SWR2 GLAUBEN - Südwestrundfunk · „die Bibel kennen lernen“, „zusammen beten“ und das ......
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ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 GLAUBEN
SinnSucher (5)
GLAUBENS-SCHULE
DIE NEUE LUST AN RELIGIÖSER ALPHABETISIERUNG
Von Andreas Malessa
SENDUNG 01.07.2012 /// 12.05 UHR
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
2. Atmo 1 Partylärm, Gelächter 1`45“
darüber
3. O-Ton I Wir sind jetzt am Ende eines Alphakurses angekommen
und heute isch des Alpha-Kurs-Abschluß-Fescht. Und alle
27 Teilnehmer haben sich versammelt, einfach noch mal in
gemütlicher Runde zusammen zu kommen, gemeinsam zu
essen, gemeinsam Spiele zu machen… 0`23“
4. Sprecher Spiele ? Seminarleiterin Regine Kerner hat die 19 Frauen und
2
8 Männer ihres Kurses gebeten, entbehrliche Scheußlich-
keiten aus Küche, Keller und Dachboden als Geschenk zu
verpacken. CDs mit alten Urlaubs-Schlagern, herzförmige
Bleistifthalter, Gewürzkränzchen, Zierteller, abgelaufene
Wandkalender, Klobürsten, Porzellan-Windmühlen und
defekte Kuckucksuhren. Jetzt wird gewürfelt und je nach
Zahl wechselt der Kitsch die Besitzer.
Atmo kurz hoch
Im evangelischen Gemeindehaus von Owen ( sprich : Auen),
einer schwäbischen Kleinstadt östlich von Stuttgart, riecht es
noch nach dem üppigen Braten- und Salatbuffett, das
gerade abgeräumt wurde. Die Partystimmung der Kursteil-
nehmer erklärt sich u.a. daraus, dass sie heute zum 13. Mal
beieinander sind. An 12 Abenden im Laufe von 4 Monaten
haben sie Vorträge gehört, miteinander diskutiert, haben
Unterrichtsmaterial gewälzt, einander in sehr persönlichen
Gesprächen kennen gelernt. Regine Kerner, von Beruf
Erzieherin, im Ehrenamt Kirchengemeinderätin, führt diesen
„Grundkurs des Glaubens“ schon zum fünften Mal durch.
5.O-Ton II Der Alphakurs umfasst das ganze Spektrum des Glaubens.
Sowohl lernt der Teilnehmer kennen, um wen es sich bei
Jesus handelt, als auch Themen wie „Heilung“ oder
„die Bibel kennen lernen“, „zusammen beten“ und das
Thema „Heiliger Geist“, das ja vielen recht unbekannt ist,
wird dann ganz ausführlich an einem Wochenende dran-
genommen und wir haben tolle Erlebnisse an diesem
Wochenende. 0`32“
3
6. Sprecher Immer mehr Menschen wissen immer weniger über Gott,
Jesus, Bibel und Kirche. Selbst dann, wenn sie getauft sind.
Trotz Religion in der Schule und Konfirmandenunterricht in
der Kirche – die religiöse Allgemeinbildung schwindet
rapide. 2006 forderte der damalige Ratsvorsitzende der
Evangelischen Kirchen Deutschlands, Bischof Wolfgang
Huber, ein „Bildungsprogramm zu Grundlagen des
Glaubens“. Man richtete eine Projektstelle ein, die bereits
vorhandene Seminarmodelle sichten und neue entwickeln
sollte. Inzwischen sind neun verschiedene Kurse
in einem dicken Materialbuch versammelt und unter dem
Titel „Erwachsen glauben“ den rund 14.500 Gemeinden der
EKD zur Durchführung empfohlen. Projektleiter Andreas
Schlamm :
7.O-Ton III Wir gehen aktuell von etwa 1500 Kursen aus, die EKD-weit
stattfinden und denken, dass diese Zahl noch deutlich steigen
wird, da viele Landeskirchen erst jetzt richtig loslegen.
Wir wissen von Kursen mit bis zu 400 Teilnehmern, aber
wir wissen auch von ganz kleinen Kursgruppen, von
manchmal drei bis fünf Personen. Wir hoffen, dass wir in
zwei, drei Jahren sagen können : Jede vierte Gemeinde führt
tatsächlich diese Glaubenskurse regelmäßig durch.
8. Sprecher Wenn erst 10 % aller evangelischen Gemeinden einen
Glaubenskurs durchführen und vielerorts weniger als 30
Personen daran teilnehmen, ist die Sinnsuche per Seminar ein
junges zartes Pflänzchen, das aber – typisch evangelisch –
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bereits höchst unterschiedliche Blüten treibt und Früchte
trägt. Andreas Schlamm blättert durch die verschiedenen
Seminartypen :
9. O-Ton IV Da gibt es z.B. „Expeditionen zum Ich“ : Der Kurs führt
innerhalb von 7 Wochen zu 40 zentralen Texten der Bibel,
d.h. die Kursteilnehmer lesen jeden Tag etwa 4 bis 5 Seiten,
kommen ein Mal in der Woche zusammen, um sich über das
Gelesene auszutauschen. Der Grundgedanke dieses Kurses
ist : Der Mensch findet sich selbst, indem er Gott begegnet.
Der Kurs ist deshalb vor allem geeignet für Menschen, für
die Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung einen
hohen Stellenwert haben.
10. Sprecher Selbsterkenntnis, Ichfindung, Persönlichkeitsentfaltung -
verlockende Ziele, zweifellos. Coaching durch die Bibel
erfordert aber viel Lektüre. Andere Basistexte des
Christentums sind da knapper – das Apostolische Credo, das
Glaubensbekenntnis, zum Beispiel.
11. O-Ton V Dann haben wir einen sehr kompakten Kurs : „Kaum zu
glauben“. Vier Einheiten, die helfen wollen, Glauben anhand
des Glaubensbekenntnisses zu verstehen und lebendig erfahr-
bar zu machen. Die Themen sind : „Woran Du Dein Herz
hängst“, „Mein Gott, was für ein Mensch. Jesus Christus“
„Was mein Leben erhellt : Heiliger Geist“, „Mit Gott per
Du“, da geht`s ums Thema Gebet. `0`22“
12. Sprecher Vier Einheiten a 90 Minuten – das lässt sich an einem Tag
5
als Crash-Kurs absolvieren. Aber ist es beim Glauben und
Beten nicht wie beim Sport : Grau bleibt alle Theorie, bis
man körperlich praktiziert, wovon die Rede war ? Auch
dafür hält Projektleiter Andreas Schlamm ein Kursmodell
bereit :
13. O-Ton VI „Spiritualität im Alltag“ erschließt in 12 Einheiten und an
einem Wochenende sieben Elemente des lutherischen
Gottesdienstes. Der Kurs geht dabei weniger rational-
kognitiv, sondern erfahrungsbezogen vor, eröffnet also
einen Übungsweg. Und durch diesen Übungsweg wächst
die Aufmerksamkeit für Gottes Gegenwart im Alltag und
die Fähigkeit eben, alltägliche Erfahrungen in Bezug zum
Evangelium zu setzen. 0`24“
14. Atmo 2 Glockengeläut, Gemeinde singt 1`00“
darüber
15. Sprecher Die Lieder, die hier gesungen werden, lassen auf eine
evangelische Freikirche schließen. Tatsächlich aber
befinden wir uns in der katholischen Kirche St Hedwig
in Stuttgart-Möhringen. Vier Jahre in Folge hat diese
Gemeinde bereits Glaubenskurse durchgeführt und was
Teilnehmerin Anne Metke daran schätzt, hat zunächst
herzlich wenig mit Religionspädagogik zu tun :
16. O-Ton VII Das hat sich ungeheuer gut angefühlt, dass man erstmal
ganz lockere Gespräche hatte, auch gar nicht über den
Glauben oder so, sondern ganz allgemeine Gespräche.
Es war einfach ein netter Abend, bei dem man sich
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wohlgefühlt hat und wo man dachte, man kann
weitermachen. Es wurde dann ja der Glaube erklärt
oder der Sinn des Alpha-Kurses und da dachte man : Wow,
das kann interessant werden, dass man sich einfach mit
dem Glauben befassen kann. 0`28“
17. Sprecher Bei nur netten, lockeren Gesprächen blieb es im Laufe der
12 Abende freilich nicht :
18. O-Ton VIII Da kann man sich wirklich ganz öffnen und bespricht
Themen – es wird ja auch nicht nach draußen getragen,
was man da erzählt, es wurde von vornherein gesagt, es
wird nur in den Räumlichkeiten hier darüber gesprochen -
da gab`s ganz viele emotionale Erzählungen von anderen
und man hat das Gefühl gehabt, jeder öffnet sich und jeder
erzählt ganz persönliche Sachen. 0`24“
19. Sprecher Was zunächst wie ein Volkshochschulkurs aussieht,
ein kleiner„ Katechismus für Erwachsene“, mutiert durch den
Gruppenprozess der Teilnehmenden bisweilen zu einer
Selbsterfahrungsgruppe. Mit hohem seelsorglichem
Nutzwert. Für den Seelsorger von St Hedwig, Priester Dr
Heiko Merkelbach, beheben solche Glaubenskurse gleich
zwei Defizite der traditionellen katholischen Gemeindearbeit:
20. O-Ton IX Glaubenskatechese bei den Katholischen im
Erwachsenenalter gab es über lange Jahre einfach überhaupt
nicht. Man geht zur Erstkommunion, man hat seine Firmung,
ist so der Religionsunterricht, der mal weniger, mal besser
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gut gehalten wurde – und dann war man einfach katholisch
sozialisiert. Und das hat dann gehoben bis zum Tod.
Und das funktioniert heute nicht mehr. Ich finde es kritisch,
wenn Religionslehrer oftmals überhaupt gar kein eigenes
Glaubensleben haben oder auch einfach sich profilieren auf
Kosten der Kirche. Das findet leider Gottes oftmals statt.
Ich glaube, was beim Alpha-Kurs die Stärke ist : Dass es
von der reinen Wissensebene und der kognitiven Ebene
auf die Erlebens-Ebene kommt, ja. Dass die Katholiken
jetzt nicht unbedingt frömmer werden, sondern dass sie es
schaffen, das, was sie glauben – manchmal auch
theoretisch glauben und gelernt haben – mit ihrem Leben
zu verbinden. Deswegen ist es für uns wichtig, diesen
Kurs auch zu haben, um die Mitglieder der Kerngemeinde
wieder neu zu aktivieren und zu vertiefen und vom
Heiligen Geist eben entflammen zu lassen.
22. Sprecher „Vom Heiligen Geist entflammen lassen“ – die feurige
Wortwahl mag ungewohnt klingen zwischen Marienstatue
und ewigem Licht, verrät aber den theologischen
Schwerpunkt des „Alpha-Kurses“ : Seit der Londoner
anglikanische Pfarrer Nicholas Gumbel damit 1990 begann
und der Erlanger evangelische Pfarrer Peter Aschoff das
Konzept 1996 ins Deutsche übertrug, ist es das erklärte Ziel
der beiden Verfasser, eine enthusiastisch- charismatische
Frömmigkeit zu fördern. Eine Be-Geisterung im Wortsinn,
die dann de facto zu Gebeten und Liedern führt, wie mancher
sie aus Pfingstkirchen kennt. Mögen andere Kurse inhaltlich
und didaktisch von der Bibel, vom Glaubensbekenntnis oder
8
vom Gottesdienst ausgehen – der „Alphakurs“ zielt ganz klar
auf praktische Erfahrungen und seelsorgliche Wirkungen des
Heiligen Geistes.
Im beruhigenden Wissen, dass sich Weihbischof Thomas
Maria Renz, zuständig für die Bildungsarbeit in der Diözese
Rottenburg- Stuttgart, ausdrücklich für den „Alpha-Kurs“
entschieden hat, darf Priester Heiko Merkelbach diese Linie
befürworten :
23.O-Ton X Also ich bin da vollkommen frei, die Katechese
durchzuführen, die ich da auch verantworte, natürlich
theologisch verantworten muss. Aber die Formen und die
Methode kann ich wählen, wie ich will, also da muss ich
keine Anfrage vorher stellen, nur weil es ein Kurs ist, der
aus der anglikanischen Kirche käme. Also da sehe ich
überhaupt keine Schwierigkeiten. 0`21“
24. Sprecher Anders als die katholische Kirche hat die evangelische
Kirche kein normsetzendes Lehramt, keinen „Glaubens-
TÜV“ für die Köpfe und Herzen ihrer Pfarrer. Also auch
keine amtliche Endredaktion für das verwendete
Kursmaterial. Sehen auch evangelische Kirchenobere keine
Schwierigkeiten, wenn Unterrichtstexte theologisch
tendenziös sind ? Über die Hälfte der rund 1500
Gemeinden, die überhaupt Glaubenskurse anbieten,
verwenden den „Alpha-Kurs“. Er ist der mit Abstand
populärste unter den neun Seminarmodellen, die Andreas
Schlamms evangelische Projektstelle in Berlin empfiehlt.
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25. O-Ton XI In der Tat ist es so, dass die EKD keine Zertifizierungs-
Behörde ist. Wir versuchen in diesem Handbuch
„Erwachsen glauben“ die Kurse aus theologischer und
didaktischer Tiefe zu beschreiben und gleichzeitig
Schnittmengen aus den unterschiedlichen Ansätzen –
Mission, Gemeindepädagogik, Erwachsenenbildung -
aufzuzeigen, also Gemeinsames zu suchen. Letztendlich
legen wir wie theologische Verantwortung aber in die Hand
des einzelnen Anwenders. D.h. : Der einzelne Pfarrer muss
letztendlich entscheiden, welcher Kurs entspricht den
eigenen theologischen Überzeugungen am meisten und
wird auch dem Kontext seiner Gemeinde am ehesten
gerecht ? 0`36“
26. Sprecher Das ließen sich die Katholiken von St Hedwig in
Stuttgart-Möhringen nicht zweimal sagen und hobelten
sich ihr Seminarmodell etwas spezifischer katholisch zurecht,
erzählt Pastoralreferent Benedikt Maier :
27. O-Ton XII Also das spezifisch Katholische, kann man sicher sagen :
Dass natürlich der Bereich Sakramente ne stärkere Rolle
spielt. Dadurch, dass es eben ein Einführungskurs ist, der
sehr niederschwellig ansetzt, bleibt er von den Sakramenten
her eher an der Oberfläche. Natürlich haben wir in
katholischen Settings ein anderes Sakramentsverständnis und
das versuche ich schon in die Vorträge mit rein zu bringen.
In dem Bewusstsein, dass natürlich auch viele Leute da sind,
kirchlich distanziert sind oder zur Kirche überhaupt keinen
Bezug mehr haben. Da ist klar : Es ist halt ein gewisser
Kompromiss, den man da schließt. Die Voraussetzung ist
10
ja die Teilnahme am Alphakurs und dann werben wir eben
am Ende des Alphakurses für die Fortführung in den
Eucharistie-Kurs. 0`58“
28. Sprecher Inhaltlich will Benedikt Maier mehr vermitteln, als das
Kursmaterial vorgibt. Didaktisch will er es aber einfacher
rüberbringen. Sakramente – die sichtbaren Zeichen der
Gnadenzuwendung Gottes, die sogenannten “Heilsmittel“,
die äußeren Vergewisserungen der göttlichen Gnade – sind
nach evangelischem Verständnis die Taufe und das
Abendmahl. Nach katholischem Verständnis aber sind
Sakramente“ die Taufe, die Firmung, das Abendmahl, die
Ehe, die Beichte, die Priesterweihe und die Krankensalbung.
Das ist quantitativ mehr und qualitativ komplizierter zu
erklären. Vielleicht liegt hier einer der Gründe, warum nur
verschwindend wenige katholische Gemeinden überhaupt
Glaubenskurse anbieten. Ein weiterer Grund könnte sein,
dass man für die Durchführung solcher Kurse sprachfähige
Ehrenamtliche braucht und die werden in manchen deutschen
Diözesen von ihren Bischöfen mehr gedeckelt als gefördert.
Dazu Andreas Schlamm von der Berliner Projektstelle
„Erwachsen glauben“ :
29. O-Ton XIII Richtig ist, dass hinter manchen Kurskonzepten - also
besonders „Stufen des Lebens“ und „Alphakurs“ - sehr
stark ehrenamtliche Bewegungen stehen. Wir raten
den Gemeinden, engagierte Gemeindeglieder an der Planung
und Durchführung dieser Kurse verantwortlich zu beteiligen,
damit sehr unterschiedliche Gaben zur Entfaltung gelangen
11
können. So ein Kurs lebt ja nicht nur von theologisch
korrekten Inhalten, sondern z.B. von einer Atmosphäre
herzlicher Gastfreundschaft. Oder auch von Gesprächs-
gruppenleitern, die es vermögen, kompliziert erscheinende
theologische Sachverhalte eben in Alltagssprache zu
verdeutlichen, die für Menschen wie Du und ich womöglich
leichter verständlich ist. 0`50“
30. Sprecher Auf der Suche nach genau solchen Ehrenamtlichen unter
den 5200 Mitgliedern seiner zwei Kirchengemeinden
St Hedwig und St Ullrich in Stuttgart machte der
katholische Pfarrer Dr Heiko Merkelbach eine
ernüchternde Entdeckung :
31. O-Ton XIV Dass der Kirchengemeinderat in einem Klausurwochenende
vor fünf Jahren etwa gesagt hat : Wir müssen
missionarischer werden. Die Gemeinde wurde selbst als zu
selbstgenügsam empfunden, wir kreisen um uns selbst.
Wir haben den Sendungsauftrag, die Missionierung, die
„Neu-Evangelisierung“ wie unser Papst sagt, eben nicht
mehr im Blick. Wir müssen bei uns selbst anfangen.
Und so war der Alpha-Kurs zunächst ein Kurs für die
Kerngemeinde, für den inner circle. Der mittlerweile
so wirkt, wie wir das auch gewollt haben : Dass er
eben auch Leute an Hecken und Zäunen erreicht.
32. Musik 2 Hier muss ich noch lernen Cae Gauntt Track 2
1`12 bis 1`38“
Mel. Und Text : Tim Miner, dtsch v. C.Zehendner
LC-Nr 13 743
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33. Sprecher „Leute an Hecken und Zäunen erreichen“ – eine
Redewendung aus den sogenannten Sendungsworten des
Jesus von Nazareth im Neuen Testament. „Missionierung“,
„Neu-Evangelisierung“ – für manch altgedienten
Kirchen- Insider sind das Reizworte. Sie bestätigen den
Verdacht, die ganze Glaubenskurs-Kampagne der Kirchen sei
nichts weiter als frommer Seelenfang unter dem
Deckmäntelchen der Erwachsenenbildung. Andreas Schlamm
hält dagegen :
34. OTon XV Evangelisation – das ruft alte Klischees von wegen „Hier
wirst Du manipuliert“ hervor. Bildung – da denken viele,
die nicht so gebildet sind, das ist wohl nichts für mich.
Und deswegen haben wir im Grunde eine eigene Marke
entwickelt, die heisst : Kurse zum Glauben. Und deswegen
ist „Erwachsen glauben“ auch der Versuch, die alten
innerkirchlichen Grabenkämpfe, die es ja nun leider
gegeben hat und die auch vieles einfach ausgebremst
haben, zu überwinden. O`30“
35. Sprecher Sind die Klischees und innerkirchlichen Grabenkämpfe
um Mission und Evangelisation wirklich längst veraltet und
demnächst überwunden ? Ja, meint der Berliner evangelische
Theologe, weil das konfessionslose Drittel der deutschen
Bevölkerung zunächst mal jeder x-beliebigen Firma,
jeder Institution oder Weltanschauung das Recht zugesteht,
für sich Werbung zu machen. Ebenso selbstverständlich
nehmen die Leute das Recht in Anspruch, solcher Werbung
zu widerstehen. Eine der häufigsten Motivationen zur
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Teilnahme an einem Kurs ist es, wenn Konfirmandeneltern
wissen wollen, was ihre Kinder im kirchlichen Unterricht
da eigentlich lernen. Eine postmoderne Gesellschaft, die
Vergnügen daran findet, Salsa tanzen, thailändisch kochen
und spanisch reden zu lernen, sei auch ganz vorbehaltlos
bereit, christlich glauben und beten zu lernen. Egal, welcher
innerkirchliche Parteiflügel das nun befürwortet oder
ablehnt. Ein neu entwickelter Kurs der evangelischen
Kirche will z.B. nur „Fährten legen“ und Menschen
„auf die Spur“ bringen :
36.O-Ton XVI „Spur 8“ legt an acht Abenden Fährten, um Entdeckungen
im Land des Glaubens zu ermöglichen. Die Struktur eines
Abends besteht aus einem visuell unterstützten Impuls-
vortrag, Austausch in Kleingruppen und dann noch einmal
Bündelung in Form eines Abschlussvortrags. Themen sind
dabei z.B. Gottesbilder, die menschliche Sinnfrage,
Einwände gegen den Glauben und auch Verletzungen und
wie kann man als Christ leben.
37. Sprecher Verletzungen ? Einwände ? Vielleicht ist das „Neue“
der kirchlichen Mission durch Glaubenskurse, dass ihre
Verkündigung nicht als Einbahnstraße verstanden wird.
Kein Nürnberger Trichter auf dem Scheitel der Lernenden,
sondern interaktiv und prozessorientiert sollen die
Teilnehmenden ernst genommen und mit einbezogen werden,
meint Andreas Schlamm und nennt ein Beispiel :
38. O-Ton XVII Dann gibt es den „Emmaus“-Kurs, ebenfalls aus der
anglikanischen Kirche. Der Basiskurs orientiert sich zunächst
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am Credo, beleuchtet dann die Bibel, Gebet, Abendmahl,
Gemeinde, und wendet sich im dritten Teil bereits ethischen
Fragestellungen zu, z.B. „Wie gehe ich mit meinem
Geld um?“ Er ist sehr auf Kommunikation und Interaktion
ausgelegt, prozessorientierter als z.B. „Alpha“ oder auch
„Spur 8“ und bietet inhaltlich einen roten Faden, erlaubt aber
mehr als andere Kurse, intensiv auf die Fragen der
Teilnehmenden einzugehen.
39. Sprecher Dass skeptische Fragen und biographisch begründete
Einwände nicht von einem theologisch und rhetorisch
gebildeten Verteidiger des Glaubens beantwortet werden,
sondern von der Atmosphäre, der Gemeinschaft, dem
emotionalen Erleben und dem sozialen Gruppenprozess der
Teilnehmenden – das ist durchaus gewollt. Wenn es auf
halber Wegstrecke z.B. zum „Alpha-Wochenende“ in ein
Freizeitheim oder Tagungszentrum auf dem Lande geht, wie
Kursleiterin Regine Kaufmann aus Owen/Teck erzählt :
40. O-Ton XVIII In der Tat haben viele Alpha-Teilnehmer vorab Angst
oder Bedenken, was das Alpha-Wochenende anbetrifft.
So eine Zeit weg von der Familie… Man könnte mich
indoktrinieren oder sowas. Es ist in manchen Fällen sehr
schwierig, dass sie sich darauf einlassen können, aber
spätestens dort, diese tolle Atmosphäre, dieses
Angenommensein macht es, dass die Menschen begeistert
zurück kommen. 0`30“
41. Sprecher Was von außen wie eine Mitarbeiter-Klausurtagung mit
15
ungewöhnlich viel Zeit für Spaziergänge und Würstchen-
grillen-am-Lagerfeuer aussah, wurde für Axel Villinger zum
religiösen Aha-Erlebnis. Er ist 33 Jahre jung, verheiratet und
von Beruf Verkehrspilot am Stuttgarter Flughafen.
42.O-Ton XIX Der erste Abend ist eine Überwindung. Man kommt
her, man weiß nicht, worauf man sich einlässt, ein
Glaubensfindungskurs, vielleicht irgendwas sektenmäßiges,
aber das war`s dann am Ende überhaupt nicht. Nein, für
mich war das nicht peinlich. Ich hatte sogar Schwierig-
keiten, terminlich dran teilzunehmen, ich musste noch
fliegen an dem Vormittag. Und das Wochenende war dann
auch für mich der Startpunk in den Glauben hinein. Also
danach hab ich für mich die Entscheidung gefällt : Gut, ich
habe vielleicht immer noch kleine Fragen, immer noch so
kleine Zweifel, aber der Glaube existiert bereits und ich
möchte mir ab jetzt alles von der Seite des Glaubens her
anschauen.
43. Sprecher Zur Teilnahme motiviert hatte ihn seine Frau, nachdem das
Paar neu zugezogen war in die schwäbische Kleinstadt. Man
suchte Kontakt zu den Einheimischen und ein Kurs im
evangelischen Gemeindehaus schien da leichter zugänglich
zu sein als die alteingesessenen Sportvereine.
Kirchengemeinderätin Regine Kaufmann im „Alpha-Kurs“
packte recht bald DVDs mit Predigten des englischen
Pfarrers Nicky Gumbel aus, aber das machte dem jungen
Axel Villinger kein Unbehagen. Gumbel sei kein Guru,
findet er.
16
44. O-Ton XX Bei mir isses auch so : Ich bin von Hause aus Natur-
wissenschaftler, ich hab Biophysik studiert – nicht fertig,
sechs Semester in Berlin – aber für mich ist es immer
wichtig, eine freie Meinung zu haben. Nicky Gumbel ist
eben auch jemand, der früher bekennender Nichtchrist war
und das hat mich beeindruckt, weil das war ich auch.
Ein absoluter Agnostiker, nur an den naturwissenschaft-
lichen Inhalten des Lebens interessiert. Und er holt einen
da ab, wo man steht und innerhalb des Alpha-Kurses gab es
nie eine Situation, wo man zu irgendwas gezwungen wurde,
sonst wär` ich da ziemlich bald nach Hause gegangen, hätte
davon Abstand genommen und hätte das nicht weiterverfolgt.
45 Sprecher Axel Villingers unbekümmerte Offenheit und sein
spiritueller Werdegang scheinen nicht ungewöhnlich zu
sein : Jedes Jahr treten zwar rund 160.000 Menschen aus der
evangelischen und neuerdings bis zu 180.000 aus der
katholischen Kirche aus. Aber durch jährlich rund 50.000
Neu-Eintritte und Erwachsenentaufen speziell in den
evangelischen Landeskirchen wird der dramatische
Mitgliederschwund wiederum abgemildert. Ob die
Glaubenskurse an dieser kleinen „Eintrittswelle“ einen Anteil
haben, wird erst noch erforscht.
46. O-Ton XXI Ich bin katholisch getauft, aber vor drei Jahren, zu Beginn
meiner Arbeitszeit, ganz bewusst ausgetreten. Weil mir der
Glaube nichts gebracht hat. Ich hatte nie jemanden gefunden,
der in der Lage war, mir den Glauben näher zu bringen oder
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mir überhaupt zu erklären, was der Kern des Glaubens ist.
Und hier im Alphakurs, als Instrument um hier anzukommen,
hab` ich aber sehr schnell begriffen, wo es eigentlich im
Glauben drum geht und das war dann für mich der
Startpunkt in die Kirche hinein und bin jetzt auch seit
Anfang dieses Monats in die evangelische Kirchengemeinde
eingetreten. 0`40“
47. Sprecher Eine Erfolgsgeschichte, zumindest für die Owener
Protestanten. Ein junges Ehepaar aus Berlin war nicht
philosophisch grübelnd auf Sinnsuche, sondern ganz
praktisch auf Kontaktsuche am neuen Wohnort. Und das
ein Pilot seine religiöse Sinnfindung im Seminar beschreibt
als „ein Instrument, um anzukommen“, ist wohl
berufstypisch. Für Kursleiterin Regine Kaufmann ist das kein
Einzelfall :
48. O-Ton XXII In allen fünf Kursen haben wir erlebt, dass Menschen
eingetreten sind in die Kirche. Beim letzten Mal hatten wir
auch eine Taufe im Fluss dabei und manche wollten einfach
ihre Tauferinnerung da mitfeiern und ja, ich denke es sind
manche, die danach eine lebendige Beziehung zu Gott
bekommen haben. 0`30“
( bis hierhin 23`40“, bei zweimaliger Reihenmotiv-Musik a 0`25“ mit
An- und Abmod drüber = 24`30“ )
49. Musik 3 Musikalisches Reihenmotiv: Roman Flügel – Song with Blue
zum evtl rausgehen für die 24`30“ - Sender
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50. Sprecher Sind solche „Missionserfolge“ nicht doch in eher evangelikal
und kirchennah geprägten Landstrichen wie dem
sprichwörtlich frommen Schwabenland die Regel – in
anderen Gegenden Deutschlands aber die seltene Ausnahme ?
Projektleiter Andreas Schlamm bestreitet nicht, dass
die meisten Glaubenskurse zunächst als Vertiefung und
Vergewisserung der ohnehin kirchlich Engagierten beginnen:
19
51. O-Ton XXIII Eine Gemeinde, die jetzt beginnt, so einen Kurs durch-
zuführen, die wird vorrangig Menschen aus der
Kerngemeinde ansprechen. Sind diese Teilnehmenden
aber begeistert, dann werden sie bei einem nächsten Kurs
ihre Freunde und Bekannten einladen, so dass sich dann
nach und nach der Anteil der Distanzierten, der
Fernstehenden, vergrößert. Andrerseits, keine Regel ohne
Ausnahme : Im Osten Deutschlands beobachten wir, dass
sich auch Menschen zum Kurs anmelden, die dann vom
Pfarrer zum allersten Mal gesehen werden. Das ist besonders
natürlich in den Großstädten so, da hab ich mehrere Pfarrer
interviewt, die sagten, etwa die Hälfte der Teilnehmer
bekommen sie, weil die nach so einem Angebot im Internet
googeln und die kennen eigentlich keine Gemeinde in ihrem
Umfeld, sind aber trotzdem am Glauben interessiert. 0`52“
52. Sprecher Da setzt der oberste Kurse-Verteiler der EKD gleich drei
Dinge voraus : Dass die getreuen Mitglieder der
Kerngemeinde von der erstmaligen Durchführung eines
solchen Seminars tatsächlich begeistert sind ; dass sie
ihren eingeladenen Freunden und Bekannten zuliebe ein
zweites und drittes Mal die zeitaufwändige Veranstaltungs-
reihe besuchen und sich dabei als Anfänger gerieren, obwohl
sie Fortgeschrittene sind ; und : dass geduldig kontinuierliche
Seminar-Arbeit immer mehr Teilnehmende erzeugt. Im
Schneeballprinzip sozusagen. Letzteres ist aber gerade in
jenen Kirchengemeinden nicht der Fall, die schon vor zehn
oder fünfzehn Jahren - lange vor Ausrufung der konzertierten
Kampagne „Erwachsen glauben“ - mit der Kurs-Arbeit
20
begannen. Gibt es eine Art Erfolgs-Check bei der Aktion,
für die die Kirche bisher 1,2 Mio Euro ausgegeben hat ?
53. O-Ton XXIV Erfolgscheck ist so eine Sache. Ich rate den Gemeinden,
entspannt an die Sache heranzugehen und nicht vorher
schon eine Zahl festzulegen von Leuten, die dann in der
Gemeinde hängen bleiben müssen. Und daran im Grunde
den Erfolg zu messen. Aus meiner Sicht liegt der Wert eines
Kurses in sich. Und ich bin davon überzeugt : Wenn
Menschen sich wohlfühlen, dort auf interessante
Gesprächspartner treffen, neue Einsichten im Glauben
gewinnen – dann entsteht eigentlich von ganz allein der
Wunsch nach mehr. Wir haben das jetzt nicht statistisch
erhoben, aber über den Daumen kann man sagen : Über
30 bis 40 % der Menschen, die an einem solchen Kurs
teilnehmen, wollen anschließend auch intensiver das
kirchliche Leben wahrnehmen oder bekunden zumindest
Interesse daran. Und dann muss natürlich das Angebot
stimmen. 0`43“
54. Atmo 3 Partylärm, Gelächter wie 2. 0`30“
nach 0`05“ darüber
55. Sprecher Das „Angebot“ der sonstigen, traditionell üblichen
Veranstaltungen einer Kirche ist aber nicht notwendiger-
weise so anheimelnd entspannt wie ein „Alpha-Kurs-
Abschlußfest“ mit Buffett und Kitsch-Tombola in einer
südwestdeutschen Landgemeinde.
21
Atmo hoch,
Kreuzblende auf
56. Musik 4 Musikalisches Reihenmotiv: Roman Flügel – Song with
Blue bis 28`30““