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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Fünf Stunden Hochzeit Hörspiel Autorin: Maja Das Gupta Redaktion: Katrin Zipse Regie: Mark Ginzler Sendung: Dienstag, 03.05.2016 um 19.20 Uhr in SWR2 Erstsendung: Dienstag, 23.09.2014 um 19.20 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de ___________________________________________________________________

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Fünf Stunden Hochzeit

Hörspiel

Autorin: Maja Das Gupta

Redaktion: Katrin Zipse

Regie: Mark Ginzler

Sendung: Dienstag, 03.05.2016 um 19.20 Uhr in SWR2

Erstsendung: Dienstag, 23.09.2014 um 19.20 Uhr in SWR2

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Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. In jedem Fall von den Vormittagssendungen. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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1. Szene

1Jafar: Sie sehen müde aus.

2Lucia: Meine fünfte.

3Jafar: Ihre fünfte?

4Lucia: Meine fünfte Hochzeit.

5Jafar: Ich verstehe nicht?

6Lucia: Das um meinen Hals ist eine Kamera?

7Jafar: Ach so.

8Lucia: Was dachten Sie?

9Jafar: Ich dachte, dass Sie …

10Lucia: Ja?

11Jafar: Ich dachte, Sie sind fünf Mal verheiratet.

12Lucia: Und vier Mal geschieden, wie? Ein westliches Luder.

13Jafar: Nein, nein. Das dachte ich nicht. Wirklich nicht.

14Lucia: Was dann?

15Jafar: Ich habe nicht nachgedacht. Bei uns ginge das. Fünf Mal verheiratet sein.

Locker.

16Lucia: Sind Sie denn … fünf Mal verheiratet?

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17Jafar: Ich habe nicht gezählt.

18Lucia: Verstehe.

19Jafar: Nein. Bitte. Wenn Sie es wissen wollen: Ich habe eine feste Frau. Ich

könnte vier feste Frauen haben. Aber ich habe nur eine. Bevor wir

zusammen kamen, hatte ich Ehen auf Zeit. Und da es ihr nichts ausmacht

… habe ich immer noch … Ehen auf Zeit. Aber feste habe ich eine.

Nur, die Ehen auf Zeit … ich habe sie nicht gezählt.

20Lucia: Ehen auf Zeit?

21Jafar: Ab einer halben Stunde geht das. Allerdings bevorzuge ich Fünf- Stunden-

Ehen.

22Lucia: Wieso ausgerechnet fünf Stunden?

23Jafar: Wir haben fünf Sinne. Die Säulen des Glaubens im Islam: Fünf. In der

Antike glaubte man an fünf Planeten. Die Zahl der babylonischen Mutter-

und Liebesgöttin Istar: Fünf. Die Zahl der Venus: Fünf. Istar und Venus

symbolisieren Liebe und Sexualität. Die Zahl der Hochzeit: Fünf.

24Lucia: Jesus Christus wurden fünf Wunden zugefügt.

25Jafar: Sind Sie gläubig?

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26Lucia: Meine Großeltern waren es – sehr. Sie demonstrierten sogar gegen die

Hochzeit ihrer eigenen Tochter. Weil sie nicht kirchlich heiratete – und das

in Neapel. Lachen Sie nicht: Erst hatten sie gesagt, sie würden gar nicht

kommen. Dann kamen sie doch - mit großen Plakaten zum Standesamt,

auf denen stand: Tut das nicht!

27Jafar: Neapel …

28Lucia: Ich bin Halbitalienerin. Hier aufgewachsen. Und Sie?

29Jafar: Aus dem Libanon. Nicht hier aufgewachsen.

30Lucia: Auf Zeit … Warum kaufen Sie sich nicht einfach eine Frau, wenn Sie eine

auf Zeit wollen?

31Jafar: Das ist nicht gut. Sehen Sie – wir beide: Wir könnten sagen, wir heiraten

auf Zeit – und wenn Sie, Entschuldigung, ein Kind bekommen, dann

können Sie mir sagen: Jafar – hier: dein Kind. Das ist dein Kind. Und es ist

rechtlich unser Kind.

32Lucia: Unser Kind?

33Jafar: Nur ein Beispiel. Aber Sie haben Recht – es gibt Prostituierte, die

benutzen das. Die Ehe auf Zeit. Als … Tarnung. Für das, was sie tun.

34Lucia: Das Heiraten …

35Jafar: Ja?

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36Lucia: Was haben die Menschen damit? Ich habe so viele Hochzeiten fotografiert

… die Momente … diese ausgestellten Momente des Glücks, die mich

nichts angehen. Warum soll ich dabei sein und es bezeugen? Die meisten

Ehen, die ichfotografiert habe, sind schon wieder geschieden.

37Jafar: Das ist der Westen.

38Lucia: Ach. Der Westen. Wir heiraten zumindest nicht auf Zeit.

39Jafar: Nein. Ihr nehmt euch gleich das ganze Leben vor.

40Lucia: Sie doch auch! Ihre feste Frau …?

41Jafar: Liebe ich seit meiner Jugend. Aber – soll ich es Ihnen sagen?

42Lucia: Was?

43Jafar: Man kann mehr als einen Menschen lieben.

44Lucia: Gleichzeitig?

45Jafar: Oh ja.

46Lucia: Ich glaube, ich kann gar nicht lieben.

47Jafar: Was sagen Sie da?

48Lucia: Im Ernst: Wissen Sie, weshalb ich heiraten würde?

49Jafar: Weshalb?

50Lucia: Um auch einmal so eine fünfstöckige Hochzeitstorte zu bekommen.

51Jafar: Warum kaufen Sie sich nicht eine?

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52Lucia: Das ist nicht dasselbe.

Jafar: Gedankenstimme:

„Ich habe mir die Süßigkeiten immer aufgehoben, um sie nachher zu essen.“

53Lucia: Gedankenstimme:

„Nachher, nicht wahr? Da schmecken sie am besten. Ich auch.“

54Jafar: Gedankenstimme:

Es muss fünf Jahre her sein, dass ich dich auf einer Hochzeit gesehen

habe. Du erinnerst dich nicht an mich. Aber ich erinnere mich an dich.

Ich hätte heraus bekommen können, wer du warst. Aber ich habe

gewartet, bis wir uns wieder begegnen. Fünf Jahre. Ich wusste, es würden

fünf Jahre sein. Irgendwie wusste ich es. Wären es nur vier, ich hätte

dich nicht angesprochen. Sobald fünf Jahre vergehen … Und meine

Zukünftige hat keinen anderen kennen gelernt, in der Zwischenzeit.

Keiner, dessen Bild in unseren fünf Stunden eine Rolle spielte.

Warum fünfstöckig?

55Lucia: Ich habe einmal gelesen, dass das fünf Stadien symbolisiert:

Geburt, Jugend, Hochzeit, Kinder und den Tod. Ich würde mich also durch

mein ganzes Leben essen.

56Jafar: Haben Sie Hunger?

57Lucia: Nein! Sie haben mich nicht verstanden.

58Jafar: Doch. Sie wollen eine Torte. Sie wollen Zuckerguss statt Liebe.

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59Lucia: Wenn die Liebe immer wie Zuckerguss daher kommt und dann nur Galle

übrig bleibt.

60Jafar: Dann hatten Sie immer die Falschen.

61Lucia: Ich habe ein Déjà-vu. Ich weiß, was es ist: Sie klingen wie meine Mutter.

62Jafar: Bestimmt nicht. Ich sage: Die Falschen. Ihre Mutter sagt bestimmt: den

Falschen. Oder anders, sie sagt: der Richtige. Der noch kommt. Oder?

Das ist das Problem. Vielleicht gibt es ja viele Richtige, immer nur für kurz.

Aber weil Sie den Richtigen für lang suchen …

63Lucia: Ich suche überhaupt niemanden!

64Jafar: Wollen Sie ein Stück Torte essen?

65Lucia: Wie bitte?

66Jafar: Ich habe die Torte gemacht.

67Lucia: Sie sind der Tortenlieferant?

68Jafar: Catering. Das Ganze. Auch die Torte. Ich habe ein italienisches

Restaurant.

69Lucia: Aber sind Libanese?

70Jafar: Alles nur Tarnung.

71Lucia: Ich will nicht nur ein Stück Torte. Ich will die ganze.

72Jafar: Das geht nicht ohne Hochzeit.

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73Lucia: Sie sagten vorhin, ich könne eine kaufen. Ich bestelle jetzt eine bei Ihnen.

Wie lange dauert es, bis sie fertig ist?

74Jafar: Eine gute Torte? Eine Nacht.

75Lucia: Sie übertreiben.

76Jafar: Eine Nacht mit Ihnen.

77Lucia: Bitte?

78Jafar: Sie kommen mit – ich backe Ihnen eine. Sie müssen nur dabei sein. Das

ist alles.

79Lucia: Ich muss hier fotografieren …

80Jafar: Schade. Ich bin hier fertig.

81Lucia: Sie gehen?

82Jafar: Würde Sie das traurig machen?

83Lucia: Traurig vielleicht nicht. Nur – einsam.

84Jafar: Sie finden einen anderen Gesprächspartner. Mit Ihrem

schönen Haar.

85Lucia: Niemand redet mit mir wegen meiner Haare.

86Jafar: Haben Sie eine Ahnung.

87Lucia: Ich bin …

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88Jafar: Auch klug. Ich weiß. Weshalb Sie nie heiraten werden. Ihr Kopf braucht

Ruhe.

89Lucia: Sie kennen mich nicht.

90Jafar: Ich muss nur in Ihre Augen sehen. In den Augen sieht man die Seele.

91Lucia: Ich habe ein Gerstenkorn.

92Jafar: Auf Wiedersehen.

93Lucia: Nein. Gehen Sie nicht. Sie sagen … Sie haben nichts mehr zu tun?

94Jafar: Nur eine Torte backen. Für Sie. Wenn Sie mir dabei zusehen.

95Lucia: Was ist mit dieser hier?

96Jafar: Nein! Nicht!

97Lucia: Ich habe nur den kleinen Finger …

98Jafar: Gehen Sie von der Torte weg.

99Lucia: Lassen Sie meinen Arm los.

100Jafar: Wehe, Sie lecken den Finger ab!

101Lucia: Warum nicht? Das macht doch der Torte nichts mehr.

102Jafar: Stimmt auch wieder.

103Lucia: Was wollen Sie mit der Serviette? Sie gönnen mir gar nichts.

104Jafar: Ich lege sie ja schon weg. Lecken Sie ruhig!

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105Lucia: Haben Sie schon etwas getrunken?

106Jafar: Nein.

107Lucia: Hat die Braut Ihnen beim Backen zugesehen? Ich wette, nein.

108Jafar: Sie sind aber keine Braut.

109Lucia: Na und?

110Jafar: Sie bekommen Ihre Torte. Wenn …

111Lucia: Wenn?

112Jafar: Sie mich heiraten.

113Lucia: Wen? Sie?

114Jafar: Nur für diese Nacht.

115Lucia: In der Sie eine neue backen.

116Jafar: Nein. In der Sie bei mir liegen.

117Lucia: Sie sind verrückt. Sie sind – macht man das bei Ihnen so?

118Jafar: Ich mache das so.

119Lucia: Und wie oft machen Sie das so?

120Jafar: Wenn mir eine Frau gefällt.

121Lucia: Ich gefalle Ihnen.

122Jafar: Ich gefalle Ihnen auch.

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123Lucia: Wie kommen Sie darauf?

124Jafar: Ich habe Ihren Arm gehalten und Sie haben ihn nicht weggezogen.

125Lucia: Ich mag Ihr Aftershave. Ich kenne es … von früher.

126Jafar: Ich habe eine Erinnerung geweckt? An wen?

127Lucia: Das geht Sie nichts an.

128Jafar: Als Ihr zukünftiger Ehemann geht mich das nichts an?

129Lucia: Als – was?

130Jafar: Denken Sie an die Torte.

131Lucia lacht Sie sind wirklich – Sie sind – Sie glauben nicht im Ernst, dass das …

132Jafar: Küssen Sie mich.

133Lucia: Hören Sie. Ich bin müde. Ich hatte einige Hochzeiten diese Woche und ich

-.

134Jafar: Wollen Sie über anderer Leute Hochzeiten reden oder Ihre eigene

erleben?

135Lucia: Küssen Sie mich.

(Eine Tür geht auf, fällt zu, Schritte auf einer Treppe, auf der Suche nach einem

„angemessenen Ort“)

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2. Szene (Ein kleiner Raum mit Büchern und einer Liege)

136Lucia: Gedankenstimme:

Das ist die fünfte Hochzeit in dieser Woche.

Die Hochzeitstorte ist fünfstöckig.

Wir wollen für fünf Stunden heiraten …

Das heißt, wenn wir um acht Uhr … bleibt uns Zeit bis ein Uhr früh.

Fünf. Woran nur erinnert mich das?

137Jafar: Auf unsere Ehe!

138Lucia: Nein. Ich sagte doch gerade …

139Jafar: Und ich sagte …

140Lucia: Ich bestehe darauf!

141Jafar: Aber wo soll ich es hernehmen? Eine Torte, gut.

142Lucia: Du bekommst deine Stundenhochzeit. Ich will mein Kleid.

143Jafar: So machen wir das eigentlich nicht.

144Lucia: Aber wir machen das so.

145Jafar: Die Zeit ist viel zu kurz für ein Kleid. Ich ziehe es dir sowieso gleich aus.

Übrigens glaube ich, dass das der Grund ist, warum manche ihre

Hochzeiten über drei Tage stattfinden lassen – bei dem Preis der -

146Lucia: Es ist mir egal, wie du das machst. Ich habe genügend Hochzeiten

fotografiert – bei den Türken kauft der Bräutigam der Braut das Kleid.

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147Jafar: Ich bin Libanese!

148Lucia: Niemand ist perfekt.

149Jafar: Kann es auch das Kleid der Brautjungfer sein? Da käme ich vielleicht an

eins …

150Lucia: Nein. Ein Brautkleid. Dann heiraten wir. Kein Brautkleid: Wir heiraten

nicht.

Gedankenstimme:

„Meine Seide sehnt sich, jeder Faden, nach der Wärme einer Hochzeit,

und mein Hemd will fragen, wo die sanften Hände bleiben,

die auf meine Hüften drücken.“

Woher habe ich das?

151Jafar: Du hast mich geküsst!

152Lucia: Das ist kein Eheversprechen.

153Jafar: Es läuft so: Wir sagen, hier, Gott ist unser Zeuge, heiraten wir,

ich dich,

du mich, für … sagen wir, fünf Stunden. Ich muss morgen früh aufstehen.

Und dann …

154Lucia: Passiert gar nichts. Wenn ich nicht das richtige Kleid anhabe.

155Jafar: Kannst du eine Ohnmacht spielen?

156Lucia: Ich denke.

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157Jafar: Dann gehen wir jetzt zu einem türkischen Brautladen in K2. Ich kenne die

Verkäuferin. Gute Seele. Wenn du umkippst, wird sie sich um dich

kümmern. Ich kümmer mich um das Kleid. Sag mir nur vorher bitte,

welches. Nicht, dass wir dann draußen sind und …

158Lucia: Wie komme ich raus? Ich bin ohnmächtig?

159Jafar: Sie wird ihre Kusine in die Apotheke schicken. Wenn sie raus geht, zu

ihrer Kusine, läufst du aus dem Laden.

160Lucia: Hat schon mal jemand auf dem Kleid bestanden?

161Jafar: Du fragst zu viel.

162Lucia: Ob schon mal jemand …

163Jafar: Nein. Ich kenne nur die Verkäuferin sehr gut.

164Lucia: Eine Kurzehe?

165Jafar: Meine Schwester.

166Lucia: Eine Libanesin mit einem türkischen Brautmodenladen?

167Jafar: Perfekte Tarnung.

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168Lucia: Gedankenstimme:

Fünf … Ich erinnere mich … Ich muss es als Jugendliche gelesen haben.

Auf Spanisch. Es ging um einen jungen Mann … was war es nur?

3. Szene (Vor dem kleinen Raum)

169Lucia: Gedankenstimme:

Diese Brautmodenverkäuferin … sieht ihrem Bruder wirklich ähnlich.

Wie schnell sie gemerkt hat, dass er dahinter steckt. Habe ich eben

tatsächlich eine Ohnmacht vorgetäuscht, damit er sich hineinschleichen

kann, während sie mir ein Glas Wasser holt? Habe ich das tatsächlich

getan? Was habe ich mir dabei gedacht? Aber dass sie gleich darauf

kommen würde, dass hier ihr Bruder am Werk ist … wie viele Zeitehen er

wohl schon geschlossen hat? Aber bislang wollte keine – ein Kleid. Das

zumindest ist anders bei dieser Fünfstunden-Ehe. Merkwürdig – als Jafar

und ich vorhin, nach der missglückten Aktion im Laden, Kaffee trinken

gingen, saßen wir da nicht … Doch. Wir saßen an Tisch fünf. Es war der

einzige Tisch, der noch frei war.

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4. Szene (Ein kleiner Raum mit Büchern und einer Liege)

(Here comes the bride)

170Lucia: Wie hast du deine Schwester überreden können, ihr eigenes

Kleid zu verleihen?

171Jafar: Sie würde es nie einfärben, das machen wir nicht.

Aber es tut ihr weh, dass es nur im Schrank hängt.

Es war nicht so schwer, wie du denkst.

Du hast ihr gefallen.

172Lucia: Wir haben die gleiche Figur.

173Jafar: Sag mir nicht, dass ich eigentlich meine Schwester liebe.

174Lucia: Du liebst mich?

175Jafar: In dieser Nacht – für eine Nacht.

176Lucia: Sag mal, sagt dir die Geschichte eines Mannes etwas, der fünf Jahre auf

eine Frau gewartet hat?

177Jafar: Fünf Jahre, sagst du? Das hast du dir ausgedacht.

178Lucia: Wie machst du das? Lieben für eine Nacht?

179Jafar: Wie? Das ist leicht. Das mit den fünf Jahren … aber das hast du dir

ausgedacht, oder?

180Lucia: Erklär‘s mir.

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181Jafar: Warum?

182Lucia: Ich möchte es auch können.

183Jafar: Ich soll dich das lehren?

Gedankenstimme:

„Es genügt, einmal ein lebendes Insekt auf der Hand zu beobachten oder abends

übers Meer zu schauen und auf die Form jeder Welle zu achten, und schon löst

sich das Gesicht oder die Wunde, die wir im Herzen tragen, in Luftbläschen auf.

Aber ich bin nun mal verliebt und will verliebt sein, so verliebt, wie sie in mich

verliebt ist, und deshalb konnte ich fünf Jahre warten, warten auf die Nacht, wenn

die ganze Welt im Dunkeln liegt und ich mir ihre Lichtzöpfe um den Hals winden

kann.“

184Lucia: Gedankenstimme:

„Wenn ich Sie daran erinnern darf, dass Ihre Braut … keine Zöpfe hat.“

Meinst du, es bedeutet doch etwas, dass wir uns … begegnet sind?

185Jafar: Jede Begegnung bedeutet etwas.

186Lucia: Bei der fünften Hochzeit dieser Woche. Der fünften!

187Jafar: Wieso schreist du so?

188Lucia: Mir fällt dauernd diese Geschichte ein …

189Jafar: Denk nicht an Geschichten. Was siehst du, wenn du mich siehst?

190Lucia: Was?

191Jafar: Was siehst du, wenn du mich siehst?

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192Lucia: Einen Mann. Etwa … 45. Gut aussehend. Mit einem markanten Mund.

193Jafar: Das siehst du.

194Lucia: Ja.

195Jafar: Soll ich dir sagen, was ich sehe, wenn ich dich ansehe?

196Lucia: Ja.

197Jafar: Frag mich danach.

198Lucia: Bitte?

199Jafar: Frag schon.

200Lucia: Also gut. Was siehst du, wenn du mich ansiehst?

201Jafar: Geht es weniger gereizt? Oder interessiert es dich doch nicht?

202Lucia: Was siehst du, wenn du mich ansiehst?

203Jafar: Was ich sehe, wenn ich dich sehe? Ich sehe dich.

204Lucia: Das ist mir zu blöd.

205Jafar: Bist du immer so ungeduldig? Wir haben noch die ganze Nacht.

Auf die Nacht! (stoßen an).

Willst du mit mir, vor Gott, zusammen sein als meine rechtmäßige

Frau? Willst du mich heiraten, für diese eine Nacht?

206Lucia: Das sage ich dir noch…

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207Jafar: Auf die Nacht. Auf die Liebe. Auf unsere Ehe! (stoßen an)

Möchtest du Musik hören?

208Lucia: Das ist nicht unsere CD-Sammlung.

209Jafar: Das ist auch nicht unser Bett.

210Lucia: Ich benutze eher ein fremdes Bett als eine fremde CD-Sammlung.

211Jafar: Wir sind Hochzeitsgäste. Wir sollen Spaß haben. Unsere Eheform heißt

auf Arabisch „Muta“, Genuss.

212Lucia: Wir sind keine Gäste. Wir sind – wir gehören zum Stab -

wir sind eigentlich angestellt, um -

213Jafar: Willst du das Gelübde für eine Nacht schon vor der Nacht brechen?

214Lucia: Nein.

215Jafar: Also. Was für Musik?

216Lucia: Amy Winehouse.

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5. Szene (Ein kleiner Raum mit Büchern und einer Liege)

217Lucia: Gedankenstimme:

Ich habe ihn schon einmal gesehen … auf einer Hochzeit … vor fünf

Jahren … Nur gesehen … Wir haben nicht miteinander gesprochen. Oder

haben wir doch gesprochen? Ich war betrunken …

Er hat mir … etwas erzählt … was war es nur? Etwas vorgetragen?

„Wer nimmt die gute Wäsche der kleinen dunklen Braut?“

218Jafar: Torte?

219Lucia: Hm.

220Jafar: Gedankenstimme:

„Die schwarzen Winde solln sie tragen beim Morgenspiel in ihrer Grotte,

Atlasbänder sind die Binsen, Seidenstrümpfe sind der Mond.

Laß den Schleier nur den Spinnen, daß sie kleine Tauben fressen, von der

Schönheit seiner Fäden eingesponnen und verdeckt. Niemand wird dein Kleid je

tragen, weiße Form und zarte Helle:

Seide und der Rauhreif waren leicht, doch ohne Halt gewählt.“

221Lucia: Gedankenstimme:

„Meine Schleppe verliert sich im Wellenglanz“

222Jafar: Gedankenstimme:

„Der Mond hält dir den Blütenkranz“

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223Jafar: Ich stelle mir vor, wie ich auf deinem sahnefarbenen Kleid die

Sahne verteile, bis ich nicht mehr weiß, was ist Sahne, was bist

du und kosten muss, um … Aber was ist?

224Lucia: Ich habe keinen Brautstrauß.

225Jafar: Einen Brautstrauß?

226Lucia: Der gehört sozusagen zum Kleid.

227Jafar: Wo sollen wir jetzt einen Brautstrauß her bekommen?

228Lucia: Von wo wohl. Von da, wo ich das hier auch her habe.

229Jafar: Eheringe? Wo hast du die … Du hast sie doch nicht …

du hast sie doch nicht etwa von der Hochzeitsgesellschaft …

230Lucia: Nur geborgt. Die Trauzeugin hatte sie auf den Tisch gelegt.

231Jafar: Das geht nicht. Wir gehören zum Hochzeitsstab, wir können

nicht …

232Lucia: Aber wir brauchen Ringe!

233Jafar: Brauchen wir nicht! Da, wo ich her komme...

234Lucia: Aber da, wo ich her komme, brauchen wir sie. Unbedingt.

235Jafar: Das ist Unsinn. Auch hier wird das nicht mit Ringen … wenn wir …

es ist doch nur für eine Nacht!

236Lucia: Ich habe die Ringe doch. Wir legen sie irgendwann wieder zurück.

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237Jafar: Und zwar sofort!

238Lucia: Ich frage mich nur, wie ich an den Brautstrauß …

239Jafar: Ich besorge Ringe. Und ich besorge einen Brautstrauß.

Gib mir die Ringe. Ich lege sie wieder zurück.

240Lucia: Und wenn dich jemand dabei sieht? Dann bist du der libanesische

Dieb.

241Jafar: Ich werde sagen, dass du es warst.

242Lucia: Kein „Gentleman“?

243Jafar: Nur bei einer Dame. Gib jetzt die Ringe her. Ich meine es ernst.

244Lucia: Aber sie sind schön! Nur die Namen – die passen nicht.

245Jafar: Steht nicht Lucia drin? So eine Überraschung.

246Lucia: Du kennst meinen Namen?

247Jafar: Denkst du, ich heirate eine Frau und weiß nicht, wie sie heißt?

Wie heiße ich?

248Lucia: Ich …

249Jafar: Komm schon. Wie heiße ich?

250Lucia: Ist schwer auszusprechen.

251Jafar: Du hast nicht mal danach gefragt.

252Lucia: Und? Wie heißt du?

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253Jafar: Ich bringe die hier jetzt zurück. Und dann … werde ich dir einen

gravierten Ring besorgen. Da kannst du es dann ablesen: Wie ich heiße.

254Lucia: Es tut mir leid.

Kommst du an einem Blumenladen vorbei? Und die Ringe – die bringe

ich zurück.

6. Szene (Ein kleiner Raum mit Büchern und einer Liege)

255Lucia: Das sind Ringe aus einem Kaugummi-Automaten!

Gedankenstimme:

„Mein Ring, Herr, Ring von altem Gold versank im Sand des Spiegels. Wer wird

mein Kleid nun tragen? Wer?“

256Jafar: Aber graviert.

Gedankenstimme:

„Die Mündung des Flusses zur Hochzeit im Meer.“

257Lucia: Was für ein Brauch ist das?

258Jafar: Unserer.

259Lucia: Jafar. So heißt du?

260Jafar: So heiße ich.

261Lucia: Schöner Name.

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262Jafar: Jafar und Lucia. Schön. Und hier sind deine Blumen. Passt jetzt alles?

263Lucia: Eine Hochzeitsband kann ich wohl nicht bestellen.

264Jafar: Küss mich.

(Sie küssen sich)

265Lucia: Ein, zwei Sachen wären da wohl noch.

266Jafar (flucht): Was denn?

267Lucia: Ich habe so viele Hochzeiten fotografiert. Ich möchte zu gern … auch

Fotos von meiner.

268Jafar: Fotos?

269Lucia: Du könntest mich aufnehmen – wie ich am Klavier lehne. Mit dem Strauß

in der Hand. Nur eine Aufnahme!

270Jafar: Nur eine?

271Lucia: Davon nur eine. Und dann – wusstest du, dass auf rumänischen

Hochzeiten jemand mit zwei lebenden Hühnern um das Brautpaar herum

tanzt?

272Jafar: Ich fange dir jetzt keine Hühner.

273Lucia: Es gibt hier welche – die Trauzeugin ist Rumänin. Wir könnten sie

auch fragen, ob sie …

274Jafar: Nein.

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275Lucia: Und auf russischen Hochzeiten gibt es eine Moderatorin. Und auf

japanischen, auf der, auf der ich war, Unmengen Origami-Falter.

Zumindest einer wäre schön. Und was mir gut gefallen hat:

276Jafar: Wir feiern eine deutsche Hochzeit – ja?

Schön, wie heißt es: Intim.

277Lucia: Deutsch willst du feiern?

278Jafar: Ja.

279Lucia: Deutsch?

280Jafar: Ja. Warum nicht? Gibt schöne Bräuche.

281Lucia: Etwas Geliehenes, etwas Neues, etwas Altes und etwas Blaues.

282Jafar: Was sagst du?

283Lucia: Ich brauche: etwas Geliehenes, möglichst von einer glücklich

verheirateten Frau – das soll Glück bringen, weißt du – etwas Neues,

wegen des Neuanfangs, etwas Altes, als Erinnerung an die Mädchenzeit

und etwas Blaues wegen – der Treue.

284Jafar: Aber es ist kein Neuanfang.

285Lucia: Kein Neuanfang?

286Jafar: Bitte – du weinst doch jetzt nicht?

287Lucia: Ich möchte doch nur diese vier Dinge!

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288Jafar: Wo sollen wir die jetzt her bekommen?

289Lucia: Du hast es auch mit der Torte, dem Kleid, den Ringen geschafft. Du

schaffst das, Jafar. Und dann – machen wir Fotos.

290Jafar: Ich mache das nicht alleine.

291Lucia: Was meinst du?

292Jafar: Wir heiraten doch. Da macht man Dinge zu zweit.

293Lucia: Ist das so?

294Jafar: Glaube mir. Ich war schon oft verheiratet.

295Lucia: Etwas Blaues – ein Strumpfband. Etwas Altes – du fährst mich nach

Hause und ich frage meine Mutter nach einer alten Kette. Etwas

Geliehenes … ich …

296Jafar: Das Kleid ist geliehen?

297Lucia: Das Kleid ist das Kleid. Ich brauche noch was Geliehenes.

298Jafar: Ich leihe noch was von meiner Schwester. Die kennt dich ja schon. Und

sie ist glücklich verheiratet. Zwei Kinder.

299Lucia: Und etwas Neues …?

300Jafar: Nein.

301Lucia: Etwas kleines, Neues?

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302Jafar: Gut. Das erste, was mir entgegen – mein Gott, wir sind doch nicht

bei Aschenputtel.

303Lucia: Und du bist nicht mein Vater. Also kauf mir … Schuhe! Brautschuhe.

Diese hier sind alt. Und hässlich.

304Jafar: Ich soll dir Schuhe kaufen?

305Lucia: Fällt dir was Besseres ein?

306Jafar: So viel Aufwand dafür, dass ich dir das alles wieder ausziehe …

307Lucia: Gedankenstimme:

„Von einem Tod, den ich nicht kannte, will ich singen, Schmerz des leeren

Schleiers, beweint von Federn und Satin. Von Unterwäsche, die erfroren liegt, im

dunklen Schnee begraben, ohne daß der Duft der Spitze mit dem Flor sich messen

kann. Stoffe, die das Fleisch bedecken, sind bestimmt für trübe Wasser, und statt

heißem Brausen nur ein Regentorso, der zersprang. Wer nimmt die gute Wäsche

der kleinen dunklen Braut“

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7. Szene (Im Auto)

308Lucia: Warum hat deine Schwester gelacht?

309Jafar: Sie lacht gern.

310Lucia: Aber sie hat was zu dir gesagt und gelacht.

311Jafar: Dass du es mir nicht leicht machst, hat sie gesagt. Hier. Ein Armband von

ihr. Wirklich geliehen. Sie hängt dran.

312Lucia: Glaubst du, ich klaue?

313Jafar: Du bist Halbitalienerin.

314Lucia: Was soll das denn heißen?

315Jafar: Mein Vater hat immer gesagt, die klauen.

316Lucia: Was?

317Jafar: Mein Vater hatte keine Ahnung. Fahr weiter.

318Lucia: Ich denke nicht daran. Wie kommt dein Vater auf so was?

319Jafar: Er kam mit uns aus dem Libanon, wollte weg vom Bürgerkrieg dort.

Als er kam, waren hier viele Italiener als Gastarbeiter. Einer hat ihm

wohl mal den Geldbeutel geklaut.

320Lucia: Dann wäre er wohl nicht einverstanden mit unserer Ehe.

321Jafar: Quatsch. Fährst du jetzt weiter?

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322Lucia: Wie findest du die Kette?

323Jafar: Eine Kette halt.

324Lucia: Mein Vater hat sie meiner Mutter geschenkt. Meine Mutter hat sie mir

geschenkt. Ich habe sie eigentlich nur nach der Kette gefragt. Aber sie hat

sie mir geschenkt. Gerade eben.

325Jafar: Herzlichen Glückwunsch. Fährst du nun weiter?

326Lucia: Sind wir in Eile? Sollte man sich vor der Ehe nicht kennen lernen?

327Jafar: Sollte man das? Schreckt doch eher ab.

328Lucia: Ich brauche noch etwas Blaues.

329Jafar: Muss es ein Strumpfband sein?

330Lucia: Woran dachtest du?

331Jafar: Ich habe hier … ein Tuch.

332Lucia: Aber das ist ja wunderschön!

333Jafar: Gefällt's dir?

334Lucia: Oh – sehr! Danke!

335Jafar: Wegen eines Tuches fällst du mir so um den Hals?

(küssen sich)

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336Jafar: (Gedankenstimme)

Ich stelle mir vor, du, nur mit dem Tuch bekleidet,

stehst in der Tür. Ich bin geblendet von so viel Haut.

Ich komme auf dich zu. Ziehe dich am Tuch zum Bett. Lege dich aufs Bett.

Nehme das Tuch und verhülle damit deinen Körper. Dann fühle

ich dich mit meiner Hand unter dem Blau. Deine Brüste schimmern mir

entgegen. Ich verrücke das Tuch ganz leicht. Und …

337Lucia: Ich muss weiterfahren. Ich hab das Auto nur für eine Stunde

gebucht.

338Jafar: Fehlt dir nun noch was zu deinem Glück?

339Lucia: Etwas Neues.

340Jafar: Das Tuch?

341Lucia: Ist blau.

342Jafar: Etwas Blaues und etwas Neues kann nicht identisch sein?

343Lucia: Nein.

344Jafar: Die Schuhe?

345Lucia: Ich habe noch welche bei meiner Mutter im Schrank gefunden. Sie

passen. Machen wir die Fotos, wenn wir zurück sind?

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8. Szene (Ein anderer Raum, mit Klavier)

Klicken der Kamera

346Jafar: Hast du noch nicht genug?

347Lucia: Ich muss mich noch einmal drehen. Und – ich muss noch Bilder von dir

machen.

348Jafar: Von mir?

349Lucia: Ich mache immer auch Bilder vom Bräutigam.

350Jafar: Was ist mit einem gemeinsamen Bild? Dem Hochzeitsfoto?

351Lucia: Wollte ich am Schluss machen. Mit Selbstauslöser.

(Gedankenstimme)

Ich stelle mir vor, ich stehe neben dir. Ich stehe neben dir und sehe dich

an wie Bräute auf den Fotos denken, dass sie ihren Bräutigam ansehen,

und es nie tun, sie sind zu aufgeregt. Ich sehe dich an, als läge das

ganze gemeinsame Leben vor uns. Im Moment des Abdrückens erfüllen

sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es ist eine Verlängerung des

Moments in eine gedachte Ewigkeit.

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9. Szene (Der Raum mit Klavier)

352Jafar: (Gedankenstimme):

Wie du neben mir sitzt und lachst und über dir gackert das Huhn.

353Lucia: (Gedankenstimme):

Wie er neben mir sitzt und lacht und über ihm gackert das Huhn.

Nun sitzen wir also auf diesen Stühlen und sie tanzt mit Hühnern in der

Hand um uns herum. Lebenden. Bei der eigentlichen Hochzeit haben sie

sie das nicht machen lassen, ihren rumänischen Brauch. Bei der

eigentlichen Hochzeit. Was sage ich da, eigentlich. Nur, weil das

Zusammensein der beiden länger andauern wird als unseres? Und das ist

noch nicht gesagt … Was denke ich da. Möchte ich die Verlängerung des

Moments? Ist er dann noch ein Moment? Ist nicht die Fünfstunden-Ehe

viel eher ein Zelebrieren der höchsten Zeit, die wir miteinander genießen

können? Hochzeit des Gefühls. Des Gefühls? Ich hätte Gefühle für diesen

Mann? Vermutlich. Hätte ich mich sonst auch nur auf fünf Stunden

eingelassen? Flüchtige Gefühle. Gefühle, die sich verflüchtigen werden.

Aber tun sie das nicht immer?

354Beide: Uns. Über uns gackert das Huhn.

355Lucia: Gedankenstimme:

Immer will man die Ewigkeit – was ist das nur.

356Jafar: Soll ich dich jetzt noch einmal fragen: Willst du mich heiraten für eine

Nacht?

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357Lucia: Gedankenstimme:

Aber ich glaube nicht an die Ewigkeit.

Zu ihm

Ja, ich will!

Gedankenstimme:

„Den Brautkranz verlor ich, den Fingerhut auch, doch als ich zurückkam,

da las ich sie auf.“

358Jafar: Diese verrückte Halbitalienerin.

359Lucia: Dieser Libanese, der wie Clark Gable aussieht.

360Jafar: Diese Nacht! Wie sehne ich diese Nacht herbei!

361Lucia: Wie wohl die Nacht wird?

362Jafar: Wie sie wohl wird, diese Nacht?

363Lucia: Diese Nacht …

364Jafar: Aua!

365Lucia: Was ist passiert?

366Jafar: Das Huhn hat nach mir gehackt!

367Lucia: Du blutest!

368Jafar: Nur ein paar Kratzer.

369Lucia: Ein paar? Eins, zwei, drei, vier … fünf!

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370Jafar: Eine Botschaft, meinst du? Vielleicht sind die Hühner ja von Istar gesandt.

Für jede Stunde eine Wunde.

371Lucia: Wunderbar.

10. Szene ( Der Raum mit Klavier)

372Lucia: Wie geht es deiner Verletzung?

373Jafar: Schmerzt. Du hast schön ausgesehen beim Hühnertanz. Dafür lasse ich

mich gern verwunden.

374Lucia: Charmant.

375Jafar: Nur, wenn mir das Blut herunter läuft.

376Lucia: Ich erneuere den Verband.

377Jafar: Ich habe hier etwas für dich.

378Lucia: Was denn?

379Jafar: Das Neue.

380Lucia: Aber … das ist ja ein Verlobungsring!

381Jafar: Das ist neu für mich. Ich habe mich noch nie verlobt.

Ich muss dir aber sagen:

382Lucia: Ich weiß – er gilt nur für eine Nacht. Eigentlich hättest du ihn mir vor dem

Ehering geben müssen.

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383Jafar: Komm her. Leg dich zu mir.

384Lucia Da ist ein Mann. Er wartet auf mich. Fünf Jahre lang. Bist du dieser Mann?

385Jafar: Vielleicht bin ich einer, der fünf Jahre gewartet hat.

386Lucia: Für eine Nacht?

387Jafar: Für fünf Stunden.

388Lucia: Und nicht mehr?

389Jafar: Nicht mehr. Für einen, der fünf Jahre gewartet hat, sind fünf Stunden -

390Lucia: Du hast mir diese Geschichte erzählt. Du warst es.

Von einem jungen Mann, der fünf Jahre auf seine Braut wartete.

Weil er sich … Süßes für später aufhob. Sie war auf Reisen. Sie

kam zurück. Er suchte sie auf. In ihrem Schlafzimmer war ein anderer.

War das eine deiner Geschichten?

391Jafar: Vielleicht geschieht es aber auch erst. In fünf Jahren. Wer weiß.

Vielleicht ist es auch deine Geschichte.

Gedankenstimme:

„Sie hat sie sich abgeschnitten, ohne meine Erlaubnis natürlich, und das...

verändert für mich ihr Bild. Ich weiß, daß sie keine Zöpfe hat. Aber nach diesen

fünf Jahren wird sie wieder welche haben.“

392Lucia: Weil ich fünf Jahre warten werde?

Gedankenstimme:

„Und schönere als je zuvor. Zöpfe werden das sein …“

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393Jafar: Könntest du das?

Gedankenstimme:

„Zöpfe sind es, von deren Duft man leben kann,

man braucht kein Brot und auch kein Wasser.“

394Lucia: Was machen wir, vollziehen wir nun – die Ehe?

395Jafar: Oder warten wir. Ist warten das größere Glück?

Ein Leben lang warten auf - eine Ehe, die nie vollzogen wird.

396Lucia: Oder das ganze Leben in fünf Stunden.

397Jafar: Wähle.

398Lucia: Später.

ENDE