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22 Von MATHIAS NINCK Wir wissen nie, wie ein Unternehmen arbeitet. Häufig wissen Unternehmen nicht einmal selber, wie sie arbeiten. Sie machen sich etwas vor, sie verwenden unauffällige, allgegenwärtige Begriffe wie Customer Care, die absichern sollen und gleichzei- tig nichts bedeuten, weil sie die Wirklichkeit unwirklich machen, gespenstisch. Im Briefkasten von Pierre Bosquet liegt am Frei- tagmorgen, dem 9. Dezember 2011, ein Brief, auf dem in Gross- buchstaben «Betreibungsandrohung» steht. Absender ist die Infoscore Inkasso AG in Schlieren. Pierre Bosquet wohnt am Stadtrand von Zürich, ein kinderfreundlicher Neubau, in der Nähe ein kleiner See, eine Autobahn, Äcker, er ist mit einer attrak- tiven Amerikanerin verheiratet, arbeitet in der Finanzindustrie. Ein Mittvierziger mit Schweizer Pass, in Frankreich geboren, der geschäftlich viel in den USA unterwegs ist. Von 2007 bis 2009 hat er mit Frau und Kindern in New York gelebt. «Es gibt eine Forderung von Sunrise Communications AG, Zürich. Wir muss- ten feststellen, dass Sie trotz unseren Mahnungen keine Zahlun- gen geleistet haben», schreibt Infoscore. Zur Hauptforderung von 72.45 Franken kommen hinzu: Zinsen (5 CHF), Betreibungs- BILD: MUSADEQ SADEQ (KEYSTONE/AP) Beim Barte des Propheten Sunrise? Eine Handyrechnung wird versehentlich nach Afghanistan geschickt. Dann beginnt ein Abenteuer.

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Von Mathias NiNckWir wissen nie, wie ein Unternehmen arbeitet. häufig wissen Unternehmen nicht einmal selber, wie sie arbeiten. sie machen sich etwas vor, sie verwenden unauffällige, allgegenwärtige Begriffe wie customer care, die absichern sollen und gleichzei-tig nichts bedeuten, weil sie die Wirklichkeit unwirklich machen, gespenstisch. im Briefkasten von Pierre Bosquet liegt am Frei-tagmorgen, dem 9. Dezember 2011, ein Brief, auf dem in Gross-buchstaben «Betreibungsandrohung» steht. absender ist die infoscore inkasso aG in schlieren. Pierre Bosquet wohnt am

stadtrand von Zürich, ein kinderfreundlicher Neubau, in der Nähe ein kleiner see, eine autobahn, Äcker, er ist mit einer attrak-tiven amerikanerin verheiratet, arbeitet in der Finanzindustrie. Ein Mittvierziger mit schweizer Pass, in Frankreich geboren, der geschäftlich viel in den Usa unterwegs ist. Von 2007 bis 2009 hat er mit Frau und kindern in New York gelebt. «Es gibt eine Forderung von sunrise communications aG, Zürich. Wir muss-ten feststellen, dass sie trotz unseren Mahnungen keine Zahlun-gen geleistet haben», schreibt infoscore. Zur hauptforderung von 72.45 Franken kommen hinzu: Zinsen (5 chF), Betreibungs- B

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Eine handyrechnung wird versehentlich nach afghanistan geschickt. Dann beginnt ein abenteuer.

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kosten (83 chF), Bonitätsprüfkosten (35 chF) und ein Verzugs-schaden (76 chF). «Damit sie ihre schuld ohne zusätzliche kos-ten bereinigen können, geben wir ihnen eine letzte Gelegenheit, die offene Forderung von 271.45 Franken iNNERt 5 taGEN zu überweisen. Bei Nichteinhaltung der Frist wird die Forderung auf dem Betreibungsweg geltend gemacht. Freundliche Grüsse.»

SchlafstörungenPierre Bosquet, der in Wahrheit anders heisst, hat seit sieben Jah-ren ein handy-abonnement bei sunrise. Zum treffen in einem schicken imbiss in der Zürcher innenstadt bringt er eine Mappe mit, lauter geordnete Dokumente, darunter: kontoauszüge. sie belegen, dass er alle Rechnungen an sunrise pünktlich bezahlt hat. Bosquet trinkt ein Rivella rot. Er strahlt Pfiffigkeit aus, und gleich-zeitig ist er ganz der smarte Geschäftsmann ohne Neigung, die Dinge aufzubauschen. Die Dokumente in der Mappe zeugen davon, sie sind in unaufgeregter Diktion verfasst. Er sagt: «ich habe nie einen hinweis erhalten, dass ich bei sunrise eine offene Rechnung hätte. Nie eine Mahnung. Für mich war klar, dass hier jemandem ein Versehen unterlaufen war. ich zweifelte nicht daran, dass es rasch geklärt wäre.» Zweieinhalb Monate, nachdem die Betreibungsandrohung in seinem Briefkasten gelandet war, begann er ein tagebuch zu schreiben — im internet. Er litt an schlafstörungen. Er fühlte sich verfolgt. «albtraum sunrise» heisst der Blog, er diente ihm als Ersatz für ein Gespräch mit dem Unternehmen, das mehr und mehr zum Gegner wurde; der Blog: ein kampfinstrument. Bosquets aufzeichnungen sind eine Geo-grafie des irrtums im Zeitalter moderner kommunikationsmit-tel. Der Pressesprecher von sunrise sagt: «Der inhalt des Blogs ist korrekt.»

Pierre Bosquet ruft gleichentags, also am 9. Dezember 2011, das inkassobüro in schlieren an und erfährt: Zwei Rechnungen, seine handy-Nummer betreffend und die Zeit von august bis oktober 2010, wurden nach afghanistan verschickt und nie be-glichen. Die beiden Rechnungen mit dem Gesamtbetrag von 72.45 Franken beziehen sich auf nicht näher ausgewiesene «Mobil-dienste». Die Mahnungen gingen ebenfalls nach afghanistan. «afghanistan ist bestimmt ein tolles Land», schreibt Pierre Bos-quet in seinem tagebuch, «doch de facto war ich dort noch nie.»

Während der nächsten 98 tage, also mehr als drei Monate lang, geschieht nun wiederkehrend und in Varianten das Fol-gende. Pierre Bosquet ruft die sunrise-hotline an (customer care). Er ruft das inkasso-Büro infoscore an. Er schreibt Briefe, an sunrise, an infoscore, normale und eingeschriebene. Er schreibt das immer Gleiche: Es liege ein Versehen vor. «Die For-derung von sunrise ist aus folgenden Gründen haltlos», schreibt er zum Beispiel in seinem zweiten Brief. «Erstens wohnte ich nie in afghanistan. Zweitens wohnte ich im Jahr 2010 auch nicht in New York. Drittens hatte ich im Jahr 2010 kein aktives handy. Das handy-abo, für das sie mich haftbar machen wollen, wurde per 1. Juli 2009 gekündigt. in der Beilage finden sie die entspre-chende kündigungsbestätigung.»

Pierre Bosquet kann alles belegen, und natürlich schickt er die Beweise mit. Wäre da einer, der es wissen will, die sache würde sich innert Minuten auflösen. Bei infoscore bedeutet man Bos-quet, dass man die Forderung auf jeden Fall geltend mache, afghanistan hin oder her. Eine inkassofirma prüft die Legitima-tion ihrer Forderungen nicht. Und bei sunrise ist entweder «gerade das system abgestürzt, rufen sie morgen wieder an» oder der hotline-Mitarbeiter bestätigt, dass alles in bester ordnung

sei, da er, Bosquet, ja alle Rechnungen bezahlt habe. Der Wunsch von Pierre Bosquet, man möge ihm das schriftlich geben, wird allerdings nie erfüllt. Nie erhält er einen solchen Brief. Und nie erhält er eine antwort auf eins seiner schreiben. Die ignoranz ist vollumfänglich. im Blog stehen sätze wie: «Nach den 5 tele-fonischen Fehlversuchen vom Vortag, mit sunrise in kontakt zu treten, startete ich heute meinen 6. Versuch. Es ist 08.46 Uhr. Doch es kommt wieder die Maschine, gefolgt von piep, piep, piep. klick. Durchtrennung der Verbindung.» oder: «Bis heute keine Reaktion von sunrise (= 88 tage des schweigens)». Einmal hatte Bosquet die 0800-Nummer angerufen, die man ihm bei Vertrags-abschluss für Notfälle angegeben hatte, es war Nachmittag, nor-male Bürozeit, er fotografierte den Zeitzähler, nach vier stun-den, drei Minuten und achtundfünfzig sekunden in der Warte-schlaufe legte er auf. Es war jetzt abends um halb acht, da ging ohnehin keiner mehr ran.

Die 13 000 Wörter, in die Bosquet seine Erlebnisse mit sun-rise gegossen hat, bezeugen seine Bemühungen, gehört zu wer-den. Der Leser erkennt zunehmende Ratlosigkeit, anzeichen von Verzweiflung. Der autor des Blogs gibt seine Gespräche mit hot-line-Mitarbeitern wieder, seine Erkundungen beim Betreibungs-amt, wie man sich gegen ungerechtfertigte Betreibungen weh-ren könne, er verdankt kommentare auf dem Blog, zitiert Juris-ten aus seinem Freundeskreis — und dann, am 13. März 2012, schreibt er überraschend: «ich werde heute Nacht sehr gut schla-fen können!» Er hat einen Brief des ombudsmannes für tele-kommunikation erhalten. Es wird ein schlichtungsverfahren eingeleitet.

Misstrauische FreundeNatürlich hat sunrise irgendwann das internet-tagebuch ent-deckt. Ein Blog ist wie ein Geschwür: hässlich, aber harmlos, ein gutartiger tumor. Natürlich hat er das Potenzial zur unkontrol-lierten Wucherung, und die Folgen sind gefürchtet: hektische Notoperationen und womöglich Nachbluten. Man muss parat sein, vor allem jetzt, wo die alarmlampen dunkelrot leuchten. Mit dem ombudsmann kommt die breite Öffentlichkeit. sunrise setzt ein «Expertenteam» (so der Pressesprecher) auf den Fall an.

am 15. März 2012 notiert Bosquet: «in kloten gelandet. Bin soeben aus dem Flugzeug ausgestiegen und habe mein iPhone angeknipst. Da habe ich doch tatsächlich eine Voicemail von sunrise erhalten. Daraus geht hervor: sunrise entschuldigt sich. sunrise will das inkassobüro stoppen. sunrise will mir einen Vor-schlag unterbreiten.» Da der anrufer, ein herr k., auf der Voice-mail keine Nummer hinterlassen hat, stellt Bosquet seine ant-wort an sunrise am abend ins Netz: «herr k. ich grüsse sie.»

Eintrag am 17. März: «Vielen Verwandten und Freunden fiel es schwer, mir überhaupt zu glauben. Es ist eine natürliche Reaktion, man vermutet, dass ich da wohl irgendetwas falsch gemacht habe und das nicht zugeben will. Man glaubt dem Unter-nehmen, nicht dem kunden. Diese Verdächtigungen erzeugten bei mir zusätzlichen stress.»

am 18. März findet Pierre Bosquet im Milchfach seines Brief-kastens:— 1 Entschuldigungsschreiben von sunrise. seinem konto werden 360 Franken gutgeschrieben. Der Brief endet wie folgt: «Über ein positives Update oder Entfernung ihres Blogs freuen wir uns und danken ihnen vorab dafür.»— 2 kinogutscheine — 2 sehr edle Flaschen Wein

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— 1 schreiben von infoscore aus schlieren: «in oben bezeich-neter angelegenheit teilen wir ihnen mit, dass das Verfahren auf Wunsch unseres kunden eingestellt wurde. Freundliche Grüsse.»

am 23. März 2012 ruft die sunrise-Marketingabteilung an.Frau F: «ich rufe sie an, um zu fragen, ob sie mit dem iPhone, das sie von uns haben, und auch ganz generell zufrieden sind.»herr Bosquet: «Mit dem iPhone bin ich zufrieden.»Frau F: «Und sonst?»Bosquet: «Der service ist katastrophal.»Frau F: «Ui, würkli? Warum?»Bosquet: «ich stelle fest, sie kennen meinen Fall nicht. Gehen sie mal auf meine internetseite www.albtraum-sunrise.com, dort sehen sie…Frau F: «ooooh-uuuu.»

am 19. april ruft die sekretärin des obersten sunrise-chefs an. oliver steil möchte Pierre Bosquet treffen. Bosquet no-tiert: «Dass der cEo meine Erfahrungen persönlich hören will, zeugt von Format, das schätze ich sehr.» Das Gespräch am 7. Mai dauert mehr als eine stunde, der cEo zeigt sich einfühl-sam und entschuldigt sich mehrmals. «in keiner art und Weise versuchte er, sich zu rechtfertigen, und er gab mir in allen Punk-ten vorbehaltlos recht», schreibt Bosquet. Die meisten Mit-arbeiter von sunrise, die in die angelegenheit involviert waren, sind inzwischen entlassen worden. oder haben gekündigt.

Der Afghanistan-LinkEinmal, es war im april 2012, hatte sich Pierre Bosquet für ein paar tage verwandelt, vom Banker zum investigativen Journa-listen. Er brauchte zwölf telefongespräche, bis er hatte, wonach er suchte: den afghanistan-Link. im Frühling 2010, als Bosquet nach seinem New York-aufenthalt bereits wieder in der schweiz lebte, hatte er sunrise beauftragt, seine alte handy-Nummer zu reaktivieren. Die Formulare musste er an abteilung B von sun-rise retournieren, doch es war abteilung a, mit der er vor sei-nem amerika-aufenthalt zu tun gehabt hatte, die seine handy-Nummer aktivierte und das abonnement dann an abteilung B übergab. abteilung B verschickte in der Folge korrekte Rechnun-gen an die neue schweizer adresse von Pierre Bosquet (am stadt-rand von Zürich), während abteilung a versehentlich eine siM-karte und Rechnungen nach New York sandte, an die alte adresse. Von dort kehrten sie zurück — mit dem Vermerk, der adressat wohne seit Januar 2010 nicht mehr dort. alsbald tätigte ein sun-rise-Mitarbeiter einen anruf nach New York.

Pierre Bosquet wohnte in New York in einem topmodernen hochhaus am Battery Park, unten in Manhattan, in der Nähe von Ground Zero. Ein Doorman kümmert sich dort um die Belange der Mieter, zu ihm werden ausserhalb der Bürozeiten auch anrufe an die immobilienverwaltung durchgestellt. Einer dieser Pförtner, steven, ein junger afghanistan-Veteran, erinnert sich bestens an den anruf des sunrise-Mitarbeiters, «weil es unge-fähr das schrägste war, das ich je erlebt habe», wie er Bosquet erzählte. «ich hatte das Gefühl, ein totaler Nerd sei am apparat.»sunrise-Mann: «hi, i’m trying to find a former tenant of yours. Mr Bosquet. can you help me finding this person?»steven: «sir, i’m not supposed to provide any residential infor-mation on former tenants.»

Der sunrise-Mann erklärt, er müsse Post nachschicken.steven: «Read my lips, sir, it’s a clear No.»

so zumindest hat es steven in Erinnerung. Der sunrise-Mann bleibt aber dran, jetzt fängt er an, richtig zu nerven, ste-

ven sagt: okay, ich mach eine ausnahme. Er gibt dem sunrise-Mann eine adresse an, irgendeine, es ist die adresse eines ande-ren hochhauses seiner immobilienfirma: 20 River terrace, New York. steven muss die adresse mehrmals buchstabieren. Und dann fragt der sunrise-Mann (der das alles mühsam in sein com-puterprogramm getippt hat und jetzt auf seinem Bildschirm ver-mutlich sieht, dass die Länderbox noch leer ist): «in which coun-try is that?», und das ist der Moment, wo steven der Geduldsfa-den endgültig reisst. Er sagt: «afghanistan, of course!» und legt auf.

Die zwei Rechnungen und alle Mahnungen tragen folgende adresse:

Mr Pierre Bosquet20 River terrace apt. 8q10282 New Yorkafghanistan

Mai 2012: letzte aufräumarbeiten im Fall Bosquet. schliesslich erreicht ihn die wichtige Mitteilung von sunrise: «allfällige Ein-träge in Betreibungs- oder Bonitätsregistern wurden vollständig gelöscht.» Was Pierre Bosquet nicht weiss: Das stimmt nicht. Es gibt in der schweiz mehr als zwanzig Bonitätsregister, die sich gegenseitig mit informationen aushelfen, Datensätze austau-schen. Es ist ein flottes hin und her. Eine zufällige stichprobe bei der Wirtschaftsauskunft von orell Füssli ergibt: Pierre Bos-quets kreditwürdigkeit ist (noch immer) von «Normal» auf «Mit-tel» herabgestuft, das inkassoverfahren über 72.45 Franken nach wie vor aufgeführt, es trägt den Vermerk: «abgereist, adresse un-bekannt». •

Mathias NiNck ist Redaktor des «Magazins»[email protected]