Sudan - Kein leichter Weg in die Zukunft

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BAND 18 Sudan – Kein leichter Weg in die Zukunft Alex de Waal Zeit der Entscheidungen im Sudan: Szenarien über das Frie- densabkommen hinaus Atta El-Battahani Der Sudan wählt – kaum Aus- sichten auf demokratischen Wandel John G. Nuyot Yoh Countdown zwischen Nord und Süd – Dynamik und Folgen einer möglichen Spaltung Marina Pe- ter Blue Nile, Nuba Mountains und Abyei: Drei Gebiete im Übergang – aber wohin? Roland Marchal Die regionalen Aspekte der sudanesischen Politik Peter Schumann Keine einfache Mission: Internationale Akteure und der Frieden im Sudan

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International renommierte Experten aus aller Welt diskutieren in dem 120 Seiten starken Band “Sudan – Kein leichter Weg in die Zukunft” Szenarien für die Endphase des 2011 auslaufenden Friedensabkommens zwischen Nord und Süd, sowie für die Zeit danach. "Die Wahlen im April 2010 und das für Januar 2011 geplante Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan stellen die Weichen für die Zeit nach dem Ende des Friedensabkommens”, sagt Barbara Unmüßig, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung. "Die internationale Gemeinschaft muss sich mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen und vorbereitet sein, wenn sie einen Rückfall des Sudan in den Bürgerkrieg verhindern will. Die Publikation liefert Hintergrundinformationen und stellt Szenarien vor, mit der sich die internationale Gemeinschaft befassen muss." So warnt etwa der führende Sudan-Experte Alex de Waal in seinem Beitrag vor der drohenden Unregierbarkeit des Landes. Ein Grund hierfür sei der fortschreitende Vertrauens- und Legitimationsverlust im Land: Der Erhalt der eigenen Macht sei die einzige Aufgabe, die die Regierenden im nordsudanesischen Khartum und im südsudanesischen Juba noch bewältigen können. Ziele und Strategien der wichtigsten sudanesischen Parteien analysiert Atta El-Battahani, Mitglied des National Committee for Election Observation und ehemaliger Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Khartum. Dabei beklagt er die verpassten Chancen auf echten demokratischen Wandel seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens. Weitere Beiträge im Buch beschäftigen sich mit der Bilanz der SPLM als "Befreiungsbewegung an der Macht" (John Yoh), mit der Zukunft der von der SPLM dominierten Gebiete im Nordsudan (Marina Peter), sowie mit den regionalen (Roland Marchal) und internationalen (Peter Schumann) Aspekten der sudanesischen Krise.

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Schriften Zur demoKratie

Band 18

Sudan – Kein leichter Weg in die Zukunftherausgegeben von der heinrich-Böll-Stiftung

Page 6: Sudan - Kein leichter Weg in die Zukunft

Sudan – Kein leichter Weg in die ZukunftBand 18 der Reihe Demokratie

Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung © Heinrich-Böll-Stiftung 2010 Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Bernd HerrmannÜbersetzungen aus dem Englischen: Jochen Schimmang

Gestaltung: graphic syndicat, Michael Pickardt (nach Entwürfen von blotto Design)Druck: agit-druckPhotos: Sven Torfinn/laif (Cover), Philip Dhill/dpa/epa (29), Rita Willaert (30), Feinstein International Center (47), Radio Nederland Wereldomroep (58), Internews Network (78), Axel Harneit-Sievers (95), Juan Michel / WCC (Marina Peter, 119), Université Total (Roland Marchal, 119), Torsten Hönig (Peter Schumann, 120)

ISBN 978-3-86928-032-5

Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin t +49 30 28534-0 f +49 30 28534-109 e [email protected] W www.boell.de

Page 7: Sudan - Kein leichter Weg in die Zukunft

inhalt

Vorwort 7

alex de WaalZeit der Entscheidungen im Sudan: Szenarien über das Friedensabkommen hinaus 10

atta el-BattahaniDer Sudan wählt – kaum Aussichten auf demokratischen Wandel 31

John g. nuyot YohCountdown zwischen Nord und Süd – Dynamik und Folgen einer möglichen Spaltung 48

info-Box: Pieter WezemannWaffenlieferungen an den Nord- und Süd-Sudan 59

marina PeterBlue Nile, Nuba Mountains und Abyei: Drei Gebiete im Übergang – aber wohin? 62

roland marchalDie regionalen Aspekte der sudanesischen Politik 79

info-Box: axel harneit-SieversÖl im Sudan: Motor des Konflikts oder Motor der Entwicklung? 96

Peter SchumannKeine einfache Mission: Internationale Akteure und der Frieden im Sudan 100

Chronologie 113

Abkürzungen 117

Die Autorinnen und Autoren 119

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KHARTOUM

Buram

Dongola

Halaib

Kapoeta

Karima

MuhammadQol

Nagishot

Radom

Selima Oasis Salala

Suakin

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The boundaries and names shown and the designations used on this map do not imply official endorsement or acceptanceby the United Nations.

Map No. 3707 Rev. 10 UNITED NATIONSApril 2007

Department of Peacekeeping OperationsCartographic Section

SUDAN

Quelle: www.un.org

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VorWort

Zum Ende der im Comprehensive Peace Agreement (CPA) vorgesehenen, auf sechs Jahre angelegten Übergangszeit befindet sich der Sudan einmal mehr am Rande einer Krise. Die Wahlen im April 2010 – die ersten seit 24 Jahren – haben den Anspruch auf demokratische Teilhabe nur sehr begrenzt einlösen können. Zugleich sehen viele Beobachter in den Wahlen nichts als ein Vorspiel für die Volksabstimmung über den zukünftigen Status des Süd-Sudan, die für Anfang 2011 angesetzt ist.

Sowohl die Wahlen als auch die Volksabstimmung finden gegen Ende einer Übergangszeit statt, deren wichtigstes Merkmal Stillstand, nicht Übergang, war. Die Umsetzung des CPA hat sich immer wieder verzögert, und die Unterzeichner des Abkommens – die Regierung des Sudans und die Sudan’s People Liberation Movement (SPLM) – bringen sich weiterhin nur Misstrauen entgegen. Insgesamt hat das Friedensabkommen den demokratischen Wandel nur wenig befördert, und es ist ihm nicht gelungen, die Einheit des Landes für beide Seiten attraktiv zu machen. Politische Spannungen im Vorfeld der Wahlen haben stattdessen gezeigt, dass alte Streitigkeiten weiter bestehen und dass die Volksabstimmung im Süden die Probleme des Landes nicht lösen, sondern lediglich ändern wird. Ein erneuter Ausbruch der Gewalt erscheint in dieser sehr angespannten Lage keineswegs ausgeschlossen.

Die internationale Gemeinschaft muss sich mit diesen Entwicklungen ausei-nandersetzen und vorbereitet sein, wenn sie einen Rückfall des Sudans in den Bürgerkrieg verhindern will. Doch die Perspektive über 2011 hinaus wird in der öffentlichen Debatte wie im diplomatischen Tagesgeschäft weiterhin vernachläs-sigt. Dass sich die Geschehnisse der kommenden Jahre nicht im Detail vorhersehen lassen, ist offensichtlich. Dennoch ist es möglich, Szenarien zu entwerfen und die politischen Wahlmöglichkeiten der unterschiedlichen Akteure aufzuzeigen.

Die Heinrich-Böll-Stiftung arbeitet mit Partnern aus der sudanesischen Zivil-gesellschaft sowohl vor Ort als auch im deutschen und europäischen Kontext. Der vorliegende Band ist ein Ergebnis dieser Arbeit. Er liefert Hintergrundinfor-mationen zu den aktuellen Entwicklungen im Sudan und stellt Szenarien vor, mit denen sich die internationale Gemeinschaft befassen muss. Wir freuen uns, dass es uns gelungen ist, dafür eine außergewöhnliche Gruppe von Autorinnen und Autoren zu gewinnen. Die Kapitel in diesem Band verweisen auf ihre unter-schiedlichen Hintergründe und Sichtweisen, zeigen aber auch, dass sie alle vor allem eines wollen: einen demokratischen, friedlichen Sudan.

Im ersten Teil zeichnet Alex de Waal nach, welche Faktoren die Politik im Sudan dauerhaft prägen, und er entwirft mögliche Entwicklungswege für das V

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Land nach Ablauf des CPA. Dabei weist er vor allem darauf hin, dass die Debatte um Einheit oder Abspaltung von einer anderen, gleichermaßen wichtigen Frage ablenkt – nämlich der, ob der Sudan nach Jahrzehnten der Konflikte und des institutionellen Verfalls überhaupt noch regierbar sein wird.

Atta El-Battahani, einer der angesehensten Verteidiger der Demokratie im Sudan, führt diese Überlegungen weiter. Er skizziert die Geschichte der weitge-hend erfolglosen Versuche, im Sudan ein dauerhaftes demokratisches System aufzubauen, und gibt so den aktuellen Anstrengungen einen historischen Rahmen. Anschließend gibt El-Battahani einen Überblick über die politische Landschaft im Sudan.

John Yoh ergänzt dies um eine Sicht aus dem Süden. Sein Beitrag zieht eine kritische Bilanz der fünf Jahre, die die SPLM mittlerweile als „Befreiungsbewe-gung an der Macht“ verbracht hat. Dabei betont Yoh besonders, dass im Süden stärker über die mögliche Unabhängigkeit 2011 hinaus gedacht werden müsse.

An Yohs Analyse des Süd-Sudans schließt sich Marina Peters Aufsatz über die sogenannten «Drei Gebiete» an: Die Menschen in der Blue-Nile-Provinz, den Nuba-Bergen und Abyei – drei Regionen, die sich nicht in das simple Bild der Nord-Süd-Teilung des Sudans fügen – sind in Sorge, dass sie die Rechnung für den immer klareren Unabhängigkeitskurs der SPLM zahlen werden. Vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Arbeit mit der sudanesischen Zivilgesellschaft tritt Peter für einen offenen politischen Prozess im Sudan ein, der alle Bevöl-kerungsteile einschließt und der auch den Menschen in den drei Gebieten die Möglichkeit gibt, ihre Zukunft selbst zu bestimmen.

In den abschließenden Beiträgen geht es um außenpolitische Aspekte der Konflikte im Sudan. Roland Marchal entwirrt das Netz aus Interessen, Rivali-täten, Bündnissen und Abhängigkeiten, das den Sudan mit seinen Nachbarn in der Region verbindet. Darauf aufbauend entwickelt er Szenarien für die mögli-chen Auswirkungen, die eine Abspaltung des Süd-Sudans auf die labile Ordnung in der Region haben könnte.

Peter Schumann schließlich erläutert, wie ein anfangs rein lokaler Konflikt zur Sache zahlreicher internationaler Akteure wurde und skizziert die nicht selten widersprüchlichen Interessen der wichtigsten Kräfte. Vor dem Hinter-grund seiner Erfahrungen in der United Nations Mission in Sudan (UNMIS) legt Schumann dar, dass der Erfolg des internationalen Einsatzes nicht so sehr von mehr finanziellen Mitteln, sondern vor allem von einem klareren politischen Mandat und einer besseren Koordination der einzelnen Akteure abhängt.

Das Ziel dieses Bandes ist es, den Blick auf die politische Zukunft des Sudans zu weiten – weg von einer bloßen Nahsicht auf die mögliche Spaltung des Landes. Es ist dringend nötig, politische Perspektiven für das gesamte Land zu entwickeln, ganz gleich, zu welchem Ergebnis die Volksabstimmung im Süden kommen wird. Die Unabhängigkeit des Süd-Sudans mag eine Reihe von Fragen lösen. Viele grundlegende Probleme bleiben jedoch bestehen, und eine Reihe weiterer Streitpunkte – von der Frage der Staatsbürgerschaft bis zur Aufteilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft – kommt neu hinzu. Keines dieser Probleme

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kann von nur einer Seite gelöst werden. Alle Seiten müssen dazu bereit sein, Kompromisse zu schließen – falls nötig über Grenzen hinweg.

Die internationale Gemeinschaft, auch Deutschland, kann dazu beitragen, die Verhältnisse für die Zeit nach dem Friedensabkommen zu ordnen. Mit den Wahlen 2010 und der Volksabstimmung 2011 beginnt eine Zeit der Entschei-dungen im Sudan. Was zur Wahl steht, ist oftmals alles andere als ideal – entscheidend aber ist es dennoch. Alle Autorinnen und Autoren dieses Bandes stimmen darin überein, dass es für den Sudan keinen leichten Weg in die Zukunft gibt und dass die Gefahr eines erneuten Krieges sehr real ist. Sie vermitteln aber auch einen Eindruck davon, dass die Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, ein erster Schritt zur Überwindung der Probleme sein können, die den Sudan jahrzehntelang heimgesucht haben.

Berlin, April 2010

Kirsten Maas-Albert Toni WeisLeiterin des Regionalreferats Afrika Regionalreferat AfrikaHeinrich-Böll-Stiftung Heinrich-Böll-Stiftung

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alex de Waal

Zeit der entscheidungen im Sudan: Szenarien über das friedensabkommen hinaus

einleitung

Jetzt, wo sich die im sudanesischen Friedensabkommen, dem Comprehensive Peace Agreement (CPA), vorgesehene Übergangszeit dem Ende nähert, steht der Sudan vor zwei Bewährungsproben – den Wahlen im April 2010 und dem Referendum über die Selbstbestimmung für den Süd-Sudan Anfang 2011. Den Gegnern von einst ist es nicht gelungen, zu dynamischen Partnern zu werden und aus der Vielfalt eine Einheit zu formen. Der Sudan wird von zwei sich gegen-seitig misstrauenden, defensiven und ausgelaugten Parteien beherrscht, die ihren Besitzstand wahren wollen und ein politisches Nullsummenspiel betreiben. Die Chancen stehen schlecht für einen friedlichen Sudan nach Ende des CPA.

Im Sudan war und ist man sich nicht einig darüber, was die nationale Identität des Landes ausmacht. Selbst herausragende Ereignisse – die Unabhängigkeit 1956, das Friedensabkommen 2005 – werden unterschiedlich gesehen. Hinzu kommen politische Nullsummenspiele: Jede Regierung versucht, verschiedene Interessengruppen unter einen Hut zu bekommen oder ihre Vorstellungen in der Verfassung zu verankern – und jede scheitert dabei unweigerlich. Der politi-sche Spielraum im Sudan ist gering. Wenn das Land bislang vor dem Ausein-anderbrechen bewahrt werden konnte, so nur durch einen beständigen Dialog und endloses Schachern unter schwierigen Rahmenbedingungen. Schließlich schwinden im Sudan allmählich und unaufhaltsam sowohl die staatlichen Insti-tutionen wie auch die gesellschaftlichen Sitten; sie werden abgelöst durch ein von Geldinteressen bestimmtes, internationalisiertes und an Lobbys gebun-denes System der Vetternwirtschaft.

Zwei Fragen bestimmen die meisten Szenarien für die Zeit bis und nach 2011: Wird der Sudan eine Nation bleiben – wird sich der Süden abspalten? Und: Wird es zu einem neuen Krieg kommen? Geht man von der Stimmung im Süden aus, ist die Abspaltung eine ausgemachte Sache. Die Zeit, diesen Prozess geordnet, legal und einvernehmlich zu gestalten, ist erschreckend kurz. Es gibt viele mögliche Unruheherde für einen neuen Krieg. Jeder weitere bewaffnete

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Konflikt birgt das Risiko, zu einem regionalen Lauffeuer zu werden, das sich nur schwer eingrenzen und kaum löschen lässt.

Zwei weitere, bislang vernachlässigte Aspekte könnten die Krise weiter verschärfen. Das ist zum einen die Frage, ob der Sudan unregierbar wird, sollte es den Regierenden in Khartum und in Juba nicht gelingen, die finanziellen Bedürf-nisse ihrer Klienten zu befriedigen. Zum anderen ist unklar, ob die Abspaltung des Südens nicht einen Prozess der Zersplitterung im gesamten Land auslöst und andere Landesteile dann gleichermaßen Selbstbestimmung verlangen werden.

dauerhafte merkmale des politischen lebens im Sudan

Die vergebliche Suche nach einer nationalen Identität

Im Januar 2005 nannte Präsident Omar al Bashir das Friedensabkommen «die Geburtsstunde der zweiten Unabhängigkeit des Sudans». Diese viel zitierte Formel war ein sehr zwiespältiges Kompliment. Die Unabhängigkeit, am 1. Januar 1956, hatte für unterschiedliche Menschen sehr verschiedene Bedeu-tungen. Für Premierminister Ismail al Azhari und seine National Unionist Party war die Unabhängigkeit ganz offiziell nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Vereinigung mit Ägypten. Die säkularen Nationalisten sahen das anders, und für die Führer der Umma-Partei war es die Wiederherstellung der «ersten Unabhängigkeit» des Sudans während des Mahdi-Staates (1885-1898). Schon am Vorabend der Unabhängigkeit rebellierten im Süden Soldaten, und die Führer dort stimmten nur widerstrebend für die Unabhängigkeit, wobei sie sich auf das später nicht eingehaltene Versprechen verließen, der Sudan werde sich eine föderative Verfassung geben (Alier 1992).

Die Unabhängigkeit war ein unwiderruflicher Schritt und zugleich ein nicht ausgereifter Kompromiss – es gelang nicht, die widersprüchliche Identität des Sudans aufzulösen. Er war Vorbote wiederholter politischer Krisen, denn den Sudanesen gelang es nicht, die Widersprüche ihrer Nation zu lösen. Der Sudan trat mit einer vorläufigen Verfassung in die Unabhängigkeit ein und hatte während der vergangenen 54 Jahre fast immer provisorische oder Notstandsre-gierungen (Woodward 1990; Abdel Salam 2001).

Mehr als ein halbes Jahrhundert stritten die Sudanesen darüber, was es heißt, Sudanese zu sein (Al-Effendi 1991; Deng 1995). Die wichtigsten Streitpunkte waren, ob der Sudan ein arabischer Staat oder eine afrikanische Nation sei, und ob er islamisch oder weltlich regiert werden sollte. Der Gegensatz zwischen Norden und Süden hat dabei einen gleichermaßen wichtigen Widerstreit inner-halb des Nordens verdeckt, der erst vor kurzem im immer noch nicht beendeten Krieg in Darfur ans Licht trat (de Waal 2005). Trotz der erbitterten und blutig geführten Auseinandersetzungen über die nationale Identität, war die sudane-sische Gesellschaft in der Frage, wer Sudanesen sei und wer nicht, erstaunlich inklusiv.

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Zwei revolutionäre Regimes versuchten, im Sudan eine dauerhafte Ordnung durchzusetzen: Nimeiri von der säkularen Linken, Turabi und Bashir von der islamistischen Rechten. Beide scheiterten, und ihr Scheitern hat den Insti-tutionen und der gesellschaftlichen und politischen Verfasstheit des Landes schweren Schaden zugefügt. Beide Regimes gingen schließlich dazu über, sich mit Geld politische Loyalität zu erkaufen, und machten so Korruption zum festen Bestandteil des politischen Lebens.

Das am 9. Januar 2005 in Nairobi unterzeichnete Friedensabkommen war möglicherweise das bedeutendste politische Abkommen im modernen Sudan. Wie im Fall der Unabhängigkeit bedeutet aber auch dieses Abkommen für unter-schiedliche Menschen Verschiedenes – und es ist eine weitere Übergangsrege-lung, begrenzt auf genau sechs Jahre. Das Abkommen hat die Widersprüche in der Identität des Sudans eher verschleiert als aufgelöst. Von größter Bedeutung ist, dass das Abkommen für die Klärung der Frage, ob der Sudan aus einer oder aus zwei Nationen besteht, eine Frist – das Referendum vom 9. Januar 2011 – gesetzt hat.

Die Zweideutigkeit des «Comprehensive Peace Agreements» (CPA) beginnt mit der arabischen Übersetzung des Namens: «ittafag al salam al shamil». Der Begriff «shamil» (umfassend) wurde gewählt, um auszudrücken, dass es alle nationalen Schlüsselfragen berührt; es sollte so den Weg in eine alles einbezie-hende demokratische Zukunft öffnen. (In der Tat ist das CPA ein bemerkens-wert weit reichendes Dokument.) «Shamil» hat jedoch dieselbe Wurzel wie «shumuliya» (Totalitarismus), und Varianten dieses Begriffs sind von Nimeiri (in Bezug auf seinen Einparteienstaat) und von Turabi («Die umfassende Anrufung Gottes») benutzt worden. Für das Abkommen impliziert der Begriff «shamil» eine Vereinbarung ausschließlich zwischen der National Congress Party (NCP) und der Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) über die Teilung der Macht im Land.

Vom Standpunkt der NCP stellte das Abkommen für den Süden das beste Ergebnis und die beste und letzte Chance für die Einheit dar. Für die Führer der NCP gab die Formel «ein Land, zwei Systeme» den Bewohnern des Südens eine privilegierte Stellung: Die SPLM kontrolliert nicht nur den Süden, sie hat auch im Norden eine starke Stellung – bis hin zum Vetorecht bei entscheidenden natio-nalen Fragen. Die Bewohner des Südens, glaubte die NCP, konnten sich nichts Besseres wünschen. Für die regierende Partei, Militärs und Polizei bedeutete «die Einheit attraktiv machen», dass man entsprechend des Friedensabkom-mens Wohlstand und Macht teilen würde. Die SPLM wäre dadurch in der Lage, den Süden zu regieren und könnte den Eliten dort materielle Anreize bieten, die diese davon überzeugen würden, dass ein einiger Sudan in ihrem finanziellen Interesse sei.

Die SPLM nahm das Abkommen anders wahr als ihre Anhänger. John Garang und seine engsten Vertrauten unterstützten ursprünglich die Vision eines «neuen Sudans», das heißt sie wollten erreichen, dass die Mehrheit des sudanesischen Volkes im Zentrum der Macht vertreten ist. Garang ging davon aus, die NCP habe

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auf lange Sicht keine andere Wahl, als sich den Kräften des politischen Wandels zu beugen. Für ihn bedeutete «die Einheit attraktiv machen» den Aufbau des Neuen Sudans. Die Bewohner des Südens sollten so davon überzeugt werden, dass sie als Teil einer Koalition auch das Recht hätten, den Norden zu regieren. Im Gegensatz dazu sahen die meisten Bewohner des Südens das Friedensab-kommen als Schritt in die Unabhängigkeit, und die Verpflichtung zur Einheit war für sie nur Taktik.

Die Anhänger der SPLM im nördlichen Sudan, darunter nichtarabische Minderheiten wie die Nuba und die Völker der Blue-Nile-Provinz, waren für Garangs Vision eines einigen, weltlichen Sudans. Die meisten von ihnen verstanden nicht genau, welche Folgen das Abkommen für sie haben würde. Der Zusatz über die «Drei Regionen» («Three Areas») enthielt eine Bestimmung über den besonderen Status der Territorien in Süd-Kordofan und in der Blue-Nile-Provinz während der Übergangsperiode, derzufolge in den gewählten Parlamenten eine «Volksbefragung» darüber durchzuführen sei, ob dieser Status aufrecht erhalten werden solle oder nicht. Viele Anhänger der SPLM in diesen Regionen hofften jedoch, am Referendum im Süd-Sudan teilnehmen und sich mit ihren Regionen einem künftigen Süd-Sudan anschließen zu können. Laut Abkommen trifft das aber nur für die Bevölkerung von Abyei zu.

Für Nord-Sudanesen, die nicht die NCP unterstützen, bedeutete das Friedens-abkommen noch etwas anderes. Für die Opposition war vor allem die Regelung über die «Zwischenwahlen» wichtig, die die ersten freien und fairen Mehrpartei-enwahlen seit 1986 werden sollten. Sie hofften, dass sie bei den Wahlen in der Lage sein würden, erneut die Stimmen der Anhänger zu gewinnen, die sie vor 20 Jahren unterstützt hatten.

Für die Bewohner von Darfur, die sich schon während der letzten Verhand-lungsrunden im Aufstand befanden, bedeutete das Abkommen wenig. Die Führer von SLM und JEM sympathisierten mit Garangs Vision. Für sie war Darfur, ähnlich dem Süden, Opfer eines übermächtigen Zentrums. Die Bewohner von Darfur setzten viel Vertrauen in Garang als Person und verloren dieses Vertrauen nach seinem Tod. Die Verhandlungen in Abuja (Nigeria), die zum dann gescheiterten Darfur Peace Agreement (DPA) führten, waren als Stützpfeiler des Friedensab-kommens gedacht, als Weg, den Bewohnern Darfurs die Teilhabe an der natio-nalen politischen Transformation zu ermöglichen. Während der letzten Runde der Gespräche in Abuja (November 2005 bis Mai 2006), ging man davon aus, dass 2008 oder Anfang 2009 gewählt werden würde, das heißt, alle Bestimmungen zur Machtteilung wären höchstens für drei Jahre gültig. Tatsächlich begriff keine der verhandelnden Parteien das Problem dieser Form. Trotz der klaren Sprache des CPA behandelten alle die Frage der Machtteilung, als handele es sich dabei um eine dauerhafte Regelung. Statt die Darfur-Krise als «sudanesische Krise in Darfur» zu sehen (African Union Panel on Darfur 2009), konzentrierte man sich auf die Besonderheiten von Darfur.

Die Separatisten im Süden hoffen, dass die Abtrennung die Konflikte zwischen verschiedenen Identitäten endgültig beenden wird. Das ist sehr optimistisch

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gedacht. Die Grenzen sind willkürlich, die Identitäten auf beiden Seiten der Übergangszone nicht festgelegt. Der Süden und der Norden haben eine lange gemeinsame Geschichte, die sich nur schwer entflechten lässt. Die Teilung des Sudans wird die Diskussion über die nationale Identität nicht beenden, sie wird nur umgestaltet werden.

Ein politisches Nullsummenspiel

Der Erfolg des Friedensabkommens beruht auf den Übergangslösungen – der Status aller Beteiligten wird nur provisorisch definiert. Am schwierigsten an der Umsetzung des Abkommens war es, mit überzogenen Erwartungen fertig zu werden. Unglücklicherweise ist Politik im Sudan fast immer ein Nullsummen-spiel, das heißt, jeder Gewinn der einen Seite wird von der anderen unweigerlich als Verlust angesehen. Aktuell belauern sich die beiden größten Parteien und erwarten von der anderen Seite nur das Schlimmste.

Die Geschichte Sudans nach seiner Unabhängigkeit besteht aus einer Abfolge von Versuchen, die politische Landschaft des Landes neu zu gestalten und dabei bestimmte Gruppen auf Kosten anderer zu privilegieren. Meist wurden dabei die Menschen im Süden und in anderen randständigen Gebieten ausgeschlossen, aber Mitte der 1970er Jahre traf es auch die konfessionellen Parteien und die Islamisten im Norden. Manchmal haben Regierungen versucht, ihre Opponenten zu liquidieren, zum Beispiel als Nimeiri in den Jahren 1970-71 die Ansar und die Kommunisten zerschlug oder als die National Islamic Front (NIF) 1989-91 gegen die Opposition vorging und als sie 1992-93 versuchte, die Identität der Nuba und anderer marginalisierter Völker zu zerstören. Die Bewohner des Südens haben mehr als andere unter gewaltsamer Unterdrückung gelitten. Häufiger jedoch wurden Gegner vom Zugang zu Macht und Ressourcen abgeschnitten.

Die einzige Gruppierung, die im Sudan wirklich als politische Kraft eliminiert wurden, sind die Kommunisten, obgleich selbst sie überlebt haben, wenn auch in äußerst rudimentärer Form. Alle anderen Gruppierungen erwiesen sich als einfach zu robust. Bei den Wahlen von 1986 kam es zu den selben Ergebnissen wie 20 Jahren zuvor, wodurch Nimeiris revolutionärer Ehrgeiz zur Farce wurde. Heute könnten freie und faire Wahlen zwar zeigen, dass die konfessionellen Parteien an Einfluss verloren haben. Auf nationaler Ebene werden sie aber mit Sicherheit wichtige Akteure bleiben.

Ein Grundzug von Sudans turbulenter politischer Landschaft ist, dass alles ständig neu verhandelt wird. Internationale Vermittler, die dies umgehen wollen und gesetzlich bindende Dokumente anstreben, werden dadurch immer wieder frustriert. Es gibt keine Macht, die irgendein Abkommen garantieren oder ihm Geltung verschaffen könnte, und die Sudanesen wissen das genau. Ein begabter sudanesischer Führer kann diese Unbestimmtheit zu seinem Vorteil nutzen, indem er alle strittigen Fragen ausklammert und einen Minimalkonsens quer zu den Lagern schafft. Wenn dann die strittigen Fragen wieder auftauchen, kann er davon ausgehen, dass mittlerweile eine neue Realität geschaffen worden ist.

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Die Zeiten, in denen in der sudanesischen Politik die größte Einigkeit herrschte, fielen immer mit einem wirtschaftlichen Aufschwung zusammen, der es der Regierung ermöglichte, großzügig Zuwendungen auszuschütten und zuvor randständige Gruppen in die Regierung einzubinden. Das war in den 1950er Jahren der Fall, wie auch im kreditgestützten Aufschwung Mitte der 1970er Jahre und vor allem während des Ölbooms Mitte der 2000er. Der Staats-haushalt, 1999 weniger als eine Milliarde Dollar, wuchs nach dem Beginn der Ölexporte in schwindelerregendem Umfang und erreichte 2007 11,8 Milliarden Dollar (World Bank 2007). Die Führung der SPLM, die in den späten 1990er Jahren die Chance ausgelassen hatte, die Erdölförderung zu blockieren, erkannte nun, dass sie einem finanziell wesentlich besser ausgestatteten Gegner gegen-über stand und zugleich die Möglichkeit hatte, einen Anteil an den Einkünften zu bekommen. Die NCP konnte es sich leisten, die SPLM in die Regierung aufzu-nehmen – wodurch sie noch mehr Ölfelder erschließen, von den USA verspro-chene Technologie für Raffinerien erhalten konnte und dennoch nicht weniger einnahm. Das Friedensabkommen wurde so durch den Ölboom und das daraus resultierende politische Kalkül möglich.

Möglich wurde das Friedensabkommen aber auch, weil seine beiden Urheber die gemeinsame Präsidentschaft aktiv dazu nutzen wollten, Wahlen und Referendum zu einer Abstimmung nicht über die Vergangenheit, sondern über die Zukunft zu machen. Während verhandelt wurde, sah es so aus, als könnten die steigenden Einnahmen innerhalb von sechs Jahren einen sozio-ökonomi-schen Wandel bewirken.

Die wesentlichen Bestimmungen des Abkommens können nur dann planmäßig umgesetzt werden, wenn NCP und SPLM effektiv zusammenarbeiten. Das Verhältnis zwischen den beiden Parteien war von Anfang an problematisch. Doch der gegenseitige Respekt zwischen John Garang und Ali Osman Taha und ihr Versuch, Probleme strukturell anzugehen und vorausdenkend zu handeln, boten eine wirkliche Chance. Mit Garangs Tod und der Schwächung von Ali Osman wurde das Abkommen zu einer leeren Formel, und die ständige Vermitt-lung Dritter, insbesondere der USA, wurde immer wichtiger.

Das CPA ist ein äußerst komplexes Abkommen und sieht vielfache Übergänge vor: vom Krieg zum Frieden, von der Diktatur zur Demokratie, von einer zentra-lisierten Herrschaft zu Föderalismus und Teilhabe. All das umzusetzen wäre auch unter den besten Umständen eine gewaltige Aufgabe, die viel guten Willen, Abstimmung zwischen den Parteien und internationale Beteiligung und Finan-zierung erforderte. Das aber war nie der Fall. Seit das Abkommen unterzeichnet wurde, haben vier Ereignisse seinen Geist untergraben und seine Umsetzung zu kaum mehr als einer Pflichtübung und einem Wartespiel gemacht.

Der erste und schwerste Schlag war der frühe Tod von John Garang. Er starb am 31. Juli 2005 bei einem Hubschrauberabsturz, nur 21 Tage nachdem er den Posten eines Ersten Vizepräsidenten übernommen hatte. Niemand anderes aus dem Süden konnte so überzeugend für die Einheit des Landes eintreten. Sein Nachfolger, Salva Kiir, hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er für die Abspal-

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tung des Südens ist. Damit war der Motor des Wandels abgewürgt. Die Regierung der Nationalen Einheit stolperte in der Folge von einer Krise in die nächste, und jede Partei warf der anderen Hinterhältigkeit vor.

Der zweite Schlag war das Versagen in Darfur. Besonders ausschlaggebend war, dass durch die Aufmerksamkeit, die die Krise in Darfur auf sich zog, Hilfs-mittel in andere Kanäle gelenkt wurden, und die Hoffnung, die Beziehungen zwischen Khartum und Washington könnte sich normalisieren, schwand. Die Frage, ob internationale Truppen nach Darfur entsandt werden sollten, trug in Khartum zur Angst bei, ein Regimewechsel könne von außen erzwungen werden. Im Sudan wird jedes Zugeständnis an die USA als Handel betrachtet, in dem man etwas aufgibt, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten. Jeder Schritt des US-Sondergesandten, der Khartum zu nützen scheint, wird seinerseits von Lobbyisten und im Kongress als Bündnis mit dem Bösen angeprangert. Jeder Versuch der USA, das Friedensabkommen zu einem Instrument des Wandels zu machen, verpuffte so.

Das dritte Ereignis ist der Konflikt um Abyei. Hier war keine der Parteien bereit, gemeinsam mit der Gegenseite eine Lösung zu suchen. Jeder sah den eigenen Erfolg nur in der Übervorteilung des Anderen. Der Fall Abyei zeigt: Der Inhalt einer Übereinkunft kann weniger wichtig sein, als der Verhandlungspro-zess selbst, und auch internationale Garantien können wertlos sein.

Der vierte Schlag war die Entscheidung des Internationalen Strafgerichts-hofs (IStGH) im März 2009 einen Haftbefehl gegen Präsident Omar al Bashir zu erlassen. Die juristische Logik, sich für begangene Verbrechen verantworten zu müssen, lief der politischen Logik, über eine Transformation des Sudan zu verhandeln, zuwider. Für den Präsidenten und seine engsten Unterstützer wurde dadurch das bloße Überleben zum obersten Ziel. Das Vorgehen des Inter-nationalen Strafgerichtshofs zog ab Juli 2008 für ein Jahr den Großteil der politi-schen Energien der NCP auf sich und lieferte der Regierungspartei allen Grund, die Reform der Sicherheitsgesetze zu verzögern. Am wichtigsten: Das Verfahren gegen Bashir ließ die NCP verzweifelt nach politischer Legitimation suchen – und eine solche Legitimation sah man in der Wiederwahl Bashirs. Die «Zwischen-wahlen», die ursprünglich dazu dienen sollten, eine partnerschaftliche, demokra-tische Regierung auf breiter Basis zu schaffen, wurden so zu einem Werkzeug, den Präsidenten im Amt zu halten. Die NCP betrachtet dies als ihren Trumpf in der Auseinandersetzung mit der SPLM und sezessionistischen Bestrebungen. Sollte die SPLM Bashirs Wiederwahl anfechten, ist davon auszugehen, dass die NCP sich zum Referendum im Süden gleichermaßen verhält.

Der politische Marktplatz

Nach der Unabhängigkeit wurde der Sudan regional sehr ungleich regiert. Khartum, Gezira und die angrenzenden Regionen sorgten für sich selbst und für einen angesehenen professionellen Beamtenapparat. Für den Rest des Landes wurde kostengünstig das «herkömmliche Verwaltungssystem» genutzt. Dies ist

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eines der Symptome für die tiefgehende Ungleichheit zwischen Zentrum und Peripherie, die sich entsprechend auch im Wohlstandsgefälle niederschlägt, das die sudanesische Politik im folgenden halben Jahrhundert bestimmen sollte. Das politische Leben wurde durch ein Netz gesellschaftlicher Normen geregelt, und dies führte innerhalb der Eliten des Landes zu einem ausgeprägten Bürgersinn, wenngleich es vor allem in entlegenen ländlichen Gebieten immer wieder zu extremer Gewalt kam.

Heute wird der Sudan noch immer durch eine Mischung aus Institutionen und Klientelwirtschaft regiert, jedoch haben letztere die Oberhand gewonnen, weil spätere Regierungen Institutionen und Normen entweder zerstört oder vernachlässigt haben. Die Klientelwirtschaft verbraucht enorme finanzielle Mittel – aus dem Staatshaushalt und aus internationalen Hilfsleistungen – mit denen gewaltige Pfründe finanziert werden. Die nationalistischen, sozialistischen und islamistischen Revolutionen haben es nicht geschafft, neue, stabile Loyali-täten aufzubauen, sie haben jedoch viele alte Formen der Verbundenheit unter-graben. Mehr und mehr gingen Regierungen dazu über, sich mit Geld Loyalität zu erkaufen, die Klientelwirtschaft in ein reines Geldsystem zu verwandeln und einige der entlegenen Regionen des Landes, vor allem Darfur, in einen «politi-schen Markplatz» zu verwandeln, auf dem örtliche Führer ihre Gefolgschaft an den Meistbietenden versteigerten.

Nachdem er die meisten politischen Parteien des Nord-Sudans entweder vor den Kopf gestoßen oder zerschlagen hatte, nutzte Nimeiri die Mittel internatio-naler Kreditgeber nach der Ölkrise 1973, um die politische Konkurrenz zu beste-chen. In den frühen 1980ern öffnete er den politischen Markt für die Armee und schuf militärisch-kommerzielle Joint Ventures. Als die Kosten stiegen und die Wirtschaft schrumpfte, ging Nimeiri Washington um finanzielle Hilfe an. Als die Finanziers Sparmaßnahmen verlangten, brach Nimeiris Regierung zusammen. Es folgten fünfzehn Jahre strikter Sparpolitik, die Staatsfinanzen schrumpften. Die darauf folgenden Regierungen suchten noch kreativere Wege, um die Armee bezahlen und eine politische Basis aufbauen zu können und nahmen sogar die Finanzsysteme der Islamisten in Anspruch (Brown 1992).

Die Phase der islamistischen Sparpolitik machte die Regierungsgeschäfte noch informeller, als sie es ohnehin schon waren. Institutionen, die früher die Staatsmacht ausgeübt hatten, schrumpften und wurden durch ein durchläs-siges System vieler parallel arbeitender Einrichtungen ersetzt, die Klientelwirt-schaft betreiben. So ist zum Beispiel die Armee nicht mehr die einzige militäri-sche Macht; sie konkurriert mit konfessionellen Sicherheitsdiensten. Islamische Banken und Parteien betreiben eine Schattenwirtschaft. Große Teile des Etats unterliegen keinerlei offiziellen Haushaltsprüfung mehr, sie werden direkt über Parteien und Sicherheitsdienste verteilt (African Rights 1997). Sämtliche Stütz-pfeiler des frühen postkolonialen Staates sind demontiert worden: das Gezira Board, die Sudan Railways und der Beamtenapparat. Dies hat dazu beigetragen, dass das Vertrauen der Bevölkerung geschwunden ist; die Regierungen haben eine immer geringere Legitimation.

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Dadurch, dass Sudan zum Ölexporteur wurde, konnten weitere Bevölke-rungskreise in die Klientelwirtschaft aufgenommen werden – und zwar ohne die bisherigen Leistungsempfänger zu benachteiligen. So konnten im gesamten Sudan in den Bundesstaaten Regierungen eingerichtet werden, wodurch zehntausende Menschen Arbeit im öffentlichen Dienst bekamen. Während der 1990er Jahre betrugen die Regierungsausgaben weniger als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Ab 2003 stiegen sie schnell und erreichten 2006 23 Prozent – zu einer Zeit, als das BIP jährlich um sechs bis zehn Prozent wuchs (World Bank 2007).

Obwohl die Wirtschaft enorm gewachsen ist, ist der Segen sehr unterschied-lich verteilt. Khartum ist eine Enklave mit mittlerem Einkommen; Regionen wie die Red Sea Hills gehören nach wie vor zu den ärmsten der Welt. Dienstleis-tungen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Vergabe von Entwicklungspro-jekten folgen im Sudan nicht der Logik der Notwendigkeit, sondern der der politi-schen Kräfteverhältnisse. In den frühen 2000er Jahren fanden fast 90 Prozent der Ausgaben für Infrastruktur im Bundesstaat Khartum statt, was zum einen auf den politischen Druck der städtischen Wähler, zum anderen auf die Gewinne zurückzuführen ist, die man mit solchen Aufträgen machen konnte. In der Phase des Friedensabkommens sind etwa 60 Prozent der Ausgaben für Entwicklung in fünf große Projekte geflossen, insbesondere in den Merowe-Staudamm, die alle innerhalb des zentralen «Dreiecks» im Norden liegen (World Bank 2007).

Dieses Ungleichgewicht geht auf Vorstellungen innerhalb der NCP zurück. Man glaubt, das zentrale «Dreieck» des Sudans könne ohne den Süden und den Westen des Landes überleben und stünde ohne die problematischen Randge-biete sogar besser da. Diese Tendenz, verbunden mit dem Namen des früheren Finanzministers Abdel Rahim Hamdi, ist islamistisch und eine Form des nördli-chen Separatismus. Seine Wurzeln reichen weit zurück: Im 19. Jahrhundert war der Sudan in die zentralen «Metropolprovinzen» und die entlegenen «Militärpro-vinzen» geteilt. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichneten die Briten die Letzteren als «geschlossene Bezirke» und investierten fast ausschließlich in Erstere. Die Wahl der Orte, wo das meiste Kapital investiert wird, beispielsweise die Nildämme im «Hamdi-Dreieck», kann man sowohl auf rationale wirtschaft-liche Überlegung zurückführen – wo sind die größten Erträge zu erwarten? –, als auch als Absicherung verstehen, sollte das Land auseinander brechen. Derzeit dehnt die Elite im Sudan ihren Einfluss über diese Grenzen hinaus aus, indem sie Geld streut. Sollte Khartum gezwungen sein, seine traditionellen Grenzen neu zu ziehen, würde es diesen Einfluss in gleicher Weise über diese neuen Grenzen hinweg ausüben.

Dieses System des Regierens reagiert extrem sensibel auf den Geldfluss. Wird der Haushalt größer, kann die Regierung ihre Klientel erweitern, indem sie mehr Angehörige der Eliten an den Einnahmen teilhaben lässt. Tritt ein finan-zieller Engpass ein, ist Aufruhr die Folge. Der Sturz Nimeiris ist ein Beispiel, der Ausbruch interethnischer Gewalt im Süd-Sudan, der auf das dramatische

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Schrumpfen des Budgets der GoSS (Government of South Sudan) 2008/09 folgte, ein anderes.

Zentraler Punkt des Friedensabkommens war eine Finanzreform. Es sollte ein föderatives System geschaffen werden, das jedem Bundesstaat ausreichende Mittel garantiert, um seine eigenen Geschäfte selbständig zu führen. Dies hat nicht funktioniert wie geplant, besonders nachdem die Führung in den Minis-terien für Finanzen und für Wirtschaft sowie in der Finanzaufsicht im Jahr 2008 wechselte. Der größte Teil der Einnahmen kommt aus dem Ölgeschäft. Diese Gelder werden zentral verteilt und nicht von den einzelnen Staaten einge-nommen. Der Föderalismus funktioniert so eher als ein Mechanismus zur Abrechnung und Auszahlung; tatsächliche Autorität wird den einzelnen Staaten nicht übertragen. Man hatte gedacht, eine Kombination von Einnahmen aus dem Ölgeschäft und international finanzierten Mitteln für den Wiederaufbau könne dem Süden die Einheit so schmackhaft machen, dass er sich 2011 für einen einigen Sudan entscheidet. Während die Öleinnahmen den Erwartungen entsprachen, war die Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) trotz der Zusagen, die auf der Geberkonferenz in Oslo gemacht wurden, enttäuschend. Die US-Sanktionen blieben in Kraft und stellen für westliche Firmen, die im Sudan arbeiten wollten, ein großes Hindernis dar. Obwohl der Süden von den US-Sanktionen ausgenommen sein sollte, haben sie in der Praxis jede amerika-nische oder europäische Firma davon abgeschreckt, im Sudan tätig zu werden.

Seit Abschluss des Friedensabkommens sind die laufenden Ausgaben wesent-lich stärker gestiegen, als die Investitionen (World Bank 2007). Das trifft beson-ders auf die Gehälter zu, die einen Großteil der Ausgaben ausmachen. Die Perso-nalkosten im öffentlichen Sektor sind enorm gestiegen. Das liegt zum Teil daran, dass das Friedensabkommen eine schwere finanzielle Bürde ist, denn für neue Institutionen und Regierungsstellen wird Personal benötigt. Der Föderalismus ist ein großer Kostenfaktor. Für viele Sudanesen besteht die «Friedensdividende» aus einer Stelle im öffentlichen Dienst. Durch die Konkurrenz zwischen NCP und SPLM, die sich beide auf die Möglichkeit eines neuen bewaffneten Konflikts vorbereiten, haben diese Ausgaben einen anderen Charakter angenommen. Sie dienen auf breiter Front dem Kauf von Loyalität und Gefolgschaft. Zahllose Sudanesen werden auf den Gehaltslisten von Militär und öffentlichem Dienst geführt, und dazu kommen verdeckte Zuwendungen, die die Eliten bei der Stange halten sollen. Im Norden wie im Süden sind zudem die offiziellen Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung gestiegen.

Als die SPLM im Jahr 2005 die Regierung des Süd-Sudans übernahm, erbte sie schwache Institutionen und verfügte auch selbst über keine starken adminis-trativen oder politischen Strukturen. Sie entschied sich dafür, die existierenden, von der NCP geschaffenen Sicherheitsstrukturen zu zerschlagen und neue zu schaffen. Dabei wurde sie durch enorme internationale Sympathie, die Infra-struktur humanitärer Organisationen, einen Treuhandfonds zahlreicher Geber und nicht zuletzt durch Öleinnahmen unterstützt, die derartig anstiegen, dass sie schließlich 1,5 bis 2 Milliarden Dollar betrugen. Die Möglichkeiten der neuen

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Regierung Süd-Sudans (GoSS) wurden jedoch dadurch eingeschränkt, dass es auf allen Ebenen an geschultem Personal, eigenen Institutionen und eigener Erfahrungen beim Regieren fehlte. Vor dem Friedensabkommen verwaltete das Finanzsekretariat der SPLM Mittel von etwa 100.000 Dollar jährlich (World Bank 2007: 67). Die Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel und die zahlreichen, unterschiedlichen Ansprüche ausländischer Partner und der eigenen Bevölke-rung, wurden zu einer gigantischen Aufgabe. Die oberste Priorität für die GoSS unter Salva Kiir bestand zudem darin, die tiefe Kluft zu überwinden, die während des Krieges zwischen der Bevölkerung im Süden und der Führung entstanden war. Das Abkommen von Juba vom Januar 2006, das Milizen, die früher mit Khartum verbündet waren, an die GoSS und die SPLM band, war für den Süden ebenso wichtig, wie das Friedensabkommen selbst. Es beendete die Gefahr eines Bürgerkriegs im Süden. Der Preis war die enorme Aufblähung der Gehalts-listen der SPLA (Sudan People’s Liberation Army). Viele der 200.000 oder mehr Soldaten waren bloße «Karteileichen» – sie wurden bezahlt, um die Loyalität ihrer Herkunftsgebiete und Kommandeure zu sichern. Die Klientelwirtschaft diente auch dazu, die Übergangszone zwischen Norden und Süden zu sichern, wo die SPLA unter den arabischen Stämmen Unterstützer rekrutierte. Diese Strategie beruhte zum einen auf der geschickten Handhabung eines Klientelsystems, zum anderen auf dem hohen Ölpreis – Einnahmen aus Öl decken über 90 Prozent des Haushalts der GoSS. Beides war nicht von Dauer. Als der Ölpreis fiel und Korruptionsfälle bekannt wurden, litt die Glaubwürdigkeit und die Effektivität der GoSS.

Das Friedensabkommen hatte somit den unbeabsichtigten Effekt, die Struktur öffentlicher Ausgaben zu verzerren, eine Klientelwirtschaft zu etablieren und den Aufbau von Institutionen zu untergraben. Zugleich zog es Gelder aus der Entwicklungsarbeit ab.

Die sich im Hinblick auf die Wahlen und mehr noch auf das Referendum verschärfende politische Konkurrenz führt dazu, dass immer mehr Geld in die Klientelwirtschaft fließt. Die Regierungspartei, die beinahe zwanghaft von der Furcht bestimmt ist, ihre politische Vorherrschaft sei gefährdet, wird versu-chen, sich Gefolgschaft für immer größere Summen zu kaufen oder wenigstens für die entscheidende Zeit zu sichern. Ihre Gegenspieler, besonders die SPLM, versuchen mitzuhalten. Für die NCP sprechen ihre langjährige Erfahrung und volle Kriegskassen. Aber viele denken zu Recht, dass die NCP und ihre Führer für einen Großteil der Rückschläge des letzten Vierteljahrhunderts verantwortlich sind. Die Stimmung im Volk ist auf Seiten der Opposition, allerdings wächst die Enttäuschung an der Art und Weise, wie die SPLM in Juba regiert. Und die histo-rische Bilanz der konfessionellen Parteien ist, gelinde gesagt, enttäuschend.

Der vom Geld bestimmt politische Markt im Sudan ist kein Binnenmarkt. Die Nachbarländer, besonders Libyen, Ägypten, der Tschad und Eritrea, kaufen oder mieten Gefolgschaft. Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die USA, hat eine beachtliche Rolle gespielt und die SPLM und Rebellengruppen in Darfur finanziell und moralisch unterstützt. Da all das zusätzlich zur innenpolitischen

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Konkurrenz, der durch Ölgelder finanzierten Klientelwirtschaft in Khartum und Juba geschah, kam es zu einer Inflation der Preise für den Kauf von Gefolgschaft. Diese haben ein Niveau erreicht, bei dem man nicht sagen kann, ob das Land je die Rechnung wird bezahlen können. Sollte eine der beiden Regierungen, sollten gar beide nicht in der Lage sein, den Verpflichtungen gegenüber ihrer Klientel nachzukommen – der Sudan würde wahrscheinlich unregierbar werden.

die chancen für den frieden

Die Regierung der Nationalen Einheit

Vielerseits wird befürchtet, dass die aus NCP und SPLM bestehende Regierung der Nationalen Einheit (GoNU) nicht bis zum Referendum im Januar 2011 überleben wird. Im Lauf des Jahres 2010 gibt es reichlich Fallstricke, die zu ihrem Zusammenbruch führen könnten (Clingendael Institute 2009; US Institute of Peace 2009).

Die erste Herausforderung sind die seit 2008/09 mehrmals verschobenen Wahlen. Die Zwischenwahlen waren aus mehreren Gründen ins Friedensab-kommen aufgenommen worden. Zum einen befürchtete man, ein Abkommen, an dem nicht alle politischen Kräfte beteiligt seien, könne instabil und letztlich illegitim sein. Ein unrühmliches Beispiel war die sogenannte «Nationale Versöh-nung» von 1976, die das 1972 getroffene Abkommen von Addis Abeba unter-grub. Die Parteien, die seinerzeit neu an die Macht kamen, weigerten sich, den Sonderstatus des Südens anzuerkennen, da sie an den Verhandlungen nicht beteiligt waren. NCP und SPLM waren der Ansicht, die historische Entscheidung über Einheit oder Abspaltung wäre nur dann legitimiert, wenn sie unter einer demokratisch gewählten Regierung getroffen würde. Dahinter stand ein grund-sätzliches Bekenntnis zur Demokratisierung und der Gedanken, die Wahl könne auf dem Weg dahin eine gute Übung sein.

Die geteilte Präsidentschaft und die faktische Konföderation zwischen Norden und Süden bedeuten, dass es, anders als im Mehrheitswahlrecht, nicht zu einem Kampf um Alles oder Nichts kommen wird. Es ist vorstellbar, dass die Regierung der Nationalen Einheit in irgendeiner Form fortgesetzt wird. Die Wahl könnte jedoch auch so ausgehen, dass der Gewinner zwar nicht alles, der Verlierer aber in der Tat nichts bekommt. Sollte Präsident Bashir sein Amt verlieren, könnte er vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag landen. Der Deal, den die NCP der SPLM stillschweigend anbietet, scheint folgender zu sein: Die SPLM erkennt die Rechtmäßigkeit von Bashirs Wiederwahl an, und im Gegenzug wird die NCP das Referendum im Süden anerkennen.

Die Schwierigkeit bei diesem Deal ist, dass keine der beiden Parteien ihn auf eigene Rechnung umsetzen kann. Die SPLM allein kann nicht garantieren, dass die Wahl Bashirs anerkannt wird, denn die anderen Parteien könnten nicht dazu bereit sein, sie zu legitimieren. Die NCP ihrerseits kann, selbst wenn man sich innerhalb der Partei darauf verständigen sollte, das Referendum im Süden nicht

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im Alleingang legitimieren. Zudem wird die SPLM mit gutem Grund fürchten, dass die NCP in den Monaten zwischen Wahl und Referendum all ihr Verspre-chen bricht.

Dennoch könnte alles in geordneten Bahnen verlaufen, da die beiden großen Parteien verfassungsrechtlich und wirtschaftlich aufeinander angewiesen sind. Um sich zu legitimieren, braucht jede Seite die andere. Und die finanzielle Abhängigkeit vom Öl, das im Süden gefördert und über den Norden exportiert wird, erfordert ein Mindestmaß an Zusammenarbeit.

Im Verlauf des Jahres 2009 ist die SPLM im Süden als Regierungspartei, im Norden zunehmend als Oppositionspartei aufgetreten – und das, obgleich sie in der Regierung der Nationalen Einheit wichtige Positionen innehat. Es ist bezeichnend für die Merkwürdigkeiten der sudanesischen Politik, dass eine derart paradoxe Haltung nicht nur toleriert , sondern auch als völlig nachvoll-ziehbar wahrgenommen wird. All das kann aber nur dann so bleiben, wenn die im Friedensabkommen vorgesehene Teilung der Macht unangetastet und das politische Kräfteverhältnis innerhalb der NCP wie auch der SPLM in der Schwebe bleibt. Sollte einer dieser Zustände durch die Wahlen gestört werden, könnten Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung der Nationalen Einheit schwierig werden und auf der Stelle treten.

Es gibt zwei weitere Konfliktherde. Da sind zunächst die beiden «Volksbe-fragungen» in Süd-Kordofan und der Blue-Nile-Provinz. Die neugewählten Mitglieder der Regionalversammlungen müssen entscheiden, ob der autonome Status, den die beiden Bundesstaaten unter dem Friedensabkommen genießen, bestehen bleiben soll. Für viele Anhänger der SPLM in den beiden Regionen wird dies sicherlich eine Enttäuschung. Die Aussicht auf einen «Neuen Sudan» ist in weite Ferne gerückt, und die beiden Bundesstaaten haben nicht die Option, Teil des Südens zu werden. Besonders in den Nuba-Bergen gibt es ernste Spannungen, die erneut zu Gewalt führen könnten. Der zweite Konflikt-herd ist die Abstimmung in der Region Abyei darüber, ob sie sich dem Süden anschließt oder nicht. Der Status von Abyei ist lange schon strittig, und die Frage, wer bei diesem Referendum stimmberechtigt ist, könnte zum Stein des Anstoßes werden.

Einheit oder Abspaltung

Der Zeitpunkt des Referendums, der Januar 2011, ist von entscheidender Bedeu-tung. Sollte die Regierung in Khartum oder die in Juba die Abstimmung absagen oder um einige Zeit verschieben, würde das ihre Legitimation unrettbar beschä-digen. Das Ergebnis des Referendums umzusetzen wird in jedem Fall äußert schwierig sein.

Zweifellos ist die Mehrheit der Süd-Sudanesen für die Abspaltung und wird entsprechend stimmen – wenn man sie denn lässt. Das Referendum ist eine Abstimmung nicht nur über das Friedensabkommen, sondern über 55 Jahre Unabhängigkeit und die Beziehungen zwischen Norden und Süden in den letzten

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einhundert Jahren. Ein anderes Ergebnis, als ein Ja zur Unabhängigkeit, ist nicht denkbar. Nur ein Visionär, jemand, der in der Lage wäre, das Referendum zu einer Volksabstimmung über die Zukunft zu machen, könnte an dieser Logik etwas ändern. Seit Garangs Tod ist so jemand nicht in Sicht.

Die Abspaltung ist nicht aufzuhalten. Verlangsamt oder ausgesetzt werden könnte sie durch Maßnahmen, von denen aber keine in der Bevölkerung großen Rückhalt hätte. Nur mit Unterstützung der Führung der SPLM ließe sich das Referendum verschieben. Einen solchen Schritt zieht die SPLM aber nicht in Erwägung – und täte sie es, bekäme sie ein Legitimationsproblem. Realisti-scher wäre es, die Übergangsperiode nach dem Referendum zu verlängern. Das Friedensabkommen handelt den Prozess der Abspaltung nur in einem Zusatz ab und legt einen Zeitraum von sechs Monaten bis zur Unabhängigkeit fest. Soll die Abspaltung geregelt verlaufen, werden zahlreiche Aufgaben zu bewäl-tigen sein. Hauptfragen sind die Grenzziehung, der zukünftige Status der im Norden lebenden Süd-Sudanesen und der im Süden lebenden Nord-Sudanesen, die Aufteilung des Staatsvermögens und der Schulden, der Status der SPLM im Norden und der NCP im Süden, die Quote für die Aufteilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft, die Position des Südens zum Abkommen über die Nutzung des Nilwassers sowie Regelungen für Nomaden, die Ressourcen auf beiden Seiten nutzen. Unter idealen Verhältnissen würde es mehrere Jahre dauern, diese Fragen zu lösen. Dass bis zum Juli 2011 einvernehmliche Regelungen gefunden werden können, ist höchst unwahrscheinlich. Eine zweite Periode des Übergangs, während der diese Probleme verhandelt werden können, wäre deshalb vorstellbar. Das Gesetz über die Volksabstimmung vom Dezember 2009 sieht vor, dass die Parteien nach dem Referendum Gespräche über ihre Bezie-hungen führen müssen. Dies wäre ein Ansatz, sich mit all diesen Fragen zu beschäftigen.

Das Referendum stellt die SPLM vor eine Herausforderung. In der Bewegung gibt es nicht Wenige, die für die Einheit des Sudans eintreten. Die meisten davon stammen aus dem Norden und haben die SPLM während des Krieges unterstützt, etwa die Nuba und die Bevölkerung in der Blue-Nile-Provinz. Im Fall einer nicht einvernehmlichen Trennung bestünde für diese Völker – und für die SPLM als politische Partei im Norden – die Gefahr, unterdrückt und verfolgt zu werden. Das Schicksal der Nuba und der Blue-Nile-Provinz ist innerhalb der SPLM das stärkste Argument dafür, den Prozess der Selbstbestimmung im Süden schritt-weise und entschleunigt zu gestalten.

Krieg oder Frieden

Zu Beginn des Jahres 2010 existiert die Regierung der Nationalen Einheit nur noch dem Namen nach. Sie bildet keine Einheit, sondern besteht aus zwei widerstrebenden Teilen, die aus bloßer Notwendigkeit zusammenarbeiten und von einer Krise in die nächste schlittern. Die Führer der NCP und der SPLM, darunter Präsident Bashir und Vizepräsident Kiir, betonen, die Rückkehr zu

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einem bewaffneten Konflikt sei undenkbar. Ihr Engagement für den Frieden ist jedoch negativer Natur: Eher fürchten sie den Krieg, als dass sie an den Frieden glauben. Die unterschwellige Botschaft ist, dass Gewalt nicht ausgeschlossen werden kann.

Die meisten Sudanesen möchten die Früchte des Friedens ernten und hoffen, dass die Truppen demobilisiert und entwaffnet werden. Dennoch haben die Regierungen in Khartum und Juba ihre Streitkräfte ausgebaut und beacht-liche Summen für militärisches Gerät ausgegeben (Small Arms Survey 2009). Beide haben zudem, um sich Loyalitäten zu sichern, die Zahl der Gehaltsemp-fänger im großen Stil erhöht. All das ist jedoch eher ein «Wettsichern» als ein herkömmliches Wettrüsten. Die verschärfte Konkurrenz muss nicht unbedingt Vorbote eines Krieges sein, denn für jede Seite liegt es nahe, eine Politik der Abschreckung zu betreiben. Obwohl der Verteidigungs- und Sicherheitshaushalt Khartums größer ist und es über mehr Personal verfügt, ist anzunehmen, dass die Streitkräfte im Süden, sollte es zu einem Konflikt kommen, stärker motiviert wären. Im Süden ginge der Kampf um etwas, an das man wirklich glaubt – den eigenen unabhängigen Staat. Dies sollte die Ungleichheit in Stärke und Bewaff-nung der Truppen ausgleichen und die Abschreckung glaubhaft machen.

Damit Abschreckung wirkt, muss es auf beiden Seiten ein zentrales Kommando geben und Kontrolle über die Vielzahl der bewaffneten Gruppen. Dies trifft eher nicht zu. Beide Seiten sichern die Loyalität verbündeter bewaff-neter Gruppen durch Zahlungen, was bedeutet, dass unablässig Geld fließen muss. Die Kosten dafür sind aber derart hoch – und die Einnahmen derart unbeständig –, dass laufend die Gefahr besteht, die Kontrollsysteme könnten versagen. Ein Krieg könnte so nicht durch eine Entscheidung in Khartum oder Juba ausgelöst werden, sondern durch einen lokalen Konflikt der, da sich die Parteien misstrauen und kaum miteinander reden, außer Kontrolle gerät.

Sollte ein bewaffneter Konflikt ausbrechen, würde sich das politische Kalkül rasch radikal verändern. Es könnte einen konventionellen Krieg geben oder wenigstens eine konventionelle Phase in einem Konflikt, der auch als Guerilla-krieg ausgetragen wird. Der Norden könnte versuchen, die Kontrolle über die Ölfelder zu erlangen, und Städte im Süden aus der Luft angreifen, um ihn von internationaler Hilfe abzuschneiden. Der Süden könnte einen konventionellen Angriff auf Städte des Nordens unternehmen. Alternativ könnten beide Seiten Söldner einsetzen, was zu einem ausgedehnten ethnischen Konflikt führen würde. Einige im Süden warnen vor organisierter Gewalt gegen Verwandte im Norden.

Ist ein bewaffneter Konflikt erst einmal ausgebrochen, wird er wahrschein-lich rasch eskalieren. Jede Partei würde mehr und mehr Material und Menschen in den Kampf werfen, und jede würde versuchen, auf dem ihr günstigen geogra-fischen und politischen Terrain zu kämpfen. Jedes Vertrauen, auch das in eine Vermittlung durch Dritte, würde zusammenbrechen. Für die Nachbarländer wäre es schwierig, sich aus dem Konflikt herauszuhalten, was wiederum eine diplo-matische Lösung schwierig macht. Ägypten will einen einigen Sudan, Uganda

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hat enge Bindungen an den Süden, und die meisten anderen Nachbarstaaten haben sich in den vergangenen Jahren militärisch im Sudan engagiert. Die inter-nationale Gemeinschaft wäre in einem solchen Fall nahezu hilflos. Sie müsste sich weitgehend darauf beschränken, Ausländer zu evakuieren, Blauhelme und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen zu schützen und humanitäre Hilfe zu leisten.

Die Gefahr der Unregierbarkeit

Konflikte werden im Sudan hauptsächlich durch Klientelwirtschaft gemanagt. Hintergrund ist ein politischer Kampf ohne Regeln, der einerseits zwischen der NCP und der SPLM, andererseits zwischen der NCP und dem, was sie als internationale Verschwörung, einen Regimewechsel zu erreichen, wahrnimmt, ausgetragen wird. Es ist durchaus möglich, dass das aktuelle Wettrüsten und der Bieterwettstreit um Loyalitäten die Parteien in den Ruin führt und den Sudan unregierbar macht.

Eine Folge der ständig steigenden Ausgaben bei gleichzeitig schrumpfenden Einnahmen ist, dass in Dienstleistungen und Entwicklung immer weniger inves-tiert wird. Der soziale und ökonomische Wandel und Bemühungen, «die Einheit attraktiv zu machen», treten in den Hintergrund. In der öffentlichen Meinung herrscht das Gefühl vor, Institutionen und gesellschaftliche Normen verfielen (Ibrahim 2008). Ältere Sudanesen schwelgen in einer Vergangenheit, von der sie – etwas übertrieben, vielleicht – glauben, die Regierenden seien legitimiert gewesen und die Bevölkerung habe ihnen vertraut. Ähnlich sieht man sogar die Endphase der Kolonialzeit (Deng und Daly 1989).

Sollte eine der Parteien nicht mehr in der Lage sein, Loyalität einzukaufen, wird sie versuchen, Gefolgschaft gleichsam zu pachten, indem sie quasi die Lizenz erteilt, Gemeinschaften, die ihrer Ansicht nach der Gegenseite verbunden sind, auszuplündern. Eine ganze Reihe solcher kostengünstiger, von Milizen durchgeführter Aktionen gegen Aufständische hat bereits zur Verwüstung vieler Randgebiete des Landes geführt (de Waal 2007).

Der Sudan macht aktuell einen tief greifenden, raschen und ungeplanten Wandel durch (Munzoul 2008). Der Grad der Urbanisierung hat beinahe 50 Prozent erreicht. Die Zahlen für den Süden sind umstritten, aber es kann gut sein, dass die Hälfte aller Süd-Sudanesen in Städten wohnt – sei es im Süden, im Norden oder in den Nachbarländern. Der Frieden hat diese Urbanisierung nicht rückgängig gemacht. Die Migration in die Städte hat zugenommen, und nur wenige Vertriebene sind aufs Land zurückgekehrt. Darfur ist ein besser untersuchtes Beispiel für die traumatische Urbanisierung und den Wandel der Beschäftigung. Lebten noch 2003 nur 18 Prozent der Einwohner Darfurs in Städten und Vertriebenenlagern, waren es 2009 bereits über 60 Prozent. Das ist nicht nur negativ. Auch wenn die Infrastruktur der Städte im Sudan nicht gut ist, sind die Einrichtungen dort doch besser als in ländlichen Gebieten, und Städte sind stabiler und gewaltärmer. Die Wirtschaft in den Städten ist dynamischer.

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Dieses Phänomen ist nur wenig erforscht, und nationale Wirtschaftsplanung und internationale Entwicklungshilfe haben sich an diese Wirklichkeit noch nicht angepasst.

Um Frieden zu schaffen, ist eine starke Regierung mit funktionierenden Insti-tutionen notwendig, eine Regierung, die in der Lage ist, glaubwürdig zu handeln. Aktuell besteht die konkrete Gefahr, dass auf Gewalt basierende Politik sowohl Khartum als auch Juba zu bloßen mafiösen Organisationen werden lässt, die all ihre Mittel darauf verwenden, sich ihre Souveränität zu erhalten, und die dabei die sudanesische Gesellschaft zerstören.

Zersplitterung

Sollte das Volk im Süd-Sudan sein Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen und für die Abspaltung stimmen, werden andere Sudanesen ähnliche Ansprüche stellen. In gewisser Hinsicht hält der Süden den Sudan zusammen. Viele in den Nuba-Bergen und in der Blue-Nile-Provinz haben ihren Anspruch auf Selbstbe-stimmung bereits vorgetragen (Rahhal 2001). Auch einige militante Kräfte aus Darfur, das historisch den stärksten Anspruch auf einen eigenen Staat hat – es wurde erst 1916 in den Sudan eingegliedert –, plädieren für die Eigenstaatlich-keit. Bislang hat erst eine radikale Minderheit gefordert, Darfur solle sich vom Sudan abspalten, doch sollte der Süden unabhängig werden, würden diese Stimmen sicher lauter.

Die Befreiungsbewegungen im Sudan – darunter die SPLM und die Rebellen in Darfur (Sudan Liberation Movement und Justice and Equality Movement) – haben alle für nationalen Wandel und eine Reform der Zentralmacht plädiert. In der Praxis aber haben sie die Politik im Zentrum vernachlässigt und an der Peripherie mobilisiert – eine Strategie, die als «Befreiung der Bantustans» beschrieben worden ist (Abdalla 2009). In der herrschenden Elite gibt es einige beredte Stimmen, die dafür plädieren, ihnen ihren Willen zu lassen, da es sich nicht lohne, um diese entlegenen Gebiete und ihre aufsässige Bevölkerung zu kämpfen.

Die sudanesische Regierung hat viel von dem, was Souveränität ausmacht, eingebüßt. Eine Neuziehung der Grenzen wäre eine weitere Kränkung in der langen Reihe von Kränkungen, die sie in den vergangenen 25 Jahren erlitten hat. Jede Einschränkung der Souveränität eröffnet aber auch Möglichkeiten, und Sudans Eliten wissen diese in der Regel rasch zu nutzen. Ein sudanesischer Staat, der nur die historischen Metropolprovinzen oder das Hamdi-Dreieck umfasst, hätte es leichter, einen arabisch-islamischen Kurs zu verfolgen. Zwar sind in dieser Region Arabismus und Islamismus nicht weniger problematisch als im derzeitigen «Großsudan»; die ursprünglichen Einwohner des Landes bilden eine ethnische Mischung, und über die Jahrhunderte sind aus allen Richtungen Menschen zugewandert. Die politischen Führer jedoch haben die Vielfalt Sudans immer eher geografisch als sozial definiert. Mit der Logik einer territorialen Selbstbestimmung für den Süden und möglicherweise auch für Darfur ließe sich

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eine auf Arabismus und Islamismus basierende «Selbstbestimmung» für die an den Nil angrenzende Region im Norden gut rechtfertigen.

Geschähe dies, würden alle, die mit dem Süden, mit Darfur, mit den Nuba oder der Blue-Nile-Provinz in Verbindung gebracht werden, in Khartum zu Ausländern. Sie wären ihrer Bürgerrechte beraubt, der Ausbeutung und Unter-drückung ausgesetzt. Der Staat hätte das Recht, sie von Bildungs- und Gesund-heitswesen auszuschließen, und würde vermutlich drohen, sie auszuweisen.

Die sudanesische Regierung ist derzeit verpflichtet, für das Wohlergehen und den Schutz ihrer Bürger im gesamten Land zu sorgen. Humanitäre und andere Leistungen hat sie aber nach und nach outgesourct, insbesondere an internatio-nale Organisationen. Der gemeinsame Einsatz von UN und Afrikanischer Union in Darfur (UNAMID) hat einen Schutzauftrag. Viele Bewohner Darfurs und ihre internationalen Unterstützer sähen nichts lieber, als wenn Khartum sich ganz aus dieser Region zurückziehen und sie der ausschließlichen Verantwortung der Einwohner Darfurs und der internationalen Gemeinschaft überlassen würde. Auch in Khartum gibt es einige, die bereit wären, das zu versuchen. Sie gehen davon aus, dass eine solche Lösung für die herrschende Elite von Vorteil wäre und dass die Eliten in der Provinz sowie die internationalen Organisationen diese Gebiete auch nicht besser regieren könnten.

Eine Teilung des Sudans würde die Probleme der Identität und des Regierens nicht verschwinden lassen, es würde sie auf eine neue Grundlage stellen. Eine jetzt bereits sehr verworrene Situation wäre dann möglicherweise noch weniger in den Griff zu bekommen.

fazit

Das Friedensabkommen hatte aus drei Gründen eine Chance: Die politische Macht hatte Übergangscharakter, die Dynamik der geteilten Präsidentschaft machte Hoffnung für die Zukunft, und das Geld aus dem Ölboom sowie die Hoffnung auf US-Investitionen in die Ölindustrie erweiterten den finanzi-ellen Handlungsrahmen. Leider ist das Friedensabkommen bislang nur dem Buchstaben nach (und nur teilweise) umgesetzt worden, der Geist des Abkom-mens jedoch nicht. Das Abkommen ist so von einer Hoffnung zu einer Belastung geworden.

Die zentrale Frage für Sudanesen ist heute, ob sie in einem oder in zwei Staaten leben – und wie die Entscheidung darüber gehandhabt werden wird. Die Teilung eines Staates ist selbst unter günstigsten Bedingungen immer eine traumatische Angelegenheit, und die Verhältnisse im Sudan werden sie schmerz-lich, konfliktreich und chaotisch werden lassen. Ein Krieg zwischen Norden und Süden würde die brüchigen Ergebnisse des Friedensabkommens zunichte machen, separatistische Neigungen in anderen Landesteilen befördern und die Nachbarstaaten mit in den Abgrund ziehen.

Das Abkommen tritt in seine Endphase ein. Die grundlegende Frage, die sich nun stellt, ist wahrscheinlich nicht, ob der Sudan aus ein oder zwei Staaten

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besteht, die Frage ist, ob der Sudan regierbar ist oder nicht. Der fortdauernde Verfall von Vertrauen und Legitimation hat zu einer Situation geführt, in der sich die beiden regierenden Parteien nur noch an die Macht klammern. Die Kosten dafür, zwei konkurrierende Machtzentren zu unterhalten, von denen jedes die Vernichtung durch das andere fürchtet, könnten die Möglichkeiten des Landes übersteigen. Wenn die Kosten einer Klientelwirtschaft die Mittel des Zahlherren übersteigen, ist der einfachste Weg, sich Loyalität zu sichern, der, einen Freibrief für Plünderungen auszustellen. Sollte die umstrittene Teilung des Landes zu einem Dominoeffekt und der Zersplitterung des Sudans führen, könnten die Regierenden die Opfer solcher Plünderungen zu Ausländern erklären, für deren Wohl sie nicht zu sorgen hätten. In der Zukunft werden Beobachter in der Zeit des Friedensabkommens vielleicht ein Zwischenspiel der Ruhe, der schönen Versprechungen und verpassten Chancen sehen.

literatur

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Nahe Khartum

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Nuba, Provinz Kordofan

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der Sudan wählt – kaum aussichten auf demokratischen Wandel

einleitung

Die Unterzeichnung des Friedensabkommens, des Comprehensive Peace Agreement (CPA), im Januar 2005 leitete im Sudan eine sechsjährige Übergangszeit ein und eröffnete die Möglichkeit, das Land zu einem demokratischen Staat zu machen. Allerdings sind die Akteure dieses Wandels aus verschiedenen Gründen schwach, schlecht organisiert und kaum dazu in der Lage, erfolgreich am Wahlkampf 2010 teilzunehmen.

Schon in den 1950er, 1960er und 1980er Jahren war versucht worden, das politische System des Landes zu verändern, stets hatten sich aber konservative Kräfte durchgesetzt. Das wiederholte Scheitern des Wandels hat dazu geführt, dass bestehende Ansätze eines demokratischen Systems immer wieder untergraben wurden und sich die Machtbalance ganz zu Gunsten der Kräfte eines Status quo verschob. In der Vergangenheit fanden Parlamentswahlen unter der Regie «unabhängiger» Übergangsregierungen statt. Das ist 2010 nicht der Fall – die Wahlen werden von der amtierenden NCP-dominierten Regierung durchgeführt. Ausgehend von früheren Wahlen und angesichts der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse werden die, die alles beim Alten belassen wollen, sich vermutlich behaupten – was für die politische Zukunft des Landes schlimme Folgen haben könnte.

Sudans erfahrungen mit demokratischen Übergängen

Der Sudan ist ein außerordentlich vielfältiges Land. Die Bevölkerung des Sudans ist in nicht weniger als 19 größere Nationalitäten und 597 ethnische Gruppen unterteilt (Beshir 1988). Sozioökonomische Entwicklungen haben zusammen mit menschgemachten Katastrophen (Wüstenbildung, Hungersnot und Bürgerkrieg) zu bedeutsamen Veränderungen im demographischen Gefüge dieser Gruppen geführt. Die ethno-nationale Vielfalt ist jedoch keineswegs verschwunden.

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Die Unterscheidung nach nationalen und ethnischen Kriterien wird zudem durch kulturelle, sprachliche, religiöse, soziale und politische Differenzen verstärkt. Im Sudan gibt es aktuell schätzungsweise 115 verschiedene Dialekte, von denen 26 gesprochene Sprachen sind, jede davon mit mehr als 100.000 Sprechern (Ahmed 1988: 7-18). Etwa 52 Prozent der Bevölkerung sind arabischsprachig, während 48 Prozent andere Sprachen sprechen. Diese Vielfalt kommt auch deutlich in der Religion zum Ausdruck: Teile der Bevölkerung bekennen sich zum Islam, andere zum Christentum und weiteren Religionen. Die religiösen Unterschiede werden durch konfessionelle Spaltungen innerhalb der islamischen Mehrheitsreligion noch verschärft.

Etwas vereinfacht lässt sich sagen, dass die unterschiedlichen und oft widerstreitenden sozioökonomischen, ethnischen und kulturellen Positionen im Sudan zur Herausbildung dreier großer politischen Blöcke geführt haben: eine pro-arabische bzw. pro-muslimische konservative Allianz, Radikale im Zentrum des Landes (Parteien sowohl der extremen Linken wie der extremen Rechten) und ethno-regionale Kräfte an der Peripherie. Während das Establishment sich politisch vor allem in der Umma-Partei und der Democratic Unionist Party (DUP) wiederfindet, sind den Radikalen sowohl die Kommunisten wie die Islamisten zuzurechnen. Die ethno-regionalen Kräfte werden unter anderem durch die Sudanesische Volksbefreiungsbewegung (SPLM) vertreten. Die Anhänger der Kommunisten waren Arbeiter und Bauern, kamen aus den Gewerkschaften und der Frauenbewegung. Die Islamisten stützten sich vor allem auf die städtischen Unterschichten, Facharbeiter und Akademiker sowie auf neureiche Geschäftsleute.

Die Beziehungen zwischen diesen politischen Lagern haben Sudans Geschichte seit der Unabhängigkeit bestimmt, und sie bestimmen auch die aktuelle Debatte über einen demokratischen Wandel. Um die gegenwärtige «Übergangsphase» im politischen Leben des Sudans zu verstehen, ist es nötig, sich frühere Versuche, das Land zu einer Demokratie zu machen, ins Bewusstsein zu rufen.

Die erste Übergangsperiode: 1953-56

Der Sudan wurde 1956 unabhängig. In Vorbereitung auf die Eigenstaatlichkeit ergaben sich für die Verfassung des Landes drei Problemkreise: Welchen Status sollte der Süd-Sudan haben? Welchen Status sollte der Sudan als Ganzes haben (sollte das Land mit Ägypten verbunden oder vollständig unabhängig sein)? Und wie konnte man die staatlichen Institutionen so gestalten, dass sie der sozioökonomischen Entwicklung des Landes gerecht wurden? Als die Frage der Selbstbestimmung Anfang der 1950er Jahre immer drängender wurde, überschattete das zweite Problem die beiden anderen und wurde bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung zur Kernfrage. Hauptaufgabe dieses Organs war es, zu entscheiden, welchen Status der Sudan künftig haben

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sollte und Land und Volk während einer dreijährigen «Übergangsphase» auf die Unabhängigkeit vorzubereiten (Bechtold 1976: 176-77).

Die National Unionist Party (NUP) gewann 1953 die Wahlen und bildete nach der Unabhängigkeit die erste Regierung. Statt aber dem Süden bundesstaatliche Eigenständigkeit zu geben und das Land wirtschaftlich und sozial zu entwickeln, rieb sich die neue Regierung in langwierigen innen- und außenpolitischen Konflikten auf. Kaum zwei Jahre nach der Unabhängigkeit wurde die NUP von einer Regierung aus Umma-Partei und PDP1 abgelöst; diese wurde ihrerseits 1958 durch einen Militärputsch gestürzt.

Die zweite Übergangsperiode: 1964-65

Das Militärregime unter General Ibrahim Abboud (1958-64) legte den Grundstein für eine staatliche Wirtschaftspolitik und eine unabhängige Außenpolitik, die zur Zusammenarbeit sowohl mit dem Westen als auch mit dem Ostblock führte. Durch den fortgesetzten Bürgerkrieg im Süden schrumpften die Einnahmen der Regierung, und Gewerkschaften sowie die Stadtbevölkerung waren mit den Militärs zunehmend unzufrieden. Kommunisten und radikale Linke bildeten die United National Front (UNF), die, unterstützt von Gewerkschaften und Studenten, einen Generalstreik ausrief, der das Land lähmte und das Regime am 24. Oktober 1964 zu Fall brachte.

Der Aufstieg der Kommunisten und Radikalen rüttelte den konservativen Block auf. Er mobilisierte die religiösen Massen auf dem Lande, übte Druck auf die Übergangsregierung aus und ersetzte sie schließlich durch eine Regierung, die eher den Wünschen des Establishments entsprach. Die Wahlen in den 1960er Jahren wurden alle von der Umma-Partei und der DUP gewonnen. Dies führte zu Koalitionsregierungen, die jeden demokratischen Wandel verhinderten und öffentliche Mittel verschwendeten. Wie in den 1950er Jahren war Parteienzwist die Regel. Die Kommunistische Partei des Sudan (SCP) wurde verboten, ihre Mitglieder aus dem Parlament ausgeschlossen. Die herrschenden Konservativen sabotierten alle Ansätze, das Problem im Süd-Sudan zu lösen. Zudem forderten sie eine Präsidialrepublik mit einer islamischen Verfassung. Um dies zu verhindern, übernahm 1969 die Armee in einem unblutigen Putsch erneut die Macht.

Die dritte Übergangsperiode: 1985-86

Jafar Nimeiri, der Führer des Putsches, hatte zwar den traditionellen politischen Parteien die Macht entrissen, überwarf sich dann aber auch mit seinen Unterstützern in der Kommunistischen Partei. 1972 traf er eine Vereinbarung mit den Rebellen im Süden des Landes, unterzeichnete das Abkommen von

1 Die People’s Democratic Party (PDP) war von Anhängern der «Khatmiyya» (eines Sufi-Or-dens) gegründet worden, die sich von der NUP abgespalten hatten.

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Addis Abeba und setzte so dem langjährigen Bürgerkrieg ein Ende. Diese Ära der Entspannung war jedoch von kurzer Dauer. Nur wenige Jahre später, 1977, legte Nimeiri seine Differenzen mit den traditionellen Parteien und der Muslimbruderschaft bei – es kam zur sogenannten «nationalen Versöhnung». Als Proteste gegen seine Wirtschaftspolitik zunahmen, ernannte sich Nimeiri zum Imam und führte das Scharia-Recht ein. Dies entfremdete ihn von seiner Basis im Süden und trug dort 1983 maßgeblich zur Bildung der SPLM bei.

1985 gelang es einer breiten Volksbewegung, das Nimeiri-Regime zu stürzen. Dieser Volksaufstand beunruhigte erneut die konservativen Parteien, die an einem grundlegenden Wandel nicht interessiert waren. Aus den Parlamentswahlen von 1986 gingen die Umma-Partei, die DUP und die Nationale Islamische Front (NIF) als Sieger hervor. Laut Hamid (1988) «stellt sich bei jedem erfahrenen Beobachter unweigerlich ein Gefühl des Déja vu ein». In der Tat waren die Parallelen zwischen der kurzlebigen Revolution von 1964 und dem Aufstand von 1985 verblüffend: Die politische Malaise der späten 1980er Jahre schien die unheimliche Wiederkehr der Krankheit zu sein, die das Land in den späten 1960er Jahren plagte: dieselbe Verwirrung, dieselben Koalitionsregierungen, dieselben Parteien. Dies führte zu einer ähnlichen Instabilität – eine Situation, die für ein marodes politisches System und verworrene politische Abläufe symptomatisch ist. Der Zustand der Wirtschaft, ausgeblutet durch Bürgerkrieg, Korruption und Missmanagement, war sogar noch dramatischer als während der Wirtschaftskrisen der 1960er Jahre (Hamid 1988).

Wiederum versuchte man, mit undemokratischen Mitteln aus der Sackgasse zu kommen. Im Juni 1989 übernahmen die Islamisten mit einem Staatsstreich die Macht, um so einer angeblichen Bedrohung durch die SPLM und die randständigen Regionen zuvorzukommen. Dies war der Auftakt zum bis dahin brutalsten Konflikt zwischen Nord und Süd.

Die vierte Übergangsperiode: 2005-11

Nachdem sie an die Macht gekommen waren, schufen die Islamisten im Sudan ein neues Gleichgewicht der Macht, modelten den Staatsapparat um, änderten die Spielregeln für politische Auseinandersetzungen, traktierten die Zivilgesellschaft – und sie machten den Islamismus zur Staatsideologie. Dagegen setzte die SPLM ihre Idee eines «neuen Sudans», das heißt, die Machtverhältnisse im Zentrum sollten umgewälzt und sämtliche ethnische und regionale Gruppen in den Genuss ihrer Rechte als Staatsbürger kommen. Die SPLM wurde im Süden stark unterstützt, gewann aber auch Anhänger im Norden.

Zwischen 1989 und 2005 eskalierte der Konflikt zwischen Norden und Süden. Die Kämpfe forderten über zwei Millionen Tote, viereinhalb Millionen Menschen wurden zu Binnenflüchtlingen, 600.000 flohen in Nachbarländer. Die Kosten für humanitäre Hilfe wurden auf zwei Millionen US-Dollar pro Tag geschätzt. Angesichts dieser Tragödie übten die Nachbarn des Sudans unter dem Dach der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) und die

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internationale Gemeinschaft Druck aus und brachten die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch. Im Januar 2005 unterzeichneten die National Congress Party (NCP) und die SPLM das Friedensabkommen. Es war ein Kompromiss zwischen einander völlig entgegengesetzten Kräften, bot jedoch die Chance, dem Land «die Einheit attraktiv zu machen» und demokratische Reformen zu fördern.

Fünf Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens sind die Ergebnisse ernüchternd. Der Sudan wird heute nicht weniger autoritär regiert als zuvor; die Aussichten, aus dem Land eine Einheit zu machen, sind dünn. Wie bei früheren Versuchen, den Sudan zu demokratisieren, ist zu befürchten, dass die Hoffnung, ein grundlegender Wandel sei möglich, nur von kurzer Dauer sein wird (siehe Tabelle 1). Trotz aller düsteren Prognosen sind die Wahlen für die politische Zukunft des Landes wichtig und könnten eine dauerhafte Wirkung entfalten.

tabelle 1: Vergleich früherer Übergangsperioden im Sudan mit der aktuellen, 1953-2010 (Quelle: autor)

Zeit zur Vorbereitung

ursache des Wandels

fragen Wichtigste Parteien

mittel und Wege

1953-56 relativ lang,1948-53

Abkommen über Selbstregierung, 1953

Unabhängigkeit Großbritannien,Ägypten, Par-teien im Norden

Verhandlun-gen

1964-65 kurz Studenten-demonstrationen

Wiederherstellung der Demokratie

Militär, Berufs-verbände

Ziviler Ungehorsam, Widerstand in der Armee

1985-86 kurz Unruhen in den Städten und Streiks

Wiederherstellung der Demokratie

SPLA, Gewerk-schaften, Offiziere

Unruhen und Streiks

2005-11 mittel Hohe Kosten der humanitären Krise, der Ent-wurzelung und Vertreibung

Beendigung des Krieges, Einheit des Landes attraktiver machen, Wahlen, Referendum für den Süden

Internationale Gemeinschaft

Vermittlung und Verhand-lungen

der Vorlauf der Wahlen 2010

Die Wahlen sind Kern der Strategie, im Sudan ein gerechteres, stabileres und gemeinschaftlicheres politisches System zu schaffen. Ziel ist, zu zeigen, dass Demokratie in einem einigen Sudan möglich ist.

Die Bedeutung früherer Wahlen

Der Glaube, Mehrparteienwahlen hätten eine transformative Kraft, war lange einer der Antriebe von Entwicklungspolitik. In den vergangenen Jahren ist dieser Glaube jedoch mehr und mehr ins Wanken geraten. Der Urnengang, so ist zu

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hören, sei zu einem Fetisch geworden, Wahlen inhaltsleer, da häufig die Grund-lagen der Politik unverändert blieben. Folgt man diesem Argument, dann kann gewählt werden, ohne dass die Bevölkerung in den Genuss der wesentlichsten Errungenschaften der Demokratie kommt, nämlich Rechtsstaatlichkeit, Trans-parenz von Regierung und Verwaltung, Meinungs- und Versammlungsfreiheit.2

Dennoch sind die anstehenden Wahlen im Sudan nicht bloß eine Pflichtübung, die die internationale Gemeinschaft dem Land aufgezwungen hat. Wahlen können ein echtes Moment nationalen Zusammenhalts und landesweiter Teilhabe sein. Dieser Gedanke ist dem Sudan nicht fremd, wie am deutlichsten anhand der Wahl von 1953 zu sehen ist. Auch damals fand die Wahl unter schwierigen Umständen statt, war begleitet von erheblichem Misstrauen und großen Spannungen, Zeit und Mittel waren knapp. Dennoch verlief sie friedlich, geordnet, die Wahlbeteiligung war hoch. Die Wahl legte den Grundstein für die Unabhängigkeit des Landes, und noch heute kann sie als Modell für politische Mitwirkung dienen: Die Wähler lernten, ihre Bürgerrechte wahrzunehmen, und viele Staatsdiener, die mit der Durchführung zu tun hatten, machten die Erfahrung, dass es möglich ist, in einer neuen Nation zusammenzuarbeiten.

Es ist richtig, dass aus Mehrparteienwahlen im Sudan bisher keine stabilen Regierungen hervorgegangen sind. Dieses Versagen sollte jedoch nicht dazu benutzt werden, Wahlen grundsätzlich als für den Sudan ungeeignet hinzustellen. Die politische Labilität des Sudans hat vielerlei Gründe: Schlechte politische Führung, ein schwieriges koloniales Erbe und das vielschichtige politische Umfeld in der Region haben alle ihren Anteil. Die schiere Größe dieser Herausforderungen hat zu einem gewissen Grad dazu geführt, dass Wahlen bislang das Versprechen, die politische Kultur neu zu gestalten, nicht einlösen konnten. Allerdings hat auch die Art, wie Wahlen durchgeführt wurden, die Möglichkeit, das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat neu zu definieren, immer wieder sabotiert. Auch 2010 ist dies zu spüren.

Die Probleme sind zweierlei Art. Zum einen geht es um Amtsmissbrauch und Fehlverhalten. Unter den autoritären Regimen war dies weit verbreitet. Es reichte von der Manipulation von Wahlurnen bis zu weniger krassen, jedoch ebenso problematischen Formen: Wähler wurden eingeschüchtert, Wahlkampf mit Regierungsgeldern finanziert, Medien unter Druck gesetzt und Kandidaten, die der Regierungspartei nicht passten, von der Wahl ausgeschlossen. Im Großen und Ganzen war Fehlverhalten eher bei den Kandidaten und ihren Helfern festzustellen, als bei den Beamten.

Zum zweiten fehlte es bei Wahlen stets an den Mitteln. Im Sudan geheime Wahlen durchzuführen ist eine überaus schwierige logistische Aufgabe. Die Größe des Landes, enorme Unterschiede in der Bildung und ein weit verbrei-tetes Misstrauen gegen jede Regierung tragen das Ihre dazu bei. Darüber hinaus mangelt es an gut ausgebildetem Personal, und das Verkehrswesen ist stark

2 Eine tiefer gehende Erörterung der Bedeutung früherer Wahlen im Sudan findet sich bei Willis et al. (2009).

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unterentwickelt. Aus diesen Gründen war in der Vergangenheit die Wahlbetei-ligung im Süden, Westen und Osten des Sudans stets niedrig – das heißt, in fast allen Teilen des Landes jenseits der zentralen Region am Nil. Es ist wahrschein-lich, dass auch die bevorstehenden Wahlen unter diesen Problemen leiden werden.

Vorbereitung auf die Wahlen

Ein Anzeichen für derartige Probleme ist die Volkszählung von 2008, auf deren Basis das Wählerverzeichnis erstellt wurde. Die Ergebnisse sind von führenden SPLM-Politikern wie auch von anderen Beobachtern angezweifelt worden. Laut SPLM wurde die Volkszählung manipuliert, um die Zahl der Süd-Sudanesen zu senken. Die Zahl der in Khartum lebenden Süd-Sudanesen wurde zum Beispiel auf eine halbe Million beziffert; anderthalb Millionen wäre eine realistischere Zahl.

Eine zweite Sorge gilt dem Wahlverlauf in unsicheren Regionen. In Darfur, im Nuba-Gebirge, in Abyei und anderen Teilen des Südens ist es fraglich, ob bei der gegenwärtigen Sicherheitslage eine friedliche und geordnete Wahl möglich ist.

Selbst wenn in diesen Regionen gewählt werden kann, ist nicht ausgeschlossen, dass es nach der Wahl zu Gewalt kommt, besonders dann nicht, wenn die NCP und Omar al-Bashir gewinnen. Auch in den größeren Städten, inklusive Khartums, könnte es zu Gewalt kommen.

Schließlich gibt es Bedenken hinsichtlich der Professionalität und der Unparteilichkeit des sudanesischen Verwaltungsapparats. Beamte spielen eine wichtige Rolle für eine faire und geregelte Abstimmung. Die Qualität des sudanesischen öffentlichen Dienstes hat jedoch nach beinahe vier Jahrzehnten direkter Kontrolle durch die jeweilige Regierungspartei arg gelitten. Wiederholte Säuberungen und politisch motivierte Entlassungen haben ihren Tribut gefordert. Die NCP übt ihren Einfluss von Dorfkomitees über Bezirks- und Stadträte, Verbände bis in die Ministerien hinein aus. Die Kontrolle der Staatsdiener durch die Regierungspartei und deren Zugriff auf die Medien macht es zweifelhaft, ob die Wahlen frei und fair sein können.

die politischen Parteien des Sudans: innere dynamik und Wahlstrategien

Trotz dieser realen oder möglichen Rückschläge hat die Nationale Wahlkom-mission (NEC) planmäßig zu Wahlen für die erste Aprilhälfte 2010 aufgerufen. Regierung, politische Parteien und internationale Gemeinschaft sind mit den Vorbereitungen beschäftigt. Beobachter richten ihr Augenmerk vor allem auf die NCP und die SPLM. Die politische Landschaft im Sudan ist jedoch vielfältiger, und wenn die Erfahrungen der Vergangenheit zu etwas gut sind, dann sollten vor allem die Oppositionsparteien im Norden nicht unterschätzt werden (siehe Tabelle 2).

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tabelle 2: Stimmen- und Sitzverteilung bei den Wahlen 1986 (Quelle: autor)

Sitz-verteilung national

Stimmen in Prozent

Sitz-verteilung Khartum

Stimmen in Prozent

Sitz-verteilung gezira

Stimmen in Prozent

umma-Partei 99 38 6 21 29 47

duP 63 24 29 21 15 31

national islamic front

5 20 13 21 4 13

Kommunistische Partei

3 1 2 6 1

andere 39 17 31 8

Die National Congress Party

Die NCP wurde 1998 als Nachfolgerin der NIF gebildet, der Partei der Muslim-bruderschaft, die 1989 mit einem Staatsstreich die Macht übernommen hatte. Durch das Friedensabkommen von 2005 und ihre Zustimmung zu demokrati-schen Wahlen war die NCP in einer ähnlichen Lage wie andere allein regierende afrikanische Parteien, die ähnlichen Prozessen zugestimmt und dann versucht hatten, soviel wie möglich ihrer Macht über die Wahlen zu retten.

Auf dem nationalen Parteitag der NCP im Oktober 2009 wurde die Macht-position von Omar al-Bashir und der Hardliner gestärkt. Sogenannte Gemäßigte wurden von einflussreichen Positionen ferngehalten. Al-Bashir ist zurzeit Partei-vorsitzender und Präsident; Anfang 2010 trat er, um an den Präsidentschafts-wahlen teilnehmen zu können, als Oberbefehlshaber der Armee zurück, tritt aber interessanterweise zu manchen Anlässen noch immer in Uniform auf.

Obwohl sich die NCP zu einer dynamischen Partei gewandelt hat und in die Offensive gegangen ist, weiß sie, dass sie von einem Großteil der verarmten Mittelklasse und den Armen gehasst wird. Für viele Sudanesen ist augenfällig, wie sehr sich die Schere zwischen Arm und Reich geöffnet hat – wobei mit Letzterem eher die Neureichen als Familien mit angestammtem Wohlstand gemeint sind. Besonders in den vernachlässigten oder ausgebeuteten Randregi-onen des Landes ist diese Spannung merklich.

Im Wahlkampf hat die NCP ihre strukturellen Vorteile voll genutzt. Mehr als jede andere Partei ist die NCP in der Lage, große Wahlkampagnen zu finan-zieren und ihre Netzwerke dazu zu nutzen, vor Ort Unterstützung zu erkaufen. Die Partei konzentriert sich auf das sogenannte arabisch-islamische Herzland. Dort leben etwa 25 Millionen Stimmberechtigte, Wirtschaftswachstum und Grad der Alphabetisierung sind vergleichsweise hoch. Die NCP ist außerdem mit gut bezahlten Mitarbeitern dort aktiv, wo sie sich von politischen Rivalen bedroht sieht, beispielsweise in Darfur, der Blue-Nile-Provinz und im Osten des Landes.

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Überzeugen will die NCP die Wähler, indem sie ausländische Investiti-onen einwirbt, die Infrastruktur verbessert, Arbeitsplätze schafft, natürliche Ressourcen ausbeutet, die Wirtschaft landesweit ankurbelt – und natürlich durch eine teure Wahlkampagne. Die Kriegskasse der Partei beläuft sich angeblich auf 500 Millionen US-Dollar. Ihr Geld bezieht die NCP vor allem aus drei Quellen: Gelder, die aus dem Staatshaushalt abgezweigt werden, Spender aus dem Inland, v.a. Geschäftsleute, die von der NCP protegiert werden, sowie Spender aus dem Ausland, v.a. Auslandssudanesen und Unterstützer aus den Golfstaaten.

Die NCP stellt sich als Verteidigerin des Islams dar, weiß aber, dass sie auf diesem Feld mit anderen Parteien konkurriert. Eine andere Linie zielt darauf, sich als Partei des Fortschritts zu präsentieren. Abseits vom Öl konzentriert sich das wirtschaftliche Wachstum im Großen und Ganzen auf die zentralen Regionen des Nordens – nördlich von Khartum bis zur Region von Gezira.

Die NCP weiß, dass eine geeinte Opposition für sie eine echte Herausforde-rung sein könnte – daher ihr vehementer Angriff auf die Juba Coalition of Forces, eine Vereinigung von Oppositionsgruppen. Gleichzeitig sucht sie nach einem starken Verbündeten im Norden, der ihre geografische Basis verbreitern und ihre Herrschaft nach den Wahlen legitimieren könnte. Die NCP hofft, das Herzstück einer breiten islamischen Allianz zu werden, die eine andere starke und populäre Partei des Nordens – entweder die DUP oder die Umma-Partei – wie auch ihre gegenwärtigen Verbündeten und Handlanger (Splittergruppen der Muslimbru-derschaft, «Ansar as-Sunna») mit einschließt. Mit ihren zahlreichen Anhängern in den nördlichen und östlichen Regionen wäre die DUP der attraktivere Partner. Die traditionelle Basis der Umma-Partei in Darfur und Kordofan ist durch den Krieg in Darfur geschwunden.

Gleichzeitig muss die NCP in den Randgebieten des Ostens und des Westens mehr Stimmen gewinnen. Durch einen Handel mit der DUP könnte das gelingen. Darfur ist ein schwieriger Fall. Aufgrund des Krieges dort unterstützen nur wenige Westsudanesen aktiv die NCP. Die NCP hat jedoch vor, die Gespräche mit den Nichtunterzeichnern des Friedensabkommens (DPA) fortzusetzen und hofft, die Rebellen kostengünstig neutralisieren zu können. Der Friedensprozess im Osten Sudans hat gezeigt, dass die NCP in der Lage ist, mit Rebellen Abmachungen zu treffen, ohne dabei die eigentlichen Gründe des Konflikts anzugehen und ohne spürbare Konzessionen zu machen: Im Normalfall reicht es, Posten zu verteilen, Entschädigungen zu zahlen und Entwicklung zu versprechen. Solange die Rebel-lenbewegungen nicht geeint sind, reicht diese Strategie vermutlich aus, um eine gewisse öffentliche Unterstützung zu erlangen.

Langfristig setzt die NCP darauf, sich ihre Kontrolle über Ressourcen und die Wirtschaft zu erhalten. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass die NCP den Sudan als Einheitsstaat bewahren will. Da aber weder die Einheit noch die Hilfe der internationalen Geber langfristig sicher ist, versucht sie, die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Nordens zu vergrößern. Intensiv wird in die Entwicklung des sogenannten Hamdi-Dreiecks (Dongola-Sinnar/Kordofan) investiert, zusätz-

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lich zu einem schmalen Korridor im strategisch wichtigen Osten (vor allem das Gebiet um Port Sudan).

Die Sudan People’s Liberation Movement/Army

Trotz jüngster Anstrengungen, sich als Partei des gesamten Sudans zu präsen-tieren, bleibt die SPLM eine Partei des Südens. Zwar gibt es noch organisatori-sche Defizite, aber verglichen mit den Konkurrenten, sind die Parteistrukturen der SPLM recht solide, die Partei ist gut finanziert.

Seit 2005 hat die SPLM unter einigen Absplitterungen und inneren Streitig-keiten gelitten. Erst jüngst spaltete sich eine Fraktion um Lam Akol unter dem Namen SPLM – Democratic Change ab. Der Richtungsstreit findet zwischen einem «konservativen» und einem «radikalen» Lager statt. Das Erstere will die Abspaltung des Südens und sucht die NPC vorübergehend möglichst zu besänf-tigen, um das Referendum im Jahr 2011 nicht zu gefährden. Das andere Lager vertritt die Vision eines «neuen Sudans», will die Einheit zwischen Norden und Süden und fordert, dass die NCP das Friedensabkommen vollständig umsetzt. Auf dem SPLM-Parteitag im Mai 2008 schienen die beiden Lager gleichauf zu sein. Seither hat sich die Stimmung jedoch zunehmend in Richtung der Konser-vativen und zugunsten der Abspaltung verschoben.

Die SPLM glaubt, vermutlich mit gutem Grund, dass sie im Süden des Sudans einen überwältigenden Wahlsieg erringen wird. Zwar haben Unsicherheit, mangelhafte Dienstleistungen und der Vorwurf, einige Vertreter der Regierung des Südsudan (GoSS) seien korrupt und selbstherrlich, die anfängliche Begeis-terung nach Unterzeichnung des Friedensabkommens etwas abgeschwächt. Dennoch kann die SPLM nach wie vor mit dem Bonus rechnen, die Befreiungs-bewegung zu sein, die den Frieden erreicht hat. Solange die Lage vor Ort erträg-lich und innerhalb der Parteiführung die Spannungen zwischen den Stämmen unter Kontrolle bleiben, ist zu erwarten, dass ein Großteil der Bevölkerung die Herrschaft der SPLM akzeptiert – auch aus Mangel an Alternativen.

Ein hoher Wahlsieg im Süden würde mit einiger Sicherheit bedeuten, dass die SPLM auch weiterhin auf nationaler Ebene in wichtigen Institutionen vertreten sein wird. Die SPLM würde, erreicht sie sudanweit 30 Prozent der Stimmen, zu einer der wichtigsten politischen Kräfte. Natürlich sind auch Stimmen aus dem Norden willkommen, jedoch nicht unbedingt erforderlich, um eine Regierungs-beteiligung sicherzustellen.

Es überrascht deshalb nicht, dass die Anstrengungen der SPLM, im Norden an Boden zu gewinnen, bisher eher halbherzig ausfielen. Viele Sudanesen im Norden, denen früher die SPLM eine weltliche Alternative zu den herkömmli-chen Oppositionsparteien war, sind vom schwachen Auftreten der Partei und ihrem Desinteresse an nationaler Politik enttäuscht. Anders als noch Anfang 2005, wird die SPLM im Norden nicht mehr als treibende Kraft für einen landes-weiten Wandel gesehen (Hikmat: 2009).

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Trotz ihrer Unterstützung für die Juba Coalition of Forces scheint die SPLM eher geneigt, die ungleiche Partnerschaft mit der NCP fortzusetzen, als Bündnissen mit der Opposition im Norden zu schließen. Sollte jedoch die NCP (entgegen aller Prognosen) ihre Machtposition verlieren, müsste sich die SPLM nach der Wahl im Norden Verbündete suchen. Die Kommunistische Partei (SCP) und einige Fraktionen innerhalb der DUP wären die wahrscheinlichsten Kandi-daten.

Bis heute ist nicht klar, ob sich die SPLM als Regierungspartei des Süd-Su-dans einem liberalen Kurs verpflichtet fühlt. Mit den Oppositionsparteien im Süden hat es bisher kaum einen Dialog gegeben. Im Umgang mit anderen Gruppen im Süden zielte die SPLM bislang hauptsächlich darauf, deren bewaff-nete Arme in die SPLM zu integrieren. Diese eher militärischen als politischen Bemühungen bahnen einem demokratischen Pluralismus nicht eben den Weg. Einige Beobachter haben darauf hingewiesen, dass im Süden außer der SPLM – Democratic Change die meisten anderen Parteien in Wahrheit Geschöpfe der SPLM seien, geschaffen um eine «unechte Atmosphäre des politischen Plura-lismus» herzustellen. Die eigentliche politische Opposition – die ausgegrenzten Teile der Bevölkerung – hat es bisher nicht geschafft, sich zu organisieren (BBC 2009: online).

Die Democratic Unionist Party

Die Anhänger der DUP sind weitgehend Angehörige der Khatmiyya-Sekte sowie eher weltlich ausgerichtete Geschäftsleute und Angehörige der städtischen Mittelschichten. Ihre weit gefächerte und lockere Organisation brachte der Partei eine relativ demokratische Struktur ein, das allerdings eher unbeabsichtigt.

Seit die Islamisten 1989 die Macht übernommen haben, hat die von der NCP verfolgte Taktik des «Teile und Herrsche» zur Zersplitterung der DUP geführt. Ansätze, die Partei zu einigen, haben bisher keine Früchte getragen. Die DUP ist sich darüber uneins, wie man sich gegenüber der Regierung der nationalen Einheit verhalten soll. Der Vorsitzende der DUP, Mohamed Osman al-Mirghani, hat es – obwohl er formell der Führer der National Democratic Alliance (NDA), einer Dachorganisation von oppositionellen Gruppen ist – bislang vermieden, gegenüber der NCP eine klare Haltung zu beziehen; er hält sich seine Optionen offen.

Die DUP hofft, ihren Einfluss bei den Wahlen zu vergrößern. Sie verfügt über erhebliche Mittel und kann den Wahlkampf problemlos finanzieren. Zum säkularen Flügel der Partei gehören einflussreiche Geschäftsleute. Außerdem erfreut sich die DUP lang währender Beziehungen zu Ägypten; allerdings sieht Ägypten die Partei inzwischen nicht mehr als einzigen Garanten seiner Inter-essen im Sudan.

Die traditionellen Hochburgen der DUP liegen im Großraum Khartum und in Gezira sowie im äußersten Norden und im Osten. In den vergangenen Jahren hat die DUP jedoch im Osten Sudans eine beachtliche Anzahl von Wählern an die

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Eastern Front verloren, deren führende Persönlichkeiten ehemalige Mitglieder der DUP sind. Al-Mirghani führt Gespräche sowohl mit der NCP wie auch mit der SPLM und wird, wenn es seinen Interessen dient, nicht zögern, mit der Opposi-tion gemeinsame Sache zu machen. Dennoch scheint nach der Wahl eine Koali-tion mit der NCP und anderen Parteien möglich; nur wenige DUP-Mitglieder wären dem grundsätzlich abgeneigt.

Die Umma-Partei

Wie die DUP gehört die Umma-Partei zum Establishment und musste aufgrund der Taktik der NCP etliche Abspaltungen hinnehmen. Seit 1999 sind kleine Split-tergruppen Teil der von der NCP kontrollierten Regierung. Die Umma-Partei wird von Sadiq al-Mahdi geführt, Sudans letztem gewählten Premierminister, der beim Staatsstreich 1989 von den Islamisten gestürzt wurde.3

Die Umma-Partei steht vor einem ideologischen und organisatorischen Dilemma. Einerseits ist sie für Sadiq al-Mahdis Plädoyers für Demokratie und Pluralismus bekannt; andererseits ist die Partei nach herkömmlichem Muster organisiert, das heißt die Familie Mahdi führt die Partei unangefochten. Anscheinend hat sie finanzielle Probleme, da sie die Unterstützung einiger einflussreicher Geschäftsleute verlor. Wie zu hören war, hat al-Mahdi seine «alten Kontakte aus Oxford» – die marokkanischen und jordanischen Königshäuser – um finanzielle Hilfe angegangen (Hikmat 2009).

Die Partei hat ihre Machtbasen in Khartum, Kordofan, in der White-Nile-Provinz und in Darfur (dort besonders im Süden) und zwar hauptsächlich bei Splittergruppen traditioneller Ansaris in ländlichen, unterentwickelten Gebieten. In Darfur hat die Umma-Partei vor allem unter den Jüngeren Anhänger an die Rebellenbewegungen verloren. Strategie der Partei ist es, nicht direkt mit den Rebellen zu konkurrieren, sondern traditionelle Führer zu stärken (d.h. die Baggara mit ihrem Kernland im Süden Darfurs) und auf die Unterstützung der loyalen Ansaris zu setzen (White-Nile-Provinz und Gezira). Wegen seiner Geldprobleme kann al-Mahdi den Stammesführern wenig mehr als moralische Unterstützung anbieten.

Die Umma-Partei könnte nach der Wahl eine Koalition mit der SPLM anstreben. Das könnte dazu beitragen, die Lage in Darfur zu stabilisieren und die SPLM zur Erhaltung der Einheit Sudans zu bewegen. Sollte ein Bündnis mit der SPLM nicht möglich sein (falls die SPLM zu unnachgiebig für eine Abspaltung des Südens eintritt), würde die Umma-Partei wahrscheinlich ihre Zusammenarbeit mit der PCP intensivieren und/oder ein Bündnis mit der NCP eingehen. Eine solche Koalition würde aber nur dann zustande kommen, wenn es keine anderen Optionen gibt.

3 Sadiq al-Mahdi ist ein direkter Nachkomme von Muhammad Ahmad, dem Mahdi, einem politischen Führer im 19. Jahrhundert und Gründer des mahdistischen Staates im Sudan.

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Die Kommunistische Partei des Sudan (SCP)

Trotz ihres formellen Bekenntnisses zum Marxismus hat sich die SCP in den vergangenen Jahren ein sozialdemokratisches Programm gegeben. Der fünfte Generalkongress der Partei hat 2009 beschlossen, den Namen der Partei beizu-behalten und die Führungsrolle der alten Garde zu bestätigen. Daneben gab es aber auch ein klares Bekenntnis zur Demokratie und zum Prinzip der Religions-freiheit. Im Vergleich zu den herkömmlichen Parteien ist die SCP sehr gut organi-siert und verfügt über Strukturen, die bis zu einem gewissen Grad demokratische Entscheidungen möglich machen.

Die SCP genießt ein gewisses Maß an Unterstützung in den Universitäten, unter Intellektuellen und Akademikern. Nach Nimeiris Versuchen, die Partei in den 1970er Jahren zu zerschlagen, und der islamistischen Unterdrückung in den 1990er Jahren, hat sie es jedoch nicht wieder geschafft, zu einer nationalen Bewegung zu werden. Heute ist die SCP eher eine umtriebige, im Parlament vertretene Interessenpartei, als eine Volkspartei. Finanziell ist die SCP schwach, erhält aber Unterstützung von Anhängern im Ausland.

Bei den Wahlen will sich die SCP auf wenige Hochburgen in den Städten und in einigen Randgebieten konzentrieren und so drei oder vier Sitze im Parla-ment erringen. Für die SCP wäre das eine hinreichende Garantie dafür, weiter politisch arbeiten zu können. Die Partei favorisiert ein System «gemischter Repräsentation», dass es ihr erlauben würde, unabhängige Kandidaten zur Wahl zu stellen (was wahrscheinlich zu einem höheren Stimmenanteil führen würde, da viele muslimische Sudanesen den Kommunisten wegen ihres vermeintlichen Atheismus noch immer reserviert gegenüber stehen).

Die Führung der Partei hat erklärt, sich vor der Wahl nicht an Bündnissen auf nationaler Ebene zu beteiligen. Der Slogan der SCP lautet «Zusammenarbeit ja, Bündnis nein», was bedeutet, dass man sich der Zusammenarbeit mit anderen Parteien bei bestimmten Fragen nicht verweigern wird. Beispielsweise haben die Popular Congress Party (PCP) und die SCP vor kurzem eine gemeinsame Position zu Darfur beschlossen. Je nach Ausgang der Wahlen könnte die SCP mit Parteien aus dem politischen Zentrum zusammenarbeiten (DUP, Umma-Partei), wenn auch nicht unbedingt unter dem Dach der NDA oder der SPLM.

Die Popular Congress Party

Die Hauptanhängerschaft der PCP besteht aus islamistischen Kadern, die 1999 zusammen mit Hassan al-Turabi die NCP verlassen haben. Die Mehrheit der einflussreichen Geschäftsleute in der islamistischen Bewegung entschied sich seinerzeit für die NCP, was die PCP schwächte.

Heute arbeitet die PCP engagiert in der Juba Coalition of Forces mit. Ob aber alle Mitglieder der PCP diese Regenbogenkoalition unterstützen und al-Turabis neuer liberaler Linie folgen, ist ungewiss. Weniger eng als in den Anfängen des Darfur-Konflikts ist die Verbindung der PCP mit der Justice and

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Equality-Bewegung (JEM). Trotz des gemeinsamen islamistischen Erbes machen viele Mitglieder der JEM aus dem Volk der Zaghawa Turabi für die Ereignisse in Darfur verantwortlich. Als früheren Chefideologen sehen sie in Turabi den Hauptverantwortlichen für die Machtergreifung der Islamisten 1989.

Die Fraktionen und Gruppen innerhalb der PCP werden im Vorfeld der Wahlen vermutlich keine unterschiedlichen Strategien einschlagen. Dennoch ist es möglich, dass einzelne oder Netzwerke innerhalb der PCP versuchen, mit früheren Kollegen aus der NCP zusammenzuarbeiten. Turabi wird anderen Oppositionsparteien Angebote machen, um sein politisches Überleben zu sichern, während er der NCP, wo immer möglich, Steine in den Weg legen wird.

tabelle 3: Positionen der wichtigsten politischen Parteien (Quelle: autor)

maximalposition minimalposition

ncP

Falken

Gemäßigte

Den Wahlsieg sichern; soweit möglich auf Gewalt verzichten; bis zum Ende der Wahlen Ruhe bewahren

Kräfte innerhalb der NCP und den religiösen Gruppen des Nordens neu formieren

Teile-und-herrsche-Taktik; Gespräche mit Mirghani und al-Mahdi und Beteili-gung an einer NCP-Regierung anbieten

Aufzeigen, dass die Rhetorik der Falken eine Belastung ist und nicht funktioniert

SPlm

Konservative

Linke – Neuer Sudan

30 Prozent der Stimmen und eine nati-onale Rolle erreichen, Kontrolle des Südens und der drei Regionen

Bildung eines breiten Bündnisses gegen die NCP

Weg zum Referendum und zur Unab-hängigkeit sichern

Die Vision von einem «Neuen Sudan» am Leben erhalten

opposition

Säkulare Kräfte (Kommunisten, Baathisten)

Religiöse Kräfte (Umma-Partei, DUP)

Islamisten (PCP)

Bildung eines starken Bündnisses gegen die NCP, um diese zu schlagen

Wiedergewinn der früheren parlamenta-rischen Stärke und Beteiligung an einer Koalitionsregierung

Omar al-Bashir bei den Präsidentschaftswahlen schlagen

Ein relativ offenes politisches Umfeld herstellen

Kompensation für die 1989 beschlag-nahmten Vermögen

Zweifel an der Fairness der Wahlen wecken und eventuell nach den Wah-len Gewalt schüren, um so die NCP in Misskredit zu bringen

Die Opposition im Süden

Die Oppositionsparteien des Südens sind zersplittert und uneinig. Politische Programme spielen so gut wie keine Rolle, es geht nur darum, sich entweder der NCP oder der SPLM anzuschließen. Die Sudan African National Union (SANU)

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und die beiden Fraktionen der Union of Sudan African Parties (USAP I und II) werden weitgehend als Geschöpfe der SPLM angesehen, während dem Southern Sudan Democratic Forum vorgeworfen wird, sowohl von der NCP kooptiert als auch eine Ein-Mann-Show zu sein, die von Süd-Sudanesen aus dem Ausland finanziert wird. Alle drei Parteien sind bedeutungslos.

Obwohl sowohl die SPLM – Democratic Change als auch das Southern Sudan Democratic Forum der SPLM vorwerfen, im Süden keinen fairen politischen Wettbewerb zuzulassen, haben es beide Gruppen bislang nicht geschafft, sich angemessen zu organisieren, und sie genießen so gut wie keine Unterstützung.

fazit

Das Friedensabkommen von 2005 hat die Hoffnung geweckt, der Sudan könne sich zu einer Demokratie entwickeln. In den vergangenen fünf Jahre ist davon nur wenig Wirklichkeit geworden. Die Fundamente des Autoritarismus und des Militarismus sind unangetastet, Zeichen für einen demokratischen Wandel gibt es nur wenige.

Die NCP hat sich zu einer Art Mischwesen entwickelt, sich zu einem gewissen Grad geöffnet und demokratische Verfahren erfolgreich mit einer autokratischen Praxis verbunden. Die SPLM hat eben erst den Wandel von einer Rebellenarmee zu einer politischen Partei hinter sich und muss als Regierungspartei noch Institutionen schaffen, die den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger gerechter werden. Die Rebellenbewegungen des Westens und Ostens haben es noch nicht geschafft, funktionierende politische Parteien zu werden. Ihnen fehlen sowohl politische Programme wie auch organisatorische Strukturen. Dennoch scheinen die Rebellen aufgrund ihrer Dynamik für die Bevölkerung der sudanesischen Randgebiete und besonders für die junge Generation attraktiver zu sein, als die untätigen und kraftlosen herkömmlichen Parteien.

Es ist zu hoffen, dass durch die Wahlen erreicht wird, was seit 2005 nicht gelang. Der Zustand der politischen Parteien Sudans ist jedoch ernüchternd. Auf nationaler Ebene bleibt die SPLM unter ihren Möglichkeiten, und die früher einflussreichen Parteien im Norden scheinen desorganisiert, und es fehlt ihnen ein Programm. Gut organisierten Parteien wie der SCP oder der PCP fehlt die breite Unterstützung, der PCP zudem die demokratische Grundhaltung. Ein starkes Oppositionsbündnis gibt es nicht, und ob es entstehen kann, ist zweifelhaft, da die herkömmlichen Parteien mehr und mehr gezwungen sind, mit den dynamischen Rebellengruppen der Randregionen zu konkurrieren.

Trotz alldem könnten die Wahlen von 2010 in einem schwierigen und kritischen Augenblick der sudanesischen Geschichte ein Moment echter Teilhabe und des nationalen Zusammenhalts sein. Die Fehler und Unterlassungen, zu denen es seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens kam, können durch die Wahlen jedoch nicht wettgemacht werden.

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Im Süd-Sudan

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countdown zwischen nord und Süd – dynamik und folgen einer möglichen Spaltung

einleitung

Seit mehr als einem Jahrhundert ist der Sudan nicht in der Lage, mit sich und seinen Nachbarn im Frieden zu leben. Zahlreiche Autoren haben die Wurzeln dieses andauernden Konflikts dargelegt: das Fehlen einer umfassenden natio-nalen Identität (siehe Ghaboush et. al. 1971; Khalid 1973; Abdel Salam 1989; Gatkuoth 1995), die spaltende Rolle der Religion (El-Affendi 1990) und der kultu-relle Chauvinismus der arabischen Eliten (Deng 1991). Die Folge war, dass das politische Leben im Sudan durch Kriege und Konflikte zwischen Zentrum und Peripherie bestimmt wurde.

Versuche, Politik und Identität des Sudans aufzubrechen, etwa durch das Konzept des «Sudanismus» (Mazrui 1965) oder das Projekt eines «Neuen Sudans» (Garang 1998), wurden von den jeweiligen Regierungen blockiert. Opfer war die Bevölkerung im Süden. Jahrzehntelang führte der Süden unter der Sudan People’s Liberation Movement/Army (SPLM/A) einen blutigen und zerstörerischen Kampf gegen den Norden um sein Recht auf Selbstregierung und Autonomie.

Die Unterzeichnung des Comprehensive Peace Agreement (CPA) zwischen der SPLM und der Regierung des Sudans (GoS) weckte die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft und auf Mitbestimmung. Das CPA ist eine «Road Map», ein Leitfaden. Für die wesentlichen Probleme macht es präzise Zeitvorgaben: Es gibt Regelungen zu Fragen der Sicherheit, zur Verteilung der Güter und der Macht und zum Status der drei umstrittenen Regionen Abyei, Südkordofan (Nuba Mountains) und der Blue-Nile-Provinz. Die Umsetzung begann im Januar 2005, und alle entscheidenden Fragen sollten innerhalb des vorgegebenen Zeitrah-mens gelöst werden.

Die Erwartungen wurden nicht erfüllt. Bei der Umsetzung gab es viele Probleme und Verzögerungen: Es dauerte etwa ein Jahr, bis die Übergangs-verfassungen auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene sowie im Süden umgesetzt wurden; die Bildung von Übergangsregierungen und -institutionen

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zog sich mehr als anderthalb Jahre hin. Die Volkszählung, auf deren Grundlage die bevorstehenden Wahlen durchgeführt werden sollen, war umstritten; allein um sich über den gesetzlichen Rahmen der Erhebung zu einigen, benötigten die Parteien etwa ein Jahr, und die Ergebnisse sind noch immer heftig umstritten. Der im CPA vorgezeichnete Weg hat sich, milde ausgedrückt, als steinig erwiesen.

die SPlm: herausforderungen für eine Befreiungsbewegung an der macht

In Zeiten des politischen Übergangs können sich Wesen und Beschaffenheit institutioneller Übereinkünfte tiefgreifend auswirken. Die Summe der Institu-tionen und die politische Kultur, die in der Übergangsperiode im Sudan Einzug hielt – und vor allem die Frage, ob der Sudan ein Land bleiben oder in zwei oder mehr staatliche Gebilde gespalten wird –, werden weitreichende Folgen für die Zeit nach 2011 haben.

Dass die führende Partei, die SPLM, eine Befreiungsbewegung ist, wirkt sich stark auf die Arbeit der Süd-Sudanesischen Regierung (Government of South Sudan, GoSS) aus. Wenn eine Bewegung vom bewaffneten Kampf zum Regieren übergeht, stellt dies einen einschneidenden Wandel ihrer Institutionen dar. Während des Bürgerkriegs hatte die SPLM nur schwache Institutionen. Eher war es die SPLA – der bewaffnete Flügel der Organisation –, die sowohl politisch wie militärisch die führende Rolle hatte. Erst im April 1994, nach dem ersten Nationalen Parteitag der SPLM in Chukudum, wurde versucht, Instituti-onen zu schaffen, die die Aktivitäten der Organisation steuern konnten. Dieser Prozess der Institutionalisierung wurde kurzzeitig aber entscheidend unter-brochen, als der Vorsitzende der SPLM, John Garang, während der ersten zwölf Monate der CPA-Übergangsperiode (Juli 2005 – Juli 2006) alle Institutionen der SPLM auflöste. Der derzeitige Vorsitzende der SPLM brauchte etwa ein Jahr, sie übergangsweise wiederherzustellen. Im Mai 2008 wurden schließlich auf allen Ebenen der SPLM Vertretungen gewählt.

Die SPLM stellt seitdem die Regierung des Süd-Sudan. Ihr Erfolg wird an den Ergebnissen ihrer Arbeit gemessen werden, nicht an deren Zielen. Dabei sieht sich die SPLM zwei Herausforderungen gegenüber. Zum einen muss sie ihr Übergangsprogramm in die Tat umsetzen und vom Befreier zum Dienstleister werden (Yoh 2009): Neue Schulen müssen gebaut und Lehrer ausgebildet, die Versorgung mit sauberem Wasser, Kanalisation und Gesundheitswesen müssen sichergestellt werden, es muss für angemessene Wohnverhältnisse und Elekt-rifizierung gesorgt werden, Straßen, Binnen- und Flughäfen müssen gebaut, und die Hauptstadt muss mit den Bundesstaaten, die Hauptstädte der Bundes-staaten mit den Landkreisen und die Landkreise mit den örtlichen Verwaltungen verbunden werden. Zum anderen muss die SPLM den hohen Erwartungen der Süd-Sudanesen gerecht werden, die die Früchte des Friedens genießen wollen.

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All dies wird nicht eben dadurch leichter, dass die SPLM seit 2005 oft vor allem damit beschäftigt war, das CPA neu zu verhandeln. Entsprechend wurde mit der Zeit das Regieren schwieriger. Manche halten die Institutionen im Süd-Sudan für ineffizient und korrupt. Gleich, ob dies durchgehend stimmt oder nicht, nur durch harte Arbeit wird es möglich sein, solche Vorwürfe zu zerstreuen.

Was läuft falsch? Wer ist Schuld an den Mängeln der Regierung Süd-Sudans und denen der SPLM? Die GoSS und die SPLM hätten sich die Zeit nehmen müssen, auf einige der wichtigsten Fragen ihrer Kritiker, mancher Führer, Mitglieder und Sympathisanten einzugehen. Dabei geht es insbesondere um Folgendes:

Erstens ist da die Frage der Sicherheit. Die GoSS hat Kritik dafür einste-cken müssen, dass sie nicht entschieden in Konflikte zwischen Clans und ethnischen Gruppen eingriff und dass es bei der Entwaffnung von Zivilisten Unregelmäßigkeiten gab: Einige Bevölkerungsgruppen hatten das Gefühl, sie würden zur Abgabe ihrer Waffen gezwungen, während gleichzeitig andere ihre Waffen behalten durften – was sie gegen Angriffe wehrlos machte. Dazu kam der Vorwurf, den Übergriffen von Kriminellen und Uniformierten unbekannter Herkunft ausgesetzt zu sein. Weiter wurden, besonders in den ersten drei Jahren, Sicherheitsorgane der GoSS beschuldigt, regierungskritische Journalisten einzu-schüchtern.

Zweitens geht es um Fragen des Landbesitzes und der Landnutzung. In einigen Städten und Gemeinden wurde der GoSS vorgeworfen, «Landraub» zu betreiben. In der Hauptstadt Juba kam es zu Reibereien zwischen der GoSS und den ortsansässigen Bari, die hohe GoSS-Beamte beschuldigten, illegalen Landraub zu unterstützen. Die GoSS musste sich auch mit Beschwerden darüber auseinandersetzen, Vertriebene weigerten sich, in ihre Ursprungsregionen zurückzukehren. Diese Landnahme durch Flüchtlinge, so der Vorwurf, werde von hochrangigen Mitgliedern der GoSS unterstützt.

Drittens gab es zahlreiche Beschwerden gegen Regierung und Verwaltung. So wurde Sicherheits-, Zoll-, Luftfahrtsbeamten und SPLA-Geheimdiensten vorgeworfen, an öffentlichen Orten – insbesondere auf Flughäfen – und bei offiziellen Anlässen ohne Absprache aufzutreten, was zu Mehrfachkontrollen führte. Die GoSS und einige Ministerien sehen sich auch dem Vorwurf ausge-setzt, dass Stellen nicht ordentlich ausgeschrieben und stattdessen an Bekannte und Verwandte vergeben werden – ein offenkundiger Fall von Korruption.

Von einer Befreiungsbewegung, die zur Regierungspartei wurde, wäre es wohl zuviel erwartet, all diese Probleme innerhalb von fünf Jahren zu lösen. Dennoch haben die Vorwürfe, Beschwerden und Anschuldigungen negative Folgen für das Ansehen der GoSS gehabt. Statt zu beschwichtigen oder sie zu ignorieren, hätte unverzüglich und ordnungsgemäß gehandelt werden müssen. Um die genannten Probleme zu lösen, müssen folgende Punkte geklärt werden:

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Ablauf der internen Entscheidungsfindung

Wie wird das Verhältnis zwischen dem SPLM-Politbüro, dem National Libera-tion Council und den parlamentarischen Gremien der SPLM gehandhabt?

Wer berät sich mit wem, wenn die Regierung gebildet oder umgebildet wird – gleich, ob es sich um die Regierung der Nationalen Einheit (GoNU), die Regie-rung des Süd-Sudans oder die Regierungen der Bundesstaaten handelt?

Wie verläuft die Kommunikation zwischen Ministerien der GoNU und der GoSS?

Nach welchen Kriterien werden Positionen im Kabinett oder auf anderen Regierungsebenen vergeben?

Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit

Seit 2005 hat das Finanzministerium 7,8 Milliarden US-Dollar an die GoSS vergeben, eine Summe, mit der Gehälter, Dienstleistungen und Entwick-lungsprojekte der GoSS in Juba, den zehn südlichen Bundesstaaten, den 80 Landkreisen, den ungefähr 400 Payams und über 1500 Bomas (örtliche Verwaltungseinheiten) bezahlt werden sollen. Wer kontrolliert die Verwen-dung des Budgets? Wer überwacht die Ausgaben der Bundesstaaten? Werden die an die Landkreise verteilten Gelder von den Landräten abgerechnet?

Wer überwacht die Umsetzung der Verträge, die die GoSS und die Regie-rungen der Bundesstaaten mit ausländischen Firmen abgeschlossen haben?

Wer kontrolliert die Währungsreserve des Süd-Sudans? Sind die Gelder in Notfällen verfügbar?

Wer kontrolliert die Millionenbeträge, die das Finanzministerium und andere Ministerien bereit gestellt haben, um die Wirtschaft im Süd-Sudan zu fördern?

Haushaltspolitik

Welche Rolle spielen das Ministerium für Finanzen und Wirtschaftsplanung und die Bank of Southern Sudan (BoSS) bei der Kontrolle des Haushalts?

Welche Rolle spielt der Oberste Rechnungsprüfer, wenn es darum geht, finanzielle Unregelmäßigkeiten innerhalb von Institutionen der GoSS zu untersuchen?

In welchem Maß können die Einnahmen aus dem Ölgeschäft in den ölprodu-zierenden Bundesstaaten die Entwicklung fördern? Nach den Bestimmungen des CPA erhalten die ölproduzierenden Bundesstaaten zwei Prozent der Öleinnahmen, eine Summe von, je nach Kurs der Ölpreise, zwischen 2,5 Milli-onen und 4,5 Millionen US-Dollar pro Monat. Bisher haben davon Western Upper Nile und Upper Nile profitiert (seit 2005 bzw. 2006). Die Einkünfte aus der Ölförderung in Südkordofan und Abyei sind nicht eindeutig belegt, und es ist unklar, wie die Zentralregierung diese Gelder verwendet hat.

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die dynamik der Wahlen von 2010

Die Wahlen im April 2010 sind ein zentraler Punkt des CPA. Die am Friedensab-kommen beteiligten Parteien schätzen ihre Bedeutung jedoch unterschiedlich ein. Die National Congress Party (NCP) plant, bei den Wahlen ihre Legitimation und Macht zu sichern, besonders, seit sie davon überzeugt ist, der Süden werde sich für die Abspaltung entscheiden. Die SPLM andererseits misst den Wahlen wenig Bedeutung bei. Für sie ist es vor allem ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur 2011 stattfindenden Abstimmung über die Unabhängigkeit.

Die Frage, wer die Wahlen im Norden gewinnt, ist von besonderer Bedeu-tung. In den vergangenen 20 Jahren hatte die NCP Politik und Gesellschaft des Landes fest im Griff, besonders im Norden. Alle politischen Gruppierungen, die vor dem Juni 1989 aktiv gewesen waren, wurden entweder durch Gewalt zum Schweigen gebracht, ihre Mitglieder wurden eingesperrt und dazu ermutigt, zur NCP überzulaufen, oder aber sie wurden soweit zersplittert, dass es heute fünf Fraktionen der Umma-Partei und etwa vier der Democratic Unionist Party gibt.

Ziel der NCP bei den Wahlen ist es, im Norden Exekutive und Legislative zu kontrollieren. Die NCP vertraut dabei darauf – sollte die SPLM bei möglichen kleineren Manipulationen ein Auge zudrücken –, dass sie mit Sicherheit gewinnt und die Macht im Norden behält. In der Praxis könnte diese Strategie aber nicht so einfach aufgehen:

Erstens hat sich die SPLM dafür entschieden, bei den Präsidentschaftswahlen einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Da der Führer der SPLM, General Salva Kiir Mayardit, kein Interesse daran gezeigt hatte, bei den Wahlen gegen Bashir anzutreten, glaubte sich die NCP in Sicherheit. Die Nominierung von Yassir Arman als SPLM-Kandidat bedeutet, dass eine Partnerschaft zwischen SPLM und NCP nicht mehr in Frage kommt. Zudem ist dadurch unwahrscheinlich, dass die SPLM Versuche, die Wahl zu manipulieren, hinnehmen wird.

Zweitens hat die Entscheidung der SPLM, einen Kandidaten für die Präsi-dentschaft aufzustellen, politische Parteien des Nordens, wie die Kommunis-tische Partei (SCP), die Umma-Partei und die National Popular Party (NPP), veranlasst, es ihr nachzutun. Ziel dieser Parteien ist es, Stimmen zu streuen und die Chance Bashirs, bereits im ersten Wahlgang zu gewinnen, zu schmälern.

Drittens sind politische und zivilgesellschaftliche Organisationen in Darfur möglicherweise nicht dazu bereit, sich hinter die NCP zu stellen. Viele von ihnen scheinen ein Bündnis mit der SPLM oder der Opposition vorzuziehen. Dadurch wird es für die NCP schwieriger, ihren Kandidaten durchzubringen.

Klar ist, dass die NCP ihre Macht durch die Wahlen konsolidieren und legitimieren will. Weniger klar ist, was die Wahlen der SPLM und den anderen Parteien im Süden einbringen können. Die SPLM/A hatte den Zwischenwahlen nur unwillig zugestimmt. Es waren die NCP und das «Intergovernmental Autho-rity on Development Friends Forum» (USA, Norwegen, Italien, die Niederlande und Großbritannien), die darauf bestanden, dass die Referenden im Süden und

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Abyei, ebenso wie die «Volksbefragungen» in Südkordofan und der Blue-Nile-Provinz, unter einer gewählten Regierung stattfinden. Die Wahlen waren zudem als Anreiz für jene politischen Parteien im Norden wie im Süden gedacht, die sich vom Prozess, der zum CPA führte, ausgeschlossen fühlten.

Dennoch steht auch für die SPLM bei den Wahlen einiges auf dem Spiel. Die SPLM und ihre Verbündeten im Norden haben ein Interesse daran, dass eine neue Regierung im Norden den Prozess fortsetzt, der mit dem CPA begann. Zudem werden die Wahlen zeigen, ob die SPLM ihre Machtbasis im Norden ausbauen und ihre Präsenz im gesamten Land festigen kann (siehe Yoh 2008). Die Ergebnisse werden auch Hinweise darauf geben, wie sich die SPLM im Norden verhalten wird, sollten sich der Süden und Abyei zur Abspaltung entschließen.

Am günstigsten wäre es für die SPLM, wenn sie, gemeinsam mit Verbün-deten in Darfur und dem Ostsudan, einen Sieg einfahren könnte. Gewinnt SPLM, kann sie die Verfassungszusätze und Gesetze formulieren, die im Anschluss an die Volksabstimmung im Süden erforderlich werden. Den Führern der SPLM im Norden würde das Zeit verschaffen, in der sie neue Bündnisse mit gleichge-sinnten Kräften im Norden schmieden und festigen können.

Sollte die SPLM bei den Wahlen im April 2010 keine Mehrheit erringen, könnte sie mit Bündnispartnern in Darfur und im Ostsudan ein gemeinsames Programm ausarbeiten und versuchen, für den Rest der Interimszeit (Juli 2010 – Juli 2011) im sudanesischen Machtgefüge mitzuspielen. Möglich wäre das, wenn es der SPLM gelingt, kleine regionale und progressive Gruppen in einem glaub-würdigen und soliden politischen Bündnis zusammenzubringen.

Wer auch immer die Herrschaft im Norden erringt, wird bei den Verhand-lungen darüber, wie mit dem Ausgang der Volksabstimmung umzugehen ist, eine wichtige Rolle spielen. Dieser Aspekt des CPA, der auch im Gesetz über die Volks-abstimmung verankert ist, wird die Frage, wie Trennung oder Einheit von Süden und Norden ausgestaltet werden, entscheidend bestimmen. Die SPLM hat auch deshalb einen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt, um der NCP zu zeigen, dass im gesamten Sudan mit ihr zu rechnen ist. Zudem will sie so klarstellen, dass, gleich wer die Wahlen im Norden gewinnt, seine Verpflichtungen dem CPA gegenüber sehr ernst nehmen muss.

die dynamik des referendums im Süden

Für viele Bewohner des Südens ist die für Anfang 2011 geplante Volksabstimmung zum künftigen Status Süd-Sudans wichtiger als die bevorstehenden Wahlen. Bei der Abstimmung wird die Bevölkerung des Süd-Sudans und von Abyei darüber entscheiden, ob sie sich abspalten oder Teil eines einigen Sudans bleiben will. Zuvor müssen jedoch bis Ende 2010 zwei andere Fragen geklärt werden: Wo genau soll die Grenze zwischen Nord- und Süd-Sudan verlaufen? Und: Wer ist beim Referendum stimmberechtigt?

Die Arbeit der National Border Commission, die über die Grenzziehung befinden soll, ist umstritten. Die Zusammensetzung der Kommission, insbe-

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sondere was die Mitglieder aus dem Süden betrifft, ist für die Regierung des Südens nicht eben ideal. Gemäß dem CPA ist die Grenzkommission paritätisch mit Mitgliedern der NCP und der SPLM besetzt. Die von der SPLM gestellten Mitglieder kommen aus drei unterschiedlichen Gruppen: Es handelt sich um Respektspersonen, von denen man glaubt, sie kennten die Geschichte der Gebiete gut, um Landvermesser und um aus politischen Gründen Entsandte. Zu den von der NCP gestellten Mitgliedern gehören Historiker, Ökonomen, Demographen und Juristen. Dazu kommen Berater, ein Komitee traditioneller Führer und ein politisches Komitee, das die Gruppe entsprechend der Richtli-nien des NCP-Politbüros instruiert.

Es scheint, als habe die SPLM im Vorfeld die Besetzung der Kommission nicht sorgfältig erwogen. Äußerungen, die einige Mitglieder der Kommission gegen-über den Medien gemacht haben, deuten darauf hin, dass sie keine Vorstellung davon haben, was sie tun sollen und wer was von ihnen erwartet. Da es die SPLM war, die das CPA unterzeichnet hat, sollte sie auch die Arbeit ihrer Mitglieder in der Grenzkommission anleiten und kontrollieren. Dies ist sehr wichtig: Sollte der Grenzverlauf nicht den Erwartungen der Menschen im Süden entsprechen, wird die Volksabstimmung wahrscheinlich nicht reibungslos ablaufen.

Eine zweite Frage, die mit dem Grenzverlauf zusammenhängt, ist, wer als Süd-Sudanese zählt und beim Referendum abstimmen darf. Seit das CPA unter-zeichnet wurde, hat die NCP wiederholt versucht, die SPLM auszutricksen. Ein Beispiel ist die Volkszählung vom Mai 2008, die die NCP zu ihren Gunsten beein-flusst hat. Die Kritik der SPLM an der Volkszählung umfasst fünf Punkte: Erstens: Die Volkszählung fand während der Regenzeit statt und fiel mit dem

Zweiten Nationalen Parteitag der SPLM zusammen. Zweiten: Die SPLM kritisiert, dass auf dem Fragebogen Kategorien ausge-

lassen wurden, die Ethnien und Religion betreffen. Der NCP gelang es, die SPLM zu überrumpeln: Sie entwarf den Fragebogen und ließ ihn drucken. Als der SPLM-Führung dies klar wurde, befand sie sich in einer Zwickmühle: Boykottieren konnte sie die Volkszählung nicht, da sie im Prinzip schon ihre Zustimmung gegeben hatte. Akzeptierte sie den Fragebogen, würde das den Ausgang der Volkszählung zu ihren Ungunsten beeinflussen.

Drittens: Um die Grenzen des Südens zu ermitteln, musste man erheben, wer sich dem Süden zurechnet. Dazu gehören auch Menschen, die in Gebieten leben, die von der Armee des Nordens besetzt sind. Dies gilt insbesondere für die Provinzen Western Upper Nile, Upper Nile, Warrap und Northern Bahr el Ghazal. Der einzige Weg, dies zu ermitteln, ist die ethnische Zugehörigkeit – die jedoch von der NCP bewusst nicht in den Fragebogen aufgenommen wurde.

Viertens: Die SPLM hatte verlangt, dass die Bevölkerung von Abyei, eines umstrittenen Gebiets, als Teil der zum Süden gehörigen Provinz Warrap gezählt wird. Gemäß dem CPA hat die Bevölkerung von Abyei, bis sie in einer Volksabstimmung über ihre Zukunft entscheidet, eine Art doppelter Staats-

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bürgerschaft. Dieser Forderung wurde von Seiten der NCP jedoch nicht statt-gegeben.

Fünftens: Die Art, wie die Volkszählung durchgeführt wurde, macht es für den Süden schwierig, die geographische Verteilung der Wahlberechtigten für die Wahlen 2010 zu bestimmen. Viele Süd-Sudanesen wurden als Bewohner des Nordens gezählt und so ihrer Identität (bzw. ihrer ethnischen Zugehö-rigkeit) beraubt. Viele Süd-Sudanesen, die im Norden und in den Grenzre-gionen leben, werden an den Wahlen und an der Volksabstimmung nicht als Süd-Sudanesen teilnehmen können. Die umstrittenen Ölgebiete, die vom Norden kontrolliert werden, machen die Sache noch komplizierter. Das CPA sieht vor, dass nur die Öleinnahmen aus dem Süden aufgeteilt werden. Öleinnahmen, die aus südlichen, aber gewaltsam vom Norden annektierten Regionen stammen, werden somit nicht mit eingerechnet.

ausblick: nach dem referendum

Jetzt, da sich die Interimsperiode ihrem Ende nähert, ist klar, dass Streit über den Grenzverlauf und die Volkszählung zu neuen Konflikten führen kann. Die entscheidenden Fragen, die sich dem Sudan heute stellen, werden die Volks-abstimmung und die mögliche Unabhängigkeit des Südens nicht lösen. Viele Querschnittsthemen werden erst nach dieser Entscheidung wirklich virulent – und für diese sind Regelungen für die Zeit nach dem Referendum notwendig.

Eine dieser Fragen ist das Problem der Staatsbürgerschaft. Sudanesen im Süden wie im Norden fragen sich, wie es mit den Millionen von Süd-Sudanesen weitergehen wird, die im öffentlichen Dienst arbeiten, Mitglieder der sudanesi-schen Armee, der Joint Integrated Units oder der Polizei sind, die in Gefängnissen arbeiten, in der Privatwirtschaft beschäftigt sind oder als Vertriebene in den Lagern rund um Khartum leben. Dasselbe gilt für Nord-Sudanesen im Süden, besonders die, die in der freien Wirtschaft beschäftigt sind. Ein ähnlich sensibles Thema sind Regelungen für jene Gemeinschaften, die auf beiden Seiten der Grenze leben oder zwischen ihnen hin und her wandern. Wenn solche Fragen der Staatsbürgerschaft offen bleiben, könnte es – wie in Äthiopien und Eritrea geschehen – zu einem Massenexodus in beide Richtungen kommen.

Die Frage der Währung muss gleichfalls schon vor dem Referendum erörtert werden. Sollte sich der Süden abspalten, wäre es möglich, dass der Norden einseitig eine Währungsreform durchführt – was im Süden eine Wirtschaftskrise auslösen könnte. Beide Seiten müssen zudem klären, wie in Zukunft die Ölwirt-schaft gemanagt werden soll: Welchen Status haben die Ölfelder? Wie sieht es mit Exportwegen aus? Wie geht man mit bestehenden internationalen Verträgen um, der Pacht für Pipelines und Raffinerien und den Umweltproblemen in den Fördergebieten?

Schließlich ist für den Fall der Spaltung des Landes eine Reihe juristischer Fragen zu klären: Man muss sich darüber verständigen, wie man mit interna-tionalen Abkommen, Verträgen, Protokollen und Vereinbarungen umgeht und

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darüber, wie Schulden und Verbindlichkeiten, die gegenüber dem IWF, der Weltbank, der Afrikanischen Entwicklungsbank, privaten Banken, arabischen Fonds usw. bestehen, behandelt werden. Ein spezielles, nicht weniger wichtiges Problem ist das Abkommen von 1959 zwischen Ägypten und dem Sudan über die Nutzung des Nilwassers. Im Fall einer Abspaltung, muss der dem Süd-Sudan zustehende Anteil am Nilwasser verhandelt und die Rolle Sudans in der Nile Basin Initiative neu erörtert werden.

Die Verhandlungen über die Zeit nach der Volksabstimmung werden sich nicht nur auf die Beziehungen zwischen Nord und Süd auswirken. Noch wichtiger ist vielleicht, wie sie die Entwicklung im Nord-Sudan beeinflussen werden, beson-ders die Dynamik zwischen den politischen Kräften. Viele der oben genannten Fragen haben kurz- und langfristige Auswirkungen auf das Wohlergehen beider Teile des Landes. Es ist daher unerlässlich, dass, wer auch immer die Wahlen im April 2010 gewinnt, diese Fragen ernst nimmt. Die Menschen im Süden wie im Norden werden die Verhandlungen gespannt verfolgen: Ihr Ausgang könnte eine Frage von Leben und Tod sein; ganz sicher aber wird er entscheidend für das Wohlergehen der Menschen im Sudan.

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Pieter WeZemann

Waffenlieferungen an den nord- und Süd-Sudan

Die Befürchtungen, zwischen Nord- und Süd-Sudan könnten neue Kämpfe ausbrechen, werden durch Berichte über Waffenkäufe beider Seiten unter-mauert. Im Folgenden ein Überblick über Waffenhandel mit dem Sudan und innerhalb des Landes.

Steigende Militärausgaben im Norden

Begünstigt durch die wachsenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft, hat die sudanesische Regierung die Ausgaben für das Militär, die sich zwischen 2001 und 2003 auf insgesamt 1,722 Milliarden US-Dollar beliefen, in den Jahren 2004 bis 2006 auf 3,868 Milliarden US-Dollar erhöht. Zu den größeren Lieferungen seit 2003, dem Jahr, als der Konflikt in Darfur ausbrach, werden bis 2009 zwölf MiG-29-Jagdflieger, 31 Kampfhubschrauber und 30 Trans-portpanzer (APC) aus Russland gerechnet, weiterhin 11 Erdkampfflugzeuge vom Typ SU-25 und 50 APCs aus Weißrussland, mindestens 12 A-5 und 12 K-8-Erdkampfflugzeuge und eine nicht bekannte Zahl von Panzern des Typs 85-IIM sowie von APCs aus China und eine ebenfalls nicht bekannte Anzahl leichter APCs, Nachrüstungssätze für Panzer und Artillerieraketen aus dem Iran. Man nimmt an, dass China und der Iran wichtige Lieferanten von Handfeuerwaffen und leichten Waffen für die sudanesische Armee sind und dass solche Waffen auch von anderen Ländern geliefert werden. Der Nord-Sudan hat mit ausländischer Hilfe eine eigene Waffenindustrie mit begrenzten Kapazitäten aufgebaut. Produziert werden Handfeuerwaffen, und mit importierten Bauteilen werden Artillerie und Panzerfahrzeuge montiert.

Die gestiegenen Militärausgaben und Waffenkäufe im Nord-Sudan sind nicht unbedingt auf die gegenwärtigen Entwicklungen im Süd-Sudan zurückzuführen. Viele der beschafften Waffen sind für den Einsatz in Darfur bestimmt. Dazu kommt der Ersatz von im Kampf verlorenen Waffen. Bedacht werden muss auch, dass sich der Sudan durch einige Nachbar-länder bedroht sieht. Der Tschad unterstützt Rebellen in Darfur und hat in jüngster Zeit erheblich aufgerüstet. Auch Eritrea wird beschuldigt, Rebellen in Darfur zu unterstützen, während Äthiopien und Kenia mit dem Süd-Sudan freundschaftliche Beziehungen pflegen. Panzer des Süd-Sudans sind in Äthiopien instandgesetzt worden. Kenia bildet süd-sudanesisches Militär aus und wird beschuldigt, an Waffenlieferungen in den Süd-Sudan beteiligt zu sein.

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Militärische Aufrüstung im Süd-Sudan

Die Regierung Süd-Sudans (GoSS) wandelt die Sudan People’s Liberation Army (SPLA) von einer Guerillatruppe in eine reguläre Armee um, wozu auch Pläne zum Aufbau einer Luftwaffe und von Flussstreitkräften gehören. Dies ist zum einen eine Reaktion auf die angenommenen Bedrohungen aus dem Norden, zum anderen auf viele Sicherheitsprobleme im Inneren. 2008 lagen die Ausgaben für die SPLA offiziell bei 917 Millionen US-Dollar; 2009 fielen sie auf 449 Millionen US-Dollar. Das Militärbudget für 2010 soll beinahe ein Drittel des Staatshaushalts von 4,3 Milliarden sudanesischen Pfund (1,9 Milliarden US-Dollar) umfassen.

Doch wenn auch erhebliche Waffenkäufe erwartet werden, bleibt unklar, ob die GoSS tatsächlich bereits Waffen in nennenswertem Umfang erhalten hat. 2008 und 2009 wurde der Großteil des SPLA-Budgets für Gehälter ausgegeben, nur zehn Prozent oder weniger waren Investitionen. Einige Länder, darunter die USA und Großbritannien, bieten logistische Unterstützung und Hilfe bei der militärischen Ausbildung, liefern aber, soweit bekannt, keine Waffen. Allgemein wird angenommen, dass bis zu 110 T-72-Panzer, die die Ukraine an Kenia geliefert hat, in Wahrheit für die SPLA bestimmt waren. Bislang gibt es keine Beweise für andere Waffen-käufe, und die SPLA ist immer noch wesentlich schlechter ausgerüstet als die nord-sudanesischen Streitkräfte. Sie verfügt über keine Luftwaffe und, soweit bekannt, nur über sehr begrenzte Kapazitäten zur Luftabwehr und sehr wenige schwere Waffen. Als Abschreckung gegen den Nord-Sudan dient weiterhin die große Zahl leicht Bewaffneter mit beachtlichen Erfah-rungen im Guerillakampf.

Lieferung leichter Waffen

Nicht nur die Waffenkäufe der beiden Regierungen schüren die Spannungen und Konflikte. Die weit verbreiteten Stammeskämpfe und andere gewalt-same Auseinandersetzungen sowohl im Süd-Sudan wie in Teilen des Nordens werden dadurch begünstigt, dass im ganzen Land leichte Waffen in großer Zahl vorhanden sind. Man schätzt, dass Zivilisten und nicht-staat-liche bewaffnete Gruppen im ganzen Land bis zu zwei Millionen leichte Waffen besitzen, wovon sich etwa 750.000 im Süd-Sudan befinden. Diese Waffen sind das Erbe von Jahrzehnten bewaffneter Gewalt im Sudan und in den angrenzenden Regionen. Sie kommen über die Grenzen ins Land, werden im Kampf erbeutet oder aus Waffenlagern gestohlen. Zudem wird vermutet, dass viele Waffen von der Regierung oder den Bundesstaaten an ihre jeweiligen Handlanger verteilt worden sind. Die GoSS hat versucht, die Bevölkerung im Süd-Sudan zu entwaffnen, ist dabei jedoch auf erhebli-

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chen Widerstand gestoßen. Nach wie vor werden neue Waffen in die Region gebracht.

Rüstungskontrolle tut Not

Mit den zur Verfügung stehenden Quellen lässt sich ein schrankenloses Wettrüsten zwischen Nord- und Süd-Sudan nicht belegen. Das Risiko eines erneuten bewaffneten Konflikts zwischen Norden und Süden wächst jedoch durch die fortgesetzten Waffenlieferungen an den Nord-Sudan, durch die wahrscheinlich heimlichen Waffenkäufe seitens der GoSS und durch die weite Verbreitung von Waffen in beiden Regionen.

Ausländische Akteure können dazu beitragen, den Frieden im Süd-Sudan zu erhalten, indem sie Waffenexporte kontrollieren. Die Europä-ische Union und die USA haben Waffenverkäufe an die sudanesische Regie-rung bereits verboten. Sie sollten darüber hinaus ihren Einfluss und ihre militärischen Kontakte nutzen, damit Waffenkäufe durch die GoSS und andere Regierungen in der Region transparent und verantwortungsbewusst verlaufen. Russland, China und andere Waffenlieferanten des Nord-Sudans sollten sich Beschränkungen auferlegen und die sudanesische Regierung für die Verwendung der erhaltenen Waffen rechenschaftspflichtig machen. Schließlich sollten die Länder der Region dabei unterstützt werden, die unkontrollierte Verbreitung leichter Waffen einzudämmen.

Pieter Wezemann ist Forschungsleiter des Arms Transfers Programme am Internationalen Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI).

Literatur

Lewis, M., «Skirting the Law: Sudan’s Post-CPA Arms Flows», Small Arms Survey, 2009SPIRI Arms Embargo Database, http://www.spiri.org/research/armaments/transfers/

controlling/arms_embargoesSPIRI Arms Transfers Database, http://armstrade.spiri.org/armstradeSPIRI Military Expenditure Datbase, http://www.spiri.org/research/armaments/milex

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Blue nile, nuba mountains und abyei: drei gebiete im Übergang – aber wohin?

einleitung: nuba – die Verlierer des cPa?

Kurz vor der öffentlichen Unterzeichnung des Comprehensive Peace Agreement (CPA) am 9. Januar 2005 ging die «Nuba Survial Foundation», eine zivilgesell-schaftliche Organisation von in der Diaspora lebenden Nuba, mit einer dreisei-tigen Presseerklärung an die Öffentlichkeit. In dieser beklagten sich die Unter-zeichner bitter über das, was das Friedensabkommen für sie vorsah:

«It is extremely disturbing to learn that the negotiating parties are using Nuba Mountains as a compromising issue to reach settlement on their contentious issues. The government continues to deny the Nuba their basic rights including even their historical name of the ancestral land Nuba Mountains», so heißt es dort, und weiter: «We would like to make it absolutely clear that the Nuba people will under no circumstances accept domination of the National Islamic Government and the SPLM» (Nuba Survival 2005: online).

Enttäuschung über das nach Jahren des erbitterten Krieges Erreichte, in denen man als Teil der Sudan Peoples Liberation Army/Movement (SPLA/M) gekämpft und gelitten hatte, war auch aus Abyei und dem südlichen Blue Nile zu hören; für sie wie für die Nuba war eine gesonderte Vereinbarung im Friedensabkommen ausgehandelt worden (Kapitel IV für Abyei, Kapitel V für Southern Kordofan und Blue Nile). Aber bei den Nuba ist bis heute das Gefühl am stärksten ausgeprägt, die eigentlichen Verlierer des Krieges zu sein, vergessen von allen, einschließ-lich der eigenen Verbündeten und der Weltöffentlichkeit. Ein Teilnehmer an einem zivilgesellschaftlichen Forum in Kadugli, der Hauptstadt des Staates Süd-Kordofan, zu denen die Nuba-Berge gehören, drückte es im Januar 2009, immerhin vier Jahre nach Unterzeichnung des Friedensabkommens, so aus: «Was haben wir denn von diesem sogenannten Frieden? Nirgends gibt es Entwicklung, wir werden weiter von Feinden regiert und überfallen. Wir haben nicht einmal die Perspektive wie die Süd-Sudanesen, dass wir eines Tages selbst über unsere

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Zukunft entscheiden können. Da können wir besser gleich weiter kämpfen. Wir sehen absolut nichts von einem ‹Neuen Sudan›!» (SCC/SEF 2009).

die «drei gebiete» zwischen nord- und Süd-Sudan

Um diese Aussage einschätzen zu können und zu analysieren, was sie eventuell für zukünftige Szenarien bedeutet, ist ein Blick in die Geschichte unumgäng-lich.

Der «Neue Sudan» – das war die große Vision des langjährigen Führers der SPLA/M, Dr. John Garang de Mabior. War sie mit ihm bei seinem Hubschrau-berabsturz Ende Juli 2005 gestorben, nur drei Wochen nach seiner Amtseinfüh-rung als erster süd-sudanesischer Vizepräsident in der Geschichte des Sudan? Abertausende begeisterter Menschen aus allen Landesteilen, Christen und Muslime, Männer und Frauen, hatten ihn in Khartum, der Hauptstadt des Sudan, empfangen, und ihre Hoffnung darauf gesetzt, dass es wahr werden könnte, was er sinngemäß in seiner Antrittsrede versprach: «Jetzt kommt eine neue Zeit. Öffnet eure Flügel und fliegt zu neuen Freiheiten, in eine gemeinsame demokra-tische Zukunft mit gerechter Verteilung des Wohlstands und gleichen Rechten für alle.» Daran hatten auch Menschen aus Abyei, den Nuba-Bergen und dem südlichen Blue Nile geglaubt, schon viele Jahre vorher, und sich deshalb, obwohl Teil des Nordens, dem Aufstand der Süd-Sudanesen angeschlossen.

Die Dinka Ngok in Abyei – ursprünglich zum ehemaligen «Bundesland» West-Kordofan gehörend, heute Teil Süd-Kordofans, in unmittelbarer Nachbar-schaft zu Bahr el Ghazal und Darfur liegend – hatten sich wegen ihrer ethnisch-kulturellen Komposition ohnehin immer schon dem Süden zugehörig gefühlt, im ersten Krieg (1956-72) gemeinsam für einen unabhängigen Sudan gekämpft und laut dem Friedensabkommen von Addis Abeba 1972 sogar mit Aussicht auf ein Referendum, das allerdings nie durchgeführt wurde: «Südliche Provinzen des Sudan meint die Provinzen Bahr el Ghazal, Equatoria und Upper Nile in Übereinstimmung mit ihren Grenzen von 1956, und jedes andere Gebiet, das kulturell oder geographisch Teil des südlichen Komplexes war, wie es in einem Referendum entschieden werden kann» (Kapitel II, Artikel 3, iii – Hervorhe-bung durch die Autorin). So war es fast zwangsläufig, dass sich Dinka aus Abyei auch schnell nach dem erneuten Kriegsausbruch 1983 wieder den Kämpfern anschlossen.

Bei den Nuba und den Ingessena (Funj) im südlichen Blue Nile sah das etwas anders aus. Zwar wie Abyei unmittelbar an den Süden grenzend, hatten sie – viele von ihnen Muslime – nach der Unabhängigkeit des Sudan ihre Zugehörig-keit zum Norden nie ernsthaft in Zweifel gezogen, zeigten wenig Verständnis für die Unabhängigkeitsbestrebungen des Südens, und besonders Nuba kämpften in relativ großer Zahl während des ersten Krieges als Angehörige der nationalen Armee gegen die Süd-Sudanesen.

1983 aber hatte sich die Situation entscheidend gewandelt, wie u.a. Douglas Johnson in seinem Buch The Root Causes of Sudan’s Civil Wars (Johnson 2003:

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131-37) überzeugend darstellt. Die Nuba, Sammelname für rund 1,5 Millionen Menschen im Gebiet der Nuba-Berge, alle afrikanischen Ursprungs, aller-dings kulturell und sprachlich teils sehr unterschiedlich, sahen sich zu diesem Zeitpunkt bereits Jahre langem, massivem Druck ausgesetzt, durch ethnische und kulturelle Unterdrückung einschließlich Zwangsislamisierung und des Verbots lokaler Sprachen. Neu hinzugekommen aber waren breit angelegte Maßnahmen der Landnahme seitens der Zentralregierung und mit ihr verbün-deter arabischer bzw. arabisierter Gruppen.

Im semi-ariden Nord-Sudan stellt das Gebiet der Nuba-Berge einen wichtigen Teil des fruchtbaren Landes, das schon immer die Begehrlichkeiten der regierenden Eliten wie der benachbarten Nomaden geweckt hatte. Aber erst seit der Teilautonomie des fruchtbaren Süd-Sudan und den Dürre-Perioden im Norden Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre begannen Land-Aneig-nung, Vertreibungs- und Umsiedlungsaktionen größeren Stils, einhergehend mit groß angelegter mechanisierter Landwirtschaft, die teilweise auch nomadisie-rende ethnische Gruppen wie die Baggara dazu zwang, entgegen traditioneller Abkommen ganzjährig auf Nuba-Anbauflächen als Grasland für ihre Herden auszuweichen. Die Landnahme war, wie in vielen anderen Landesteilen (so auch z.B. in Darfur), wesentlich durch die zwangsweise Aufhebung der «Native Administration» in den 1970er Jahren ermöglicht worden, die es der Zentralregie-rung bis heute gestattet, eine ihnen loyale Verwaltung einzusetzen und Mitspra-cherechte der lokalen Bevölkerung in ihren eigenen Belangen zu verhindern.

Zwangsislamisierungen größeren Umfangs, in den Nuba-Bergen auch Unter-drückung der christlichen Kirchen, Landnahme und mechanisierte Landwirt-schaft, massiver Abbau von Holz und Bodenschätzen, ohne dass die ortsansäs-sige Bevölkerung – überwiegend ebenfalls Nicht-Araber oder Arabisierte, aber ethnisch homogener als die Nuba – nennenswert davon profitierte, markierten ebenfalls den Wendepunkt im an Äthiopien und Upper Nile grenzenden südli-chen Blue Nile. Auch hier fühlten sich viele Menschen zunehmend massiv unter-drückt und marginalisiert, waren zudem noch den Folgen der wechselnden politischen Spannungen in und damit verbundenen Flüchtlingsbewegungen aus Äthiopien ausgesetzt und schlossen sich deshalb wie viele Bewohner beson-ders der südlichen und westlichen Nuba-Berge relativ frühzeitig der SPLM an, um mit ihren südlichen Nachbarn gemeinsam für eine grundlegende Änderung der Verhältnisse im gesamten Sudan zu kämpfen – der Ideologie Garangs vom «Neuen Sudan» folgend.

Diese basiert auf der Erkenntnis, dass die Probleme des Süd-Sudan – ethni-sche und religiöse Unterdrückung bis hin zu ausgeprägtem Rassismus sowie wirtschaftliche, soziale und politische Marginalisierung einhergehend mit einem Mangel jeglicher Entwicklung für die Masse der Bevölkerung – kennzeichnend sind für den Großteil des Landes und dass sich deshalb zur Erreichung einer friedlichen, gerechten Zukunft die Machtverhältnisse im Gesamtsudan ändern müssen. Die politische und militärische Mobilisierung in Darfur folgt einer

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ähnlichen Analyse, desgleichen die Situation im Ost-Sudan und bei Teilen der Nuba im Norden.

Dieser neue demokratische Sudan scheint aber heute so fern wie eh und je. Viele Menschen glauben angesichts des Desinteresses weiter Teile der Führungs-elite der SPLM an nationalen Belangen, dass die Vision der Bewegung tatsächlich mit ihrem Führer gestorben ist. Hinzu kommen sich mehrende Zeichen, dass das im Rahmen des CPA für 2011 angesetzte Referendum für den Süd-Sudan, sollte es denn wie vorgesehen durchgeführt werden, mit der Unabhängigkeit enden könnte. Diese Aussichten lassen den Zweifel daran wachsen, dass die überwie-gende Zahl der SPLM-Mitglieder es jemals ernst gemeint habe mit der Vision eines vereinten Neuen Sudan.

der rechtliche Status der «drei gebiete»

Nur daraus ist auch die heutige Enttäuschung und das trotz – oder vielleicht gerade wegen – des Friedensabkommens anhaltende Ringen um eine neue politische Perspektive zu verstehen. Viele Menschen in den drei Gebieten, die während des Krieges unvorstellbaren Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren, fühlen sich als bloßes Werkzeug während des Krieges und als «Druck-mittel» während der Friedensverhandlungen missbraucht. In der rückblickenden Perspektive fühlen sie sich bestätigt, denn sowohl die «Declaration of Principles» für Friedensverhandlungen der IGAD1 von 1994 wie auch das für das Zustande-kommen ernsthafter Friedensverhandlungen maßgebliche «Machakos Protocol» von 2002 spricht nur vom Süden – Abyei, die Nuba-Berge und das südliche Blue Nile bleiben unerwähnt. Die drei Gebiete konnten somit auch nicht offiziell im Rahmen der IGAD-Friedensverhandlungen behandelt werden.

Nach zähem Ringen einigten sich die Konfliktparteien (SPLM auf der einen und National Congress Party auf der anderen Seite) schließlich darauf, dass der IGAD-Chef-Mediator, General Lazarus Sumbeiyo, im Namen des Gastlandes Kenia die Verhandlungen für die drei Gebiete führte. Dabei schien eine Lösung für Abyei lange Zeit nahezu aussichtslos, bis man schließlich fast wortgenau den Vorschlag des amerikanischen Sonderbeauftragten John Danforth übernahm, der zusammen mit den Norwegern und den Briten in der sog. «Troika» maßgeb-lich die Verhandlungen bestimmte. Unter anderem Akol (2009) und Young (2007) beschreiben die damaligen Vorgänge sehr anschaulich.

Nach dem schließlich vereinbarten Protokoll erhielt Abyei wie der Süd-Sudan das Selbstbestimmungsrecht, zu bestätigen in einem parallelen Referendum im Jahr 2011, sowie einen Sonderstatus in den übrigen vereinbarten Machtver-teilungsstrukturen, in dem die Verwaltung Abyeis direkt der Präsidentschaft

1 Mitglieder der Intergovernmental Authority on Development, bis 1996 IGADD (Inter-governmental Authority on Drought and Development), sind Sudan, Eritrea, Äthiopien, Kenia und Djibouti).

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unterstellt wurde (abweichend vom üblichen System der «Bundesstaaten» mit eigenem Gouverneur).

Besonders heikel und Ausschlag gebend für die Konflikte der Folgejahre aber war folgende Vereinbarung: Das Gebiet Abyei ist im CPA definiert als dasjenige der neun Dinka Ngok «chieftains», die im Jahre 1905 an Kordofan übergegangen waren. Die Grenzen sollte eine Grenzkommission festlegen, deren Ergebnis als bindend anzusehen sei. Die Einwohner Abyeis werden beschrieben als die Mitglieder der Dinka Ngok und andere in dem Gebiet lebende Sudanesen. Den Missereyia und anderen Nomadenvölkern, die das Gebiet als Weideland nutzen, wird die weitere Nutzung zugestanden. Diese Gruppen hatten während des Krieges auf Seiten der Zentralregierung gegen die Dinka Ngok gekämpft, so dass auch ein sofortiger Versöhnungsprozess Teil des Protokolls ist.

Die erzielten Vereinbarungen hätte sich möglicherweise als gar nicht so schwierig umzusetzen erwiesen, wäre nicht für Abyei ein entscheidender Faktor hinzu gekommen: Abyei schwimmt auf Öl. Dessen Verteilung im Falle Abyei ist in 3.1 des Abkommens, die Verteilung der Öleinnahmen für das gesamte Land im CPA «Wealth Sharing Protocol» festgelegt.

In den Jahren seit Unterzeichnung des CPA haben sich all die Vereinba-rungen für Abyei als massiv Konflikt fördernd erwiesen: Im Mai 2008 hatte sich die Situation so zugespitzt, dass Regierungstruppen in einem brutalen Angriff die Stadt Abyei dem Erdboden gleich machten und Tausende Bewohner vertrieben wurden. Vorausgegangen war ein jahrelanger Streit um die Beset-zung des Postens des Verwalters für Abyei, die Nicht-Anerkennung der Ergeb-nisse der Grenz-Kommission seitens des sudanesischen Präsidenten und Streit um die Öleinnahmen. Schließlich einigten sich die SPLM und die NCP darauf, das Internationale Schiedsgericht in Den Haag zur Lösung des Grenz-konflikts anzurufen. Dieses änderte in seinem Urteil vom Juli 2009 die von der Grenzkommission gezogenen Grenzen, wodurch ein Hauptteil der Ölfelder nun offiziell dem Norden zufallen. Beide Konfliktparteien erkannten das Urteil an.

Ende Dezember 2009 schließlich wurde das Referendumsgesetz für Abyei vom Parlament verabschiedet, allerdings bis heute nicht vom Präsidenten unter-zeichnet. Bedingt durch den Den Haager Schiedsspruch haben die Misseriya außerhalb der jetzt festgelegten Grenzen nun nicht das Recht, im Referendum mit abzustimmem, was sie aber vehement vom Präsidenten einfordern. Der im CPA festgeschriebene Versöhnungsprozess in und um Abyei hat bis heute nicht umfassend stattgefunden, Versuche traditioneller Konfliktlösung werden immer wieder durch «höhere politische Interessen» torpediert.

Anders als Abyei und der Süd-Sudan erhielten Blue Nile und Southern Kordofan im Rahmen des Friedensabkommens nicht das volle Selbstbestim-mungsrecht einschließlich eines Referendums. Für sie wurde das bis heute umstrittene und schwer verständliche Instrument der «Popular Consultations» (CPA Kapitel V, 3.1-3.6) eingeführt. Darin heißt es sinngemäß, dass die jeweiligen Parlamente je eine Assessment and Evaluation Commission einsetzen sollten,

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die im vierten Jahr nach Unterzeichnung des Abkommens einen Bericht über die Umsetzung des Friedensabkommens vorzulegen hätten. Die Präsidentschaft ihrerseits solle eine unabhängige Kommission benennen, und schließlich solle gemeinsam auf der Grundlage aller Berichte entschieden werden, was zur vollen Umsetzung des CPA noch nötig sei. Solle es dabei Probleme geben, seien weitere Verhandlungen mit der Zentralregierung anzustreben.

Bis heute haben viele Menschen diese Vereinbarungen nicht verstanden bzw. ganz offensichtlich missverstanden, wie in Gesprächen vor Ort immer wieder deutlich wird. Den meisten ist nicht klar, dass sie selbst keinerlei direktes Mitspracherecht haben, nicht selbst entscheiden können, welchen Status sie nach Ablauf der sechsjährigen Übergangsphase haben möchten, sondern dass letztendlich alle Debatten und Entscheidungen in den Parlamenten stattfinden. In der derzeitigen Situation, in der nach dem im CPA festgelegten alternierenden System Blue Nile einen SPLM-Gouverneur, Malik Agar, und Southern Kordofan einen NCP-Gouverneur hat (den vom Internationalen Strafgerichtshof wegen seiner Rolle in Darfur mit Haftbefehl gesuchten Ahmed Haroun), die NCP aber wie im Nationalparlament die Mehrheit in beiden Landes-Parlamenten stellt, sind die jetzt für April 2010 angesetzten Wahlen für diese beiden Gebiete von ganz besonderer Bedeutung. Nur so kann die Zivilbevölkerung erstmalig Abgeordnete ins Parlament wählen, denen sie die Vertretung ihrer Interessen in Bezug auf ihren zukünftigen Status zutraut.

In beiden Gebieten macht sich eine weitere Tatsache ganz besonders bemerkbar, die interne Spannungen und Schwierigkeiten hervorruft: Während des Krieges war die Bevölkerung praktisch mindestens zweigeteilt: in dieje-nigen, die in den von der Regierung kontrollierten und die in den von der SPLM regierten Landesteilen lebten. Dadurch haben sich getrennte Erfahrungen und Entwicklungen von weit reichender Tragweite ergeben. Bis heute gibt es aber – wie in Abyei und praktisch im gesamten Land – keinen umfangreichen Dialogs- und Versöhnungsprozess. Stattdessen herrscht bis heute besonders bei den Nuba in den ehemals SPLM-regierten Gebieten die Ansicht, man werde eigentlich von Juba statt von Kadugli aus regiert und könne sich im Falle der Abspaltung des Südens diesem anschließen.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass in Zusatzvereinbarungen zum CPA der ehemalige Bundesstaat West-Kordofan aufgelöst und auf das südliche und nördliche Kordofan verteilt wurde. Außerdem wurde der Name für den jetzt neuen Staat «Southern Kordofan» festgelegt, die Bezeichnung «Nuba-Berge» wurde entfernt. Das hat ganz erheblich zum Ärger der Nuba beigetragen, wie im Eingangszitat geäußert. Plötzlich war man nämlich in einer Einheit mit einer großen Anzahl arabischer bzw. arabisierter, überwiegend teil-nomadisierender ethnischer Gruppen, die schon vor und während des Krieges versucht hatten, sich Land anzueignen und die jetzt natürlich auch als Einwohner des Staates das Recht haben, im Parlamentarischen Prozess der «Popular Consultations» ihre Meinung mit einzubringen.

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Ein Interview vom Dezember 2009 mit Younan al Baroud, dem SPLM-Vorsit-zenden in Al-Rashad, verdeutlicht einige der angesprochenen Schwierigkeiten:

«There is a joint State government, but in reality the administration of government and SPLM-controlled areas is still separate. In the CPA, the two sides were supposed to be integrated, but four years have now passed without the integration being achieved. For example, our SPLM personnel were supposed to be absorbed into the civil service and start receiving government salaries. As we speak today these people are still working as volunteers. We do not have allowances to give them, but what keeps them going is their commitment to continue fighting for the ideals we fought for during the war – freedom, our rights and democracy. They are still volun-teering because they are aware that we will not achieve these things easily. Now we are approaching the 2010 national elections. In 2011 the South Sudan referendum will be held, and it will be too late for integration in South Kordofan ... As it is now, we have been left as orphans, belonging neither to the South nor to the North. But it is our right to determine our own future. Politically we are with the SPLM. According to the CPA we will decide our future through popular consultations in the State assembly. But one thing is clear – nobody is imagining the possibility of remaining in the North. We were marginalized for many decades under the authority of Khartoum. Even now they are not giving us the social services we need. That is why we joined the SPLM struggle ... The main problem is that they are keen on imposing Arabization on the Nuba. We are not Arabs, we are Africans, the pure Africans of the Sudan. Imposing (Islamic) Shariah law on us by force will never work. We have our own culture and traditions, and in any case we are diverse groups within the Nuba nation. Forced rule under Shariah law infringes on our rights and identities» (News from Africa 2009: online).

Aber auch die Bewohner des ehemaligen West-Kordofan sind keinesfalls glück-lich darüber, dass sie ihren eigenen Status aufgeben mussten. Auch hier sind die Konflikte bereits im Friedensabkommen vorprogrammiert. Parlamentarier aus Kadugli erzählten zum Beispiel, dass sie, als sie, wie im CPA vorgesehen, alternierend das erste Mal im Parlament in der ehemaligen Provinzhauptstadt Fuhla tagen wollten, gewaltsam von den Einwohnern Fuhlas davon abgehalten wurden.

Im Blue Nile sind bisher größere gewaltsame Auseinandersetzungen glück-licherweise ausgeblieben. Bei Gespächen mit den Menschen vor Ort wird aber schnell deutlich, dass das System der «Popular Consultations» auch hier entweder nicht bekannt ist oder aber nicht verstanden wird. Viele scheinen hier nach wie vor ein «Konföderationsmodell» zu favorisieren, so wie von ihrem Gouverneur auch bereits mehrmals in die Debatte geworfen, im CPA als Option aber gar nicht enthalten.

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Im Dezember 2009 machte sich eine Delegation aus Süd-Kordofan und Blue Nile auf den Weg nach Indonesien, gesponsert unter anderem vom US Insti-tute for Peace. Nach Meinung aller Experten kommt der Prozess der Konsulta-tionen im Zusammenhang mit Ost-Timor dem in Southern Kordofan und Blue Nile, zumindest von den Menschen ersehnten, Prozess noch am nächsten. Ende Dezember verabschiedete das Nationalparlament das Gesetz für die Popular Consultations – wie alle anderen ist es aber noch nicht ratifiziert und liegt noch nicht in offizieller englischer Übersetzung vor. In der inoffiziellen, nicht unter-schriebenen Fassung wird das Recht der Öffentlichkeit auf Meinungsäußerung hauptsächlich auf die Auseinandersetzung in den öffentlichen Medien festge-schrieben. Ost-Timor allerdings hatte einen breit angelegten Diskussionsprozess in weiten Teilen der Bevölkerung, der dringend auch für Southern Kordofan und Blue Nile eingerichtet werden muss.

Konfliktlagen und mögliche Brennpunkte

Für eine genaue Analyse der Konfliktlagen, der möglichen Lösungsansätze und der Entwicklung von Zukunftsszenarien in den drei Gebieten ist eine genaue Untersuchung der jeweiligen spezifischen Faktoren notwendig. Dazu gehören unter anderem die vielen vor Ort verfügbaren Waffen und ihre Herkunft; die verschiedenen bewaffneten Gruppierungen (sowohl «offizielle» wie Para-Mili-tärs); die genaue Aufschlüsselung der verschiedenen ethnischen Gruppierungen; die Gründe für bewaffnete Eskalation wie in Abyei im Mai 2008; die jeweilige Rolle der UNMIS-Truppen, die in ihrer Zusammensetzung z.B. in den Nuba-Bergen höchst skeptisch betrachtet werden und denen im Fall Abyei Versagen vorgeworfen wird; die Interessen und der Organisationsgrad der Zivilbevölke-rung und das Ausbleiben umfangreicher Entwicklungsmaßnahmen bzw. einer sogenannten «Friedensdividende» in den drei Gebieten, zu denen schon während des Krieges kaum Zugang seitens der Hilfsorganisationen bestand.

Schon die Zusammenfassung der drei historisch, ethnisch, kulturell und wirtschaftlich so unterschiedlichen Gebiete Abyei, Süd-Kordofan und Blue Nile unter dem gemeinsamen Terminus der drei Gebiete ist äußerst problematisch und kann ihnen im Einzelfall nicht gerecht werden. Zwei zentrale Elemente – neben der Beteiligung von Teilen der Bevölkerung im Krieg und dem mangel-haften Zugang von Hilfsorganisationen während des Krieges, dem Sonderstatus im Friedensabkommen und dem geringen öffentlichen nationalen und interna-tionalen Interesses seit Friedensschluss – sind jedoch allen drei Fällen gemein: zum einen die Frage der mangelnden gemeinsamen Identität, die bereits in obigen Zitat von Al Bourad betont wurde, auf die u.a. aber auch Francis Deng (1995), Anne Lesch (1998) sowie Albaqir Al Afif Muktar (2009) in zahlreichen Publikationen immer wieder hingewiesen haben; zum anderen die mangelnde Beteiligung der Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlicher Gruppierungen an den offiziellen Friedensprozessen, gepaart mit von Eigeninteresse geleiteten, oft kurzfristigen Interventionen von außen (u.a. Young 2007).

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Wie aus dem bisher Beschriebenen hervorgeht, lag die Hauptmotivation für Ingessena (Southern Blue Nile) und Nuba, sich in den Jahren nach 1983 dem bewaffneten Aufstand der Süd-Sudanesen anzuschließen, in der immer stärker gefühlten Marginalisierung und der Hoffnung begründet, ein von der SPLM avisierter «Neuer Sudan» sei mit gewaltsamen Mitteln zu erreichen. Heute aber, im letzten Jahr der im CPA vereinbarten Übergangsperiode, haben wir eine Situa-tion im Sudan, die auch weiterhin gekennzeichnet ist von ungelösten Grund-problemen und Konflikten, die die Stabilität des Landes in seinen Grundfesten erschüttern und schwerwiegende Konsequenzen in der gesamten Region nach sich ziehen können. Immer wieder scheint das CPA vor dem Kollaps zu stehen, Kompromisse zur Vermeidung des Ausbruchs eines neuen Krieges zwischen Nord- und Süd-Sudan werden oft erst mühsam in letzter Minute erzielt. Das Friedensabkommen für Darfur vom Mai 2006 ist gescheitert, neue Friedensver-handlungen im sogenannten Doha-Prozess zeigen bisher wenig Erfolg. Über das Abkommen für den Ost-Sudan vom Dezember 2006 spricht niemand mehr, wie insgesamt die Situation der Menschen im Osten nie die Aufmerksamkeit erhalten hat, die sie verdient hätte.

Programme zur Demobilisierung und Entwaffnung greifen nicht umfassend, neben alten überschwemmen neue Kleinwaffen das Land, und SPLM und NCP haben die Jahre seit Friedensschluss zur massiven Aufrüstung genutzt (s. dazu u.a. Small Arms Survey 2009). Im Süd-Sudan ist die SPLM-Regierung nicht in der Lage, die Sicherheit für die Menschen zu garantieren. In fast allen Staaten hier und ganz besonders in Unity State und Jonglei, aber auch im von der LRA heimgesuchten Western Equatoria, kommt es immer wieder zu bewaffneten Konflikten, die weit über das übliche Maß traditioneller Konflikte um Viehdieb-stahl, Wasser oder Zugang zu Weideland hinaus gehen.

Trotz aller Bemühungen bleiben Entwicklungsmaßnahmen, Infrastruktur-projekte und der Aufbau der Wirtschaft mitsamt neuen Beschäftigungsmög-lichkeiten weit hinter den (zu) hohen Erwartungen der Menschen bei Friedens-schluss zurück. Die globale Wirtschaftkrise samt des Verfalls der Ölpreise hat auch den vom Ölexport abhängigen Sudan massiv getroffen.

Der Zeitplan für die Wahlen liegt erheblich hinter dem im CPA vereinbarten zurück, Konflikte im Zusammenhang mit den Wahlen scheinen vorprogram-miert, ebenso wie um das für Januar 2011 anvisierte Referendum. In Vorberei-tung darauf, wie auch auf den möglichen Ausgang des Referendums im Süden, schaffen die beiden Parteien des CPA, die SPLM wie die NCP, größere Truppen-kontingente in die Nord-Südgrenzregion, wobei die genaue Grenze nach wie vor trotz der CPA-Vereinbarungen nicht demarkiert wurde. In eben diesem Grenzge-biet aber liegen neben Darfur die drei Gebiete Abyei, Südkordofan und Blue Nile – und genau das konstituiert eine ihrer wichtigsten Gemeinsamkeiten, wenn es um die Frage geht, wie die Zukunft der Menschen hier aussehen könnte.

Den Jahrestag des CPA am 9. Januar nutzend, haben zahlreiche Analysen erneut Zukunftsszenarien für den Sudan entworfen. Kaum eines davon ist sehr optimistisch. Einige machen auch Vorschläge, was zu tun sei, um das Schlimmste

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zu verhindern. Gleichwohl wird in Gesprächen auf den unterschiedlichsten Ebenen, ob auf zivilgesellschaftlicher oder politischer inner- und außerhalb des Landes, immer wieder deutlich, dass die meisten Menschen äußerst besorgt sind, es aber einen fast deprimierenden Mangel an umfassenden Ideen gibt, was denn angesichts der Situation zu tun sei. Viele Verlautbarungen, auch von höchsten Stellen der Vereinten Nationen, werden veröffentlicht, in denen die Sorge um eine friedliche Zukunft zum Ausdruck gebracht, auf die Wichtigkeit der Wahlen und des Referendums als Schlüsselelemente des CPA und des Demokratisie-rungsprozesses hingewiesen wird. Das Referendum für Abyei und die Popular Consultations für Southern Kordofan und Blue Nile bleiben dabei bezeichnen-derweise meist unerwähnt.

Einige hochrangige internationale Diplomaten äußern sich zum möglichen Ausgang des Referendums und schrecken dabei nicht davor zurück, trotz der von ihnen mit ausgehandelten und als Zeugen unterschriebenen entsprechenden Vereinbarungen im CPA öffentlich ihre Meinung kund zu tun, für welche Option die Menschen sich entscheiden sollten. Wie bei den Friedensverhandlungen glauben auch heute noch sowohl einige Sudanesen wie viele Nicht-Sudanesen, dass die internationale Gemeinschaft mit entsprechenden Interventionen einen grundlegenden Wandel hervorbringen könnte, während andere sich mittlerweile zumindest insgeheim fragen, ob es nicht eigentlich am Besten sei, wenn alle Außenstehenden den Sudan allein lassen und sich erst wieder äußern würden, wenn die Probleme gelöst seien.

Große Hoffnungen hatten sich mit der Unterzeichnung des CPA verbunden, das immerhin einen Jahrzehnte langen Krieg formal beendete. Das CPA sollte einen umfassenden Demokratisierungsprozess ermöglichen, durch den dann quasi alle anderen Probleme einschließlich des 2003/4 bereits in vollem Umfang ausgebrochenen Krieges in Darfur quasi nebenbei gelöst würden. Aber wie Young (2007) und einige andere, die den Friedensprozess im Sudan begleiten, immer wieder betonen, litt und leidet er unter mindestens drei erheblichen Schwierigkeiten:

Erstens war und ist der Friedensprozess trotz aller durchaus anerkennens-werten internationalen Koordinierungsbemühungen sehr stark von außen gesteuert, von den entsprechenden Interessen der jeweils engagierten Länder geleitet, insbesondere von dem Sicherheitskonzept der Vereinigten Staaten als Reaktion auf den 11. September und aller damit verbundenen weltweiten Folgen und Reaktionen.

Zum Zweiten haben auf der sudanesischen Seite mit internationaler Unter-stützung lediglich zwei Parteien über die Zukunft des gesamten Landes verhandelt und letztlich ihre Machtposition mit dem Vertrag festgeschrieben. Diese Parteien sind beide stark von militärischem Denken und keinesfalls, um es vorsichtig auszudrücken, von irgendeiner demokratischen Tradition geprägt. Alle anderen, einschließlich der Zivilbevölkerung, waren bewusst ausgeschlossen, um, wie es hieß, den Prozess nicht durch zu viele Meinungen zu verkomplizieren. Dadurch konnte es nicht dazu kommen, dass die Menschen später, trotz aller Erleich-

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terung darüber, dass zunächst die unmittelbaren Kriegshandlungen gestoppt waren, den Vertrag als den ihren, der ihre Interessen umfassend berücksichtigte, betrachteten. Als z.B. bereits mit dem Machakos-Protokoll (2002) festgeschrieben und im CPA endgültig besiegelt wurde, dass der Süd-Sudan eine säkulare Verfas-sung erhalten sollte, richtete sich die Kritik der vielen nord-sudanesischen musli-mischen politischen Oppositionellen und der Zivilbevölkerung nicht gegen eben diese Tatsache, sondern sie waren empört, dass mit dem gleichen Protokoll die Sharia – das islamische Gesetzsystem, das sie in überwiegender Zahl außer zur Regelung von Privatangelegenheiten vollständig ablehnen – für den Norden als Grundlage des öffentlichen Rechts zementiert wurde. Darauf beziehen sich z.B. auch obige Zitate der Nuba. Dass diese, wie auch die anderen während des Krieges innerhalb der SPLM kämpfenden Bevölkerungsteile die für sie ausge-handelten CPA-Protokolle nicht als befriedigend erachten, wurde oben bereits ausgeführt.

Zum Dritten schließlich, und eng mit den ersten beiden Punkten zusammen-hängend, wurden in den IGAD-Friedensverhandlungen wie in vielen anderen im Sudan, aber auch weltweit, nicht wirklich die den Problemen und zahlreichen Konflikten zugrunde liegenden Ursachen umfassend behandelt. Somit konnte es auch keine für alle befriedigende und nachhaltig wirksame Friedenslösung geben und waren weitere Konflikte programmiert – das Eingangsstatement der Nuba Survial Foundation belegt diese Tatsache.

Mir der Frage, warum die Friedensabkommen nicht funktionieren, wo genau diese «root causes» liegen, und warum selbst das Konzept des «Neuen Sudan» zur Lösung der Gesamt-Problematik zu kurz greift, beschäftigt sich auch Albaquir (2009):

«It is remarkable that despite all these peace agreements, we still have war. The mere fact that we have all these different peace agreements indicates that something is fundamentally wrong in the structure of our society, and our state. The ruling class has institutionalized its prejudices, and used the state to protect its privileges. This faulty structure creates wars and if we don’t put it right, wars will continue, no matter how many peace agreements we have. All these wars are between the centre of government, or the state, on one side, and rebels, or armed movements from the diffe-rent regions on the other side. Those who are at war with the state share a common factor: they are different from the ruling class in one or more of the following traits; religion, race, language, culture, and colour, or rather the degree of blackness. Of course there are many theories about the causes of the wars, some of them became obsolete. However, since Dr. John Garang introduced the concept of «marginalization», it became the most plausible description of the cause of the wars: political, economic, and cultural marginalization of the peripheries by the centre of government, or the state. This now looks like an undisputed understanding of the war, which almost everybody assigns to.

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But nevertheless it begs the question «What is the cause of marginalization itself»? Of course marginalization is not a historical accident; it is neither a fate that heavens have befallen us, without being able to avoid it, or push it away. Marginalization is an intentional policy followed by all post independence «national» governments. These governments are dominated by one identity, whereas the marginalized regions are representative of a variety of identities.»

Und Deng (2007, in dem IRG/CPR-Konferenzbericht, S. 89 ff) konstatiert selbst für den Süd-Sudan, der oft als Einheit gesetzt wird:

«Even within a (possibly) independent south, there is a need to reform the system of governance to address the challenges of diversity and to build on existing African values, institutions, and operational patterns, which, until now, have been discouraged and neglected», und weiter «Post-inde-pendence Governance frameworks have contributed to a crisis of national identity throughout much of the African continent. The existing legal frameworks seem to stress unity through suppression of diversity and have left many Africans feeling disempowered, unable to see themselves reflected in their nations’ governance structures. If African constitutions and their governing frameworks are to function effectively, they must harness diversity and build on their people’s essential cultures, values and norms. Constitutionalism for Africa must not be seen as a process that begins and ends with the elaboration of a constitution, but rather as a living process that constantly evolves with the participation of its people and promotes their ownership of governing frameworks that reflect the political, economic, social and cultural dynamics of the continent».

Nun erkennen im Falle des Sudan sowohl das CPA wie auch die nationale Übergangsverfassung ausdrücklich die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt des Landes an. Aber es bleibt in der Realität bei dieser schriftlichen Anerken-nung. Es fehlt eine umfassende «lebendige Beteiligung am Friedensprozess» im gesamten Land, wie Deng sie anmahnt, ein breit angelegter interkultureller Dialog aller Beteiligten auf allen Ebenen, einschließlich eines umfassenden Versöhnungs- und Traumata-Heilungsprozesses.

Sudanesen und Sudanesinnen haben bis heute keine gemeinsame Identität entwickelt. Statt auf verbindende Gemeinsamkeiten zu setzen, verfestigt die herrschende Macht- und Eliten-Politik im Gegenteil ethnische, kulturelle und religiöse Unterschiede sowie Vorurteile und nutzt diese seit Jahren geschickt für die vorherrschende Politik des «divide and rule», zur Schürung lokaler Konflikte und Stellvertreterkriege. Leider scheint sich diese Politik auch bei Eliten im Süd-Sudan fortzusetzen.

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ausblick: die «drei gebiete» am ende der cPa-Übergangsphase

Unter diesen Missständen leiden alle Menschen, egal wo sie sich befinden. Für Abyei, Southern Kordofan und Blue Nile haben sie wegen der «Grenzsituation» dieser Gebiete aber ganz besondere Brisanz. Sollte es im Zusammenhang mit den Wahlen und dem Referendum für den Süden zu erneuten bewaffneten Auseinandersetzungen kommen, so ist davon auszugehen, dass der Krieg hier stattfindet.

Sollte der Süden unabhängig werden, der Prozess der «Popular Consulta-tions» nicht für die Menschen zufriedenstellend verlaufen und ein von ihnen gewünschtes Ergebnis in weite Ferne rücken, so könnten auch bereits beste-hende Überlegungen einiger Rebellen- und politischer Führer, diesen «Grenz-gürtel» zu einer Region zusammenzuführen und weiter – evtl. dann mit Unter-stützung aus dem Süd-Sudan – gegen die Zentralregierung zu kämpfen, noch ernsthafter diskutiert werden.

Bisher ist es schwierig vorherzusagen, wohin der Weg die drei Gebiete führen wird, von denen mindestens zwei in religiös-ethnischer Hinsicht äußerst heterogen zusammengesetzt sind. Allein unter den Nuba selbst herrscht, wie oben bereits angedeutet, bisher noch Misstrauen, und es konnte noch kein ernsthafter Prozess über eine friedliche gemeinsame Zukunft untereinander, geschweige denn mit den anderen Bevölkerungsgruppen im gleichen Staat, geführt werden.

Ob es bei den Wahlen im April zu einer wirklichen Änderung der Machtver-hältnisse kommen wird, ist derzeit schwer einschätzbar. Voraussetzung wäre als erstes einmal, dass die Wahlen frei und fair durchgeführt werden, mit gleich-berechtigtem Zugang zu allen öffentlichen Medien in der Wahlkampfzeit. In Süd-Kordofan kandidiert z.B. der jetzige SPLM-Vizegouverneur Abdel Aziz Al Hillu (halb Nuba, halb Darfuri), der während des Krieges von Teilen der Bevöl-kerung (Nuba) hoch geachteter Oberkommandeur für die SPLM in den Nuba-Bergen war, für den Gouverneursposten. Es ist aber fraglich, ob er von der Masse der Bevölkerung, die ethnisch heterogen ist, gewählt werden wird. Es mag sein, dass viele lieber auf den jetzigen Gouverneur und NCP-Kandidaten zurück-greifen, der es derzeit geschickt versteht, Sympathien zu gewinnen, während des Krieges allerdings als Kommandeur maßgeblich an Zwangsmaßnahmen gegen die Nuba beteiligt war. Die Nuba-SPLM lehnt aber auch die Ergebnisse der Volksbefragung von 2008 ab, die als Grundlage der Wahlkreise dient, und hat wiederholt gedroht, die Wahlen vollständig zu boykottieren.

In Blue Nile mag es der SPLM-Kandidat Malik Agar einfacher haben, als Gouverneur bestätigt zu werden, da er es verstanden hat, relativ geschickt mit der Zentalregierung zusammen zu arbeiten und auch einige nationalstaat-lich geförderte Entwicklungsmaßnahmen in den Staat zu bringen. Ob es aber gelingt, in beiden Parlamenten die NCP-Mehrheit zu brechen, ist fraglich. Ohne ein demokratisch gesinntes Parlament aber ist ein Erfolg der Popular Consulta-

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tions im Sinne der Bevölkerung in Frage gestellt. Abyei seinerseits wird bis zum Referendum ohnehin weiter unter präsidialer Verwaltung stehen.

Die Zeit, zu befriedigenden Lösungen zu kommen, wird für alle überall immer knapper. Eine friedliche, tragfähige Lösung in unmittelbarer Zukunft scheint derzeit kaum vorstellbar. Das heißt aber nicht, dass auf alle Zeit nichts anderes als Konflikte denkbar wären. Es bedeutet nur, dass sich eine alte Erkenntnis von Menschen in der Friedens- und Versöhnungsarbeit erneut bewahrheitet und auch zur Maxime des Handelns gemacht werden muss: Friedensarbeit braucht Zeit, lange Zeit; ein Friedensabkommen allein bringt keinen Frieden – und tragfä-hige Lösungen können nur in einem langwierigen, gemeinsamen Prozess aller Beteiligten im Lande selbst mühsam errungen werden. Außenstehende können dabei nur unterstützen, auch konsolidierend durch begleitende Entwicklungs-maßnahmen, sollten aber niemals den Prozess auf ein bestimmtes Ergebnis hin beeinflussen.

Diese Erkenntnis kann alle die nicht befriedigen, die nach kurzfristigen Lösungen suchen – aus Eigeninteresse oder aufgrund der berechtigten Sorge um den möglichen weiteren Verlust von Menschenleben im Laufe des Prozesses.

Einen solchen Prozess zu beginnen und zu begleiten wird aber die einzige Möglichkeit sein, langfristig eine Veränderung der Situation in den «Drei Gebieten» und im Gesamtsudan zu ermöglichen, an dessen Ende dann auch die Bildung einer «nationalen Identität» stehen wird – ob in einem, zwei oder mehr «Sudans», sei dabei einmal dahingestellt.

Die Einsicht in die Notwendigkeit aber ist bereits vorhanden. Die Zivilbe-völkerung – deren Organisationsgrad allerdings kriegsbedingt relativ gering ist – fragt immer wieder nach Möglichkeiten zur Versöhnung und danach, ihre Meinung zu Gehör bringen zu können – egal, ob Christen oder Muslime. Die CPA Assessment and Evaluation Commission (2010) hat in ihrem jüngsten Bericht ausdrücklich auf die besonderen Schwierigkeiten in den drei Gebieten hinge-wiesen, die besonderer Aufmerksamkeit auch der internationalen Gesellschaft bedürfen. Die Kirchen im Sudan, gemeinschaftlich über ihren Rat, den Sudan Council of Churches und ihre internationalen Partner, haben es sich zum Ziel gesetzt, einen Dialog- und Versöhnungsprozess auf allen Ebenen und mit allen Beteiligten durchzuführen, dem Modell des erfolgreichen «People to People»-Friedensprozesses und der begleitenden politischen Konsultationen während des Krieges folgend, und dieses Programm auch bereits begonnen. Aber auch Justice Africa, das US Institute for Peace und einige andere nehmen die Bitten der Zivilbevölkerung ernst und setzen auf ein breit angelegtes Dialogprogramm. Es steht zu hoffen, dass dabei gegenseitig unterstützend gearbeitet wird – und dass die Sudanesen und Sudanesinnen immer die entscheidende Stimme haben.

literatur

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rechtsdokumente

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Feier zur Eröffnung eines neuen Radiosenders im Süd-Sudan

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die regionalen aspekte der sudanesischen Politik

Die Politik im heutigen Sudan ist zum einen das Produkt innerer Spannungen1, zum anderen aber auch Resultat komplexer regionaler Dynamiken. War im 19. Jahrhundert vor allem die Konkurrenz zwischen dem Osmanischen Reich und dem erstarkenden Äthiopien bestimmend für die Geschicke des Landes, so ist das Beziehungsgeflecht heute sehr viel differenzierter. In einer Welt von Natio-nalstaaten ist auch die erweiterte Region rund um das Horn von Afrika ein verschachteltes Netzwerk geworden, innerhalb dessen auf regionaler Ebene paradoxe Beziehungen gepflegt und nach wie vor versucht wird, die Großmächte gegeneinander auszuspielen.

eine unübersichtliche regionale gemengelage

Das Horn von Afrika teilt mit dem südlichen Afrika ein zweifelhaftes Privileg. Die Region war durch ihre Lage über Jahrzehnte (siehe Patman 1990, Lefebvre 1991) bevorzugter Schauplatz der Konkurrenz zwischen Ost und West. Außerdem bildet sie eine Grenze zur islamischen und arabischen Welt. Man sollte diese geopoli-tischen Merkmale mit Vorsicht verwenden. Sie sind nicht immer von Bedeutung und oft nur Schablonen, die nichts erklären. Dennoch könnten neue Zwischen-fälle, könnte die globale Dynamik sie auf ganz neue Art aktuell machen.

Über Jahre trat beispielsweise die arabisch-islamische Welt in der Region nicht als ein einheitlicher Machtfaktor auf. Libyen war mit dem Südjemen und Äthiopien verbündet (was man kaum eine arabische oder islamische Konstel-lation nennen kann). Ägypten, Saudi-Arabien, der Nordjemen und der Sudan waren lange sehr stark vom Westen abhängig. Zudem sind für die regionale Geopolitik der letzten 20 Jahre auch andere Akteure zu beachten: Das Verhalten von Iran, Israel und den Monarchien am Golf muss gleichermaßen untersucht werden, denn diese Staaten handelten nicht nur im Rahmen eines globalen

1 Beobachter haben immer die Bedeutung der Nord-Süd-Dynamik für die Staatenbildung im Sudan betont. Der blutige Krieg in Darfur, der auf die Konflikte in den Nuba-Bergen und in der Blue-Nile-Provinz folgte, sollte uns jedoch daran erinnern, dass es auch eine West-Ost-Dynamik gibt. Siehe z. B. Grandin (1977, insbesondere die Einleitung), Ewald (1990) und Hasan & Doornbos (1977).

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Gleichgewichts der Mächte, sondern verfolgten ihre jeweils eigenen regionalen Taktiken und kurzfristigen Interessen.

Auf Grund eines Paradoxons hat der Sudan eine ganz besondere Geschichte. Einerseits ließen sich seine Regimes bis 1989 leicht nach globalen Kategorien einordnen: mit dem Westen verbündet, konservativ, häufig Militärregierungen, in ihrer Weltsicht provinziell. Dies ließ sich mit dem Wesen der wichtigsten politi-schen Kräfte des Landes erklären, mit der geringen Infrastruktur (besonders im Hinblick auf Bildung und Massenmedien) und seinen dementsprechend engstir-nigen Eliten. Andererseits war der Sudan, vielleicht aufgrund seiner Frontlage, in die meisten geopolitischen Spannungen verwickelt, denen die Region ausgesetzt war: den Kalten Krieg, den israelisch-palästinensischen Konflikt (der Sudan war das einzige arabische Land, das das Abkommen von Camp David 1978 unter-stützte) und in neuerer Zeit in den Terrorismus bzw. Dschihadismus, der lange vor Osama bin Ladens Ankunft in Khartum 1991 seinen Anfang nahm.

Traditionell sind zwei Länder für den Sudan überaus wichtig: Ägypten und Äthiopien. Zwei andere sind zu schwierigen Partnern geworden: Eritrea und Libyen. Weitere werden von Khartum als potentielle Störfaktoren im Umgang mit dem Süd-Sudan betrachtet. Auffällig ist, dass es in der Region keine klare Hegemonialmacht gibt, trotz der Ansprüche, die Äthiopien und Ägypten wieder-holt erhoben haben. Dieses Fehlen hat wesentlich dazu beigetragen, dass Khartum erheblichen politischen Spielraum hatte, gleich wer im Sudan an der Macht war.

Eine wesentliche geopolitische Verschiebung ist der Eintritt Sudans in den Klub der ölproduzierenden Länder. Es hat die Position, die der Sudan sowohl in der Region wie auch international einnimmt, grundlegend verändert – und dies um so mehr, als es in eben jenem historischen Moment geschah, als China neue Rohstoffquellen benötigte.

Ägypten

Die Beziehungen zwischen Kairo und Khartum sind von erheblicher Ambiva-lenz und Ungewissheit geprägt. Der moderne Sudan ist auf den Trümmern des osmanisch-ägyptischen Kolonialismus errichtet worden, und zwischen den beiden Ländern besteht eine Hassliebe, die in ihrer Komplexität nicht einfach darzustellen ist.

Auf der einen Seite gibt es sehr lange schon enge Beziehungen zwischen den beiden Staaten, und die sudanesische Diaspora in Ägypten ist bedeutend. Das wird auch daran deutlich, dass Ägypten sehr häufig als selbsternannter Vermittler zwischen Khartum und anderen Ländern des Nahen Ostens oder dem Westen auftritt. Auf der anderen Seite gibt es nur wenige sudanesische Politiker, gleich welcher Partei, die nicht an der Bevormundung durch ihre ägyptischen Amtskol-legen Anstoß nehmen, die zuweilen auch unterschwellig rassistische Töne hat.

Ägypten hatte am 30. Juni 1989 als erster Staat al-Bashirs «Enquaz»-Re-gime (Heils-Regime) anerkannt. Trotz der Tatsache, dass das gestürzte Regime

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demokratisch gewählt worden war, versuchte Kairo die Tür zu den neuen Macht-habern offen zu halten. Ägypten handelte so, weil seine Beziehungen zu dem gestürzten Premierminister Sadeq al-Mahdi sehr schlecht gewesen waren.2 Schon aus historischen Gründen waren die Beziehungen zur Umma-Partei und zu den Erben des Mahdi nicht sehr eng. Dazu kam, dass Sadeq al-Mahdi außerdem gute Beziehungen zu Libyen (damals Hosni Mubaraks Erzfeind) und sogar zum Iran aufgebaut hatte. Zudem war der ägyptischen Regierung eine Militärregierung auch deshalb sympathischer als eine zivile, weil sie zu Recht davon ausging, dass sie auf die Militärs größeren Einfluss haben würde, da viele sudanesische Offiziere, Omar al-Bashir eingeschlossen, in Ägypten ausgebildet worden waren.

Allerdings war die National Islamic Front (NIF) Teil der neuen Regierung und nicht nur ein Akteur am Rande (siehe Al-Effendi 1991, Marchal 1995 und 2004). Als der ägyptische Sicherheitsapparat herausfand, dass das neue Regime in Khartum von den Islamisten gesteuert wurde, war es zu spät: Die Islamisten hatten die Armee im Griff, und ausgedehnte Säuberungen waren im Gang. Die NIF hatten wenig Sympathie für Ägypten. Sie kann als Erbe des sudanesischen Zweigs der Muslimbruderschaft (Ikhwan al-Muslimin) angesehen werden, einer Organisation, die in Ägypten gegründet wurde.3 Ihr Führer, Hassan al-Turabi, lehnte sich von Beginn seiner politischen Karriere an gegen die Vorherrschaft der Ägypter auf. Seine Organisation war eher politisch, weniger auf die Eliten ausgerichtet und machte eine islamische Erziehung nicht zum Kernpunkt ihrer Strategie. Er teilte bestimmte ideologische Positionen der ägyptischen Muslim-brüder, etwa deren Antikommunismus, zeigte aber in sozialen Fragen (auch in Frauenfragen) eine größere Offenheit, und er war mit Sicherheit kein Wahhabit. Der ägyptische Zweig der Muslimbruderschaft hingegen hatte sich in den 1960er Jahren dieser Interpretation des Islams angenähert.4

In der Folge verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Kairo und Khartum rasch. Nach der Invasion von Kuwait im August 1990 unterstützte der Sudan Saddam Hussein, und er stellte sich gegen den Zweiten Golfkrieg. Beides wurde auch als Absage an die «arabische Solidarität» verstanden. Außerdem gewährte Khartum im März 1991 Angehörigen der al-Dschama’a al-Islamiyya und anderer radikaler Gruppen Schutz. Diese Haltung Khartums konnte kaum überraschen. Die NIF hatte schon 1988 angekündigt, dass sie, einmal an der Macht, mit solchen Gruppen zusammenarbeiten wolle. Diese Politik gefähr-

2 Der Sudan kündigte in dieser Zeit einseitig sowohl die «Integration Charter» als auch den Militärpakt, die das Land seit 1974 an Ägypten gebunden hatten.

3 Die NIF folgte der Islamic Charter Front, die in den frühen 1960ern gegründet worden war. Sie brach, um politischen Einfluss zu gewinnen, mit der Strategie der Muslimbru-derschaft: Statt frommer Erziehung wurde weltliche Politik zur Priorität. Dadurch kam es zum Zerwürfnis zwischen den Anhängern von Turabi und denen, die auf Tradition setzten (siehe Al-Effendi und Marchal, op. cit.).

4 Das war großenteils dem Druck geschuldet, der in Ägypten auf sie ausgeübt wurde, und der Tatsache, dass sie in Saudi-Arabien, wo die Wahhabiten eine beherrschende Position einnehmen, Asyl fanden.

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dete nicht nur die Beziehungen zu Ägypten, sondern auch zu Saudi-Arabien und anderen Monarchien am Golf, die Khartum gegenüber nicht immer feindselig eingestellt gewesen waren. Der Führer von Katar war ein persönlicher Freund Hassan al-Turabis und bot während der ersten Jahre des Enqaz-Regimes Öllie-ferungen und finanzielle Unterstützung an. Den meisten Herrschern aber gefiel die Propaganda nicht, die von Khartum aus mit stillschweigender Duldung der Regierung gegen sie betrieben wurde.

Der Tiefpunkt der Beziehungen war erreicht, als ägyptische Militante mit der Unterstützung sudanesischer Sicherheitskräfte im Juni 1995 versuchten, Hosni Mubarak in Addis Abeba zu ermorden.5 Die Verwicklung des Sudans in den Anschlag war unzweifelhaft. Dieser gravierende Vorfall ereignete sich zu einer Zeit, als Osama bin Laden und seine Freunde in Afghanistan schon im Visier westlicher und arabischer Sicherheitsdienste standen. In der Folge entschloss sich die sudanesische Regierung dann, ihre Beziehungen zur arabischen Welt zu verbessern. Die Normalisierung begann bald, nachdem 1996 die UN-Sanktionen verhängt worden waren: Es war eine Frage des Überlebens.

Ein wichtiges Ereignis war 1999 die Krise innerhalb der Regierungspartei und der folgende Ausschluss Hassan al-Turabis von allen Staatsämtern. Turabi wurde zum Sündenbock für sämtliche zweifelhaften Taten des Regimes gemacht, und die geschwächte Führung musste über Nacht eine wesentlich realitätsgerechtere Haltung einnehmen. Die herrschende Elite normalisierte ihr Verhältnis zur arabi-schen Welt, indem sie sich selbst als stark religiöse nationalistische Regierung darstellte, die bereit war, mit den USA Kompromisse zu schließen (die Kontakte zur CIA und zum FBI begannen Anfang 2000, lange vor dem 11. September).

In den letzten zehn Jahren haben sich die Beziehungen zu Ägypten weitge-hend normalisiert. Die Friedensgespräche mit der SPLM und zu Darfur haben diese Annäherung befördert. Die Zusammenarbeit hat praktische Gründe: Erstens wird die Unabhängigkeit des Süd-Sudans erhebliche Konsequenzen für die Verteilung des Nilwassers haben. Zweitens ist die Allianz ein Weg, den Einfluss anderer Kräfte in der Region zu begrenzen, beispielsweise Libyens oder Katars.

Es geht aber auch um wirtschaftliche Interessen. Dem Egyptian State Informa-tion Service (2009) zufolge hatten ägyptische Importe aus dem Sudan 2008 einen Wert von 31,6 Millionen US-Dollar, 2007 waren es 40,3 Millionen US-Dollar. Die ägyptischen Investitionen im Sudan erreichten 2008 2,5 Milliarden US-Dollar, 2002 waren es nur 82 Millionen. Unter den arabischen Länder, die im Sudan investieren, ist Ägypten damit die Nummer drei. Sudanesische Investitionen in Ägypten werden ihrerseits für 2008 auf 197,2 Millionen US-Dollar geschätzt. Die ägyptischen Investitionen im Sudan entfallen auf die folgenden Bereiche: Indus-trie 70,5 Prozent, Dienstleistungen 28,4 Prozent, Landwirtschaft 1,1 Prozent.

Jahrzehntelang hatte Ägypten den Krieg im Süd-Sudan geleugnet. Dann, im November 2008, reiste Hosni Mubarak nach Juba, und SPLM-Führer Salva

5 Die beste Darstellung findet sich in Africa Confidential vom 7. Juli 1995.

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Kiir besuchte Kairo im Oktober 2009. Ägypten erklärte, es werde das Ergebnis des Referendums über die Selbstbestimmung, das im Januar 2011 stattfinden soll, akzeptieren. Neben diplomatischen Höflichkeiten und Gesprächen über Zusammenarbeit waren die Zukunft des Jonglei-Kanals und das Management des Nilwassers Schlüsselfragen.

Während sich auf der Ebene der Eliten die Beziehungen sehr verbessert haben, gibt es doch immer noch reichlich Grund für Spannungen. Einer ist das koloniale Erbe, ein anderer das ungelöste Problem des al-Halaib-Dreiecks.6 Auch sollte man das fragwürdige Verhalten ägyptischer Behörden gegenüber Sudanesen, die in Ägypten wohnen oder es besuchen, nicht vergessen.

Äthiopien

Obwohl die Bindungen des Sudans an Äthiopien nicht so eng sind wie die an Ägypten, ist die Komplexität der gegenseitigen Beziehungen erstaunlich. Sie werden in einem erheblichen Ausmaß die künftige Stabilität der Verhältnisse am Horn von Afrika bestimmen. Wie im Verhältnis zu Ägypten sind die Gemeinsam-keiten mit Äthiopien zahlreich, ebenso aber die Gegensätze.

In den 1980ern galt Äthiopien als Erzfeind des Sudans. Erstens gehörten die beiden Länder verfeindeten Lagern an: Addis Abeba stand unter sowjetischem Einfluss, Khartum war antikommunistisch. Zweitens: Als 1983 der Krieg im Süd-Sudan (wieder) begann, bot Äthiopien nicht nur den Flüchtlingen Zuflucht, sondern stellte der Sudan’s People Liberation Army/Movement (SPLA/M) militä-rische Stützpunkte zur Verfügung. Drittens nahm der Sudan seit Mitte der 1960er Tausende und Abertausende eritreische und äthiopische Flüchtlinge auf und ließ ihre Organisationen vom eigenen Territorium aus operieren. Dabei stellte die Eritrean People’s Liberation Front (EPLF) Kontakte zur gesamten politischen Klasse des Sudans her, wenn auch am engsten zur Kommunistischen Partei, während die Tigray’s People’s Liberation Front (TPLF) wesentlich weniger in die sudanesische politische Landschaft eingebettet war. Die Oromos von der Oromo Liberation Front (OLF) und die Somalis hatten gute Kontakte zu den sudanesi-schen Islamisten (Zitelmann 2007).

Nach dem Staatsstreich im Juni 1989 waren die neue Junta und ihr politi-sches Rückgrat, die NIF, nicht in der Lage, eine Offensive im Süden zu starten, da die Armee nicht völlig unter ihrer Kontrolle stand und es zudem an militärischer Ausrüstung mangelte (das war einer der Gründe für den Staatsstreich gewesen). Einerseits versuchte man, die SPLA einzudämmen, indem man Milizen im Süden unterstützte (die Teil der People’s Defence Forces wurden), und anderer-seits konzentrierte man sich darauf, die Arbeit der verschiedenen bewaffneten Gruppen, die gegen Addis Abeba kämpften, zu koordinieren. Das führte zu

6 Das al-Halaib-Dreieck ist ein schmaler Landstreifen, der zwischen dem Sudan und Ägypten umstritten ist. Zu den Hintergründen siehe Warburg (1994). Die letzte sudanesische Volks-zählung konnte wegen des Widerstands der ägyptischen Behörden dort nicht durchgeführt werden. Siehe Sudan Tribune vom 2. November 2009.

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einem breiten Bündnis, dem die EPLF, die TPLF, die OLF und weitere kleinere bewaffnete Gruppen angehörten. Nach monatelangen Kämpfen gab es im Mai 1991 einen Regimewechsel in Addis Abeba, und in der Folge verlor die SPLA ihre Stützpunkte in Äthiopien. Innerhalb weniger Monate verließen die süd-sudane-sischen Flüchtlinge die Lager bei Gambella und kehrten in den Sudan zurück, ein völlig ungeordneter Rückzug und eine verheerende Niederlage, die zu der blutigen Spaltung in der SPLA beitrug (Johnson 2003). Wenige Monate danach, im Frühjahr 1992, begann die sudanesische Armee ihre erste bedeutende Offen-sive gegen die SPLA und drang unter stillschweigender Billigung durch Addis Abeba auf äthiopisches Territorium vor.

Khartums Ehrgeiz jedoch ging weiter. Man versuchte, islamistische Organi-sationen in Äthiopien zu fördern, das immer als eine von islamischen Ländern umzingelte christliche Festung angesehen worden war. Der Wendepunkt war der Versuch, den ägyptischen Präsidenten im Juni 1995 auf dem Flughafen von Addis Abeba zu töten. Danach war einige Jahre lang das Verhältnis zwischen den beiden Hauptstädten sehr gespannt. Die äthiopischen Führer handelten. Es gab keine lauten Ankündigungen, aber die SPLM war in der Folge in Addis Abeba wieder willkommen. Nach 1996 versuchte Khartum die Wiederannäherung und beendete seine kriegerischen Aktivitäten in Äthiopien (soweit diese sich kontrol-lieren ließen).

Der eigentliche Segen für die Regierung des Sudans war jedoch der Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien (Marchal 1999). Plötzlich war Äthio-pien verwundbar, und Khartum konnte ein Hilfsangebot machen. Das Inter-esse Khartums lag auf der Hand: Asmara war wegen seiner Unterstützung der sudanesischen Opposition inklusive der SPLA zum Problem geworden. Verbes-serte man die Beziehungen zu Addis Abeba, konnte man Eritrea eindämmen und sich gleichzeitig der Neutralität Äthiopiens zu einem Zeitpunkt versichern, als es der SPLA gelungen war, den Krieg in den Nord-Sudan zu tragen (wie die Einnahme von Kurmuk, südlich von Damazin, bewies). Auch diplomatisch war diese Wiederannäherung von Nutzen, weil die Äthiopier einen gewissen Einfluss auf die Intergovernmental Authority on Development (IGAD) nehmen und zugunsten Khartums bei der EU und den USA intervenieren konnten. Die Entscheidung war ein weiteres Beispiel dafür, wie pragmatisch die sudanesische Führung handeln kann.

Seit dieser Zeit hat sich die Zusammenarbeit vertieft. Sobald der Sudan dazu in der Lage war, belieferte er Äthiopien mit Ölprodukten (80 Prozent des äthiopi-schen Bedarfs 2009). Die Zusammenarbeit ging aber darüber hinaus und betraf auch Straßenverbindungen, Telekommunikation und Handel.

Politisch ist diese Zusammenarbeit heute ein wesentliches Element von Sudans Außenpolitik, besonders nach dem Ausbruch der Darfur-Krise. Sie wirkte mäßigend auf die Haltung der USA ein, zeigte sie doch, dass die sudanesische Regierung im globalen Kampf gegen den Terror enge Beziehungen zu einem strategischen Verbündeten des Westens unterhalten konnte.

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Diese Politik hat allerdings auch ihre Kosten für Khartum. Politisch und ideologisch (falls das Wort hier angebracht ist) steht die SPLM der herrschenden Partei in Äthiopien viel näher als der NCP im Sudan. Es gibt immer wieder Gerüchte, äthiopische Militärberater seien im Süd-Sudan tätig. Zweitens wird die Grenze der beiden Länder immer mehr zum Streitpunkt. Anscheinend hat es seit 2006 eine ganze Reihe von Zwischenfällen, auch gewaltsame, in den Grenzregionen gegeben, besonders in den Bundesstaaten Gedaref und Upper Nile.7 In beiden Ländern scheinen örtliche Regierungsstellen die Spannungen eher angeheizt, als geschlichtet zu haben. Drittens muss der Sudan in der regio-nalen Politik oft einen Spagat machen. Häufig hält Khartum einfach still, um seine Nachbarn nicht zu reizen. Das ist besonders in Somalia der Fall. Asmara beispielsweise war sehr verbittert darüber, dass Khartum keinen Einspruch erhob, als die IGAD UN-Sanktionen verlangte, die schließlich im Dezember 2009 den Sicherheitsrat passierten.

Libyen

Oberst Gaddafi griff, bald nachdem er 1969 die Macht übernommen hatte, in die sudanesische Politik ein. Er rettete den sudanesischen Regierungschef Ja’far Nimeiri, als ein Flügel der Kommunistischen Partei versuchte, ihn zu stürzen. Später nahm er die National Front, ein Sammelbecken der Opposition im Norden, in Libyen auf; 1976 gelang es der National Front beinahe, Nimeiri zu stürzen. Dennoch hatte das libysche Regime, trotz seiner Zuwendungen für Parteien im Norden und sogar die SPLM, im Sudan nie eine große Gefolgschaft.

In den 1980ern spielte Libyen eine bedeutende Rolle in der ersten Darfur-Krise. Aus Feindschaft gegen Tschads Präsident Hissène Habré8 unterstützte Tripolis dessen Gegner und half ihnen dabei, sich in Darfur neu zu formieren. Unterstützt wurden sie dabei durch in Libyen ausgebildete Milizen, die «Islamic Legion». Dies verschärfte die ohnehin schon angespannte Lage noch mehr und trug entscheidend zum ersten Darfurkrieg bei (Harir 1999, Burr & Collins 1999). Anfangs hatte diese Strategie keinen Erfolg. Das änderte sich erst, nachdem am 1. April 1989 Idriss Débys Putschversuch in N’Djamena scheiterte und er nach Darfur ins Exil ging. Mit libyscher und sudanesischer Unterstützung sowie inoffi-zieller Hilfe seitens der Franzosen konnte Déby am 1. Dezember 1990 Hissène Habré stürzen.

Im Sudan hatte man wenig Sympathie für die engen Beziehungen, die Hissène Habré nach 1982 zu Washington aufbaute. Die Hauptsorge galt aber der

7 Zum Beispiel kam es zu wiederholten Zwischenfällen zwischen Jikany Nuer und Anuak und Murle in der Grenzregion. In Gedaref gab es Zusammenströße zwischen Bauern und örtlichen Sicherheitskräften. Siehe Sudan Tribune vom 20. März 2006, 16. Juni 2008 und vom 29. Dezember 2009.

8 Hissène Habré übernahm die Macht im Juni 1982 von einem Regime, das von Libyen unterstützt worden war. Siehe Noluntshungu (1996).

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SPLA, die versuchte, im Tschad Stützpunkte einzurichten.9 Wie die Odyssee von Daud Bowlad im Jahr 1991 zeigte,10 konnte dies zu einer neuen Front führen – und das zu einem Zeitpunkt, als das Regime damit beschäftigt war, die innere Opposition zu bekämpfen.

Libyens Stunde schlug mit dem Staatsstreich von 1989. Zunächst unterstütze Gaddafi das Enqaz-Regime und belieferte den Sudan zu einer Zeit mit Öl, als die Engpässe in Khartum besonders groß waren. Er riet den neuen Machthabern im Sudan zudem, ein System aufzubauen, mit dem sie die Bevölkerung kontrol-lieren konnte; in der Folge entstand so die National Congress Party (NCP).

Doch Libyens Einfluss war auf Sand gebaut. Die Islamisten lehnte Gaddafi ab, und sie verachteten die Ideologie, die er in seinem Grünen Buch entwickelt hatte. Dem Westen mochten Turabi und Gaddafi gleichermaßen feindlich gegenüber-stehen, zu Freunden machte sie das nicht. Als schließlich die sudanesische Regie-rung libyschen Islamisten Zuflucht gewährte, die eine Reihe von Anschlägen auf libysche Offizielle, vielleicht sogar auf Gaddafi selbst, verübt hatten, schlug die Beziehung in Feindschaft um. Dies wurde nur deshalb nicht an die große Glocke gehängt, weil es einen gemeinsamen Feind gab: die USA.

Die geopolitischen Gründe für die Beziehungen zwischen den beiden Ländern waren klar. Libyen war reich und verdankte seinen Einfluss vor allem dem Geld. Gaddafi war überambitioniert und nicht beharrlich genug, um ein wirkliches Netzwerk aufzubauen und eine Führungsrolle in der Region einnehmen zu können. Zudem war Libyen von 1992 bis 1999 Sanktionen und schärfster Überwachung ausgesetzt, weshalb die politischen Führer das Land nicht verlassen konnten.

Das erklärt, warum Libyen, als der Darfur-Konflikt begann, überall seine Hände im Spiel hatte. Tripolis wollte den Einfluss zurückgewinnen, den es einst auf die sudanesische Politik gehabt hatte, und konnte nicht akzeptieren, dass der Sudan wegen seiner Ölquellen und neuen Beziehungen zum Westen selbstän-diger geworden war.

Im Großen und Ganzen hat sich die Haltung Sudans zu Libyen im vergan-genen Jahrzehnt nicht geändert. Gaddafi wird als ein Problem gesehen, das sich besser handhaben lässt, wenn man begrenzt mit ihm zusammenarbeitet. Die gegenwärtigen Verhandlungen zu Darfur liefern dafür ein gutes Beispiel.

9 Interview mit Acheikh Ibn Omar in Paris im November 2009. Er war von 1988 bis zum Dezember 1990 Außenminister Tschads.

10 Daud Bowlad, ein früherer Islamist aus dem Volk der Fur, schloss sich nach einem erbit-terten Streit mit Hassan Turabi der SPLM an. Im Herbst 1991 führte er eine aus Darfuris, Nubiern und Süd-Sudanesen zusammengestellte Truppe von SPLA-Kämpfern und eröff-nete eine Front in Süd-Darfur. Die Truppe wurde im November 1991 vernichtet. Siehe Marchal (2004).

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Eritrea

Eritrea ist für den Sudan (und nicht nur für den Sudan) ein sehr schwieriger Fall. Die Eritrean People’s Liberation Front (EPLF) gewann ihren langen Krieg auch dank sudanesischer Unterstützung. Nach 1991 verschlechterten sich die Beziehungen jedoch rasch. Die neue eritreische Regierung fürchtete, Elemente der Eritrean Liberation Front11 könnten sich neu formieren und eine Beteiligung an der Macht fordern, da sie Bewohner des Flachlandes nahe der Grenze zum Sudan repräsentierten. Eine solche Bevölkerungsgruppe waren die Beni Amer, die im Sudan in der NIF stark vertreten waren und deshalb nach 1989 auch in lokalen Regierungen Positionen inne hatten (Morton 1989, Joireman 1996).

Bewaffnete Zwischenfälle im Jahr 1994 wurden von Asmara als Versuch der Opposition und sudanesischer Islamisten gesehen, die EPLF (im Februar 1994 umbenannt in «Eritrean People’s Front for Justice and Democracy», EPFJD) zu Fall zu bringen. Die diplomatischen Beziehungen wurden im Dezember 1994 abgebrochen, und ein Jahr später wurde Asmara Hauptquartier der National Democratic Alliance (NDA), einer Dachorganisation, die die SPLM, die wichtigsten traditionellen Parteien des Nord-Sudans (Umma-Partei und Democratic Unionist Party) und kleinere Organisationen vereinigte, darunter auch die von der eritreischen Armee kooptierten Sudan Allied Forces. Außerdem stellte die eritreische Armee Stützpunkte zur Verfügung, in denen SPLA-Kämpfer sowie auch einige hundert Nord-Sudanesen ausgebildet wurden.

Bis zum Mai 1998 schien die regionale Arbeitsteilung gut zu funktionieren und das sudanesische Regime zu schwächen. Während Äthiopien und Kenia eher diplomatisch aktiv waren, jedoch mit deutlicher Sympathie für die sudane-sische Opposition, hatten Eritrea und Uganda die Aufgabe, die nötigen militäri-schen Mittel bereitzustellen (oder einzuschleusen), um den Druck auf Khartum aufrechtzuerhalten. Die beiden letztgenannten Länder wurden dafür von ihren internationalen Verbündeten entsprechend belohnt.

Der Krieg zwischen Asmara und Addis Abeba trieb einen Keil in das Bündnis. Im Juni 2000 verlor Eritrea den Kampf gegen Äthiopien und musste im Dezember 2000 das Friedensabkommen von Algier unterzeichnen. Zudem verloren die Anstrengungen, die sudanesischen Islamisten einzudämmen, immer mehr an strategischem Wert, da diese bereits mit den USA Gespräche führten. Dass Eritrea an Status verloren hatte, ließ sich nicht mehr leugnen, auch schon bevor die SPLM im Juni 2002 Verhandlungen mit Khartum in Machakos (Kenia) aufnahm.

Nach dem 11. September versuchte Asmara, sein Verhältnis zu den USA zu verbessern. Eritrea bot an, den USA Militärbasen zur Verfügung zu stellen, bekam aber eine Abfuhr – Äthiopien war geopolitisch wichtiger. Auch wie sich

11 Die erste bewaffnete nationalistische Gruppe in Eritrea war die 1961 gegründete ELF. Die EPLF wurde ein Jahrzehnt später gegründet und profitierte sehr von der äthiopischen Revolution. Sie kämpfte gegen die ELF, die sich spaltete, nachdem sie in den frühen 1980ern aus Eritrea vertrieben worden war (siehe Poscia 1989).

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Asmara zu Somalia und der äthiopischen Opposition verhielt, rief in Washington Besorgnis hervor.

Die Gespräche zwischen der SPLM und Khartum bedeuteten zugleich das Ende der NDA. Die wiederholte Zurücksetzung Eritreas und die mangelnde Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, die Entscheidung vom April 2003 über die umstrittene Stadt Badme durchzusetzen, führte dazu, dass die eritrei-sche Führung in der Folge – ähnlich wie Libyen – als regionaler Spielverderber auftrat. Asmara versuchte deutlich zu machen, dass ohne seine Zustimmung auf regionaler Ebene nichts ging. Da Eritrea nicht über die finanziellen Mittel verfügte, nichtstaatliche Akteure an sich zu binden, konzentrierte es sich auf einen Bereich, in dem es sich auskannte: den militärischen.

Vor diesem Hintergrund ist Eritreas Verwicklung in den Darfur-Konflikt zu sehen, ebenso die Art und Weise, wie im Sommer 2006 ein Friedensabkommen zwischen Khartum und den Rebellen der Eastern Front erreicht wurde, sowie die Rolle Eritreas in Süd-Somalia. Diese Versuche Eritreas kamen im Dezember 2008 in Konflikt mit dem Krieg gegen den Terrorismus, und der UN-Sicherheitsrat forderte Sanktionen gegen Asmara. Der Sudan tat in dieser Situation nichts, was Addis Abeba hätte reizen können.

Mit Ausnahme von Libyen unterstützten alle Staaten in der Region die Resolution des Sicherheitsrates entweder offen, oder sie enthielten sich. Nachdem Asmara sich so in die Enge getrieben sah, reagierte es verbindlicher. Als die Gruppe «al-Qaida auf der arabischen Halbinsel» Ende 2009 und Anfang 2010 Schlagzeilen machte, hielt Eritrea zu Jemen und verurteilte kriegerische Äußerungen der somalischen al-Shabaab, die auf die weitere Zerrüttung Jemens zielten.

Ein Blick auf die Beziehungen zwischen dem Sudan und seinen Nachbarn lässt zwei Schlüsse zu. Erstens funktionieren der Sudan und die umgebende Region als selbstregulierendes System. Während sich einerseits Widersprüche und Spannungen bilden, steuern andere Kräfte dieser Dynamik entgegen. Libyen kann versuchen, das Regime im Sudan zu schwächen, muss aber zugleich seine Beziehungen mit anderen Ländern in der Region erhalten, da es den Ehrgeiz hat, in Afrika eine Führungsrolle zu spielen. Äthiopien braucht Khartum, damit die in Eritrea lebenden Dissidenten nicht über den Sudan nach Äthiopien eindringen können. Zudem hat es ein starkes wirtschaftliches Interesse. Zweitens jedoch kann dieses System zwar die Kommunikationswege zwischen den Staaten offen halten, ist aber nicht stark genug, um die Ausweitung von internen Konflikte zu verhindern. Ein Grund dafür ist das Fehlen einer regionalen Hegemonialmacht, die verhindern könnte, dass Rebellen aus einem Land immer wieder Zuflucht in einem anderen finden.

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Szenarien für eine regionale ordnung nach 2011

Die regionale Sicht auf den Süd-Sudan

Für die nächsten fünf Jahre ergeben sich für den Süd-Sudan drei große Problem-felder: die Regierungsführung im Süden, die Entwicklung einer wettbewerbsfä-higen regionalen Ölwirtschaft und die Bewirtschaftung des Nilwassers. Das erste Problemfeld betrifft die Frage, wie gut die Arbeit der Regierung des Süd-Sudans sein wird. Es könnte zu Machtkämpfen kommen und Probleme dabei geben, die Grenzen zu kontrollieren und zu sichern. Die Folge könnte sein, dass man versucht, in einem der Nachbarstaaten einen Sündenbock zu finden, um die Truppen im Süd-Sudan zusammenzuschweißen. Weitere mögliche Spannungen birgt die Entwicklung einer regionalen Ölwirtschaft. Uganda (Lake Albert) und Äthiopien (Gambella und somalische Regionen) werden vermutlich schon bald Öl fördern, während sich der Süd-Sudan eventuell nach neuen Wegen umsehen muss, sein Öl auf den Weltmarkt zu bringen. Drittens muss die Bewirtschaftung des Nilwassers und die Zukunft (wenn es denn eine gibt) des Jonglei-Kanals sorgfältig geprüft werden.

Die Zeit nach Unterzeichnung des CPA war für die SPLM schwierig. Es gab in der Bewegung kaum Zivilisten, der politische Arm war schwach. Die Führung musste zunächst auf die Wünsche von SPLA-Kommandeuren eingehen und hatte zu wenige Politiker und Verwaltungsfachleute, um den Süd-Sudan zu regieren. Bis heute beklagen Süd-Sudanesen, es mangele in vielen wichtigen Positionen an ausgebildetem Personal. Stammespolitik, die Folgen des Krieges (1983 – 2005) und Korruption sind Hauptfaktoren der süd-sudanesischen Politik.

Der Kampf um die Macht wird nicht mit den Wahlen 2010 oder der Volks-abstimmung 2011 enden. Es ist dabei durchaus möglich, dass der Konkurrenz-kampf nicht allein mit zivilen Mitteln ausgetragen wird. Alle SPLM-Führer haben eine regionale Machtbasis (und sind zudem Anteilseigner großer Firmen in Kenia und Uganda). Kommt es zu internen Kämpfen, wäre für Außenstehende die wirtschaftliche Verlockung groß, im Süd-Sudan einzugreifen.

Auch bei der Grenzziehung sind Probleme wahrscheinlich. Äthiopien hat bereits eine Vereinbarung ausgearbeitet, durch die künftige Zwischenfälle in den Grenzregionen eingedämmt werden sollen (Sudan Tribune vom 7. Juli 2008). Uganda und Kenia beobachten die wiederholten Zusammenstöße im Grenzgebiet genau, denn sie befürchten, dass Konflikte dort auf ihre Territorien überschwappen könnten – und das nicht nur im sehr speziellen Fall der Lord’s Resistance Army.

Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die Öl-Pipelines und Öl-Infrastruktur in der Region. Sollten Uganda und/oder Äthiopien zu Förderländern werden, liegt es auf der Hand, dass der Süd-Sudan versuchen wird, deren Anlagen zu nutzen. Damit dies möglich ist, muss zwischen Khartum und den konkurrierenden Inter-essen der Nachbarstaaten vermittelt werden. Eine Alternative wäre es, Öl selbst zu raffinieren, doch ist dies nicht unbedingt profitabel. Die Einnahmen hängen

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nicht nur von globalen und regionalen Märkten ab, sondern ebenso von den Steuern, die die Staaten in der Region erheben.

All diese Probleme führen nicht automatisch zu einem Konflikt oder gar Krieg. Je nach Stimmungslage in der Region kann sich für die regionalen Eliten (und die Bevölkerung insgesamt) ein weites Feld der Zusammenarbeit ergeben. Gewalt ist jedoch in allen Regimes in der Region ein zu fest verwurzelter Bestand-teil, als dass man – gerade wenn es um so viel geht – ernsthafte Zwischenfälle ausschließen könnte.

Bedacht werden muss auch, dass der Süd-Sudan, ist er erst einmal unabhängig, ähnlich wie Eritrea nach 1993 darauf bedacht sein wird, seine souve-ränen Rechte auszuüben und zu sichern. Bedingt durch die fast zwanzigjährige Kriegssituation, sind die Nachbarstaaten mit den Rechten und Ansprüchen des Süd-Sudans sehr nonchalant umgegangen. Spannungen in der Region sind deshalb wahrscheinlich, müssen jedoch nicht notwendig gewaltsame Formen annehmen.

Das trifft besonders auf die Frage des Nilwassers zu. Seltsamerweise wird die Bewirtschaftung des Nilwassers im CPA nicht erwähnt. Ägypten hat darauf hingewiesen, man dürfe, besonders angesichts der ehrgeizigen äthiopischen Projekte, diese Frage nicht ausklammern.

Eine Schlüsselfrage wird der Jonglei-Kanal sein. Dieser Kanal bietet eine technische Lösung für die Verdunstung, die die Nutzung des Weißen Nils bislang erheblich einschränkt. Ägypten und Khartum sind hier möglicherweise einer Meinung. Für die Süd-Sudanesen ist das Problem jedoch komplexer, betrifft es doch einen Teil des Ökosystems im Süd-Sudan.

Auf einen unabhängigen Sudan könnte regionaler Druck ausgeübt werden, das Projekt neu zu beleben, wenn auch unter veränderten Bedingungen. Finan-zielle Erwägungen werden für die regierende Elite dabei eine erhebliche Rolle spielen. Die Bevölkerung in dem betroffenen Gebiet ist jedoch bewaffnet und wird von Teilen der SPLA unterstützt. Die Regierung des Süd-Sudans muss hier deshalb klug und umsichtig handeln – etwas, was sie in den vergangenen Jahren nur selten getan hat.

Ein Sudan ohne Süden

Da das Regime in Khartum durch Druck und Zwang regiert hat, werden seine Gegner die Abspaltung des Südens als Schwäche auslegen. Dies wird Auswir-kungen auf ihr Verhalten in den umstrittenen Gebieten – den Übergangszonen, in Darfur und dem Ost-Sudan – haben. Gleichzeitig könnte die Trennung vom Süden im Norden zu mehr Zentralismus führen. Die Bewegung für einen gerechten Frieden (Movement for a Just Peace) weist schon seit Jahren darauf hin, dass sich der Nord-Sudan als ein «rein islamisches» Land betrachten und die Debatte über seine Identität ein für alle Male für beendet erklären wird.

Die Hypothese von einer weiteren Fragmentierung des Sudans basiert auf der Annahme, die verschiedenen Splittergruppen könnten zusammenfinden

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und Khartum herausfordern. Lässt man die letzten fünf oder zehn Jahre Revue passieren, scheint dies wenig wahrscheinlich. Die Aufständischen in Darfur sind in anderen Teilen des Landes wenig beliebt. Die SPLM in der Blue-Nile-Provinz und die Eastern Front bilden bis heute keine Einheit. Der wahrscheinlichste Fall ist, dass die Missstände in vielen Regionen anwachsen, sich jedoch kein politi-sches Bündnis bildet, das das Zentrum gefährden könnte. Es wäre allerdings vorstellbar, dass sich ein solches Bündnis ergibt, sollte der Staat im Norden verstärkt auf Zwangsmittel setzen müssen, da ihm die finanziellen Mittel, mit denen er seine Klientelwirtschaft auf dem Lande stützt, ausgegangen sind.

Wie würde die Region auf eine solche Lage reagieren? Keiner der betrof-fenen Staaten hat ein Interesse am Zerfall Nord-Sudans oder an der Abtrennung weiterer Gebiete. Ägypten, Eritrea und Äthiopien brauchen Stabilität um jeden Preis, und eine derartige Situation würde ihnen nur neue Probleme bereiten. Libyen könnte Rebellengruppen am Leben erhalten, kaum aber Staaten, vor allem keine neuen Staaten. Der Tschad ist bereits jetzt für seine Regierenden ein problematisches Gebilde. Von einem unabhängigen Darfur wären sie nicht begeistert. Ein Staat Darfur wäre zwischen anderen Ländern «eingeklemmt» und würde sehr bald neue konkurrierende Eliten herausbilden.

Die Frage ist eher, ob Nachbarn des Sudans die Neugestaltung der Landkarte dazu nutzen wollen, sich Teile des Landes einzuverleiben. In Darfur und im Ost-Sudan ist dergleichen zu beobachten. Mit der Abspaltung des Südens könnte dieser Trend an Fahrt gewinnen.

Kurzfristig dürfte der Zentralismus siegen. Unklar bleibt, was mittelfristig geschehen wird – vor allem dann, wenn die finanziellen Mittel, das System zu stabilisieren, nicht zur Verfügung stehen sollten. Ein Wandel hin zur Demokratie ist in Khartum nicht abzusehen. Die allgemein wahrgenommene Notwendigkeit, die Einheit Nord-Sudans zu erhalten, wird es möglich machen, Zwangsmaß-nahmen zu rechtfertigen. Weite Teile der internationalen Gemeinschaft würden dies wohl hinnehmen, denn sie wollen nicht noch einen gescheiterten Staat in Afrika.

Schließlich stellt sich die Frage, wie die Eliten im Norden mit den Verän-derungen umgehen werden. Die Antwort ist nicht leicht. Sicher, man kann annehmen, dass die islamische Identität gestärkt wird. Aber wird das, nach 20 Jahren islamistischer Regierung, wirklich funktionieren können? Gut möglich, dass es langfristig zu einer Legitimationskrise, gar einem Kampf um die Vorherr-schaft kommt, die «arabische» Identität des Sudans in Frage gestellt und eine neue Definition der Staatsbürgerschaft eingefordert wird.

noch ein gescheiterter Staat?

Während die Bevölkerung im Süd-Sudan der Volksabstimmung begeistert entge-gensieht, sind afrikanische Politiker und Offizielle wegen der Vorbildwirkung, die die Abspaltung in einigen Ländern haben könnte, äußerst besorgt.

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In der Region wird die Volksabstimmung die Ansprüche anderer Gruppen stärken. In Äthiopien, wo das Regime manche Teile des Landes überwiegend militärisch regiert, könnte der Ruf nach Eigenständigkeit stärker werden. Die Organisationen der Somalis und Oromos werden Zulauf bekommen, denn Alter-nativen zu den herrschenden Eliten stehen nicht zur Wahl. Auch die Unabhän-gigkeit von Somaliland könnte mehr Unterstützer finden.

Das könnte auch auf der anderen Seite des Roten Meers Folgen haben. Im Süd-Jemen ist die Bevölkerung mit der Herrschaft von Präsident Ali Abdullah Saleh höchst unzufrieden. Da der Westen Abdullah unterstützt, werden die Belange der Süd-Jemeniten kaum beachtet. Der Krieg der USA gegen al-Qaida könnte jedoch unerwartete Folgen haben. Eine Eskalation könnte Muslime in der Region radikalisieren, besonders im Sudan, wo die Führung der NIF (die heute als Kader in der NCP arbeiten) und die wichtigste muslimische Oppositi-onspartei im Jemen, al-Islah, seit langem Kontakt zueinander haben (Kilcullen 2009).

fazit: herausforderungen für europa

Die Europäische Union hatte es in den vergangenen 20 Jahren schwer im Sudan. Allen Verlautbarungen zum Trotz gelang es ihr nicht, eine Politik zu entwickeln, die gleichzeitig der Situation im Sudan und den Beziehungen des Sudans zu anderen Akteuren in der Region gerecht wurde. Entsprechend sah es so aus, als ob die EU von Fall zu Fall entscheide. Ein zentraler europäischer Wert zog so den Kürzeren: Der Einsatz für Demokratisierung, die als Eckstein europäi-scher Außenpolitik galt. Kaum jemand in Brüssel mag die Entwicklungen in den Nachbarstaaten des Sudans an demokratischen Kriterien messen. Presse- und Meinungsfreiheit sind in der Region nicht die Norm, wie man in Eritrea und in Äthiopien sehen kann.

Kann sich die Europäische Union politisch nicht durchsetzen, dann gibt sie Geld, um zu zeigen, dass mit ihr zu rechnen sei. Die EU war im Sudan an zwei wichtigen humanitären Aktionen beteiligt, es gelang ihr aber nie, ein glaubwür-diger und effizienter Vermittler zu werden. Das gilt für die Verhandlungen zum CPA und noch mehr für die Vermittlungen zu Darfur. Die Europäer bezahlen und unterstützen die Aktionen anderer – gemessen an den großen Ambitionen der EU eine recht ernüchternde Bilanz. Sondergesandte der EU konzentrieren sich in der Regel auf humanitäre Aspekte und blenden die politischen aus – so tritt man wenigstens keiner europäischen Regierung auf den Schlips.

Zum Teil bestand das Problem der EU darin, die politischen Vorstellungen ihrer Mitgliedsstaaten aufeinander abzustimmen. Nach dem Staatsstreich von 1989 zum Beispiel konzentrierte sich Frankreich sehr schnell auf den islamischen Charakter des Regimes und die Unterstützung, das dieses seinen Schwesterorga-nisationen im Maghreb liefern könnte. Aus Gründen, die mit seinen Interessen im Maghreb und später auch in Zentralafrika zu tun hatten, hat Frankreich immer Khartum gegen den Süden ausgespielt. Das änderte sich ab 2002, aber

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der Krieg in Darfur und die anhaltende Unterstützung für Idriss Déby verschlug Paris nun, ohne über die Konsequenzen nachzudenken, ganz auf die andere Seite. Aktuell scheint sich Frankreich verstärkt für den Süd-Sudan zu interes-sieren, jedoch rührt dies vor allem daher, dass seine Beziehungen zu Khartum in eine Sackgasse geraten sind.

Die frühere Kolonialmacht Großbritannien betrieb gegenüber dem Sudan und dem Süd-Sudan eine komplexere und vielschichtigere Politik. Beständig war sie jedoch nicht, denn sie stand unter dem Druck verschiedener Lobbys (darunter einflussreiche NGOs), dem Einfluss des Bündnisses mit den USA und der Rücksichtnahme auf die Politik gegenüber der arabischen Welt. Durch sein lang andauerndes politisches Engagement im Land, kennt sich Whitehall im Sudan bestens aus. Dennoch hat dies nur wenig dazu beigetragen, die politi-schen Prozesse im Nord- oder Süd-Sudan zu beeinflussen.

Viele andere europäische Staaten wollten mit dem Sudan vor allem Handel treiben und nicht in schwierige, undurchsichtige Verhandlungen verwickelt werden. Das änderte sich nur dann, wenn die Öffentlichkeit in diesen Ländern eine härtere Haltung gegenüber den gravierenden Menschenrechtsverletzungen verlangte. Solche Positionsänderungen machen aber noch keine Politik.

In den letzten Jahren scheint die EU bei einer anderen Frage in eine im übrigen selbst gestellte Falle getappt zu sein. Ihre Unterstützung für den Inter-nationalen Strafgerichtshof (IStGH) ist in sich unbestritten. Fraglich ist dagegen, ob der Sudan ein geeigneter Fall war, den IStGH anzurufen. Die Antwort ist nicht leicht, ebenso wenig wie bei der Frage einer Vermittlung in Darfur. Da über Lösungsansätze in Darfur keine Einigkeit innerhalb der EU besteht, hat man verstärkt auf den IStGH gesetzt. Das Ergebnis ist, dass die EU die Rechnungen bezahlt, nichts mitentscheidet und ihre afrikanischen Partner im Regen stehen lässt.

Wenn die EU politischen Einfluss ausüben will, muss sie sich auf drei Ebenen zugleich bewegen. Zunächst muss sie eine Sudan-Politik ausformulieren, die sich stärker an der Region orientiert. Das ist nicht unmöglich. Die Krisen in Somalia, Äthiopien und Eritrea – obwohl sehr unterschiedlicher Natur – sind ausreichend miteinander verzahnt, um einen Anreiz für einen Schritt in diese Richtung zu geben. Zweitens müssen Schlüsselstaaten der EU (hier besonders Frankreich und Großbritannien) die Kluft zwischen ihren Ansinnen an die EU und ihrer eigenen Politik verringern. Stimmt die Politik der Mitgliedsstaaten weitgehend überein, könnte das die politische Sichtbarkeit der EU dramatisch erhöhen. Drittens sollten Sondergesandte unbürokratischer ernannt werden. Solange EU-Sonder-gesandte unzureichend informierte politische Leichtgewichte sind, die keine entscheidende Rolle spielen können, sind sie zwangsläufig nichts weiter, als Katastrophenhelfer, die um die Gunst westlicher Journalisten buhlen.

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Straßenszene in Juba, Süd-Sudan

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Öl im Sudan: motor des Konflikts oder motor der entwicklung?

Ölförderung im Sudan

Öl wurde im Sudan in den späten 1970ern entdeckt. Da 1983 der Zweite Sudanesische Bürgerkrieg ausbrach, erfolgte der Förderbeginn jedoch erst später. Chevron, der Betreiber des Konsortiums, das die Ölfunde gemacht hatte, stellte die Arbeiten ein, nachdem die SPLM/A 1984 seine Zentrale angegriffen hatte. Der Rückzug großer westlicher Ölkonzerne bot Außen-seitern die Möglichkeit, zum Zug zu kommen. Die meisten stammten aus Asien und dem Nahen Osten, aber auch kleinere Gesellschaften aus dem Westen beteiligten sich; Firmen aus dem Sudan hielten Minderheitsanteile. Die größten Betreiber sind die Greater Nile Petroleum Operating Company und Petrodar, beide weitgehend im Besitz staatlicher Ölgesellschaften aus China und Malaysia (bei Petrodar auch Indien).

Die kommerzielle Ölgewinnung begann schließlich 1997, zunächst nur für den Verbrauch vor Ort. Heute fördert der Sudan etwa 120.000 Barrels täglich (bpd, barrels per day). Nachdem 1999 eine von China gebaute Pipeline von beinahe 1600 km Länge nach Port Sudan am Roten Meer fertig gestellt war, begann das Exportgeschäft. Inzwischen ist der Sudan einer der größten afrikanischen Ölförderer. 2008 betrug die durchschnittliche Produk-tion 480.000 bpd, und die nachweisbaren Reserven beliefen sich Anfang 2009 auf ungefähr fünf Millionen Barrel. Obwohl Sudans Reserven geringer sind, als die Nigerias oder Angolas, ist er damit die Nummer fünf auf dem Kontinent. Die Ausbeutung der Ölfelder erfolgt in hohem Tempo (und, wie manche Kritiker sagen, auf Kosten der langfristigen Nachhaltigkeit). Man nimmt an, dass die Ölproduktion im Sudan ihren Höhepunkt schon erreicht hat, und dass sie während der 2010er Jahre in etwa das aktuelle Niveau halten wird. Alle Ölexporte des Sudans – 2008 etwa 394.000 bpd – gehen nach Asien, davon 54 Prozent nach China und 26 Prozent nach Japan.

Das Öl und der Konflikt zwischen Nord und Süd

Zwar war das Öl nicht die Ursache des Bürgerkriegs von 1983, es hat den Konflikt aber verschärft. Viele der Fördergebiete liegen nahe Abyei, direkt in der Grenzregion zwischen Norden und Süden, und in der Upper-Nile-Provinz im Süden. Für die SPLM/A war die Öl-Infrastruktur ein Angriffsziel. Der Ausbau der Ölförderung wurden begleitet von einer systematischen

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Strategie, die Ölregionen zu «entvölkern», wie Menschenrechtsaktivisten es nannten, und von der Regierung bezahlte Milizen griffen die örtliche Bevöl-kerung an. Außerdem wurde die Lebensgrundlage der Ortsansässigen durch mit der Ölindustrie zusammenhängende Bauarbeiten gefährdet. Während die Angriffe 2005 weitgehend eingestellt wurden, ist die Umweltzerstörung auch in Friedenszeiten weiterhin eine Bedrohung.

Etwa seit 2000 konnte Khartum durch steigende Öleinnahmen hoch entwickelte Waffensysteme kaufen. Die diplomatische Unterstützung durch China, das stark in der Ölindustrie engagiert ist und das Prinzip der «Nichteinmischung» betonte, hat die Regierung im Sudan lange vor inter-nationalem Druck geschützt. Die internationalen Proteste gegen den Krieg in Darfur – der unmittelbar nichts mit dem Öl zu tun hat – haben China seit 2008 aber dazu gebracht, eine etwas konstruktivere Position einzunehmen.

Das Öl und das CPA

Die Ölfelder in und um Abyei sowie im Süden machen den Großteil der sudanesischen Produktion aus. Gemäß dem CPA müssen die Einnahmen nach einigen Abzügen (zwei Prozent gehen an den Bundesstaat, in dem das Öl gefördert wurde) zu gleichen Teilen zwischen den Regierungen in Khartum und Juba geteilt werden; für Abyei gelten leicht abweichende Bestimmungen. In der Praxis kann aber nur Khartum die Fördermengen kontrollieren, was zu dem Verdacht führte, der Süden erhalte nicht den ihm zustehenden Anteil. Eine Studie von Global Witness aus dem Jahr 2009 zeigte Unstimmigkeiten zwischen den von Regierung und Ölgesellschaften genannten Zahlen und empfahl eine unabhängige Prüfung.

Die Grenzziehung zwischen Norden und Süden war stark umstritten, besonders in Abyei, wo im Mai 2008 Kämpfe ausbrachen, durch die ein Großteil der Bevölkerung vertrieben wurden. Durch Entscheidung eines Schiedsgerichts vom Juli 2009 wurden bedeutende Ölfelder von Abyei abgetrennt und dem Norden zugesprochen. Das CPA sieht eine gesonderte Volksabstimmung für Abyei vor, durch die entschieden werden soll, ob sich Abyei dem Norden oder dem Süden anschließt. Die Frage, wer stimmbe-rechtigt ist und wer nicht, wird vermutlich über den Ausgang der Volksab-stimmung entscheiden.

Was wird nach dem Ende des für die Umsetzung des CPA bestimmten Zeitraums mit den Öleinnahmen geschehen? Sollte sich der Süden entscheiden, Teil eines einigen Sudans zu bleiben, müsste über die Aufteilung der Einnahmen neu verhandelt werden. Sollte jedoch – was wahrscheinlicher ist – der Süden sich für die Unabhängigkeit entscheiden, wird ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Ölsektor für das künftige Zusammenleben der beiden Länder entscheidend sein. Zwar

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hätte der Süden die Kontrolle über die Ölfelder auf seinem Staatsgebiet, der Export jedoch würde weiter – zumindest in den nächsten Jahren – durch Pipelines und Häfen im Norden erfolgen. In jedem Fall muss eine Regelung über die Grenzziehung und die Teilung der Einnahmen gefunden werden; nur so ist ein erneuter bewaffneter Konflikt zu vermeiden.

Das Öl und die Entwicklung

Der rasche Anstieg der Ölexporte hat die Wirtschaft Sudans verändert. Die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beliefen sich 2006 und 2007 auf jeweils über zehn Prozent. Das hat einen Boom im Dienstleistungs-sektor und im Baugewerbe ausgelöst. In anderen Bereichen ist das Bild weniger beeindruckend, so in der Landwirtschaft, in der nach wie vor etwa 80 Prozent aller Beschäftigten arbeiten. Dem Internationalen Währungs-font (IWF) zufolge hatte das Öl im Jahr 2008 einen Anteil von 95 Prozent an den Exporten und von 60 Prozent an den Regierungseinnahmen; der Sudan ist dadurch besonders anfällig, wenn die Ölpreise – wie ab Mitte 2008 geschehen – fallen.

Im Süden ist die offizielle Wirtschaft schwach, die Steuereinnahmen sind gering, und die Regierung bezieht fast ihre gesamten Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Da die Institutionen wenig effizient sind und Korruption weit verbreitet ist, läuft ein unabhängiger Süd-Sudan Gefahr, vollständig von Importen abhängig und ein Opfer des «Ressourcenfluchs» zu werden, dem schon andere Rohstoff exportierende Wirtschaften erlegen sind.

Seit 2005 hat sich der Süd-Sudan mehr und mehr Richtung Ostafrika orientiert. Firmen und Fachkräfte aus Uganda, Kenia und Tansania spielen im Süden schon jetzt eine entscheidende Rolle. Ein unabhängiger Süd-Sudan würde sich wahrscheinlich noch enger an Ostafrika anschließen, vermutlich aber ein bloßer Markt für den Import von Gütern und Dienstleistungen bleiben. Zugleich macht das Öl den Süd-Sudan für seine ostafrikanischen Nachbarn sehr attraktiv. Die kenianische Regierung bemüht sich zur Zeit, China davon zu überzeugen, einen Transportkorridor zu bauen, der Juba durch eine Straße (und vielleicht durch eine Pipeline) mit einem neuen Seehafen verbinden soll, den man in Lamu, an der kenianischen Nordostküste, plant.

Für den Nord- wie den Süd-Sudan eröffnet das Öl Möglichkeiten, sich wirtschaftlich zu entwickeln und bilaterale Kooperationen einzu-gehen. Es ist aber auch ein großer Risikofaktor. Das Öl könnte zu neuen Konflikten führen, sollten die Grenzstreitigkeiten und die Frage, wie man die Einnahmen teilt, nicht gelöst werden.

Axel Harneit-Sievers ist Leiter des Regionalbüros der Heinrich-Böll-Stiftung für Ostafrika und das Horn von Afrika in Nairobi, Kenia.

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Abdruck der Karte mit freundlicher Genehmigung von Global Witness

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Peter Schumann

Keine einfache mission: internationale akteure und der frieden im Sudan

einleitung

2008 war das schlechteste Jahr für die Friedenssicherung seit über einem Jahrzehnt, so die Annual Review of Global Peace Operations (CIC 2009). Der Bericht nennt eine Reihe von Gründen, etwa den «fortgesetzten Einsatz von Friedenstruppen, ohne dass es einen praktikablen politischen Rahmen gibt», wodurch «bereits überdehnte Maßnahmen zur Friedenssicherung vom Einver-ständnis von Regierungen abhängig sind, die offensichtlich nicht ganz hinter der Sache stehen». Der Bericht geht auch ein auf die «Spannung zwischen dem Kampf gegen den Terror und der Friedenssicherung» und kommt zu dem Schluss, dass es «dringend notwendig ist, die grundlegenden Ziele der Friedenssicherung neu zu definieren».

Die derzeitige Lage im Sudan ist ein schlagendes Beispiel für all diese Punkte. Die beiden derzeitigen Friedensmissionen – die United Nations Mission im Sudan (UNMIS) und die African Union / United Nations Mission in Darfur (UNAMID) – finden statt im Rahmen herkömmlicher Methoden der Friedenssicherung, von Verfahrensvorschriften der UNO und der üblichen organisatorischen Abläufe. Die daran Beteiligten scheinen dabei von Interessen geleitet zu sein, die eher ihren eigenen außenpolitischen Zielen – im Fall der USA der Kampf gegen den Terrorismus – als den im Comprehensive Peace Agreement (CPA) festgeschrie-benen Prinzipien entsprechen. Multilaterale Einsätze wie UNMIS und UNAMID sowie die einzelnen Akteure scheinen in einer ganzen Reihe politischer Dilem-mata gefangen zu sein, die zwar nicht von der Situation vor Ort herrühren, oft jedoch von den Konfliktparteien, insbesondere der herrschenden Elite in Khartum, benutzt werden. Folglich kann man die Anstrengungen der internatio-nalen Akteure im Sudan häufig als «organisatorische Heuchelei» bezeichnen: Sie reagieren auf widerstreitende Interessen und auf Druck mit widersprüchlichen Aktionen und Verlautbarungen – eine Strategie, die, indem man wenig tut, alle beschwichtigen soll (Lipson 2007).

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Vor diesem Hintergrund wird die Fähigkeit der internationalen Akteure, einen dauerhaften Frieden im Sudan zu erreichen, sowohl von diesen selbst als auch von den Konfliktparteien drastisch übertrieben. Was fehlt, ist ein deutliches, unmissverständliches Bekenntnis zu einem politischen Prozess – und die Bereit-schaft, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Derzeit folgen internationale Akteure zu oft ihren eigenen Interessen. Die Regierung der Nationalen Einheit (GoNU) – beherrscht von der National Congress Party (NCP) – und die Regie-rung des Süd-Sudans (GoSS), die von der Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) kontrolliert wird, betrachten das CPA unterdessen als ein Rahmenwerk, aus dem man herauspicken kann, was einem jeweils zusagt. Keine Seite glaubt, die andere sei zu einem grundlegenden Wandel ihrer Politik bereit. Wird diese Situation nicht entschieden angegangen, so kann sie sehr schnell schwerwie-gende Konsequenzen für die Zivilbevölkerung im Süd-Sudan, aber auch für die Bevölkerung in anderen Regionen haben, etwa in Darfur, den Nuba Mountains, Südkordofan und der Upper Blue Nile-Provinz.

interne und internationale dimensionen des Konflikts

Der Konflikt zwischen Nord- und Süd-Sudan, einer der längsten und vielschich-tigsten Bürgerkriege in Afrika, hatte zwei Phasen. Der erste Krieg zwischen Süden und Norden brach 1955, noch vor der Unabhängigkeit, aus und endete 1972; der zweite Krieg fand zwischen 1983 und 2005 statt. Beide Kriege endeten mit einem Verhandlungsfrieden: der Vereinbarung von Addis Abeba, die 1972 zwischen der sudanesischen Regierung und der Southern Sudanese Liberation Movement (SSLM) unterzeichnet wurde, und dem Comprehensive Peace Agreement (CPA), unterzeichnet am 9. Januar 2005 in Nairobi von der Regierung des Sudans und der Sudan People’s Liberation Movement/Army.

Ein eingehenderer Blick auf die beiden Bürgerkriege im Sudan enthüllt sowohl verblüffende Parallelen wie auch deutliche Unterschiede. In der Endphase des ersten Krieges, 1970 bis 1972, wurden Verhandlungen als gangbare Alternative zu den Kämpfen angesehen. Militärisch war eine Pattsituation entstanden, und in naher Zukunft schien keine Seite gewinnen zu können. Der Krieg hatte den Süden für die Regierung in Khartum unregierbar gemacht. Zur gleichen Zeit änderte sich auf beiden Seiten die Unterstützung von außen – und zwar sowohl regional wie auch international. Zu dem militärischen Patt trug bei, dass die Sowjetunion 1971 ihre Unterstützung für das Nimeri-Regime aufkündigte. Im Süden setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine international anerkannte Abspaltung nicht möglich war. Dies dämpfte den Ehrgeiz der südsudanesischen Rebellen, den Kampf fortzusetzen, und die politische Führung erkannte, dass man bestimmte Ziele auch durch ein hohes Maß an Autonomie innerhalb eines geeinten Sudans erreichen konnte.

Die internationale Beteiligung an dem Friedensschluss war unbedeutend. Die Gespräche fanden statt unter Schirmherrschaft des äthiopischen Kaisers Haile Selassie; beteiligt war auch der Weltkirchenrat und der Sudanesische

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Kirchenrat (Alier 1990: 131). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) bot Unterstützung für die Rückkehr der Flüchtlinge in den Süd-Sudan an.

Im zweiten Krieg von 1983 bis 2005 wurde der Süden gänzlich unregierbar. Die Regierung des Sudans, vertreten durch die National Congress Party und die SPLM/A erkannten 2001/02, dass der Konflikt unter den gegebenen Bedingungen nicht militärisch zu lösen war. Allerdings lagen die Ziele der NCP und die Inter-essen der SPLM noch weit auseinander: Die NCP setzte auf einen islamischen Staat und die Arabisierung des Landes, während die SPLM unter John Garang auf ihrem Konzept eines «Neuen Sudans» bestand. In der zweiten Phase des Bürgerkriegs spielten internationale Akteure eine bedeutendere Rolle, beispiels-weise während der Verhandlungen zum Protokoll von Machakos (2002), dem Abkommen von Naivasha und bei der Umsetzung des CPA (ab 2005).

Natürlich spielen internationalen Akteure schon länger eine Rolle im Sudan. In der Zeit nach der Unabhängigkeit waren eine Reihe von Ländern und Organi-sationen im Lande präsent (die Nachbarstaaten nicht mitgezählt): Großbri-tannien, die USA, die UNO – dazu China, Frankreich, Italien und Norwegen. Pakistan, Indien und Malaysia haben während des Bürgerkriegs ihre außenpo-litischen Beziehungen zum Sudan ausgebaut, insbesondere nach 1995. Länder wie Südafrika und Norwegen unterstützen während des «Befreiungskampfes» im Süd-Sudan die SPLM/A.

Gegen Ende des zweiten Bürgerkriegs erreichte die Beteiligung interna-tionaler Akteure jedoch eine völlig neue Qualität. Besonders zwei Faktoren bestimmten die Verhandlungen, an deren Ende die Unterzeichnung des CPA stand: die Ereignisse, die zu dem von den USA geführten «Krieg gegen den Terror» führten, darunter die Bombardierung der US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998, und der sudanesische Ölboom seit Ende der 1990er.

Die Angriffe vom 11. September 2001 und ab 2003 der Krieg im Irak verän-derten die US-Außenpolitik grundlegend; «Terrorismus-Bekämpfung» wurde zum Schwerpunkt. Die Regierung Sudans, die zuvor unter Beobachtung der USA gestanden hatte, nutzte dies zum eigenen Vorteil. Sie begann, mit ameri-kanischen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten und half ihnen auf die Spur zu vermutlichen al-Qaida-Mitgliedern im Sudan. Es gelang der sudanesischen Regierung so, Partner der USA zu werden und einen zuvor angedrohten «Regime-wechsel» von außen abzuwenden.

Zur gleichen Zeit erhöhte sich die Ölproduktion des Sudans um das Zehnfache: 2001 stieg sie auf 200.000 Barrels, und auch in den folgenden Jahren gab es zweistellige jährliche Zuwächse. Für die Bevölkerung in den Ölgebieten hatte der Boom oft schlimme Folgen. Er wurde zu einem Schlüsselfaktor dafür, dass der Bürgerkrieg eskalierte und wird auch nach der Volksabstimmung von 2011 ein Konfliktherd bleiben. Es kam zu ausgedehnten Vertreibungen, Hunger wurde gezielt als Waffe eingesetzt, um große Flächen zu entvölkern und so den Widerstand gegen den Verlust der Lebensgrundlagen durch Umweltzerstörung,

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die Zerstörung landwirtschaftlicher Flächen und natürlicher Wasserwege zu brechen.

Zugleich brachte die Ölproduktion dem Norden nicht nur sichere Einnahmen, mit denen er seine Ausgaben steigern konnte, sondern erlaubte es ihm auch, seine Außenpolitik neu auszurichten, indem er strategische Beziehungen zu China, Indien und Malaysia einging. Der Sudan ist für diese Länder ein verläss-licher Exporteur von Rohöl geworden und könnte bald die Mitgliedschaft in der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) beantragen. Noch wichtiger ist, dass der Ölhandel zu engen politischen und wirtschaftlichen Bindungen an China geführt hat.

Der sudanesischen Regierung gelang es so, die Sanktionen, die westliche Staaten gegen das Regime verhängt hatten, auszuhebeln. Die Executive Order 13067, von Präsident Clinton am 3. November 1997 unterzeichnet, und später der Sudan Peace Act, von Präsident George W. Bush am 21. Oktober 2002 unterschrieben, etablierten ein System von Sanktionen und Embargos, das im Zusammenhang mit dem Konflikt in Darfur weiter wuchs. Die europäischen Länder schlossen sich mehrheitlich, wenn auch mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen, den Sanktionen an. Im Jahr 2002 war «die Konkurrenz um mit dem Ölgeschäft verbundene Verträge äußerst intensiv und warf die Frage auf, inwie-weit der Handel die Diplomatie steuert». Dies belastete sogar die Beziehungen innerhalb Europas, denn Frankreich erklärte, es werde den Sudan zu einem «Land mit vorrangigem Solidaritätsstatus» machen und ihn «bei der Wiederein-gliederung in die internationale Gemeinschaft» unterstützen (Africa Confidential 2002). Die Diplomatie von Zuckerbrot und Peitsche hat sich dem Sudan gegen-über jedoch als weitgehend wirkungslos erwiesen, da seine Bindungen an Asien – und in jüngerer Zeit auch an lateinamerikanische Staaten wie Brasilien – immer wichtiger geworden sind.

die uno im Sudan: «erfolgreiches Scheitern»?

An ausländischen und internationalen Akteuren besteht im Sudan wahrlich kein Mangel – von diplomatischen Vertretungen und Hilfsorganisationen bis hin zu politischen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen (NGO). Die größte Präsenz zeigen jedoch die allgegenwärtigen Vereinten Nationen mit ihren verschiedenen Programmen und Missionen.

Das Verhältnis zwischen UNO und Sudan geht tief und ist doch mit Makeln behaftet. Der Sudan hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten mindestens vier höhere UN-Beamte ausgewiesen, von anderen Mitarbeitern der UN und inter-nationaler NGOs ganz zu schweigen. Die sudanesische Regierung hat die UN für ihre Ziele benutzt und mit Erfolg Bedingungen für die Arbeit der UN ausge-handelt, die sich mit den eigenen Prioritäten, Prinzipien und Sicherheitsbedürf-nissen decken.

Am deutlichsten wurde das beim Versuch der UNO, durch die United Nations Mission in Sudan (UNMIS) den im CPA vereinbarten Frieden zu sichern.

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Das CPA weist der internationalen Gemeinschaft drei Rollen zu: Erstens stellt sie Geld für verschiedene Projekte und Vorgänge zur Verfügung. Zweitens hilft sie mit technischem Fachwissen etwa bei der Überwachung der Ölförderung oder der Grenzziehung. Die dritte Funktion wurde im Sicherheitsprotokoll des CPA so umschrieben: «Die Parteien bitten die UN, eine schlanke, effektive, nachhal-tige und bezahlbare Operation zur Friedenssicherung durchzuführen, um dieses Abkommen zu überwachen und zu überprüfen und die Umsetzung des CPA, wie unter Kapitel VI der UN-Charta vorgesehen, zu unterstützen» (UNSC 2005: 106).

Die Durchführung der Mission wurde jedoch durch Streit im Sicherheitsrat beeinträchtigt. Der erste Entwurf der Resolution 1590, die UNMIS als Grund-lage dienen sollte, enthielt mehr als hundert «Klammern», das heißt Formulie-rungen, die auf Einwände einzelner Mitglieder des Sicherheitsrates eingingen. Es überrascht daher nicht, dass die endgültige Resolution dort, wo politische Positi-onen eindeutig hätten geklärt werden müssen, diplomatische Formulierungen aufweist. Dass ein zutiefst gespaltener Sicherheitsrat die Entscheidung traf, hatte politische und praktische Folgen, die bei jedem einzelnen Schritt der Mission spürbar waren – von der Erteilung des Mandats bis hin zum Budget und von der Kontrolle und politischen Unterstützung bis hin zum eigentlichen Einsatz der Friedenstruppe.

Das Mandat für UNMIS spiegelt ein Dilemma wider, das vielen friedens-stützenden Missionen zugrunde liegt. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass Friedensvereinbarungen, die unter dem Druck internationaler Vermittler zustande gekommen sind, häufig Konflikte eher hinauszögern, als sie wirklich zu lösen. Sie können zudem neue politische Realitäten schaffen, indem sie bestimmten Akteuren gegenüber anderen den Vorzug geben, bestimmte bewaffnete Bewegungen «legitimieren» und zu international anerkannten Partnern machen, während andere beinahe auf den Status von terroristischen Organisationen herabgestuft werden. Dass sich das CPA ganz auf Verhandlungen zwischen der Regierung des Sudans und der SPLM/A konzentrierte, wurde für den Friedensprozess zum Problem und hat die Arbeit der UNMIS nicht eben erleichtert.

UNMIS hatte vom ersten Tag an mit ernsthaften Problemen zu kämpfen. Die «Vorabmission» UNAMIS sollte die eigentliche Mission vorbereiten. Ihr Führungspersonal war jedoch bald vollkommen von der sich rasant entwi-ckelnden Krise in Darfur in Anspruch genommen, wo der bewaffnete Konflikt und die Vertreibung der Zivilbevölkerung ein nie zuvor gesehenes Ausmaß angenommen hatten. Die ersten Außenstellen von UNAMIS wurden dement-sprechend alle in Darfur eingerichtet – in El Fasher, Nayala und El Geneina. Selbst nachdem das CPA unterzeichnet worden war, benötigte UNMIS bis Mitte 2006, um im gesamten Süd-Sudan einsatzbereit zu sein, und es dauerte bis Mitte 2007, bis in allen Bezirken ein Netzwerk von Außenbüros und Standorten einge-richtet war.

In den folgenden Jahren untergruben drei andere Faktoren die Arbeit von UNMIS. Erstens kämpfte UNMIS von Anfang an mit einem hochkomplexen und

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unerprobten Organisationsmodell, dem Konzept einer «integrierten Mission». Dieses Modell bevollmächtigte den UN-Sonderbeauftragten dazu, «alle Aktivi-täten der Vereinten Nationen im Sudan zu koordinieren» und «die Zusammen-arbeit mit anderen internationalen Akteuren, insbesondere der Afrikanischen Union und der IGAD, zu fördern» (Resolution des Sicherheitsrates 1590, Art. 3). Die organisatorische Struktur der Mission folgte einem von der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze (DPKO) aufgezwungenen Muster, das von anderen Missionen hergeleitet worden war. Dieser Ansatz führte zu zahlreichen Aufgaben, was nicht nur eine Flut von organisatorischen Arbeiten und ermüdenden Absprachen zur Folge hatte, sondern auch verhinderte, dass sich die Mission auf ihre wesentliche Aufgabe, die Regelungen des CPA, konzentrieren konnte. Berichtswesen und Entscheidungsfindung waren sowohl auf administrativer wie programmatischer Ebene hoch zentralisiert, was dazu beitrug, dass diskrete Informationsflüsse entstanden. All dies machte es schwierig, auf neue Anforde-rungen schnell zu reagieren.

Das zweite Problem betrifft Fragen der Sicherheit. Die Resolution 1590 benennt vier Sicherheitsaspekte: Es muss kontrolliert und sichergestellt werden, dass die Vereinbarungen zur Waffenruhe eingehalten und Verstöße dagegen untersucht werden; es muss mit bilateralen Gebern bei der Bildung der Joint Integrated Units1 zusammengearbeitet werden; die Bewegungen bewaffneter Gruppen und die Umgruppierung von Streitkräften ist zu beobachten und zu kontrollieren; die Einrichtung von Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsprogrammen ist zu unterstützen.

Die militärische Komponente der UNMIS (und bis zu einem gewissen Grad auch die polizeiliche) hatte jedoch Schwierigkeiten, ihre Operationen mit den zivilen Funktionen der Mission abzustimmen. Der Kommandeur der UNMIS-Truppen stellte seine Truppen auf und setzte sie ein in enger Absprache mit der Führung der Sudan Arms Forces (SAF) und derjenigen der SPLM/A. Die Abstim-mung mit den zivilen Stellen, unter anderem dem UN-Team, ließ jedoch sehr zu wünschen übrig, und nur selten wurden die Truppen eingesetzt, um zivile Aktivitäten zu unterstützen. Von 2006 bis 2008 halfen die UNMIS-Truppen den beiden Parteien in bedeutendem Maß dabei, ihre Streitkräfte gemäß der im Sicherheitsprotokoll vorgesehenen Regelungen umzustrukturieren, und sie vermittelten, wann immer es Unstimmigkeiten zwischen SAF und SPLM gab. Gleichzeitig wurden jedoch andere Teile der Mission kaum unterstützt, da die militärische Führung hieran wenig Interesse zeigte. Die militärischen und zivilen Komponenten von UNMIS fanden zwar unter demselben Dach statt, liefen aber nebeneinander her. Entsprechend wurde der Schutz der Zivilbevölkerung – die ständig von Angriffen der ugandischen Lord’s Resistance Army, anderer bewaff-neter Gruppen und auch marodierender Kämpfer der SPLA bedroht war –, trotz der Präsenz von beinahe 10.000 Blauhelmen und mehr als 650 Polizeioffizieren

1 Joint Integrated Units sind gemeinsame Einheiten der sudanesischen Armee und der SPLA (Anm. d. Red.)

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zu keiner vorrangigen Aufgabe der Mission. Die Folgen waren gravierend: 2008 und 2009 wurden im Süd-Sudan mehr Zivilisten getötet als in Darfur.

Auch die zivile Komponente der UNMIS hinkte ihren Aufgaben hinterher – und das, obwohl reichlich Einsatzkräfte vorhanden waren, sowohl in Khartum, wie auch in fünf Außenstellen und mobilen Teams im gesamten Sudan. Die Infor-mationen, die über Radio Myraya ausgestrahlt werden, erreichten im Süd-Sudan die Bevölkerung außerhalb von Juba erst ab 2008; im Norden wird der Sende-betrieb immer noch behindert. Reformen bei den Sicherheitskräften kamen über die Entwurfsphase kaum hinaus, und bei den Programmen zur Abrüs-tung, Demobilisierung und Reintegration war das kaum anders. Die Mehrzahl der zivilen UNMIS-Programme befasst sich mit Aufgaben der «Überwachung und Beobachtung»; dazu kommen eine Reihe von humanitären Programmen. Programme zum Wiederaufbau und zur Entwicklung sind nicht Teil von UNMIS; sie hängen von der Spendenbereitschaft der Geberländer ab. Diese Programme leiden zusehends unter der Unfähigkeit der Regierung des Süd-Sudans, einen funktionierenden Verwaltungsapparat aufzubauen, sowie unter der zuneh-menden Unsicherheit.

Obwohl UNMIS eine große Mission ist, finanziell gut ausgestattet und inzwischen auch etabliert, sind die Ergebnisse durchwachsen und, gemessen an den seit 2005 bezogenen Mitteln von mehr als einer Milliarde US-Dollar pro Jahr, unzureichend. Die Umgruppierung von Truppen der SAF und SPLM ist immer noch strittig, und der Aufbau der Joint Integrated Units ist weit hinter dem Zeitplan zurück. Die Regierung des Süd-Sudans ist nicht in der Lage, die auf ihrem Territorium lebende Bevölkerung zu schützen, die Gerichtsbarkeit ist nicht unabhängig, und die Polizeidienste sind nach wie vor unzureichend.

Nach sechs Jahren weist UNMIS alle Kennzeichen eines «erfolgreich geschei-terten Unternehmens» auf (Seibel 2007). Die Mission war oft nicht in der Lage, ihr Mandat auszuüben. Dennoch fehlt der politische Willen, die grundsätzlichen Widersprüche der Mission aufzuarbeiten, was daran liegt, dass die wichtigsten UN-Mitgliedsstaaten unterschiedliche Erwartungen an die Mission haben. Der Sicherheitsrat scheint sich damit abgefunden zu haben, dass UNAMID die Zivilbevölkerung in Darfur vor Gräueltaten nicht schützt, und dass UNMIS im Süd-Sudan nur begrenzt Unterstützung liefern kann.

die Sudanpolitik wichtiger internationaler akteure

Der Mangel an Abstimmung, der die Arbeit der UNO im Sudan behindert, rührt zu einem großen Teil von der Vielfalt der (manchmal unvereinbaren) nationalen Interessen her. Viele internationale Akteure – Staaten, multilaterale und Nicht-regierungsorganisationen – sind in die sudanesische Politik und insbesondere in den CPA-Prozess verstrickt. Nicht alle haben jedoch dasselbe Gewicht. Manche sind nicht in der Lage, die Konfliktparteien zu beeinflussen. Anderen, etwa der EU, fehlt es an einer klaren politischen Linie, die es ihnen erlauben würde, eine größere Rolle zu spielen. Zwei Staaten sind von besonderer Bedeutung und

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werden für die Zukunft des Sudans ausschlaggebend sein: die USA, deren diplo-matisches Engagement zuweilen von der eigenen Sicherheitspolitik gefährdet wurde, und China, das bedeutende wirtschaftliche Interessen im Sudan hat, gleichzeitig jedoch noch immer am Prinzip der Nichteinmischung festhält.

Die Sudan-Politik der USA war lange Zeit widersprüchlich – und zwar sowohl für die eigene Bevölkerung wie auch für die sudanesischen Politiker. Die bisher von der US-Regierung eingesetzten Mittel reichen von einer aktiven Rolle im Ölgeschäft bis hin zu militärischen Interventionen2, es gab sowohl konstruk-tiven Dialog, als auch Isolationspolitik, Appeasement und Konfrontation. Nach dem 11. September 2001 wandelten sich die Beziehungen zum Sudan erneut. Während einerseits das US-Außenministerium der sudanesischen Regierung «Völkermord» in Darfur vorwarf3, wurde andererseits ihre Zusammenarbeit mit dem Pentagon und den höchsten Ebenen der Geheimdienste intensiv wie nie zuvor. Generalmajor Salah Gosh, der Chef der sudanesischen Geheimdienste, besuchte wiederholt seine Kollegen in Washington. Außenministerin Condo-leezza Rice forderte im April 2005 in einem Schreiben die sudanesische Regie-rung dazu auf, den Konflikt in Darfur zu beenden, erklärte aber auch, man hoffe, zum Sudan eine «fruchtbare Beziehung» aufzubauen und setze im Kampf gegen den Terrorismus auf eine «enge Zusammenarbeit» (Democracy Now 2005).

Unter Obama hat sich die amerikanische Sudan-Politik nur wenig geändert – obwohl es zu Anfang so aussah, als könne der Sudan zu einem politischen Schwerpunkt werden. Am 19. Oktober 2009 legte die US-Regierung ihre neue Strategie für den Sudan dar («A Critical Moment, A Comprehensive Approach», US State Department 2009). Sie hat drei strategische Ziele: erstens die endgültige Beilegung des Konflikts, der groben Menschenrechtsverletzungen und des von den USA so genannten «Völkermords» in Darfur; zweitens die Umsetzung des CPA und ein friedlicher Sudan nach 2011; drittens versuchen die USA zu verhin-dern, dass der Sudan ein Zufluchtsort für internationale Terroristen wird.

Das Dokument beschreibt detailliert wie jedes dieser strategischen Ziele umgesetzt werden soll. Dabei werden zwar wichtige Elemente des CPA aufge-griffen, es fehlt jedoch ein übergreifender Rahmen, der die strategische Ausrich-tung der US-Politik erahnen ließe. Die Sudan-Strategie der USA greift weder das Protokoll von Machakos auf, noch setzt sie auf demokratischen Wandel, noch fordert sie einen säkularen Staat. Die Politik von George W. Bushs Sonder-beauftragten John Danforth wird so fortgesetzt. Was die Zusammenarbeit mit der UN-Mission im Sudan betrifft, bleibt die neue Strategie reichlich vage, es gibt jedoch einige Bezüge auf die Arbeit von UNAMID. Insgesamt hat man den Eindruck, dass für die USA im sudanesischen Friedensprozess die UNO keine große Rolle spielt.

2 Beispiele sind die Bombardierung der pharmazeutischen Fabrik El Shifa in Khartum im August 1998 und die militärische Unterstützung der SPLA seit 2005.

3 Das bezieht sich auf Colin Powells Erklärung vor dem Senatskomitee für außenpolitische Beziehungen am 9. September 2004.

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Nur wenige Wochen nach der Bekanntgabe der neuen Sudan-Strategie wurde deutlich, dass ihre Umsetzung innerhalb der Regierung umstritten ist. Meinungsverschiedenheiten gab es zwischen dem neuen Sondergesandten, dem früheren Luftwaffengeneralmajor Scott Gration, und der UN-Botschafterin Susan Rice (Rogin 2010), wobei es darum ging, ob die Politik von Zuckerbrot und Peitsche fortgesetzt werden sollte. Khartum scheint momentan mit dem neuen Sondergesandten zufrieden zu sein, denn Gration hatte dafür plädiert, die aus Präsident Clintons Zeit stammenden Sanktionen zu überprüfen.

Chinas Beziehungen zum Sudan sind ganz anders. Sowohl die chinesische wie die sudanesische Regierung haben sich lange Zeit auf die gemeinsamen Wirtschaftsinteressen konzentriert und sich in politischen Fragen bedeckt gehalten. Erst vor Kurzem begann sich dies zu ändern.

Die chinesische Präsenz im Sudan begann schon Ende der 1950er Jahre. Erst in den 1990ern jedoch intensivierte sich der Austausch. Seit 1995 wuchs Chinas Engagement im sudanesischen Ölsektor. Heute gehört der China National Petro-leum Corporation (CNPC) die Mehrheit der Anteile an den beiden wichtigsten Ölsyndikaten im Sudan – der Greater Nile Petroleum Operating Company und Petrodar. Sudan exportiert zwar weniger Öl nach China als Angola, hat aber dennoch einen Anteil von sechs Prozent an den chinesischen Ölimporten. In keinem afrikanischen Land investiert China soviel in Ölerkundung, Ölförderung, Raffinierung und Transport wie im Sudan. Im Lauf der Jahre haben chinesische Staatsfirmen auch außerhalb des Ölsektors Verträge geschlossen. Die militäri-sche Zusammenarbeit wurde wichtig, wozu auch der Verkauf von ursprünglich vom Iran finanzierten Waffen gehört (Large 2007). Regelmäßig wurde moderne Ausrüstung, etwa MiG-Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber, geliefert.

Obwohl China wirtschaftliche Interessen nicht nur in Khartum, sondern im ganzen Land hat, hat sich die Regierung lange sehr bedeckt gehalten. Abgesehen von den üblichen diplomatischen Aktivitäten, kultiviert China das Erscheinungs-bild eines politisch nicht interessierten Akteurs und kommentiert Angelegen-heiten im Sudan öffentlich nicht. Erst in den letzten Jahren und sehr allmäh-lich hat China im Sudan eine politisch aktivere Rolle übernommen. Das ist im wesentlichen auf drei Faktoren zurückzuführen.

Erstens geriet China seit 2005 zunehmend unter internationalen Druck, weil es im Darfur-Konflikt seinen Einfluss auf die NCP und die sudanesische Regie-rung nicht nutzte. Mitglieder des Sicherheitsrates kritisierten China und beschul-digten es, Maßnahmen zu blockieren, die Khartum dazu zwingen könnten, der Gewalt in der Region Einhalt zu gebieten. Die Vorwürfe führten zu der Drohung zivilgesellschaftlicher Organisationen, bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking Kritik an der chinesischen Sudan-Politik zu üben.

Dieser Druck hat Chinas Herangehensweise, nicht aber seine Politik geändert. Chinesische Diplomaten wurden aktiver, und Sonderbotschafter Liu Guijin besuchte Khartum und Darfur regelmäßig. Inoffiziell wurde mehr Druck auf die Führung der NCP ausgeübt, und in der UNO setzte man sich verstärkt für eine Lösung der Krise in Darfur ein. Auf einer hochrangigen Konferenz von

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AU und UN in Addis Abeba Ende 2006 war es der chinesische Vertreter, der, als Reaktion auf Präsident Bashirs Forderung, der Friedenseinsatz solle einen «afrikanischen Charakter» haben, einen gemischten Einsatz von AU und UN in Darfur vorschlug. Der Vorschlag wurde von UN-Generalsekretär Kofi Annan und von Lam Akol, dem Außenminister Sudans, ebenso wie von den Mitgliedern des Sicherheitsrates sofort akzeptiert.

Eine zweite Entwicklung, die Chinas Haltung mehr und mehr in Frage stellte, waren Anschläge auf chinesische Anlagen während des Darfur-Konflikts. Ein Schlüsselereignis war die Entführung von neun chinesischen Arbeitern einer von der CNPC in Süd-Kordofan betriebenen Ölanlage (BBC News 2008). Fünf Arbeiter wurden auf Befehl eines Kommandeurs getötet, der sich als Mitglied der Justice and Equality Movement (JEM) bezeichnete und China beschuldigte, Khartum militärisch zu unterstützen. China sorgte sich zunehmend, es könne im Kampf zwischen JEM und sudanesischer Armee zu einem Angriffsziel werden, besonders nachdem die JEM im April 2008 Khartum angegriffen hatte. China war so gezwungen, zwischen Nichteinmischung einerseits und der wachsenden Bedrohung der Arbeit der CNPC sowie der steigenden Gefährdung seiner Inves-titionen abzuwägen.4

Schließlich musste China seine Politik auch deshalb neu ausrichten, da es im Süden mit dem Government of South Sudan eine zweite Regierung neben der der Nationalen Einheit gab. Die SPLM hatte einer chinesischen Delegation, die 2007 Juba besuchte, deutlich gemacht, dass das CPA sie berechtigte, souveräne Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland aufzubauen. Bald danach wurde Salva Kiir mit Vertretern der GoSS und dem Energie- und Ölminister der GoNU zu einem Besuch nach Peking eingeladen.

China hat seither seine Beziehungen zur SPLM und zur GoSS gestärkt, ein klarer Hinweise darauf, dass es sich auf die Zeit nach der Volksabstimmung vorbereitet.

ausblick: neue herausforderungen für internationale akteure

Die aktuelle Debatte über die Zukunft des Sudans konzentriert sich vor allem auf die Optionen nach der für 2011 geplanten Volksabstimmung im Süden. Wird die mögliche Abspaltung des Südens einen neuen Krieg anfachen, oder wird sie friedlich vor sich gehen? Und wird der Sudan, sollte es ein Votum für die Einheit des Landes geben, sich stabil und friedlich entwickeln, oder wird er instabil und konfliktbeladen bleiben?

So wichtig diese Fragen sind, sie laufen Gefahr, von den strukturellen Problemen und Widersprüchen des Sudans und seiner Nachbarn abzulenken: NPC und SPLM haben unvereinbare Positionen zur Staatlichkeit, und es gibt eine

4 In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass Präsident Bashir sich persönlich in die Verhandlungen und in die Unterzeichnung eines Abkommens zwischen der JEM und der Regierung des Sudan in Doha im Februar 2010 einschaltete.

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ganze Reihe langwieriger Konflikte am Horn von Afrika. All dies bestimmt – und beschränkt – die politischen Optionen, die die internationale Gemeinschaft hat. Im Sudan aktive Staaten wie auch die UNO haben zuletzt bekräftigt, das sie sich im Land weiter engagieren werden. Ihre Planungen scheinen jedoch ausschließ-lich taktischer und praktischer Natur zu sein. Wenn internationale Akteure einen dauerhaften Beitrag zum Frieden im Sudan leisten wollen, müssen sie besonders drei Gesichtspunkte berücksichtigen.

Erstens müssen auf Versprechungen auch Taten folgen. UNMIS wurde vom UN-Sicherheitsrat eingerichtet, um seine Resolutionen umzusetzen. Resolution 1590 und folgende Resolutionen sind jedoch nur zum Teil umgesetzt worden – und das obwohl 12.000 Mitarbeiter zur Verfügung stehen und die Mission finanziell gut ausgestattet ist. Daraus ist zu schließen, dass sich UNMIS auf das konzentrieren muss, was nötig ist, und nicht nur auf das, was möglich ist. Die beteiligten Staaten müssen zeigen, dass sie hinter der Mission stehen, und sie müssen entschieden handeln, sollte ihr politisches und materielles Engagement zur Beendigung des Bürgerkriegs angegriffen werden. Wenn sie dazu nicht bereit sind, muss der UN-Sicherheitsrat seinen Entschluss überprüfen und notfalls revidieren.

Ein zögerliches und allzu kompromissbereites internationales Engagement duldet stillschweigend, dass die Grundsätze des CPA an den Rand gedrängt und neu entstehende Realitäten und Praktiken hingenommen werden. Beides ist gegenwärtig bei UNMIS und UNAMID der Fall. Die internationale Gemein-schaft hat es weitgehend versäumt, die beteiligten Parteien zur Verantwortung zu ziehen und sie daran zu erinnern, was sie in den Protokollen von Machakos und Naivasha vereinbart haben. Sowohl die NCP wie auch die SPLM haben mit der UNO und anderen immer nur genau dann zusammengearbeitet, wenn es für sie von Vorteil war. Das Interesse daran, dass internationale Vermittler für einen ehrlichen Frieden sorgen, ist gering.

Zweitens muss das Augenmerk mehr auf die regionale Dimension des Konflikts im Sudan gehen. Es gibt komplexe interne Gründen für das Dilemma des Sudans, darüber hinaus ist das Land aber auch Teil eines regionalen Systems von Konflikten, das die erweiterte Region um das Horn von Afrika umfasst, nämlich Somalia, Dschibuti, Äthiopien, Eritrea, den Tschad und die Zentralaf-rikanische Republik; hinzu kommen Libyen und Ägypten (siehe den Beitrag von Roland Marchal in diesem Band).

Da der Sudan sich kaum stabilisieren kann, wenn die Region labil bleibt, sind Sicherheit und Zusammenarbeit in der Großregion Fragen, denen sich die internationalen Akteure entschieden stellen müssen. Regionale Organisationen wie die Intergovernmental Authority on Development (IGAD) und die Afrikani-sche Union brauchen internationale Unterstützung, um stabilisierend wirken zu können. Für die Vereinten Nationen sollte das, nach der Volksabstimmung und dem Ende der CPA-Interimsperiode, Priorität haben. Politische Einwände und die Opposition des Verwaltungsapparats gegen die AU/UN-Mission in Darfur behindern beide Organisationen dabei, politische Entscheidungen zu treffen

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und zu handeln. Die Folgen sind gravierend. Die Beziehungen zwischen UN und AU müssen auf politischer wie organisatorischer Ebene unbedingt verbessert werden. Beispiele aus anderen Regionen haben gezeigt: Es ist möglich, Konflikte regional zu managen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kann für die IGAD-Region sicher nicht einfach als Vorbild dienen, aber ihr Erfolg hat gezeigt, dass ein regionaler Ansatz funktionieren und interne Konflikte lösen helfen kann.

Schließlich, und das ist vielleicht am wichtigsten, müssen die internationalen Akteure eine gemeinsame politische Vision für die Zeit nach 2011 finden. Den Sicherheitsbedürfnissen der Menschen in den verschiedenen Konfliktzonen wird man weder durch die Parole «ein Land – zwei Systeme» gerecht, noch dadurch, dass man die Abspaltung des Südens unterstützt. Auch die vielen Konflikten im Sudan zugrunde liegenden Probleme der Marginalisierung und Unterentwick-lung werden so nicht gelöst.

In den Jahren 2004 und 2005, als der Darfur-Krieg eskalierte, machte sich unter den wichtigsten internationalen Kräften die Überzeugung breit, der Konflikt im Sudan könne nur durch einen von außen bewirkten Regimewechsel beendet werden. Im Hinblick auf die Aussicht, im Süden sei Frieden möglich, verwarf die internationale Gemeinschaft diesen Ansatz und entschied sich für Zusammenarbeit. Ein von außen bewirkter «Regimewechsel», wie im Irak oder in Afghanistan, ist im Sudan keine Option – und sollte es auch nach dem Ende der CPA-Interimsperiode und der Volksabstimmung über den Status des Südens nicht werden.

Während die Menschen im Süd-Sudan vor allem der Unabhängigkeit entge-gensehen, hatten die Nord-Sudanesen gehofft, das Abkommen könne dem Übergang zur Demokratie den Weg bereiten. Das CPA hat zwischen den Parteien kein Vertrauen geschaffen, es war ihnen vor allem ein Instrument, ihre Macht zu festigen und andere politische Gruppen von der Regierung fernzuhalten.

Das bedeutet auch, dass die einst in den Protokollen von Machakos und Naivasha ausgeführte Vorstellung von Staatlichkeit zusehends kompromit-tiert wird – oft genug mit stillschweigender Zustimmung der internationalen Gemeinschaft. Besonders die NCP ist ein schwieriger Verhandlungspartner: Sie verhandelt, wenn es ihr passt, und führt (oder finanziert) Krieg, wenn es ihr nötig erscheint. Alle Forderungen nach politischem und gesellschaftlichem Wandel konnte sie so bislang abwehren. Das Projekt eines islamischen Nationalstaats hat überlebt und stößt in der Regierungspartei wieder vermehrt auf Zustim-mung. Auf der Stecke bleiben demokratische Teilhabe, religiöse Toleranz und die Achtung der Menschenrechte. Die internationalen Akteure, die die Umsetzung des CPA überwachen, müssen sicherstellen, dass diese im Friedensabkommen festgeschriebenen Grundwerte nicht geopfert werden, nur um kurzfristig die Konfliktparteien zu beschwichtigen.

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literatur

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chronologie

frühzeit

ca. 58.000 v. chr. Archäologische Untersuchungen weisen darauf hin, dass Hirten, Jäger und Fischer in der als Nubien bekannten Region leben; diese umfasst den Süden des heutigen Ägyptens und den Norden des heutigen Sudans.

8. Jh. v. chr. Das mächtige Reich von Kusch geht aus einer Abfolge früherer Königreiche hervor; seine Herrscher erobern zeitweise Oberägypten und regieren über Theben.

nubische Königreiche und Sultanate

ca. 590 v. chr. Die kuschitische Dynastie wird in den Süden zurückgedrängt und verlagert ihr Machtzentrum nach Meroe.

6. Jh. n. chr. Byzantinische Missionare verbreiten das Christentum innerhalb der nubischen Aristokratie.

7. bis 15. Jh. Durch den Kontakt zur ägyptischen Oberschicht und zu arabischen Händlern sowie durch Mischehen wird der Islam zur dominanten Religion im Norden.

ca. 1630-1874 Das Fur-Sultanat kontrolliert den Westen des heutigen Sudans.

der Sudan unter fremdherrschaft

1821 Unter dem ottomanisch-albanischen Herrscher Muhammad Ali Pascha erobert Ägypten den nördlichen Sudan; seine Söhne annektieren schrittweise den Großteil des heutigen Territoriums.

1881-1899 Muhammad Ahmad («der Mahdi») führt eine Revolte gegen die ottomanisch-ägyptische Herrschaft an; seine Nachfolger kontrollieren weite Teile des Landes, bis sie von britischen Truppen besiegt werden.

1899-1956 Sudan wird als anglo-ägyptisches Kondominium regiert; de facto besetzen britische Beamte alle bedeutenden Posten in der Verwaltung. Die Kluft zwischen dem mehrheitlich arabisch und muslimisch geprägten Norden und dem schwarzafrikanischen, animistischen und christlichen Süden verstärkt sich, da die Regionen bis 1946 unter verschiedene Verwaltungen gestellt werden und christliche Missionare ihre Arbeit im Süden ausweiten.

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unabhängigkeit und Bürgerkriege

1956 Der Sudan erlangt seine Unabhängigkeit.

1955-1972 Im ersten sudanesischen Bürgerkrieg kämpfen Anyanya, das sind Rebellen aus dem Südsudan, gegen Regierungstruppen um eine größere Autonomie des Südens.

1958 General Ibrahim Abbud putscht gegen die neu gewählte Regierung unter Premierminister Abd Allah Khalil.

1964 Ausgehend von Studentenprotesten sowie einem Generalstreik bringt die Oktoberrevolution Abbuds Militärregime zu Fall; in den folgenden Jahren wechseln sich mehrere zivile Koalitionsregierungen ab.

1969 Dschafar Muhammad an-Numeiri führt einen erfolgreichen Staatsstreich an.

1972 Das Friedensabkommen von Addis Abeba beendet offiziell den ersten sudanesischen Bürgerkrieg und gewährt dem Süden Autonomie.

1983 Der zweite sudanesische Bürgerkrieg bricht aus; nachdem Numeiri die Autonomie des Süden untergräbt und Elemente der Sharia im ganzen Land einführt, nimmt die SPLM/A unter John Garang den Kampf gegen die Regierung auf.

1985 In einem Putsch durch eine Gruppe von Offizieren, angeführt von General Dhahab, wird Numeiri gestürzt.

1986 Eine zivile Koalitionsregierung unter Premierminister Sadiq al-Mahdi gewinnt die Wahlen.

1989 Die National Salvation Revolution unter der Führung von General Omar al-Baschir ergreift die Macht durch einen Militärputsch.

1993 Al-Baschir ernennt sich selbst zum Präsidenten. In den folgenden Jahren verwandelt er den Sudan zunehmend in einen totalitären Staat; die National Congress Party (NCP) wird zur einzigen Partei, die Mitglieder in Parlament und Regierung stellt.

1999 Der Sudan beginnt mit dem Export von Erdöl.

2002 Als Ergebnis einer Reihe von Friedensgesprächen unter der Schirmherrschaft der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) unterzeichnen die SPLM und die Regierung des Sudan das Machakos-Protokoll.

2003 Erste Angriffe von Rebellen in Darfur, gefolgt von einer gewaltsamen Gegenoffensive der Dschandschawid-Milizen, die angeblich mit Unterstützung der Regierung in Khartum handeln.

2004 Umfangreiche Militäroperation der Regierungstruppen in Darfur, gefolgt von einer humanitären Katastrophe in der Region und der weitläufigen Vertreibung von Darfuris.

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2005 Das Comprehensive Peace Agreement (CPA, auch als Naivasha Agreement bekannt) zwischen SPLM und der Regierung in Khartum beendet offiziell den zweiten sudanesischen Bürgerkrieg

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2005 März: Der UN-Sicherheitsrat beauftragt die United Nations Mission in Sudan (UNMIS), die Umsetzung des CPA zu unterstützen.Juni: Die Verfassung des Süd-Sudans wird unterzeichnet; John Garang tritt sein Amt als Vizepräsident Sudans an. Juli: Garang stirbt bei einem Flugzeugabsturz; Salva Kiir wird zu seinem Nachfolger ernannt.September: In Khartum wird eine Regierung der nationalen Einheit (Government of National Unity), und in Juba eine neue Regierung des Süd-Sudans ernannt.

2006 Mai: Die SLM-Minnawi unterzeichnet mit der Regierung in Khartum das Darfur Peace Agreement (DPA); andere Rebellengruppen lehnen das Friedensabkommen jedoch ab. November: Erneute Zusammenstöße zwischen Regierungstruppen und Soldaten der SPLM in der Gegend der Stadt Malakal fordern hunderte Tote.

2007 Juli: Der UN-Sicherheitsrat genehmigt die Entsendung von UNAMID, der ersten gemeinsamen Friedensmission von UN und AU, nach Darfur.Oktober-Dezember: Die SPLM wirft der National Congress Party (NCP) von Präsident al-Baschir vor, sich nicht an die Bestimmungen des CPA zu halten, und tritt zeitweise aus der gemeinsamen Regierung aus.

2008 April: Die landesweite Volkszählung beginnt; die Ergebnisse werden später von der SPLM angezweifelt. Juni: Nach wiederholten Gefechten zwischen SPLM und Truppen des Nordens um Abyei stimmen Al-Baschir and Salva Kiir einer internationalen Vermittlung zu (dem Abyei Roadmap Agreement).

2009 März: Der Internationale Strafsgerichtshof erlässt einen Haftbefehl gegen al-Baschir wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.Juli: Das Urteil des Ständigen Schiedsgerichtshofs über die Grenzziehung in der Region Abyei wird von beiden Seiten anerkannt.September: Die Nominierung der Kandidaten für die Wahlen 2010 beginnt.November: Die Registrierung der Wähler läuft an.

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2010 April: Nach mehrfacher Verschiebung finden die Präsidentschafts-, Parlaments- und Regionalwahlen statt, die von wichtigen Parteien und Kandidaten boykottiert werden; das aktuelle UNMIS-Mandat läuft aus.Juli: Das UNAMID-Mandat läuft aus.

2011 Referenden über den zukünftigen Status des Süd-Sudans sowie den zukünftigen Status von Abyei sind geplant.Juli: Die Übergangszeit des CPA endet.

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Wahlkommission)nif National Islamic FrontnuP National Unionist Partyoag Other armed groupsoda Official Development Assistance (Mittel der öffentlichen

Entwicklungszusammenarbeit)olf Oromo Liberation FrontoSZe Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa PcP Popular Congress PartyPdP People’s Democratic PartySaf Sudanese Armed Forces (Sudanesische Streitkräfte)Sanu Sudan African National UnionScP Sudanese Communist PartySlm Sudan Liberation Movement (Darfur)

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SPla Sudan People’s Liberation ArmySSlm Southern Sudanese Liberation MovementSSu Sudan Socialist UniontPlf Tigrayan People’s Liberation Frontunamid African Union – United Nations Mission in DarfurunamiS United Nations Advance Mission in Sudanunf United National Frontunhcr United Nations High Commissioner for Refugees (Hoher

Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen)unmiS United Nations Mission in SudanunSc United Nations Security Council (UN-Sicherheitsrat)uSaP Union of Sudan African Parties

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atta el-BattahaniProf. Dr. Atta El-Battahani ist Senior Advisor im Sudan-Programm des International Institute for Democracy and Electoral Asisstance (IDEA) und war von 2003 bis 2006 Direktor des Instituts für Politikwissenschaften an der Univer-sität Khartum. Er unterrichtet und publiziert u.a. zu Fragen der sudanesischen Politik und der ländlichen Entwicklung

sowie zum politischen Islam. El-Battahani berät regelmäßig sowohl regionale und internationale Organisationen als auch verschiedene NGOs; er ist zudem Partner des Gender Centre for Research and Training (GCRT), des Rift Valley Institutes (RVI) sowie von Partners in Development (PID).

roland marchalRoland Marchal ist Senior Fellow am Zentrum für Wissen-schaftliche Forschung (CNRS) in Paris und arbeitet dort für das Zentrum für Internationale Studien und Forschung (CERI / Sciences Po). Der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit ist das Horn von Afrika, insbesondere die Analyse der dortigen Politik und Konflikte. Marchal arbeitet regelmäßig

als Berater für verschiedene französische und internationale Organisationen, darunter die Weltbank, die EU und die Vereinten Nationen. Er war Chefredak-teur der Fachzeitschrift Politique Africaine.

marina PeterMarina Peter ist Direktorin von Sudan Focal Point – Europe, einem internationalen ökumenischen Netzwerk unter Schirm-herrschaft des Weltkirchenrats. In dieser Funktion beobach-tete sie die Friedensverhandlungen von IGAD und Afrikani-scher Union sowie den «People to People»-Friedensprozess im Süd-Sudan. Marina Peter berät regelmäßig deutsche und

internationale Organisationen und hat in zahlreichen Büchern und Fachzeit-schriften zum Sudan und zu Fragen der Konfliktbearbeitung publiziert. Im März 2008 erhielt sie in Anerkennung ihrer Arbeit das Bundesverdienstkreuz.

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Peter SchumannPeter Schumann ist Senior Fellow an der Universität Konstanz, wo er vor allem zu internationalen Friedenseinsätzen und deren strategischen und operativen Aspekten arbeitet. Bis August 2007 war Schumann Regional Coordinator and Representative der United Nations Mission in Sudan (UNMIS) im Süd-Sudan. Zuvor arbeitete er als Director of Civil Affairs

(2004-2005) sowie als Chief of Staff (2005-2006) der Mission. Schumann stand mehr als 25 Jahre im Dienste der Vereinten Nationen und war in dieser Zeit regelmäßig Mitglied von UN-Friedensmissionen, so im Kosovo und in Somalia.

alex de WaalDr. Alex de Waal ist Programmdirektor am Social Science Research Council und Senior Fellow der Harvard Humanita-rian Initiative. Er ist Autor bzw. Herausgeber von 13 Büchern mit Schwerpunkt Sudan. Zuletzt erschien von ihm Darfur: A New History of a Long War (2008, mit Julie Flint). In den Jahren 2005-6 und 2009 fungierte de Waal als Berater der Afrikani-

schen Union bei den Friedensverhandlungen für Darfur. Die Magazine Prospect und Foreign Policy zählten ihn zu den hundert wichtigsten öffentlichen Intel-lektuellen (2008), der Atlantic Monthly zu einer Gruppe von 27 «Brave Thinkers» (2009).

dr. John g. nyuot YohDr. John G. Nyuot Yoh ist Dozent für afrikanische und interna-tionale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Univer-sität von Südafrika in Pretoria. Von 1997 bis 2003 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Royal Institute for Inter-Faith Studies in Amman, Jordanien. Yoh reist regelmäßig in den Süd-Sudan und ist Autor zahlreicher Bücher und Artikel

zur sudanesischen und afrikanischen Politik, zu Fragen von Konfliktbearbei-tung und Konfliktlösung sowie zum Thema Christentum und Islam in Ostafrika. Zuletzt erschien von ihm South Sudan: Prospects and Challenges (2009).

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