Südsudan: Im Kampf gegen Mangelernährung

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51 Heilberufe / Das Pflegemagazin 2013; 65 (11) PflegeKarriere Im Auslandseinsatz Seit 20 Jahren herrscht im Südsudan Bürgerkrieg. In dem seit nun- mehr zwei Jahren eigenständigen Staat fanden daher riesige Flücht- lingsbewegungen statt. Christiane Jungermann arbeitete im Flücht- lingslager Jamam. Dort begegneten ihr viel Elend, Krankheiten, aber auch Lebenslust und Freundlichkeit. S chon während meiner Ausbildung zur Krankenschwester hatte ich den Wunsch, in Afrika zu arbeiten. Es war eine Kombination aus Idealen, dem Wunsch, das Leben und Arbeiten unter einfachsten Bedingungen kennen zu lernen und mit geringen Mitteln viel zu erreichen. Ich wollte meine Zeit und Kraft für sinnvolles Tun einsetzen. Doch mein Leben verlief, dass ich meinen Wunsch erst 25 Jahre später umsetzen konnte. Im vergangenen Jahr war es endlich soweit: ich durfte für Ärzte ohne Grenzen in einem erst kürzlich errichte- ten Flüchtlingslager im Südsudan arbei- ten. Regen und Dürre Das Flüchtlingslager Jamam, in dem ich arbeitete, befand sich in der Maban Regi- on, im Nordosten des Südsudan. Ver- gleichbar mit dem Irgendwo im Nirgend- wo. Die muslimischen Flüchtlinge in un- serem Lager kamen aus der Grenzregion zum Sudan. Allein im Juni 2012 gab es dort 35.000 Neuankömmlinge, was die Kapazität des Lagers sprengte. Während der Regenzeit ist die Maban Region überschwemmt und wird zu einem riesigen Sumpfgebiet. Das Wasser kann nicht abfließen und überall bilden sich kleine Seen aus stehendem Gewässer – die ideale Brutstätte für Moskitos. Kein Wunder, dass die Malaria-Erkrankungen in diesem Zeitraum explosionsartig zu- nehmen. In der Trockenzeit dagegen stei- gen die Temperaturen auf bis zu 50 Grad Celsius an, und die Landschaft wandelt sich in ein lebensfeindliches, verdorrtes, staubiges Ödland. Die einheimische Be- völkerung lebt deshalb hier nur sehr ver- einzelt. Aus all diesen Gründen wurde im August 2012 mit der Umsiedlung von 15.000 Menschen in ein neu errichtetes Lager begonnen, das weniger gefährdet ist, überschwemmt zu werden. Wasser und Latrinen Die größte Herausforderung bei der Er- richtung eines Lagers dieser Größenord- nung in einer solch unzugänglichen Ge- gend ist – neben der allgemeinen Logistik – die Bereitstellung von sauberem Wasser und der Latrinenbau. Einfachste hygie- nische Standards müssen gewährleistet sein, um die Ausbreitung von Infektions- krankheiten zu vermindern. Zunächst aber fand alles unter provisorischen Um- ständen in Zelten statt: Es gab eine Am- bulanz für die medizinische Versorgung, Beratungen und Basis-Impfungen, zwei internistische Stationen, Schwangeren- vorsorge und Geburtshilfe, ambulantes und stationäres Ernährungsprogramm sowie drei ambulante Außenposten im Lager. Katastrophal war die hohe Anzahl der Durchfallerkrankungen, von chronischer Mangelernährung, von Malaria sowie In- fekten der oberen und unteren Atemwege. Auch ein später folgender Ausbruch von Hepatitis E und die häufigen Brandver- letzungen bei Kindern, die wegen der offenen Feuerstellen regelmäßig passier- ten, machten uns oft hilflos. Die Krank- heits- und Sterblichkeitsrate im Lager Jamam war eklatant hoch. DOI: 10.1007/s00058-013-1102-4 Zwei Milliarden Menschen leiden an Mangelernährung Mangelernährung wird durch das Fehlen wichtiger Nährstoffe verursacht: Das Wachs- tum von Kindern gerät dadurch ins Stocken und die Anfälligkeit für allgemeine Krank- heiten nimmt zu. Das kritische Alter für Mangelernährung liegt zwischen sechs Monaten – ab dem Zeitpunkt stillen viele Mütter nicht mehr ausschließlich, sondern füttern zu – und zwei Jahren. Ebenso gefährdet sind Kinder unter fünf Jahren, Jugendliche, Schwan- gere oder stillende Frauen, Ältere und chronisch Kranke. Mangelernährung bei Kindern kann auf zweierlei Weise festgestellt werden: Entweder werden Gewicht und Größe ermittelt und in Zusammenhang gestellt oder es wird der mittlere Oberarmdurchmesser gemessen. Je nach Ergebnis erhalten die Kinder die Dia- gnose moderate oder schwere akute Mangelernährung. Ärzte ohne Grenzen verwendet verzehrfertige Nahrung, um Mangelernährung zu behandeln (ready-to-use-food). Sie enthält angereichertes Milchpulver und alle Nährstoffe, die ein mangelernährtes Kind benötigt, um die Mangelerscheinungen umzukehren und wieder an Gewicht zuzulegen. Diese Fertignahrung ist lange haltbar und benötigt keine weitere Zubereitung. Die Pro- dukte sind in jeder Umgebung anwendbar und ermöglichen, dass die Patienten zuhause behandelt werden – es sei denn, sie entwickeln schwere Folgeerkrankungen. Ärzte ohne Grenzen nahm im Jahr 2012 insgesamt 276.300 mangelernährte Patienten in die Ernäh- rungsprogramme auf. www.aerzte-ohne-grenzen.de Unter anderen Umständen Südsudan: Im Kampf gegen Mangelernährung

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51Heilberufe / Das P�egemagazin 2013; 65 (11)

PflegeKarriere Im Auslandseinsatz

Seit 20 Jahren herrscht im Südsudan Bürgerkrieg. In dem seit nun-mehr zwei Jahren eigenständigen Staat fanden daher riesige Flücht-lingsbewegungen statt. Christiane Jungermann arbeitete im Flücht-lingslager Jamam. Dort begegneten ihr viel Elend, Krankheiten, aber auch Lebenslust und Freundlichkeit.

Schon während meiner Ausbildung zur Krankenschwester hatte ich den Wunsch, in Afrika zu arbeiten. Es

war eine Kombination aus Idealen, dem Wunsch, das Leben und Arbeiten unter einfachsten Bedingungen kennen zu lernen und mit geringen Mitteln viel zu erreichen. Ich wollte meine Zeit und Kraft für sinnvolles Tun einsetzen. Doch mein Leben verlief, dass ich meinen Wunsch erst 25 Jahre später umsetzen konnte. Im vergangenen Jahr war es endlich soweit: ich durfte für Ärzte ohne Grenzen in einem erst kürzlich errichte-ten Flüchtlingslager im Südsudan arbei-ten.

Regen und DürreDas Flüchtlingslager Jamam, in dem ich arbeitete, befand sich in der Maban Regi-on, im Nordosten des Südsudan. Ver-gleichbar mit dem Irgendwo im Nirgend-wo.

Die muslimischen Flüchtlinge in un-serem Lager kamen aus der Grenzregion zum Sudan. Allein im Juni 2012 gab es dort 35.000 Neuankömmlinge, was die Kapazität des Lagers sprengte.

Während der Regenzeit ist die Maban Region überschwemmt und wird zu einem riesigen Sumpfgebiet. Das Wasser kann nicht abfließen und überall bilden sich kleine Seen aus stehendem Gewässer – die ideale Brutstätte für Moskitos. Kein Wunder, dass die Malaria-Erkrankungen in diesem Zeitraum explosionsartig zu-nehmen. In der Trockenzeit dagegen stei-gen die Temperaturen auf bis zu 50 Grad

Celsius an, und die Landschaft wandelt sich in ein lebensfeindliches, verdorrtes, staubiges Ödland. Die einheimische Be-völkerung lebt deshalb hier nur sehr ver-einzelt. Aus all diesen Gründen wurde im August 2012 mit der Umsiedlung von 15.000 Menschen in ein neu errichtetes Lager begonnen, das weniger gefährdet ist, überschwemmt zu werden.

Wasser und LatrinenDie größte Herausforderung bei der Er-richtung eines Lagers dieser Größenord-nung in einer solch unzugänglichen Ge-gend ist – neben der allgemeinen Logistik

– die Bereitstellung von sauberem Wasser und der Latrinenbau. Einfachste hygie-nische Standards müssen gewährleistet sein, um die Ausbreitung von Infektions-krankheiten zu vermindern. Zunächst aber fand alles unter provisorischen Um-ständen in Zelten statt: Es gab eine Am-bulanz für die medizinische Versorgung, Beratungen und Basis-Impfungen, zwei internistische Stationen, Schwangeren-vorsorge und Geburtshilfe, ambulantes und stationäres Ernährungsprogramm sowie drei ambulante Außenposten im Lager.

Katastrophal war die hohe Anzahl der Durchfallerkrankungen, von chronischer Mangelernährung, von Malaria sowie In-fekten der oberen und unteren Atemwege. Auch ein später folgender Ausbruch von Hepatitis E und die häufigen Brandver-letzungen bei Kindern, die wegen der offenen Feuerstellen regelmäßig passier-ten, machten uns oft hilflos. Die Krank-heits- und Sterblichkeitsrate im Lager Jamam war eklatant hoch.

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Zwei Milliarden Menschen leiden an Mangelernährung

Mangelernährung wird durch das Fehlen wichtiger Nährstoffe verursacht: Das Wachs-tum von Kindern gerät dadurch ins Stocken und die Anfälligkeit für allgemeine Krank-heiten nimmt zu. Das kritische Alter für Mangelernährung liegt zwischen sechs Monaten – ab dem Zeitpunkt stillen viele Mütter nicht mehr ausschließlich, sondern füttern zu – und zwei Jahren. Ebenso gefährdet sind Kinder unter fünf Jahren, Jugendliche, Schwan-gere oder stillende Frauen, Ältere und chronisch Kranke.Mangelernährung bei Kindern kann auf zweierlei Weise festgestellt werden: Entweder werden Gewicht und Größe ermittelt und in Zusammenhang gestellt oder es wird der mittlere Oberarmdurchmesser gemessen. Je nach Ergebnis erhalten die Kinder die Dia-gnose moderate oder schwere akute Mangelernährung. Ärzte ohne Grenzen verwendet verzehrfertige Nahrung, um Mangelernährung zu behandeln (ready-to-use-food). Sie enthält angereichertes Milchpulver und alle Nährstoffe, die ein mangelernährtes Kind benötigt, um die Mangelerscheinungen umzukehren und wieder an Gewicht zuzulegen. Diese Fertignahrung ist lange haltbar und benötigt keine weitere Zubereitung. Die Pro-dukte sind in jeder Umgebung anwendbar und ermöglichen, dass die Patienten zuhause behandelt werden – es sei denn, sie entwickeln schwere Folgeerkrankungen. Ärzte ohne Grenzen nahm im Jahr 2012 insgesamt 276.300 mangelernährte Patienten in die Ernäh-rungsprogramme auf.

www.aerzte-ohne-grenzen.de

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Mit Plumpy nut gegen MangelernährungChronische Mangelernährung ist im Süd-sudan eine der häufigsten Todesursachen bei Kindern. Sie schwächt das Immunsy-stem und die inneren Organe. So entste-hen oft zusätzliche Infektionskrankheiten, wie Lungenentzündungen und Durchfäl-le. Ich arbeitete im ambulanten Ernäh-rungszentrum (ATFC, Ambulatory The-rapeutic Feeding Centre). Mein Team bestand aus acht nationalen Mitarbeitern. Wir versorgten anfangs wöchentlich mehr als 800 Kleinkinder mit starker Mangel-ernährung und später auch Schwangere und stillende Mütter. Besonders schwere Fälle nahmen wir sofort in das stationäre Ernährungsprogramm auf, um eine be-hutsamere und kontinuierliche Medika-mentenversorgung und Zusatzernährung zu gewährleisten.

Die ambulant versorgten Kinder be-stellten wir wöchentlich ein. Wir kontrol-lierten ihr Gewicht, überprüften ihren Gesundheitszustand und verordneten gegebenenfalls Medikamente. Die Eltern haben wir bezüglich der Ernährung und Hygiene beraten und gaben ihnen, je nach Gewicht des Kindes, eine therapeutische Zusatz-Fertignahrung, die „Plumpy nut“ heißt, für zu Hause mit. „Plumpy nut“ schmeckt ein bisschen wie flüssiges Snickers und ist bei den Kindern immer heiß begehrt. Nach sechs Monaten waren nur noch 300 Kinder im Programm, und selbst diese befanden sich erfreulicher-

weise in einem weitaus besseren Ernäh-rungs- und Gesundheitszustand.

Meine Aufgaben im Ernährungszen-trum gingen über die Versorgung der Patienten weit hinaus: Ich habe Arbeits-abläufe optimiert, Arbeit kontrolliert, neue Mitarbeiter angelernt, Mitarbeiter-Fortbildungen durchgeführt, Fertignah-rung und Medikamente bestellt. Zudem mussten regelmäßig Wochen- und Mo-natsberichte für Ärzte ohne Grenzen, das Welternährungsprogramm (WFP) und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) erstellt werden.

Trauma und FröhlichkeitUnser Compound, das Gelände, auf dem wir internationalen Helfer lebten, lag in-mitten des riesigen Flüchtlingslagers. Di-rekt daran angegliedert befand sich unser medizinisches Versorgungszentrum, das für alle kostenlos zugänglich war. Das Lager war aber so groß, dass die Men-schen teilweise mehrstündige Wege zu-rücklegen mussten, um die Krankensta-tionen zu erreichen. Dazu kam, dass ei-nige Flüchtlinge aufgrund ihrer Erlebnisse sichtbar verstört und traumatisiert waren. Trotzdem überwogen die freundlichen Gesichter und das fröhliche Lachen vor allem der Kinder. Den Sudanesen sind Begrüßungsrituale besonders wichtig: langes Händeschütteln, fröhliches Lachen, Fragen nach dem Befinden und nach der Familie. Typisch ist auch die überall statt-findende lautstarke Kommunikation. Es

wird über alles viel und heftig diskutiert. Auch als Patienten sind Sudanesen gedul-dig, fröhlich, gelassen, klaglos und sehr dankbar. Stationär aufgenommene Pati-enten werden immer von einem oder mehreren Angehörigen begleitet. Diese schlafen mit im Patientenbett oder darun-ter und übernehmen deren Pflege.

Hektik scheint im Südsudan unbekannt und Schlafen am Tag ist weit verbreitet, beispielsweise um Wartezeiten zu über-brücken. Der afrikanische Spruch: „Ihr in Europa habt die Uhren, wir haben die Zeit“, beschreibt dies treffend. All das hat mich tief beeindruckt. Dieser Einsatz hat mich vieles gelehrt, in schwierigen Zeiten getröstet und mir geholfen, meine bishe-rige Sicht auf die Dinge zu überdenken. Die Entschleunigung und Dankbarkeit sind längst bei mir angekommen und ha-ben in meinem Leben wesentliche Spuren hinterlassen.

Christiane JungermannNutrition NurseAm Tiergarten 2934454 Bad Arolsen

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Nach Definition der Welternährungsorganisation (FAO) ist Hunger ein quantitativer Begriff: Hunger tritt ein, wenn die tägliche Energiezufuhr für einen längeren Zeit-raum unter dem Bedarf liegt, der für einen gesunden Körper und ein aktives Leben benötigt wird. Bei Kleinkindern wird durch chronische Unterernährung die geistige und körperliche Entwicklung unumkehrbar beeinträchtigt.