Surprise Strassenmagazin 290/12

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Nr. 290 | 14. Dezember 2012 bis 3. Januar 2013 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass. Lesen! Sibylle Berg, Paulo Coelho, Tim Krohn, Dieter Meier, Milena Moser, Max Rüdlinger, Ralf Schlatter, Ruth Schweikert, Christoph Simon und Gabriel Vetter

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Surprise Strassenmagazin 290/12

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Nr. 290 | 14. Dezember 2012 bis 3. Januar 2013 | CHF 6.– inkl. MwSt. Die Hälfte des Verkaufspreises geht an die Verkaufenden. Bitte kaufen Sie nur bei Verkaufenden mit offiziellem Verkaufspass.

Lesen!Sibylle Berg, Paulo Coelho, Tim Krohn, Dieter Meier, Milena Moser, Max Rüdlinger, Ralf Schlatter, Ruth Schweikert, Christoph Simon und Gabriel Vetter

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Ihre Meinung!Bitte schicken Sie uns Ihre Anregungen oder Kritik: Verein Surprise, Redaktion, Spalentorweg 20, Postfach, 4003 Basel, T +41 61 564 90 70, [email protected]. Es werden nur Leserbriefe abgedruckt, die mit vollem Namen unterzeichnet sind. Die Redaktion trifft eine Auswahl und behält sich vor, Briefe zu kürzen.

Surprise ist auf Spenden angewiesen. Auch auf Ihre! Herzlichen Dank. PC-Konto 12-551455-3

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EditorialAussaat

Seit Kurzem versucht mein 16 Monate alter Sohn, dem Affen aus dem Zoo-Bilder-buch die Banane aus der Hand zu stibitzen. Entschlossen kratzt er mit Zeigefingerund Daumen über die kartonierte Buchseite. «Neh!», sagt er und schaut mich er-wartungsvoll an. «Das kannst du nicht nehmen, schau, es ist nur gemalt, das ist imBuch drin», sage ich, froh darüber, dass wenigstens diese Banane vor ihm sicher ist.Auch wenn ich einen Krimi lese, kann ich gut damit leben, dass sein Inhalt denBuchseiten nicht entkommen kann. Dass der Mörder am Schluss nicht nur ge-schnappt, sondern auch für alle Zeiten ausbruchssicher zwischen den Buchdeckelneingekastelt bleibt.Trotzdem könnte ich über die Bananen-Sache ins Grübeln geraten. Verwahren Bü-cher ihren Inhalt tatsächlich so sicher? Was ist dann mit einem Montaigne oderRousseau? Ist nicht einst das Denken dieser Philosophen den Seiten entschlüpft, aufdie es gebannt war, um die Gesellschaftsordnung ganz Europas zu verändern?Ausserdem: Gerade die Wochen um Advent und Weihnachten eignen sich hervorra-gend, um darüber nachzudenken, wie prophetische Schriften allerhand Kräfte entwickeln und eine beträcht-liche Anhängerschaft versammeln können. Das Papier nimmt mit sprichwörtlicher Geduld jede Saat des Schreibenden auf. Doch allein in Buchform ver-mag auch der machtvollste Gedanke die Welt nicht zu verändern. Die Lesenden entscheiden, was sie sich inden Kopf setzen lassen möchten. Leser sind auch Ausleser. In diesem Sinn möchten wir Ihnen diese Surprise-Ausgabe ganz besonders empfehlen: Sie enthält Kurzge-schichten von Sibylle Berg, Paulo Coelho, Tim Krohn, Dieter Meier, Milena Moser, Max Rüdlinger, Ralf Schlat-ter, Ruth Schweikert, Christoph Simon und Gabriel Vetter. Fast alle haben exklusiv für Surprise geschriebenund uns ihre Geschichten geschenkt. Dafür danken wir ihnen von Herzen. Und Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, danken wir, dass Sie Surprise so treu unterstützen. Für die Verkäufe-rinnen und Verkäufer ist – ganz besonders in den Weihnachtstagen – jedes verkaufte Magazin ein Aufsteller.Lassen Sie sich den einen oder anderen Samen in Kopf oder Herz einpflanzen, sodass die Geschichten diesenSeiten entwachsen können. Wir sind sicher, dass Sie dieser Weihnachtsausgabe vieles entnehmen können, was gut ist. So gut wie Bana-nen. Oder besser.

Wir wünschen frohe Lektüre

HerzlichMena Kost

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MENA KOST

REDAKTORIN

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Die Illustrationen dieser Ausgabe stammen von Priska Wenger. Sie hatsich von den Pflanzen inspirieren lassen, die in den biblischen Schriftenerwähnt werden. Die freischaffende Illustratorin gestaltet seit vielenJahren die Bilder zu unserer Gerichtskolumne «Zugerichtet». Sie stu-dierte Visuelle Kommunikation und Illustration an der Hochschule fürGestaltung und Kunst in Luzern. Seit 2007 lebt und arbeitet Priska Wen-ger in New York, wo sie 2009 den Master in Fine Arts ablegte.

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10 Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinenPAULO COELHO

12 Alains neuer NameCHRISTOPH SIMON

13 Felix, Reto, Milena und DanielRUTH SCHWEIKERT

16 Der Samichlaus im KreisverkehrGABRIEL VETTER

17 Eine WeihnachtsgeschichteSIBYLLE BERG

18 Weisch wie!?MAX RÜDLINGER

20 Fällt dieses Jahr ausMILENA MOSER

22 Zwei Komma acht VoltRALF SCHLATTER

24 Bellevue retourDIETER MEIER

25 Strahlende NachtTIM KROHN

Inhalt03 Editorial

Aussaat05 Basteln für eine bessere Welt

Buch-Orakel06 Mein Lieblingsbuch

Was Surprise-Verkaufende lesen08 Porträt

Der Geschichtenerzähler28 Kulturtipps

Tränen und Trost30 Kreuzworträtsel

Büchergutscheine gewinnen33 Projekt Surplus

Eine Chance für alle!34 In eigener Sache

ImpressumINSP

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Basteln für eine bessere WeltJahresendzeit ist Orakelzeit: Jeder will wissen, was das neue Jahr bringt. Dafür gibt’s zum Beispiel in jeder Gratiszeitung oder Billig -illustrierten ein Horoskop. Nur: Ist Ihnen nicht auch schon verdächtig vorgekommen, dass für dasselbe Sternzeichen in jedem Horo-skop wieder etwas anderes steht? Und dass «Sticheleien eines Mitmenschen sollten Sie an sich abperlen lassen» vielleicht nicht ex-klusiv für Fische gilt? Wir haben eine bessere Idee: Vertrauen Sie auf die Kraft der Bücher.

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1. Nehmen Sie ein Buch. Ohne lange zu denken, einfach

das nächste in Griffnähe. In unserem Fall wäre das der

«Armutsbericht Basel-Stadt».

2. Schliessen Sie die Augen, atmen Sie einmal tief

durch, zweimal, dreimal. Denken Sie an nichts oder an

vorbeiziehende Wolken.

Zur Inspiration für die Interpretation hier ein Beispiel:

Liebe

Textstelle: «Jugendliche und junge Erwachsene kommen in

den Gesprächen selber auf ihren Drogenkonsum und auf ei-

gene Suchtproblematiken zu sprechen, ältere Personen

nicht.»

Interpretation: Haben Sie die 30 schon überschritten,

sollten Sie – auch wenn es Ihnen schwerfällt – Ihrer

Partnerin nächstes Jahr beichten, dass sie hin und wie-

der an einem Joint ziehen.

Geld

Textstelle: «Aus der Empirie ist bekannt, dass solche Aus-

tauschhandlungen (Geld, Güter, Dienstleistungen, Wissen,

Überzeugung und moralische Unterstützung) zahlreich sind

und zwischen den drei meist gleichzeitig lebenden Genera-

tionen hin und her fliessen, auch wenn die älteren tenden-

ziell mehr geben als die jüngeren.»

Interpretation: Das kann nichts anderes heissen als:

Ein Familienmitglied wird Sie reich machen!

3. Klappen Sie das Buch auf, strecken Sie den Zeige-

finger und tippen mit ihm kurzentschlossen in das offe-

ne Buch.

4. Nehmen Sie sich die drei typischen Horoskopkate -

gorien vor: Liebe, Gesundheit, Geld. Das Buchorakel

wird Ihnen Auskunft geben. Öffnen Sie die Augen und

lesen Sie den Satz, auf den Sie zeigen. Nun liegt es an

Ihnen und Ihrem siebten Sinn, die richtigen Schlüsse zu

ziehen.

Gesundheit

Textstelle: «Sie (die potenzialorientierte Armutspolitik) ge-

staltet die öffentlichen Infrastrukturen derart, dass auch ar-

me Personen sie nutzen können, ist sich der Mechanismen

gesellschaftlicher Integration und Ausgrenzung bewusst

und bekämpft darum alle Formen von Diskriminierung.»

Interpretation: Es sieht nicht gut aus. Aber Ihnen wird

geholfen werden.

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Meine LieblingslektüreKästner, Konsalik und Kriminalfälle: Surprise-Verkäuferinnen und -Verkäufer erzählen, was sie am liebsten lesen – und warum. Das Basler Fotografen-Duo Ursula Sprecher und Andi Cortellini hat die sieben für Sie auf einer Theaterbühne in Lese-Szene gesetzt.

VON DIANA FREI UND MENA KOST (AUFZEICHNUNGEN), URSULA SPRECHER UND ANDI CORTELLINI (BILDER)

Ruedi Kälin, 54, Sihlpost, ZH und Migros Chur, GR«Ich lese gerne 20 Minuten: Sport, Wetter undHoroskope. Am wichtigsten ist mir der Sport-teil. Im Sommer lese ich alles über Fussball,Leichtathletik, Formel 1 und so weiter. ImWinter alles über Eishockey; mein Lieblings-club ist der HC Davos. Sonst lese ich eigentlichnichts. Ausser natürlich Surprise, das lese ichimmer. Und zwar fange ich mit der letzten Sei-te an, mit dem Verkäuferporträt nämlich, damit ich informiert bin,wer neu bei uns arbeitet und was die Kollegen so treiben.»

Aster Tesfaye, 29, Migros Ettingen, BL«Ich lese gerne romantische Bücher, solcheüber Liebe, Familienzusammenhalt und Kin-der. Lebensgeschichten eben. Allerdings ha-be ich nicht sehr viel Zeit zum Lesen nebenmeinem kleinen Sohn und meiner Arbeit.Trotzdem: Jetzt, wo ich die Sprachschule ab-geschlossen habe, möchte ich versuchen, Bü-cher auf Deutsch zu lesen.»

Ernst «Aschi» Aebersold, 55, auf Tour in Burgdorf, BE«Ich lese die Bibel, weil ich gläubig bin. Siehilft mir. Jeden Morgen lese ich darin, rede mitdem Herrgott, lege meinen ‹Säich› vom Vortaghin. Man macht viele Fehler, immer wieder diegleichen. Ich lese das Neue Testament, das Al-te Testament, die Offenbarungen, Evangelien.Ich suche mir aber keine bestimmten Textstel-len aus. Ich schlage das Buch einfach am Mor-gen auf und sehe, was da steht. Manchmal bekommt die Stelle fürmich aber eine Bedeutung für genau diesen Moment.»

Tatjana Georgievska, 42, Coop Bachletten, BS«Am meisten lese ich psychologische Sachbü-cher. Dabei lerne ich viel über Menschen unddarüber, wie ich mich in schwierigen Situatio-nen verhalten kann. In Mazedonien hatte iches schwer, und solche Bücher haben mir sehrgeholfen, besser mit allem klarzukommen.Leider finde ich hier keine Literatur in meinerMuttersprache. Wenn ich täglich im Tram von

einer Arbeit zur anderen unterwegs bin, lese ich mein serbisches Heft‹Svet› mit Geschichten über Sänger und Schicksale.»

Nicolas Gabriel, 48, Uraniaparkhaus, ZH«Ich liebe Kinderbücher, vor allem jene, dieum die 1900 geschrieben wurden. Durch siekann ich in eine andere Zeit blicken. JohannaSpyri etwa gefällt mir gut, aber auch Ge-schichten auf Schweizerdeutsch. Und Kästnerlese ich auch sehr gerne. An Kinderbücherngefällt mir, dass sie meist liebevoll geschrie-ben und ausserdem echt sind. Einfach, aberecht.»

Marlis Dietiker, 62, Unterführung Bahnhof Olten, SO «Ich lese gerne Zeitungen. Für Bücher habe ichfast keine Zeit mehr. Früher habe ich gerneTatsachenberichte – zum Beispiel über krimi-nalistische Ermittlungen – und Reisereporta-gen in Buchform gelesen. Das waren Taschen-bücher, auch Konsalik habe ich viel gelesen.Aber mittlerweile bekomme ich vom Lesenrecht müde Augen. Heute lese ich meist das

Oltener Tagblatt, 20 Minuten und den Blick. Die Realität interessiertmich mehr als erfundene Geschichten.»

Bob Ekoevi Koulekpato, 44, Rathaus, BS«Ich lese nur die Bibel und Surprise. Die Bibelmacht mir mein Herz ruhig. Und Surprise le-se ich, um noch besser Deutsch zu lernen. Inder Bibel lese ich alles, Altes Testament, Neu-es Testament. Besonders gut gefällt mir Psalm140 (139), ein Psalm Davids: «Errette mich,Herr, von den bösen Menschen; vor den Ge-walttätigen bewahre mich! Denn sie habenBöses im Sinn und schüren täglich Streit. Siespitzen ihre Zunge wie eine Schlange, Otterngift ist unter ihren Lippen.»

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VON FLORIAN BLUMER (TEXT) UND TOBIAS SUTTER (BILD)

Es war einmal ein Mann. Der hatte ein gutes und zufriedenes Lebenals Lehrer an einer Tagesschule für behinderte Kinder in Münchensteinim Kanton Baselland. Doch als er gegen 50 ging, erwachte in ihm dieNeugier. Es zog ihn in die Welt hinaus. Also nahm er ein halbes Jahr Ur-laub von der Schule und machte sich auf – ans andere Ende der Welt,nach Neuseeland. Dort angekommen, überlegte er sich, wie er wohl ambesten Kontakt zu den Menschen fände. Eine Freundin zu Hause, eineSchauspielerin, hatte eine Idee: «Geh doch in die Schulen und erzähleunsere Sagen. Die Kinder in Neuseeland hören sicher gerne Geschichtenvon der anderen Seite der Erde.» Der Mann zweifelte – er konnte dochnicht einmal richtig Englisch. Doch dann versuchte er es einfach. Ersuchte die schönsten Geschichten heraus, von der Teufelsbrücke, vomFischer, der im Schlaf den Rheinfall runterfuhr, von der weissen Gemse, natürlich die vonunserem Nationalhelden. Eine Amerikanerinhalf ihm beim Übersetzen und er lernte die Ge-schichten auswendig, Wort für Wort. Dann, eines Morgens, nahm er sei-nen ganzen Mut zusammen und klopfte bei einer Schule in Queenstownan. «Ich möchte gerne Schweizer Sagen erzählen», sagte er dem Rektor,«es ist gratis.» Und er erzählte den ganzen Morgen, vier Stunden amStück. Die Schüler liebten seine Geschichten und der Mann begann, sieimmer mehr Kindern zu erzählen. Dann reiste er nach Amerika und er-zählte sie auch den Erwachsenen, die ihm zuhören wollten. Nun hatteer so richtig Gefallen gefunden am Erzählen. Zurück in der Schweiz trater sogleich der Schweizerischen Märchengesellschaft bei – sein Partnerhatte gelesen, dass diese neu gegründet worden war. Und er begann,Märchen aus der ganzen Welt zu erzählen: im Basler Zolli, an Weih -nachtsessen von Firmen, in Kleintheatern, in Kirchen, im VerkehrshausLuzern, an Kongressen und Festivals und sogar in Gefängnissen. Immermehr Menschen lauschten seinen Geschichten und er wurde zu einemgrossen Geschichtenerzähler, beliebt bei Gross und Klein. Und wenn ernicht …

Paul Strahm ist heute 66 Jahre alt und pensioniert. Und er erzählt soviel wie nie zuvor in seinem Leben. Eine erfüllende Tagesbeschäftigungalso und ein schönes Rentnerhobby für jemanden, der mit dem Talentzum Erzählen gesegnet ist? Mitnichten. «Ich bin kein guter Redner, dasfreie Sprechen liegt mir nicht», sagt Paul Strahm mit seiner ruhigen, tie-fen, warmen Stimme. Was ihm zugutekomme: «Ein Schwätzer ist in derRegel kein guter Erzähler», sagt er. Hinter dem scheinbar lockeren Auf-tritt steckt harte Arbeit, sechs Stunden für eine Minute Erzählen: «Zuerstmuss ich die Geschichte umschreiben. Dann stelle ich mir sie vor, spre-che sie und verbessere das Manuskript, wieder und wieder. Am Schlussspreche ich sie und spreche sie, ich murmle sie beim Spazieren vor michhin, am Abend im Bett – bis ich während des Sprechens einschlafe.»

Doch zuallererst gilt es natürlich, eine gute Geschichte zu finden.Strahm sagt, er suche meist in der Sammlung des wissenschaftlichen Die-derich-Verlags. Doch ihm gefalle dort vielleicht jede zehnte oder zwan-zigste Geschichte. «Es gibt so viel Ramsch!», sagt er, «Märchen sind nichtdie heiligen Geschichten, als die sie oft gesehen werden.» So seien viele

PorträtWahre GefühleDer Baselbieter Paul Strahm ist mit Leib und Seele Märchenerzähler. Dies ist seine Geschichte.

südamerikanische Märchen sehr rassistisch, insbesondere die brasiliani-schen. In indianischen und afrikanischen sei der Held oft ein Trickster,der brutal oder gar sadistisch vorgeht – ohne dabei auf die Nase zu fal-len. Generell würden sich die Märchen aber überall gleichen: Viele Moti-ve wie «die Frau, die sich ein Stück Fuss abschneidet, damit der Schuhpasst», fänden sich in Märchen aus den verschiedensten Erdteilen.

Entscheidend bei einer Geschichte, sagt Paul Strahm, sei für ihn, dasser eine Spannung aufbauen kann. Die Zuhörer müssten «werweissen»:Was meint er jetzt, worum geht es? Und sie müssten zum Schluss wie-der erlöst werden, am besten mit einer Pointe, die sie zum Lachen oderzum Aufatmen bringt. «Dazu braucht es eine Hauptperson, die eine Ent-wicklung durchmacht, etwas überwindet, erreicht – und auch Hilfe zu-lassen kann.» Womit wir wieder beim Helden unserer Geschichte wä-ren: «Jeden Fortschritt habe ich anderen zu verdanken», sagt Paul

Strahm. Dass die Sätze kurz sein müssen, dass man Pausen machen, dasTempo wechseln, verschiedene Rollen einnehmen muss – all das hatStrahm von erfahrenen Erzählern gelernt, von Coaches, in seiner Aus-bildung zum Erzähler und in diversen Weiterbildungen. Es hat ihn weitgebracht: In diesem Jahr gewann er den Erzählerpreis der deutschenGertrud-Hempel-Volkserzähler-Stiftung.

Der Baselbieter sagt, dass ihn das viele Erzählen auch charakterlichverändert habe: «Ich bin eindeutig sensibler geworden, und ich würdesagen: auch empathischer.» Wenn man Geschichten zum Erzählen vor-bereite, müsse man sich hineindenken, sich mit der Geschichte identifi-zieren. «Und da macht man ein Stück weit Erfahrungen mit – auch wennman weiss, dass alles nur eine Geschichte ist.»

So vielseitig die Märchen sind – Strahm sagt, er habe bis heute keineinziges schwules oder lesbisches Märchen gefunden, nirgendwo aufder Welt. Dass er selbst nicht Frauen liebt wie die Prinzen und Könige,von denen er erzählt, spiele überhaupt keine Rolle: «Ich kann mich pro-blemlos in die heterosexuellen Paare in den Märchen versetzen: Es sinddieselben Gefühle, es ist dieselbe Liebe.» Und doch möchte er die Lü ckein der Märchenwelt eines Tages noch schliessen, mit einem selbst ge-schriebenen Märchen.

Ob eine Geschichte wahr ist oder nicht – das würden Kinder erst imPubertätsalter zu fragen beginnen, sagt Strahm. Er erzähle ihnen dannimmer die Geschichte, die ihm einst ein Mädchen im Zolli berichtete: Siesei einmal durch die Luft geflogen, und plötzlich sei sie abgestürzt. Dasei ein Walfisch herbeigeflogen und habe sie aufgefangen, sie sei weichgelandet, wie auf einem Kissen. «Ich frage die Jugendlichen dann: Istdas jetzt wahr? Nein, sagen sie, das ist unmöglich! Aber es ist dochwahr, entgegne ich, dass das Kind sich wünscht, durch die Luft zu flie-gen? Und dass es Angst hatte abzustürzen und erleichtert war, dass esweich fiel? Das leuchtet den Kindern ein. Seht ihr, sage ich dann: Alles,was ich erzähle, entspringt der Fantasie, ist also nicht ganz wahr. Unddoch ist es so wahr, dass es in unseren Gefühlen stimmt.» ■

«Durch das Erzählen bin ich sensibler geworden, und ich würdesagen: auch empathischer.»

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Es gibt eine altbekannte Legende, deren Herkunft ich nicht feststel-len kann. Sie erzählt vom Erzengel Michael, der eine Woche vor Weih -nachten seine Engel bat, auf die Erde hinabzusteigen und die Menschenzu besuchen, weil er wissen wollte, ob alles für das Fest von Christi Ge-burt bereit sei. Paarweise wurden sie losgeschickt, immer ein älterer En-gel mit einem jüngeren, damit der Erzengel sich einen umfassenden Ein-druck dessen machen konnte, was in der Christenheit geschah.

Eines dieser Zweiergespanne wurde auch nach Brasilien geschicktund kam dort spät in der Nacht an. Da die beiden Engel nicht wussten,wo sie übernachten sollten, baten sie in einem der grossen Herrenhäu-ser, wie es sie vereinzelt noch heute in Rio de Janeiro gibt, um Herberge.

Der Herr des Hauses, ein Adliger, der wie viele in Rio kurz vor demBankrott stand, war ein tiefgläubiger Katholik, der die Himmelsbotensogleich an ihrem goldschimmernden Heiligenschein erkannte. Doch daer gerade eine grosse Weihnachtsfeier vorbereitete und sich bei der De-koration nicht aufhalten lassen wollte, wies er ihnen zum Schlafen ein-fach einen Raum im Keller zu.

Obwohl auf den Weihnachtskarten immer Schnee zu sehen ist, fälltdas Christfest in Brasilien mitten in den Sommer. Im Keller, in dem dieEngel übernachten sollten, herrschte eine fürchterliche Hitze, und diefeuchte Luft war zum Ersticken. Die Engel legten sich auf die harte Er-de. Als sie ihr Nachtgebet begannen, bemerkte der ältere Engel einenRiss in der Wand. Er erhob sich, reparierte ihn mithilfe seiner überirdi-schen Fähigkeiten und betete weiter. Die beiden schmorten die ganzeNacht wie in der Hölle und bekamen fast kein Auge zu.

Trotzdem mussten sie am nächsten Morgen ihre Mission erfüllen. Siedurchstreiften die grosse Stadt mit ihren zwölf Millionen Einwohnern,mit ihren Stränden und Hügeln, ihren Gegensätzen. Sie füllten ihre Fra-gebögen aus, und als es wieder Nacht wurde, machten sie sich auf insLandesinnere. Doch sie hatten die Zeitverschiebung nicht bedacht undhatten daher wieder keinen Ort zum Übernachten.

Diesmal klopften sie an die Tür einer bescheidenen Hütte. Das jungePaar, das ihnen öffnete, wusste nicht, wie Engel aussehen, und erkann-te daher die beiden Pilger nicht. Sie bereiteten den Engeln ein Nacht-mahl und zeigten ihnen ihr neugeborenes Kind. Als Schlafplatz botensie ihnen ihr eigenes Bett an und entschuldigten sich immer wieder da-für, dass sie nicht genug Geld hätten, um sich gegen die mörderischeHitze eine Klimaanlage leisten zu können.

Als die Engel am nächsten Morgen aufwachten, fanden sie das Paarin Tränen aufgelöst vor. Ihr einziger Besitz und Lebensunterhalt, eine

Kuh, lag tot auf dem Feld. Sie schämten sich, den Pilgern zum Abschiedkein rechtes Frühstück bereiten zu können, da die Kuh, die ihnen sonstMilch gab, nicht mehr lebte.

Als die Engel die ungepflasterte Strasse entlanggingen, machte derjüngere Engel seiner Empörung Luft.

«Ich kann nicht begreifen, wie du dich verhalten hast! Der ersteMann hatte alles, was er brauchte, und dennoch hast du ihm geholfen.Und bei diesen armen Leuten, die uns so freundlich aufgenommen ha-ben, hast du nichts unternommen, um ihr Leid zu lindern!»

«Die Dinge sind nicht immer, wie sie scheinen», sagte der ältere En-gel. «Als wir in diesem schrecklichen Keller waren, bemerkte ich, dassauf der anderen Seite der Wand viel Gold lag, das ein früherer Hausei-gentümer dort versteckt hatte. Und ich beschloss, es wieder zu verber-gen, weil der jetzige Herr des Hauses nicht bereit war, denen zu helfen,die es brauchten.

Gestern Nacht, während wir im Bett der jungen Eheleute schliefen,bemerkte ich plötzlich, dass noch ein dritter Gast dazugekommen war:der Todesengel. Er war auf die Erde geschickt worden, um das Kind zuholen. Aber da ich ihn seit vielen Jahren kenne, ist es mir gelungen, ihndavon zu überzeugen, statt dem Kind der Kuh das Leben zu nehmen.Erinnere dich an den Tag, der bald gefeiert wird: Ausser den Hirten woll-te niemand Maria eine Herberge geben. Dafür aber sahen diese als Er-ste den Retter der Welt.» ■

www.street-papers.org / INSP. Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann

Paulo Coelho («Der Alchimist») wurde 1947in Rio de Janeiro, Brasilien geboren. Sein frü-her Wunsch, Schriftsteller zu werden, stiessbei seinen Eltern auf Unverständnis. Als er auf-begehrte und Drogen zu konsumieren begann,schickten sie ihn mit 19 Jahren in eine psychi-atrische Anstalt. Aufgrund von Songtextenwurde er später des Okkultismus verdächtigtund von der Militärdiktatur wegen angeblichsubversiver Tätigkeit verhaftet und gefoltert. Als internationaler Bestsel-lerautor setzt er sich heute für Brasiliens unterprivilegierte Bevölkerungs-schicht und andere Bedürftige ein. Coelho wurde 2007 von UN-General-sekretär Ban Ki-moon zum Friedensbotschafter berufen. Seine Weltsichtist vom Glauben an eine Weltenseele und Zahlenmystik geprägt.

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VON PAULO COELHO

Die Dinge sindnicht immer, wie sie scheinen

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Christoph Simon geboren 1972 in Langnauim Emmental, lebt als freier Schriftsteller inBern. Zuletzt erschienen: «Spaziergänger Zbin-den» (Roman) und «Viel Gutes zum kleinenPreis» (Sammelsurium).

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«Du, Alain, dein Pfadi-Leiter hat angerufen.» «Wurmfresser? Was wollte er denn?» «Keine Ahnung, ich war nicht da. Er ist auf dem Telefonbeantworter.» «Was sagt er?» «Dass er mich sprechen möchte. Morgen ruft er wieder an. Hast du ei-ne Idee, was er will?» «Nein.» «Hast du im Pfingstlager was angestellt?» «Nicht dass ich wüsste.» «Alain, es ist besser, wenn ich vorbereitet bin.» «Vielleicht wegen Stinkstiefel.» «Wer ist Stinkstiefel?» «Ein Pfadeler vom Stamm Neubrück. Er lungerte vor unserem Biwak he-rum und knüpfte die Knoten unserer Blachen auf. Gebissen hat er auch,das Aas. Guck mal, hier!» «Das war Stinktier?» «Stinkstiefel.» «Warum hat er dich gebissen?» «Biss geradewegs in meine Hand, und ich hab geschrien und Sachen ge-brüllt! Sachen! Dass ich ihn verprügeln würde, dass er acht Tage nichtim Schneidersitz werde schnitzen können. Am ausgestreckten Arm ha-be ich ihn über das Brett beim Latrinenloch gehalten und liess ihn zap-peln, bis er hoch und heilig versprach, nie mehr Wölflis wie mich zuquälen. Kaum liess ich ihn fallen, kam Wurmfresser angestürzt undnahm den stinkenden Stinkstiefel in die Arme.» «Ich verstehe. Du warst sehr zornig.» «Ja. Wenn ich endlich bei den Rovern bin, kaufe ich mir ein elektrischesKüchenmesser und schneide ihm die Daumen ab.» «Weil Stinktier dich gebissen hat.» «Stinkstiefel.»

«Aber warum hat er dich gebissen?» «Wegen der Haare, die ich ihm ausgerissen hab. Es musste sein. Er hatWurmfresser und Bifidus verraten, wer im Baumhaus geraucht hat –»(Pause) «Aber es schmeckt mir nicht! Deswegen kann Wurmfressernicht angerufen haben, das haben wir ja schon im Sarasani ausdisku-tiert.» «Überleg mal, Alain.» «Tu ich die ganze Zeit. Bifidus’ Hund leidet unter einer Scheinschwan-gerschaft.» «Wie bitte?» «Bifidus’ Mops hat ein Nest unter der Fahnenstange gebaut und Milcham Bauch gekriegt. Ehrlich. Wir sagten alle, schau dir mal die krankeMissy an. Bifidus nahm die eingebildete Schwangerschaft sehr ernst.» «Alain, wovon sprichst du, bitte?» «Bifidus war total durcheinander. Wir durften sie sogar zum Tierarzt be-gleiten. Während der Missy untersuchte, schlotterte der Hund vor Angstwie Mamis Vibritator, hat Senfgas gesagt, und der Tierarzt sagte, es gä-be nur zwei Möglichkeiten, die gute Missy gesund zu machen: Entwe-der man liesse sie decken oder eine Operation.» «Gut, na schön. Was passiert mit dem Hund?» «Wird operiert. Bifidus hat Angst, aber wir kümmern uns gut um denHund, Senfgas, Avanti Popolo und ich. Lesen ihm Lucky Luke vor underzählen ihm, wie viele Tausend Hunde letztes Jahr von ihren Besitzernausgesetzt worden sind oder im Wald angezündet oder einfach aus demfahrenden Auto geworfen worden sind. Weisst du, Missy, sagen wir,vielleicht ist es ganz gut, dass du keine Kinder haben kannst. Dannkommen sie wenigstens nicht in die Hände von Sadisten mit verdorbe-ner Fantasie.» «Wenn ich bloss wüsste, weshalb dein Leiter bei uns angerufen hat.» «Vielleicht wegen dem Chilipulver? Aber dabei hat mich keiner gese-hen.» «Was für Chilipulver, wo?» «Auf dem WC-Papier der Jungschar auf dem Feld gegenüber.» «Und sowas machst du?» «Ja, du früher nicht?» «Langsam fürchte ich mich regelrecht davor, mit Wurmfresser zu spre-chen. Wie geht’s denn allgemein in der Pfadi?» «Durchschnittlich, würd ich sagen.» «Spielst du auch mit den anderen Wölflis?» «Wir schaukeln und rutschen die Baumstämme runter. Aber darf ich dirwas sagen, Paps? Eigentlich möchte ich diese Spiele der Wölflis nurnoch in der Dämmerung tun, bei Tag geniere ich mich vor den Rovern.» «Ach Alain, früher konnte ich dich aufs wippende Holzpferd setzen, undwenn ich vom Einkaufen zurückkam, hob ich dich vom leise schwan-kenden Pferd herab, wo du in vollkommenem Behagen ausgehalten …» «Paps. Hör auf.» «Wurdest du im Pfingstlager nicht getauft?» «Neben dem Singkreis am Lagerfeuer war das DER Höhepunkt des La-gers.» «Und welchen Namen haben sie dir gegeben?» «Sie verbinden dir die Augen und drücken dir eine Schnecke in dieHand, die sollst du essen.» «Welchen Namen?» «Innocent.» ■

VON CHRISTOPH SIMON

Alains neuerName

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Milena war zwei Jahre älter als Daniel, erinnerte ich mich, sie muss -te jetzt also vierundzwanzig sein. «Wie junge Frauen eben so sind», er-zählte Felix, «sportlich, stolz auf ihre Unabhängigkeit; sie arbeitet imVertrieb einer Rollstuhlfirma und wohnt mit einer Freundin zusammen.»Ausserdem war sie wohl wirklich sehr hübsch; «nicht nur in den Augendes Vaters», fuhr Felix fort, das glaube er behaupten zu dürfen: gross,schlank, lange dunkle Haare, leuchtend grüne Augen, dazu die klassi-sche Nase ihrer Mutter; er habe schon genau hingeschaut damals voracht Jahren an der Beerdigung von Milenas Grossmutter in Köln.

Seither hatte er seine Tochter nicht wieder gesehen. Es war ein Dienstagabend Ende November. Felix hatte mich angeru-

fen. Seit Isabelle, seine zweite Frau, sich vor fünf Monaten in einen Tan-gotänzer verliebt hatte und sofort aus der gemeinsamen Wohnung aus-gezogen war, telefonierten wir wieder häufiger. Ich war allein zu Hause;Reto war ins Kino gegangen, irgendein Actionfilm, um abzuschalten,wie er sagte – genauso gut hätte er sich vor den Fernseher setzen kön-nen, dachte ich –, und Daniel war mit seinen Freunden unterwegs.

Ich erinnerte mich, dass Felix mir damals von dieser Beerdigung er-zählt hatte; dass Milena die ganze Zeit über abseits gestanden hätte,sorgsam bewacht von ihrer Mutter, und es ihm nicht gelungen sei, mitihr zu sprechen. Trotzdem brauchte ich einen Moment, um mir klarzu -machen, dass Felix mit Milenas Grossmutter tatsächlich seine eigeneMutter meinte, die 2004 in Köln gestorben war. Dass Mathilde Hart-mann nicht seine leibliche Mutter war, sondern das Ehepaar Hartmannihn adoptiert hatte, als er knapp zwei Jahre alt war, hatte er erst mit weitüber zwanzig erfahren.

Selten fühlte ich mich jemandem so nahe wie am Telefon. Ich liebtees, in der dunklen Wohnung zu sitzen und der vertrauten Stimme eines

Freundes oder einer Freundin zu lauschen. Es war, als vermöchten Atemund Stimme, Wörter und Sätze ihre ganze Kraft und Bedeutung erst inder Abwesenheit des zugehörigen Körpers zu entfalten. Sass mir jemandgegenüber, fühlte ich mich oft befangen. Bevor ich jemanden anrief –oder einen erwarteten Anruf entgegennahm –, machte ich in der Woh-nung sämtliche Lichter aus. Ich legte die Füsse auf den Schreibtisch,lehnte mich im Bürostuhl zurück und schaute durch die halb offenen Ja-lousien in die Nacht.

Felix war Ende der Achtzigerjahre mein Lehrer gewesen an derSchauspielschule – er unterrichtete Sprechtechnik –; ein kompakter,leicht untersetzter Vierzigjähriger damals, der ausgesprochen jugend-lich wirkte. Ich hatte mich sofort in ihn verliebt, allerdings war ich, wieich bald feststellte, nicht die Einzige.

In der Wohnung war es still. In den Radionachrichten hatten sie fürweite Teile der Deutschschweiz heftige Stürme angekündigt, mit Wind-geschwindigkeiten bis zu hundertzwanzig Stundenkilometern. Tatsäch-lich wehte ein starker Wind, der die letzten Herbstblätter aufwirbelteund in die kahlen Bäume fuhr, als wollte er sie entwurzeln. Ob ich mirSorgen machen musste um Daniel? Ich hatte keine Ahnung, was in sei-nem Inneren vorging oder wer seine Freunde waren. Ich wusste nur,dass sie sich fast jeden Abend am See trafen, um Death Metal zu hörenund Bier zu trinken. Das Wetter konnte ihnen offensichtlich nichts an-haben, weder Regen noch Kälte hielt sie von ihren Treffen ab; ja, manch-mal fragte ich mich, ob Daniel den Wechsel der Jahreszeiten überhauptmitbekam. Morgens verliess er das Haus mit Sonnenbrille und Kopfhö-rern, nach den Vorlesungen und den Nachmittagen im Chemielaborkehrte er mit Sonnenbrille und Kopfhörern zurück, und am Wochenen-de sass er bei heruntergelassenen Jalousien vor dem Laptop, auf dem

VON RUTH SCHWEIKERT

Felix, Reto, Milenaund Daniel

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wie von Zauberhand unablässig neue Bilder auftauchten und wiederverschwanden.

Ich hatte mich wie immer beiläufig nach Milena erkundigt, «und dei-ne Tochter?», ohne eine Antwort zu erhoffen, geschweige denn zu er-warten, mehr damit der Sache Genüge getan war und ich mir nichtirgendwann später vorwerfen musste, meine Freundschaftspflicht ver-nachlässigt zu haben, die – so sah ich es – verlangte, den anderen auchan unangenehme Dinge zu erinnern. Ähnlich empfand es wohl Felix;fast jedes Mal, wenn wir telefonierten, fragte er mich nach dem Fibromin meiner rechten Brust, das ich seit fünfzehn Jahren hatte; ob es mirSorgen bereite, ob es gewachsen sei; obwohl ich ihm versichert hatte,dass aus einem Fibrom niemals ein bösartiger Tumor entstehen konnte.Das zumindest versicherte mir meine Frauenärztin. «Milena!», hatte Fe-lix in all den Jahren meistens gesagt, als hätte ich ihn nach ihrem Na-men gefragt, und übergangslos von seinen nächsten Projekten erzählt,die sich wie Felsblöcke vor ihm auftürmten. Da war erstens ein Kinder-buch, das er schreiben und das ein prominenter Ex-Politiker illustrierensollte; dann eine Best-of-Macbeth-Collage, die er im Düsseldorfer Rat-haus inszenierte – sofern es mit der Bewilligung klappte – und diegleichzeitig eine Modeschau war, indem die Schauspielerinnen undSchauspieler die Sommerkollektion eines Jungdesigners vorführten;drittens hatte er atemberaubende Fotos gesehen von einer Olivenöl-plantage in Zentralspanien, die zu einem Spottpreis zum Verkauf stand.

Umso erstaunter war ich deshalb, als Felix – um eine Nuance zu lautund zu forsch, dachte ich – wie beiläufig sagte: «Milena? Es geht ihr gut.»Er habe ihre Nummer ausfindig gemacht imInternet und sie einfach angerufen. Es war selt-sam, wie sehr mich diese Nachricht berührte.Ich hatte Milena nie kennengelernt, weder da-mals, Ende der Achtzigerjahre, als Felix und icheine Zeitlang so etwas wie ein Paar waren – zumindest für die zwei Ta-ge pro Woche, an denen er in Zürich Sprechtechnik unterrichtete –, nochin all den Jahren danach, wo wir einander zwar nur selten sahen, aberuns dennoch nicht vollständig aus den Augen verloren. Das mochte da-mit zu tun haben, dass ich zufällig dabeigewesen war, als er vom Todseiner leiblichen Mutter erfuhr. Dass ich einer der wenigen Menschenüberhaupt war, die seine Geschichte kannten. Weder Milena noch ihreMutter gehörten dazu.

Das deutsche Ehepaar Hartmann hatte den kleinen holländischenJungen 1950 adoptiert. Jakob war das unehelich geborene Kind einerOpernsängerin, Anna Zylberstein; über Jakobs Vater schwieg sie sichaus. Als Jakob zur Welt kam, war Anna sechsundvierzig und krank.

Die Geschichte war und blieb rätselhaft. Warum gab eine Amsterda-mer Jüdin, die ein deutsches Lager überlebt hatte, als sie keine Kraftmehr hatte, ihr Kind alleine grosszuziehen, es ausgerechnet in einedeutsche Familie zur Adoption? Umgekehrt: Was konnte ihm einen bes-seren Schutz gewähren als eben diese? Der kleine Jakob vergass alles;die holländische Sprache, das Gesicht seiner Mutter, ihre Stimme, seineneigenen Namen. Er hiess jetzt Felix. Felix Hartmann.

Das ungefähr war in groben Zügen seine verborgene Geschichte, dieer mir an jenem Morgen erzählte – ich durfte ausnahmsweise bei ihmübernachten –, nachdem der Anruf aus einem Amsterdamer Kranken-haus gekommen war; Anna Zylberstein war in der Nacht gestorben. We-nig später schloss ich meine Ausbildung ab und lernte Reto kennen. Fe-lix und ich sahen uns seltener, hielten aber den Kontakt. Manchmal kames mir tatsächlich genau so vor: als hielten wir beide den Kontakt an jeeiner Hand, ein kleines schwarzes Männlein, das zwischen uns auf undab hüpfte. Felix rief mich jedes Jahr im Februar zu meinem Geburtstagan; wir trafen uns auf einen Kaffee, wenn er auf der Durchreise vonDeutschland nach Italien war; ich besuchte ihn drei, vier Mal im Som-mer bei San Remo oder in Frankreich. Später war Isabelle fast immer da-bei. Auch sie war seine Schülerin gewesen. Nach drei oder vier Mona-ten Bekanntschaft hatten sie geheiratet. Die beiden reisten ständig durch

die Gegend, wie Felix sich ausdrückte; ihr dunkelblauer Saab ähneltedenn auch einer komplett eingerichteten Wohnung, während ihre stetswechselnden Wohnungen mich an die Ausstellungsräume eines Möbel-geschäfts erinnerten. Felix hatte gut ein halbes Dutzend Berufe; er warSchauspieler, Sänger, Dramaturg, Regisseur, Sprecher und Sprecherzie-her; sein Geld aber hatte er vor allem mit Seminaren verdient. SeineHauptklientel waren Ärzte, denen er die Grundlagen verbaler und non-verbaler Kommunikation zwischen Arzt und Patient beibrachte. Er refe-rierte über den Umgang mit der eigenen Macht und der Ohnmacht desPatienten, analysierte und demonstrierte anhand kurzer Dokumentarfil-me Sprechweisen und nonverbale Botschaften wie Angst oder Wut. UndIsabelle, die mir mit ihrem langen Hals, den kurz geschorenen Haarenund den schmalen, kraftvollen Gliedern bisweilen vorkam wie eine Ga-zelle, die sich unter die Menschen wagte, war stets an seiner Seite, ver-waltete seinen Terminkalender, spielte die Hauptrollen in seinen Tanz-theaterstücken, trug die teuren Kleider, die er ihr schenkte, kochte,wusch und bewunderte ihn.

Milena sei natürlich überrascht gewesen, erzählte Felix weiter, sie ha-be seinen Anruf indessen nicht als ungebührlich empfunden. Er sei si-cher, sie werde sich in nächster Zeit bei ihm melden. Ich staunte überseine gewählte Ausdrucksweise. Das Reden strengte ihn an, vor allemabends, auch wenn Aussenstehenden kaum etwas auffiel, eine leichteVerzögerung vielleicht, eine undeutlich artikulierte Endung, eine eigen-tümliche Formulierung. Vor vier Jahren hatte er einen Schlaganfall er-litten. Nachdem er mehrere Seminare absagen musste, blieben die An-

fragen aus. Als Regisseur hatte er nie wirklich Erfolg gehabt, jetzt warer endgültig aus dem Rennen. Und dann erkrankten ein paar Leute umihn herum, ein ehemaliger Mitschüler, eine alte Freundin, ein Nachbar,alle in Felix’ Alter oder wenig älter. Isabelle hingegen drehte einen Kurz-film. Sie wurde für eine Lesereihe angefragt, sie lernte Tangotanzen, sieverliebte sich. Isabelle war achtunddreissig; es war absehbar gewesen –wenn auch nicht unvermeidlich –, dass sich ihre Wege trennen würden.Felix taumelte wie ein angeschlagener Boxer im Ring im Viereck zwi-schen Verzweiflung, Wut, Eifersucht und einem noch zaghaften Gefühl

Umso erstaunter war ich, als Felix – um eine Nuance zu lautund zu forsch – wie beiläufig sagte: «Milena? Es geht ihr gut.»

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Ruth Schweikert geboren 1964 in Lörrach,lebt mit ihrer Familie in Zürich. Sie schreibtRomane, Erzählungen und Theaterstücke so-wie Kolumnen und Essays. Ausserdem unter-richtet sie am Schweizerischen Literaturinsti-tut in Biel.

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der Erleichterung, wenn er daran dachte, dass er Isabelle nun nie mehrbeweisen musste, wie jugendlich, vital und dynamisch er mit bald vier -undsechzig und chronischem Bluthochdruck noch immer war.

Ich hatte schon vor längerer Zeit im Internet recherchiert und Mile-na Hartmann gefunden. Sie lebte in Köln. Ich hatte mit dem Gedankengespielt, nach Köln zu fahren und Milena endlich zu sagen, was ichüber ihren Vater wusste. Es stimmte, ich hatte Milena nie gesehen, siemir aber immer wieder vorgestellt; wie sie zu einem Schulkind, einemTeenager, einer jungen Erwachsenen heran-wuchs. Die Vorstellung betraf weniger ihr Äus-seres – ich erinnerte mich vage an ein kleinesSchwarzweissfoto, das Felix damals in seinemwinzigen Zürcher Appartement an die Wandgepinnt hatte; ein hübsches Mädchen mit ei-nem weichen Gesicht und schwarz gelocktenHaaren – als vielmehr ihre innere Entwicklung. Ich fragte mich, ob undwann sich die verschwiegene Herkunftsgeschichte ihres Vaters zeigenwürde. Oder ob es möglich war, dass Milena nichts davon merkte, dasssie gar keine Rolle spielte. Ich sammelte alles, was Felix mir über sie er-zählte, und bewahrte es in meinem Gedächtnis auf.

Als Milena neun war, hatte er sie für eine Woche mit in die Sommer-ferien genommen, ans Mittelmeer. Doch Milena hatte sich geweigert,schwimmen zu gehen, oder – wie Isabelle vorgeschlagen hatte – mit ei-nem Pedalo rauszufahren. Noch nicht einmal die nahe Gelateria mit ih-ren abenteuerlichen Kreationen vermochte sie aus dem Haus zu locken.Sie verkroch sich mit ihrem Walkman ins Bett und tauchte nur zu denMahlzeiten auf, bis Felix es nicht mehr aushielt und sie vorzeitig bei derMutter ablieferte.

Natürlich hätte ich ihr auch einen Brief schreiben können. Aber je-des Mal, wenn ich einen Versuch dazu unternahm, schien es mir voll-kommen abwegig; noch abwegiger, als einfach nach Köln zu fahren undan ihrer Wohnungstür zu klingeln. Am hemmungslosesten allerdingsgab ich mich der Vorstellung hin, Milena aus der Ferne zu beobachten.Ich kannte zwei, drei Leute in Köln und stellte mir vor, wie sie Milenaüberallhin folgten und mir über jeden ihrer Schritte berichteten, wie siesich bewegte, wen sie traf, worüber sie mit ihren Freunden sprach. Viel-leicht war es so: Ich glaubte nach all den Jahren Milena besser zu ken-

nen als sie sich selbst kennen konnte; ich stellte mir vor, ich müsste ihrnur den entsprechenden Schlüssel liefern und schon konnte sie ihr In-neres aufschliessen.

Von ferne war das dumpfe Grollen der Üetlibergbahn zu hören. Ob-wohl es erst gegen zweiundzwanzig Uhr ging, waren die Strassen bei-nahe leer, die Sturmwarnung hatte gewirkt, nur selten fuhr ein Auto vor-bei. Bald würde Reto vom Kino nach Hause kommen und irgendwannhoffentlich auch Daniel. Unser Gespräch war zu Ende; Felix wünschte

mir eine gute Nacht; ich wünschte ihm dasselbe. Ich ging ins Bad, putz-te mir die Zähne und zog das Pyjama an. Bevor ich das Licht löschte,warf ich einen letzten Blick auf den Schreibtisch. Alles war an seinemPlatz: Mein Laptop, Briefe, Rechnungen. Ein paar Gratiszeitungen, eingelber Bleistift, ein Schwarzweissfoto von Daniel als Kleinkind. Er sassin einem Hochstuhl und schmierte sich die Reste einer Banane ins Ge-sicht. Bevor ich einschlief, dachte ich an ihn und es schien mir, als hät-te ich ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, als hätte ich ihn irgendwounterwegs verloren. ■

Felix taumelte wie ein angeschlagener Boxer im Viereckzwischen Verzweiflung, Wut, Eifersucht und einem nochzaghaften Gefühl der Erleichterung.

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Gabriel Vetter wurde 1983 in Schaffhausengeboren, durchlebte die harte Schule des Klett-gauer und Thurgauer Landlebens und giltheute als Ausnahme-Erscheinung in der litera-rischen Bühnenlandschaft des deutschspra-chigen Raums. Für sein Programm «Tourettede Suisse» (erschienen im Sprechstation Ver-lag 2005) wurde Gabriel Vetter als jüngsterPreisträger überhaupt mit dem renommiertenRadio-Kabarett-Preis «Salzburger Stier» ausgezeichnet. In der Spielzeit2012/13 ist Gabriel Vetter, der anfänglich Jus und Theaterwissenschaf-ten studierte, Hausautor am Theater Basel. Der Autor wohnt hin undwieder in Winterthur, engagiert sich mit Herz und Lunge für die Organ-spende und mag Kühe sehr gerne.

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Es war einmal, liebe Kinder, ein Samichlaus im Kanton Thurgau. Es war damals nicht nur saukalt, es war auch stockfinster – und dem Sa-michlaus wurde langsam übel. Der Samichlaus versuchte mit aller Kon-zentration, seine Augen an irgendeinem Punkt zu fixieren und diesenPunkt so lange wie möglich im Blick zu behalten; denn so hatte er eseinst gelernt; damals im Adventstanz-Kurs bei Madame Soleil, im Sa-michlaus-Nachhilfe-Lager in der Wladiwostocker Kaserne. «Bei Pirouet-ten immer schön einen Fixpunkt im Auge behalten, sonst müsst ihr er-brechen, chers amis», hatte Madame Soleil stets gesagt. Ach, was hätteer dafür gegeben, wieder Chlaus-Kind zu sein. Damals! Damals war ernoch klein gewesen; ein unscheinbarer Chlaus-Goof mit schlohweis-sem, aber etwas allzu widerspenstigem Kinderbart, ein übergewichtigerKnollennasen-Bub aus dem Lehrbuch, und damals hätte er, der Sa-michlaus, niemals gedacht, dass er einst hier stranden würde: Im Thur-gau, ausgerechnet. Doch zu höheren Weihen hatte es ihm am Endenicht gereicht: Die talentiertesten Chläuse, die Streber und jene Erb-Chläuse aus den gut situierten Nikolaus-Familien, wurden alle sofort abPresse abgeworben, von PR-Firmen in feinsten Zwirn gesteckt und nachFlorida entsandt oder in die Karibik, nach Caracas und Singapur, wo siefröhliche Sonnenkinder mit Mandarinen und Sonnencreme beschenk-ten. Er aber, der nur mittelmässig begabte Samichlaus, der durch einendummen Seitensprung in die Welt geschleuderte Sohn eines Aushilfs-Schmutzlis aus Bottrop und einer dreibeinigen algerischen Rentierdamemit Hang zu einem Punsch-Problem, wurde nach seinem knapp be-standenen Abschluss an der Samichlaus-Sonderschule in Harlem in denKanton Thurgau versetzt. Hätte er im Fach Chlausen-Foxtrott bei Mada-me Soleil nur eine etwas bessere Note erzielt, wäre er wenigstens nachKinshasa geschickt worden, als Père Noel im kugelsicheren Geländewa-gen, wo er den artigen Kindern wenigstens glänzige Handgranaten, undnicht mehlige Walnüsse, hätte aushändigen dürfen. Doch statt eines4x4-Wagens und einem ganzen Harem afrikanischer Wüstenköniginnenmusste er sich nun mit einem Plastik-Schlitten aus Otto’s Warenpostenbegnügen, für 49.90 Fr., mit einem einzigen Esel vornedran, einem däm-lichen Grenzgänger-Maultier aus Friedrichshafen namens Ulf. Ulf wardenn auch die Ursache, weshalb dem Samichlaus dermassen speiübelwar: Ulf, der schwäbische Idioten-Esel, war völlig versessen auf dieMarzipan-Mäuse, die der Samichlaus in seinem grossen Sack, zwischenden Äpfeln und den Biberlis, verstaut hatte – und die eigentlich für dieKreuzlinger Steiner-Schüler bestimmt waren. Weil aber der Samichlausdummerweise in Romanshorn die Abkürzung über den Kreisel auf der

Hauptstrasse genommen hatte, sass er nun im Schlammassel. Kurznachdem nämlich Ulf in den Romanshorner Kreisel eingebogen war –und plötzlich vor sich den eigenen Schlitten voller bestens duftenderMarzipan-Mäuse entdeckte –, rannte er natürlich wie blöd dem Schlit-ten, also den Marzipan-Mäusen, nach. Wie ein Hund seinem eigenenSchwanz. Natürlich ohne Erfolg: Ulf rannte und rannte – und der Ab-stand blieb doch immer derselbe. Weshalb der Samichlaus nun also, andiesem 6. Dezember, mitten in der kalten Nacht, bereits seine achtund-zwanzigste Runde um den Romanshorner Hauptstrassen-Kreisel drehte.Und dann passierte es: Bei Runde vierundvierzig konnte sich der Sa-michlaus nicht mehr halten und musste tatsächlich – es ist leider nichtschön, aber wahr – mitten in den Kreisel erbrechen. Das Erbrochene ge-fror natürlich sofort, was noch viel unschöner war. Die nun gefrorenenGebilde sahen ein bisschen so aus, wie jene Figuren aussehen, die beimBleigiessen an Silvester entstehen. Nur eben etwas hässlicher. Doch da-mit nicht genug: In all den Adventstagen über all die Jahre, in denen derSamichlaus mit seinem Esel Ulf durch die Thurgauer Strassen bretterte,ist dem Samichlaus derselbe Lapsus mit jedem einzelnen Kreisel imKanton Thurgau passiert. Überall, in Kreuzlingen und in Bottighofenund in Altnau und in Frauenfeld und in Bischofszell, hat der Samichlausmit seinem Schlitten Dutzende Runden gedreht und sich schliesslich indie Kreisel erbrochen. Und deswegen, liebe Kinder, sehen die Kreisel imThurgau auch so aus, wie sie eben aussehen: Weil der Samichlaus beiMadame Soleil so schlecht Foxtrott tanzte. ■

VON GABRIEL VETTER

Der Samichlausim Kreisverkehr

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Sibylle Berg geboren 1962 in Weimar, lebtheute in Zurich. Sie hat bislang zehn Bucherveroffentlicht: «Ein paar Leute suchen dasGluck und lachen sich tot» (1997), «Sex II»(1998), «Amerika» (1999), «Gold» (2000), «DasUnerfreuliche zuerst – Herrengeschichten»(2001), «Ende gut» (2004), «Und ich dachte, essei Liebe – Abschiedsbriefe von Frauen», «Ha-be ich dir eigentlich schon erzahlt … EinMarchen fur alle» (2006), «Die Fahrt» (2007), «Das war’s dann wohl –Abschiedsbriefe von Mannern» (2008), «Der Mann schläft» (2009) und«Vielen Dank für das Leben» (2012). Ihre Theaterstucke («Helges Le-ben», «Wunsch dir was!» etc.) werden an zahlreichen Buhnen im In-und Ausland gespielt.

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Du liegst da, du schnarchst, oder ich bilde mir ein, dass du Geräu-sche machst, die man deutlich hört, weil es draussen so still ist, als wä-ren wir nur übrig. Das ist diese Festzeit, die Jahresendzeit, wo die Weltstarr ist vor Angst, weil wieder alles vorbei ist, sich nichts geändert hat.So sitzen sie in ihren Wohnungen, die dunklen Höhlen gleichen, nachNahrung riechen, nach Zimtzeug riechen, alles riecht wie eine schwereWolke aus Mensch und Trägheit, weht nicht mal, steht in den Höhlen,und draussen ist tot. Draussen ist nichts, ausser Stillstand und Warten,dass diese furchtbare Zeit vorübergehen möge und alles von vorne be-ginnt. Von vorne, da will ich nicht dran denken. Du machst Geräuscheund ich denke kurz, dass ich nie mehr einen anstarren werde, im Schlaf,berauscht von seiner Anwesenheit. Du bist ein Tisch geworden, und esist Jahresende, da räumt man auf und um und raus, was die Sicht ver-sperrt. Und denkt, man könnte ja noch mal zum Anfang gehen. Wenndoch sonst schon alles gelaufen ist, könnte doch ein neuer Mensch dasLeben, das garantiert wieder beginnt demnächst, zu etwas Lautem wer-den lassen. Und du schnarchst. Manchmal in der Nacht, wenn dudenkst ich schlafe, deckst du mich zu. Wenn ich mich zu weit aus demFenster lehne, fasst du mich ängstlich um den Leib. Du kochst Dinge,die furchtbar schmecken, du kleckerst beim Essen, und ich kenne alledeine Witze. Es sind immer dieselben, wir lachen seit Jahren darüber.Wir haben eine Sprache, die keiner ausser uns versteht, sie ist bescheu-ert, und wir denken wie alle Paare, das sei einzigartig. Du hast nebenmir gesessen im Krankenhaus, und ich wusste nicht, wie ich dich beru-higen soll. Das neue Leben könnte in einer Villa stattfinden. Mit einemMenschen, dessen Haare noch voll sind, dessen Hosen ich nicht kenne,dessen Familiengeschichten mir neu sind, und draussen sind alle tot. Anmanchen Tagen sehe ich dich nicht mehr, eben wie den Tisch, den wirnie hatten, weil wir nicht gewusst hätten, was man damit tut. Wir essenim Bett, du kleckerst, ich wische dir das Gesicht, es ist wie meins, ichspüre Verletzungen, die du hast. Aufregend ist das nicht. Und nunschnarchst du nicht mehr, im Schnee draussen läuft einer. Vermutlichlebt er allein. Alles ist noch möglich für ihn, er war in einem Kiosk, Kaf-fee holen, mit dem geht er in seine Wohnung, die ist leer, ausser einemprächtigen Tisch ist sie leer die Wohnung, da sitzt er mit dem Kaffee anseinem Tisch und der Schnee fällt und er schaut aus dem Fenster undmag sich denken: Irgendwo da draussen wartet einer. Mit ihm werde ichein wildes und verrücktes Leben führen, er wird mich aus diesem All-tag wegbringen, ich werde nie mehr allein in meiner Küche sitzen, mitdiesem Scheisskaffee, und den Weg zur U-Bahn, den muss ich dannauch nie mehr gehen, weil ich dann endlich nicht mehr alleine bin.Dann, später, schläft er ein, der Mensch, mit kalten Füssen, den Aschen-becher zu dicht, und es zieht doch immer in dieser furchtbaren Woh-nung, und warum er am nächsten Tag aufstehen soll, das mag ihm nichteinfallen. Du schnarchst nicht mehr, du machst die Augen auf undsiehst mich und die Welt ist komplett, weil ich da bin, nicht ertrunkenin der Nacht, nicht weggelaufen mit einem der keine Geräuschemacht, und du wirst mich zudecken, ich werde dich zudecken, inWeiss geht die Welt unter, ich habe geträumt, dass du ein Tisch bistund ich ein neues Leben anfangen muss, jetzt bist du munter und ichdanke dir für dich. ■

VON SIBYLLE BERG

Eine Weihnachtsgeschichte

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VON MAX RÜDLINGER

Weisch wie!?

Weisch – i glaub ich hadrs scho emol verzellt – am Tag, woni geboreworde bi, am 3. April 1949, amene Suntig, händ d’Schwizer vo de Ösch-tricher 2:1 ufe Sack übercho. Chum gebore und scho Ärger mit dr Fuess-ballnazionalmannschaft! Das gseht memer hüt no a.

Scho bim Aschpiel hät dr Eggima äs Ökofaul gmacht – är hät i Bodegschtupft – und äso isches dänn ebe usecho, wies usecho isch. Und äsohäts au müesse cho, wil dr Träner vo de Rotjagge – äso hätme üsernedamals gseit – Rotjagge – drwill händ die gar kei Jagge agha, sonderngwöhnlichi Liebli, aber das sind ebe anderi Zite gsi – ebe, will dr Träner,dr Rappan – än Öschtricher notabene – will sich dä nöd verblödet hät,üsers Schtürmerschenie, dr Fredi Bickel, erscht zwänzg Minute vorSchluss z’bringe. Dr Fredi, das isch eine gsi wie dr Türkilmaz, dä hätgschpillt wiene Parkuhr, dä isch umegschtande und dr Club – GC – hätGäld inen ine gschtopft. Und das ischem Rappan nöd rächt gsi.

Aber was wotsch wännz Gol mached!?

Zwänzg Minute vor Schluss ischs aber vill z’schpot gsi, und dr Fredihät nur no z’Ehregol chönne schüsse. Und am gliche Sunntig isch d’Al-gerierundfahrt z’Änd gänge, wo dr Zürcher Max Bosshard vom erschtebis zum letschte Tag letschte gsi isch. Das isch ä Sunntig gsi, läck mieram Tschöpli!

Immerhin sind im 49i au wältpolitischi Weiche gschtellt worde. Dohät dr Fidel Caschtro nämli ä Baseball-Profivertrag vo de Neujork Giantsusgschlage …

Dr Fuessball hät mi aber au zu religiöser Inbrunscht gfüehrt. I bi nämlinöd wahnsinnig religiös gsi … I hamer zwar immer ä Hufe Nachtgebät uf-glade, bi aber regelmässig scho ir Helfti igschlafe und ha dänn äs schlächtsGwüsse gha. Aber be de Ufschtiegsschpiel vom FC Flums vor dritte i diezweiti Liga do hani immer äs Papschtbildli im Sagg gha und zum Lieb-gott bättet: «Liebe, liebe Gott, bitte, bitte, mach dass dr FC Flums gwünntund eine von dene Holzhacker vom FC Sevele vum Platz gschtellt würt.»

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Also damals bini sicher ä Schlüsselschpiller bim FC Flums gsi … Wied’Medizinmänner bi de Brasilianer oder de Kameruner … Schpöter ha-ni dänn bim Schportclub Zug als Schpiller versuecht Karriere z’mache.Zerscht als Goli bi de B-Juniore: I bi ä Glanz gsi – aber nur bi halbhöcheBäll i rächte Egge. Ich ha amigs Ränzler grisse – Plonschons – und biwaagrächt ir Luft gläge … Das isch gsi wie dr Liebgott, wo übers Was-ser lauft … Gäll, dr Berti Vogts hätt jo ämoll gseit, wänn är übers Was-ser laufe würdi, dann würts nochäne heisse, är chönni nöd schwümme.

Nöd schlächt, hä? Im ganze aber hani grunne wienes Sieb, willi imGrund gno Angscht vor scharfe Schüss gha ha … Jo meinsch, i liessmersone Siech i d’Magegrueb schüsse!? Weisch wie das tuet?

Und drum hani ebe immer d’Tändänz gha, äs bitz absits vom Gschehz’schtah und dänn ä Ränzler z’riesse, als mich azschüsse z’lah. Das hätguet usgseh, isch aber nöd grad effiziänt gsi.

Drum bini dänn a lingg Flügel versetzt worde. Das isch z’Abschtell-gleis gsi für söttig, wome nöd hät chönne bruche. I bi affeschnell gsi, äsoschnäll, dass dr Bölle gar nöd noche hät möge. Und willi so gschnell gsibi, hänz mier ‹Garrincha› gseit! Weisch no dr Garrincha!?

Das isch eine vo dä schenialschte Tschütteler gsi, ä Brasilianer. Wo-ner agfange hätt, do händ sich d’Ärzt bekrüzigt und gseit, us so eimwärdi nie öppis. Dä chönni jo nöd füf Metergradus laufe ohni zweimol ufe Sack z’gheie.Dä Garrincha, das muess ä armseligs Hüfeli gsisi, ä hinkende Zwärgesel mit dr Intelligänz vo-mene Häfelischüeler und äre Wirbelsüle wie-nes S und Bei, wo uf die glich Site useboge gsi sind. Und drum hät ihmeine vo sine Brüedere dr Name ‹Garrincha› gä, will das sone nütige, chli-ne Vogel gsi isch.

Aber sone Flügel wie dr Garrincha häts voräne und nachäne niemehgä. Ar Wältmeischterschaft 1958 dr bescht Schpiller uf siner Posizion.Und im 62gi dr bescht Schpiller vom ganze Turnier!

Und äso hättme m i e r gseit! I bi nöd ganz so schenial gsi: Bim Kickers Summerturnier z’Luzärn

isches ä Affehitz gsi und mier händ gäge d’Luzärner kei Schtich gha.Nach dr Pause hani bim Aschpiel dr Ball linksusse übercho und bi –wies mini Art gsi isch – ab wie Poscht schtracks ufs Gol zue. I ha mi nogwunderet, dasses für eimol so eifach goht. Füf Meter vorem Gol haniabdruggt und dr Bölle unhaltbar versänkt.

Erscht due hani gmerkt, dass i jo ufs eigeti Goal los bi. I ha ä Sun-neschtich gha! Wie d’Schwizer adr Wältmeisterschaft dähei im 54i, idrHitzeschlacht vo Losann, wos vo de Öschtricher 5:7 ufe Sack überchohänd. Nachdem mier i vier Minute 3:0 gfüehrt gha händ – zwei dr Hü-gi und eis dr Ballaman – händ d’Özis i nün Minute füf – füf! – Golgschosse und am Schluss hänz 5:7 gwunne!

Do häts uf dr Pontaise z’Losann am Abig am füfi, wo z’Schpiel apfif-fe worde isch, 40 Grad gha! Weisch wie, do häsch äs Ei im Hosesackchönne choche!

Du, do isch d’Schwiz im Viertelfinal gsi – äs Riesedrama! Dr Schwi-zer Riegel, wo d’Italiener nachäne nachegmacht händ, dr Catenatscho,isch wienes Schoggolädli a dr Sunne verloffe. Dr Bocquet hät ebe au äSunneschtich gha, und dr Parlier hät siebe Mol müesse hindere griffe.Aber dr Bocquet hät nöd nur ä Sunneschtich gha, sondern au no äGhirntumor, wies nach dr WM feschtgschtellt händ, und dä hänzemdänn nochäne usegno, und dänn isches dänn wieder gange.

Dr Casali, än Ybler ufem linke Flügel, äber hät überhaupt keis Pro-blem gha: Är hät gseit, är heg vorane no Bluet- und Läberwürscht mitRöschti gässe und d’Bei mit Schnaps igriebe, do sigme nochäne vill wä-niger empfindlich.

Ds Toupe aber isch gsi, dass z’6:4 vo de Öschtricher us Absitsposiziongschosse worde isch! Nöd absitisverdächtiger Posizion, A b s i t s ! Dashänds sälber müesse zuegä! Dr Schiedsrichter, die Pfife, hät wahrschin-li au ä Sunneschtich gha und weisch, wie dä gheisse hät? Faultless, Ed-ward Faultless, dr Edi Fählerlos, än Schott, das isch doch än Witz! Fäh-

lerlos, wie chame nur äso heisse?! Dänn scho no lieber Hölzenbein oderBeenhacker …

Und dr Linierichter, än Schpaniöggel, hat voräne absits azeigt gha,und d’Schwizer sind wäge dem au nümme gseggled – be dere Hitz! –aber wo dr Faultless zur Mitti zeigt hät, hät dr Schpaniöggel nüt me wöl-le vo Absits wüsse und isch wiene kläpfte Daggel zur Mitti gwaggled.

Das vereinigti Mittelmeer, d’Schpaniöggele, d’Öschterricher und d’Sunne händ öis dr WM-Titel gschtohle! Drum söttme no hüt nid det abei d’Ferie!

Wobis also au äm Goli vo de Özis, äm Kurti Schmied, dr Ghirnappa-rat gröschtet gha hät. Dr Kurti Schmied hät nöd emoll me gwüsst, wö-vel dasses isch, wo dr Seppe Hügi no uf 6:5 ufgholt hätt. Do hät sich drHappel, än Verteidiger, no eine gleischtet. Das isch dänn äso idr Zitiggschtande … Jetz muesch lose: «Happel stoppte einen weiten Abschlagder Schweizer mit dem Gesäss, ferselte, als er angegangen wurde, denBall schlecht zurück zum halb ohnmächtigen Schmied Kurti und rette-te dann in Corner. Der österreichischen Kolonie am Spielfeldrand droh-te ein Massenherzschlag. Freilich, der gleiche Happel sprang in unbe-schreiblichem Stil seinem Tormann bei. Die Schweizer hatten dieSchwäche von Schmied bald erkannt und schossen aus allen Lagen und

Distanzen. Happel aber war immer neben seinem Torhüter in Bereit-schaft und schrie: Geh weg, Kurti! Und köpfelte und vollierte solcheBombenschüsse von der Torlinie weg, dass man meinte, sein Kopf oderdie Beine müssten Schaden nehmen.» Nöd schlächt, hä? Mini erschtiWältmeischterschaft isch 1950 gsi, do bini eis gsi. Do isch d’WM umeCup Jules Rimet i Brasilie ustreit worde. D’Schwizer händ gäge d’Brasi-lianer 2:2 gschpillt und hettid sogar chönne gwünne … Weisch wie!?

Do isch dr Garrincha no nöd drbi gsi. Wänn dr Garrincha gschpillthät, dänn isch Zirkus gsi. D’Zueschauer händ sich vor Lache boge unduf d’Schänkel ghaue. Dr Garrincha isch übere Ball gschprunge, dr Ballisch über ihn gschprunge, dr Garrincha hät linggs atüscht und ischrächts verbi, underwägs sind d’Gägner inenand ine gschosse, händ sichmit de Bei verwigglet, händ Schwindelafäll übercho oder sind uf z’Füdligheit …

Dr Garrincha hät sini Kapriole immer am Rand triebe, am rächte Flü-gel, wiler inere Vorschtadt ufgwachse isch und bi ‹Botafogo› gschpillthät. Das heisst ‹Brandschtifter›. Und genau das isch dr Garrincha gsi, äBrandschtifter. Dä hät Stadie azündt, hät gsoffe wines Loch, isch abervor de ville Lüt gflohe, wilen irgendwo ä Ball grüeft hat, ä Musig, ä schö-ni Frau …

Und äso hätme mier gseit: Garrincha! Weisch wie!?Ä Sieger? Jo chasch tänke, ä Verlürer, wo Glügg gha hät. Aber z’Glügg

häts so a sich, dasses nie lang duret. Und drum isch dr Garrincha im Suffgstorbe, verarmt und ällei. Weisch wie!?

Jetz muesch luege, dr Shaqiri … ■

Max Rüdlinger geboren am 3. April 1949, an-sässig in Zürich, Schauspieler und Autor, spiel-te in Filmen wie ‹«Achtung fertig, Charlie» und«Hugo Koblet – Pedaleur de Charme».2007 erschien «Das Recht auf Memoiren» undim vergangenen Herbst im Bilgerverlag «Ver-reist».

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«Dr Schiedsrichter, die Pfife, hät wahrschinli au ä Sunneschtichgha und weisch, wie dä gheisse hät? Edward Faultless.»

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VON MILENA MOSER

Fällt dieses Jahr aus

Es war noch dunkel, als Klara die steile Gasse zur Altstadt-Buch-handlung hinaufging. Sie wollte die letzten Bestellungen erledigen, be-vor der Ansturm der Kunden begann. Es war der 24. Dezember. Klarawürde durcharbeiten bis vier, dann noch eine Stunde aufräumen oderzwei, dann – nichts.

Weihnachten fand dieses Jahr nicht statt. Jedenfalls nicht mit ihr.Dabei war der Heilige Abend immer ihr Fest gewesen. Lange, bevor

sie Kinder bekommen hatte. Schon in der WG hatte sie auf einem Baumbestanden, auf glitzerndem Schmuck und Kerzen, auf einem schönenEssen, auf kitschiger Musik. Die keine Familie hatten oder mit ihr zerstritten waren, die sich auf Durchreise oder weit weg von Zuhausebefanden, sassen am 24. Dezember mit Klara um den langen Tisch, be-wunderten den Baum, der mit glitzernden Barbiepuppenschuhen ge-schmückt war, und sangen «Jingle Bells».

Dann hatte sie geheiratet und Kinder bekommen, die Puppenschuhedurch selbst gebastelte Strohsterne ersetzt, eine Krippe mit Knetfigurenbevölkert, den Tannenbaum auf der Gitarre begleitet. Nach der Scheidungwar Klaras Tisch wieder grösser geworden, dieSplitterfamilien erholten sich bei ihr, man koch-te miteinander das, was man früher für die Fa-milie gekocht hatte, die es nicht mehr gab.

Doch dieses Jahr war alles anders. Gleichdrei ihrer Freundinnen hatten sich neu ver-liebt. Ihre Tochter flog mit ihrem Vater nachLas Vegas. Ihr Sohn feierte mit der Familie seines Partners. Klaras Mut-ter war letztes Jahr gestorben. Niemand hatte gefragt, ob er am 24. wieimmer zu ihr kommen könne. Die Vorstellung, Weihnachten allein zuverbringen, hätte Klara früher nicht ertragen. Heute fühlte sie sich wieein Kind, das die Schule schwänzt.

Als sie versuchte, die Ladentür aufzuschliessen, klemmte ihr Schlüs-sel. Sie schaute durch die Fensterscheibe. Hinter der Kasse brannte einLicht. Waren sie überfallen worden? Aber wer würde ausgerechnet eineBuchhandlung ausrauben?

Klara trat etwas zur Seite und versuchte, die Innenseite der Ladentürzu sehen. Frau Gambino, die Besitzerin, war die Einzige, die einenSchlüssel hatte. Doch diese verbrachte die Feiertage normalerweise inder Karibik. Oder war es die Südsee? Nathalie Gambino hatte die Buch-handlung von ihrem Mann zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt be-kommen. Das war zehn Jahre her. Nathalie Gambino behandelte ihreKunden wie Personal und ihr Personal wie kleine Kinder. Niemand hieltes länger als drei Monate mit ihr aus, ausser Klara. Es war ein Wunder,dachte Klara, dass die Buchhandlung Frau Gambinos Willkür überlebthatte. Sie änderte das Sortiment nach ihren Launen und Interessen.Kaum hatten sie sich als Spezialisten für moderne Kunst einen Namengemacht, füllte osteuropäische Literatur die Regale, nur um bald von Le-benshilferatgebern abgelöst zu werden. Eine Zeitlang hatten sie sogarDVDs verkauft. Im letzten Jahr hatte Frau Gambino sich auf Engel kon-zentriert, auf Bücher über Engel oder von Engeln. Schutzengel, bibli-sche Engel, literarische Engel. Das hatte sich vor allem in den letztenWochen bezahlt gemacht. Die Buchhandlung lief so gut wie noch nie.An manchen Tagen verzeichneten sie sogar Gewinn.

Klara zog ihr Handy aus der Tasche und wählte die Geschäftsnum-mer. Sie hörte es im Laden klingeln. Zwei, drei, zehn Mal. Dann beweg-

te sich etwas hinter dem Kassentisch. Klara trat einen Schritt zurück, fürden Fall, dass es doch ein Einbrecher war, der sich dort versteckt hatte.Doch die Hand, die blind über die Theke nach dem Telefonapparat tas -tete, war manikürt und beringt. Sie gehörte keinem Einbrecher. Sie ge-hörte Frau Gambino, die sich jetzt mühselig hochrappelte. Ihr gelbesHaar, das Klara immer an das einer Puppe erinnerte, war zerzaust, dieSchminke in ihrem Gesicht verrutscht wie eine Maske. Klara wartete ge-duldig, bis ihre Chefin den Telefonhörer gefunden und abgehoben hatte.

«Nathalie», sagte sie. «Frau Gambino, hallo, ich bin’s. Klara!»«Klara?»«Ich steh vor der Tür. Lassen sie mich herein.» Verwirrt schaute die Frau sich um. Dann entdeckte sie Klara im

Schaufenster und winkte erfreut. Dabei fiel ihr der Telefonhörer aus derHand. Sie muss betrunken sein, dachte Klara und seufzte. Ihre Chefinkam ihr öfter etwas beeinträchtigt vor. Trotzdem hatte Klara ihre Chefinin den letzten Jahren fast gegen ihren Willen ins Herz geschlossen. Siehatte eine sture Unbeirrbarkeit, die Klara beeindruckte. Und auch jetzt

gab sie nicht auf. Sie tauchte nach dem Telefonhörer und hielt ihn danntriumphierend hoch, wie eine Trophäe. Klara musste lachen. Sie klopf-te noch einmal an die Scheibe. Und schliesslich verstand Frau Gambinound schloss die Tür auf.

«Klara!», rief sie erfreut. «Schön, dass Sie da sind. Wir müssen mit-einander reden. Sie werden es nicht glauben! Wissen Sie, was dasSchwein gemacht hat? Ja, Sie wussten es wahrscheinlich schon die gan-ze Zeit. Sie sind nicht dumm!»

«Setzen Sie sich doch erst mal, ich mache Kaffee.» Klara führte FrauGambino zu dem blauen Sofa, das in der Ecke mit den Kinderbüchernfür müde Mütter bereitstand. Schwer liess sich die sonst so eleganteFrau hineinplumpsen. Sie streckte ihre Füsse aus, ihre Beine waren ge-spreizt, ihr Rock verrutscht. Klara wollte ihn zurechtzupfen, ihre Kniezusammenschieben, sie wollte nicht, dass Frau Gambino so dasass. Ob-wohl sie ja niemand sah. Sie schaute auf die Uhr. Die Bestellungenkonnte sie vergessen. Sie hoffte nur, dass die Lieferungen heute nichtverspätet kamen. Und die Aushilfe, die sie für die Geschenkverpackun-gen angefordert hatte, etwas taugte.

Sie ging in die Küche, die gleichzeitig als Lager und Packraum dien-te, und schaltete die Kaffeemaschine an.

«Sorry!» Klara drehte sich um. Ein unrasierter Mann mit sehr blauen Augen

kam aus der Toilette. Er zog seinen ebenfalls blauen Pullover zurecht,verbeugte sich knapp und verschwand dann zur Hintertür hinaus. Kla-ra meinte ihn «bis dann» sagen zu hören. Aber damit war sie wohl nichtgemeint.

Als sie mit einem starken Espresso zum Sofa trat, hatte ihre Chefinsich aufgerichtet. Klara entschied sich, den Mann in der Küche nicht zuerwähnen. Was ging er sie an?

«Ich glaube, Sie machen sich lustig über mich. Aber ichkann es nicht mit Sicherheit sagen, weil ich nicht nüchternbin. Ich bin seit Jahren nicht mehr nüchtern.»

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«Danke.» Nathalie trank einen Schluck Kaffee, dann sagte sie: «Wasmeinen Sie, warum mein Mann jahrelang so viel Geld in diesen Ladengebuttert hat?»

Das hatte sich Klara auch schon gefragt. Sie vermutete Geldwä-scherei. Gambino war schliesslich ein klassischer Mafianame, nicht?Doch sie entschied sich, nicht zu sagen, was sie dachte, sondern:«Weil er sie liebt. Weil er weiss, wie sehr Ihnen der Laden am Herzenliegt.»

Frau Gambino schaute Klara scharf an. Dann setzte sie sich etwasaufrechter hin. «Ich glaube, Sie machen sich lustig über mich. Aber ichkann es nicht mit Sicherheit sagen, weil ich nicht nüchtern bin. Ich binseit Jahren nicht mehr nüchtern. Selber schuld. Aber, auch wenn siemich jetzt auslachen: Genau das habe ich auch geglaubt. Er liebt mich,er sieht, wie viel Freude mir der Laden bereitet, auch wenn er keinenGewinn abwirft. Und das Geld hat er ja, hab ich gedacht. Andere Gat-tinnen bekommen jedes Jahr ein neues Auto oder eine Operation, odereine Einrichtung. Und ich halt ein weiteres Geschäftsjahr. Aber wissenSie, warum er es wirklich tut?»

«Wegen der Steuer?»«Pah! Die Steuer. Nein, Sie! Er bereitet die Scheidung vor. Er schafft

sein Vermögen ab! Die Beträge, die er offiziell ins Geschäft steckt, sinddreimal so hoch wie die, die der Laden real erhält. Mein Laden! Er be-nutzt meinen eigenen Laden, um mich zu hintergehen! Diese Hinterlist!Na, der wird sich wundern. Warten Sie nur!»

«M-hm», machte Klara. Sie schaute über den gelben Kopf hinweg undaus dem Fenster. Draussen warteten schon die ersten Kunden. Der letz-te Einkaufstag begann, so grau und kalt wie alle anderen vor ihm. Kla-ra schloss den Laden auf.

Um zwanzig nach vier hatte sie das letzte Exemplar von KatharinaFabers «Fremde Signale» verkauft und eigenhändig in goldfarbenes Pa-pier gewickelt. Die Aushilfe war pünktlich um vier gegangen. «Hier bit-te, und frohe Festtage!» Sie blickte zu Frau Gambino hinüber, die an derTür stand. Im Laufe des Tages hatte sie sich erholt und sogar recht kräf-tig mit angepackt. Jetzt versuchte sie gerade, einem Kunden zu erklären,dass der Laden schon geschlossen sei. Doch der schubste sie grob zurSeite und stürmte in den Laden. Dann zog er die Skimütze über seinesehr blauen Augen, eine echt aussehende Pistole aus der Tasche undrief: «Geld her oder ich schiesse!»

Klara musste lachen. Wer sagte denn so etwas!Doch Frau Gambino begann panisch zu schreien, der Kunde liess

sein Buch fallen, der Mützenmann räumte nicht nur die Kasse aus, son-dern auch das Gemüsefach im Kühlschrank, das ihm Frau Gambino zu-vorkommend öffnete und in dem sie offenbar die gesamten Einnahmender letzten Woche versteckt hatte.

Der Mann schoss ein paar Mal in die Luft und verschwand danndurch die Hintertür. Die Polizei kam, sie wurden befragt, einzeln undzusammen, zum Posten gefahren, Protokolle wurden erstellt und unter-schrieben. So verging der Heilige Abend. Mitternacht war vorbei, als siewieder auf der Strasse standen.

«Und jetzt?», fragte Klara. Sie hatte die blauen Augen des Räubersnicht erwähnt.

«Jetzt warten wir ab.» Nathalie Gambino wirkte sehr zufrieden. «DieVersicherung wird die Konten jetzt überprüfen müssen – die Steuerbe-hörde muss natürlich auch benachrichtigt werden …»

«Ich meinte, jetzt, in diesem Moment!»«Ach so! Jetzt gehen wir zurück in den Laden und feiern!»Klara schaute den Kunden an, der mit den Schultern zuckte und nick-

te. «Ich hab jetzt auch nichts mehr vor», sagte er. Klara hängte sich beiihm ein. Frau Gambino ging voraus. Sie lief immer schneller, sie hüpfteauf und ab wie ein Kind, das es nicht erwarten kann.Vor dem Ladenwartete der Mann mit den sehr blauen Augen auf sie. Er hatte eine Ta-sche voller Geld und zwei Flaschen Champagner dabei.

Weihnachten, dachte Klara. Findet also doch statt. ■

Milena Moser 1963 in Zürich geboren, veröf-fentlichte 1990 ihre erste Kurzgeschichten-sammlung «Gebrochene Herzen oder Mein er-ster bis elfter Mord». Mit «Die Putzfraueninsel»landete sie 1991 ihren ersten Bestseller. Es folg-ten weitere erfolgreiche Romane und Erzäh-lungen sowie Sachbücher. Milena Moser lebtmit ihrer Familie, nachdem sie acht Jahre inSan Francisco gewohnt hat, wieder in derSchweiz. Ihr aktueller Roman heisst «Montagsmenschen», erschienenim Februar 2012 beim Verlag Nagel & Kimche. Milena Moser schreibt re-gelmässig Kolumnen und hat zusammen mit der Autorin Sibylle Bergund der Agentin Anne Wieser eine Schreibschule gegründet: www.die-schreibschule.com

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VON RALF SCHLATTER

Zwei Kommaacht Volt

«Monsieur hunderttausend Volt», war der letzte Satz meines Vaters,«Monsieur hunderttausend Volt müsste man sein.» Dann lachte er seinhustendes Lachen und fing an, «Nathalie» zu summen. Nach zwei Tak-ten brach er das Summen ab und war ein Weilchen still. Dann hörte seinHerz auf zu schlagen. Das war am ersten Advent. Ich sass neben ihm,in seinem Wohnzimmer. Ich hatte gerade Tee gemacht.

Heute ist Weihnachten, und ich gehe durch die Strasse, in der ich auf-gewachsen bin, und verfluche all die Lichtergirlanden und diese ganzenHirsche aus gebogenen Plastikschläuchen voller kleiner Glühbirnen inden Vorgärten und denke mir, kein Wunder hat sein Herz aufgehört zuschlagen, bei all dem Strom, der hier versaut wird.

Was mein Vater und ich dabei natürlich ausblenden: Gilbert Bécaudreichten selbst hunderttausend Volt nicht. Der hatte den gleichen Jahr-gang wie mein Vater, 1927, und starb mit 74, an Lungenkrebs. Kurz dar-auf kriegte mein Vater seinen ersten Schrittmacher. Ihm gefiel diesesWort. Er verbrachte früher ganze Tage auf der offenen Rennbahn Oerli-kon und schaute den Schrittmachern zu, wie sie auf ihren Töffs standen,hinter sich die Rennfahrer, ein ohrenbetäuben-der Lärm im Stadion, und ich frage mich, ob dienicht auch alle inzwischen an Lungenkrebs ge-storben sind, stundenlang quasi dem Auspuffhinterherfahren, «jetzt habe ich auch einenSchrittmacher», pflegte mein Vater zu sagen,«mal sehen, ob ich ihm nachkomme!» und lachte sein hustendes Lachen.

Er nannte Nathalie nur «meine kleine Französin». Er lernte sie an ei-nem Kongress kennen, ich glaube, in Lyon, es muss um Energieversor-gung gegangen sein, und das ist ja das Absurde, ein Leben lang arbeite-te mein Vater, damit alle Menschen genug Strom haben, und am Endestarb er an einer Unterversorgung von läppischen zwei Komma achtVolt. Nathalie war zwei Köpfe kleiner als mein Vater. Wenn er nicht zuHause war, redete sie französisch mit mir und ich sagte nicht Mami zuihr, sondern Maman. Sobald er zur Tür hereinkam, und als fühlte siesich ertappt, wechselte sie in ihr charmantes Hochdeutsch. Ich liebtesie, mon dieu, wie ich sie liebte.

Und merde alors, wie ich mich ärgere. Dass ich meinen Vater nichtüber sein Leben ausgefragt habe, als er noch da war und hätte redenkönnen. Ob er geredet hätte, ist natürlich eine andere Frage. Vielleichthätte mir sein Schweigen etwas gesagt. Jetzt sitze ich in seinem Büro-zimmer und ziehe sein Leben aus den Hängeregistern in den Schubladenseines grossen schweren Schreibtisches. Das Bürozimmer war immer

zugeschlossen, und ich habe mich nie getraut, an die Tür zu klopfen.Nur einmal. Als Maman bewegungslos in der Badewanne lag. Undmein Vater hat erst nach dem dritten Klopfen seine Bürozimmertür auf-gemacht, missmutig, hat dann aber offenbar in meinem Gesicht gele-sen, dass etwas nicht ist, wie es sein soll, ich habe nur stumm undwahrscheinlich kreidebleich zum Badezimmer gezeigt, und es war daseinzige Mal in meinem Leben, dass ich meinen Vater rennen sah, diefünf Meter den Gang entlang, und es war das einzige Mal, dass ich ihnschreien hörte, minutenlang hat er geschrien, und in dem gekacheltenBadezimmer haben seine Schreie geklungen wie in einer Höhle. Seinekleine Französin war tot, und ich sitze in diesem schweren, lederbezo-genen Chefsessel im Bürozimmer meines Vaters, breite sein Leben vormir aus und sehe das seifentrübe Wasser, darin meine tote Maman undneben ihr der Fön. Zwölf Volt.

«Mit der Firma um die Welt» steht auf dem Hängeregister auf meinenKnien, einzelne Blätter, darauf vergilbte Farbfotos, mein Vater im An-zug, in Grüppchen von anderen Männern im Anzug, mit breiten, ka-

rierten Krawatten und dicken Koteletten an den Gesichtern, grinsend,weit weg von Frauen und Kindern, das Weltgeschehen und die Ge-schäfte noch fest in Männerhand, «Schanghai 1974» steht unter den Fo-tos, «Las Vegas 1977» und «Wien 1978».

Ich war acht, als die zwölf Volt meine Mutter umbrachten. «Wien1978». Mein Vater an einem Tisch in einem Biergarten, den linken Armerhoben, als hätte er einem Passanten die Kamera in die Hand gedrücktund ihm dann noch zeigen wollen, wo man drücken muss, den rechtenArm um eine Frau gelegt, orange Bluse, braune, lange Haare und eineriesige Sonnenbrille, sie sieht damit aus wie ein Insekt, der Blick meinesVaters geht geradewegs in die Kamera und ist eine Mischung aus Sie-gesgewissheit und Lausbubenstreich, Wien 1978 also, ein Sommerabendoffensichtlich, «c’est en septembre, que je m’endors sous l’olivier» sangGilbert Bécaud damals, und Ende September legte sich Maman in die Ba-dewanne.

Und ich sitze hier und meine Augen kommen nicht von diesem ver-gilbten Bild los und draussen schneit es und aus meinem Vater wird ein

Es war das einzige Mal, dass ich ihn schreien hörte, minu-tenlang hat er geschrien, und in dem gekachelten Badezim-mer haben seine Schreie geklungen wie in einer Höhle.

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fremder Mensch, ein Mensch mit einem Leben, von dem ich keine Ah-nung hatte, ein Mensch mit dem Arm um eine Frau, von der ich keineAhnung habe, wer sie ist, nur dass es nicht Maman ist, und ich bekom-me eine Wut auf diesen fremden Vater und ich bekomme ein Mitleid mitmeiner Mutter, die mit mir zu Hause sass und mir auf französisch Gute -nachtgeschichten vorlas und «Frère Jacques» sang, während mein Vatereinem Passanten seine Kamera in die Hand drückte, um sich und dieseFrau zu verewigen, und ich schüttle den Kopf und frage mich, warumich Mitleid habe mit meiner Mutter, vielleicht nur, um sie nicht auchnoch zu verlieren, aber noch während ich das denke, fängt auch sie an,zu verschwinden, immer kleiner wird sie und verliert sich im Schnee-treiben vor dem Fenster, ein fremder Mensch, mit einem Leben, vondem ich keine Ahnung habe, nur dass sie in diesem Haus keinenSchreibtisch hatte, aus dem man es ziehen könnte, lediglich ein ge-rahmtes Foto im Büchergestell und in einer kleinen, silbernen Dose einHäufchen ihrer Asche.

Es ist dunkel geworden, es schneit weiter, ich lasse meines Vaters Le-ben liegen, stehe auf und gehe durchs Haus, und auch das Haus ist mirfremd geworden, auch wenn ich immer noch blindlings weiss, wo dieLichtschalter sind, und ich steige in den Dachstock, es stinkt nach Tau-bendreck, ich ziehe einen dicken Plastik weg, er ist voller Staub und to-ten Insekten, darunter Schachteln und Koffer und Kleidersäcke, wennsie noch da ist, dann muss sie dort in der Ecke sein, wo sie immer standund wo ich sie immer holen musste am vierundzwanzigsten und michgefürchtet habe, alleine auf dem Dachstock, der Staub macht mich hu-sten, ich schiebe eine Bananenschachtel zur Seite, ich kann kaum etwassehen, ich taste mit der Hand nach vorne und fühle ein Stück Rinde.

Mein Vater war nicht der Handwerker, hat selten mit uns gebastelt,aber die Krippe hat er sich nicht nehmen lassen. Während er aus Sperr-holzplatten drei Wände ausgesägt und mit Winkeleisen in ein Bodenbrettgeschraubt hat, ging ich mit Maman in den Wald, um Rindenstücke undMoos zu holen fürs Dach. Maman hatte die Figuren gekauft, sie liegennoch immer im Stall, in Seidenpapier gewickelt, ich sitze an der Bushal-testelle und warte auf den Bus, der mich nach Hause bringt, ich wickledie Figuren aus, die Maria, den Josef, ein Hirte mit einem Stab, vierSchäfchen, einen Esel, einen Ochsen und das kleine Jesuskind, und et-was hat sich mein Vater als Energieversorger auch nicht nehmen lassen,nämlich das Lämpchen, das kleine, rote Lämpchen, das von der Rinden-decke hängt, mit zwei Drähtchen dran, die auf die Rückseite des Stallesführen, dort steht noch immer eine Batterie, festgeklebt am Bodenbrett,

halb ausgelaufen, die Kontakte voller Grünspan. Vier Komma fünf Volt.Ich schaue auf, der Bus kommt. Ich bleibe sitzen. Der Bus fährt an

und davon. Die Schneefallstille kehrt zurück. Ich wickle alle Figuren einund packe sie in meine Tasche, nehme die Krippe unter den Arm undgehe los. Am Ende des Dorfes hat ein Tankstellenladen offen. Ich gehezum Gestell mit den Batterien. Es fährt kein Bus mehr in die Stadt. Ichmarschiere zwei Stunden lang, in den Armen die Krippe. Es schneitnoch immer. Meine Finger werden klamm, die Füsse nass.

Zwei Komma acht Volt haben meinem Vater gefehlt. Hat er gewusst,dass die Batterie in seinem Herzschrittmacher nach acht Jahren zu En-de geht? Er muss es gewusst haben. Er muss es gefühlt haben. So etwasfühlt man doch. Er muss sich geweigert haben, sie ersetzen zu lassen.Irgendetwas in ihm muss sich geweigert haben. Er hat es mir nicht ge-sagt. Er hat nur «Nathalie» gesummt.

Ich komme nach Hause. Ich trage die Krippe ins Wohnzimmer undstelle sie auf den Tisch. Ich wickle die Krippenfiguren aus dem Seiden-papier. Als Letztes lege ich das Jesuskind in die Rindenkrippe. Links vonihm steht Maria, rechts Josef. Ein kleines, wehrloses Kind und danebenzwei fremde Menschen, mit einem Leben, von dem ich keine Ahnunghabe. Meine Hände zittern, als ich die Batterie aus der Verpackung reis-se und die Drähtchen anschliesse. Das rote Lämpchen glüht auf. Minu-tenlang sitze ich, noch immer in Jacke und Schuhen, vor diesem Bild,dieser scheinbaren Geborgenheit, in schwaches, warmes, rotes Licht ge-taucht. Dann erst, endlich, fange ich an zu weinen. ■

Ralf Schlatter geboren 1971 in Schaffhausen,lebt als freier Autor und Kabarettist in Zürich.Für seinen Debütroman «Federseel» (2002)und die Erzählung «Maliaño stelle ich mir aufeinem Hügel vor» (2003) erhielt er diverse Aus-zeichnungen. Zuletzt erschien 2012 der Lyrik-band «König der Welt». Fürs Schweizer RadioDRS schreibt er Hörspiele und schreibt undliest seit 2009 «Morgengeschichten» für DRS 1.Zusammen mit Anna-Katharina Rickert tritt er im Duo schön&gut auf,mit poetischem und politischem Kabarett. 2004 erhielten sie den «Salz-burger Stier». Im Januar 2013 sind sie zu sehen im satirischen Jahres-rückblick «Bundesordner», Ende Februar hat in Basel ihr viertes Büh-nenstück «Schönmatt» Premiere.

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Seit Kindsbeinen ist das Bellevue für Meier ein Tatort, an den es ihnbis dato zurückzieht, immer wieder. Siebenjährig mit dem Trottinett indie Hohe Promenade, wo der Knirps unter den Gräbern des Friedhofs imimmer düsteren Korridor an der Sandsteinmauer direkt neben den Totenein erstes Memento mori erlebt. Über das Kopfsteinpflaster der Eisen-bahnbrücke zum Bahnhof Stadelhofen, den Grossvater besuchen, dersich im Arbeitsmantel der Chauffeure neben dem Chrysler von Winter-halter aufgestellt hatte, auf Kunden wartete und dem Dieterchen zwan-zig Rappen gab, damit er sich am Automaten neben dem Kiosk eineweisse Schokolade aus der kleinen Eisenschublade ziehen konnte.

Ein paar Jahre später der gleiche Ausflug, aber jetzt am Grossvatervorbei, an die Schaukästen des Cabaret Odéon, zu denen er sich magischangezogen vorwagte, mit der Selbstlüge, das Limmatquai hinunter, überdas Central zurück an den Hottingerplatz zu fahren, tatsächlich aberdreimal um den Odéonblock kreiste, um nach jeder Runde hastig einenverbotenen Blick zu werfen auf die Photos der Nackttänzerinnen in ih-ren klitzekleinen Flitterhöschen und den Silbersternchen auf dem Busen,fasziniert, dass die Damen sich auszogen, hier gleich im ersten Stock undjeden Abend. So oft streifte der kleine Kerl am Kasten vorbei, dass dieKünstlerin Laura Kenn, die immer wieder in Zürich im Engagement war,seine erste Geliebte wurde: blonde Sehnsucht aus Hamburg, weit wegund verboten. Zu Ostern der Schaukasten mit einem zerschlissenen rosaTuch verhangen, nichts für den kleinen Jungen, den die Idee einer nack-ten Frau so verrückt machte, dass er sie nicht aus dem Hirn brachte, bisan den Esstisch zu Hause, wo die Eltern französisch sprachen, wenn siesich über die geistige Absenz des Sohnes wunderten.

Mit siebzehn Jahr, blondem Haar, die Rämistrasse runter zum CaféMaroc und ans Bellevue in der Hoffnung, die Gymnasiastin Fräulein S.zu treffen. Nach der Matura dann zu den Bieren im Odéon, das dem Tau-

Dieter Meier 1945 in Zürich geboren, begannseine berufliche Laufbahn als Performance-Künstler und experimenteller Filmemacher.1979 gründete er zusammen mit Boris Blankdie Musikgruppe YELLO, die als Pionier derelektronischen Popmusik gilt. Er veröffentlich-te zahlreiche literarische Arbeiten, 2006 er-schien «Hermes Baby» im Ammann-Verlag,2011 das Kinderbuch «Oskar Tiger» bei Kein &Aber, 2011 «Out of chaos – ein autobiographisches Bilderbuch» im EdelVerlag und die Monografie «Works 1968–2011 and the Yello years» imVerlag der Buchhandlung Walther König. Dieter Meier lebt in Kalifor-nien und Argentinien, wo er biologischen Landbau, Rinder- und Schaf-zucht sowie Weinbau («Ojo de Agua», «Puro») betreibt.

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VON DIETER MEIER

Bellevue retour

genichts für gute fünf Jahre zum Kosmos wurde, in dem er sich vor derWelt verschanzte am Spieltisch, einer Sucht verfallen, die keine Zeit lässtfür die Frage nach dem Sinn des Herumkrebsens auf diesem Planeten.

1968 Agitation und Blockade des ganzen Platzes. Meier-endlich-Sinnauf der Brücke eines Kleinlasters, von dem aus das Obergericht mit Farb -eiern beschmissen wurde zur Eröffnung des ersten Bordells der StadtZürich im sauberen Gerichtspalast mit Justizia, der grossen Hure derKlassenjustiz. Krächzend verzogen das Politgeschrei aus dem Mega-phon, grosses Hupkonzert am Bellevue, bis die Polizei die unbewilligteDemonstration auflöste und die Akteure nach dem Stress der Tat im Hin-teren Sternen den wohlverdienten Schnaps ins System rollen liessen undwichtig auf die Verhaftung warteten, die dann doch nicht erfolgte. Spä-ter im Jahr noch einmal Strassentheater und Sperren der Einfahrt Lim-matquai zum Bellevue mit dem Heuwagen eines ultralinken Bauern, aufdem für drei Stunden en suite das Trauerspiel eines Frauenlebens gege-ben wurde, mit Versteigerung der Kostüme der Unterwerfung, bis hinzum Brautkleid. Meier als Auktionator am Mikrophon, das kleinzyni-sche Spiel kommentierend, und diesmal endlich die ersehnte Verhaf-tung, aber nur zur Einvernahme. Nachher nie mehr was gehört vonGendarmen und Untersuchungsrichtern, die er sehnlichst gerne im Ge-richtssaal zur Weissglut gebracht hätte. Nach dem Ringen um Bedeu-tung als Anarchiste de salon dann endlich der erste bewusste Leerlaufauf dem Bellevue, der nichts mehr vorgab als eben Leer-Laufen, hin undher in schwarzen Klamotten über eine vorher vermessene Strecke vonzwanzig Metern, direkt vor dem Tramhaus und gewichtig angekündigtim Tagesanzeiger mit dem Bild des ernsten Protagonisten. Zu dieser Zeitauch Flaschenbiere im Morgengrauen, mit dem grossen Poeten StefanSadkowsky, der aus dem ungeschriebenen Roman «Schwamm und Nar-be» rezitierte, bis das Bahnhofbuffet um 05:00 die ersten Stangen aus-schenkte, die Meier-Saudurst in sich hineinsog wie die Kühe das Was-ser am Brunnen.

Und jetzt ein Zeitschnitt von ein paar Dutzend Jahren im Leben vonMeier-Zufall, bis er am Bellevue wieder auftaucht, das ihm Heimat istwie dem Bergbauern die Berge. Rasiert und ausgeschlafen erscheint er imgleichen Morgengrauen in der Cafeteria, wo früher die runden, hellbrau-nen Bänke des Warteraums standen, um einen Café zu bestellen und miteinem alten Zockerkollegen Bruchstücke der Erinnerung an den Platz zu-sammenzusetzen. Meier-taufrisch kommt sich vor wie eine Gemeinheitgegenüber den Damen und Herren, die eine Freinacht auf dem Zähler ha-ben und nach reiflicher Überlegung dann doch keinen Cappuccino be-stellen, sondern die geniale Stange Hell, die durch den Gaumen zischt alsgäbe es den späten Morgen nicht, an dem die Zecher ihren Hangoverpflegen, der sie wie damals den Schreiber mit dem Tanz der glühendenAmeisen im Hinterkopf stundenlang und gründlich verhöhnt. Jetzt istdas Bellevue umgebaut und der kleine Meier, über Nacht auch schon imSeniorenalter, wird den «Zentral-Platz» seiner Jugend immer wieder auf-suchen, bis sein Gastspiel auf dem Planeten zu Ende geht. ■

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Jlien Meinhard hatte schon immer schnell gefroren, doch seit siewuss te, dass sie schwanger war, hörte es gar nicht mehr auf. Sie hatteim Jahr davor in Zürich die Schauspielschule abgeschlossen, hatte einDebütantinnen-Jahr am Essener Schauspiel hinter sich (ihr Vertrag warnicht verlängert worden) und in jenem Jahr viel Liebeskummer erlitten.Sie war fein von Gestalt, hatte grosse, kindliche Augen und trug einen Bu-bikopf. Sie war an der Schauspielschule die Frau gewesen, die alle habenkonnte und die keinen wollte, weil sie sich selbst noch nicht als Frau sah.

Erst im letzten Jahr hatte sie eine komplizierte Beziehung zu einemihrer Sprecherzieher angefangen, der mehr als doppelt so alt wie siewar, ein brachialer, unreifer Mensch, doch er war auch doppelt soschwer, und sie liebte es, von ihm im Arm gehalten zu werden. Er warallerdings auch bekannt für seine Affären mit Studentinnen, und kaumwar sie nach Essen abgereist, schlief er mit einer Studentin aus dem er-sten Jahr. Trotzdem stellte er Jlien eifersüchtig nach, phasenweise rief ersie alle paar Stunden an, vor allem nachts (dabei erschöpfte sie das En-gagement so sehr). Doch auch Jlien fiel esschwer, ihn hinter sich zu lassen. Als sie nachZürich zurückkehrte, zwängte sich eine Ent-scheidung auf: Sie wollte bei ihm einziehen(vorübergehend schlief sie in ihrer alten WGauf dem Sofa), er fürchtete ihre Kontrolle. Nach heftigem Streit trenntensie sich Mitte Dezember, zehn Tage später stellte sie fest, dass sieschwanger war. Seither fror sie.

Im Thurgau, in dem sie aufgewachsen war, lebte noch ihre Mutter,Doris Meinhard, sie arbeitete als Bürofachfrau in einer Möbelfabrik.Über die Feiertage fuhr Jlien zu ihr, sie feierten wie stets ein stillesWeihnachtsfest zu zweit. Jliens Vater, ein deutschstämmiger Südafrika-ner, war nach Kapstadt zurückgekehrt, als sie sechs Jahre alt war, undsie hatte keine Geschwister (sie hatte einen kleineren Bruder gehabt,doch der war als Dreijähriger mit dem Dreirad tödlich verunglückt). Do-ris Meinhard war eine schweigsame Frau, und obwohl sie sicherlich ge-merkt hatte, dass ihre Tochter in keinem normalen Zustand war, warte-te sie, bis Jlien von sich aus erzählte. Danach sagte sie nur: «Fahren wirnach Vals, in der Therme wird dir wieder warm.»

Sie buchte das nächste freie Zimmer, Anfang Januar fuhren sie, dochJlien fröstelte selbst im warmen Bad. Sie teilten sich ein Zimmer im HausSelva, zweimal täglich gingen sie in die Therme, zweimal täglich assensie – das Mittagessen liessen sie aus, dafür tranken sie in der HotelhalleKaffee. Die übrige Zeit sass Jlien mit angezogenen Beinen auf dem Bett,sah in die dick verschneiten Lärchen vor dem Fenster, Doris sass amTisch und strickte, beide schwiegen. Erst am Nachmittag des dritten Ta-ges fragte Jlien in die Stille: «Was muss ich tun, um abzutreiben?»

«Ich weiss es nicht», antwortete Doris, «und ich will es auch nichtwissen.»

«Mit dem Kind kann ich das Theater vergessen», sagte Jlien. «Und ichbin viel zu jung für ein Kind.»

«Ich war auch vierundzwanzig, als ich mit dir schwanger wurde», er-innerte sie Doris, nachdem sie Maschen nachgezählt hatte.

«Und was ist aus dir geworden?» Darauf sagte ihre Mutter nichts.«Ich kann kein Kind allein grossziehen», erklärte Jlien, «ich brauche

einen Mann.»«Ich helfe dir», antwortete Doris. «Und bei deinem Aussehen findest

du auch mit Kind einen guten Mann.»«Du hast auch keinen gefunden.»«Ich habe keinen gesucht.»Etwas später gingen sie in die Hotelhalle, Jlien bestellte einen Latte

macchiato mit doppeltem Espresso. «Vielleicht kurbelt das den Kreislaufan», sagte sie. «Sieh mich nicht so an, ich muss keine Rücksicht neh-men. Ich werde dieses Kind nicht kriegen.»

«Teilen wir uns ein Stück Kuchen?», fragte Doris. Sie fragte jedenNachmittag, doch sie bestellten nie Kuchen.

Die Nächte waren lang (deshalb standen sie auch sehr früh auf), Do-ris träumte stets heftig, Jlien lag auf dem Rücken, musterte die mattenSchatten an der Decke und fühlte, wie etwas Fremdes in ihr nistete undihr alle Wärme raubte. In der dritten Nacht, nachdem Doris mehrmalsim Schlaf geschrien hatte (sie träumte oft von jenem Unglücksfall), zogJlien sich wieder an – der Kälte wegen hatte sie sich nur halb ausgezo-gen –, nahm den Lift hinab und machte sich auf den Weg ins Dorf.

Sie musste vorsichtig gehen, die Strasse war zwar geräumt, doch nurvom Neuschnee, darunter lag eine glatte, harte Schneeschicht, auf derman leicht ausglitt. Jlien versuchte, mit Anlauf zu rutschen, doch dafürhatten ihre Schuhe zu viel Profil, also warf sie Schneebälle, bis derSchnee in dicken Klumpen an den Strickhandschuhen klebte.

Es war eine ausgesprochen schöne Nacht. Tagsüber hatte es Flockengeschneit, so fein wie Glitter, inzwischen hatte der Himmel aufgetan.Hinter den elektrischen Weihnachtssternen an den Masten der Stras-senlaternen erahnte sie echte Sterne. Als sie über die Brücke ging undemporsah, glitt sie aus, doch es gelang ihr noch, sich aufzufangen. «Ge-lernt ist gelernt», sagte sie sich, dachte an den Akkrobatikunterricht undsehnte sich danach, wieder auf der Bühne zu stehen. Gleich verstärktesich das mulmige Gefühl im Unterleib.

Sie fragte sich, wie schmerzhaft die Abtreibung sein würde, sie hatteAngst davor und begann nach Zeichen zu suchen, die ihren Entschluss

VON TIM KROHN

Strahlende Nacht

Nach heftigem Streit trennten sie sich Mitte Dezember, zehnTage später stellte sie fest, dass sie schwanger war.

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Tim Krohn geboren 1965 in Nordrhein-West-falen, wuchs in Glarus auf und lebt heute alsfreier Schriftsteller in Zürich. Er schrieb un -ter anderem die Romane «Quatemberkinder»,«Vrenelis Gärtli» und «Ans Meer» (alle beiDiogenes). Zudem schreibt Tim Krohn immerwieder für die Bühne. Für sein Schaffen wur-de er unter anderem mit dem Conrad-Ferdi-nand-Meyer-Preis ausgezeichnet.

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stützten. In einem Schaufenster sah sie eine Weihnachtskrippe, das war,entschied sie, kein Zeichen, daneben lagen Taschenmesser, das sahschon mehr nach einem Zeichen aus. Als sie zum Dorfbrunnen trat undaus der hohlen Hand trank (das Wasser war schneidend kalt), stellte siefest, dass eine Marienstatue mit Kind die Brunnensäule schmückte. Wardas ein Zeichen? Nein, eher, dass der Schneeso dick lag, dass er auch das Jesuskind fastverschwinden liess (nur ein fettes Unterärm-chen und das Kinn schauten noch heraus).

Als Jlien weiterging, hörte sie ein Bimmelnganz wie das Weihnachtsglöckchen ihrer Kindheit, es kam aus einemZiegenstall. «Hallo, Ziegen», sagte sie in die Finsternis und sorgte imStall für Aufregung. Es rumpelte, sie hörte ein sonores Meckern unddann ein dünnes, herzerweichend helles Mäh.

«Ein Frühchen», dachte sie, «das überlebt die Kälte nicht.» Dann fielihr ein, dass es zu Ostern sowieso geschlachtet würde, auch Doris brietjedes Jahr ein Osterzicklein.

Aber all das waren keine klaren Zeichen. «Gib mir ein Zeichen», be-fahl sie in Gedanken dem Himmel. Der Mond stand als scharfe Sichelüber dem Grat des Piz Tomül. Sie verliess die Dorfstrasse, setzte sich ab-seits auf einen Schneehaufen, musterte die Sichel und stellte sich vor,wie ihr damit der Fötus aus dem Leib geschnitten und sie wieder zu demunschuldigen Kind würde, das sie bis vor ein paar Wochen gewesenwar, ein Kind, das Wärme verdiente, Geborgenheit, Schutz.

Doch nach und nach verblasste der Mond (vielleicht lag es am Wind,der am Berggrat den Schnee zu Schwaden aufblies), sie staunte, wie tiefschwarz sich der Himmel wölbte und welche Flut von Sternen darinstand – Sterne von einer Pracht und einer Klarheit, die sie so nicht kann-te. Allein die schiere Menge war unfassbar, dann waren die Sterne nichteinfach gelb, wie man sich Sterne eben vorstellt. Es gab goldene, weis-se und grüne, stahlgraue, blaue, sogar rötliche. Es gab die fetten und dieganz feinen, zittrigen, die vielleicht eben erst erglommen oder schonwieder erloschen. Und dann entdeckte sie, dass die Masse der Sternesich verdichtete, zu einer Brücke oder einem Pfad, der sich vom Piz To-mül hinüber zum Dachberg spannte, sie begriff, dass sie die Milchstras-se sah, von der sie nie erwartet hatte, dass man sie sehen konnte, die sienur aus einem Kinderbuch kannte, «Peterchens Mondfahrt», aus dem ihrVater ihr vor sehr langem vorgelesen hatte.

Und gleich war alles wieder da, die Sternchenwiese mit den tausendStühlchen, auf denen die Sterne sassen, während jedes sich seiner Auf-gabe widmete, ein Menschenkind sein Leben lang zu beschützen undihm Glück zu schenken. Die Weihnachtswiese mit den Pfefferkuchen-bäumen, mit Wegen aus Krachmandelkies und einer Marzipanschwei-nezüchterei. Am meisten geliebt aber hatte sie die lange Kette winzigerSternenkinder, die noch kein Menschenkind beschützen durften, weilsie selbst erst wachsen mussten, und die doch schon heimlich zur Erdehinab schielten, weil – wer weiss? – dort vielleicht gerade ein Kind ge-boren wurde, das ganz dringend einen Glücksstern brauchte …

Und eben da sah Jlien ein ganz scheues Sternlein in einer abgelege-nen Himmelsecke, in der kaum Sterne standen. Es zwinkerte und fla -ckerte und war so winzig, dass es immer wieder ganz verschwand. So-

fort wusste sie, das war ihr Zeichen, das war das Sternlein ihres unge-borenen Kindes, das in ihrem Bauch nicht anders flackerte und mit demLeben kämpfte. Und schon begriff sie gar nicht mehr, warum sie sich dieletzten Tage so verrannt hatte, schon konnte sie nichts anderes mehrdenken, als dass das Kind ganz dringend ihre Wärme brauchte, dass sie

es in ihrem Bauch beschützen, hegen musste, dass das und nichts sonstihre Aufgabe war.

Und plötzlich war alles ganz einfach. Auf dem Rückweg zum Hotelversuchte sie wieder zu rutschen und sah sich schon mit ihrem Kind umdie Wette rutschen. Als sie den Ofen einer Bäckerei roch, dachte sie mitklopfendem Herzen, wie bald sie mit ihrem Kind Pfefferkuchen backenwürde.

Im Speisesaal sass sie lange, bevor das erste Personal kam, und hat-te vieles zu denken. Auch Doris kam früh (das Buffet wurde eben auf-gebaut), sie zeigte auf Jliens Latte macchiato und sagte zum Kellner:«Bringen Sie mir bitte dasselbe.»

«Für Sie auch ohne Coffein?», fragte der Kellner und wartete vergeb -lich auf Antwort, denn Doris presste erst nur die Lippen aufeinander, siebrauche lange, bis sie nicken konnte, und als er in die Küche ver-schwunden war, brach sie in Tränen aus.

«Ich wusste gar nicht, dass es dich so hernimmt», sagte Jlien, wäh-rend sie leicht befremdet zusah, wie Doris ihre Hände fasste, sie gegendie Lippen drückte und jeden Fingerknöchel einzeln küsste. Doris lach-te nur und schüttelte den Kopf, dann betrachteten sie einander, alsmüss ten sie sich neu kennenlernen.

«Du hast richtig Farbe im Gesicht», stellte Doris endlich fest.Jlien nickte. «Mir ist auch heiss, und hungrig bin ich.» Sie stand auf

und ging zum Buffet, Doris ging mit, weil sie ihre Hand nicht loslassenwollte.

«Wenn es da ist», fragte Jlien, nachdem sie an den Tisch zurückge-kehrt waren, «glaubst du, Papa kommt dann mal vorbei?»

«Ich weiss es nicht», sagte Doris nur, «ich weiss es wirklich nicht.»Dann schwiegen sie, und jede hing ihren Gedanken nach. ■

«Gib mir ein Zeichen», befahl sie in Gedanken dem Himmel.Der Mond stand als scharfe Sichel über dem Grat des Piz Tomül.

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Kulturtipps

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BuchKönigliches VergnügenAlan Bennetts Erzählung «Die souveräne Leserin» ist eine Liebes-erklärung an die Literatur und an die Queen – und typisch britisch.

VON CHRISTOPHER ZIMMER

Schuld sind die Hunde. Ausgerechnet ihren kläffenden Corgis hat es dieQueen zu verdanken, dass sie in einem abgelegenen Teil von SchlossWindsor über den Bücherbus der Bezirksbibliothek stolpert. Pflichtbe-wusst, wie sie ist, entleiht sie ein Buch – und liest es zu Ende, wie maneinen Teller leer isst. Eins führt zum andern, die Rückgabe des Bucheszum nächsten, wobei die Queen auch gleich noch Norman, den lese-freudigen Küchenjungen und neben ihr einzigen Benutzer des Bücher-busses, zu ihrem literarischen Assistenten befördert. So nimmt das Schicksal seinen Lauf. Unaufhaltsam und sehr zum Un-behagen des königlichen Hofes wird die Queen zur leidenschaftlichenLeserin. Bald schon sieht man sie kaum noch ohne ein Buch in derHand. Aber die Freuden des Lesens bleiben nicht ohne Nebenwirkun-gen: Ihren Verpflichtungen geht die sonst so Vorbildliche nur noch mitzunehmendem Unwillen nach, und ihr plötzliches Interesse an den Le-segewohnheiten von Staatsoberhäuptern und Untertanen sprengt dashöfische Protokoll zwangloser Konversation. Doch obwohl ihr die Verwirrung und Ablehnung ihrer Umgebung nichtentgehen, bleibt die Queen ihrer späten Passion treu. Mit derselben Be-harrlichkeit, die sie als langjährige Regentin auszeichnet, wird sie zur«souveränen Leserin», ebenso kritisch und unnachsichtig gegenüberden Büchern und ihren Autoren wie gegen sich selbst. Schliesslich fin-det sie (nun schon zum wachsenden Entsetzen ihrer Entourage) überdas notierende Kommentieren des Gelesenen ihren persönlichen Stil, ih-re Sprache, ihre ganz eigene Stimme – und das hat Konsequenzen … Alan Bennett hat mit seiner Erzählung nicht nur eine Liebeserklärungan die Literatur, sondern auch an die Queen geschrieben. Mit demWunschbild, das er seiner Landesherrin mit sanfter Respektlosigkeit an-dichtet, führt er uns exemplarisch vor Augen, wie sehr das Lesen einenMenschen verändern kann. Die Lektüre dieses mit typisch britischemHumor gewürzten Buches weckt nicht nur die Lust, sich von dieser Lei-denschaft anstecken zu lassen, sondern zeigt auch eines ganz gewiss:Dass Lesen ein königliches Vergnügen ist. Alan Bennett: Die souveräne Leserin. Wagenbach Salto 2012.

Limitierte Sonderausgabe zum 60-jährigen Thronjubiläum in blauer Seide.

21.90 CHF.

DVDFreunde für’s LesenBücher zu verfilmen ist allgegenwärtig. Doch das Lesen eines Bu-ches ist kaum Stoff für Filme. «The Jane Austen Book Club» ist daeine Ausnahme.

VON NILS KELLER

Der Titel ist programmatisch zu verstehen: Wir folgen über einige Mo-nate hinweg einer frisch gegründeten Lesegruppe, die sich allen sechsRomanen Austens widmet. Der Plan lautet: Jeden Monat ein Buch, proBuch eine Diskussionsleiterin. Angezettelt wird all das durch die matri-archale Bernadette (Kathy Baker), die den Kummer ihrer besten Freun-din Sylvia (Amy Brenneman), die verlassen worden ist, zerstreuenmöchte. Hinzu kommen die unglücklich verheiratete Lehrerin Prudie,Sylvias lesbische Tochter Allegra und die Hundezüchterin Jocelyn. Ganzder glückliche Single, lädt Jocelyn eine frische Männerbekanntschaft alsAblenkung für Sylvia ein: Grigg (Hugh Dancy), radfahrender IT-Suppor-ter und totale Jane-Austen-Jungfer, sagt zu, in der Annahme, Jocelynwolle ihn kennenlernen.«The Jane Austen Book Club» kann schnell wie ein simpler «Chick Flick»klingen: Jane Austen verschlingen und via Lesestoff über das Leben zuschnattern, klingt etwas gar stereotyp weiblich. Dass der einzige Mannin der Runde sich primär für Science-Fiction interessiert, scheint da insKlischee zu passen. Doch Karen Joy Fowler, die Autorin der Romanvor-lage, lässt via Grigg die Gendergrenze aufweichen, als er Jocelyn erklärt,dass bekannte SciFi-Autorinnen ihre Werke unter männlichen Pseudo-nymen veröffentlicht haben. Ein netter Seitenhieb gegen das Schubla-dendenken, denn genau wie Griggs Lieblingsautorin Ursula K. Le Guinschrieb Fowler ebenfalls Science-Fiction. So weitet sich dann auch imFilm der Kreis der Lesenden auf die kernigsten Männer aus.Regisseurin Robin Swicords charmante Verfilmung profitiert vom spiel-freudigen Ensemble und dem Ausgangsmaterial des Bestsellers. Jededer sechs Hauptfiguren folgt einer bestimmten Jane-Austen-Heldin undsieht in den Büchern ihr Schicksal gespiegelt. Ein Buchklub als emotio-nale Allmend, in dem sich alle Beteiligten ausdrücken und einander nä-herkommen können. Nicht Gruppentherapie, sondern lesende Selbst-findung. Falls Sie noch ein Geschenk für Lesemuffel brauchen: So teilenSie die Lesensfreude auch ohne Umblättern. Robin Swicord: «The Jane Austen Book Club», USA 2007, 101 Min., mit Maria Bello,

Emily Blunt, Kathy Baker; Englisch, Deutsch, u. a. deutsche Untertitel, Extras:

Audiokommentare; entfallene Szenen; Filmdokumentationen.

Was würden diese Leute bloss ohne Buchclub tun?Ein neuer Mensch. Dank intensiver Lektüre.

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MusikDie schönsten Songs des Jahres Grossmeister der Melancholie waren die Tindersticks schon im-mer. Doch mit «The Something Rain» gelang ihnen 2012 ein Lie-derreigen von unerwarteter Leichtigkeit und zeitloser Grösse.

VON RETO ASCHWANDEN

Das Drama der Tindersticks bestand lange Zeit darin, dass 1993 gleichihr Debüt zum Meisterwerk geriet. Darauf spielten sie schummrigenKammerpop zwischen Samt und Schimmel. Neben dem üblichen Rock-Instrumentarium übernahmen Hammondorgeln und Rhodes Pianos,Geigen und Bläser tragende Rollen. Englische Indieband trifft verkatertauf ein Zirkusorchester, etwa so klang das damals, dazu erzählte SängerStuart A. Staples mit nuschelndem Bariton Geschichten von den Ver-heerungen der Liebe. Damit wurden die Tindersticks zur neben Pulpbes ten britischen Band der Neunziger. Drei Alben hielt die Herrlichkeitan, dann war das Kammerpop-Konzept ausgeschöpft. Die Tindersticksentdeckten anschliessend den Soul, liessen Licht und Luft in ihre Stücke.Die hatten ihre Momente, verströmten aber keine Magie mehr. Und jetzt das: «The Something Rain» beginnt mit einer langen Erzäh-lung und endet mit einem kurzen Instrumental. Dazwischen spielen dieTindersticks die schönsten Songs des Jahres. «Show Me Everything»singt Staples barmend, und ein Frauen-Chor à la Leonard Cohen er-widert aufmunternd «Show me». «This Fire of Autumn» zieht das Tem-po an, Gitarrist Neil Fraser funkt mit dem Wah-Wah-Pedal dazwischen,der Drummer verteilt freundliche Klapse. Session-Schlagzeuger EarlHarvin, der seit einigen Jahren für die Tindersticks trommelt, entpupptsich als Geheimwaffe, die Stücken wie «Slippin’ Shoes» und dem fiebri-gen «Frozen» im Verbund mit Blechbläser Terry Edwards ein federndesJazz-Feeling verpasst. Davon profitieren auch bandtypisch melancholi-sche Stücke wie «Medicine» und das von Glockenspiel hübsch verbim-melte «Come Inside», die bei aller Traurigkeit leichtfüssig einherschrei-ten, statt in Schwermut zu ertrinken. Die Tindersticks spielen immer noch Rotwein-Musik, doch muss manheute nicht mehr die ganze Flasche austrinken, um sich gegen die Un-bill der Zeit zu wattieren. «The Something Rain» rührt zu Tränen undspendet Trost, und wenn niemand hinschaut, lässt sich sogar dazutanzen. Tindersticks: The Something Rain (Lucky Dog/TBA). Derzeit ist auch eine

empfehlenswerte Edition erhältlich, die neben dem Studioalbum auf einer zweiten

CD Liveaufnahmen der neuen Lieder aus San Sebastian enthält. Und für Freunde

des analogen Wohlklangs gibt es beide Alben auch auf Vinyl.

Grosskünstler der Trauer und des Trostes: Tindersticks.

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Die 25 positiven FirmenDiese Rubrik ruft Firmen und Institutionenauf, soziale Verantwortung zu übernehmen.Einige haben dies schon getan, in dem siedem Strassenmagazin Surprise mindestens500 Franken gespendet haben. Damit helfensie, Menschen in pre kären Lebensumstän-den eine Arbeitsmöglichkeit zu geben undsie auf ihrem Weg zur Eigenständigkeit zube g leiten. Gehört Ihr Betrieb auch dazu? DieSpielregeln sind einfach: 25 Firmen werdenjeweils aufgelistet, sind es mehr, fällt jenerBetrieb heraus, der am längsten dabei ist.

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Unter der Leitung von Georg Hausammannsingen wir Advents- und Weihnachtslieder.

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Surprise kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hat-ten. Menschen, die kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt habenund ihr Leben in die eigenen Hände nehmen wollen. Mit dem Verkaufdes Strassenmagazins Surprise überwinden sie ihre soziale Isolation.Ihr Alltag bekommt wieder Struktur und mehr Sinn. Sie gewinnen neueSelbstachtung und erarbeiten sich aus eigener Kraft einen kleinen Verdienst. Das verdient Respekt und Unterstützung. Das Spezialpro-gramm SurPlus ist ein niederschwelliges Begleitprogramm für ausge-wählte Surprise-Verkaufende, die regelmässig das Strassenmagazin

verkaufen und hauptsächlich vom Heftverkauf leben. Diese Verkaufen-den erhalten nur geringe soziale Ergänzungsleistungen und werden im Programm SurPlus gezielt vom Verein Surprise unterstützt: Sie sind sozial abgesichert (Ferien, Krankheit, U-Abonnement) und werden beiProblemen im oft schwierigen Alltag begleitet. Mit einer Patenschaft lei-sten Sie einen wesentlichen Beitrag für die soziale Absicherung der Verkaufenden und ermöglichen ihnen, sich aus eigener Kraft einen Ver-dienst zu erarbeiten. Vielen Dank für Ihr Engagement!

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Impressum

HerausgeberVerein Surprise, Postfach, 4003 Baselwww.vereinsurprise.ch Öffnungszeiten Sekretariat 9–12 Uhr, Mo–DoT +41 61 564 90 90, F +41 61 564 90 99 [email protected]äftsführungPaola Gallo (Geschäftsleiterin), Sybille Roter (stv. GL) AnzeigenverkaufT +41 61 564 90 90, M +41 76 325 10 [email protected] T +41 61 564 90 70, F +41 61 564 90 99Diana Frei und Mena Kost (Nummernverant wort liche),Reto Aschwanden, Florian Blumer [email protected]ändige MitarbeitRosmarie Anzenberger (Korrektorat), Rahel Nicole Eisenring, Shpresa Jashari, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz,Stephan Pörtner, Milena Schärer, Isabella Seemann, Priska Wenger, Tom Wiederkehr, Christopher ZimmerMitarbeitende dieser AusgabeSibylle Berg, Paulo Coelho, Nils Keller, Tim Krohn, Dieter Meier, Milena Moser, Max Rüdlinger, Ralf Schlatter, Ruth Schweikert, Christoph Simon, Ursula Sprecher und Andi Cortellini, Tobias Sutter, Gabriel VetterGestaltung WOMM Werbeagentur AG, BaselDruck AVD GoldachAuflage34300, Abonnemente CHF 189.–, 24 Ex./JahrMarketing, Fundraising T +41 61 564 90 50 Oscar Luethi (Leitung)

Vertriebsbüro Basel T +41 61 564 90 83, M +41 79 428 97 27Thomas Ebinger, Anette Metzner, Spalentorweg 20, 4051 Basel, [email protected]üro ZürichT +41 44 242 72 11, M +41 79 636 46 12Reto Bommer, Engelstrasse 64, 8004 Zürich, [email protected]üro BernT +41 31 332 53 93, M +41 79 389 78 02Andrea Blaser, Alfred Maurer, Bruno Schäfer, Pappelweg 21, 3013 Bern, [email protected] T +41 61 564 90 40, F +41 61 564 90 99Paloma Selma, [email protected] T +41 61 564 90 10, F +41 61 564 90 99Lavinia Biert (Leitung), Olivier Joliat, David Möller [email protected], www.strassensport.chVereinspräsident Peter Aebersold

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Hilfe zur Selbsthilfe Surprise hilft seit 1997 Menschen in sozialenSchwierigkeiten. Mit Programmen in den Bereichen Beschäftigung, Sport und Kultur fördert Surprise die soziale Selbständigkeit.Surprise hilft bei der Integration in den Ar-beitsmarkt, bei der Klärung der Wohnsitua-tion, bei den ersten Schritten raus aus derSchuldenfalle und entlastet so die SchweizerSozialwerke.

Eine Stimme für Benachteiligte Surprise verleiht von Armut und sozialer Be-nachteiligung betroffenen Menschen eineStimme und sensibilisiert die Öffentlichkeit für ihre Anliegen. Surprise beteiligt sich am Wandel der Gesellschaft und bezieht Stellungfür soziale Gerechtigkeit.

Strassenmagazin und Strassenverkauf Surprise gibt das vierzehntäglich erscheinen-de Strassenmagazin Surprise heraus. Dieseswird von einer professionellen Redaktion pro-duziert, die auf ein Netz von qualifizierten Berufsjournalistinnen, Fotografen und Illu-stratorinnen zählen kann. Das Magazin wird fast ausschliesslich auf der Strasse verkauft.Rund dreihundert Menschen in der deutschenSchweiz, denen der Arbeitsmarkt verschlos-sen bleibt, erhalten damit eine Tagesstruktur,verdienen eigenes Geld und gewinnen neuesSelbstvertrauen.

Sport und Kultur Surprise fördert die Integration auch mit Sport.In der Surprise Strassenfussball-Liga trainierenund spielen Teams aus der ganzen deutschenSchweiz regelmässig Fussball und kämpfenum den Schweizermeister-Titel sowie um dieTeilnahme an den Weltmeisterschaften für so-zial benachteiligte Menschen. Seit 2009 hatSurprise einen eigenen Chor. GemeinsamesSingen und öffentliche Auftritte ermöglichenKontakte, Glücksmomente und Erfolgserleb-nisse für Menschen, denen der gesellschaft-liche Anschluss sonst erschwert ist.

Finanzierung, Organisation und internatio-nale VernetzungSurprise ist unabhängig und erhält keine staat-lichen Gelder. Das Strassenmagazin wird mitdem Erlös aus dem Heftverkauf und mit Inse-raten finanziert. Für alle anderen Angebotewie die Betreuung der Verkaufenden, die Sport-und Kulturprogramme ist Surprise auf Spen-den, auf Sponsoren und Zuwendungen vonStiftungen angewiesen. Surprise ist eine nicht gewinnorientierte sozialeInstitution. Die Geschäfte werden vom VereinSurprise geführt. Surprise ist führendes Mit-glied des Internationalen Netzwerkes derStras sen zeitungen (INSP) mit Sitz in Glasgow,Schottland. Derzeit gehören dem Verband über100 Strassenzeitungen in 40 Ländern an.

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