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Suhrkamp Verlag Leseprobe Beckett, Samuel »Was bleibt, wenn die Schreie enden?« Briefe 1966-1989 Herausgegeben von George Craig, Martha Dow Fehsenfeld, Dan Gunn, Lois More Overbeck Aus dem Englischen von Chris Hirte © Suhrkamp Verlag 978-3-518-42837-5

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Suhrkamp VerlagLeseprobe

Beckett, Samuel»Was bleibt, wenn die Schreie enden?«

Briefe 1966-1989Herausgegeben von George Craig, Martha Dow Fehsenfeld, Dan Gunn, Lois More Overbeck

Aus dem Englischen von Chris Hirte

© Suhrkamp Verlag978-3-518-42837-5

SV

SAMUEL BECKETT

Was bleibt,wenn die Schreie enden?

BRIEFE 1966-1989

Herausgegeben von George Craig (Editor),Martha Dow Fehsenfeld (Founding Editor),

Dan Gunn (Editor) undLois More Overbeck (General Editor)

Für die deutschsprachige Ausgabe übersetztund eingerichtet von Chris Hirte

Suhrkamp Verlag

Titel der im Verlag Cambridge University Press, Cambridge, veröffentlichtenOriginalausgabe: The Letters of Samuel Beckett. Volume IV: -

Erste Auflage © der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin

© The Estate of Samuel Beckett Einführung und Anmerkungen:

© George Craig, Martha Dow Fehsenfeld,Dan Gunn und Lois More Overbeck

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das desöffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk

und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages

reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH,WaldbüttelbrunnDruck: C.H. Beck. Nördlingen

Printed in GermanyISBN ----

Was bleibt, wenn die Schreie enden?

Brief von Samuel Beckett an Harold Pinter, . April

INHALT

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Vorwort von George Craig . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dan Gunn, Einführung zu diesem Band . . . . . . . . .

Chris Hirte, Vorbemerkung des Übersetzers . . . . . . . .

Briefe - . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Nachtrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kurzporträts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Verzeichnis der Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . .

Verzeichnis der Vornamen . . . . . . . . . . . . . . . . .

Verzeichnis der in diesem Band erwähnten Texte Becketts .

Verzeichnis der Abkürzungen und Archivquellen . . . . .

Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . .

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Bibliographie und Internetquellen . . . . . . . . . . . . .

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

E INFÜHRUNG

In den letzten vierundzwanzig Jahren seines Lebens, den Jahren-, die von diesem vierten Band der Briefausgabe abgedecktwerden, bewahrt die schriftliche Korrespondenz für Beckett ihre un-verminderte Bedeutung. Nie ein Freund des Telefonierens, sind undbleiben Briefe seine wichtigste Verbindung zu allen Kontakten au-ßerhalb der unmittelbarenUmgebung, das um somehr, wenn er, wieoft in jener Zeit, in Ussy oder auf Reisen ist, bis ihn Krankheit undGebrechlichkeit abMitte der achtziger Jahre zunehmend unbeweg-lich machen und in Paris festhalten. Der Gesamtumfang der ausdem Zeitraum bis erhaltenen Briefe beträgt ca. Sei-ten, und das, obwohl sich Becketts Korrespondenz zunehmend aufkurzeMitteilungenbeschränkt.Nur noch selten äußert er sich so aus-giebig wie in den dreißiger Jahren (Band ), als er seinem FreundThomas MacGreevy regelmäßig lange Briefe schrieb, oder wie inden frühen Fünfzigern (Band ) in den Auseinandersetzungen mitdem Kunstwissenschaftler Georges Duthuit oder auch (Band ) An-fang der Sechziger, als die Korrespondenz mit Barbara Bray zurvollen Entfaltung gelangte. In den späteren Jahren dominiert beiBeckett die Kürze, manchmal bis zur äußersten Verknappung ge-trieben. Hunderte Briefe benennen nichts weiter als Ort und Zeiteiner geplanten Verabredung, häufig im Café gegenüber seinemWohnhaus auf dem Boulevard St. Jacques. » Uhr im Café Fran-çais des Hôtel PLM« wird zur Standardmitteilung, und fast ebensozahlreich sind die Absagen, die er – oft über seinen Verleger JérômeLindon – in die Welt schickt. »Nein« zu den Interviewanfragen, zuden Bitten um einen Beitrag oder zur Teilnahme an Festivals undEhrungen. Doch vor dem Hintergrund dieser zeitraubenden Rou-tinekorrespondenz wirken seine Briefe an Freunde, Verwandte undliterarische Verbündete um so lebendiger – gerade in ihrer Kürze.

Während die nachlassenden Kräfte auch beim Schreiben – wieer oft beklagt – immer mehr Anstrengung erfordern, steigt dieZahl der Briefschreiber, die von ihm Antwort erwarten, beständigan. Nimmt man sein Gefühl hinzu, daß die Zeit, die ihm für dieliterarische Produktion bleibt, rapide im Schwinden begriffen ist –ein Gefühl, das mit dem Beginn dieses vierten Bandes vorherr-schend wird –, läßt sich leicht nachvollziehen, warum seine Briefejetzt durch Knappheit und Direktheit charakterisiert sind. SeineZeit verrinnt – falls sie nicht schon abgelaufen ist. Wenn er jetztden Eindruck hat, sich am Rande des Überlebens zu bewegen,dann sicher auch im Bewußtsein, daß er schon immer ein Überle-bender war – oder sich so empfunden hat. Als er C.G. Jung am. Oktober in der Londoner Tavistock Clinic über den Falleiner Patientin berichten hörte, die das Gefühl hatte, »nie richtiggeboren zu sein«, war er verblüfft darüber, wie vertraut ihm dieseErfahrung vorkam.1 Die Echos seines Geburtstraumas ziehen sichdurch sein gesamtes Werk – »Geburt war ihm Tod«, beginnt EinStück Monolog (das in diesem Band eine Rolle spielen wird). Undmit Sicherheit wurde das Gefühl, ein Überlebender zu sein, durchseine Résistance-Erfahrung bestärkt, als es ihm mit knapper Notgelang, der Verhaftung zu entgehen und sich in die nichtbesetzteZone zu retten, bestärkt auch durch den Tod so vieler Résistance-Gefährten, durch den Verlust so vieler Freunde und Bekannterim Verlauf des Zweiten Weltkriegs und durch die Zerstörungen,die er selbst gesehen hatte, vor allem in der Stadt Saint-Lô, wo er für das Irische Rote Kreuz arbeitete, der »Hauptstadt der Rui-nen«, wie er sie nannte. tritt Beckett in sein siebtes Lebensjahrzehnt ein, und das

Gefühl, überlebt zu haben – so viele Freunde und vielleicht auchsich selbst –, macht sich immer stärker geltend. Nicht nur seine li-terarischen Texte, auch seine Briefe geben davon Zeugnis. Dochtrotz der Befürchtung – oder wie es manchmal scheint, der Über-zeugung –, daß er nichts mehr mitzuteilen hat, schreibt er weiter,Prosa, Gedichte, Dramatik für Bühne und Fernsehen:Der Verwai-ser, Trötentöne, Nicht ich, Damals, Tritte, Geister-Trio, . . . nur noch

Einführung

Gewölk . . ., Gesellschaft, Schlecht gesehen schlecht gesagt, Ein StückMonolog, Rockaby, Ohio Impromptu, Quadrat, Katastrophe, AufsSchlimmste zu,Nacht und Träume,Was wo, Immer noch nicht mehr.Es waren Jahre, in denen Werke von verzweifelter Dringlichkeit

und Schönheit auf ihre Vollendung warteten – und als sie geschrie-ben waren, umgeschrieben, zum Druck vorbereitet oder insze-niert und schließlich auch noch übersetzt wurden. Wenn solcheine Werkliste den Eindruck kontinuierlicher Hochleistung er-weckt, können die Briefe diesen Eindruck widerlegen, denn beiBeckett ist kaum etwas so unsicher wie das Schicksal des entste-hendenWerks. Die Briefe verweisen auf Becketts gelebte Realität –nämlich auf die Überzeugung, daß sein Schaffen mit annähern-der Sicherheit beendet ist – und zwar endgültig –, und damit auchsein Leben, das für ihn zunehmend mit seinem Werk zusammen-fällt. Die Briefe leisten das – und das macht sie so erstaunlich –,während sie auf ihre eigene Weise, oft klagend und humorvoll zu-gleich, von der Überraschung künden, daß der Überlebende so lan-ge durchgehalten und dabei schon wieder einen Freund verloren,schon wieder ein neues Stück Literatur angefangen hat.Versucht wurde in dieser Auswahl, Wiederholungen zu vermei-

den, das weniger Wichtige (Geschäftliches,Terminvereinbarungenund -absagen) hintanzustellen, die ganze Bandbreite der Adressa-ten zu erfassen, so viele Reflexionen über sein Werk aufzunehmenwie möglich und damit die Briefe zu präsentieren, die seine ver-schiedenen Ton- und Stimmungslagen wiedergeben – einschließ-lich all der wunderbaren sprachlichen Volten, mit denen er biszum Ende überraschte. Doch in Anbetracht der Diskrepanz zwi-schen der Gesamtzahl der Briefe aus den letzten vierundzwanzigJahren und der hier vorgelegten Auswahl ist es sicher angebracht,einen Eindruck von der Lektüre des gesamten Korpus zu vermit-teln. Dieser kann vielleicht am treffendsten als ein Staunen beschrie-ben werden – und als Trauer: Staunen über Becketts Beharrungs-kraft, auch über die absolute Hingabe, mit der er die verbleibendenJahre seiner Arbeit widmet; Trauer über das Näherrücken des Un-vermeidlichen, dem Beckett schon seit langem ins Auge blickt.

Einführung

Wenn sich dieser Abschlußband der Edition gestatten darf, persön-liche Empfindungen der Herausgeber mitzuteilen, dann sei erwähnt,daß für ein älteres Mitglied des Herausgeberteams jeder Tag derRelektüre des Gesamtkorpus in Tränen endete: Becketts unbarm-herzige Beobachtung des eigenen Verfalls, seine Art, ihn mit Wor-ten voranzutreiben oder aufzuhalten, ist atemraubend und, aufsGanze gesehen, fast niederschmetternd.Wenn doch nur fast, danndeshalb, weil selbst in der deprimierendsten Bankrotterklärung einGoldkörnchen konzentrierter Reflexion aufleuchtet, ein Gedan-kenblitz, der sprachliche und zwischensprachliche Räume öffnet:Becketts Zugriff auf die Wörter bleibt in all den Jahren des beklag-ten Niedergangs so hellsichtig und treffsicher wie eh und je. DieWörter bleiben, die Briefe bleiben – selbst wenn ihr Absenderweiß, daß er den Empfänger wahrscheinlich nie wiedersehen wird.Beckett hat in den letzten Jahrzehnten mit Vorliebe Briefkarten

oder Korrespondenzkarten mit aufgedrucktem Absender benutzt,wenn er seinen Freunden schrieb, oder – vorzugsweise, wenn erauf Reisen war –, Kunstpostkarten und Ansichtskarten. Eine Kar-te setzt der Mitteilung von vornherein Grenzen und scheint damitschon eine Entschuldigung zu implizieren. »Erlaß mir weiteres«,beendet er seine Mitteilungen des öfteren. Doch trotzdem bietendie Karten auch Erweiterungen in Gestalt eines Bilds, das seltenzufällig gewählt erscheint. Leider können die Dokumentbeschrei-bungen, die den Briefen folgen, den Reichtum dieser Zugaben nichtwiedergeben. Kunstpostkarten mit Caravaggios Die EnthauptungJohannes des Täufers, wie er sie bei seinem Aufenthalt auf Malta ver-schickte, stellen die Verbindung zurWelt der Malerei her, die nichtnur in diesem besonderen Fall unmittelbar in seine literarischeBildwelt hinübergreift. Ähnliches gilt für die Postkarten mit spä-ten Rembrandt-Porträts, die er im Alter verschickte.2

Mit der Art des Kommunizierens verändert sich auch der Rhyth-mus der Korrespondenz, und das hat Folgen für die Leser des vor-liegenden Bandes. Zunehmend geht Beckett dazu über, seine Postgesammelt zu erledigen. Immer öfter schreibt er über Wochen garnicht, dann an vier oder fünf Empfänger an einem Tag, oft zum

Einführung

selben Thema (und stellenweise auch identisch in Wortwahl undTonfall). Am auffälligsten wird das nach der Verleihung des Nobel-preises im Oktober – als er, schon verzweifelnd, an BarbaraBray schreibt: »In den letzten Wochen habe ich annähernd Karten, Mitteilungen & Danksagungsbriefe geschrieben.«3

Obwohl er sich glücklich schätzt, bei Bekanntwerden der Aus-zeichnung fern von Paris in Tunesien zu weilen, hat dies den Nach-teil, daß er auf den medialen Überfall mit all seinen Danksagungs-pflichten nicht in Person oder per Telefon reagieren kann, sondernnur in Gestalt von Briefen.Eine weitere Konsequenz des zunehmend sporadischen Briefe-

schreibens sind zeitliche Lücken, die den Leser öfter als zuvorveranlassen könnten, den biographischen Kontext mit Hilfe derZeittafeln herzustellen, zumal es in diesem letzten Band keinenHauptansprechpartner mehr gibt. Thomas MacGreevy, der wich-tigste Adressat seiner jüngeren Jahre, dem er die längsten und be-redtesten Briefe schrieb, stirbt kurz nach dem Beginn dieses Ban-des, Georges Duthuit, seit langem von Beckett entfremdet, stirbt. Zwar tauscht sich Beckett weiterhin mit Barbara Bray aus,aber nicht mehr so häufig und intensiv wie zuvor.Viele vertraute Freunde aus den früheren Bänden sind ihm den-

noch erhalten geblieben: Avigdor Arikha, Edward Beckett, JohnBeckett, Peggy Beckett, Kay Boyle, John Calder, Ruby Cohn,Jocelyn Herbert, Mary Hutchinson, Con Leventhal, Jérôme Lindon,Christian Ludvigsen, Patrick Magee, Stuart Maguinness, PamelaMitchell, Robert Pinget, Harold Pinter, George Reavey, BarneyRosset, Alan Schneider, Siegfried Unseld, Jacoba van Velde. NeueNamen bereichern den bereits weitgespannten Bekanntenkreis,meist sind es Künstler, die ihm helfen, seine Ausdrucksmöglichkei-ten zu erweitern – zum Beispiel die Maler Jasper Johns und LouisLe Brocquy, die Schauspieler Rick Cluchey, David Warrilow undBillie Whitelaw, hinzu kommen die Theater- und Fernsehregisseu-re Walter Asmus, Joseph Chaikin und Reinhart Müller-Freienfels,der Bibliophile Herbert Myron, der Schriftsteller Lawrence Shain-berg, der Philologe und Beckett-Biograph James Knowlson.

Einführung

Wenn Beckett einen seiner zahlreichen Bekannten erwähnt,dann meist nur mit Nennung des Vornamens. Damit nicht jederVorname bei jedem Vorkommen mit einer gesonderten Fußnoteaufgeschlüsselt werdenmuß, ist dem Band ein Verzeichnis der Vor-namen, Nicknames und Kurzformen angefügt.Eine weitere Besonderheit der späten Briefe Becketts besteht

vielleicht darin, daß die interessanteren Briefe vielfach an Empfän-ger gerichtet sind, denen er nicht besonders nahesteht, aber aus ver-schiedenen Gründen verbunden ist. Daher vergrößert sich in die-sem letzten Band die Zahl der Adressaten, und das ist auch einGrund dafür, weshalb die einzelnen Briefe nicht mehr als eigen-ständige Einheiten behandelt werden konnten: Es muß vorausge-setzt werden, daß die Leser die Briefe in ihrer zeitlichen Reihenfol-ge lesen und sich auf Informationen und Zusammenhänge stützenkönnen, die ihnen in den vorangehenden Briefen und den entspre-chenden Anmerkungen begegnet sind.Wenn also Beckett beiseinem Besuch der Stadt Tanger schreibt: »Einmal in die Stadt vor-gewagt trotz der Chukri & Bowles«, wird in der Fußnote auf einefrühere Erwähnung Mohamed Choukris verwiesen, weil diese be-reits erfolgte, während Paul Bowles, der erstmals erwähntwird, an dieser Stelle mit seinen Lebensdaten eingeführt wird. Am. März erwähnt Beckett in einem Brief an Ruby Cohn eineAusstellung von Henri Hayden. Diese wurde schon in einer An-merkung zu seinem Brief vom . Oktober verzeichnet, daherhier nicht noch einmal aufgegriffen. Wenn Namen, Fakten undZusammenhänge in den Anmerkungen nicht erläutert werden, istes daher immer sinnvoll, die vorangehenden Briefe in den Blickzu nehmen und dann, falls nötig, das Register zu Rate zu ziehen,mit dessen Hilfe Personennamen durch den ganzen Band verfolgtwerden können.Wichtig zu wissen ist auch, daß Beckett die empfangenen Briefe

meist nicht aufhob, so daß auch den Herausgebern die andere Sei-te der Korrespondenz unbekannt blieb. Doch es gibt Briefe, dieBeckett so wichtig waren, daß er sie aufbewahrte und den Entwurfseiner Antwort auf die Rückseite schrieb. Solche Korrespondenzen

Einführung

übergab er Martha Fehsenfeld, nachdem er sie zur Herausgeberinder Briefedition erkoren hatte. Aufbewahrt werden diese Briefe imArchiv der Emory University. Institutionen wie Verlage, Agenturen,Universitäten und auch einige Privatpersonen haben nicht nurBecketts Briefe, sondern auch ihre eigenen Schreiben archiviert,die folglich für die Edition konsultiert werden konnten.Kann schon die große Zahl der Adressaten in diesem Band ver-

wirrend anmuten, so erst recht der Umstand, daß Beckett bei sei-nen Datumsangaben nicht besonders penibel ist. Der zweite Bandenthielt viele Briefe, die sich zeitlich nur schwer fixieren ließen, dasie undatiert waren oder nur den betreffendenWochentag nannten.In den späteren Jahren nun geizt er nicht mit Datumsangaben,aber scheint sich wenig um die Korrektheit seiner Angaben zuscheren.Wo die Briefe zusammen mit den Umschlägen archiviertsind, können die Poststempel Auskunft geben, in den meisten Fäl-len hilft auch der Sachzusammenhang.Warum der skrupulöse Brief-schreiber Beckett bei seinen Datumsangaben so nachlässig verfuhr,bleibt ein Rätsel – außer man deutet dies als Merkmal seines »Spät-stils«, als Weigerung, sich den Zwängen der Chronologie zu unter-werfen, oder als Neigung, mit solchen Zwängen zu spielen, etwawenn er am . Februar auf einer Briefkarte aus Tunesiendas Datum des islamischen Kalenders nennt.Eine weitere Besonderheit der späten Briefe, die den Leser nicht

bekümmernmuß, aber dennoch Erwähnung verdient, ist die Hand-schrift ihres Verfassers. Die Briefe des dritten Bands, besonders inden Jahren der beginnenden Starerkrankung und der Dupuytren-Kontraktur, die seine Finger in »Klauen« verwandelte, stelltendie Herausgeber auf manch harte Probe. In den späteren Briefenscheint es nun kurioserweise so, als hätte sich die arthritische Ver-steifung seinerHände, die ihn zu einer kontrollierteren Federführungzwang, positiv auf die Lesbarkeit seiner Handschrift ausgewirkt.Nicht daß damit alle Entzifferungsprobleme beseitigt gewesen wären,wie sich an einem Beispiel demonstrieren läßt: Beckett schreibtam . April an Harold Pinter (seine Karte ist als Frontispizdieses Bandes abgedruckt): »Danke, daß Du mir Silence geschickt

Einführung

hast. Es gefällt mir großartig mit seinem gewagten und [unleser-lich] Ausdruck. Nur einen Monolog (beginnend S. »Ein langerWeg«) empfehle ich Dir zu überdenken.« Die Herausgeber habenin allen verfügbaren Wörterbüchern geforscht, um das fraglicheWort zu entziffern. »Numinous« (»numinos«) könnte sich in denKontext einfügen, will aber nicht zum Schriftbild des Wortes pas-sen, das eher auf ein »numerous« (»zahlreich«, »vielgestaltig«) deu-tet. Aber was kann, bezogen auf Pinters Dramentext, »precarious«(»gewagt«, »riskant«) und zugleich »zahlreich« sein?4 Ein anderesBeckett-typisches Wort wäre »umbrous« (»schattig«, »verdunkelt«),aber der erste Buchstabe ist eindeutig kein »u«. Mit Blick auf Pin-ters eigene Beschreibung seines Dialogstils als »eine notwendigeUmgehung, eine gewaltsame, hinterhältige, gequälte oder irrefüh-rende Nebelwand«5 hätten die Herausgeber auch für »cumbrous«(»beschwerlich«) votieren und ihre Zweifel mit einem angefügtenFragezeichen signalisieren können. Doch am Ende waren sie gehal-ten, sich für »unleserlich« zu entscheiden. Die Transkription derHandschrift ist voller Fallstricke, und mehr als einmal kommt esauch in den hier abgedruckten Briefen vor, daß sich BeckettsAdressaten über unleserlicheWörter oder Passagen beklagen. Dochinsgesamt wird Becketts Handschrift mit zunehmendem Alter les-barer – zum Glück, denn die Schreibmaschine benutzt er nur nochselten.Ein weiterer Aspekt verdient deshalb Erwähnung, weil er sich

durch seine Abwesenheit auszeichnet. In den Einführungen zuden ersten drei Bänden sahen sich die Herausgeber veranlaßt, diezeitgeschichtlichen Hintergründe dessen zu beleuchten, was inBecketts Briefen anklingt, aber nicht explizit zur Sprache gebrachtwird. Das waren vor allem die Abläufe des ZweitenWeltkriegs unddes Algerienkriegs, die ihn ohne Zweifel betrafen (wenn auch derAlgerienkrieg eher indirekt) und die sich auf die eine oder andereWeise in seinen literarischen Texten und Briefen niederschlagen. Inden späteren Jahren hingegen, als das Weltgeschehen nicht minderdramatisch verlief, findet man nur noch wenig davon in BeckettsBriefen wieder. Das heißt sicher nicht, daß er das Interesse an der

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Welt verloren hätte, daß er aufgehört hätte, Radio zu hören unddie Zeitung zu lesen, schon gar nicht, daß er das Weltgeschehenaus seinem literarischen Schaffen ausgeklammert hätte, wie alleinschon das Stück Katastrophe belegen kann, das er für den inhaftier-ten Václav Havel schrieb. Aber Becketts Freunde und Vertrautesterben nicht mehr an den Fronten, bei Fliegerangriffen oder imKonzentrationslager. Im Pariser Mai ist er krank und verläßtseine Wohnung nur selten, doch der Blick, den er von dort auf dieumkämpften Straßen wirft, ist nicht so sehr von Krankheit ge-prägt wie vom ironischen Abstand eines Mannes, der schonmehr –und Schlimmeres – gesehen hat.

Die von diesem Band erfaßte Zeitspanne ist mit Jahren bedeu-tend größer als in den Bänden davor, und mit Becketts Weltruhmwächst auch die Zahl seiner Adressaten. Da Beckett der Edi-tion seiner Briefe zustimmte und bald darauf mit den Recherchenzu dieser Ausgabe begonnen wurde, ist auch die Zahl der Adressa-ten, die konsultiert werden konnten, wesentlich größer als in denfrüheren Bänden. Ein Beispiel dafür ist Walter Asmus. Er assi-stierte Beckett bei den Inszenierungen im Berliner Schillertheaterund bei den Fernsehproduktionen des Süddeutschen RundfunksStuttgart. Er sprang für Beckett ein, als Rick Cluchey und derSan Quentin Drama Workshop ihre Auftritte im Dubliner AbbeyTheatre und später für das Adelaide Festival einstudierten, und erhielt die Zusammenarbeit mit Beckett bis zu dessen Tod aufrecht.Die Aufzeichnungen und Erinnerungen von Walter Asmus habenwesentlich zur Recherche beigetragen, und auch andere Theater-künstler konnten Erhellendes zu den Briefen beitragen, die sichauf ihre Produktionen beziehen, so wie Übersetzer und VerlegerFragen im Zusammenhang mit der Edition der Beckett-Werke klä-ren konnten. Die Nennung ihrer Namen in der Danksagung ist ei-ne nur unzureichende Anerkennung derer, die mit Beckett und sei-nem Werk gearbeitet haben und deren Mithilfe diese Edition sehrbereichert hat.

Einführung

Eine ausführliche Darlegung der Auswahl- und Editionsprinzipiensowie zur Vorgeschichte der Briefedition findet sich im erstenBand. Zwangsläufig wirken sich diese Prinzipien in unterschied-licher Weise aus, wenn sie auf unterschiedliche Materialien ange-wendet werden, daher mag es von Nutzen sein, wenn einige derImplikationen hier dargelegt werden, beginnend mit der bereits er-wähnten Disproportion zwischen dem Korpus der Briefe und derZahl der in die Auswahl aufgenommenen Briefe. Band enthält et-wa Prozent des Ausgangsmaterials, Band ungefähr Prozentund Band ungefähr Prozent. Im vorliegenden vierten Bandkonnten aus Platzgründen nur Prozent der verfügbaren Briefeberücksichtigt werden. Und doch enthält die Auswahl Prozentder Textmasse. Dies erklärt sich vor allem daraus, daß auf Tausen-de kurze Benachrichtigungen und Anweisungen verzichtet wurde.Außerdem wurden Hunderte markante oder informative Sätze undPassagen aus ansonsten weniger relevanten Briefen in die Anmer-kungen aufgenommen, wenn es sich von der Sache her anbot, undviele weitere werden in George Craigs Vorwort und der Einfüh-rung zu diesem Band zitiert. Doch obwohl kein Beckett-Brief un-erheblich ist und obwohl es sicher Gründe gibt, für einen weiterenBriefband zu plädieren, kann insgesamt konstatiert werden, daßnach bestemWissen der Herausgeber kein Brief ausgeschlossen wur-de, der neues Licht auf Becketts Werk oder Leben geworfen hätte.Ungeachtet dessen galt jedoch auch für diesen Band, daß

Becketts Wunsch, es sollten nur Briefe oder Passagen veröffentlichtwerden, die »für mein Werk von Belang sind«, so gut wie möglichrespektiert werdenmußte. Natürlich läßt eine solche Willenserklä-rung Raum für Interpretationen, erst recht, wennman sie nicht iso-liert betrachtet, sondern im Zusammenhang mit Becketts Selbst-verständnis sieht. Er wandte sich immer mit Schärfe gegen jedenVersuch, seine Arbeit als Beruf oder gar Karriere darzustellen, undstets ermahnte er sich und andere, sich vom Literaturbetrieb fern-zuhalten – auch wenn der junge Beckett, um seinenWeg in die Öf-fentlichkeit zu finden, ebenfalls gezwungen war, Zugeständnissezu machen: Er mußte Agenten und Verleger ansprechen, mit ihnen

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