Sw 16 stilprinzip_verständlichkeit

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Schreibwerkstatt / Theorie/ ©2016, 1 Schweizerische Text Akademie Grundkurs Professional Writing: Schreibwerkstatt

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Schreibwerkstatt / Theorie/ ©2016, 1

Schweizerische Text Akademie Grundkurs Professional Writing: Schreibwerkstatt

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Fallbeispiel: historische Medienmitteilung der CS Group (1)

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•  Texteinstieg/Vorspann im Original: Im Anschluss an die Fusion ihrer beiden Schweizer Banken im Mai und die Ernennung der Geschäftsleitung ihres Bankgeschäfts letzte Woche gab die Credit Suisse Group heute bekannt, dass sie für das gesamte Bankgeschäft einen gemeinsamen Brand, Credit Suisse, einführen wird. Ab 1. Januar 2006 wird die Bank für die Divisionen Private Banking, Corporate and Investment Banking und Asset Management ein neues Logo verwenden.

•  Alternative Formulierung des Texteinstiegs/Vorspanns: Die Credit Suisse Group lanciert ab 1. Januar 2006 für das gesamte Bankgeschäft einen gemeinsamen Brand «Credit Suisse» sowie ein neues, einheitliches Logo.

Fallbeispiel: historische Medienmitteilung der CS Group (2)

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Sprachstil als Handlungsfreiheit (1)

Wer mittels Sprache kommuniziert, besitzt viele Handlungsfreiheiten. Hierzu gehört die Freiheit …

•  kurze Sätze zu verfassen oder auf lange Sätze zu setzen. •  die Anzahl von abstrakten Substantiven zu beschränken

oder unbegrenzt lange Nominalgruppen zu verwenden. •  das Wesentliche in Hauptsätze zu verpacken oder in

Nebensätzen zu nennen.

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Sprachstil als Handlungsfreiheit (2)

Diese Handlungsfreiheiten realisieren wir mit sprachstilistischen Mitteln wie etwa …

•  kurzen gegenüber langen Sätzen. •  verbalen gegenüber nominalen Ausdrucksweise. •  aktiven gegenüber passiv-statischen Verben. •  usw.

→ Daher ist ‚(Sprach)stil‘ eine Gestaltungsstrategie, die … •  Kommunikatoren in die Lage versetzt, angemessen auf

Kommunikationssituationen zu reagieren. •  die in der übergeordneten Kommunikationsstrategie vorgegebenen Leitlinien

umzusetzen: in der Regel also klar zu kommunizieren.

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Sprache und Kommunikation

Handlungsspielräume

ergeben sich aus den Möglichkeiten, in einer Situation zu kommunizieren

Strategie (z.B. bezüglich Inhalt, Beziehung, Selbstoffenbarung,

Appell)

beschränkt die Möglichkeiten

Text

dient als Kommunikationsinstrument und treibt die Kommunikation erfolgreich voran

Sprachstil

setzt die Strategie sprachlich um

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Probleme durch ungenutzte Handlungsfreiheiten

Die möglichen Handlungsfreiheiten werden oft ungenügend genutzt. Die Ursachen hierfür:

•  Die Bedeutung von Stil als Gestaltungsstrategie wird oft unterschätzt oder ist gänzlich unbekannt.

•  Stilistische Entscheidungen werden daher gerne unbewusst gefällt. •  Unternehmenstexte sind darüber hinaus oft das Resultat von

Kompromissen und lassen eine einheitliche Handschrift vermissen. → Unternehmenstexte lassen es dadurch an Klarheit vermissen. Sie übermitteln allzu oft missverständliche Botschaften mit ungewollten oder falschen Untertönen. Dies erhöht die Komplexität der Botschaften unnötig und gefährdet den Kommunikationserfolg.

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Ungewollte bzw. unrichtige Botschaften

•  Eine praktikable Theorie, auf welche Weise missverständliche Botschaften entstehen, stammt von Herbert Paul Grice (1915-1988).

•  Ausgangspunkt ist die unstrittige Beobachtung, dass jede sprachliche Äusserung inhaltlich auf zwei Ebenen wirkt: -  „Was wird gesagt?“ = semantischer Inhalt des Satzes → natürliche

Bedeutung -  „Was wird mitgeteilt?“ = alles, was ausserhalb des semantischen Inhalts des

Satzes vom Leser impliziert wird (Implikatur =„zwischen den Zeilen lesen“) → nicht-natürliche Bedeutung.

•  Klare Unternehmenskommunikation bedeutet, neben der natürlichen vor allem die nicht-natürliche Bedeutung zu kontrollieren.

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Die vier Konversationsmaximen nach H.P. Grice

Maximen der Quantität •  Sei so informativ wie nötig! •  Sei nicht informativer als nötig!

Maximen der Qualität •  Sage nichts, was du für falsch hältst! •  Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen!

Maximen der Modalität •  Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks. •  Vermeide Mehrdeutigkeit! •  Fasse Dich kurz! •  Der Reihe nach!

Maxime der Relevanz •  Sei relevant!

Im Kern der Theorie von H.P. Grice stehen die folgenden Konversations-maximen, an denen sich menschliche Kommunikation orientiert:

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Das Kooperationsprinzip

Diese Konversationsmaximen steuern die zwischenmenschliche Interpretation wie folgt (am Beispiel schriftlicher Kommunikation):

•  Es gilt jeweils das folgende ‚Kooperationsprinzip‘: „Gestalte Deine Äusserung der Situation und dem Zweck angemessen = gemäss den Konversations-maximen.“

•  Der Leser nimmt daher an, dass der Schreiber die Konversationsmaximen beachtet.

•  Scheinen die Konversationsmaximen verletzt, nimmt der Leser gemäss dem Kooperationsprinzip an, dass der Schreiber die Maximen nur scheinbar verletzt hat.

•  Zur Wiederherstellung der Maximen greift der Leser daher zu so genannten ‚Implikaturen‘: also Annahmen, unter denen die Verletzung der Maximen einen Sinn ergibt.

•  Diese Implikaturen betreffen vor allem die nicht-natürliche Bedeutung einer Äusserung.

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„Zwischen den Zeilen lesen“

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Kooperationsprinzip Leser setzt voraus, dass Schreiber die Maximen beachtet.

Verletzte Maximen Leser nimmt an, dass die Maximen nur scheinbar verletzt sind.

„Zwischen den Zeilen lesen“ Leser „liest“ den Text mittels Implikaturen so, dass die Maximen wieder erfüllt sind.

Die Theorie von H.P. Grice erklärt somit den Mechanismus des „zwischen den Zeilen Lesens“.

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Der Texteinstieg der Medienmitteilung der CS Group lautet: „Im Anschluss an die Fusion ihrer beiden Schweizer Banken im Mai und die Ernennung der Geschäftsleitung ihres Bankgeschäfts letzte Woche gab die Credit Suisse Group heute bekannt, dass sie für das gesamte Bankgeschäft einen gemeinsamen Brand, Credit Suisse, einführen wird. Ab 1. Januar 2006 wird die Bank für die Divisionen Private Banking, Corporate and Investment Banking und Asset Management ein neues Logo verwenden.“

Verletzt werden scheinbar … •  die Maxime der Quantität: Der Einstieg scheint zu informationsreich. •  die Maxime der Modalität: der Einstieg scheint zu abstrakt und daher mehrdeutig/

dunkel (die ‚Wer?-‘ und ‚Was?‘-Frage scheinen nicht beantwortet).

→ Welche Implikaturen ergeben sich daraus? – Offenkundig ist die Fusion … •  intern weiter ein Thema (‚sonst würde sie nicht wortreich erwähnt‘), •  über das man sich gerne bedeckt hält (‚sonst würden mehr Einzelheiten genannt‘).

Fallbeispiel: historische Medienmitteilung der CS Group (3)

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Konversationsmaximen als übergeordnete Stilprinzipien

Wie gezeigt, bestehen bei der Ausgestaltung einer Äusserung sprachliche Handlungsfreiheiten. Diese werden mit sprachstilistischen Mitteln realisiert (Stichwort: ‚Stil als Gestaltungsstrategie‘).

•  Allerdings sind die Handlungsfreiheiten durch die Konversationsmaximen eingeschränkt. Konkret muss die Gestaltungsstrategie die Konversationsmaximen beachten – sonst drohen seitens der Leser Implikaturen, die zu unrichtigen bzw. ungewollten Interpretationen seitens der Rezipienten übermitteln.

•  Daher müssen die Konversationsmaximen als übergeordnete Stilprinzipien für eine klare Kommunikation gelten.

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Übergeordnete Stilprinzipien in der Praxis

Maximen der Quantität •  Sei so informativ wie nötig! •  Sei nicht informativer als nötig!

•  Anordnung der wichtigsten W?-Fragen •  Die journalistischen Nachrichtenfaktoren beachten. •  Erstellen einer Informationshierarchie

Maximen der Qualität •  Sage nichts, was du für falsch hältst! •  Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen!

•  Keine Fakten und Argumente unterschlagen •  Passive oder unpersönliche Verbalformen vermeiden •  Stilistische Varianzen (z.B. Wortfolge im Satz) sinnvoll

einsetzen

Maximen der Modalität •  Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks. •  Vermeide Mehrdeutigkeit! •  Fasse Dich kurz! •  Der Reihe nach!

•  Fachsprache in vernünftigen Grenzen halten •  Keine übermässige Komprimierung durch Abstrakta

und Nominalgruppen •  Gedankensprünge vermeiden •  Satzlänge beschränken

Maxime der Relevanz •  Sei relevant!

•  Keine Null- und Modewörter •  Keine Pleonasmen •  Redundanzen vermeiden

Für die Praxis lassen sich die Konversationsmaximen wie folgt als Stilprinzipien umschreiben.

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Fazit

Handlungsspielräume

ergeben sich aus den Möglichkeiten, in einer Situation zu kommunizieren

Strategie (z.B. bezüglich Inhalt, Beziehung, Selbstoffenbarung,

Appell)

beschränkt die Möglichkeiten

Text

dient als Kommunikationsinstrument und treibt die Kommunikation erfolgreich voran

Konversationsmaximen

liefern die übergeordneten Stilprinzipien, die Strategie

sprachlich umzusetzen

Die Konversationsmaximen gemäss H.P. Grice bilden einen Massstab, an dem sich klare Kommunikation wie folgt messen lässt:

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