Stuttgarter Erklrungsbibel · Die Klagelieder Jeremias 976 Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) 985 Der...

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Stuttgarter ErklȨrungsbibel mit Apokryphen DIE HEILIGE SCHRIFT NACH DER ȠBERSETZUNG MARTIN LUTHERS MIT EINFȠHRUNGEN UND ERKLƐRUNGEN DEUTSCHE BIBELGESELLSCHAFT

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StuttgarterErkl�rungsbibel

mit Apokryphen

DIE HEILIGE SCHRIFTNACH DER �BERSETZUNG

MARTIN LUTHERS

MIT EINF�HRUNGEN UND ERKL�RUNGEN

DEUTSCHE BIBELGESELLSCHAFT

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Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984Herausgegeben von der Evangelischen Kirche in Deutschland

Die Lutherbibel wurde in den Jahren 1957 –1984 �berarbeitet.Die Evangelische Kirche in Deutschland

und ihre Gliedkirchenhaben im Einvernehmen mit ihren Bibelwerken

den revidierten Text 1984 angenommenund zum kirchlichen Gebrauch empfohlen.

Mit dem Kauf dieser Bibelausgabe unterst�tzen Sie die Arbeitder Deutschen Bibelgesellschaft. Vielen Dank!

Die Deutsche Bibelgesellschaft ist eine gemeinn�tzige kirchliche Stiftung.Gemeinsam mit dem Weltbund der Bibelgesellschaften (United Bible Societies)

f�rdert sie die weltweite �bersetzung und die Verbreitung der Bibel –damit alle Menschen die Bibel in ihrer Sprache lesen k�nnen.

www.weltbibelhilfe.de

ISBN 978-3-438-01123-7

Neuausgabe mit Apokryphen� 2005 Deutsche Bibelgesellschaft StuttgartZweite, verbesserte Auflage 2007Nachdruck des revidierten Bibeltextes nur mit Genehmigung des Ratesder Evangelischen Kirche in DeutschlandEinband: dell’arte Werbeagentur, LeonbergSatz: Laupp & G�bel, NehrenGesamtherstellung: Bercker, KevelaerPrinted in GermanyAlle Rechte vorbehalten

www.bibelgesellschaft.de

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HINWEISE ZUM GEBRAUCH DIESER BIBELAUSGABE

Der Bibeltext

Lutherbibelin revidierter Fassung

Der Bibeltext, der in dieser Bibelausgabe ab-gedruckt und erkl�rt wird, ist eine �berarbei-tete (revidierte) Fassung der Bibel�bersetzungMartin Luthers. Um der besseren Verst�ndlich-keit willen ist in dieser Fassung der Wortlautder Luther�bersetzung vorsichtig dem heutigenSprachgebrauch angepasst worden. Dies ge-schah durch einen Kreis von Fachleuten, den dieevangelische Kirchenleitung in Zusammenar-beit mit den Bibelwerken berief. Die Revisions-arbeit wurde stufenweise abgeschlossen: f�r dasAlte Testament 1964, f�r die Apokryphen 1970,f�r das Neue Testament 1984. Das Neue Test-ament von 1984 l�ste zwei vorhergehende Revi-sionsstufen (1956 und 1975) ab, die wegen ihrerEinseitigkeit keine allgemeine Zustimmung ge-funden hatten. Gleichzeitig wurden 1984 nochgeringf�gige Anpassungen im Alten Testamentvorgenommen.

Bei der Revisionsarbeit wurden auch Umfangund �berschriften der Sinnabschnitte sowie dieAbsatzgliederung des Textes neu festgelegt. DieErkl�rungsbibel bindet sich allerdings nichtstreng an diese Vorgaben; die Abs�tze wurdenvermehrt und zum Teil weitere �berschrifteneingef�gt. Außerdem wird die Gliederung dereinzelnen biblischen Schriften noch zus�tzlichdurch �bergeordnete Zwischen�berschriftensichtbar gemacht.

Die Apokryphen

Die vorliegende Neuausgabe der Erkl�rungsbi-bel enth�lt den vollst�ndigen Text des Alten undNeuen Testaments, einschließlich der so genann-ten Apokryphen, die Luther aus dem Kanon desAlten Testaments ausgegliedert und als eigenenTeil zwischen Altem und Neuem Testament ein-geordnet hat. Luther kennzeichnete die Apokry-phen in seiner ber�hmt gewordenen Formulie-rung als B�cher, so der Heiligen Schrift nichtgleichgeachtetunddochn�tzlichundgutzulesensind.

Beim Vergleich mit anderen Bibel�bersetzun-gen muss beachtet werden, dass die Lutherbibelin den Apokryphen gelegentlich eine abweichen-de Kapitel- und Versz�hlung hat.

Besondere Schriftarten

Schon Luther hat in seinen Bibelausgabeneinzelne wichtige Bibelworte durch einen beson-deren Schrifttyp hervorgehoben, und dieserBrauch ist auch in den sp�teren Lutherbibelnbeibehalten worden. Bei der Revision der Lu-therbibel wurde der Bestand an solchen Kern-stellen �berpr�ft und ihre Auswahl festgelegt. Inder Erkl�rungsbibel werden sie durch Schr�g-schrift hervorgehoben.

Das Wort Herr hat im Bibeltext immer dann dieForm Herr, wenn im hebr�ischen Text der Got-tesname JHWH gebraucht wird (s. die Sach-erkl�rung zu Herr). Gew�hnlich geschriebenesHerr ist im Alten Testament Wiedergabe deshebr�ischen Wortes adonaj, gelegentlich auchverdeutlichende Einf�gung der �bersetzung anStellen, wo im hebr�ischen Text nur »er« steht.Im Neuen Testament unterbleibt die Hervorhe-bung, auch wenn es sich um direkte Zitate ausdem Alten Testament handelt. Dies entsprichtder Tatsache, dass der griechische Text, der hierder �bersetzung zugrunde liegt, nicht den Got-tesnamen, sondern das griechische Wort f�r Herr(kyrios) enth�lt. Dadurch wird es den Verfassernder neutestamentlichen Schriften m�glich, sol-che Aussagen auch auf den Herrn Jesus Christuszu beziehen.

Durch dieselbe Schriftart wie Herr werdenauch wiederkehrende Zeilen in den Psalmen,sog. Kehrverse, hervorgehoben (z. B. Was be-

tr�bst du dich, meine Seele), ebenso die ein-f�hrenden Angaben und musikalischen Zwi-schenbemerkungen der Psalmen, jedoch werdenim letzteren Fall keine großen Anfangsbuch-staben verwendet (z. B. ein psalm davids odersela).

Namensschreibung

Die Schreibung der Personen- und Ortsnamenfolgt seit 1984 weitgehend den Loccumer Richt-linien zur einheitlichen Schreibung biblischerEigennamen, die im Interesse einer �kumeni-schen Vereinheitlichung der Namensformen voneiner evangelisch-katholischen Kommission er-arbeitet worden sind. Lediglich bei Namen, die inder evangelischen Tradition einen besonderenStellenwert haben, wurde von dieser �kumeni-

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schen Regelung abgewichen und die bisher ver-traute Form beibehalten. Ein Namensverzeich-nis mit der �kumenischen Schreibart aller bibli-schen Personen- und Ortsnamen ist bei der

Deutschen Bibelgesellschaft erschienen(Namenund Orte der Bibel, ISBN 978-3-438-06208-6).Die Ausnahmen, die f�r die Lutherbibel gelten,sind im Anhang ab S.1945 aufgef�hrt.

Die Erkl�rungen

Einf�hrungen in die biblischen B�cher

Zu jedem biblischen Buch gibt es eine Einf�h-rung, die �ber die historischen Zusammenh�ngeund Hintergr�nde, �ber Themen, Aufbau, Ent-stehung und Verfasserschaft sowie �ber even-tuelle Quellen informiert. Sie ist direkt nach derBuch�berschrift eingef�gt und in der gleichenSchriftart wie der Bibeltext gedruckt.

Erkl�rungen zum Bibeltext

Die Einzelerkl�rungen zum Bibeltext sind inkleinerem Schriftgrad zwischen den Abs�tzendes Bibeltextes untergebracht. Sie beziehen sichjeweils auf den voranstehenden Textabschnitt(auch �ber mehrere Abs�tze hin bis zur vorher-gehenden Erkl�rung). In den Erkl�rungen sindBezugsw�rterausdemBibeltext,dieerkl�rtoderumschrieben werden, in Schr�gschrift gedruckt.

Biblische Verweisstellen

Die biblischen Schriften h�ngen in vielf�ltigerWeise miteinander zusammen und erkl�ren odererhellen sich gegenseitig. Ein wichtiger Bestand-teil des gesamten Erkl�rungswerks sind deshalbdie Verweise auf andere Bibelstellen. Sie werdenin der �blichen Kurzform dargeboten: BiblischesBuch in Abk�rzung, Kapitel- und Versziffern.Die Abk�rzungen der biblischen B�cher werdenim Alphabetischen Inhaltsverzeichnis erkl�rt.Kapitelangaben werden durch Komma von Ver-sangaben getrennt, Versangaben voneinanderdurch Punkt. Ein Beispiel: 1 Kor 15,1.4 = 1.Ko-rintherbrief, Kapitel 15, Verse 1 und 4. Kapitel-zahlen ohne folgende Versziffern werden durchStrichpunkt getrennt (z. B. 13; 15). Mit den Buch-staben a und b hinter der Versziffer wird aufVersteile hingewiesen: erste und zweite Versh�lf-te (wobei eine gewisse Unsch�rfe in Kauf gen-ommen wird, sofern die genaue Abgrenzung vonVersh�lften nicht immer m�glich ist). Das Erkl�-rungswerk enth�lt drei Sorten von Verweisen:

1. Verweise in den Erkl�rungen

Sie sind eng mit der Erkl�rung verzahnt undbringen Belegstellen f�r die erkl�renden Aussa-gen in mehr oder weniger ausf�hrlicher Form.Vollst�ndigkeit ist in der Regel nicht angestrebt;die Erkl�rungsbibel kann und will nicht eineBibel-Konkordanz ersetzen.

2. Verweise am Fuß der Seite

Sie werden dem Bibeltext durch (fettgedruckte)Kapitel- und Versangabe zugeordnet und er-g�nzen die Verweise in den Erkl�rungen. Siesprechen f�r sich und haben oftmals selbst denCharakter einer nicht weiter zu erl�uterndenErkl�rung. Dies gilt insbesondere f�r den Nach-weis von Anspielungen im Bibeltext (z.B. Ver-weis von Apg 27,26 auf Apg 28,1). Außerdem gibtes hier Sammelstellen zu bestimmten wieder-kehrenden Themen. Auf sie wird von anderswodurch ein S verwiesen; 1Mo 22,16 S zum Beispielbedeutet: 1. Mose 22, Vers 16 mit den dort (amFuß der Seite) angegebenen Verweisstellen.

3. Verweise unter denAbschnitts�berschriften

Sie beziehen sich auf den ganzen folgenden Ab-schnitt (oder doch wesentliche Teile daraus) undverweisen auf parallele �berlieferungen: Der-selbe Stoff wird an den angef�hrten Stellen in�hnlicher oder auch charakteristisch abweichen-der Form �berliefert. Insbesondere gibt es solcheParallel�berlieferungen bei den alttestamentli-chen Geschichtsb�chern (Samuel/K�nige undChronik) und den ersten drei Evangelien imNeuen Testament.

Bei den Evangelien werden diese Abschnitts-parallelen durch Einzelverweise am Fuß derSeiteerg�nzt. Diebeiden Verweisarten verhaltensichzueinanderfolgendermaßen:Verweiseunterder�berschrift bezeichnen einedirekteParallel-�berlieferung (z. B. Mt/Lk �bernehmen in ab-gewandelter Form Mk bzw. eine andere ihnengemeinsame Quelle); die Verweise am Fuß derSeite weisen auf eine indirekte bzw. entferntereParallele, d.h. das betreffende Wort ist außer inder direkten Parallele, die unter der �berschriftangef�hrt wird, noch an weiteren Stellen �ber-liefert (Beispiel: Abschnittsverweis zu Mt 21,18-22 und Einzelverweis zu Mt 21,21).Gleichfalls nur bei den Evangelien gibt es Ver-weise mit dem Zusatz par. Mit dieser Abk�rzungwird aufParalleltexte zudemimVerweisgenann-ten Text in den jeweils anderen Evangelien ver-wiesen. Um welche Paralleltexte es sich im ein-zelnen Fall handelt, kann man aus den Verweisenunterder�berschriftdesAbschnittsentnehmen,in dem die im Verweis genannte Textstelle steht.

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Ein Beispiel: Von Mk 8,31 wird verwiesen auf9,31 par. Die gemeinten Paralleltexte steheninnerhalb der Abschnitte Mt 17,22f und Lk9,43-45, die zu Mk 9,30-32 unter der Abschnitts-�berschrift angegeben sind. Schneller und be-quemer findet man die betreffenden Texte mitHilfe einer Evangelien-Synopse, in der sie inSpalten nebeneinander abgedruckt sind.

Sacherkl�rungen

Wiederkehrende Begriffe und Sachverhalte (wiePharis�er, Gesetz, Fleisch) werden nicht jedes-mal neu erkl�rt, sondern in einer Sacherkl�rungerl�utert, die im Anhang in der alphabetischenListe der Sacherkl�rungen zu finden ist. Von denTexterkl�rungen aus wird auf eine Sacherkl�-rung durch Pfeil (R ) vor dem betreffenden Wortverwiesen. Der Pfeil bedeutet je nach Zusam-menhang: siehe Sacherkl�rung oder zu diesemWort gibt es eine Sacherkl�rung.

�ber Maße, Gewichte und Geldwerte infor-miert eine tabellarische �bersicht, die den An-hang er�ffnet.

Anmerkungen zur Text�berlieferung

Diebiblischen Textewurden zum großen Teil vorweit mehr als 2000 Jahren erstmals niederge-schrieben und sind dann durch Jahrhunderteimmer wieder abgeschrieben worden. Wir ken-nen sie lediglich in Abschriften, welche die ver-lorenen Originale mehr oder weniger getreu wie-dergeben. Bei der F�lle der erhaltenen und imeinzelnen oftmals voneinander abweichendenHandschriften ist es nicht immer leicht, die Text-form herauszufinden, die dem Original am n�ch-sten kommt. Besonders im Alten Testament istmanchmal keine Sicherheit �ber den urspr�ng-lichen Text zu gewinnen. Die Bibel�bersetzertreffen in solchen F�llen unterschiedliche Ent-scheidungen, weshalb ihre �bersetzungen gele-gentlich voneinander abweichen. In wichtigerenF�llen dokumentieren die Anmerkungen zumBibeltext im Anhang ab S. 1958 die Textgrund-lagederrevidiertenLutherbibelundinformiereneventuell �ber weitere zur Wahl stehende Les-arten. Die mit der Text�berlieferung zusammen-h�ngenden Fragen werden in der dortigen Ein-f�hrung er�rtert. Auf eine Textanmerkung wirdvom Bibeltext aus durch einen kleinen hochge-stellten Kreis (�) verwiesen.

Zeittafeln und Landkarten

Eine �bersicht �ber die biblische Geschichtebietet die Zeittafel im Anhang ab S. 1949. DerKartenteil gliedert sich in Schwarz-weiß-Kartenzu speziellen Epochen und Themen am Schlussdes Anhangs und vier farbige Grundkarten amAnfang und Ende des Buches. Die farbigen Kar-ten werden durch ein Ortsregister ab S. 1974 des

Anhangs erschlossen. Auf S. 1974 werden auchdie bei Kartenverweisen innerhalb der Erkl�run-gen verwendeten Abk�rzungen aufgeschl�sselt.

Die Bearbeiter

Die Einf�hrungen und Erkl�rungen wurden voneinem Autorenteam erarbeitet und sind als einGemeinschaftswerk zu betrachten, bei dem kei-ne Zuschreibung bestimmter Teile an bestimmteBearbeiter vorgenommen wird. Die urspr�ng-lichen Entw�rfe sind durch Gegenlesung undredaktionelle Abstimmungen im Interesse derEinheitlichkeit und Geschlossenheit des Aus-legungswerkes gelegentlich stark bearbeitetworden.

An der Kommentierung des Neuen Testamentswaren beteiligt: Landessuperintendent Dr. AkoHaarbeck (Lippische Landeskirche), Prof. Dr.Gisela Kittel (Bielefeld), Bischof Dr. WalterKlaiber (Evangelisch-methodistische Kirche),Landesbischof D. Dr. Eduard Lohse (Evan-gelisch-lutherische Landeskirche Hannovers),Prof. D. Dr. Eduard Schweizer (Z�rich) undDr. Joachim Lange (Deutsche Bibelgesellschaft,Stuttgart). Durch Vorarbeiten haben mitge-wirkt: Prof. Dr. Hans Joachim Kraus, DozentDr. Dietrich Mann und Prof. Dr. Hans Weder.

Die Kommentierung des Alten Testamentswurde erarbeitet von Pfarrer Dr. Helmut Flen-der (fr�her Arbeitsgemeinschaft Missionari-sche Dienste, Stuttgart), Dr. Hellmut Haug undRudolf Kass�hlke DD. (beide Deutsche Bibel-gesellschaft, Stuttgart) unter beratender Mit-wirkung von Prof.Dr. Dr. Siegfried Herrmann(Bochum).

Zur Kommentierung der Apokryphen habenbeigetragen: Prof. Dr. Beate Ego (Osnabr�ck),Prof.Dr. Jutta Hausmann (Budapest), Prof. Dr.Reinhard G. Kratz (G�ttingen), Dr. JoachimLange (T�bingen), Prof.Dr. Hermann Lichten-berger (T�bingen), Prof. Dr. Manfred Oeming(Heidelberg), Prof. Dr. Klaus-Dietrich Schunck(Rostock), Privatdozentin Dr. Anna MariaSchwemer (T�bingen), Prof. Dr. Odil HannesSteck (Z�rich), Prof. Dr. Oda Wischmeyer (Er-langen) und Prof. Dr. Erich Zenger (M�nster).

Die biblischen Verweisstellen wurden auf derGrundlage des Verweisstellenbestandes der re-vidierten Lutherbibel und der Bibel in heutigemDeutsch von Pfarrer Klaus Dietrich Fricke zu-sammengestellt.

Die Endredaktion der Erstausgabe lag in denH�nden von Dr. Hellmut Haug und Dr. JoachimLange. F�r die vorliegende Neuausgabe hatDr. Joachim Lange dankenswerterweise dieRedaktion der Erkl�rungen zu den Apokry-phen �bernommen; eine abschließende Ge-samtdurchsicht aller Erkl�rungstexte besorgtenDr. Rolf Sch�fer und Dr. Florian Voss.

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INHALT DES ALTEN TESTAMENTS

Geschichtsb�cher

Die f�nf B�cher Mose. Einf�hrung 3Das erste Buch Mose (Genesis) 7Das zweite Buch Mose (Exodus) 76Das dritte Buch Mose (Levitikus) 131Das vierte Buch Mose (Numeri) 168Das f�nfte Buch Mose (Deuteronomium) 214Die B�cher Josua bis 2. K�nige. Einf�hrung 262Das Buch Josua 269Das Buch der Richter 300Das Buch Rut 332Das erste Buch Samuel 338Das zweite Buch Samuel 381Das erste Buch der K�nige 418Das zweite Buch der K�nige 461Die B�cher der Chronik. Einf�hrung 502Das erste Buch der Chronik 504Das zweite Buch der Chronik 536Das Buch Esra 575Das Buch Nehemia 588Das Buch Ester 606

Lehrb�cher und Psalmen

Das Buch Hiob (Ijob) 616Der Psalter 654Die Spr�che Salomos (Sprichw�rter) 769Der Prediger Salomo (Kohelet) 802Das Hohelied Salomos 815

Prophetenb�cher

Die Prophetenb�cher. Einf�hrung 824Der Prophet Jesaja 827Der Prophet Jeremia 903Die Klagelieder Jeremias 976Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) 985Der Prophet Daniel 1048Der Prophet Hosea 1072Der Prophet Joel 1086Der Prophet Amos 1091Der Prophet Obadja 1102Der Prophet Jona 1104Der Prophet Micha 1108Der Prophet Nahum 1116Der Prophet Habakuk 1119Der Prophet Zefanja 1123Der Prophet Haggai 1127Der Prophet Sacharja 1131Der Prophet Maleachi 1147

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INHALT DER APOKRYPHEN

Die Apokryphen. Einf�hrung 1155Das Buch Judit 1157Die Weisheit Salomos 1179Das Buch Tobias 1209Das Buch Jesus Sirach 1224Das Buch Baruch 1279Das erste Buch der Makkab�er 1291Das zweite Buch der Makkab�er 1339St�cke zum Buch Ester 1379St�cke zum Buch Daniel 1386

Die Geschichte von Susanna und Daniel 1388Vom Bel zu Babel 1391Vom Drachen zu Babel 1392Das Gebet Asarjas 1394Der Gesang der drei M�nner im Feuerofen 1396

Das Gebet Manasses 1398

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INHALT DES NEUEN TESTAMENTS

Geschichtsb�cher

Das Evangelium nach Matth�us 1403Das Evangelium nach Markus 1458Das Evangelium nach Lukas 1493Das Evangelium nach Johannes 1559Die Apostelgeschichte des Lukas 1607

Briefe

Der Brief des Paulus an die R�mer 1669Der erste Brief des Paulus an die Korinther 1694Der zweite Brief des Paulus an die Korinther 1716Der Brief des Paulus an die Galater 1730Der Brief des Paulus an die Epheser 1739Der Brief des Paulus an die Philipper 1748Der Brief des Paulus an die Kolosser 1754Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher 1760Der zweite Brief des Paulus an die Thessalonicher 1764Der erste Brief des Paulus an Timotheus 1768Der zweite Brief des Paulus an Timotheus 1776Der Brief des Paulus an Titus 1780Der Brief des Paulus an Philemon 1783Der erste Brief des Petrus 1785Der zweite Brief des Petrus 1792Der erste Brief des Johannes 1797Der zweite Brief des Johannes 1804Der dritte Brief des Johannes 1805Der Brief an die Hebr�er 1807Der Brief des Jakobus 1825Der Brief des Judas 1833

Prophetisches Buch

Die Offenbarung des Johannes 1836

Anhang

Maße, Gewichte, Geldwerte 1863Sacherkl�rungen 1865Zur Schreibung der Eigennamen 1945Zeittafel zur biblischen Geschichte 1949Anmerkungen zum Bibeltext 1958Ortsregister zu den Landkarten 1974Kartenskizzen 1979

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ALPHABETISCHES INHALTSVERZEICHNISUND ABK�RZUNGEN DER BIBLISCHEN B�CHER

Am Amos 1091Apg Apostelgeschichte 1607Bar Baruch 12791Chr 1.Chronik 5042Chr 2.Chronik 536Dan Daniel 1048Eph Epheser 1739Esr Esra 575Est Ester 606Gal Galater 1730Hab Habakuk 1119Hag Haggai 1127Hebr Hebr�er 1807Hes Hesekiel (Ezechiel) 985Hiob Hiob (Ijob) 616Hld Hoheslied 815Hos Hosea 1072Jak Jakobus 1825Jdt Judit 1157Jer Jeremia 903Jes Jesaja 827Joel Joel 1086Joh Johannes 15591Joh 1.Johannes 17972Joh 2.Johannes 18043Joh 3.Johannes 1805Jona Jona 1104Jos Josua 269Jud Judas 1833Klgl Klagelieder 9761K�n 1.K�nige 4182K�n 2.K�nige 461Kol Kolosser 17541Kor 1.Korinther 16942Kor 2.Korinther 1716Lk Lukas 14931Makk 1.Makkab�er 12912Makk 2.Makkab�er 1339Mal Maleachi 1148Mi Micha 1109Mk Markus 1458Mt Matth�us 1403

1Mo 1.Mose (Genesis) 72Mo 2.Mose (Exodus) 763Mo 3.Mose (Levitikus) 1314Mo 4.Mose (Numeri) 1685Mo 5.Mose (Deuteronomium) 214Nah Nahum 1116Neh Nehemia 588Obd Obadja 1102Offb Offenbarung 18361Petr 1.Petrus 17852Petr 2.Petrus 1792Phil Philipper 1748Phlm Philemon 1783Pred Prediger (Kohelet) 802Ps Psalm(en) 654Ri Richter 300R�m R�mer 1669Rut Rut 332Sach Sacharja 11321Sam 1.Samuel 3382Sam 2.Samuel 381Sir Sirach 1224Spr Spr�che (Sprichw�rter) 769St zu Dan St�cke zu Daniel 1386St zu Est St�cke zu Ester 13791Thess 1.Thessalonicher 17602Thess 2.Thessalonicher 17641Tim 1.Timotheus 17682Tim 2.Timotheus 1776Tit Titus 1780Tob Tobias 1209Weish Weisheit 1179Zef Zefanja 1124

Weitere Abk�rzungen

f und der folgende Vers/das folgendeKapitel/die folgende Seite

Kap. Kapitelpar und Paralleltext(e) (s. Vorwort)S Sammelstelle f�r Verweisstellen

(s. Vorwort)V. Vers

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Das Alte Testament

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DIE F�NF B�CHER MOSE (DER PENTATEUCH)

Einf�hrung

Die f�nf B�cher Mose erz�hlen vom Werden desVolkes Israel und von seiner Geschichte bis zudem Zeitpunkt, da das Volk sich anschickt, dasLand Kanaan in Besitz zu nehmen. Abraham, eineinzelner Mann, verl�sst auf Gottes Ruf hin mitseiner Frau Sara seine mesopotamische Heimat.Er tut es im Vertrauen auf die Zusage Gottes, diemit diesem Ruf verbunden ist, ihn zum Vatereines großen Volkes zu machen (1 Mo 12,1-3).Damit beginnt die »Zeit der V�ter«, die mit ihrenFamilien als Kleinviehnomaden das Land durch-ziehen, das – wiederum nach Gottes Zusage(1Mo 12,7) – einst ihren Nachkommen gehçrensoll. Die Familie von Abrahams Enkel Jakobfindet in einer Zeit der Hungersnot in �gyptenZuflucht (1Mo 37 –46). Aus ihr w�chst im Laufder Generationen ein Volk heran, das vomPharao unterdr�ckt und durch den von Gottberufenen Retter Mose aus �gypten heraus-gef�hrt wird (2 Mo 1–15). Gott offenbart demVolk auf dem Berg Sinai im »Gesetz« seinenWillen und schließt mit ihm den »Bund« (2 Mo19 –24). Durch mancherlei Erprobungen f�hrtder Weg des Volkes durch die W�ste bis an dieGrenze des versprochenen Landes (4 Mo 22,1;5Mo 34,1-5).

Vorangestellt ist den Anf�ngen des VolkesIsrael eine Art »Urgeschichte« der Menschheitaus der Sicht eben dieses Volkes. Sie beginnt mitder Erschaffung der Welt und des Menschendurch Gott und f�hrt in großen Schritten ausdem Paradies der Urzeit in die gegenw�rtigeWelt: eine Welt voll M�he und Leid, �ber derGott trotz allem seine Hand h�lt. W�hrend sichdie Menschheit immer weiter von ihrem Schçp-ferentfernt,erreichtdessenRufeinenEinzelnen,Abraham, mit dem Gott einen neuen Anfangmachen will.

Die Moseb�cher sind aus �berlieferungen derunterschiedlichsten Art zusammengewachsen,aber sie bilden in ihrer heutigen Endgestalt eineEinheit. Das Ganze dieses umfangreichen Ge-schichts- und Gesetzeswerks wurde vor allemdeshalb in f�nf »B�cher« unterteilt, weil es f�reine einzige → Schriftrolle der damaligen Zeit zuumfangreich war. Bei der Unterteilung verfuhrmansosinnvollwiemçglich, sodass jedesder f�nf»B�cher« sein besonderes thematisches undtheologisches Profil erhielt. Allerdings ließ sichnicht vermeiden, dass der zusammenh�ngende

Komplex der Gottesoffenbarung am Berg Sinai,der von 2. Mose 19 bis 4.Mose 10 reicht, nun aufdrei Rollen oder »B�cher« verteilt ist.

Das Ganze der f�nf Moseb�cher nannte manauf Griechisch Pentateuch, d. h. »f�nfb�ndigesWerk« (F�nfrollenbuch), was insbesondere dieZusammensetzung des Ganzen aus f�nf Teilenbetont; imHebr�ischentr�gtesdenNamenTora,was »Gçttliches Gesetz« oder »Gçttliche Wei-sung« bedeutet und sowohl die Einheit des Gan-zen betont als auch dessen Inhalt charakterisiert.F�r das Judentum, seinen Glauben und seineLebensweise ist die Tora schlechthin grund-legend. Sie bildet den eigentlichen Kern derj�dischen heiligen Schriften (unseres »AltenTestaments«; → Kanon).

�ber den (bzw. die) Verfasser des Pentateuchswird in den f�nf B�chern selbst nichts gesagt.Seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. werden sie inj�discher und christlicher �berlieferung Mosezugeschrieben. Dagegensprichtnichtunbedingt,dass in 5. Mose 34 vom Tod Moses berichtetwird. Das kçnnte ein Nachtrag sein. Schwererwiegt die Beobachtung, dass das »F�nfbuch«starke stilistische Unterschiede und inhaltlicheUnausgeglichenheiten aufweist, wie sie beimWerk eines einzigen Autors nicht zu erwartensind. Der Pentateuch macht eher den Eindruckeiner Sammlung als den einer einheitlich kon-zipierten Niederschrift.

Schon im 18. Jahrhundert ist man darauf auf-merksam geworden, dass von 1.Mose 1 bis 2.Mo-se 18 mehrfach so genannte Dubletten zu erken-nen sind, also Stoffe oder Erz�hlungen, die anverschiedenen Stellen des Textes in �hnlicher,aber zugleich auch charakteristisch abweichen-der Fassung vorkommen (z. B. die erste und diezweite Schçpfungsgeschichte in 1Mo 1 und 1 Mo2 oder die Erz�hlung von der »Gef�hrdung derAhnfrau« in 1Mo 12,10-20 und 20,1-18 sowie26,7-11). Dar�ber hinaus entdeckte man inscheinbar einheitlichen Erz�hltexten (wie etwader Geschichte von der Sintflut in 1Mo 6 –9; vgl.die Einf�hrung in die biblische »Urgeschichte«Seite 7) Wiederholungen und Widerspr�che, diedarauf schließen lassen, dass hier �berliefe-rungen verschiedenen Ursprungs zu einem ein-zigen Erz�hlzusammenhang vereinigt wordensind, wobei innere Spannungen nicht zu vermei-den waren. Dass es sich bei den so verarbeiteten

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»Quellen« nicht um viele einzelne selbst�ndige�berlieferungsst�cke handelt, sondern um zu-sammenh�ngende grçßere literarische Werke,wird durch die Beobachtung von durchgehendwiederkehrenden charakteristischen Merkma-len nahe gelegt. Diese Merkmale sind teilsstilistischer, teils theologischer Natur. Am leich-testen greifbar ist der Unterschied der jeweilsverwendeten Gottesbezeichnungen: Der GottIsraels tr�gt, wie die Gçtter der Vçlker insge-samt, einen Eigennamen, der vermutlich Jahwegelautet hat und in Luthers Bibel�bersetzungdurch dasWort→ Herr– indieser Schreibweise–wiedergegeben wird (vgl. die Erkl�rung zu 2 Mo3,15). Daneben kennt das Hebr�ische einenBegriff, der – sinngem�ß unserem artikellosenWort »Gott« entsprechend – den einen und wah-ren Gott bezeichnet und auch als »Gott« �ber-setzt wird: Elohim. An der Sintflutgeschichte in1. Mose 6–9 z. B. l�sst sich beobachten, dass diebeiden Gottesbezeichnungen scheinbar willk�r-lich abwechseln. Nimmt man sie jedoch als An-zeichen f�r unterschiedliche Quellen, so wirderkennbar, dass mit den verschiedenen Gottes-bezeichnungen zugleich eine jeweils spezifischeSichtweise verbunden ist.

Man kann aus solchen Beobachtungen auf ei-nen Erz�hler schließen, der durchgehend denGottesnamen Jahwe gebraucht. In der alttesta-mentlichen Wissenschaft wird er deshalb derJahwist (J) genannt. Eine andere Quellenschriftverwendet diesen Gottesnamen erst vom Zeit-punkt des Auszugs aus �gypten an (vgl. 2 Mo6,2-3). Die Einf�hrung des Namens Jahwe be-zeichnet hier eine neue Stufe des Gottes-handelns, und der Name wird nach dieser Dar-stellung �berhaupt erst zu diesem Zeitpunktgeoffenbart. Bis dahin wird in dieser Quellen-schrift die Gottesbezeichnung Elohim und da-neben noch der altert�mliche Gottesname El-Schaddai (1Mo 17,1; 2Mo 6,2-3; von Luther als»der allm�chtige Gott« �bersetzt) gebraucht.Wegen ihres besonderen Interesses am Opfer-kult und an den Aufgaben der Priester nennt mandiese Quelle die Priesterschrift (P).

Neben J und P gibt es in 1. Mose und 2.Moseauch Textabschnitte, die aus inhaltlichen undstilistischen Gr�nden nicht zur Priesterschriftgez�hlt werden kçnnen, obwohl sie ebenfalls dieGottesbezeichnung Elohim gebrauchen. DieseTexte hat man als Zeugen f�r die Existenz einerweiteren Quellenschrift betrachtet, deren ange-nommener Verfasser in der Wissenschaft (analogzum »Jahwisten«) als der Elohist (E) bezeichnetwird. Wie es scheint, vermeidet E (�hnlich wie P)zun�chst konsequent den Namen Gottes, undspricht stattdessen einfach von Elohim, d. h.»Gott«. Erst in 2Mo 3,13-15, bei der Erz�hlungvon der Offenbarung des Gottesnamens, f�hrt E

durch ein Wortspiel mit dem hebr�ischen Verbhjh (»ich werde sein« = hebr. ehjeh) den NamenJahwe (hebr. jhwh) ein. Ob E von da an denNamen Jahwe verwendet (wie P von 6,2 an) odernoch weiterhin von Elohim spricht, ist unklar.Allerdings sind vom Werk des Elohisten in derheutigen Endgestalt des Pentateuchs allenfallsnoch Bruchst�cke erhalten geblieben. Da wederder Anfang des elohistischen Werkes noch eineEntwicklungslinie zu erkennen ist, bestehen be-rechtigte Zweifel, ob es sich bei E �berhaupt umeinezusammenh�ngende Quellenschrift handeltoder nicht vielmehr um eine Reihe selbst�ndigerEinzel�berlieferungen.

Eine Sonderstellung nimmt das 5. Mosebuch(auch »Deuteronomium« genannt) ein, das eineeigene, in sich geschlossene Quellenschrift dar-stellt, die als Ganzes und ungek�rzt zwischen4. Mose 36 und 5. Mose 34 eingef�gt worden ist(s. dazu die Einf�hrung zu 5.Mose).

Die Bibelwissenschaft hat seit dem 18. Jahr-hundert im Wesentlichen drei unterschiedlicheModelle entwickelt, um die Entstehung des Pen-tateuchs nachvollziehbar zu machen und seineliterarischen Besonderheiten zu erkl�ren: DieUrkundenhypothese nimmt an, dass drei oderviereigenst�ndigeGeschichtswerkeplanvollver-eint und ineinander verflochten wurden. Nachder Fragmentenhypothese wuchsen dagegenzahlreiche Einzel�berlieferungen allm�hlich zu-sammen, indem sie sich an das Deuteronomium(5. Mose) anlagerten. Die Erg�nzungshypotheseschließlich rechnet damit, dass eine planvoll auf-gebaute »elohistische Quelle« (womit hier frei-lich in erster Linie P gemeint ist) durch Texte auseiner »jahwistischen Quelle« erg�nzt wurde.

Von diesen Modellen hat insbesondere dieneuere Fassung der Urkundenhypothese seitdem Ende des 19. Jahrhunderts bis ins ausgehen-de 20. Jahrhundert die Auslegung des Penta-teuchs gepr�gt: Im Allgemeinen nahm man an,dass J um 950 v. Chr. am Hofe Salomos, E um800 im Nordreich, das Deuteronomium (D) um620 in Jerusalem (im Zusammenhang mit denReformen des Kçnigs Josia) und P um 550 imbabylonischen Exil entstand. Man rechnete da-mit, dass die (vermuteten) Quellenschriften J, E,P und D nur mit Abstrichen zu einem einzigenWerk vereinigt werden konnten. Am deutlichs-ten tritt D noch als ein urspr�nglich eigenst�n-diges Werk hervor. Von J und P ist immerhin soviel erhalten geblieben, dass der Gesamtaufrissund das theologische Profil erkennbar werden.Von E hingegen existieren bestenfalls Bruch-st�cke. Den Vorgang der Zusammenf�gungstellte man sich in drei großen redaktionellenSchritten vor. Nach dem Untergang des Nord-reiches722v. Chr.wurdenzun�chst TeileausEinJ eingearbeitet. Nach der Katastrophe von 587

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v. Chr. wurde in einem zweiten Schritt das Ge-schichtswerk JE mit dem Deuteronomium ver-bunden und in nachexilischer Zeit hat manschließlich JED noch in den Rahmen von Peingef�gt.

Dieses lange Zeit unangefochtene »klassische«Vier-Quellen-Modell wirft jedoch Fragen undProbleme auf, die in den letzten Jahrzehntenimmer deutlicher in den Vordergrund getretensind. Das Modell wurde bei der Analyse vonTexten aus 1. Mose und 2.Mose 1–18 entwickeltund hat sich in diesem Textbereich meist alsDeutungsmuster bew�hrt; von 2. Mose 19 an ver-sagt es jedoch weitgehend. Auch blieben dieTextteile, die den verschiedenen Quellenschrif-ten jeweils zugeordnet wurden, im Einzelnen oftumstritten. Die Existenz der Quelle E scheint�berhaupt fraglich und die Datierung von J in dieZeit Salomos ist aufgrund heutiger Kenntnis derSozial- und Kulturgeschichte des alten Israelkaum noch haltbar.

Neuere Ans�tze, das Werden des Pentateuchszu verstehen, kn�pfen zwar an die �lteren Ein-sichten an, rechnen aber nicht mehr mit vier festumrissenen »Quellenschriften«, sondern spre-chen vorsichtiger von drei großen Traditions-strçmen, die im Pentateuch zusammengeflos-sen sind: einem nichtpriesterlichen (entspr. JE),dem deuteronomischen und dem priesterlichen(entspr. P). Dar�ber hinaus zieht man jetzt einengrçßeren textgestaltenden Eigenbeitrag der ver-schiedenen Redaktionen mit in Betracht, w�h-rend man fr�her davon ausging, dass sie die»Quellenschriften« mehr oder weniger mecha-nisch zusammengef�gt haben.

Die nichtpriesterliche �berlieferung bestehtaus bis dahin einzeln �berlieferten Erz�hlzy-klen (Abrahamsgeschichte, Jakobsgeschichte,Josefsgeschichte, Auszug aus �gypten, Land-nahmeerz�hlungen), die im 7. Jahrhundert v.Chr. (als traditionssichernde Maßnahme nachdem Untergang des Nordreichs) in Jerusalem zueiner ersten �bergreifenden Geschichtsdarstel-lung verbunden wurden. Dieses Geschichtswerkspannt einen Bogen von Abraham �ber Jakob,Mose und Josua bis hin zur Landnahme; es um-fasst also im Wesentlichen den Stoff (aber beiweitem noch nicht den ganzen heutigen Text-bestand!) von 1. Mose 12 bis Josua 24. Die deu-teronomische �berlieferung kristallisierte sichum eine am alten Bundesbuch (2 Mo 20,22–23,33) orientierte Gesetzessammlung, die zurZeit von Kçnig Josia erweitert und in einengeschichtstheologischen Rahmen gestellt wur-de; sie umfasste im Wesentlichen den Stoff von5. Mose und Josua. Der Untergang des Kçnig-reiches Juda und die Zerstçrung des Tempelslçste in den Jahren nach 587 v. Chr. einen Pro-zess intensiven Nachdenkens �ber die Ursachen

dieser Katastrophe aus. Aus diesem Reflexions-prozess ging eine neue umfassende Darstellungund Deutung der gesamten Geschichte hervor.Daf�r wurden wieder mehrere bis dahin selb-st�ndige Quellen zusammengefasst: die �ltereFassung der Urgeschichte (1Mo 2,4b–8,22), dasvorexilische Geschichtsbuch aus dem 7. Jahr-hundert v. Chr. (1Mo 12–Jos 24; s. oben), dasalte Bundesbuch (2Mo 20,22–23,33), das Deu-teronomium (s. oben) sowie eine F�lle von Er-z�hlungen und Annalen �ber die Zeit der Rich-ter und Kçnige (Ri bis 2Kçn). Dieses weit aus-greifende exilische Geschichtswerk spannt einenBogen von der Schçpfung bis in die damaligeGegenwart; es umfasst im Wesentlichen denStoff von 1.Mose 2 bis 2.Kçnige 25. Die gesamteGeschichte wird dabei aus dem Blickwinkel derdeuteronomistischen Theologie betrachtet undunter dem Gesichtspunkt von Gehorsam oderUngehorsam gegen�ber den Geboten Gottesbeurteilt.

Fast gleichzeitig entstand unter den deportier-ten Jud�ern im babylonischen Exilum 520 v. Chr.ebenfalls eine neue, umfassende Geschichtsdar-stellung, allerdings aus der Perspektive priester-licher Theologie und somit zumindest teilweiseals ein Gegenentwurf zum deuteronomistischgepr�gten Geschichtswerk des jud�ischen Mut-terlandes. Die priesterliche Geschichtsdarstel-lung zielt darauf ab, dem Gottesvolk durch eineaktualisierende Deutung seiner Geschichte eineSinnperspektive zu vermitteln, die �ber die Ka-tastrophe des Untergangs und des Exils hinausBestand hat. Die priesterliche Geschichtsdar-stellungbeginntmitderWeltschçpfungalseinemsouver�nen gçttlichen Akt, in dem best�ndigeOrdnungen gestiftet werden (1Mo 1,1–2,4a).Ihren Hçhepunkt findet sie in der breit aus-malenden Schilderung von der Errichtung einesZeltheiligtums (der »Stiftsh�tte«) am Berg Sinaiund der Einsetzung von Opferdienst und Pries-tertum (2Mo 25 –29.35 –40). Israel ist hier nichtein Volk unter Vçlkern, sondern die GemeindeGottes, in deren Mitte Gott selber »wohnt« unddie in allen ihren Lebens�ußerungen von dieserTatsache bestimmt ist. Unklar und in der Wis-senschaft nach wie vor umstritten ist, ob dieGeschichtsdarstellung der Priesterschrift mit2. Mose 29 bzw. 2.Mose 40 endete oder ob siesichnoch in3.und4. Moseundvielleicht sogarbiszur Landnahme fortsetzte.

In einer doppelten Weise wird in der Priester-schrift der gesamte Geschichtsverlauf auf dasHandeln Gottes bezogen: durch die R�ckbin-dung an den Schçpfungsursprung und durch wei-terf�hrende gçttliche Heilssetzungen innerhalbder Geschichte. Die R�ckbindung der Geschich-te an ihren Ursprung wird erreicht durch diel�ckenlose zeitliche Einordnung aller Gescheh-

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nisse, die f�r die Priesterschrift charakteristischist. Ihr liegt nicht ein rein chronologisches Inter-esse zugrunde, sondern ein Interesse an dengçttlichen Segenskr�ften, die von der Schçpfungher (1Mo 1,28) durch die Zeit fließen.

Die Zeit ist nicht als gleichm�ßiger Ablauf ge-sehen, sondern wird gegliedert durch die gçttli-chen Setzungen. Diese verb�rgen Heil trotz dermenschlichen Schuld, die zun�chst zu dem Straf-gericht der Sintflut f�hrt. Die nachsintflutlicheMenschheit steht bei ver�nderten Lebensbedin-gungen gleichwohl unter der Friedenszusage anNoah und seine Nachkommen (Noah-Bund;1Mo 9,1-17). Aus diesen werden sp�ter die Nach-kommen Abrahams ausgesondert, denen Gotteine eigene Zusage macht, deren Zeichen die→ Beschneidung ist (Abrahams-Bund; 1Mo 17).Weitere Zeichen treten hinzu: das → Passa beimAuszug aus �gypten (2Mo 12 –13) und w�hrendder W�stenwanderung der → Sabbat, der schonin der Schçpfung begr�ndet ist (vgl. 1Mo 2,1-3mit 2Mo 16,22-30).

Sie alle verb�rgen Gottes heilschaffende Zu-wendung, die am Berg Sinai mit der Stiftung desOpfergottesdienstes ihren Hçhepunkt erreicht.Dessen Sinn ist S�hne, d. h. Abwendung desVerderbens, das als Folge menschlicher Verfeh-lungen �ber das Volk und den Einzelnen kom-men m�sste. Gott selbst gew�hrt die S�hne; siewird nicht von Menschen geschaffen (vgl. Ein-f�hrung zu 3Mo). Das Heiligtum als Mittelpunktdes Volkes und Ort der S�hne k�ndet unwider-ruflich von der Verbundenheit Gottes mit seinemVolk, die das Ende der staatlichen Existenz �ber-dauert.

Die jud�ischen Familien, die im Lauf des 5.Jahrhunderts v. Chr. aus dem Exil nach Judazur�ckkehrten, brachten die Priesterschrift mitnach Jerusalem. Neben die deuteronomistischeTheologie trat damit eine priesterliche mit vçlliganderer Ausrichtung. Im Bem�hen um einenAusgleich zwischen diesen beiden konkurrieren-

den theologischen Positionen wurden in derzweiten H�lfte des 5. Jahrhunderts das deutero-nomistisch gepr�gte exilische Geschichtswerkund das priesterliche Werk zu einer einzigenGesamtdarstellung (1Mo 1 bis 2Kçn 25) ver-bunden. Aus dieser Gesamtdarstellung wurdedann um 400 der Pentateuch als eigenst�ndigerTeil herausgelçst, den Esra schließlich dem ver-sammelten Volk feierlich als »Tora« pr�sentiertund vorliest (Neh 8,1-12).

Die verschiedenen im Pentateuch vereintenGeschichtsentw�rfe und deren wiederholte re-daktionelle Bearbeitung zeigen in eindrucks-voller Weise, wie Israel seine grundlegenden�berlieferungen im geschichtlichen Wandel alslebendiges Gotteszeugnis immer neu zum Spre-chen gebracht hat. Jede dieser charakteristi-schen »Stimmen« erschien den Sp�teren erhal-tenswert und wurde – soweit mçglich – in denGesamtzusammenhang der Moseb�cher einge-f�gt. Der Leser dieser B�cher muss nicht ver-suchen, das Ganze wieder in seine urspr�ng-lichen Bestandteile zu zerlegen; aber die hierskizzenhaft dargestellten Einsichten in die Ent-stehungsgeschichte kçnnen manche Eigent�m-lichkeiten erkl�ren und werfen auf zahlreicheTexte ein erhellendes Licht. Selbstverst�ndlichkanneinsolcheshypothetisches Modelldie langeund komplizierte Entstehungsgeschichte desPentateuchs nicht bis in alle Einzelheiten hineinkl�ren; vieles wird wohl f�r immer im Dunkelnbleiben. Außerdem gibt es neben dem hier dar-gestellten Modell auch andere Vorschl�ge undVersuche, das literarische Wachstum der Mose-b�cher zu beschreiben. Das hier vorgestellteModell hat jedoch den Vorzug, dass es einerseitsan die »klassische« Urkundenhypothese an-kn�pft und deren zutreffende Erkenntnisse auf-nimmt, diese jedoch andererseits mit neuerenEinsichten verbindet und so eine Gesamtsichtentwirft, die sich derzeit als Orientierungshilfeam besten bew�hrt.

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DAS ERSTE BUCH MOSE (GENESIS)

Einf�hrung

Das 1.Buch Mose tr�gt in der griechischen undlateinischen �bersetzung den Namen Genesis(Entstehung, Ursprung). Als Buch der Urspr�n-ge handelt es von einem doppelten Anfang:dem der gegenw�rtigen Welt und dem des VolkesIsrael. Beide, die Welt wie das Volk, entspringenin gleicher Weise dem lebenschaffenden Schçp-ferhandeln Gottes.

F�r die Welt wird dies in dem großartigen»Schçpfungsbericht« klargestellt, mit dem daserste Buch der Bibel beginnt (1,1 –2,4a). F�r dasVolkIsraelwird esanschaulichan derGeschichtedes kinderlosen Paares Abraham und Sara, ausdenen Gott nach seiner Verheißung ein großesVolk machen will. Zum Zeichen, dass sich dieses

Volk allein der gçttlichen Schçpferkraft ver-dankt, bekommen die beiden gegen alle nat�r-liche Erwartung erst im hçchsten Alter den ers-ten und einzigen Sohn.

Das Buch gliedert sich in drei Hauptteile:

Erschaffung der Welt und Urgeschichteder Menschheit 1–11

Geschichte der V�ter Israels vonAbraham bis Jakob 12 –36

Geschichte Josefs und seiner Br�der 37 –50

Zu jedem dieser Teile gibt es eine eigene Ein-f�hrung. �ber Entstehung und Quellen vgl. dieEinf�hrung in die Moseb�cher (S. 3– 6).

Schçpfung und Urgeschichte (Kapitel 1–11)

Obwohl die Bibel in ihrem ersten Teil, dem»AltenTestament«,nurvonderGeschichteeineseinzelnen, kleinen Volkes handelt, beginnt siemit der Erschaffung der Welt und mit einer »Ur-geschichte«, die alle Vçlker betrifft. Damit stelltsie die Geschichte dieses Volkes in einen gesamt-menschheitlichen Rahmen und macht deutlich,dass das, was hier geschieht, f�r alle Menschenvon Bedeutung ist. Diese universale Sicht istnicht selbstverst�ndlich, und auch in Israel hatsie sich erst nach und nach herausgebildet. DieGeschichte des Volkes Israel beginnt mit derBefreiung aus �gypten und der Errettung amSchilfmeer (2 Mo 1–15). Sein Urbekenntnis istdemgem�ß nicht das Bekenntnis zu Gott als demSchçpfer der Welt, sondern zu Gott als demRetter,derseinVolkvordemUntergangbewahrtund in das Land gebracht hat, in dem »Milch undHonig fließt« (2Mo 3,8). Alles andere ist von hieraus gesehen Vorgeschichte: zuerst die reich ge-gliederte Geschichte der »V�ter«, in der sich dienomadische Herkunft der St�mme Israels spie-gelt, und – ihr noch vorausgehend – die Urge-schichte der Menschheit, als deren Glied sichIsrael in staatlicher Zeit, ein Volk unter Vçlkern,zu begreifen beginnt.

Aus diesem Entstehungsprozess heraus ist es zuverstehen, dass hier nicht einfach uralte, seitUrzeiten feststehende Kunde �berliefert wird,sondern – unter Aufnahme von �berlieferungen

der unterschiedlichsten Art: Stammb�umen,Listen, Spr�chen, Sagen – ein Bild der Urzeitentworfen wird, das ohne Anspruch auf buch-st�bliche »Richtigkeit«, aus einem Grundver-st�ndnis von Gott und Mensch heraus, die Vo-raussetzungen aller Geschichte aufdeckt.

Bei n�herem Zusehen zeigt sich, dass wir in denersten elf Kapiteln des 1. Mosebuches nicht eineeinheitliche »Urgeschichte«, sondern gleich zweiurgeschichtliche Darstellungen der gekenn-zeichneten Art vor uns haben. So wird jedemaufmerksamen Leser auffallen, dass von 2,4bab die Schçpfung noch einmal in abweichenderFormundReihenfolgegeschildertwird,undauchweiterhin werden ihm immer wieder Doppelun-gen und »Widerspr�che« begegnen (so etwa inden Geschlechterreihen 4,17-26/5,1-32 oder10,21-31/11,10-26). Die Verheißung am Ende derSintflut wird zweifach erz�hlt (8,20-22/9,1-17),und aufgrund bestimmter Anzeichen l�sst sicherschließen, dassauch Ank�ndigungund Verlaufder Flut in zwei selbst�ndigen, zu einem einzigenBericht verwobenen Fassungen vorliegen.

Der »Redaktor«, der die beiden urgeschicht-lichen Darstellungen in dieser Weise zu einerspannungsvollen Einheit verbunden hat, waroffenbar nicht der Meinung, dass die eine Dar-stellung »richtiger« sei als die andere; er hat auchnichtdenVersuchgemacht,sichaus jederdas ihm»richtig« Erscheinende auszuw�hlen. Er l�sst sie

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ruhig nebeneinander gelten. W�hrend wir mei-nen,eskçnnedochnursooderso»gewesensein«,sieht er in den beiden Stimmen Bezeugungeneiner Wahrheit, der man mit dem Entweder-odervon richtig und falsch nicht gerecht werden kann.Die Wahrheit �ber die Schçpfung und den Men-schen – sie kann von uns nur in Ann�herungenerfasst werden, und die Form, in der das Zeugnisdavon in der Bibel vorliegt, l�sst klar erkennen,dass es nicht der Wille Gottes war, uns hier einebuchst�blich zu nehmende Schilderung seinesSchçpferhandelns und seiner Geschichte mitden Menschen zu �bergeben.

Man wird nun aber auch nicht sagen kçnnen,dass die beiden Darstellungen darauf angelegtsind, einander zu »erg�nzen«. Das h�ngt damitzusammen, dass jede dieser Darstellungen ihrenganz bestimmten geschichtlichen Ort hat. DasZeugnis vom Urgeschehen wird nicht als all-gemeine Wahrheit vorgetragen, sondern wendetsich an die jeweiligen Zeitgenossen; es bleibtbezogen auf ihren Erfahrungshorizont und ant-wortet auf ihre besonderen Fragen. Das heißtnicht, dass dieses Zeugnis f�r sp�tere Zeitenkeine Bedeutung mehr h�tte; aber um dieseBedeutung zu erfassen, muss man die Situationber�cksichtigen, in der die betreffenden Aus-sagen urspr�nglich gemacht worden sind. Dasgilt insbesondere f�r die weltbildlichen Vorstel-lungen, die dazu dienen, das Zeugnis von Gott alsdem Schçpfer der Welt und des Menschen zumAusdruck zu bringen. Sie spiegeln ganz offen-kundig den historisch bedingten Wissensstandeiner bestimmten Menschheitsepoche. Deshalbist es notwendig, das bleibend g�ltige Glaubens-zeugnis von seiner zeitbedingten Ausdrucks-weise zu unterscheiden. Das setzt voraus, dasszun�chst einmal die Aussageabsicht der bib-lischen Zeugnisse so klar wie mçglich erfasstwird. Dazu verhilft u. a. der Vergleich mit urge-schichtlichen Schilderungen aus der biblischenUmwelt (Kanaan, Babylonien, �gypten), mitdenen sich die biblischen Darstellungen oft sehrweitgehend ber�hren, von denen sie sich aberauch wieder charakteristisch abheben.

In ihrem eigenst�ndigen »Profil« am leichtes-ten zu fassen ist die j�ngere der beiden urge-schichtlichen Darstellungen, die der so ge-nannten »Priesterschrift« zugewiesen wird (s.Einf�hrungzudenMoseb�chernS. 4).DerganzeZeitraum der Urgeschichte wird hier durch Ab-stammungsreihen der Urv�ter umfasst und ge-gliedert, in monotoner Aufz�hlung der Lebens-daten (5,1-31; 11,10-26), und auch die Verzwei-gung der Vçlker nach der Sintflut wird in Formeiner Vçlkerliste dargestellt (Kap. 10 unter Ab-zug der Einsch�be V.8-19.24-30, die aus demParallelbericht stammen). Davon heben sich diebeiden erz�hlerischen Einheiten deutlich ab:

Schçpfung (1,1– 2,4a) und Sintflut (6,9 –9,17 mitEinsprengseln aus dem Parallelbericht u. a. in7,1-9; 8,6-12.20-22).

Auch in diesen Erz�hlungen findet sich dielistenm�ßige Aufz�hlung als charakteristi-sches Stilmerkmal (1,11-12.21.24-25.28-29; 6,20;7,14.21.23; 8,16-19; 9,2.10), und der Aufbau desSchçpfungsberichts l�sst in seiner systemati-schen Gliederung, in der geordneten Auflistungder Schçpfungswerke, dasselbe Interesse erken-nen. Dem Verfasser geht es nicht nur darum zuzeigen, dass die Natur in ihrem gesamten Um-fang Gottes Schçpfungswerk ist; er will zugleichauf die Ordnung hinweisen, die Gott in seineSchçpfung hineingelegt hat – eine Ordnung, oh-ne die kein Leben mçglich ist und die eine we-sentliche Voraussetzung darstellt f�r das Urteil:»Es war alles sehr gut« (1,31).

Niedergeschrieben wurde dieser Schçpfungs-bericht mit großer Wahrscheinlichkeit in der Zeitdes Babylonischen → Exils, als die Verbanntensich nach der nationalen Katastrophe auf dieGrundlagen ihres Glaubens besannen. Ausdieser Niederschrift spricht die unersch�tter-liche Glaubens�berzeugung: Der Gott dieseskleinen, geschlagenen Volkes ist der Schçpferund Herr der Welt! In den sumerisch-babylo-nischen Schçpfungsmythen handeln die Gçtterwillk�rlich und triebhaft; sie erschaffen denMenschen als einen Sklaven, der ihnen Diensteleistet und sie mit Opferspeise versorgt. Dem-gegen�ber sieht der biblische Bericht die Schçp-fung als Werk des einen souver�nen Gottes, derkeine anderen Gçtter neben sich hat. Er schafftdie Welt als sinnvolle Ordnung durch sein Be-fehlswort (s. Erkl�rung nach 1,2) und bestimmtden Menschen zu seinem Gegen�ber, ja zu sei-nem verantwortlichen Stellvertreter (1,27-28).Auch der Bericht �ber die Sintflut zielt hier aufdie lebenerhaltende Ordnung (9,1-17; vgl. be-sonders V.5-6).

Die �ltere Fassung der Urgeschichte stammtaus vorexilischer Zeit und wird nach der »klas-sischen« Vorstellung von den Quellenschriftendes Pentateuchs dem so genannten Jahwistenzugeschrieben (s. Einf�hrung S. 4); sie bestehtaus einer Kette von Erz�hlungen, die vom Wesendes Menschen, seinen Grenzen und ihrer schuld-haften �berschreitung, aber auch von der unver-br�chlichen Treue Gottes zu seinem Geschçpfsprechen. Sie tun es in einer oftmals sehr »naiv«erscheinenden Form, die dem M�rchen nahesteht, aber wie dieses grundlegende Wahrheitenausspricht. Der Bericht �ber die Erschaffung desMenschen und seiner vertrauten Umwelt – gese-hen aus der begrenzten Perspektive des pal�sti-nischen Bauern – ist hier nur die Einleitung zurGeschichte vomParadiesundvondessenVerlust,in welcher der Riss sichtbar wird, der die gegen-

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w�rtige Welt von der urspr�nglichen Schçpfungtrennt (Kap. 2–3). Die Auflehnung des Ge-schçpfs gegen den Schçpfer bestimmt auch diefolgenden Stationen dieser Urgeschichte, vomBrudermord Kains (4,1-16) bis zum himmelst�r-menden Turmbau (11,1-9). Hier wird nicht nurvon einmaligen Ereignissen der Vorzeit berich-tet, sondern zugleich von Versuchungen, welchedie Menschheit st�ndig begleiten.

Wirklich einmalig ist allein die große Flut, dieauch in dieser Fassung der Urgeschichte einezentrale Stellung einnimmt und von der aus-dr�cklich gesagt wird, dass sie sich nicht wieder-holen soll. Das gilt, obwohl der Anlass, die Ver-derbtheit der Menschen, nach wie vor besteht

und weiterhin bestehen wird (8,20-22). Dies istdie Botschaft dieser Urgeschichte, die ein sodeutlichesBewusstsein davon bekundet, dassderMensch f�r sich selbst die grçßte Gefahr dar-stellt: Gott steht zu seinen Geschçpfen, trotzihrer Auflehnung; er weist sie in ihre Grenzen(3,22; 6,3; 11,6-7), aber er schenkt ihnen dasverwirkte Leben und bleibt ihnen als liebenderVater zugewandt (beispielhaft 3,21). Gerade weildie Darstellung sich mit Kap. 12 ganz der spe-ziellenGeschichteGottesmitIsraelzuwendet, istes von hçchster Bedeutung, dass der universale,die ganze Menschheit umspannende gçttlicheHeilswille am Anfang der Bibel so deutlich aus-gesprochen ist.

Die Schçpfung(vgl. Kap. 2,4-25; Ps 104,1-35)

1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.2 Und die Erde war w�st und leer, und es war

finster auf der Tiefe; und der Geist Gottesschwebte auf dem Wasser.

Der erste Satz der Bibel formuliert ein Grund-bekenntnis des Glaubens: Alles, was es gibt (Himmelund Erde), kommt von Gott. Es verdankt seinDasein nicht dem Zufall oder dem Wirken rein na-t�rlicher Ursachen. Am Anfang aller Dinge stehtGottes Schçpferhandeln. Das hebr�ische Wort, dasmit schuf wiedergegeben ist, bezeichnet nicht dasHerstellen von etwas aus etwas, sondern das souve-r�ne Hervorrufen »aus dem Nichts«. Dem entsprichtes, wenn im folgenden Bericht jedes neue Schçpfungs-werk eingeleitet wird durch das wirkensm�chtige Be-fehlswort des Schçpfers (Und Gott sprach; vgl. Ps33,6.9; Rçm 4,17). Der Anfang des Johannes-Evan-geliums weist darauf hin, dass dieses Wort als Lebens-und Heilsmacht in allem Geschaffenen lebt und inJesus Christus als das »Wort« in Person hervortritt(Joh 1,1-14).

Die Schçpfung beginnt nach V.2 mit einem unge-formten, unheimlichen Urzustand (w�st und leer he-br�isch: tohuwabohu). Darin klingen Vorstellungennach, die im Alten Orient verbreitet waren: AmAnfangsteht das Chaos, ein Zustand ohne Leben und Lebens-mçglichkeit, die Erde bedeckt von Finsternis undWasserfluten (das ist mit Tiefe gemeint). Die grund-legenden Schçpfungstaten werden hier als Grenz-setzung und Scheidung, als Stiftung einer Leben er-mçglichenden Ordnung verstanden (diese Perspektivebeherrscht die Schilderung bis V.10). – Das hebr�ischeWort f�r → Geist bedeutet zugleich Atem, Wind. Derlebendige und Leben schaffende Atem Gottes ist �berdem ruhenden oder aufgew�hlten Wasser »in Bewe-gung« (das mit schwebte �bersetzte Wort bedeuteteigentlich »bewegte sich«).

3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wardLicht. 4 Und Gott sah, dass das Licht gut war. Daschied Gott das Licht von der Finsternis 5 undnannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.

Licht ist die grundlegende Voraussetzung f�r allesLeben; deshalb tritt es hier noch vor und unabh�ngigvon der Sonne (V. 16) auf. F�r den hebr�ischen Men-schen ist es die Lebensmacht schlechthin (Hiob 33,28;Ps 27,1; 36,10; Jes 9,1). Der Ruf des Schçpfers gibt demLicht das �bergewicht �ber die Finsternis, die nichteigens erschaffen wird (vgl. aber Jes 45,7).

6 Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischenden Wassern, die da scheide zwischen den Was-sern. 7 Da machte Gott die Feste und schied dasWasser unter der Feste von dem Wasser �ber derFeste. Und es geschah so. 8 Und Gott nannte dieFeste Himmel. Da ward aus Abend und Morgender zweite Tag.

In der unmittelbaren Wahrnehmung erscheint derblaue Himmel als eine Art Gewçlbe (→ Feste). Nachdem altorientalischen Weltbild befinden sich dar�berdie Wasservorr�te, von denen die Regenwolken ge-speist werden (7,11; Mal 3,10; vgl. Ps 104,3).

9 Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasserunter dem Himmel an besondere Orte, dass mandas Trockene sehe. Und es geschah so. 10 UndGott nannte das Trockene Erde, und die Samm-lung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah,dass es gut war.

11 Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehenGras und Kraut, das Samen bringe, und frucht-bare B�ume auf Erden, die ein jeder nach seinerArt Fr�chte tragen, in denen ihr Same ist. Und esgeschah so. 12 Und die Erde ließ aufgehen Grasund Kraut, das Samen bringt, ein jedes nachseiner Art, und B�ume, die da Fr�chte tragen,in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art.Und Gott sah, dass es gut war. 13 Da ward ausAbend und Morgen der dritte Tag.

Schritt f�r Schritt wird die chaotische, lebensfeindlicheUrflut (V.2) zur�ckgedr�ngt, um den LebensraumErde freizugeben. Bemerkenswert ist, dass Gott diePflanzenwelt nicht unmittelbar erschafft, sondern dieErde als Mittlerin beauftragt. Darin spiegelt sich die

1. mose 1 9

1,1–2,4a (Schçpfung) Hiob 38– 39; Ps 8; 104; Sir 16,25– 17,8; 42,15 –43,37 1,1 Ps 90,2; Offb 4,11 1,3 Hebr 11,31,7 Ps 19,2; 136,6; 148,4

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Tatsache, dass der Hebr�er die Pflanzen als unbeseelteWesen (→ Seele) zur Ausstattung des LebensraumsErde rechnet und nicht mit den Tieren unter denBegriff »Leben« zusammenfasst.

Die bisherigen Schçpfungswerke gelten der Bereit-stellung der Lebensr�ume: Erde, Wasser, Luft. MitV. 14 beginnt die Erschaffung der Lebewesen, derenErkennungszeichen die F�higkeit der Bewegung ist.Auch die Himmelskçrper sind nach der Anschauungdes Altertums lebendige Wesen (vgl. 1 Kor 15,39-40).

14 Und Gott sprach: Es werden Lichter an derFeste des Himmels, die da scheiden Tag undNacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage undJahre 15 und seien Lichter an der Feste des Him-mels, dass sie scheinen auf die Erde. Und esgeschah so. 16 Und Gott machte zwei große Lich-ter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und einkleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auchdie Sterne. 17 Und Gott setzte sie an die Feste desHimmels, dass sie schienen auf die Erde 18 undden Tag und die Nacht regierten und schiedenLicht und Finsternis. Und Gott sah, dass es gutwar. 19 Daward aus Abend und Morgen der vierteTag.

F�r die Nachbarvçlker Israels waren die Gestirne nichtnur Lebewesen, sondern sogar gçttliche Wesen, die dasmenschliche Schicksal bestimmen. Hier sind sie ledig-lich Regenten von Nacht und Tag, ja sie werden alsLampen (Lichter) angesprochen und damit bewusstdegradiert.

20 Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser vonlebendigem Getier, und Vçgel sollen fliegen aufErden unter der Feste des Himmels. 21 Und Gottschuf große Walfische und alles Getier, das dalebt und webt, davon das Wasser wimmelt, einjedesnachseinerArt,undallegefiedertenVçgel,einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah, dasses gut war. 22 Und Gott segnete sie und sprach:Seid fruchtbar und mehret euch und erf�llet dasWasser im Meer, und die Vçgel sollen sich meh-ren auf Erden. 23 Daward aus Abend und Morgender f�nfte Tag.

Die Tierwelt ist nach den Lebensr�umen gegliedert:Wasser, Luft, Erde (V.24). Wie bei den Pflanzen(V. 11-12) ist f�r den Fortbestand des Lebens in derVielfalt seiner Arten gesorgt; aber bei Tier und Mensch(V. 28) ist die schçpferische Kraft der Fortpflanzungden Geschçpfen selbst �bergeben, die im Auftrag desSchçpfers Wasser und Land erf�llen sollen. Weil siedabei nicht die eigene, sondern Gottes Schçpferkraftweitergeben, hat der Auftrag zugleich die Bedeutungeines Segens, den Gott auf seine Geschçpfe legt (zusegnen als Kraft�bertragung → Segen). – Die großenMeerestiere (Walfische) werden besonders hervor-gehoben. An anderer Stelle werden sie als dem Ur-chaos nahe stehend empfunden (→ Leviatan); hierdagegen sind sie �hnlich wie die Gestirne gewçhnliche,wenn auch durch ihre Grçße staunenswerte Geschçpfe(vgl. Ps 104,26).

24 Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor le-bendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh,Gew�rm und Tiere des Feldes, ein jedes nachseiner Art. Und es geschah so. 25 Und Gott mach-te die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art,und das Vieh nach seiner Art und alles Gew�rmdes Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah,dass es gut war.

DieLandtierewerdengegliedert indiegez�hmtenTiere(Herdentiere = Vieh), die wild lebenden Tiere des Feldes(d. h. der Steppe) und alles, was sich am Boden fort-bewegt, vom K�fer bis zur Schlange (Gew�rm).

26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen ma-chen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen�berdieFische imMeerund�berdieVçgelunterdem Himmel und �ber das Vieh und �ber alleTiere des Feldes und �ber alles Gew�rm, das aufErden kriecht.� 27 Und Gott schuf den Menschenzu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn;und schuf sie als Mann und Frau. 28 Und Gottsegnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbarund mehret euch und f�llet die Erde und machetsie euch untertan und herrschet �ber die Fischeim Meer und �ber die Vçgel unter dem Himmelund �ber das Vieh und �ber alles Getier, das aufErden kriecht.� 29 Und Gott sprach: Sehet da, ichhabe euch gegeben alle Pflanzen, die Samenbringen, auf der ganzen Erde, und alle B�umemit Fr�chten, die Samen bringen, zu eurerSpeise. 30Aber allen Tieren auf Erden und allenVçgeln unter dem Himmel und allem Gew�rm,das auf Erden lebt, habe ich alles gr�ne Kraut zurNahrung gegeben. Und es geschah so.

Trotz der Hervorbringung am selben »Schçpfungstag«wird der Mensch deutlich von der Tierwelt abgehobenund dem Schçpfer in besonderer Weise zugeordnet.Seiner Erschaffung geht eigens eine Selbstaufforde-rung des Schçpfers voraus (die Mehrzahl Lasset uns istein »Majest�tsplural« und verweist hier wahrscheinlichnicht auf mithelfende Engel; vgl. dagegen die Erkl�-rung zu 3,22).

Gottes Bild ist der Mensch nicht durch irgendwelche�ußeren Merkmale, die ihn von den Tieren unterschei-den, auch nicht durch eine Anlage zur Unsterblichkeit(wie es Weish 2,23 deutet). Er ist es durch die Freiheitund Selbstverantwortlichkeit, mit der er Gott gegen-�bersteht als der von ihm Angeredete, als das Wesen,das ihm mit seinem ganzen Sein »antworten« kann.Das hebr�ische Wort, das mit Bild wiedergegeben wird,bezeichnet eigentlich das Standbild, die Gçtterstatue.So wie das Bild eines Gottes oder auch Herrschers denAbgebildeten vertritt, so steht der Mensch als Gottes»Stellvertreter« inmitten der Schçpfung. Seine Herr-schaft �ber die Erde und die Tierwelt zielt nicht aufUnterdr�ckung und Ausbeutung, sondern hat ihr Maßam altorientalischen Idealbild des Herrschers, von demdas Wohl seiner Untertanen abh�ngt. (Kçnige undf�hrende M�nner werden »Hirten« ihrer Vçlker ge-nannt: Jer 6,3; 25,34-37; Sach 11,16-17; was man voneinem Hirten erwarten darf, sagen Ps 23; Hes 34; 1Sam17,34-35.) – Bedeutsam ist, dass als Bild Gottes nicht

1. mose 110

1,14 5Mo 4,19; Ps 74,16 1,16 Ps 136,7-9 1,21 Ps 148,7 1,26 Ps 8,6-9; Kol 3,9-10; Jak 3,9 1,27 9,6; Mt 19,41,28 Weish 9,2 1,29-30 Ps 145,16

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etwa allein der Mann oder allgemein der Menschangesprochen wird, sondern betont Mann und Frau.Nur in dieser Zwei-Einheit ist der Mensch das ganzeEbenbild Gottes, und nur so wird er seinem Auftragals Sachwalter Gottes in der Schçpfung wirklich ge-recht. In einem letzten und umfassenden Sinne GottesEbenbild ist Christus, in dem sich Gottes Wesen voll-kommen ausgepr�gt und offenbart (2Kor 4,4; Kol 1,15;Hebr 1,3).

V. 29-30: Das Tçten und Verzehren lebender Wesenliegt nach dem Schçpfungsbekenntnis der priester-lichen �berlieferung (s. Einf�hrung S. 5) nicht in Got-tes urspr�nglicher Schçpferabsicht; es ist nach 9,2-3erst ein Zugest�ndnis an die verrohende Menschheit.

31 Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, undsiehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend undMorgen der sechste Tag.

2 So wurden vollendet Himmel und Erde mitihrem ganzen Heer. 2 Und so vollendete Gott

am siebenten Tage seine Werke, die er machte,und ruhte am siebenten Tage von allen seinenWerken, die er gemacht hatte. 3 Und Gott seg-nete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil eran ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gottgeschaffen und gemacht hatte.

4 So sind Himmel und Erde geworden, als siegeschaffen wurden.

Die Ruhe Gottes zeigt an, dass sein Schçpfungswerkvollendet, d. h. abgeschlossen ist. Alle Voraussetzungensind gegeben, dass nun die Schçpfung aus sich, n�mlichaus der in sie gelegten Lebens- und Segenskraft be-stehen kann. Aber Gottes Ruhen f�gt zugleich zurvollendeten Schçpfung etwas Bedeutsames hinzu:die Gabe der Ruhe f�r die Geschçpfe, die im wçchent-lichen Ruhetag ihren Ausdruck findet. Gott heiligt densiebten Tag, d. h., er erkl�rt ihn zu seinem eigenen, ihmvorbehaltenen Tag; und er segnet ihn, d. h., er legt aufdie Heiligung dieses Tages durch Arbeitsruhe undgottesdienstliche Feier seinen besonderen Segen(→ Sabbat). Die Verteilung der – insgesamt acht –Schçpfungswerke auf sechs »Tage« weist in bildhafterForm darauf hin, dass der Ruhetag in der Schçpfungs-ordnung selbst begr�ndet ist.

Das Paradies

Es war zu der Zeit, da Gott der Herr Erde undHimmel machte. 5 Und alle die Str�ucher aufdem Felde waren noch nicht auf Erden, und alldas Kraut auf dem Felde war noch nicht gewach-sen; denn Gott der Herr hatte noch nicht regnenlassen auf Erden, und kein Mensch war da, derdas Land bebaute; 6 aber ein Nebel stieg auf vonder Erde und feuchtete alles Land. 7 Da machteGott der Herr den Menschen aus Erde vomAcker und blies ihm den Odem des Lebens inseine Nase. Und so ward der Mensch ein leben-diges Wesen.

Die Erschaffung von Mensch und Tier wird in Kap. 2 ineiner gegen�ber Kap. 1 selbst�ndigen, urt�mlicherenWeise erz�hlt. Dort werden die Lebensr�ume undLebewesen als Glieder einer »Himmel und Erde« (1,1)

umfassenden Ordnung gesehen, in dereines das anderenicht nur erg�nzt, sondern auch voraussetzt. Hier nunist alles auf den Menschen bezogen, der in einer be-grenzten Umwelt lebt und dazu bestimmt ist, als Bauerdas Land zu bestellen. Der Gottesname → Herr ver-weist darauf, dass hier ein anderer Erz�hleram Werk istals in Kap. 1 (vgl. Einf�hrung zu den Moseb�chern S. 4;nur in Kap. 2– 3 begegnet die Verbindung Gott derHerr , wçrtlich »Jahwe Gott«).

Die Schilderung in V. 7 ist bildhaft zu verstehen. Daszeigt sich ganz deutlich daran, dass Gott den Menschenaus »Staub« (so genauer statt Erde) formt, einem ganzungeeigneten Material, das an die Verg�nglichkeit desMenschen erinnert (vgl. 3,19; dasselbe hebr�ischeWort!). Es soll unmissverst�ndlich deutlich werden:Der Mensch hat sein Leben nicht aus sich und auchnicht aus den Kr�ften der Natur, sondern aus demgeliehenen und wieder zur�ckgeforderten Lebens-hauch seines Schçpfers (Ps 104,29). Odem bezeichnetden Atem als Lebenskraft; zum biblischen Menschen-bild vgl. Sacherkl�rung Seele (mit »Seele« wird sonst inder Regel das hier mit Wesen �bersetzte hebr�ischeWort wiedergegeben).

V.6: Die Bew�sserung bereitet die k�nftige Vegeta-tion vor. Das mit Nebel �bersetzte Wort meint wahr-scheinlich das Grundwasser, das in der Erde aufsteigt.

8 Und Gott der Herr pflanzte einen Garten inEden gegen Osten hin und setzte den Menschenhinein, den er gemacht hatte. 9 Und Gott derHerr ließ aufwachsen aus der Erde allerlei B�u-me, verlockend anzusehen und gut zu essen, undden Baum des Lebens mitten im Garten und denBaum der Erkenntnis des Guten und Bçsen.

Eden ist in V. 8 Name einer Landschaft gegen Osten hin,an sp�teren Stellen der Name des Gartens selbst (V.15;3,23; vgl. Hes 28,13). Im Hebr�ischen ist → Eden gleichlautend mit dem Wort f�r »Wonne«. Zum Baum derErkenntnis s. Erkl�rung nach V.17.

10 Und es ging aus von Eden ein Strom, denGarten zu bew�ssern, und teilte sich von da invier Hauptarme. 11 Der erste heißt Pischon, derfließt um das ganze Land Hawila und dort findetman Gold; 12 und das Golddes Landes ist kostbar.Auch findet man da Bedolachharz und den Edel-stein Schoham. 13 Der zweite Strom heißt Gihon,der fließt um das ganze Land Kusch. 14 Der dritteStrom heißt Tigris, der fließt çstlich von Assy-rien. Der vierte Strom ist der Euphrat.

Ein St�ck antike Geographie unterbricht den Zusam-menhang der Erz�hlung. Die beiden ersten Strçmesind nicht sicher zu bestimmen; Hawila ist wohl inArabien zu suchen; Kusch = Nubien/�thiopien. Ge-meint ist: Aus dem Lebensstrom, der das Paradiesdurchfließt, kommen die vier Hauptstrçme, die derErde Fruchtbarkeit bringen. Die Vierzahl entsprichtden vier Himmelsrichtungen und bringt das Welt-umspannende zum Ausdruck (vgl. Sach 6,1-7).

15 Und Gott der Herr nahm den Menschen undsetzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn be-baute und bewahrte. 16 Und Gott der Herr gebotdem Menschen und sprach: Du darfst essen von

1. mose 1.2 11

1,31 1Tim 4,4 2,2-3 2Mo 20,8-11; 31,16-17; Hebr 4,4.9-10 2,7 Hiob 10,9; 33,4; 34,14-15; Pred 12,7;1Kor 15,45-49 2,9 3,22; Offb 2,7; 22,2.14 2,10 Hes 47,1-12

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Die Apokryphen

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DIE APOKRYPHEN

Einf�hrung

»Das sind B�cher, so der Heiligen Schrift nichtgleich gehalten und doch n�tzlich und gut zulesen sind.« Mit diesen Worten kennzeichneteD. Martin Luther eine Reihe von Schriften, dieim Inhaltsverzeichnis seiner Bibel zwar genannt,aber im Druck deutlich abgesetzt und nicht mit-gez�hlt wurden. Sie kommen in der griechischenund lateinischen �bersetzung der Bibel vor, sindjedoch in der Sammlung der hebr�ischen Schrif-ten des Alten Testaments nicht enthalten. Des-halb werden sie von den reformierten Kirchennicht als biblisch im Vollsinn anerkannt, w�hrenddie katholische Kirche sie im Konzil von Trient(1546) als vollwertige B�cher der HeiligenSchrift aufz�hlt.

Der Grund f�r den grçßeren Umfang der grie-chischen und lateinischen Bibel�bersetzungenist darin zu suchen, dass beim offiziellen Ab-schluss der hebr�ischen Schriftensammlung (um100 n. Chr.) im griechisch sprechenden Juden-tum und im jungen Christentum noch weitereB�cher als heilige Schriften in Gebrauch waren.F�r diese B�cher hat sich der Name Apokry-phen, d. h. verborgene, von der çffentlichenVerbreitung ausgeschlossene Schriften, einge-b�rgert. Außer den in unsrer Ausgabe enthalte-nen Apokryphen gibt es noch das 3. und 4. BuchEsra sowie das 3. Makkab�erbuch, die Lutheraber nicht aufnahm, sondern die erst nach sei-nem Tod eine Zeit lang in einige Ausgaben derLutherbibel Eingang fanden.

Weil die apokryphen B�cher nicht in einemeinzigen »offiziellen« hebr�ischen Text vorlie-gen, sondern in verschiedenen griechischen undlateinischen �bersetzungen, und weil auch nicht

alle von Luther selbst ins Deutsche �bertragenwurden, sondern zum Teil von seinen Mitarbei-tern, konnte hier die Revision nicht, wie im Altenund Neuen Testament, von einem allgemeinanerkannten Grundtext ausgehen. Darum stellteder Rat der Evangelischen Kirche in Deutsch-land in seinem Arbeitsauftrag fest, es sollte beider jeweiligen Textgrundlage Luthers (oder sei-nerMit�bersetzer)geblieben werden, auchwenndiese »zwischen Septuaginta, Septuaginta-Ver-sionen, Vulgata u. a. wechselt«.

Dies hat dazu gef�hrt, dass jetzt manchmal dielateinische, manchmal die griechische und gele-gentlich auch die bruchst�ckhaft erhaltene he-br�ische Vorlage der �bersetzung ins Deutschezugrunde liegt. Das erkl�rt auch, warum dieserText zum Teil von anderen �bersetzungen,z. B. auch katholischen oder çkumenischen, be-tr�chtlich abweicht und warum die bisherigeVersz�hlung der Lutherbibel beibehalten wer-den musste.

Die Apokryphen vermitteln einen Einblick indie geistige und religiçse Lage des Judentumskurz vor den Ereignissen, die uns die Evangelienschildern. Sie bilden dadurch zu einem Teil eineVerbindung zwischen den »kanonischen« B�-chern des Alten und des Neuen Testaments.Die besonders zahlreich angegebenen Verweis-stellen wollen den Leser darauf aufmerksammachen,woAussagenderApokryphenentwederauf die Verk�ndigung des Alten Testaments zu-r�ckgehen oder auf die des Neuen Testamentsvorausdeuten oder sich von diesen in auff�lligerWeise unterscheiden.

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DAS BUCH JUDIT

Einf�hrung

Das Buch Judit erz�hlt in seinen zwei Teilen(Kap. 1–7 und 8–16) von der Rettung Israels vorNebukadnezar, der hier als »Kçnig von Assy-rien« mit der Hauptstadt Ninive (statt historischkorrekt als Kçnig von Babylonien mit Haupt-stadtBabylon) bezeichnet wird. Dieser Umstandund noch weitere ›Ungereimtheiten‹ geben man-cherlei Fragen auf, die im Anschluss an die In-halts�bersicht erçrtert werden.

Nebukadnezar hatte – so wird erz�hlt – imOsten den Mederkçnig Arphaxad besiegt undschickt nun von seiner Hauptstadt Ninive ausseinen General Holofernes mit einem riesigenHeer nach Westen, um auch dort alle Vçlker zuunterwerfen. Er erstrebt die Weltherrschaft, undzwar mit dem vermessenen Anspruch, sich selbstals den einzigen »Gott der Welt« zu etablierenund seine Herrschaft als Gottesherrschaft �berdie ganze Welt aufzurichten. Seinem GeneralHolofernes gibt er den Befehl, »alle Gçtterbilder. . . zu entfernen, damit er allein als Gott geprie-sen werde« (3,11).

Die Unterwerfung des Westens beginnt: Volkum Volk, Stadt um Stadt ergeben sich freiwilligoder werden erobert. Alle Heiligt�mer werdenzerstçrt. Als Holofernes sich aber dann demmittelpal�stinischen Bergland zuwendet, aufdem Israel mit seinem Zentrum in Jerusalemwohnt, ger�t sein Siegeszug ins Stocken. DieLeute von Samarien und Jud�a schicken ihmnicht nur keine Kapitulationsangebote wie dieanderen St�dte und Vçlker, sondern sie blockie-ren die Straßen, besetzen die P�sse hinauf insBergland und verschanzen sich in ihren St�dtenund Dçrfern.

Vor allem der an der Durchgangsstraße gele-gene Ort Betulia r�ckt ins Zentrum des milit�-rischen Widerstands, zumal er von seiner geo-graphischen Lage her eine Art j�discher Ther-mopylen darstellte. Hier nun, in der belagertenStadt auf der Berghçhe sowie im Lager desHolofernes unten in der Ebene, spielt das dra-matische Geschehen, das mit der hinterlistigvorbereitetenEnthauptungdesfeindlichenFeld-herrn durch die kluge und fromme, noch jugend-lich schçne Witwe Judit seinen Gipfel erreicht.

Dass sich die Rettung Israels und Jerusalemsnicht nur dem Mut und der Entschlossenheit derHauptperson verdankt, sondern sich darin dieTreue des Gottes bekundet, der zu seinen Ver-

heißungen steht und sein Volk nicht im Stichl�sst, wird durch viele Einzelheiten der Erz�h-lung mit hinreichender Deutlichkeit sichtbar.Intoniert wird das Motiv, wenn der Anf�hrer derammonitischen Hilfstruppe im Heer des Holo-fernes, Achior, dem �ber das unerwartete Hin-dernis erstaunten und erbosten Holofernes ineiner großen Rede die Eigenart Israels mit demHinweis erl�utert, dass dieses Volk nur mit Er-laubnis seines Gottes besiegt werden kçnne,dann n�mlich, wenn es diesem ungehorsam ge-wesen sei (Kap. 5).

Im weiteren Verlauf wird die Lage in der bela-gerten Stadt kritisch, als die Wasservorr�te zuEnde sind. Die Einwohner fordern die Stadtvor-steher zur Kapitulation auf, und diese stimmengrunds�tzlich zu, wollen Gott aber noch f�nfTage Zeit geben, eine Wende herbeizuf�hren.Mit diesem Ultimatum an den Gott Israels, dasfaktisch eine Missachtung und Preisgabe dergroßen Rettungsverheißungen bedeutet, endetder erste Hauptteil des Buches (Kap. 1–7) ineinem theologischen Tiefpunkt.

Das Ultimatum ruft Judit, eine junge gesetzes-treue Witwe auf den Plan. In einer groß angeleg-ten Rede verurteilt sie den Kleinglauben derLeute von Betulia und k�ndigt an, sie selbstwerde ganz Israel mit Gottes Hilfe retten (Kap.7–8). Wie sie dies vollbringt, dem Feldherrn inseiner eitlen �berheblichkeit zweideutigschmeichelt und ihn in seiner blinden Gier nachihrer Schçnheit umgarnt und zugleichaktionsunf�hig macht, das wird in aller Ausf�hr-lichkeit in den zentralen Kapiteln 9–14 des zwei-ten Hauptteils geschildert.

Als sich die Nachricht von der Enthauptungihres Feldherrn im Lager verbreitet, wendet sichdas feindliche Heer in »kopfloser« Panik zurFlucht, verfolgt von ganz Israel, wohin sich dieKunde vom Geschehen wie ein Lauffeuer ver-breitet hatte (Kap. 15). Mitten unter dem jubeln-den Volk und den von Jerusalem gekommenenPriestern stimmt Judit einen großen Hymnus an,derdasGeschehennocheinmalrekapituliertundtheologisch deutet (Kap. 16). Nach einem dreiMonate lang gefeierten Fest in Jerusalem kehrenalle auf ihren »Erbbesitz«, das Realsymbol ihrerFreiheit (→ Erbe), zur�ck. Auch Judit kehrt nachBetulia heim und stirbt schließlich »alt und le-benssatt«.

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In der Auslegungsgeschichte des Juditbuchssind oft Versuche unternommen worden, die sichwidersprechenden historischen Details zu har-monisieren und zusammen mit den geographi-schen Angaben gar ein historisches Einzelereig-nis als Hintergrund der Erz�hlung zu rekon-struieren. Heute ist man sich in der Forschungdar�ber einig, dass es sich beim Juditbuch umeine – mutmaßlich zwischen 150 und 100 v. Chr.entstandene – Lehr-Erz�hlung handelt und Per-sonen, Szenerie und Geschehensablauf in dich-terischer Freiheit zusammengestellt (also eineliterarische Fiktion) sind. Gleichwohl werden diegeschilderten Ereignisse in einen geographi-schen und geschichtlichen Zusammenhang ge-stellt, weil es um Geschichtsdeutung geht – undzwar um die Tiefendimension der konkretenGeschichte Israels, in der sich die rettende Got-tesherrschaft des einen und einzigen GottesJHWH (→ Herr) offenbart im Gegen�ber zuallen sich gçttlich gebenden oder legitimieren-den Weltherrschaftsanspr�chen politischer undreligiçser Systeme.

Die (ungleichen) Gegenspieler der zwei kon-kurrierenden Herrschaftsformen sind in unsererErz�hlung der Kçnig Nebukadnezar und derGott Israels. In der Gestalt Nebukadnezars hatdie Erz�hlung den Repr�sentanten einer de-struktiven Weltherrschaft geschaffen, der einer-seits in seinem irrationalen Zorn die Welt mitschrecklichen Kriegen �berzieht und der ande-rerseits gçttliche Verehrung beansprucht. DieErz�hlung gibt diesem Gewaltkçnig den NamenNebukadnezar, weil sich mit diesem Namen diegeschichtliche Erinnerung an die 587 v. Chr. ge-schehene Eroberung Jerusalems, die Zerstçrungdes Tempels, die Deportation großer Bevçlke-rungsgruppen nach Babylon und die Verw�stungdes Landes verbindet und weil durch dieseschrecklichen Erfahrungen Nebukadnezar in dernachexilischen Theologie mehr und mehr zumRepr�sentanten der israelfeindlichen Weltherr-schaft mit gçttlichem Anspruch geworden war(vgl. besonders Dan 3).

Die Bedrohung Israels durch diesen »metahis-torischen« Nebukadnezar wird von den Erz�h-lerndes Buches Judit als typischer Gotteskonfliktdargestellt. Im Hintergrund steht die damals sichversch�rfende Identit�ts- und GlaubenskriseIsraels, die sich hier zur Frage nach der AllmachtGottes zuspitzt. Im Grunde klingt die großeTheodizeefrage an, wie sie besonders im Psal-menbuch im Kontext der Klage �ber das zer-stçrte Jerusalem formuliert ist: »Warum sollendie Vçlker/die Heiden sagen: Wo ist nun ihrGott?« (Ps 79,10; Jdt 7,20) Das Buch Judit willauf diese Frage eine Antwort geben, indem es diegroßen Rettungserfahrungen Israels und Jerusa-lems erz�hlerisch in der Gestalt Judits auf fas-

zinierende und originelle Weise aktualisiert. In-sofern Judit Z�ge von Debora und von Ja�l tr�gt,klingt die Rettung Israels vor den kanaanitischenKçnigen in der sog. vorstaatlichen Epoche an(vgl. Ri 4–5). Judit gleicht auch dem kleinenDavid, der den Philisterf�hrer Goliat mit desseneigenem Schwert enthauptet (vgl. 1Sam 17). Siegleicht dem rettenden Boten (Engel) des Herrn,der das Jerusalem belagernde Heer der Assyrer»in der Nacht« verwirrt und so Jerusalem rettet(vgl. 2Kçn 18 –19 = Jes 36 –37). Sogar auf die in1. Mose 14 erz�hlte Rettung Lots durch Abra-ham aus der Macht der mesopotamischen Kç-nigskoalition spielt unsere Erz�hlung an.

Vor allem aber spiegeln sich in Judit die Ge-stalten von Mirjam und Mose – ja das Wirken desExodusgottes selbst. Die im Buch Exodus(2. Mose) erz�hlte Rettung Israels aus der tçd-lichen Bedrohung durch den Pharao bildet dieHintergrund-Folie der ganzen Judit-Geschichte.Wie Mirjam nach der Rettung Israels am Meervor den Pharao und seiner Heeresmacht dasSiegeslied anstimmt, so Judit nach dem Sieg �berHolofernes. Mehr noch: Sie �bernimmt dabei dieim Exodusbuch dem Mose zugeschriebene Rol-le, indem sie das Lied Moses (2 Mo 15,1-18)zitiert und bedeutsam variierend fortschreibt.Der Hymnus in Jdt 16 am Ende des Buchs hatdie gleiche Funktion wie der Hymnus in 2. Mo-se 15: Beide rekapitulieren das Ereignis unddeuten es als Offenbarung und MachterweisJHWHs (→ Herr). Judit zitiert in ihrem Hym-nus den Text aus 2. Mose 15,3 allerdings in derDeutung der Septuaginta und bietet damit eineZusammenfassung des zweiten Hauptteils derErz�hlung. W�hrend der hebr�ische Text von2. Mose 15,3 lautet »Der Herr ist ein Kriegs-mann/Kriegsheld«, liest die Septuaginta – undmit ihr Jdt 16,3 – »Der Herr ist einer, der Kriegezerschl�gt/der Kriegen ein Ende setzt«. Das istdie Verheißung des Juditbuchs: Am Gott Israelswird alle Weltherrschaft scheitern, die mit krie-gerischer Gewalt und in Vernichtung der kultu-rellen Identit�t der kleinen Vçlker durchgesetztwerden soll. Am wahren Gott Israels werden allesich gçttlich gebenden Machtanspr�che zer-schellen – wie Nebukadnezar und sein Macht-instrument Holofernes.

Dass mit Judit eine Frau die Hauptfigur derErz�hlung ist, gehçrt maßgeblich zum Pro-gramm dieses biblischen Buches. Zwar wird hiernicht,wie imBuchRut,dieRollederFrauineinervon M�nnern gepr�gten Welt thematisiert. Aberdie schçne und gottesf�rchtige Witwe Judit, dieunbewaffnet in das Lager des die ganze Welt mitseiner Kriegsmaschinerie unterwerfenden Holo-fernes geht und diese destruktive Macht mitderen eigenen Waffen kopflos macht, ist die Bot-schaft selbst. Dass Judit den Holofernes mit

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dessen Schwert enthauptet, ist keine Glorifizie-rung des Mordes oder des Krieges, sondern eineden mçrderischen Krieg aufs Sch�rfste verurtei-lende Handlung.

Man muss freilich dieses Buch als Erz�hlunglesen, die von ihrem Stoff und von der gew�hltenErz�hlstrategie her die Begegnung zwischenHolofernes als Personifikation der milit�rischensowie der sexuellen Gewalt und der wehrlosenJudit wederals »fromme« Bekehrungsgeschichtenoch als k�mpferisches Waffenduell gestaltenkonnte. Als verletzbare, gef�hrdete Frau ist JuditdieGegenfigur schlechthin zurGewalt–und dassan ihr jene destruktive Macht, der bislang nie-mand widerstehen konnte, scheitert, und zwaram eigenen Schwert, ist hier meisterhaft erz�hlt.Deshalb darf das Buch weder als Aufforderungzum Tyrannenmord noch als Legitimation mi-lit�rischen Widerstandes noch gar als chauvinis-tisches, kriegsl�sternes Dokument missverstan-den werden.

Auch die bisweilen moralisierend verurteilteStrategie der T�uschung des Holofernes durchdie »listige« Judit muss als Mittel der Erz�hlungverstanden werden. Holofernes wird Opfer sei-ner eigenen m�nnlichen Blicke, mit denen erJudit weder als menschliches Gegen�ber nochals J�din, sondern nur als mçgliches Objektseiner m�nnlichen Lust und Gewalt sieht. DieErz�hlung stellt voller Ironie heraus, dass Ho-lofernes durch diese Augen- und Sinneslust be-reits den Kopf verliert (also kopflos wird), eheJudit ihn mit seinem Schwert enthauptet (vgl.12,16-21).

Das Motiv der Schçnheit und der festlichenKleidung, die Judit bei ihrem Gang in das feind-liche Lager und in das Zelt des Holofernes tr�gt,hat noch eine tiefere Bedeutung. Judits »Schçn-heit« ist die Ausstrahlung ihrer Gottesfurcht undihrer Weisheit. In ihrer Schçnheit scheint die→ Wahrheit und die → Herrlichkeit des GottesIsraels auf. Insofern Judit eine weibliche Epipha-nie (Erscheinung) des Rettergottes ist (ver-gleichbar der Epiphanie des heilenden Gottesin der Gestalt des Asarja/Rafael im Buch Tobi-as), verwundert nicht, dass unsere Erz�hlung ihrehrende Beinamen gibt, die sonst dem Herrn

zugesprochen werden:»Du bist die Krone Jerusalems,du bist die Wonne Israels,du bist die Ehre unsres Volks« (15,12).

Als weibliche Epiphanie des Gottes Israels istdie Judit-Figur ein faszinierender Versuch, die�berkommene Gottesbotschaft neu zu deuten.Das Juditbuch will dazu anregen, sich auf dieurbiblische Verheißung des rettenden Gottes ge-rade angesichts ihrer Infragestellung durch ge-

schichtliche Gegenerfahrungen und Weltmacht-ideologien einzulassen. Der Versuchung, ange-sichts der leidvollen Geschichte das Gott-SeinGottes in Frage zu stellen, setzt das Juditbuch dieErinnerung an andere Erfahrungen entgegen, indenendieverheißendeKraftderbiblischenRedevon Gott aufgeschienen ist und immer noch auf-scheint. Als kunstvolle Aktualisierung der gro-ßen Rettungserz�hlungen Israels, aber auchdurch subtile Bez�ge auf die Rettungsvisionendes Jesajabuchs und der Psalmen, will das Judit-buch jene Kraft wieder beleben, die noch allemaldie Lebensquelle Israels war und ist: die ge-schichtliche Erinnerung an die Urspr�nge Israelsmitten in Leid und Verfolgung – durch die Zu-wendung eines Gottes der Gerechtigkeit und derFreiheit:»Wir aber kennen keinen andern Gottals ihnallein undwollenmit Demutvon ihmHilfeund Trost erwarten.« (Jdt 8,16)

Das Juditbuch ist in zwei wesentlich vonein-ander verschiedenen Textformen �berliefert:zum einen in der griechischen Fassung (Sep-tuaginta = G), der die Einheits�bersetzung undandere moderne �bersetzungen folgen, undzum anderen in der Fassung der lateinischenVulgata (= V), die die Vorlage der Lutherbibelwar. Die Vulgata und damit auch die Luther-�bersetzung unterscheiden sich in mehrfacherHinsicht von der griechischen Fassung. Letztered�rfte als griechisches Original entstanden sein;es gibt freilich auch die Meinung, sie sei die�bersetzung einer verloren gegangenen he-br�ischen oder aram�ischen Fassung. Die Vul-gata und damit die hier gebotene Textform istein F�nftel k�rzer als die griechische Textform,enth�lt aber auch mehrere Erweiterungen; nurdie H�lfte des Textes stimmt genauer mit dergriechischen Textform �berein. Insgesamtwirkt die Vulgata eher wie eine Kurzfassungund freie Nachgestaltung. Vor allem fehlenviele im griechischen Original enthaltene lite-rarische Feinheiten und Anspielungen auf an-dere biblische B�cher; manchmal hat man auchden Eindruck, Hieronymus habe die ihm vor-gegebene Textfassung nicht in allen Einzelhei-ten genau verstanden. Diese textliche Eigenartbest�tigt die �berlieferte Bemerkung des Hie-ronymus, er habe f�r seine �bersetzung desBuches Judit (d. h. f�r die Vulgata-Fassung die-ses Buches) nur eine einzige kleine Nacht-schicht verwendet.

Der Weltherrschafts- und Gottesanspruchdes Nebukadnezar 1–7

Der Herr allein ist Gott: Er entmachtetdie Gçtzen und rettet Israel durchdie Hand einer gottesf�rchtigen Frau 8–16

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Der Weltherrschafts- und Gottesanspruch des Nebukadnezar

(Kapitel 1–7)

Nebukadnezar besiegt Arphaxad

1 Arphaxad, der Kçnig der Meder, hatte vieleVçlker unter seine Herrschaft gebracht und

baute eine große, gewaltige Stadt; die nannte erEkbatana. 2 Ihre Mauern machte er aus Quader-steinen, siebzig Ellen hoch und dreißig Ellendick. 3 Ihre T�rme aber machte er hundert Ellenhoch 4 und zwanzig Fuß im Geviert. 5 Und dieStadttore machte er so hoch wie die T�rme.Und er r�hmte sich seines m�chtigen Heeresund seiner gef�rchteten Kriegswagen.

6 Nebukadnezar aber, der Kçnig von Assyrien,regierte in der großen Stadt Ninive und k�mpfteim zwçlften Jahr seiner Herrschaft gegen Ar-phaxad. Und die Vçlker, die am Euphrat, TigrisundChoaspeswohnten,halfen ihm;underschlugihn in der großen Ebene, Ragau genannt, dievorzeiten Arjoch, dem Kçnig von Ellasar, gehçrthatte.

Die Erz�hlung charakterisiert an ihrem Beginn Nebu-kadnezar, den großen Gegenspieler des Gottes Israels.Er wird zun�chst durch die Gegenfigur Arphaxad,Kçnig der Meder, bestimmt. Es gibt verschiedeneVersuche, hinter Arphaxad einen historisch belegtenKçnigsnamen zu erkennen (z. B. Astyages, letzter,550 v. Chr. von Kyrus gest�rzter Mederkçnig). Wahr-scheinlicher d�rfte eine programmatische Anspielungauf 1 Mo 10,22 vorliegen, wo Arphaxad – so in dergriechischen Fassung dieser Stelle – nach Elam undAssur als dritter Sohn Sems genannt wird. Da in V.6Nebukadnezar als Kçnig von Assyrien und – in dergriechischen Fassung des Verses – Arjoch als Kçnig vonElam genannt werden (in der Luther�bersetzung istArjoch Kçnig von Ellasar: Anspielung auf Gen 14,1.9),d�rfte mit diesen drei Figuren im Blick auf 1 Mo 10,22der hier knapp wiedergegebene Krieg als weltweiterKonflikt und zugleich als ›Bruderkrieg‹ qualifiziertsein.

F�r j�dische Leser d�rfte sich bei der NennungMediens (Kçnig der Meder, V. 1) vor allem die Asso-ziation ›Land der Deportation‹ (vgl. 2 Kçn 17,6; 18,11;Tob 1,16) eingestellt haben. Ekbatana (ca. 350 kmnordçstlich von Bagdad; Karte AO, G3) war Haupt-stadt Mediens, dann beliebte Sommerresidenz derach�menidischen (Kyrus) und sp�ter der parthischenKçnige. Die Stadt war in der Antike ber�hmt wegenihrer sieben verschiedenfarbigen konzentrischenRingmauern. Sie wird hier als Realsymbol der großenMacht des Arphaxad eingef�hrt. Aber gleichwohl er-weist sich Nebukadnezar als der m�chtigere Kçnig,denn er besiegt Arphaxad mit seinem Heer.

So wird Nebukadnezar vom Beginn der Erz�hlung anin zweifacher Weise gekennzeichnet: 1. Er ist ein krie-gerischer Kçnig; der Krieg ist ein Instrument seinesKçnigtums. Dem wird die Erz�hlung das Kçnigtum desHerrn entgegensetzen, das sich vor allem dadurcherweist, dass er den Kriegen und der Zerstçrung einEnde setzt (vgl. 9,8; 16,3). 2. Er ist so m�chtig, dass ihmkein Kçnig und keine Stadt widerstehen kçnnen. Dar-

auf wird die Erz�hlung antworten, dass es gleichwohlmçglich ist, ihm gegen�ber die eigene kulturelle undreligiçse Identit�t zu bewahren und sich ihm nichtbedingungslos zu unterwerfen: aus der Kraft desHerrn, der sein Volk rettet.

Dass die Erz�hlung Nebukadnezar als Kçnig vonAssyrien bezeichnet, der in Ninive regierte, ist zwarhistorisch falsch (er war von 604 –562 v. Chr. Kçnig derBabylonier; das neubabylonische Reich hatte das neu-assyrische Reich abgelçst, und Ninive war 612 vonNabopolassar, dem Vater Nebukadnezars, zerstçrtworden), aber es ist im Sinne der Erz�hlung insofernrichtig, als dieser Nebukadnezar die Personifikationjener beiden Großreiche ist, unter denen Israel furcht-bare Katastrophen erlitten hat: Der »historische« Ne-bukadnezar eroberte 587 v. Chr. Jerusalem, zerstçrteden Tempel, verw�stete das Land und leitete das»babylonische → Exil« ein. Und Assur war im 8. Jahr-hundert v. Chr. eine imperialistische Großmacht, diesich durch grausame Kriege ein Weltreich aufbaute;dieser assyrischen Expansionspolitik fiel 722 v. Chr.auch das Nordreich Israel zum Opfer. »Ninive« wurdein der biblischen �berlieferung (neben »Babylon«)zum Typos der bçsen, heidnischen Weltstadt (vgl.Nah 3,1-4; Jona 1,2; 3,3.8.10; 4,11). Die Zeitangabeim zwçlften Jahr seiner Herrschaft ist nicht eine histo-rische Fixierung, sondern meint das zwçlfte Jahr alsKulminationspunkt der Macht; die Erz�hlung liebt dieZahl zwçlf (vgl. 2,7).

Nebukadnezar beschließt einen Feldzuggegen die unbotm�ßigen Vçlker

7 Dawurde das Reich des Nebukadnezar m�chtigund sein Herz stolz. Er hatte aber auch Boten zuallen gesandt, die in Zilizien, Damaskus und amLibanon wohnten, 8 und zu den Vçlkern am Kar-mel und von Kedar, auch zu den BewohnernGalil�as und der großen Ebene Jesre�l, 9 undzu allen, die in Samarien wohnten und jenseitsdes Jordans bis hin nach Jerusalem; auch insganze Land Goschen bis an die Grenzen desLandes Kusch. 10 Zu ihnen allen hatte Nebukad-nezar, der Kçnig von Assyrien, Boten gesandt.Aber sie hatten sie alle einm�tig abgewiesen undhatten die Boten mit leeren H�nden sch�ndlichzur�ckgeschickt. 11 Da war der Kçnig Nebukad-nezar �ber alle diese L�nder sehr zornig gewor-den, und er hatte bei seinem Thron und seinerKçnigsmacht geschworen, dass er sich an allendiesen L�ndern r�chen wollte.

W�hrend die Vçlker, die çstlich von Assur lebten, sichfreiwillig Kçnig Nebukadnezar unterwarfen (vgl. 1,6),hatten die Vçlker und Regionen im Westen ihm ihreGefolgschaft verweigert. In der Aufz�hlung der Ge-biete f�llt hier als einziger Stadtname Jerusalem auf(Damaskus meint das Reich Damaskus). In der Tatgeht es dann in der Geschichte ja um die Bedrohungbzw. Rettung Jerusalems. Dass alle diese Gebiete sichdem Weltherrschaftsanspruch Nebukadnezars wider-setzen, will und kann dieser nicht hinnehmen. Der Eid

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1,5 Ps 20,8 1,6 1 Mo 14,1

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bei seinem Thron und seiner Kçnigsmacht gibt nocheinmal die Erz�hlperspektive an: Es geht in der Er-z�hlung nicht um irgendeinen Kampf, sondern um dieFrage, wer Herr der Welt ist.

2 Im dreizehnten Jahr des Kçnigs Nebukad-nezar, am zweiundzwanzigsten Tag des ers-

ten Monats, wurde im Hause Nebukadnezars,des Kçnigs von Assyrien, der Beschluss gefasst,sich zu r�chen. 2 Und er rief alle seine �ltesten,F�rsten und Hauptleute 3 und beriet sich heim-lich mit ihnen und erçffnete ihnen, dass er darand�chte, die ganze Erde unter seine Herrschaftzu bringen. 4 Da das ihnen allen gefiel, rief derKçnig Nebukadnezar seinen FeldhauptmannHolofernes und befahl ihm: 5 Zieh aus gegenalle Reiche, die im Westen liegen, und beson-ders gegen die, die mein Gebot verachtet haben.6 Du sollst kein Reich verschonen, und alle be-festigten St�dte sollst du mir unterwerfen.

W�hrend die griechische Fassung des Buches Judit inV. 1 die bedeutungsreiche Zeitangabe »im 18. Re-gierungsjahr« hat (nach Jer 32,1-2; 52,29 holte der›historische‹ Nebukadnezar in diesem Jahr zum ent-scheidenden Schlag gegen Jerusalem aus), verlegt un-sere �berlieferung den Beschluss Nebukadnezars zurDurchsetzung seiner Weltherrschaft in das dreizehnteJahr seiner Regierung. Der erste Monat des Jahres istin der j�dischen Tradition (nach dem Fr�hjahrskalen-der; → Monate) der Monat des → Passafestes, daszusammen mit dem Fest der unges�uerten Brote biszum 21. Tag des ersten Monats dauert (vgl. 2 Mo12,1-20). Unsere Zeitangabe bringt den Beschluss Ne-bukadnezars sehr subtil in Verbindung mit der Exodus-Theologie: Nach 2Mo 34,24 l�sst der Herr nicht zu,dass w�hrend der Festzeit Feinde »dein Land begeh-ren«; wohl deshalb l�sst die Erz�hlung die Aktion einenTag nach der Festzeit beginnen.

Nebukadnezar setzt Holofernes als Instrument seinesuniversalen Strafgerichts ein. Auf der Erz�hlebenewird dann Judit zur Gegenspielerin von Holofernes.W�hrend dieser nur der Vollstrecker der zornigenRache Nebukadnezars ist, der bedenkenlos die Ver-nichtungsbefehle ausf�hrt, ist Judit die wahre ›Heldin‹,die aus dem rechten Verst�ndnis der �berlieferungenIsraels heraus (vgl. Kap. 8– 9) zur Retterin ihres Volkesund des Tempels wird. Auch Holofernes ist wenigereine ›historische‹ Gestalt (aus assyrisch-babylonischerZeit ist bislang kein Tr�ger dieses Namens bekannt;die Namensform ist gut persisch; mçglicherweise spieltdie Erz�hlung auf einen Freund des Seleuziden De-metrius I. Soter [162– 150] an) als vielmehr der typische›zweite Mann‹, der ›nur‹ die Befehle ausf�hrt, aberschließlich in seiner eigenen Selbst�bersch�tzung um-kommt (vgl. 13,1-9).

Holofernes beginnt den Feldzug7 Da rief Holofernes die Obersten und AmtleutedesassyrischenHeereszusammenundw�hlte f�rden Kriegszug aus, wie ihm der Kçnig befohlenhatte, hundertzwanzigtausend Mann zu Fuß undzwçlftausend Bogensch�tzen zu Pferde. 8 Und erließ sein ganzes Heer aufbrechen mit unz�hligenKamelen, die mit reichen Vorr�ten f�r sein Heer

beladen waren, und mit Herden von Rindern undSchafen ohne Zahl. 9Aus ganz Syrien ließ er Kornherbeifahren f�r seinen Durchzug. 10 Gold undSilber aber aus der kçniglichen Schatzkammernahm er unermesslich viel mit sich. 11 Und so zoger aus mit dem ganzen Heer, mit Wagen, Reiternund Bogensch�tzen, die den Erdboden bedeck-ten wie Heuschrecken.

Mit einem gigantischen Heeresaufgebot – zur Lieb-lingszahl zwçlf als Symbolzahl der F�lle (V. 7) vgl. 1,6 –und mit einem Riesentross beginnt Holofernes denUnterwerfungs- und Vernichtungsfeldzug gegen denWesten. Der Vergleich eines Heeres mit einemSchwarm von Heuschrecken unterstreicht in der Bibelmehrfach die zerstçrerische Brutalit�t von Kriegs-heeren, vgl. Ri 7,12; Jer 46,23.

12Als er nun �ber die Grenze des assyrischenLandes gezogen war, kam er zu dem großenGebirge Ange im Norden Ziliziens. Dort er-st�rmte er alle ihre Burgen, eroberte alle befes-tigten St�dte, 13 zerstçrte die stolze Stadt Melite-ne und beraubte alle Leute von Tarsis und alleIsmaeliter, die am Rande der W�ste und imS�den des Landes der Cheleer wohnten. 14 Er zogauch �ber den Euphrat und kam nach Mesopo-tamien und zerstçrte alle wichtigen St�dte, diedort waren, zwischen dem Lauf des Mambre unddem Meer. 15 Er nahm die Gebiete ein von Zili-zien bis an die Grenzen Jafets im S�den. 16 Und erf�hrte auch alle Midianiter weg und raubte ihrenganzenReichtumundschlugalle,dieWiderstandleisteten, mit der Sch�rfe des Schwerts. 17 Danachzog er hinab in die Ebene von Damaskus zurErntezeit und verbrannte all ihr Getreide undließ alle B�ume und Weinstçcke umhauen.18 Und das ganze Land f�rchtete sich vor ihm.

Der Kriegszug des Holofernes ist Ausdruck der zer-stçrerischen Macht des ›Weltkçnigs‹ Nebukadnezar.Die aufgef�hrten geographischen Bezeichnungenzeichnen nicht eine Marschroute ab, sondern deckenmit der Nennung von Außenpunkten im Norden (Zi-lizien; Karte RP, G2-3) und im �ußersten S�den (Landder Cheleer, Jafet, Midianiter; die Letzteren Karte AO,C4-5) den gesamten Raum der beanspruchten Welt-herrschaft ab, ehe die Erz�hlung sich dann der Ebenevon Damaskus (Karte AO, D3) zuwendet, womit dier�uberische und tçdliche Kriegsmaschinerie demTerritorium der Israeliten bedrohlich nahe gekommenist.

Die Brutalit�t des Kriegszuges wird durch zweiEinzelheiten betont: Holofernes l�sst die erntereifenGetreidefelder in Brand stecken und er l�sst, entgegenden zumeist respektierten altorientalischen ›Kriegs-konventionen‹ (vgl. 5 Mo 20,19-20), die Fruchtb�umeund die Weinstçcke – wichtige Lebensgrundlage einerb�uerlichen Gesellschaft – abschlagen. Auf diesengespenstischen Tanz des mçrderischen Schwerts (V.16)und auf die Politik der verbrannten Erde reagieren dieMenschen mit Angst und Entsetzen. So stellt sich dieFrage, ob es da �berhaupt noch eine Mçglichkeit derRettung und des �berlebens gibt.

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2,3 Jes 14,13-17; Dan 4,19

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Das Neue Testament

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DAS EVANGELIUM NACH MATTH�US

Einf�hrung

Das Matth�us-Evangelium nahm unter denEvangelien stets den ersten Platz ein; lange Zeitgalt es selbstverst�ndlich als das �lteste, und auchheute vertreten manche Ausleger noch dieseAuffassung. Doch spricht vieles daf�r, dass demEvangelisten das Markus-Evangelium bereitsvorlag – nach Stoffumfang und Gesamtaufriss istes praktisch vollst�ndig im Matth�us-Evangeli-um enthalten – und dass er dar�ber hinaus eineweitere schriftliche Quelle, die so genannte→ Redenquelle, verwenden konnte, eine Samm-lung von Jesusworten, deren Benutzung sichauch im Lukas-Evangelium nachweisen l�sst(aus dieser Quelle stammt z. B. die Bergpredigt).Schließlich finden sich bei Matth�us Abschnitte,die ihm allein eigen sind; dazu gehçren z. B. dasGleichnis vom Unkraut unter dem Weizen(13,24-30), das Gleichnis vom Weltgericht(25,31-46), die wichtigen Worte �ber die Kirchebzw. Gemeinde (16,17-19; 18,18) und nichtzuletzt die Geburts- und Kindheitsgeschichtenam Anfang (Kap. 1–2) und die Geschichten vomErscheinen des Auferstandenen am Ende(28,9-10.16-20).

Eine besondere Gabe des Matth�us-Evangelis-ten ist es, die verschiedenen �berlieferungenunter sachlichen Gesichtspunkten zu ordnen.So bietet er den grçßten Teil der Worte Jesu inf�nf großen Redeblçcken: Bergpredigt (Kap.5–7), J�ngerrede (Kap. 10), Gleichnisrede(Kap. 13), Gemeindeunterweisung (Kap. 18)und Endzeitrede (Kap. 24 –25).

Auch die �berlieferungen �ber die Taten Jesuwerden neu geordnet. So folgt auf die Zusam-menstellung programmatischer Worte Jesuin Kap. 5–7 (Bergpredigt) eine Zusammenstel-lung programmatischer Taten in Kap. 8–9. DieeinzelnenBerichte�berdieTatenJesusinddabeiim Vergleich zu Markus straffer gehalten undst�rker auf ihren theologischen Gehalt hin kon-zentriert.

Unter den Abschnitten, die dem ersten Evan-gelisten allein eigen sind, gibt es solche, in denensich die spezielle Situation und Problemlagejudenchristlicher Gemeinden zu spiegeln scheint(vgl. 5,18-19.32; 17,24-27; 19,9; 23,2-3; 24,20).Dar�ber hinaus ist die Sprache des Evangelisteninsgesamt gepr�gt von einer Ausdrucksweise, diej�dischem bzw. judenchristlichem Empfindenentspricht (z. B. »Himmelreich« statt → »Reich

Gottes«). Offensichtlich kommt der Evangelistaus einer judenchristlich gepr�gten Gemeindeund schreibt f�r eine solche. Dazu passt seindurchg�ngiges Interesse, Jesus als den Messiasdarzustellen, in dem sich Israels Geschichte voll-enden sollte, und die christliche Gemeinde insBlickfeld zu r�cken als die Gemeinschaft, diejetzt an die Stelle Israels getreten ist.

Dem Ziel, Jesus als den → Messias Israelsdarzustellen, dient schon der Stammbaum, mitdem das Evangelium beginnt, sowie die darananschließende Kindheitsgeschichte (Kap. 1–2).Ihm dienen die zehn Zitate aus dem Alten Tes-tament, die so genannten Erf�llungszitate, diealle eingef�hrt werden mit einem Satz wie »Dasist aber alles geschehen, damit erf�llt w�rde, wasder Herr durch den Propheten gesagt hat, der daspricht . . .« (1,22; vgl. 2,15.17.23; 4,14; 8,17; 12,17;13,35; 21,4; 27,9). Erf�llen ist �berhaupt einer derLeitbegriffe des Matth�us-Evangeliums (vgl.noch 3,15; 5,17; 23,32; 26,54.56).

Der erste Evangelist zeichnet Jesus weiterhinals den großen endzeitlichen Lehrer und Pro-pheten wie Mose (vgl. 17,5), der den Willen Got-tes, der im Gesetz und bei den Propheten nieder-gelegt ist, erst richtig aufdeckt und endg�ltig inKraft setzt (Kap. 5–7; s. besonders 5,17-20; 7,12;22,40). Doch nicht minder ist Jesus f�r ihn dergroße endzeitliche Retter der Notleidenden, dersich der kranken, der d�monisch besessenen undder hungernden Menschen in Israel annimmt(Kap. 8–9; 15,29-39) und sich darin als der»Knecht Gottes« und »Sohn Davids« erweist(vgl. 8,16-17 und 9,27; 20,30-31; 21,14-16). Er istes auch, der »sein Volk retten wird von ihrenS�nden« (1,21; vgl. 20,28; 26,28).

Dem ersten Evangelisten zufolge wusste Jesussich ausschließlich zu Israel gesandt (vgl. 10,5-6;15,24), wurde jedoch von seinem Volk nichtanerkannt. Das tiefe Vertrauen, das ihm anderer-seits von Nichtjuden entgegengebracht wurde,bewegte ihn dazu, die Schranken zwischen demerw�hlten Volk und den anderen Vçlkern zudurchbrechen (vgl. 8,5-13; 15,21-28). Aufgrunddes Todes, den Jesus auf Betreiben seines eige-nen Volkes erleidet (vgl. 27,24-26), und der an-schließenden Auferstehung vom Tod kommt eszur Sammlung eines neuen Gottesvolkes aus allenVçlkern der Welt (vgl. 21,37-44). Im Auftrag desAuferstandenen durchbrechen die J�nger die

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bisher immer noch grunds�tzlich bestehendenSchranken (28,16-20). Dem neuen Gottesvolk,der christlichen Gemeinde, ist es aufgetragen,alles zu befolgen, was Jesus gesagt hat (vgl.16,18-19; 28,20), und auf diese Weise Salz undLicht f�r die Welt zu sein (vgl. 5,13-16).

Das Matth�us-Evangelium ist so gut wie sichererst nach der Zerstçrung Jerusalems durch dieRçmer (70 n. Chr.) geschrieben worden. Auf siewird mit 21,41; 22,7 deutlich angespielt, und auchdas Wort 27,25 ist darauf zu beziehen. Der Evan-gelist steht in leidvoll-leidenschaftlicher Aus-einandersetzung mit dem Judentum seiner Zeit,das sich nach der Katastrophe des Jahres 70 un-ter der F�hrung pharis�ischer Schriftgelehrter(→ Pharis�er; → Schriftgelehrte) neu zu formie-ren suchte und dabei alle Gruppen abzusondernund auszustoßen begann, die sich pharis�ischerLehre und Praxis nicht f�gen wollten. Davonwaren nicht zuletzt die judenchristlichen Ge-meinden des syrisch-pal�stinischen Raumesbetroffen. Ihr Bruch mit dem Judentum warunvermeidlich geworden.

Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, wennim ersten Evangelium »Schriftgelehrte und Pha-ris�er« zu einer Einheit verschmelzen, als dieGegner Jesu erscheinen, nur das Negative anihnen gesehen und dieses polemisch �berzeich-net wird (Kap. 23). Doch bei aller Polemik ist derEvangelist von leidenschaftlicher Liebe zu Israelerf�llt. Durch die Ereignisse des Jahres 70 ist ertief betroffen. Rechthaberei und triumphalis-tische Gef�hle gegen�ber dem Judentum liegenihm fern. Vielmehr ist er ganz erf�llt von derfordernden Grçße der Offenbarung Gottes inJesus Christus; und angesichts des Schicksals, dasIsrael im Jahre 70 ereilt hat, bewegt ihn letztlich

die Frage, welches Schicksal die Glieder derchristlichen Gemeinde erwartet, wenn sie demHeilsangebot, das in Jesus Christus an sie er-gangen ist, nicht besser gerecht werden (vgl.22,10-14; 21,44; 7,21-23; 5,17-20).

Das erste Evangelium selbst l�sst an keinerStelle erkennen, wer sein Verfasser ist. Dochwird der Zçllner Levi aus Mk 2,14 hier mitMatth�us, einem Mitglied des Zwçlferkreises,identifiziert (vgl. 9,9; 10,3). Damit muss es zu-sammenh�ngen, dass das Evangelium seit dem2. Jahrhundert allgemein dem Apostel Mat-th�us zugeschrieben wurde. In der heutigenAuslegung ist diese Zuweisung sehr umstritten.Aus dem Evangelium selbst ist nur zu entneh-men, dass es, so wie es uns �berliefert ist, ingriechischer Sprache abgefasst wurde, von ei-nem Mann und in einer Gemeinde, die inj�disch-judenchristlicher Tradition verwurzeltwaren und in leidenschaftlicher Auseinander-setzung mit dem Judentum ihrer Zeit, der Zeitnach 70 n. Chr., standen. Dieser Mann und dieseGemeinde sind am ehesten in einer Stadt inSyrien, vielleicht in Antiochia, zu suchen.

Herkunft Jesu und Vorgeschichte seinesAuftretens 1–4

Jesu Worte: die Bergpredigt 5–7Jesu Taten: die Wunder 8,1 –9,34Die Sendung der J�nger –

Israel muss sich entscheiden 9,35–12,50Gleichnisse 13Machttaten und Mahnworte 14,1–16,12Der Weg nach Jerusalem 16,13–20,34Auseinandersetzungen in Jerusalem 21 –23Endzeit und Weltgericht 24 –25Jesu Leiden, Tod und Auferstehung 26 –28

Herkunft Jesu und Vorgeschichte seines Auftretens (Kapitel 1–4)

Jesu Stammbaum(Lk 3,23-38)

1 Dies ist das Buch von der Geschichte JesuChristi, des Sohnes Davids, des Sohnes

Abrahams.2Abraham zeugte Isaak. Isaak zeugte Jakob.

Jakob zeugte Juda und seine Br�der. 3 Juda zeug-te Perez und Serach mit der Tamar. Perez zeugteHezron. Hezron zeugte Ram. 4 Ram zeugte Am-minadab. Amminadab zeugte Nachschon. Nach-schon zeugte Salmon. 5 Salmon zeugte Boas mitder Rahab. Boas zeugte Obed mit der Rut. Obedzeugte Isai. 6 Isai zeugte den Kçnig David.

David zeugte Salomo mit der Frau des Uria.7 Salomo zeugte Rehabeam. Rehabeam zeugteAbija. Abija zeugte Asa. 8Asa zeugte Joschafat.Joschafat zeugte Joram. Joram zeugte Usija.9 Usija zeugte Jotam. Jotam zeugte Ahas. Ahaszeugte Hiskia. 10 Hiskia zeugte Manasse. Manas-se zeugte Amon. Amon zeugte Josia. 11 Josiazeugte Jojachin und seine Br�der um die Zeitder babylonischen Gefangenschaft.

12 Nach der babylonischen Gefangenschaftzeugte Jojachin Schealti�l. Schealti�l zeugteSerubbabel. 13 Serubbabel zeugte Abihud. Abi-hud zeugte Eljakim. Eljakim zeugte Asor. 14Asorzeugte Zadok. Zadok zeugte Achim. Achim

matth�us 11404

1,1 Rçm 1,3; 2 Tim 2,8 1,2 1 Mo 21,2-3; 25,26; 29,32–30,24; 49,10 1,3-6 Rut 4,18-22 1,3 1 Mo 38,29-301,5 Jos 2,1; Rut 4,13-17 1,6 2Sam 12,24 1,7-11 1 Chr 3,10-16 1,11 2Kçn 24,8-16 1,12 1 Chr 3,17; Esr 3,2

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zeugte Eliud. 15 Eliud zeugte Eleasar. Eleasarzeugte Mattan. Mattan zeugte Jakob. 16 Jakobzeugte Josef, den Mann der Maria, von dergeboren ist Jesus, der da heißt Christus.

17Alle Glieder von Abraham bis zu David sindvierzehn Glieder. Von David bis zur babylo-nischen Gefangenschaft sind vierzehn Glieder.Von der babylonischen Gefangenschaft bis zuChristus sind vierzehn Glieder.

Der Stammbaum, mit dem Matth�us sein Evangeliumbeginnt, soll nicht nur die Herkunft Jesu aus Israelbelegen, sondern vor allem verk�nden, dass in ihmdie ganze Geschichte Israels, vor allem die Verheißun-gen, die → Abraham (1 Mo 12,1-3) und → David (2Sam7,11-16) gegeben wurden, zur Erf�llung kommen(→ Stammbaum Jesu; dort auch etwas zu der auff�l-ligen Erw�hnung der vier Frauen in V. 3.5-6).

Geschichte (V.1): Hinter dem griechischen Wort stehtein hebr�ischer Begriff; er bedeutet »Entstehung/Abstammung«. Vers 1 bezieht sich demnach zun�chstauf Kap. 1, kann aber auch auf das ganze Evange-lium bezogen werden, wie es der Begriff Buch nahe-legt.

Jesu Geburt18 Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: AlsMaria, seineMutter,demJosefvertraut war, fandes sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwangerwar von dem Heiligen Geist. 19 Josef aber, ihrMann, war fromm und wollte sie nicht in Schandebringen, gedachteaber, sie heimlich zu verlassen.

20Als er das noch bedachte, siehe, da erschienihm der Engel des Herrn im Traum und sprach:Josef, du Sohn Davids, f�rchte dich nicht, Maria,deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sieempfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist.21 Und sie wird einen Sohn geb�ren, dem sollst duden Namen Jesus geben, denn er wird sein Volkretten von ihren S�nden. 22 Das ist aber allesgeschehen, damit erf�llt w�rde, was der Herrdurch den Propheten gesagt hat, der da spricht(Jesaja 7,14): 23 »Siehe, eine Jungfrau wirdschwanger sein und einen Sohn geb�ren, und siewerden ihm den Namen Immanuel geben«, dasheißt �bersetzt: Gott mit uns.

24Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wieihm der Engel des Herrn befohlen hatte, undnahm seine Frau zu sich. 25 Und er ber�hrte sienicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihmden Namen Jesus.

Der ganze Abschnitt ist eine ausf�hrliche Erkl�rungzu V.16, der es ausdr�cklich vermeidet, von einerZeugung Jesu durch Josef zu sprechen. Das Kind,das sein Leben der unmittelbaren Einwirkung desHeiligen → Geistes verdankt (V. 18), wird auf die Wei-sung Gottes hin von Josef, dem Sohn Davids (V.20),adoptiert und so der Nachkommenschaft Davids einge-pflanzt. Dies Letzte sowie der Name, den das Kinderh�lt (V.21.23b.25), besch�ftigen den Evangelistenoffenbar st�rker als dessen von Gottes Geist bewirkteLebensentstehung (dazu vgl. Lk 1,26-38; → Jung-

frauengeburt). Zum Namen Jesus s. die Sacherkl�rung;zur Rettung von den S�nden und ihren Folgen vgl.9,2.5-7; 26,28. Immanuel oder Gott mit uns wird Jesusnirgends direkt genannt werden, jedoch entsprichtdiesem Namen sein Handeln in Kap. 8– 10 (vgl. weiter12,15-20 und f�r die Zeit nach Ostern 18,20; 28,20; zumSchriftzitat in V. 23 s. Erkl�rung zu Jes 7,14; zur »Er-f�llung« der Schrift vgl. die Einf�hrung).

V.18-19: Zur rechtlichen Seite der Beziehung (demJosef vertraut) → Verlobung. Wenn Josef als fromm(wçrtlich »gerecht«) bezeichnet wird, ist das schondie »Gerechtigkeit«, die nicht nach dem Buchstabendes Gesetzes verf�hrt, sondern dieses im Sinne desLiebesgebotes auslegt (vgl. 5,20; 22,39-40): Anstattseine Verlobte wegen Ehebruchs anzuklagen, wollteer sie nur heimlich, d. h. ohne Aufheben, verlassen (stattgedachte aber richtiger: »gedachte deshalb«).

Die Weisen aus dem Morgenland

2 Als Jesus geboren war in Bethlehem in Ju-d�a zur Zeit des Kçnigs Herodes, siehe, da

kamen Weise aus dem Morgenland nach Jeru-salem und sprachen: 2 Wo ist der neugeboreneKçnig der Juden? Wir haben seinen Stern ge-sehen im Morgenland und sind gekommen, ihnanzubeten.

3Als das der Kçnig Herodes hçrte, erschrak erund mit ihm ganz Jerusalem, 4 und er ließ zusam-menkommen alle Hohenpriester und Schriftge-lehrten des Volkes und erforschte von ihnen, woder Christus geboren werden sollte. 5 Und siesagten ihm: In Bethlehem in Jud�a; denn so stehtgeschrieben durch den Propheten (Micha 5,1):6 »Und du, Bethlehem im j�dischen Lande, bistkeineswegs die kleinste unter den St�dten inJuda; denn aus dir wird kommen der F�rst, dermein Volk Israel weiden soll.«

7 Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sichund erkundete genau von ihnen, wann der Sternerschienen w�re, 8 und schickte sie nach Bethle-hem und sprach: Zieht hin und forscht fleißignach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagtmir’swieder, dassauch ichkommeund esanbete.

9Als sie nun den Kçnig gehçrt hatten, zogen siehin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenlandgesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er �berdem Ort stand, wo das Kindlein war. 10Als sie denSternsahen,wurdensiehocherfreut 11 undgingenin das Haus und fanden das Kindlein mit Maria,seinerMutter,undfielenniederundbetetenesanund taten ihre Sch�tze auf und schenkten ihmGold, Weihrauch und Myrrhe.

12 Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wie-der zu Herodes zur�ckzukehren; und sie zogenauf einem andern Weg wieder in ihr Land.

Die Geburt Jesu selbst wird nur in einem Nebensatzerw�hnt (V. 1); wichtig sind dem Evangelisten dieZeichen, welche die Bedeutung des Neugeborenenzum Ausdruck bringen und sein k�nftiges Geschickvorausahnen lassen. Vertreter fremder Vçlker,Menschen, die wegen ihrer Weisheit ber�hmt waren

matth�us 1.2 1405

1,16 1,18-25; Lk 1,27 1,18 Lk 1,35 1,21 Lk 1,31; 2,21; Apg 4,12 2,1 Lk 2,1-7 2,5 Joh 7,42