SUCHT IST FLUCHT

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genommen oder Alkohol ge- trunken“, so Prof. Wanke von der DHS zu den Versuchen des Einzelnen, mit den Belastun- gen des Alltags in Beruf und Freizeit fertig zu werden. Auf die Arbeitswelt hochgerech- net hat ca. jeder fünfte Be- schäftigte ein Suchtproblem. Beim Alkoholkonsum zählt Deutschland international mit zu den Spitzenreitern. Der starke Anstieg von psy- chischen Erkrankungen in den letzten zehn Jahren ist laut Gmünder Ersatzkasse (GEK) bei Männern insbesondere auf Alkoholmissbrauch zurückzu- führen. Bei den Frauen über- wiegen depressive Erkran- kungsformen, die nicht selten in der Medikamentenabhän- gigkeit enden. Nach den Stu- dien der GEK gibt es nachweis- lich Zusammenhänge zwi- schen diesen Krankheitsbil- dern und den Arbeitsbedin- gungen bei verschiedenen Tätigkeiten und Sparten. Etwa jeder zehnte Ar- beitnehmer trinkt regel- mäßig Alkohol am Ar- beitsplatz. Viele Schicht- arbeiter gönnen sich ein Gläschen auch vor der Arbeit. Wer dann mit dem Auto unterwegs ist, lebt gefährlich. Jeder dritte Verkehrsunfall ge- schieht unter Alkoholeinfluss. Führerschein und Versiche- rungsschutz sind schneller weg, als manche/r glaubt. Ein halber Liter Bier oder ein Glas Wein ergibt nach einer Stunde einen Blutalkoholwert von ca. 0,4 ‰. Ab 0,3 ‰ kann die Po- lizei bei Verdacht auf Beeinträch- tigung den Führerschein ein- behalten. Im Falle eines Unfalls reicht es zur Straftat und zur Verurteilung bzw. zur Mitschuld. Ab 0,5 ‰ begeht man/frau eine Ordnungswid- rigkeit, Fahrverbot von ein bis drei Monaten droht. Ab drei „Halben“ (mehr als 1,1 ‰) ist es eine Straftat, wenn man sich hinters Steuer setzt. Häufig unterschätzt: der Restal- kohol im Blut. Der Körper baut pro Stunde ca. 0,1 ‰ der Blut- alkoholkonzentration ab. Wer also auf der abendlichen Party ordentlich „getankt“ hat (z.B. fünf „Halbe“ oder einen Liter Wein, ca. zwei Promille) hat beim morgendlichen Arbeitsweg meist erheblich mehr als 0,5 ‰. Der Versicherungsschutz im Stra- ßenverkehr geht bei alkohol- bedingten Un- fällen ganz oder teilweise verlo- ren. Alkohol am Steuer: „Lappen“ und Versicherungs- schutz weg Mehr als acht Millionen Men- schen in Deutschland sind ab- hängig von psychisch wirksa- men Substanzen wie Tabak, Alkohol, Medikamenten, in geringer Zahl auch von illega- len Drogen. Diese Zahl nennt die Deutsche Hauptstelle ge- gen die Suchtgefahren (DHS). Überall dort, wo das Gleich- gewicht zwischen dem, was der Mensch kann und was er aus sich herauspressen muss, nicht mehr stimmt, werden Medikamente oder Drogen Suchtfördernde Arbeitsbedingungen In der Broschüre „Alkohol im Betrieb“ nennt der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossen- schaften viele Faktoren, die den Konsum von Suchtmitteln, insbesondere von Alkohol, begünstigen: sind nach einschlägigen Unter- suchungen insbesondere ein gutes Betriebsklima, vor allem mit Vorgesetzten, soziale Unterstützung im Team, verlässliche Arbeits- Tätigkeit Suchtbegünstigende Faktoren Schichtarbeit, Arbeit mit Zeitverschiebungen Schlaf- und Essstörungen (Flugpersonal, Monteure usw.) Starke Hitzeeinwirkung Durst Schwere und einseitige Arbeit Unlust, Schmerzen Unregelmäßige Arbeit familiäre Probleme Überforderung durch Arbeitshetze, Termin- Dauerstress, Erschöpfung druck, fehlende Pausen, Versagensängste Unterforderung (monotone Arbeiten u.ä.) Psychische Dauerbelastung Ständige Angst vor Arbeitsplatzverlust, schlechtes Dauerstress durch Angst, Betriebsklima, schlechte Arbeitssituation, Mobbing Unwohlsein besprechungen und positi- ve Rückmeldungen über die geleistete Arbeit, geregelte Arbeitszeiten mit ausreichend Pausen bei an- strengenden Tätigkeiten und der Verzicht auf Über- stunden. Damit das kein Wunschtraum bleibt, hat der Gesetzgeber den Arbeitgeber mit dem Arbeits- schutzgesetz zur Herstellung menschenwürdiger Arbeitsbe- dingungen verpflichtet. Es liegt an uns, diesem Gesetz Nach- druck zu verleihen. SUCHT IST FLUCHT - Arbeitsbedingungen die Auslöser? SUCHTMINDERND

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genommen oder Alkohol ge-trunken“, so Prof. Wanke vonder DHS zu den Versuchen desEinzelnen, mit den Belastun-gen des Alltags in Beruf undFreizeit fertig zu werden. Aufdie Arbeitswelt hochgerech-net hat ca. jeder fünfte Be-schäftigte ein Suchtproblem.Beim Alkoholkonsum zähltDeutschland international mitzu den Spitzenreitern.

Der starke Anstieg von psy-chischen Erkrankungen in denletzten zehn Jahren ist laut

Gmünder Ersatzkasse (GEK)bei Männern insbesondere aufAlkoholmissbrauch zurückzu-führen. Bei den Frauen über-wiegen depressive Erkran-kungsformen, die nicht seltenin der Medikamentenabhän-gigkeit enden. Nach den Stu-dien der GEK gibt es nachweis-lich Zusammenhänge zwi-schen diesen Krankheitsbil-dern und den Arbeitsbedin-gungen bei verschiedenenTätigkeiten und Sparten.

Etwa jeder zehnte Ar-beitnehmer trinkt regel-mäßig Alkohol am Ar-beitsplatz. Viele Schicht-arbeiter gönnen sich einGläschen auch vor der

Arbeit. Wer dann mit dem Autounterwegs ist, lebt gefährlich.Jeder dritte Verkehrsunfall ge-schieht unter Alkoholeinfluss.Führerschein und Versiche-rungsschutz sind schneller weg,als manche/r glaubt.Ein halber Liter Bier oder ein GlasWein ergibt nach einer Stundeeinen Blutalkoholwert von ca.0,4 ‰. Ab 0,3 ‰ kann die Po-lizei bei Verdacht auf Beeinträch-tigung den Führerschein ein-behalten. Im Falle eines Unfallsreicht es zur Straftat und zurVerurteilung bzw. zur Mitschuld.Ab 0,5 ‰ begeht man/fraueine Ordnungswid-rigkeit, Fahrverbotvon ein bis dreiMonaten droht. Abdrei „Halben“(mehr als 1,1 ‰) istes eine Straftat, wenn man sichhinters Steuer setzt.Häufig unterschätzt: der Restal-kohol im Blut. Der Körper bautpro Stunde ca. 0,1 ‰ der Blut-alkoholkonzentration ab. Weralso auf der abendlichen Partyordentlich „getankt“ hat (z.B.fünf „Halbe“ oder einen LiterWein, ca. zwei Promille) hat beimmorgendlichen Arbeitsweg meisterheblich mehr als 0,5 ‰.Der Versicherungsschutz im Stra-ßenverkehr geht bei alkohol-

bedingten Un-fällen ganz oderteilweise verlo-ren.

Alkohol amSteuer: „Lappen“

und Versicherungs-schutz weg

Mehr als acht Millionen Men-schen in Deutschland sind ab-hängig von psychisch wirksa-men Substanzen wie Tabak,Alkohol, Medikamenten, ingeringer Zahl auch von illega-len Drogen. Diese Zahl nenntdie Deutsche Hauptstelle ge-gen die Suchtgefahren (DHS).„Überall dort, wo das Gleich-gewicht zwischen dem, wasder Mensch kann und was eraus sich herauspressen muss,nicht mehr stimmt, werdenMedikamente oder Drogen

Suchtfördernde ArbeitsbedingungenIn der Broschüre „Alkohol im Betrieb“ nennt der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossen-schaften viele Faktoren, die den Konsum von Suchtmitteln, insbesondere von Alkohol, begünstigen:

sind nach einschlägigen Unter-suchungen insbesondere

ein gutes Betriebsklima, vorallem mit Vorgesetzten,

soziale Unterstützung imTeam, verlässliche Arbeits-

Tätigkeit Suchtbegünstigende FaktorenSchichtarbeit, Arbeit mit Zeitverschiebungen Schlaf- und Essstörungen(Flugpersonal, Monteure usw.)Starke Hitzeeinwirkung DurstSchwere und einseitige Arbeit Unlust, SchmerzenUnregelmäßige Arbeit familiäre ProblemeÜberforderung durch Arbeitshetze, Termin- Dauerstress, Erschöpfungdruck, fehlende Pausen, VersagensängsteUnterforderung (monotone Arbeiten u.ä.) Psychische DauerbelastungStändige Angst vor Arbeitsplatzverlust, schlechtes Dauerstress durch Angst,Betriebsklima, schlechte Arbeitssituation, Mobbing Unwohlsein

besprechungen und positi-ve Rückmeldungen über diegeleistete Arbeit,

geregelte Arbeitszeiten mitausreichend Pausen bei an-strengenden Tätigkeitenund der Verzicht auf Über-stunden.

Damit das kein Wunschtraumbleibt, hat der Gesetzgeber denArbeitgeber mit dem Arbeits-schutzgesetz zur Herstellungmenschenwürdiger Arbeitsbe-dingungen verpflichtet. Es liegtan uns, diesem Gesetz Nach-druck zu verleihen.

SUCHT IST FLUCHT -Arbeitsbedingungen die Auslöser?

SUCHTMINDERND

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Gesünder @rbeiten • Ausgabe 14 • September 2001

Bis zu 30 Prozent der Arbeitsunfäl-le, knapp eine halbe Million proJahr, ereignen sich unter Alkohol-einwirkung.

Etwa 4,3 Millionen Menschen inDeutschland trinken regelmäßigAlkohol am Arbeitsplatz. Etwa zweiMillionen sind alkoholkrank, sta-tistisch fünf Prozent einer Beleg-schaft. Die Dunkelziffer ist hoch.Bei 1000 Beschäftigten sind das

50 Kolleginnen und Kollegen.Nimmt man insbesondere Medika-mentenabhängigkeit mit reakti-onsmindernder Wirkung dazu, wirddeutlich, welches Problem alleinefür die Arbeitssicherheit hier exi-stiert.

Umso verwunderlicher ist es, wiesorglos immer noch in vielen Un-ternehmen damit umgegangenwird.

Tabuproblem und Co-Alkoholismus

Entdeckungen vor allem durch dieStress- und Hormonforschung so-wie die Versuche der Pharmaindu-strie, den Körper gezielt zu beein-flussen, haben zur Entdeckung derkörpereigenen Botenstoffe (Neu-rotransmitter) geführt.

Alkoholkonsum in geringenMengen führt z. B. zur Ausschüt-tung von „Endorphinen“. Sie hei-ßen so, weil sie im Gehirn morphi-umähnliche Reaktionen auslösen:Entspannung, Gelöstheit, ein we-nig „rosarote Brille“. Mittlerweilesind weit über 100 verschiedene„biochemische Gefühlsvermittler“entdeckt worden (z.B. Endovalium,Dopamin, Serotonin).1. Von außen zugeführte Stoffe wir-

ken direkt oder indirekt auf die-ses System ein und erzeugendamit Stimmungen, Gefühle,Reize, Halluzinationen usw.

2. Stoffungebundene Süchte wir-ken auf gleichem Weg, z.B.durch den Adrenalinstoß bei derSpielsucht oder die Fresslust beiEssstörungen.

Das ProblemWird beispielsweise Alkohol alsvermeintlicher Problemlöser dau-erhaft missbraucht, stellt der Kör-per die Produktion dieses „Glück-lichmachers“ allmählich ein. Dasseelische Unwohlsein wird immerstärker, im krankhaften Stadiumführt es dazu, dass der Suchtstoff(der Korn am Morgen) benutzt wer-den muss, um aus diesem „Loch“wieder herauszukommen. Ähnli-ches gilt für den Wiederholungs-

Betroffenheit derFührungskräfteDie Entstehung von Suchtkrank-heiten ist ein jahrelanger Prozess.Anzeichen für das Abrutschen in dieSucht sind im Betrieb durchaus er-kennbar. Aber: viele Arbeitgeberund Vorgesetzte schreiten nichtein, da sie ihren eigenen Stress mitAlkohol und Medikamenten „be-kämpfen“. Sie fürchten Vorhaltun-gen. Zudem sind sie für solcheschwierigen Gespräche nicht aus-gebildet oder haben Angst davor.

Co-Alkoholismus unterKollegInnenÄhnlich ist es bei den unmittelba-ren ArbeitskollegInnen in der Ab-teilung oder im Team: „Wir kön-nen den doch nicht verpfeifen, dannfliegt er raus.“ Solidarität? So wirdden Betroffenen die erste Chance

Was ist das „Süchtige“ an der Sucht?HINTERGRUND NEUROBIOLOGIE

UMGANG MIT SUCHT IM BETRIEBNichts sehen, nichts hören, nichts sagen?

zwang bei stoffungebundenenSüchten.

Krankhafte Sucht kanndefiniert werden:Ein krankhafter Endzustand der Ab-hängigkeit eines Menschen von ei-nem Stoff, einem Genussmittel odereiner Verhaltensweise. Der Menschist in diesem Zustand nur noch be-strebt, sich das Suchtmittel mit stei-gender Dosis zuzuführen. Enthalt-samkeit erscheint nicht mehr mög-lich und führt zu „Entzugserschei-nungen“. Im Endzustand zählt nichtmehr die „berauschende“ Wirkungdes Stoffes oder des Verhaltens, son-dern die Verhinderung oder Beendi-gung der Entzugserscheinungen.

Abhängigkeit und Sucht entwik-keln sich oft über Jahre und sindfür Außenstehende oft schwer er-kennbar. Die Stadien der Sucht,die Entwicklung körperlicher undpsychischer Abhängigkeit am Bei-spiel Alkohol: Erstes Erleben Gewöhnung Toleranzentwick-lung Dosissteigerung. Krankhaf-tes Stadium: Kontrollverlustbzw. Unfähigkeit ohne Alkohol zuleben sozialer, psychischer undkörperlicher Niedergang.

Suchtform

Rauchen, Nikotin

Alkohol

Medikamente

Illegale Drogen(insbesondereCannabis und Extasy)

Ursachen (beispielhaft)

Fördert kurzfristig die Konzentration zur Bewälti-gung von Arbeitsstress, erleichtert vielen dieKommunikation, z.B. an der Zigarette „festhalten“um Unsicherheit zu vermeiden

„Lösemittel“ für viele Arbeitssituationen, dieDurst, Unwohlsein und Stress verursachen

Werden zur Bewältigung jeder Form körperlichenoder seelischen Unwohlseins bedingt durch Arbeitgebraucht: bei Erschöpfung, Müdigkeit, Gereizt-heit, schlechte Stimmung, Schmerzen usw.

Werden hauptsächlich unter Jüngeren in derFreizeit unter anderem auch als Ausgleich zuArbeitsfrust konsumiert

Gesundheitliche Folgen

Schädigt Atemwege und Lunge, insbesondere dasHerz-Kreislaufsystem

Schädigung der Verdauungsorgane (insbesondereSpeiseröhre, Magen, Darm) sowie Leber undHirnzellen

Sechs bis acht Prozent aller verordneten Arzneimit-tel besitzen ein Missbrauchs- und Abhängigkeitspo-tenzial. Sie schädigen je nach Wirkung Kreislauf,Stoffwechsel, Organe und Wahrnehmung.

Je nach Droge: bei Cannabis umstritten. Opiate(Kokain, Morphium, Heroin) haben starke Abhän-gigkeitspotenziale mit schädlichen Folgen fürKörper und Geist.

Gesellschaftliche Folgen

In Deutschland ist jährlich mit ca. 111.000 tabakbedingtenTodesfällen zu rechnen.

Jährlich ca. 42.000 Todesfälle in Verbindung (direkt oderindirekt, z.B. durch Unfall) mit Alkohol

1997 konsumierten 7,4 Millionen Personen (11,5 ProzentMänner und 19,5 Prozent Frauen) mindestens einmal proWoche Medikamente mit psychischer Wirkung. Jede/r Drittenimmt Medikamente aus suchtbedingten Gründen.

250.000 bis 300.000 Personen in Deutschland gehören zu denKonsumenten harter Drogen, 1999 gab es rund 1.800„Drogen-“tote und ca. 100.000 Abhängige.

Aspirin statt Bildschirmpause, Schmerzspritze stattHebehilfe, Frustsaufen statt Teambesprechungen

genommen, ihr Verhalten recht-zeitig zu überdenken und zu än-dern. Doch soziale Kontrolle undUnterstützung am Arbeitsplatz isteine der wichtigsten Hilfen gegenSuchtgefahren!

Verfügbarkeit von Alko-hol und SchmerzmittelnIn vielen Betrieben werden Alko-hol und Schmerzmittel immer nochsehr großzügig verfügbar gemacht.Das gefährdet weniger die Sucht-kranken, die sich ihren „Stoff“ nor-malerweise selbst mitbringen, son-dern die statistisch ermittelten zehnProzent einerBelegschaft,die Missbrauchdamit betreibtund an derGrenze zurSuchtkrankheitstehen.

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BÜCHERBord„Alkohol im Betrieb“, Sucht-probleme durch Alkohol, Drogenund Medikamente. Herausgege-ben vom Hauptverband der ge-werblichen Berufsgenossenschaf-ten und vom Deutschen Ver-kehrssicherheitsrat, Bonn 1998.Tel.: 02381/9015-0, www.dhs.de.Gute Erläuterungen, Statistikenund Rechtshinweise. Die neue0,5 Promillegrenze konnte nochnicht berücksichtigt werden.

„Jahrbuch Sucht 2001“, Neu-land Verlag Geesthacht. Heraus-gegeben von der DeutschenHauptstelle gegen die Suchtge-fahren. Aktuelles Standardwerkzu allen Suchtformen und ihrerjeweiligen Entwicklung, umfas-sendes, bundesweites Adressre-gister und Informationen zumTherapie- und Hilfsangebot.

Was bietet dieIG Metall?

• IGM-Schriftenreihe Nr. 126„Das Suchtbuch für die Arbeits-welt“, Nr. 139 „Medikamen-tenprobleme in der Arbeits-welt“

• Musterbetriebsvereinba-rung zur Suchtprävention

• Rundschreiben 23/99 zumThema Drogentests vom23.9.1999

• Seminare für Betriebsräte inSprockhövel und in den Bezir-ken auf Anfrage (siehe Kon-takt)

• Kontakt: IGM Vorstandsver-waltung und Suchtbeauftrag-te der IG Metall: WaltraudSchäfer, Tel: 069 / 66 93 22 61,E-Mail: [email protected]

• Web: Viele Hilfestellungen imInternet auf den Webseitenzum Themenbereich „Gesund-heit“: www.igmetall.de/ge-sundheit

• Fax: Nutzt den Faxabruf der IGMetall. Unter der Faxnummer0221 / 30 36 94 40 gibt es aufeiner Seite einen Überblicküber aktuell verfügbare Infor-mationen

... geben viele Be-troffene in thera-peutischen Gesprä-chen zu erkennen.Die einzige Chan-ce, einen gefähr-deten Kollegen vordem Abrutschen indie Sucht zu be-wahren, ist das

rechtzeitige Aufdecken seines Suchtmittelmissbrauchs.

Öffentlichkeitsarbeit und Schulungsind die ersten SchritteUm aus der Tabuzone und dem co-alkoholischenVerhalten herauszukommen, folgende Tipps:

ArbeitsrechtKein Beschäftigter darf sich lautberufsgenossenschaftlichen Vor-schriften durch Alkohol, Medika-mente oder Drogen in einen Zu-stand versetzen, in dem er sichselbst oder andere gefährdet.Kommt er trotzdem zur Arbeit, darfer nicht beschäftigt werden oderder Vorgesetzte muss ihn von derArbeit entfernen (lassen). Tut erdies nicht, obwohl die Beeinträch-tigung erkennbar war, macht ersich mitschuldig. Das Gleiche giltnatürlich, wenn sich jemand wäh-rend der Arbeit z.B. mit Alkohol indiesen Zustand versetzt. Bei ar-beitsvertraglichen Verstößen oderArbeitsunfällen drohen je nach Um-ständen Verwarnung, Abmahnun-gen, fristgerechte oder fristloseKündigung.

Anders ist die Rechtslage beieinem abhängig kranken Be-schäftigten, der sich als solcher zuerkennen gibt. Bei beabsichtigtenKündigungen gelten für ihn ande-re und strengere Maßstäbe: stattAbmahnungen Gespräche mitHilfsangeboten (siehe S. 4). Es gel-ten die Regeln der krankheitsbe-dingten Kündigung.

EntgeltfortzahlungBei Unfällen durch Suchtmittel-missbrauch während der Arbeitoder auf dem Arbeitsweg kann dieVerpflichtung des Arbeitgebers zurEntgeltfortzahlung entfallen. Werangetrunken nach Hause ge-schickt wird, hat keinen Anspruch

auf Zahlung des Arbeitsentgeltesfür die ausgefallene Arbeitszeit.

HaftungNach der Rechtsprechung reichtunter Umständen Fahrlässigkeiteines Beschäftigten, z.B. Bierge-nuss vor der Arbeit, um Schadens-ersatzforderungen des Arbeitge-bers bei Unfällen mit Schadensfol-ge oder Schmerzensgeldforderun-gen von Geschädigten auszulösen.Diese Umstände können bei Sucht-kranken weniger stark bewertetwerden. Das ist stark von der Si-tuation des Einzelfalles abhängigund keinesfalls sicher.

VersicherungsschutzBei suchtmittelbedingten Unfällenbei der Arbeit und im Straßenver-kehr geht in aller Regel der Versi-cherungsschutz durch die Berufs-genossenschaft bzw. andere Ver-sicherungen ganz oder teilweiseverloren. Das Suchtmittel muss derwesentliche Grund für den Unfallgewesen sein.

Zivil- und StrafrechtGefährdung, Verletzung und Tö-tung im Straßenverkehr stehenunter Geld- oder Freiheitsstrafe,insbesondere nach Rauschmittel-aber möglicherweise auch Me-dikamentenkonsum. Bei Medi-kamenten haben die Beschäf-tigten eine „Vergewisse-rungspflicht“, sie müssensich informieren. Der Arzthat sie zu beraten.

Schutz für SuchtkrankeNachdem Alkoholismus und ggf. imEinzelfall auch andere Suchtformenals „Krankheit“ eingestuft wer-den, hat der Arbeitgeber diesen Be-schäftigten gegenüber Entgeltfort-zahlung im Krankheitsfall zu ent-richten. Die Kranken- und Renten-versicherungen bezahlen dieBehandlung und Rehabilitations-maßnahmen.

Abhängigkeit und arbeits-medizinische VorsorgeIm Bereich der wenigen vorge-schriebenen Vorsorgeuntersu-chungen auf Grund eines Geset-zes oder einer berufsgenossen-schaftlichen Vorschrift gibt es kei-ne arbeitsmedizinischen Untersu-chungen, die Drogen- oder Alko-holtests rechtfertigen.

Für den Einsatz von Alkomatenoder Drogentests im Betrieb gilt:ohne Mitbestimmung läuft hier

nichts. Auch der Be-triebsarzt kann nicht

einfach solche Untersu-chungen durchführen.

Die teilweise praktiziertenTests insbesondere bei Aus-

zubildenden werden in der ar-beitsrechtlichen Literatur über-

wiegend als rechtswidrig ange-sehen. Im Zweifelsfall den Be-triebsrat oder die IG Metalleinschalten.

Weitere Informationen in: Rainer Rehwald,Einstellungsuntersuchungen auf Alkohol- undDrogenkonsum, Arbeitsrecht im Betrieb, 3/2000,S. 125 bis 129.

Sucht und Recht„Betrunken“, „benommen“ oder abhängig krank: ein entscheidender Unterschied

* Eine ausführliche Behandlung des Themas findet sich in der Broschüre „Alkohol im Betrieb“, siehe Bücherbord.

Bildung eines Arbeitskreises mit Betriebsräten,Vertrauensleuten, Vorgesetzen und der Arbeit-gebervertretung. Zweckmäßig: externeModeration durch geschulte Personen.

Öffentliche An- und Aussprache zum Themaim Betrieb auf Betriebs- und Abteilungs-versammlungen, in Informationsschriften,aber auch in Vertrauenskörpersitzungen undim Betriebsrat.

Schulung der Vorgesetzten zum Thema „Sucht“.

Ernennung interner oder externer Suchtberater.

Schaffung von Rechtssicherheit für alle durch eineBetriebsvereinbarung (siehe nächste Seite).

„Hätte mich doch bloß jemand rechtzeitig angesprochen“

Herausgegeber: IG Metall-Vorstand,Referat Arbeits- und Gesundheits-schutz, Lyoner Straße 32, 60528 Frank-furt. Verantwortlich: Horst Schmitthen-ner. Redaktion: Peter Altenburg/BertRömer/Waltraud Schäfer/Frank Walen-sky-Schweppe. September 2001.

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Eine qualifizierte Umsetzung derRechtsvorschriften im betriebli-chen Gesundheitsschutz ist diebeste Prävention gegen Suchtge-fährdung für die gesamteBelegschaft eines Betrie-bes.

Darüber hinaussind in den letz-ten Jahren wir-kungsvolle Instru-mente entwickeltworden, den Betroffe-nen und denjenigen, dieam Rande des Abgrundszur Suchtkrankheit stehen,zu helfen.Beides ist in der Regel durch eineBetriebsvereinbarung abzusi-chern.

Betriebsvereinbarungzur Umsetzung des Arbeitsschutz-gesetzes und zu Maßnahmen desGesundheitsschutzes, um beson-ders belastende (und suchtfördern-de) Arbeitsbedingungen zu besei-

Wer kannhelfen?Im BetriebFür menschenwürdige Arbeitsbe-dingungen zu sorgen ist Aufgabedes Arbeitsgebers und der Vor-gesetzten. Bei auftretenden Sucht-problemen haben sie eine Fürsor-gepflicht.

Der Betriebsrat kann über sei-ne Initiativ- und Mitbestimmungs-rechte Regelungen zur Behandlunggefährdeter Beschäftigter ebensoverlangen wie präventive Maßnah-men des Gesundheitsschutzesdurchsetzen. Bei Kündigungenwegen Suchtmittelmissbrauchkann er die Zustimmung verwei-gern und Hilfsmaßnahmen fordern.

Der Betriebsarzt hat den Ar-beitgeber bei der Verbesserung derArbeitsbedingungen und die Sucht-gefährdeten auf Wunsch arbeits-medizinisch zu beraten. Er ist da-bei an die Schweigepflicht gebun-den.

Wenn vorhanden, helfen be-triebliche Suchtberater den Be-troffenen bei der Kontaktaufnah-me mit Beratungsstellen, ambulan-ten oder stationären Einrichtungender Suchtkrankenhilfe und unter-stützen die Wiedereingliederung inden Betrieb. Kleinbetriebe solltenbei der Benennung von Suchtbe-ratern kooperieren.

AußerbetrieblichFast in jeder Stadt existieren Ein-richtungen, die Betroffenen helfenkönnen. Selbsthilfegruppen wiedie „Anonymen Alkoholiker“, der„Kreuzbund“ u.a. geben außer-halb der Arbeitszeit sozialen Haltund Beratung. Sie schicken aufWunsch häufig Referenten zu be-trieblichen Veranstaltungen oderschließen Kooperationsabkommenmit Betrieben als Anlaufstelle.

Krankenkassen, Kommunen, so-ziale Einrichtungen, Caritas, Arbei-tersamariterbund u.a., aber aucheinige spezialisierte Krankenhäuser,bieten Beratung für Suchtgefähr-dete und ihre Angehörigen an. Dortkann ambulante oder stationäre Be-handlung in die Wege geleiten wer-den. Betriebe, die Suchtpräventionbetreiben, können über eine Kon-taktaufnahme mit diesen Institutio-nen für schnelle Hilfestellung imErnstfall sorgen.

te“ für Betroffene, Vorgehenbei Kündigungen, Wiederein-gliederung Betroffener nacherfolgter RehabilitationInstallation eines Suchtbeauf-tragten im Betrieb, Bildungeines Arbeitskreises Sucht imBetriebKontaktaufnahme mit Einrich-tungen zur Suchtkrankenhilfe

1 Hierzu ist kein „Alkoholverbot“notwendig. Es reicht oftmals, dieVerfügbarkeit von Alkohol zu be-seitigen, z.B. durch Abschaffungder Bierautomaten.

Weitere Informationen in der neuen CD „Gesün-der @rbeiten“, zu bestellen über die Union-Druckerei inFrankfurt(Tel. 069 /7952-171),Bestellnum-mer 13441,20 Mark.

tigen oder zu mildern. Beispiel: be-sondere Beratungs- und Ernäh-rungsangebote für Schichtarbeiter,gesundheitlich bessere Schichtmo-

delle, Jobrotationbei monotonen Ar-beiten, zusätzlichePausen als Erhol-zeiten.

Darin ein-gebettetBV zur Sucht-

krankenhilfe: Verfügbarkeit

von Suchtmitteln imBetrieb einschränken1,

Durchführung von Gesund-heitstagen im Betrieb, Aufklä-rung über das Thema in derBelegschaftSchulung der Vorgesetzteninsbesondere zum Verhaltenbei auffälligen BeschäftigtenKlärung der Vorgehensweisebei Auffälligkeiten durch Ein-richtung einer „Gesprächsket-

Siemens: Nichtraucher-schutz am ArbeitsplatzSeit dem Frühjahr 1999 gibt es beiSiemens an den Standorten Linden-platz und Rothenburgsort in Ham-burg eine Betriebsvereinbarungzum Schutz der NichtraucherInnen.

Sie sieht vor, dass Rauchen inallen allgemein zugänglichen Räu-men wie den Büros, den Treppen-häusern, Aufzügen etc. sowie derKantine mit Ausnahme der Cafe-teria verboten ist. Im Gegenzugwurden Umbaumaßnahmen durch-geführt und auf jeder Etage spezi-elle Raucherzonen mit Scheiben-ventilatoren eingerichtet. Darüber

Erfolgreiche Suchtpräventionim Betrieb hat zwei Säulen:GESUNDES ARBEITEN UND HILFE FÜR BETROFFENE

Gute Praxisbeispielehinaus bekommen die RaucherIn-nen Unterstützung, Beratung undInformationen zur Entwöhnung an-geboten.

Sachs AG SchweinfurtBei der Sachs AG in Schweinfurt,einem Zulieferer für die Automo-bilindustrie, begegnete man dembetrieblichen Alkoholproblem inzwei Stufen. Einer breit angeleg-ten offenen Diskussion des Pro-blems im Betrieb und auf Betriebs-versammlungen folgte eine mitdem Arbeitgeber ausgehandelteBetriebsvereinbarung, die zur Ab-wendung von Kündigungen insechs Stufen den Betroffenen Hilfeanbietet. Das Verfahren beginnt inder ersten Stufe mit einem persön-

lichen Gespräch mit den Vorge-setzten unter Beteiligungdes Betriebsrats und endet

in der sechten Stufe miteiner Wiedereinstellungs-zusage, wenn der/die Be-troffene Abstinenz nach-weisen kann.

Deutsche Ford-WerkeBei den deutschen Ford-Werken inSaarlouis sind werksinterneSelbsthilfegruppen eingerichtetworden. Sie kümmern sich imErnstfall nicht nur um die Betroffe-nen. Auch die Angehörigen werdenzur Stabilisierung des sozialenUmfeldes einbezogen. Die Rück-fallquote konnte mit diesen Maß-nahmen von normalerweise 50 aufrund 20 Prozent gesenkt werden.

IKK Schleswig-HolsteinDie Innungskrankenkasse (IKK)Schleswig Holstein hat den „Hand-werker-Fonds Suchtkrankheit e.V.“mitinitiiert. Er bietet von der Be-ratung bis zur Hilfe bei Lohnfort-zahlung Unterstützung bei der Be-handlung suchtkranker Mitarbei-ter. Das soll die finanzielle Bela-stung kleinerer Betriebe vermin-dern und Hilfe in einem Bereichorganisieren, der sonst besondersschwer zugänglich ist und wo dieBetroffenheit aufgrund der Be-triebsgröße besonders hoch ist.