S. 426.

114 Treaty of Union. In: Kossman/Mellink: Texts, Nr. 37, S. 166.115 Wobei mit Konföderation ein „meist außen- und sicherheitspolitisch begründeter Zusammenschluss souveräner

Staaten“ gemeint ist, der über „einige gemeinsame Organe verfügt (in denen die Delegierten im Auftrag der Mitgliedstaaten handeln)“, in dem die Mitgliedsstaaten aber ihre volle innere und äußere Souveränität behalten. Vgl. den Artikel ‚Staatenbund’ bei Schubert, Klaus und Klein, Martina: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn 2006.

116 Vgl. Price: Holland, S. 213.117 Staatenbünde mit asymmetrischer Machtverteilung, in denen – trotz formaler Gleichrangigkeit der souveränen

Staaten – ein Hegemon den anderen Staaten grundsätzlich vorangestellt ist, sind jedoch keine Ausnahmeerscheinung und sprechen nicht gegen die obige Bezeichnung der Union als Konföderation.

118 Vgl. De Jongste: Bündnis, S. 139. Dies zeigt zudem, dass die angesprochene Problematik, die mit Terminologien der modernen Forschung beschrieben wird, im Denken zumindest einiger Zeitgenossen durchaus schon vorhanden gewesen sein muss.

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powers which in some sense overrode those of the provincial states“119. Zur Durchsetzung zentraler

Autorität gegen die hegemoniale Provinz Holland war freilich nur der Statthalter in der Lage und

das auch nur, wenn er die Unterstützung der Generalstaaten und der anderen Provinzen dafür hatte.120 Gegen andere Provinzen konnte der Wille der Union leichter durchgesetzt werden: so

beispielsweise wenn beim Vertrag von Münster, der ohne die formelle Zustimmung Utrechts und

gegen den ausdrücklichen Willen Zeelands unterzeichnet wurde, eindeutig gegen das

Einstimmigkeitsprinzip verstoßen wurde.121

In der gesamten Verfassungsgeschichte der Republik können schließlich entgegen der oben

festgestellten partikularistischen Tendenzen Entwicklungen genannt werden, die zu einer

Ausweitung des föderalen Prinzips über die von der Union von 1579 festgelegten Bereiche

hinausgingen. Dazu gehört neben einer praktischen Durchsetzung des Mehrheitsprinzips auch in

kritischen Fragen die Ausweitung der föderalen Entscheidungen auf die Verwaltung der neu

hinzugewonnen Gebiete (Generalitätslande), das Kolonialwesen sowie kirchliche Belange.122

In Wirklichkeit waren die Vereinigten Niederlande wohl mehr als ein lose gefügter Staatenbund.

Dafür spricht bereits die Ewigkeitsklausel der Union von Utrecht. Selbst in Krisenzeiten wie im

Jahr 1650, als Holland seine volle Autonomie bewies und keinen Statthalter bestellte, bemühte es

sich in der Grote Vergadering (‚Große Besprechung’), keinen Zweifel an seiner Treue zur Union

aufkommen zu lassen.123 Ein Bundesstaat, wie wir ihn heute kennen, war die Union aber auch nicht.

Boogman urteilt daher, dass die Republik der Vereinigten Niederlande ein „mixtum compositum“

darstellte: weder klassischer Staatenbund, noch Bundesstaat, sondern eine Mischform, deren Grad

föderaler Kohäsion deutlich stärker war als der anderer (früh)neuzeitlicher Staatenbünde wie der

Schweizer Confoederatio oder des Deutschen Bundes von 1815124; die darüber hinaus in Anbetracht

der holländischen Hegemonie eine Machtasymmetrie unter ihren Mitgliedern aufwies, die der im

preußisch dominierten Deutschen Reich von 1871 nicht unähnlich war.125

Es ist eines der Grundmerkmale der Vereinigten Niederlande, dass das Spannungsverhältnis

zwischen (grundsätzlich anerkannter) provinzialer Souveränität und der föderalen Kohäsion sowie

der in ihrem Namen agierenden Machtfaktoren (v.a. die Statthalter) nie aufgelöst und stets in der 119 Price: Dutch Republic, S. 67. 120 Das Recht der Statthalter, durch Auswahl und Austausch von Magistraten in innere Angelegenheiten der Provinzen

einzugreifen, mag als „souveräne“ Prärogative gelten (so ’T Hart: Cities, S. 669), sie spricht freilich noch nicht gegen die Staatenbundthese, da die Statthalter dies als zumindest formal provinziale Amtsträger taten.

121 Vgl. Price: Holland, S. 213.122 Vgl. Israel: Dutch Republic, S. 276 f.123 Vgl. Price: Holland, S. 215.124 Boogman: Union, S. 399. Jedoch ist zu beachten, dass die staatliche Kohärenz nicht nur von der insgesamt

schwachen Bundesinstitution der Generalstaaten, sondern auch von den Patronage- und Klientelbeziehungen des oranischen Hofes und des von ihm ausgehenden gesamtniederländischen Normensystems hergestellt wurde. Vgl. Mörke: ‚Stadtholder’, S. 427.

125 Vgl. Boogman: Union, S. 399.

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Schwebe belassen wurde126 und dass sich Verfassungstheorie und Praxis in diesem Punkt nicht

selten unterschieden.127

War die ‚Republik’ eine Republik?Neben der „Konfliktlinie zwischen partikularer und zentralistischer Politikkonzeption“128 und

faktisch eng mit dieser verwoben bestand in der „Republik“ der Vereinigten Niederlande stets ein

Spannungsverhältnis zwischen republikanischer Oligarchenherrschaft und dem „monarchische[n]

Element in der republikanischen Verfassungsrealität“, als das häufig der oranische Statthalter

angesehen wird.129 Wie oben bereits gesehen, war die Gründung des neuen Staates als Republik

zwar „kein reiner Zufall“, aber auch „nie beabsichtigt“, sondern aus dem Zusammenspiel

verschiedenster politischer Kräfte hervorgegangen,130 die auch das Aussehen der Republik und ihrer

Institutionen untereinander auszuhandeln hatten.

So kam es auch in den Vereinigten Provinzen immer wieder zu scharfen Auseinandersetzungen

zwischen prinsgezinden und statengezinden oder vereinfacht zwischen Orangisten und

Republikanern oligarchischer Prägung. Während Zeitgenossen wie Hugo Grotius131 davon

ausgingen, dass es sich bei der Republik um ein imperium mixtum aus aristokratischen (Staaten)

und monarchischen (Statthalter) Elementen handele,132 so wurde um das richtige

Mischungsverhältnis stets gerungen. Die bei Grotius vorzufindende Wahrnehmung ist typisch für

republikanisches Denken der frühen Neuzeit, in dem zwar der Gegensatz zwischen Fürstenstaat und

Republik bereits ausgebildet war, monarchische Elemente in einer Republik aber keineswegs von

einer Mehrheit als Fremdkörper angesehen wurden.133 So hatten bereits die Römer ihre res publica 126 So auch die Einschätzung bei Price: Dutch Republic, S. 66.127 Auch Jonathan Israel kommt zu einem ähnlichen Schluss: „a cross between federal state and confederacy, with

more of the confederacy in form and theory, and more of the federal state in substance and practice.“, Israel: Dutch Republic, S. 277.

128 Mörke: ‚Stadtholder’, S. 34. 129 Mörke: ‚Stadtholder’, S. 38. Die Gegenüberstellung der Begriffe Republik im freistaatlichen Sinne und Monarchie

kann in der Folge Machiavellis seit dem 17. Jahrhundert als etabliert gelten, vgl. Mager, Wolfgang: Republik. In: Brunner, Otto; Conze, Werner; Kosellek, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 5. Stuttgart 1984, S. 549-651, Kap. V; Blickle, Peter: Kommunalismus, Parlamentarismus, Republikanismus. In: HZ 242, 3 (1986), S. 529-556, darin S. 546. Die in der Überschrift gestellte Frage zielt daher im Wesentlichen darauf ab, wie die meist als monarchisch, semi-monarchisch oder quasi-monarchisch beschriebenen Elemente in der Verfassung der Vereinigten Niederlande zum republikanischen Charakter in Beziehung stehen. Es sei nur darauf hingewiesen, dass der Begriff Republik noch im Mittelalter als durchaus vereinbar mit dem Begriff Monarchie galt, in der Frühneuzeit aber eine Bedeutungsverengung und –verschiebung erfuhr. Im Falle der Niederlande wie auch der Schweiz wurde Republik auch im föderalen Sinne einer Vereinigung freier und gleicher Gliedstaaten verstanden; vgl. Mager: Republik.

130 Mout, Nicolette: Ideales Muster oder erfundene Eigenart. Republikanische Theorien während des niederländischen Aufstands. In: Koenigsberger, Helmut G. (Hrsg.): Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit. Unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner. München 1988 (=Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 11), S. 169-194, darin S. 169.

131 Hugo Grotius (1583-1645), holländischer Philosoph, Theologe, Rechtsgelehrter und Aufklärer, fungierte selbst mehrere Jahre lang als Stadtsyndikus in Rotterdam.

132 Vgl. De Jonste: Bündnis, S. 132.133 Siehe auch Blickle: Kommunalismus, S. 546.

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als Mischverfassung angesehen und so wurde auch die Verfasstheit der frühneuzeitlichen Republik

Venedig beurteilt.134 Gegen diese traditionelle Ansicht schrieben aber bereits im frühen 17.

Jahrhundert Anti-Orangisten wie Pieter de la Court an, die vor einer fürstlichen Despotie der

Oranier warnten und das Bestehen des Statthalteramtes als Zeichen der Monarchie deuteten.135

Es lässt sich daher fragen, ob der Anteil der vom Statthalter repräsentierten monarchischen

Elemente zumindest in Phasen nicht so groß war, dass man nicht mehr vom imperium mixtum

sprechen kann, sondern in Übereinstimmung mit de la Court einen Übergang zum monarchischen

Regime der Oranier attestieren muss. Sowohl die statthalterlichen Prärogativen bezüglich der

Besetzung städtischer Ämter, ihr davon abgeleiteter Einfuss auf die Zusammensetzung der Staaten

als auch die Funktion des Statthalters als ‚Protector des wahren Glaubens’ werden verschiedentlich

als Indikatoren einer „quasi-monarchical position“ des Statthalters angesehen.136

Wichtiger als diese statthalterlichen Prärogativen war für die Oranier jedoch ihre informelle

Machtstellung im niederländischen Gemeinwesen. Angefangen mit dem Image Wilhelms I. als

Vader des Vaderlands und verstärkt durch die militärischen Erfolge seiner Nachfolger, nahmen die

Oranier seit der Rebellion gegen die Spanier eine symbolische und fast mystische Funktion

innerhalb der Republik ein, deren „erbcharismatisch[es]“137 Prestige eng mit dem des Staates

verknüpft war.138 Als fürstliches Haus mit weiten Beziehungen zum europäischen Hochadel

garantierten sie die (wenn auch nicht reibungslose) Eingliederung des Staates in das europäische

Wertegefüge des Ancien Régime.139 Auch in ihrer Lebensweise und Selbstdarstellung gebärdeten sie

sich seit Friedrich Heinrich zunehmend wie Fürsten.140 Entsprechend entwickelte sich der oranisch-

fürstliche ‚Hof’ – wie Mörke zeigt – zu einem „Zentrum eines gesamtniederländischen

Kommunikations- und Interaktionsverbundes“ und kann trotz aller Funktionsunterschiede durchaus

mit dem europäischen Monarchenhof der Frühen Neuzeit verglichen werden.141

Dennoch waren die Prinzen von Oranien in der Niederländischen Republik alles andere als

souveräne Fürsten.142 Allein schon die beiden statthalterlosen Perioden widersprechen dieser

134 Siehe dazu eingehender Mout: Muster und zum Vorbild Venedig Haitsma Mulier, Eco O.G.: The Myth of Venice and Dutch Republican Thought in the Seventeenth Century. Translated by Gerard Moran. Assen 1980; außerdem Mager: Republik, S. 586 f.

135 Siehe beispielhaft De la Court: Interest.136 Price: Holland, S. 134.137 Mörke: ‚Stadtholder’, S. 427.138 Vgl. Price: Holland, S. 249.139 Vgl. Price: Holland, S. 248.140 Vgl. Price: Holland, S. 249 f.141 Vgl. die Detailuntersuchungen der Funktion des oranischen Hofs in Mörke: ‚Stadtholder’.142 Selbst als Wilhelm von Oranien die Grafenwürde über Holland angeboten wurde, war keine souveräne Stellung

vorgesehen: Er hätte ohne die Zustimmung der Staaten weder Krieg erklären noch Frieden schließen oder mit anderen Mächten Verträge schließen und allein die Staaten hätten Gesetze beschließen können (vgl. Rowen: Princes, S. 29). Wenn sich Wilhelm von Oranien 1580 als Diener der Generalstaaten und absoluter Prinz beschreibt (vgl. Rowen: Princes, S. 25), so ist dies nicht als Anmaßung einer Souveränität über die Niederlande zu verstehen. Die

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Auffassung, aber auch der starke Wilhelm III., seit 1689 in Personalunion König von England,

konnte keine königsgleiche Stellung in den Niederlanden etablieren. Der Staatsstreich des Prinzen

Moritz von 1618, von Jonathan Israel als Begründer eines „‚Caesarean’ system“ bezeichnet143,

konnte nur deswegen gelingen, weil Holland im Innern zerstritten war und der Statthalter auf die

Unterstützung Amsterdams zählen konnte. Gegen eine geschlossene holländische Front blieb

Wilhelm II. bei seinem Coup-Versuch von 1650 letztendlich erfolglos.144 Selbst in der Spätzeit der

Republik, als das Statthalteramt so gesichert war, dass selbst die Minderjährigkeit Wilhelms V. zu

keiner neuerlichen Statthalterlosen Zeit führte, konnten die Oranier keine monarchische Stellung

etablieren, sondern waren nach wie vor auf die Zusammenarbeit mit Holland, seinem Ratspensionär

und seinen Regenten angewiesen.145

Der oranische Statthalter stellte in der Verfassungspraxis der Republik niemals den so deutlichen

monarchischen Fremdkörper im republikanischen Staat dar, als der er uns aus heutiger Sicht

erscheint und von Anti-Orangisten wie Pieter de la Court dargestellt wurde. Vielmehr schwankte der

Einfluss des Statthalters ständig und war von der Persönlichkeit des jeweiligen Inhabers, aber auch

von den politischen Rahmenbedingungen abhängig.146 Der Statthalter gehörte aber von Beginn an in

den republikanischen Funktionsrahmen, nicht nur als Amtsträger dieser Republik und ihrer

ständischen (oder souveränen) Herrschafträger, sondern als „Träger der Autorität“147 und als

notwendige Integrationsfigur, die den gesamtstaatlichen Zusammenhalt gegen die

partikularistischen Tendenzen des Ständeregiments verkörperte und das für die frühneuzeitliche

Republik typische imperium mixtum bewahrte. Nur vor diesem Hintergrund ist auch verständlich,

wie sich die Orangisten im 17. Jahrhundert als Verbündete des Volkes und Vertreter des

demokratischen Gedankens gegenüber der als despotisch dargestellten Regentenoligarchie

stilisieren konnten und das Statthalteramt als wichtigen Bestandteil statt als Gegenpol zur

republikanischen Ordnung im Sinne des imperium mixtum darstellten.148

Nicht zu Unrecht urteilt Mörke daher: „Die Position des Statthalters als Verkörperung patriarchaler

Autorität vergegenwärtigte in der Tat das monarchische Element der niederländischen politischen

Kultur [...] als notwendiges sinnstiftendes Identifikationsobjekt für den Gesamtstaat.“149 Dieser

Prinzen von Oranien waren zwar souveräne Prinzen, dies aber ‚nur’ im weit entfernten Fürstentum Orange an der Rhône und nicht in der niederländischen Republik.

143 Israel: Dutch Republic, S. 700.144 Vgl. Price: Holland, S. 137; de Jongste: Bündnis, S. 138.145 Vgl. Rowen: Princes, S. 190 ff. Während der Minderjährigkeit Wilhelms V. übernahmen die Städte selbst das Recht

der wetsverzettingen und bestanden auf ihrer Souveränität, weshalb Rowen (S. 194) auch von einer „third stadholderless period“ spricht.

146 Vgl. Price: Holland, S. 136.147 Mörke: ‚Stadtholder’, S. 23.148 Siehe dazu Stern, Jill: The rhetoric of popular Orangism, 1650-1672. In: Historical Research, vol. 77, no. 196

(2004), S. 202-224.149 Mörke: ‚Stadtholder’, S. 437. Dafür sprechen auch die beiden ‚orangist revolutions’ von 1672 und 1747, die jeweils

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Gesamtstaat blieb bis zu seinem Bestehen Ende des 18. Jahrhunderts ein republikanisches

Gemeinwesen, in dem der Statthalter jedoch eine mal stärker, mal weniger stark ausgeprägte

Machtstellung einnehmen konnte, die im Hinblick auf seine dynastische Ausformung gewisse

Elemente eines konstitutionellen Monarchen moderner Prägung aufweist, (mit Rücksicht auf das

frühneuzeitliche, von Autoren wie Bodin und Machiavelli geprägte Monarchieverständnis) aber

nicht als an sich monarchisch oder monarchengleich charakterisiert werden sollte.

FazitDie Republik der Vereinigten Niederlande war kein Bundesstaat, wie wir ihn heute kennen.

Stattdessen handelte es sich um eine vornehmlich außenpolitisch motivierte, aber dauerhafte und

mit stärker föderalen Elementen als ein loser Staatenbund ausgestattete Konföderation150 sich als

souverän verstehender Partikularstaaten, die darauf bedacht waren, ihre jeweiligen Privilegien und

partikularistischen ‚Freiheiten’ zu schützen. In dieser Konföderation stellte Holland den Hegemon

dar, der die Union finanziell und personell maßgeblich trug und gegen dessen Dominanz nur in

Ausnahmesituationen anzukämpfen war. Die Eigenwahrnehmung der Provinzen als souverän darf

jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass der eigentliche Machthaber im Staat die kleine Schicht

der städtischen Regentenoligarchie war, die letztlich durch die Verschränkung von kommunaler,

provinzialer und föderaler Entscheidungsebene in allen Angelegenheiten über die

Letztentscheidungsbefugnis verfügte. Insofern kann die Republik als oligarchisch regierte

Konföderation beschrieben werden, die starke Elemente eines Bundes freier Städte aufwies.

Einziges Gegengewicht zur Oligarchenherrschaft der städtischen Regenten und zugleich

dynastisches Element der Republik stellte der aus der Oranierdynastie stammende Statthalter dar,

der als Vertreter des Nationalgedankens für Kohäsion im Bund sorgte und durch die Bündelung

militärischer Macht, einzelner politischer Prärogativen und informeller Einflussmöglichkeiten als

eigener Machtfaktor eine Rolle spielte, die Stellung eines souveränen Monarchen aber nie erreichte,

zumal nicht, da Holland in einem nicht unerheblichen Zeitraum von 67 Jahren auf einen Statthalter

gänzlich verzichtete.

Das komplizierte politische System der niederländischen Union151, basierend auf einem Dokument,

das als Verfassung gänzlich ungeeignet war, und auf Traditionen, die aus einer gänzlich anderen

politischen Situation entstammten, erwies sich trotz aller Probleme als überaus stabil. Es blieb im

Grunde rund 200 Jahre in Kraft und kam in dieser ganzen Zeit ohne umfangreiche Revision aus.

die Statthalterlosen Zeiten gewaltsam beendeten. Jedoch muss eingeräumt werden, dass Holland zumindest im 17. Jahrhundert auch ohne amtierenden Statthalter prosperierte, zumindest zeitweise also auf das monarchische Gegenelement der Oligarchenherrschaft verzichtet werden konnte.

150 Wobei Konföderation, wie gesehen, nicht im Sinne eines losen Staatenbundes, sondern als ein Elemente eines Bundesstaats aufweisendes engeres Bündnis verstanden werden muss.

151 Vgl. zur besseren Anschaulichkeit Abb. 1.

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Dabei hatten die unklaren Bestimmungen der Utrechter Union den Vorteil, dass sie überaus flexibel

waren und mit unterschiedlichen Verfassungsrealitäten (wie dem absoluten Staatenregiment in den

Statthalterlosen Zeiten und dem mit dynastischer Erbfolge ausgestatteten Statthalter-System v.a.

nach 1747) vereinbar waren. Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass das Verfassungssystem zur

großen Reform unwillig oder unfähig war. Der Versuch Simon van Slingelandts 1717, die Macht

der Zentralinstitutionen durch eine Reform zu stärken, war gegen den provinzialen Partikularismus

nicht durchsetzbar.152 Ebenso wenig kam es nach dem Umsturz von 1747 zur Gründung eines

geplanten zentralen Regierungsrats und auch die Restaurationsregierung der Jahre 1787-1795 war

nicht imstande, das letztendlich in die Jahre gekommene institutionelle Gefüge durch Reformen

gegen den wachsenden revolutionären Druck zu schützen.153

Abb. 1: Darstellung des Verfassungssystems der Niederländischen Republik im 17. und 18.

Jahrhundert. Dargestellt ist die innerprovinziale Ebene nur beispielhaft für das dominierende

Holland. Nicht dargestellt sind die inner-provinzialen Zustände in den anderen Provinzen, die

Stellung der nicht stimmberechtigten Städte auf der inner-provinzialen (holländischen) Ebene sowie

152 Vgl. Israel: Dutch Republic, S. 986 f.; Boogman: Union, S. 404; North: Geschichte, S. 67 f.153 de Jongste: Bündnis, S. 141.

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die der auf Bundesebene nicht stimmberechtigten Provinz Drenthe. Die hegemoniale Stellung

Hollands im Bund erlaubte auch ein direktes Übergreifen auf die Bundesangelegenheiten, der

Statthalter wiederum beeinflusste durch sein Recht der wetsverzettingen auch die inner-provinziale

bzw. innerstädtische Ebene. Die Doppelnatur des oranischen Statthalters als provinzialer Amtsträger

mit Bundesaufgaben ist durch seine Zugehörigkeit zu beiden Wirkungskreisen versinnbildlicht. Die

Statthalterwürden von Holland, Utrecht, Zeeland, Overijssel und Gelderland wurden meist in

Personalunion ausgeübt, ebenso die von Groningen und Friesland. In den Statthalterlosen Zeiten

war das Statthalteramt in Holland und anderen Provinzen unbesetzt, nach 1747 fallen alle

Statthalterwürden zusammen.

In diesem Schaubild wird der Versuch unternommen die geschilderten Verhältnisse und Prozesse

statisch abzubilden. Es darf nicht als ultima ratio der Arbeit missverstanden werden, da die im Text

herausgearbeitete Realität des niederländischen Verfassungssystems in einer nicht-dynamischen

Abbildung nur schwer darzustellen ist. Im Sinne einer heuristischen Unternehmung und mit den

besten Absichten, unternimmt der Verfasser aber dennoch den Versuch einer vereinfachten

Zusammenfassung der Abläufe.

Quelle: Eigenleistung des AutorsLizenz: CC BY-ND-NC Deutschland. 3.0

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Thorsten Holzhauser ist Student der Geschichte, der Deutschen Philologie und der

Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Studiengang

Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien.

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Abbildung 1: Darstellung des Verfassungssystems der Niederländischen Republik im 17. und 18. Jahrhundert steht unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.

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