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Suhrkamp Verlag Leseprobe Bachmann, Ingeborg / Enzensberger, Hans Magnus »schreib alles was wahr ist auf« Der Briefwechsel Ingeborg Bachmann – Hans Magnus Enzensberger Herausgegeben von Hubert Lengauer © Suhrkamp Verlag 978-3-518-42613-5

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Suhrkamp VerlagLeseprobe

Bachmann, Ingeborg / Enzensberger, Hans Magnus»schreib alles was wahr ist auf«

Der Briefwechsel Ingeborg Bachmann – Hans Magnus EnzensbergerHerausgegeben von Hubert Lengauer

© Suhrkamp Verlag978-3-518-42613-5

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Ingeborg Bachmann – Hans Magnus Enzensberger

Der Briefwechsel

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Ingeborg BachmannWerke und BriefeSalzburger Bachmann Edition

Herausgegeben vonHans Höller und Irene Fußl

Unter Mitarbeit von Silvia Bengesser

Ein Editionsprojekt am Literaturarchiv SalzburgMit Unterstützung des Literaturarchivsder Österreichischen Nationalbibliothek

Redaktion: Raimund Fellinger(Suhrkamp Verlag)

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Ingeborg BachmannHans Magnus Enzensberger

»schreib alleswas wahr ist auf«

Der Briefwechsel

Herausgegeben von Hubert Lengauer

Piper Suhrkamp

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Diese Ausgabe wird von der Republik Österreich,Bundeskanzleramt gefördert.

Erste Auflage © Piper Verlag München, Berlin, Zürich

und Suhrkamp Verlag Berlin Alle Rechte vorbehalten, insbesondere

das der Übersetzung, des öffentlichen Vortragssowie der Übertragung durch Rundfunk undFernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des

Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie,Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftlicheGenehmigung des Verlages reproduziert oder unterVerwendung elektronischer Systeme verarbeitet,

vervielfältigt oder verbreitet werden.Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,Waldbüttelbrunn

Druck: Pustet, RegensburgPrinted in Germany

ISBN ----

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Hans Höller / Irene Fußl

Vorwort

… denn die Briefe werden immer rarerund der Schreiben werden immer mehr.

Bachmann an Enzensberger, . Mai

I

Ingeborg Bachmanns Briefwechsel mit Hans Magnus Enzens-berger gehört zu den schönsten Zeugnissen einer zuende ge-henden Kunst des Briefeschreibens. Die Idee der Freundschafthat hier zu einer eigenen Sprache gefunden. Eines ihrer Merk-male ist die nicht nur äußerliche Mehrsprachigkeit, das Hin-überwechseln von einer in die andere Sprache, vomDeutschenins Italienische, ins Englische, Französische, ins Schweizer-deutsche und ins Österreichische; oder das Spiel mit versteck-ten Literaturzitaten und Geheimcodes. Auch die Freude amVerwandeln und Sichverwandeln, das Komödienspiel undder Rollentausch sind in diesem Briefwechsel ähnlich wich-tig wie in ihren literarischen Werken.Es ist die Heiterkeit der Kunst des Schreibens, die dazu bei-trägt, das Schwere, die Niederlagen und das Scheitern mitzu-tragen. Enzensberger erweist sich in seinen Briefen als einerder verlässlichsten und verständnisvollsten Freunde IngeborgBachmanns. Er erkennt, wie nur wenige andere, die literari-sche und politische Intelligenz der Dichterin, verschließtauch nicht die Augen vor ihrem privaten Unglück, hilft ihrund will sie dazu bringen, auf sich selber zu achten und nicht

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zu verstummen. »freundlichkeit heißt das floß, das sehr stabilgebaut ist«, schreibt er ihr einmal (. August ). Und siewird ihm in der Zeit nach der Trennung von Max Frisch mit-teilen, dass sie nie Angst habe, wenn sie einen Brief von ihmaufmache, dabei habe sie sonst meistens Angst.

II

Am . November schrieb Hans Magnus Enzensbergerseinen ersten Brief an Ingeborg Bachmann. Es war für ihndas Jahr der bisher größten Erfolge. Anfang hatte derSüddeutsche Rundfunk (Stuttgart) seinen Radio-Essay DieSprache des Spiegel gesendet, der ihn berühmt machte; imHerbst erschien sein erster Gedichtband, verteidigung derwölfe. Wie nebenbei und in Klammern gesetzt, fragt er imBrief, ob sie ihn erhalten habe.Geboren am . November , hatte Enzensberger Endeder Vierzigerjahre in Nürnberg das Abitur abgelegt, dann ander Universität Erlangen studiert, ein Jahr auch in Paris ander Sorbonne. schloss er das Studiummit einer Doktor-arbeit über Clemens Brentano ab, ein Glanzstück poetologi-scher Analyse und ein Selbstentwurf seiner Dichterexistenz.Als er zum erstenMal an Ingeborg Bachmann schrieb, wurdeer in der literarischen Öffentlichkeit bereits als NachfolgerBrechts und Benns gehandelt, nur an Bachmanns und PaulCelans »tiefsinnige Evidenz« und ihr »bitteres Feuer«, so derLiteraturkritiker Joachim Kaiser am . Dezember imLiteraturblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, reiche ernoch nicht heran.Enzensberger und Bachmannhatten als junge Autoren in derzweiten Hälfte der Fünfzigerjahre vieles gemeinsam, und es

Vorwort

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verbanden sie berufliche und freundschaftliche Beziehun-gen, die sich über die Verlage, die Zeitschriften und vor al-lem über die Gruppe herstellten. Die kulturelle Öffentlich-keit der Bundesrepublik Deutschland, die sich damals aufEuropa hin öffnete, war auch für die Österreicherin IngeborgBachmann der größere, freiere Raum für ihre literarischeWirkung. Sie gehörte wie Enzensberger zu der jungen Gene-ration, die nach dem Sieg der Alliierten über Hitlerdeutsch-land ein nie zuvor in der Geschichte dagewesenes Gefühlder Befreiung und der Notwendigkeit kritischen Denkenserlebte, und nie davor war es einer Generation von Schrift-stellern und Künstlern, die nicht aus Großbürger- und Aris-tokratenfamilien stammten, möglich gewesen, so frei ihreLebensformen und Lebensräume in Europa wählen zu kön-nen.

III

Ingeborg Bachmannwar drei Jahre älter als Enzensberger, ge-boren am . Juni in Klagenfurt, der LandeshauptstadtKärntens. Ihre Kindheitslandschaft hat Bachmann später mitObervellach im Gailtal, dem Herkunftsort des Vaters, asso-ziiert, ein gemischtsprachiges Gebiet nahe der Grenze zumslowenischen Teil Jugoslawiens. Von dort, im Widerspruchzur »Grenzkampf«-Ideologie, gewann sie ihr Bewusstsein fürdie Sprache und für die Schönheit der Übergänge zwischenden Sprachen, ihre Utopie des Aneinandergrenzens der Völ-ker. Diese Herkunft und die drei Jahre Altersdifferenz bedeu-teten entscheidende Unterschiede in der Erfahrung von Kriegund Nationalsozialismus. Nach dem Krieg war Bachmannmit der Schwierigkeit konfrontiert, sich als schreibende Frau

Vorwort

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in den vonMännern beherrschten literarischen Institutionenzu behaupten, in Wien, wo der Patriarchalismus eine beson-ders subtile Form von Machtausübung angenommen hatte,konnte sie ihrerseits subtile Strategien der Indienstnahmeder Männer entwickeln. Aber in Wien und davor schon inKlagenfurt gab es Begegnungen mit jüdischen Überleben-den, die sie als ihre MentorInnen zu wählen verstand. Nochin den Briefen an Enzensberger sind geheime Anspielungenauf Zitate aus Ilse Aichingers utopischem NachkriegsromanDie größere Hoffnung () zu entdecken. In Wien traf sieim Frühjahr auch Paul Celan, eine Begegnung, die ihrLeben und Schreiben prägen sollte und die auch in ihrenBriefen an Enzensberger gegenwärtig ist. Diese Verflechtun-gen der Brieftexte mit der Biografie der beiden Briefpartner,mit Literatur und Politik hat Hubert Lengauer, der Herausge-ber des Briefwechselbandes, in seiner Kommentierung inden Blick gerückt. Mehrmals hat Ingeborg Bachmann auf sol-che »unterirdischen Querverbindungen« hingewiesen (GuI,S. ). Lengauers Kommentierungen geben einen Begriff da-von, wie allesmiteinander zu tunhat. Selbst imgescheitertenProjekt der europäischen Zeitschrift Gulliver, die auf ein Mit-einander der verschiedenen Sprachen und Literaturen hinar-beiten sollte, spiegelt sich, so gelesen, die bewusst artistischePolyglossie der hier vorgelegten Briefe.

IV

»schreib alles was wahr ist auf« – der Titel, den Hubert Len-gauer für den Briefwechselband wählte, findet sich in einemBrief von Hans Magnus Enzensberger, vermutlich AnfangDezember in Tjøme geschrieben. »alles was wahr ist«

Vorwort

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meint aber nicht dieWahrheit, es geht in diesem Briefwechselum die vielfältige, vielstimmige Wahrheit des Lebendigen,um die Liebe zum Leben und um die Krankheit, die zumTod führt, eines steht neben dem andern, plötzlich kann sichalles verwandeln, wenn das richtige Wort eintrifft, von demsich Bachmann getragen fühlt, oder wenn sie selber zu einemWort findet, das ihr ganz entspricht, und manchmal brichtbei ihr in den Briefen auch eine unbändige Lebenslust her-vor, ein »che gioia vivere« (. Juli ).Am ›Pfingstsonntag‹ [] schreibt sie ihm aus dem schwei-zerischen Uetikon ihren großenWunsch, mit ihm »über alles[zu] reden«, »sogar über das Schreiben, sogar über Gedichteund wie alles veränderbar wäre, […] und was zu tun ist undwarum, ohne Plan undVoraussetzung und erstarrte Ansicht.«Diesen Wunsch, der dem Briefwechsel zugrunde liegt, möch-te die vorliegende Edition an die Leserinnen und Leser wei-tergeben.

Vorwort

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. Hans Magnus Enzensberger an Ingeborg Bachmann,

Stranda, . November

november liebe ingeborg – geraten sie nicht in sorge, texas ist nur einvorwand. manchmal höre ich von ihnen, aus den zeitungen,oder ganz einfach, indem ich das ohr an die tischplatte lege.natürlich ist es ziemlich undeutlich. zum beispiel, ob esetwas ist mit dem fernsehen, mit münchen, und mit demschreiben, oder ob es nichts ist, das geht aus dem bißchen rau-schen nicht hervor. hier ist es vier stunden am tag heller alsdas ganze mittelmeer, es ist so hell daß einem die augen weh-tun, dann kommt eine heftige dämmerung (es ist fast wieeine sonnenfinsternis), und dann ist es ziemlich lang nacht.ich arbeite trotzdem sehr wenig. immer diese gedichte![hat suhrkamp sie ihnen geschickt? ich bat darum] stückemüßteman schreiben. aber ich bin faul. jawohl faul. ich habeangefangen, neben den täglichen hiobs- und schreckensnach-richten aus den zeitungen jean paul zu lesen. es ist glaube ichein zeichen der reife. ist es mit ihnen auch schon soweit ge-kommen? wir sollten einmal, das wäre erheiternd, zusam-men ein buchmachen, ein buch das fliegen kann. eine mont-golfière. zur widerlegung des raketenzeitalters, aber nichtnur dazu. sondern auch aus daffke. schreiben sie mir bitte,wie es ihnen geht,mang.

stranda/norwegen

Brief

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. Hans Magnus Enzensberger an Ingeborg Bachmann,

[Stranda], . Februar

. Februar (= Feber) liebe Ingeborg, ich habe mir wieder einmal schulfrei genom-men. Das hat überhaupt sehr eingerissen. Ich habe mir einenschönen Schafpelz gekauft, und wer so ein teures Stück aufdem Rücken hat, wie soll der es nötig haben zu arbeiten?Auch müssen wir immer aufpassen, daß der Ofen nicht aus-geht, oder die Tanaquil wirft ein paar Blumentöpfe herunter.Ihnen brauche ich ja gar nicht zuerklären, daß so etwas unge-heuer Kulturelles wie Bücherschreiben überhaupt nur geht,wenn man sich völlig konzentrieren kann, was allerdings sel-ten vorkommt. Beim Schneeschaufeln hat man dagegen ei-nen viel besseren Eindruck von sich selber, weilman so großeBerge zusammenbringt wie ein Manuskript von Balzac.Törichterweise habe ich angefangen, Kinderreime zu sam-meln, und das ist nicht gutgegangen: ich habe ziemlich baldangefangen, selber welche zumachen. Da kannman aus demVollen wirtschaften, und vor allem endlich einmal reimenwie ein Müller.Was macht Ihr Roman? Ich frage nur aus Rachsucht. Die Leu-te schreiben mir nämlich immer und wollen etwas über mei-nen Romanwissen, wie er vorwärtskommt etc. J’ai beau dire:n’existe pas, sie lächeln nur listig, zwinkern mit den Augenund denken sich: er muß schon eine Option haben! Also las-sen wir das, und ich frage lieber: was macht der neue Zim-merahorn? Ichmöchte ihn ganz gerne einmal sehen, ummei-ne Bedenken zu zerstreuen. Ich habe nämlich den Verdacht,Zimmerahorn ist eine Leitpflanze für Vorzimmer des geho-benen Dienstes. Botanik müßte man studieren. Ich war neu-

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lich in Uppsala (= Linné), aber es erinnert leider an Erlangen,eine herbe Enttäuschung.Ich glaube eigentlich nicht, daß Sie etwas für das Fernsehentun. Die Manuskripte, die Sie lesen sollen, werden einfachin eine der Schubladen gelegt. Damit ist dann allen Betei-ligten gedient, denn für das, was schließlich gesendet wird,sind doch gar keine Manuskripte nötig.Wir Alphabeten soll-ten da bescheiden sein und unsern Einfluß nicht über-schätzen.Heuer will ich nach Rom. Bisher habe ichmich nicht getraut.Mit wirklichen Städten gibt es immer harte Kämpfe, bis sieeinen akzeptieren. Mit Paris habe ichmich ein halbes Jahr ge-schlagen, seitdem verstehen wir uns ganz gut. Mit Kopen-hagen habe ich mir schon am zweiten Tag Vertraulichkeitenerlaubt. Aber Rom wird eine harte Nuß sein. Ich habe denVerdacht, daß ihr Hochmut nicht von schlechten Eltern ist.Wissen Sie etwas über die Villa Massimo? Gibt es da ein Ge-meinschaftsleben? Das würde ich nämlich nicht aushalten.Ist September ein guter Monat? Wenn wir da noch leben.Sie sollten wieder einmal einen Preis kriegen, finde ich. Esist zwar im Moment etwas peinlich, besonders die Anspra-chen, (die Abiturfeier für Schröder muß fürchterlich gewe-sen sein!) aber ich möchte daß Sie hinfahren können, woSie Lust haben. Und vielleicht eine Oper schreiben, odereinen Brief.Leben Sie wohl und schön begrüßt,Ihrmang

Brief

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. Ingeborg Bachmann an Hans Magnus Enzensberger,

München, . Juni

Franz Josefstrasse aMünchen

den . Juni Lieber Mang,ich bin ganz konsterniert, ich weiss nicht, ob ich Ihnen schongeschrieben habe oder nicht, ob ich Ihren Februarbrief beant-wortet habe. Hier liegt nämlich unter meinen Papieren einhalber Brief an Sie, etwas ramponiert, und ich weiss noch,dass ich ihn deswegen noch einmal schreiben wollte. Habeich ihn geschrieben?? Am Ende gar abgeschickt?! Dann wärees nämlich sehr dumm, wenn Sie seine eine Hälfte noch ein-mal bekämen – in diesem Brief habe ich Ihnen zu Rom gera-ten, trotz allem, Ihnen gesagt, dass die Villa Massimo, wennSie es nicht wollen, kein Gemeinschaftsleben hat etc. Die an-deren Sätze sind nicht wichtig, sondern mehr holder Un-sinn.Übermorgen fahre ich weg, bis zum . September wahr-scheinlich, und ohne Hinterlassung einer Adresse, denn dieletzten Wochen haben mich so schreibwillig und unsocialwerden lassen mit ihren Abhaltungen, Zumutungen, Fern-sehfluten, Besucherwogen, dass ich mir nicht anders zu hel-fen weiss.Ich dachte schon, ich würde nie wieder eine Zeile schreiben,aber seit ich weiss, dass ich wirklichwegkann, fängt es wiederan, und ich möchte gerne brüllen wie der Löwe von derMGM, nachdem er die Aktualitäten verschlungen hat undden Hauptfilm ankündigt.Was aber tun Sie? Und was schreiben Sie bloss? Machen Sie

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nur noch Reime für Tanaquil? Und was macht Ih r Roman?(es heisst aber, glaube ich: comment va Votre roman? – voirePaludes.) Ich traue mich noch immer nicht, aber wenn Siesich trauen, über und in diese Gattung zu stolpern, dannwürd ich mich vielleicht auch trauen, und wir können unsnachher gegenseitig die gebrochenen Genicke gipsen.Ich hätte Ihnen gern mein Hörspiel geschickt, habe aber kei-ne Kopie, dafür kommt es im Herbst heraus, als »schmalesBändchen«. Gestern hat eine Dame schon den Verlag danachgefragt, in ihrer Eigenschaft als Frau und Mutter, wie sie sichausdrückte, um sich vergewissern zu können, ob es wirklichso zersetzend! sei, wie sie es beim Zuhören empfand. Ichweiss daher nicht, ob Sie, als Mann und Vater, etwas damitanfangen können werden.Ich möchte Sie gerne und bald wiedersehen! Vielleicht fahreich imHerbst nach Italien und sehe Sie in Rom.Wie lang blei-ben Sie dort?! Bitte schreiben Sie mir Anfang September hier-her ein Wort!Viel Liebes! Ihre Ingeborg

. Hans Magnus Enzensberger an Ingeborg Bachmann,

[Nürnberg, Sommer ]

liebe ingeborg – obwohl ich inmeinem herzen daran zweifledaß sie wirklich – wie zögernd verheißen – ende septembernach münchen zurückreisen – dies zur nachricht, daß ichnicht nach norwegen zurückfahren mag ohne sie getroffenzu haben und daß ich im oktober noch einmal in der franzjosef straße läuten werde. vielleicht könnten sie – après votre

Brief -

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rentrée – mir noch mit einer zeile nachricht geben [kessler-straße nürnberg] oder mich, da ich ihr telefon nicht weiß,anläuten []. nürnberg ist scheußlich, auchmeinemanu-skriptfabrik macht keine freude. so harre ich ziemlich unhei-ter. buchmesse auch noch, ach ja.ihr mang

. Ingeborg Bachmann an Hans Magnus Enzensberger,

Neapel, . Juli

Via Generale Parisi Napoli

. Juli Lieber Mang,ich bin in Neapel und bleibe hier bis Anfang September. Bit-te schreiben Sie mir, ob Sie nach N. kommen könnten, michansehn nebenbei und vor allem diese wunderbare Stadt, diesehr schwierig ist, aber nicht, wennman an der Hand genom-men und durchgeführt wird. Ich würde Sie durchführen.(Wenn es sich vermeiden läßt, dann sagen Sie bitte niemandausdrücklich, daß ich hier bin, nur weil ich so gern einmalRuhe hätte, aber auch niemand kränken möchte.)Schreiben Sie mir bitte ein Wort.IhreIngeborg