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1 Sinnesphysiologie 1. Stunde: Das zentrale Nervensystem: Grundlage bewussten Menschseins: Neurone, Synapsen, Rezeptoren 2. Stunde: Subjektive Sinnesphysiologie: Weber – Fechner – Stevens 3. Stunde: Das Somatosensorische System: Bahnsysteme, somatosensorische Neurone 4. Stunde: Mechanorezeption und Propriozeption 5. Stunde: Thermorezeption, Viszerozeption 6. Stunde: Nozizeption (Schmerz) 7. Geschmackssinn 8. Geruchssinn Lehrbücher: Klinke/Pape/Kurtz/Sibernagl, Physiologie: Kapitel 18: Somatoviszerale Sensibilität Kapitel 22: Geschmack und Geruch Schmidt/Lang/Heckmann: Physiologie des Menschen: Kapitel 13: Allgemeine Sinnesphysiologie Kapitel 14: Das somatosensorische System Kapitel 15: Nozizeption und Schmerz Kapitel 19: Geschmack und Geruch Notiz: Das „=>“ ist als „führt zu“ zu verstehen im Text.

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Sinnesphysiologie 1. Stunde: Das zentrale Nervensystem: Grundlage bewussten Menschseins: Neurone, Synapsen, Rezeptoren 2. Stunde: Subjektive Sinnesphysiologie: Weber – Fechner – Stevens 3. Stunde: Das Somatosensorische System: Bahnsysteme, somatosensorische Neurone 4. Stunde: Mechanorezeption und Propriozeption 5. Stunde: Thermorezeption, Viszerozeption 6. Stunde: Nozizeption (Schmerz) 7. Geschmackssinn 8. Geruchssinn Lehrbücher: Klinke/Pape/Kurtz/Sibernagl, Physiologie: Kapitel 18: Somatoviszerale Sensibilität Kapitel 22: Geschmack und Geruch Schmidt/Lang/Heckmann: Physiologie des Menschen: Kapitel 13: Allgemeine Sinnesphysiologie Kapitel 14: Das somatosensorische System Kapitel 15: Nozizeption und Schmerz Kapitel 19: Geschmack und Geruch Notiz: Das „=>“ ist als „führt zu“ zu verstehen im Text.

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1. Stunde: Das zentrale Nervensystem – Grundlage bewussten Menschseins: Neurone, Synapsen, Rezeptoren Fünf klassische Sinne: Riechen, Fühlen, Hören, Sehen, Schmecken. Plus: Gleichgewichtssinn, Schmerzsinn, andere Systeme, die den Zustand des Körpers an das ZNS melden (Gelenkstellungen, Muskelkraft, Muskellänge, Blutdruck, CO2-Gehalt des Blutes, etc). Alle brauchen spezialisierte Sinnesrezeptoren. Sinnesrezeptoren brauchen einen adäquaten Reiz, der Sinneszellen erregt. Diese übersetzen den Reiz in eine „Sprache“, die das ZNS versteht: Aktionspotenziale. Adäquater Reiz = Im Allgemeinen der Reiz, der die minimale Energie benötigt, um das betreffende Organ zu erregen. Inadäquater Reiz: z.B. Stäbchen und Zapfen der Retina lassen sich auch erregen, wenn man den Bulbus kräftig massiert (Faust auf Auge…). Kaltsensoren in der Schleimhaut von Mund und Nase reagieren auf Kälte, aber auch auf Menthol. Warmrezeptoren reagieren auf Wärme, aber auch auf Chili (Capsaizin). Reiztransduktion:

• der Reiz wird durch einen reizleitenden Apparat an die Rezeptoren herangebracht • ein Transduktionsvorgang am Rezeptor: z.B. Mechanorezeptoren haben

dehnungsaktivierte Ionenkanäle. Bei Dehnung wird der Durchmesser dieser Kanäle vergrößert, wodurch die elektrische Leitfähigkeit steigt. Es kommt zu einem Transduktionsstrom, einer Veränderung des Membranpotenzials. Für fast alle Sinne ist diese Potenzialveränderung eine Depolarisation (aber nicht an Photorezeptoren – hier ist es eine Hyperpolarisation). So entsteht ein Rezeptorpotenzial, dessen Größe die Särke des Reizes widerspiegelt. Wichtig: Die Rezeptorpotenziale bilden den Reiz in analoger Form ab, allerdings nicht in der physikalischen Dimension des Reizes.

Reiztransformation: Signale können nicht auf analoge Weise ans ZNS weitergegeben werden. Eine Kodierung in Aktionspotenziale wird benötigt, in digitaler Form. Über afferente Nervenbahnen gelangt die Informationsabfolge der Aktionspotenziale ans ZNS. Sinneszellen, die in der Lage sind, als Antwort auf die reizabhängige Depolarisation Aktionspotenziale zu generieren und weiterzuleiten sind primäre Sinneszellen (z.B. Mechanosensorik) Sinneszellen, die reizabhängig Botenstoffe freisetzen, aber keine Aktionspotenziale generieren, sind sekundäre Sinneszellen. Aktionspotenziale werden über synaptische Verschaltung in den nachgeschalteten Neuronen ausgelöst (z.B. Hören). Ein wichtiger Punkt bei den Rezeptoren ist die Adaptation: Eine Erhöhung der Reizschwelle bei kontinuierlicher Reizung der Sinnesorgane resultiert in immer weniger APs. So können lang andauernde Reize mehr oder weniger ignoriert werden. Die Adaptation findet statt auf Rezeptor Ebene. Adaptation ist nicht dasselbe wie Habituation. Die Habituation ist die Anpassung an einen wiederholten, für den Organismus als unwichtig erkannten Reiz und findet auf ZNS-Ebene, nicht an der Rezeptor-Ebene statt.

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Reizkodierung: Primäre Sinneszellen

• Das Rezeptorpotenzial breitet sich elektrotonisch bis zum ersten Ranvier-Schnürring aus

• Hier kann ein Aktionspotenzial entstehen – aber für eine korrekte Kodierung ist das nicht genug!

• Je stärker der Reiz, desto stärker der Generatorstrom (bzw. das Rezeptorpotenzial), umso mehr Aktionspotenziale pro Zeiteinheit werden ausgelöst (höherer Reiz bedeutet eine höhere AP Frequenz)

Sekundäre Sinneszellen • Das Rezeptorpotenzial breitet sich elektrotonisch bis zur Botenstoff-freisetzenden

Maschinerie aus (Präsynapse) • Die Transmitterausschüttung ist abhängig von der Reizstärke/Rezeptorpotenzialstärke • Aktionspotenziale werden in den afferenten Nerven weiter zum ZNS geleitet.

Rezeptor Antwortverhalten:

• Einige Rezeptoren reagieren stark, wenn der Reiz rasch zunimmt. Sie signalisieren die Geschwindigkeit der Reizänderung. Dieser Antworttyp => dynamische = phasische = differenziale Antwort.

• Rezeptoren, die unabhängig von der Geschwindigkeit reagieren, signalisieren nur die Reizgröße. Dieser Antworttyp => statische = tonische = proportionale Antwort.

• Die meisten Rezeptoren übermitteln Informationen über die Reizgröße, aber auch über die Geschwindigkeit => Proportional-differenziales Antwortverhalten (PD).

Reizverarbeitung: Reize müssen verarbeitet werden, um im ZNS Sinn zu machen. Es gibt folgende Mechanismen:

• Primäre rezeptive Felder: afferente Nervenfasern verzweigen sich in ihrem Innervationsgebiet in mehrere Kollaterale, die jeweils in Sensoren enden: alle Sensoren einer Nervenfaser bilden ein primäres rezeptives Feld. Die Größe ist Funktions-angepasst (z.B. für Mechanoafferenzen in der Haut: kleiner in der Fingerspitze als im Unterarm). Je mehr primäre rezeptive Felder, desto detailierter kann die Information sein.

• Sekundäre rezeptive Felder: unterschiedlich viele primär afferente Nervenfasern konvergieren und haben synaptische Kontakte mit einzelnen zentralen sensorischen Neuronen. Die rezeptiven Felder dieser zentralen Neurone = Sekundäre Felder.

• Weitere Bearbeitung durch neuronale Netzwerke: Information wird von einem Neuron auf viele andere verteilt (Divergenz), oder umgekehrt erhält ein Neuron Informationen von vielen anderen Neuronen (Konvergenz).

• Bearbeitung durch räumliche oder zeitliche Bahnung: zum Beispiel, die Entstehung von Aktionspotenzialen nach einem an sich unterschwelligen Reiz, wenn an diesem Neuron noch weitere exzitatorische Synapsen anderen Ursprungs aktiviert werden. Die Summation macht das Rezeptorpotenzial stark genug, um APs zu generieren.

• Hemmungen sind auch beteiligt. Diese sind besonders wichtig um repetitive Entladungen zu verhindern: Vorwärts- (Neuron A hemmt Neuron B) und Rückwärtshemmung (Neuron A hemmt durch ein hemmendes Interneuron sich selbst).

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Besonders wichtig ist die laterale Inhibition (Laterale Hemmung): Viele Neurone im visuellen und somatosensorischen System werden z.B. vom Zentrum ihres rezeptiven Feldes her erregt und von einem mehr oder minder großen (und mehr oder minder regelmäßig geformten) Umfeld hingegen gehemmt. Die Hemmung findet folgendermaßen statt: die primären Afferenzen sind mit Interneuronen verbunden, die an den betreffenden zentralen Neuronen hemmende Synapsen bilden. Dieser hemmende Mechanismus generiert eine Kontrastverschärfung. Wichtig z.B für die Augen: Information über die Helligkeitsunterschiede im Bild wird geliefert => also über die Begrenzungen einzelner Bildelemente (viel wichtiger als Information über die absoluten Helligkeiten).

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2. Stunde: Subjektive Sinnesphysiologie: Weber – Fechner – Stevens Empfindungen sind Konstrukte des Gehirns. Die Rezeptor und Faser Aktivitäten können mit Elektroden, etc. gemessen werden („objektive Sinnesphysiologie“). Aber subjektive Empfindungs- und Wahrnehmungsprozesse sind einer direkten naturwissenschaftlichen Analyse nicht zugänglich. Sie werden mithilfe von Angaben von Versuchspersonen studiert, weswegen dieser Bereich als „subjektive Sinnesphysiologie“ bezeichnet wird. Methoden: Psychophysik, die sich mit der Beziehung zwischen Reiz und Empfindung beschäftigt und Psychophysiologie, welche die Korrelation zwischen Empfindungsgröße und Aktivitätszuständen der Rezeptoren und/oder afferenten Nervenbahnen studiert. Um die Empfindungsintensität (Empfindungsstärke) zu quantifizieren, wird die Aussage des Wahrnehmenden verwendet. Als eine wichtige Aussage der Psychophysik, definierte Johannes Müller 1837 das „Gesetz der spezifischen Sinnesenergien“: Die Empfindung einer bestimmten Sinnesmodalität hängt nur vom gereizten Sinneskanal und nicht von der Art des Reizes ab. z.B, egal wie die Augen stimuliert werden (durch Licht oder Druck), wird nur eine visuelle Empfindung stattfinden. Empfindungen haben immer eine bestimmte Intensität (obwohl Empfindungen auch verschiedene andere „Qualitäten“ haben können: z.B. die Farbe von Licht, nicht nur die Intensität). Die Intensität ist nicht leicht zu messen. Ein Beispiel = die Hörschwellenkurve des Ohres, welche den Mindestschalldruck zur Hörempfindung (= die Absolutschwelle) über die verschiedenen Frequenzen des Hörbereichs darstellt. Die Hörschwelle variiert stark in Abhängigkeit von der Frequenz. Die Absolutschwelle ist für die Medizin wichtig. Eine Erhöhung bedeutet, dass der Sinnenskanal beschädigt ist. Methoden für die Schwellenmessung: 1) die Grenzmethode: man beginnt mit einem intensiven Reiz, dann wird die Intensität verringert bis der Reiz unterschwellig ist; dann beginnt man mit einem sehr schwachen Reiz, der gesteigert wird, bis die Schwelle erreicht ist. 2) Die Konstantreizmethode: Die Schwelle = die Reizintensität die in der Hälfte der Fälle wahrgenommen wird. Messung: Probanten bekommen Reize mit verschiedenen Intensitäten in randomisierter Reihenfolge. Für jede Reizintensität wird gemessen, wie oft sie wahrgenommen wird. Eine Kurve mit % erkannte Reize vs. Reizintensität wird gezeichnet – generell s-förmig = psychometrische Funktion. Die psychometrische Funktion errinnert an die kumulierte Form der Normalverteilung (das Integral der Gauss-Verteilung). Diese Art von Funktion ist als Ogive bekannt. Die Schwelle ist auch abhängig von der Anpassung der Rezeptoren an die Konditionen. Zum Beispiel waren Tauben dazu trainiert, immer wenn ein Lichtreiz gegeben wurde, eine Taste zu drücken (Taste A). In einem stark belichteten Raum können die Tauben allerdings diesen Lichtreiz nur schwer erkennen und drücken die Taste deswegen nur bei relativ starken Lichtreizen. Ist der Raum jedoch abgedunkelt, können die Tauben viel niedrigere Lichtreize empfinden. Das bedeutet, dass die Lichtreiz-Erkennung-Schwelle jetzt viel niedriger geworden ist.

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Mathematische Interpretierung von Reiz vs. Empfindung Weber. Es ist wichtig zu wissen, wie groß der Unterschied zwischen zwei Reizstärken sein muss, um Unterschiede zwischen den Reizen zu empfinden = Unterschiedsschwelle. Versuch von Weber (1834): Um wie viel sich zwei Gewichte voneinander unterschieden müssen:

• Zwei Gewichte von 1 und 2 kg – leicht zu unterscheiden • Zwei Gewichte von 50 und 51 kg – sehr schwer zu unterscheiden, obwohl der

Unterschied immer 1 kg ist. • => große Gewichte müssen sich um einen größeren absoluten Betrag voneinander

unterscheiden als kleine, damit sie unterschieden werden können • Das Weber-Gesetz: Die Änderung der Reizintensität, die gerade eben noch

wahrgenommen werden kann (ΔΦ) ist ein konstanter Bruchteil (c) der Ausgangsintensität (Φ). ΔΦ ist auch als „just noticeable difference“ oder „difference limen“ (Differenzlimen) bekannt.

Formel: ΔΦ/ Φ = c was auch als ΔΦ= c x Φ geschrieben wird.

• c ist als Weber-Quotient bekannt. c wird benutzt, um die relative Empfindlichkeit von

Sinnessystemen zu untersuchen.

• Das Weber Gesetz beschreibt die experimentellen Daten nur im mittleren Bereich befriedigend. In der Nähe der Reizschwelle nehmen z. B. die Weber-Quotienten zu => es ist schwer, schwache Reize (Signale) von stochastischen Prozessen in den Sensoren (spontane Aktivität, auch als Rauschen bezeichnet) zu unterscheiden.

• In anderen Bereichen muss eine Korrektur eingefügt werden: Formel: ΔΦ/ (Φ+a) = c was auch als ΔΦ= c x (Φ+a) geschrieben wird Der Korrekturfaktor a (wie c eine Konstante) beschreibt die Größe des Rauschens im Sinneskanal. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass die Weber-Formel nichts über die Wahrnehmungsintensität aussagt. Fechner. Fechner, Begründer der Psychophysik, sagt, dass die Wahrnehmungsintensität von der Stärke der Erregung im Hirn abhängt (1860).

• Idee: Eine logarithmische Zunahme der Reizstärke (Φ) führt zu einer linearen Zunahme der Empfindungsstärke (ψ).

• Fechner nutzt Webers Gesetz zur Definition einer Skala der Empfindungsstärke. Nullpunkt ist die Absolutschwelle, die nächst-stärkere Empfindung ist um eine „Unterschiedschwelle“ (Differenzlimen, DL) größer, etc => DL ist die Grundeinheit der Empfindungsstärke (für Fechner).

Formel: ψ = k x log (Φ/ Φ0) (k ist eine Konstante und Φ0 ist die Absolutschwelle)

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• Die Gültigkeit von Fechners Formel ist sehr begrenzt, wie auch Webers Gesetz.

Stevens. Stevens (1953) führte eine Methode der quantitativen Abschätzung der Empfindungsstärke ein. Probanden sollen angeben, wann ein Reiz doppelt so groß, dreimal so groß, etc. ist wie ein Vergleichsreiz => die Probanden machten direkte Angaben über die Stärke ihrer Empfindungen. Eine zweite Methode = Intermodaler Intensitätsvergleich = Probanden versuchen, die Empfindungsstärke in einer Sinnesmodalität durch Angaben in einer anderen Sinnesmodalität auszudrücken. Formel = Potenzfunktion: ψ = k x (Φ - Φ0)a wobei a ein Exponent ist, der von der Sinnesmodalität abhängt. Log (Formel) => log (ψ)= log(k) + a x log (Φ - Φ0), was relativ einfach dargestellt ist (Potenzfunktionen werden zu linearen Beziehungen unter logarithmischen Koordinaten). Was ist die Bedeutung des Exponenten „a“? Warum ist er bei Schmerz viel größer? Noch ein wichtiger Punkt der Psychophysiologie: Das Messen der Rezeptorantworten zeigt, dass die Empfindungsschwelle nicht nur von der Rezeptorempfindlichkeit, sondern auch von der Übertragung, abhängt. Zum Beispiel generieren Mechanosensoren der Haut in der Fingerspitze und der Handfläche dieselben Antworten, aber die Wahrnehmung der Probanden in der Fingerspitze ist viel intensiver.

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3. Stunde: Das Somatosensorische System: Bahnsysteme, somatosensorische Neurone Somatoviszerale Sensibilität (Somatosensorik) = Sinnesleistungen, deren Sinnesorgane über den gesamten Körper verteilt sind (inklusive der inneren Organe). Verschiedene Submodalitäten:

• Mechanorezeption: Vermittelt die Qualitäten Druck, Berührung, Vibration • Propriozeption: Lage, Bewegung und Kraft • Thermorezeption: Wärme und Kälte (Veränderungen der Hauttemperatur) • Nozizeption: Schmerz • Viszerozeption: Verschiedene Eigenschaften von viszeralem Schmerz über Hunger,

Durst bis zu Atemnot Diese Modalitäten nutzen verschiedene afferente Nervenfasern – die schnellste bei Propriozeption und Mechanorezeption (30-80 m/s) und die langsamste bei den anderen Modalitäten (~1-2 m/s). Die wichtigsten Eigenschaften der Fasern sind hier zusammengefasst [wichtige Punkte werden alle in dieser Vorlesungen bearbeitet; die Tabelle dient zur Übersicht, aber muss nicht auswendig gelernt werden]: Das somatosensorische System nutzt zwei Bahnsysteme, um diese Submodalitäten zu leiten:

• Das Lemniskale System für Mechanorezeption und Propriozeption. Erste synaptische Verschaltung in Medulla oblongata; die Axone kreuzen dann auf die Gegenseite und ziehen auf der Gegenseite als „Lemniscus medialis“ zum somatosensorischen Thalamus

• Das spinothalamische System (= extralemniskale System) für Thermorezeption, Nozizeption, Viszerozeption. Erste synaptische Verschaltungen im Hinterhorn des Rückenmarks, läuft direkt zum somatosensorischen Thalamus

• Vom Thalamus => zu somatosensorischen Arealen in der Großhirnrinde (gilt für beide Systeme).

• Was passiert bei halbseitiger Durchtrennung des Rückenmarks? Brown-Séquard Syndrom.

Beide Bahnen (Lemniskales System, LS und spinothalamisches System, STT) nutzen vier Neuronenpopulationen:

• 1. Neuron, im ipsilateralen Spinalganglion bzw. Ganglion Gasseri des V. Hirnnerven [im Bereich des Kopfes]

• 2. Neuron, ipsilateral in den Hinterstrangkernen (LS), im Rückenmark (STT) • 3. Neuron, kontralateral im somatosensorischen Thalamus • 4. Neuron, kontralateral in somatosensorischen Arealen der Großhirnrinde

Das 1. Neuron:

• Ist eine primäre Sinneszelle • Die Zellkörper befinden sich zusammen mit Gliazellen (Satellitenzellen)im

Spinalganglion. • Die Axone teilen sich in zwei Äste: den peripheren Ast, der das Organ innerviert (und

afferente Nervenfasern ausbildet) und den zentralen Ast, der Synapsen mit dem 2. Neuron in Rückenmark macht.

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• Die peripheren Äste enden in korpuskulären Endigungen (Propriozeption und Mechanorezeption) oder freien Endigungen (andere Modalitäten – Kalt, Wärme, Schmerz, etc.)

• Die afferenten Nervenfasern sind generell myelinisiert (drucksensitiv), können aber auch unmyelinisiert sein (empfindlich gegen Lokalanästhetika).

• Die Rezeptorpotenziale werden in den Endigungen gebildet • Die Transduktion der Rezeptorpotenziale kann unterschiedliche Mechanismen haben.

Für mechanische Reize: Ionenkanäle, die auf Zugspannungen in der Membran reagieren. Für thermische Reize: temperaturgesteuerte Ionenkanäle (TRPV1). Für chemische Reize: Ligand-gesteuerte Ionenkanäle oder G-Protein-gekoppelte Rezeptoren.

• Die Transformation zum Aktionspotenzial findet im Bereich der Schnürringe statt (für myelinisierte Axone) oder in der Axonmembran (für unmyelinisierte Axone).

• Die Axone im zentralen Ast bilden erregende Synapsen (Glutamat + Neuropeptide) mit Neuronen 2. Ordnung im Rückenmark aus.

Das 2. Neuron: Lemniskales System:

• Zellkörper in der Medulla oblongata in den Hinterstrangkernen (Nucleus cuneatus, Nucleus gracilis). Die Neurone sind somatotopisch angeordnet (Fuß medial, Hand lateral, etc)

• Axone kreuzen die Mittelebene als Lemniscus medialis und ziehen zum kontralateralen somatosensorischen Thalamus.

Spinothalamisches System: • Zellkörper im Hinterhorn des Rückenmarks (in den oberflächlichen und tiefen

Schichten des Hinterhorns) • Axone kreuzen die Mittelebene ventral des Zentralkanals und ziehen zum

kontralateralen somatosensorischen Thalamus. • Afferenzen der Propriozeption ziehen auch ins Vorderhorn => erregende Synapsen mit

Interneuronen oder mit Motoneuronen => Reflexwege im Rückenmark. • Die 2. Neuronen sind auch Bestandteile von motorischen und vegetativen Reflexen im

Hirnstamm. • Ein Neuron 2. Ordnung kann verschiedene Afferenzen von verschiedenen Modalitäten

erhalten. Dies wird „sensorische Konvergenz“ genannt:

• Afferente Innervation zeigt eine räumliche Ordnung entsprechend der

segmentalen Gliederung der Spinalnerven: Die Afferenzen jedes Spinalnerven innervieren ein klares Hautgebiet, das Dermatom. Analog: Myotome, Viszerotome

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Das 3. Neuron: • Zellkörper in spezifischen Thalamuskernen (ventrobasaler Anteil des Thalamus) • Reziproke exzitatorische Verbindungen mit Teilen der Großhirnrinde • Es gibt generell eine somatotope Anordnung • Die Axone erregen auch inhibitorische Neurone des retikulären Thalamuskerns =>

diese projizieren zum spezifischen Thalamuskern, was zur lateraler Hemmung führt • Die Neurone 3. Ordnung sind auch im Schlaf-Wach-Rhythmus aktiv: Regulation von

Wachheit und Schlaf (non-REM) durch das System Hirnstamm-Thalamus-Kortex: - Wachheit: Hirnstammneurone aktiv => aktivieren Thalamusneurone => APs in

Thalamus generiert => Aktivität im Thalamus => getreue Übertragung afferenter Sinnessignale von Peripherie zum zerebralen Kortex => Aktivität im Kortex

- Schlaf: Aktivität in Hirnstammneuronen nimmt ab => Hyperpolarisation der Thalamusneurone. Diese beginnen langsam-rhythmische Salven von Aktionspotenzialen zu generieren (Oszillationen). Getreue Übertragung afferenter Sinnessignale von Peripherie zum zerebralen Kortex verhindert!

Regulation von Wachheit und Schlaf (non-REM) durch das System Hirnstamm-Thalamus-Kortex:

• Wachheit: Hirnstammneurone aktiv => aktivieren Thalamusneurone => APs in Thalamus generiert [über dieselben Thalamusneurone wird der überwiegende Teil der sensorischen Signale (von Retina oder Cochlea) zum zerebralen Kortex geschaltet; Thalamus = Tor zum Bewusstsein]

• Aktivität im Thalamus = getreue Übertragung afferenter Sinnessignale von Peripherie zum zerebralen Kortex

• Aktivität im Kortex – hochfrequente Wellen, niedrige Amplitude • Schlaf: Aktivität in Hirnstammneuronen nimmt ab => Hyperpolarisation der

Thalamusneurone. Diese beginnen langsam-rhythmische Salven von Aktionspotenzialen zu generieren (Oszillationen). Getreue Übertragung afferenter Sinnessignale von Peripherie zum zerebralen Kortex verhindert!

• Oszillationen werden auf kortikale Neuronen übertragen: Langsame synchronisierte Aktivität = Wellen mit hoher Amplitude, niedriger Frequenz

Das 4. Neuron: im Kortex Primärer somatosensorischer Kortex (Gyrus postcentralis)

• Aktivität in diesen Arealen => Reize werden bewusst wahrgenommen • Somatotop angeordnet (Homunkulus) • Überrepräsentation von Mund, Finger, Zehen => proportional zur räumlichen

Auflösung des Tastsinns in den verschiedenen Arealen • Neurone in vertikal zur Hirnoberfläche liegenden Säulen angeordnet • Hier erfolgen Schritte wie Mustererkennung (z.B. Orientierung von Objektkanten)

Sekundärer somatosensorischer Kortex (parietales Operculum) • Somatotop angeordnet • Schritte wie Kodierung von Form (bei Tastobjekten) • Weniger bekannt

Posteriorer parietaler Kortex • Assoziationsareale

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• Reagieren auf Hautreize + visuelle Reize • Steuerung der Motorik • Kortikale Repräsentation des Körperschemas

Inselrinde

• Thermorezeption, Nozizeption, Viszerozeption • Kortikale Repräsentation des inneren Zustandes des Körpers

Plastizität im System: Training kann die Kortex Bereiche verstärken (vergrößern). Wenn z.B. ein Finger denerviert/amputiert wird, gibt es eine Lücke in der kortikalen Repräsentation. Nach einiger Zeit erhalten diese Gebiete andere funktionelle Anschlüsse => neue Synapsen und können falsche Empfindungen hervorbringen (z.B. „Finger“ Empfindungen im Gesicht). Die Kortex Bereiche können mit funktioneller Bildgebung untersucht werden. Die Probanden werden gereizt und die Kortexaktivität wird gemessen.

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4. Stunde: Mechanorezeption und Propriozeption Mechanorezeption: Vermittelt die Empfindung von Druck, Berührung, Vibration Was können wir fühlen?

• Druck: Statischer Druck, natürlich nur über einer bestimmten Intensitätsschwelle (besonders niedrig im Gesicht). Die räumliche Unterschiedsschwelle (wie wird die gemessen?) ist besonders niedrig an Zunge, Lippen, Fingerspitzen.

• Bewegte Reize => wir können dann die Bewegungsrichtung erkennen • Vibrationen – auch für Schwingungen von nur ein paar µm.

Die Rezeptoren haben verschiedene Intensitätsschwellen (der kleinste Reiz, der empfunden werden kann) und Raumschwellen (der kleinste Abstand zwischen zwei Reizen auf der Haut, die noch als zwei unterschiedliche Reize empfunden werden können und nicht als nur ein Reiz). Klassifizierung von Rezeptoren: Diese sind mechanorezeptive Aβ-Fasern mit korpuskulären Endigungen. Klassifizierung nach adäquatem Reiz, Geschwindigkeit und dem Ausmaß der Adaptation (= wie schnell/stark wird die Antwort bei anhaltendem Reiz abnehmen): Langsam adaptierende (slowly adapting), SA; kodieren die Reizstärke. Sie zeigen nach der Adaptation noch eine statische Antwort, die nur bei Beendigung des Reizes endet. Funktionieren als proportional-differenzial Sensoren (übermitteln Information über die Reizgröße – Proportionalantwort – aber reagieren auch auf rasche Reizänderungen – Differenzialantwort). SA1 Rezeptoren = Merkel-Endigungen. In Basalschicht der Epidermis in der unbehaarten + behaarten Haut. Umgewandelte Epithelzellen (Merkel-Zellen), die rezeptive Endigungen umgeben. Kleine rezeptive Felder (~3 mm). Kodieren die Stärke von länger andauerndem Druck. Sie reagieren stärker auf Kanten als auf ebene Flächen => sie sind besonders nützlich für Objekterkennung. SA2 Rezeptoren = Ruffini Körperchen. In Dermis in der unbehaarten + behaarten Haut. Sensorische Endigungen sind umschlungen von einem kolbenförmigen Gebilde, in das kollagene Fasern einstrahlen (meist von einer Kapsel aus Perineuralzellen umgeben). Weniger empfindlich, langsamer adaptierend als SA1. Große rezeptive Felder (~3 cm). Kodieren tangentiale Dehnung der Haut => lang andauernden Druck und Spannung. Schnell adaptierende (rapidly adapting), RA; kodieren die Veränderung der Reizstärke => sie sind Geschwindigkeitssensoren RA = Meißner Körperchen. In der unbehaarten Haut. Lamellen-artig angeordnete Schwannzellen mit einer perineuralen Kapsel. Von mehreren sensorischen Endigungen innerviert (schraubenförmig zwischen die Schwanzellen eingelagert). Durch Kollagenfibrillen an Epithelzellen gebunden (was die mechanische Übertragung ermöglicht). Kodieren die Geschwindigkeit eines Druckreizes und langsame Vibrationen. Sehr schnell adaptierende (Pacini), PC; funktionieren als Beschleunigungssensoren.

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PC = Pacini Körperchen. Im subkutanen Gewebe, auch im Mesenterium. Ovale Korpuskeln; das Ende einer sensorischen Nervenfaser wird von vielen Schichten umgewandelter Schwannzellen und Perineuralzellen eingehüllt. Kodieren die Geschwindigkeitswechsel von Reizen (Beschleunigung), Vibrationen. Extrem empfindlich, sehr große rezeptive Felder. In der behaarten Haut gibt es Tastscheiben, welche ähnlich zu Merkel Rezeptoren sind und Haarfollikel Rezeptoren, die ähnlich zu Meissner Rezeptoren sind. Räumliche Diskrimination: Am besten durch SA1 Rezeptoren (warum? kleine rezeptive Felder!), deren Innervationsdichte besonders hoch an den Fingerspitzen ist. Die räumliche Diskrimination steht auch im Zusammenhang mit der Hemmung, wie in der ersten Vorlesung für die laterale Hemmung erklärt wurde. Formkodierung: Von SA1 Rezeptoren bis zu kortikalen Neuronen im primären somatosensorischen Kortex (Brodmann Area 3b) gibt es eine Punkt-zu-Punkt Repräsentation der Hautoberfläche. Innerhalb von Subregionen des primären somatosensorischen Kortex gibt es Neurone, die auf Kanten, Orientierungen, etc. reagieren => Mustererkennung. Bewegungskodierung: RA-Rezeptoren => zu bewegungssensitiven Neuronen in Area 1 (primärer somatosensorischer Kortex). Antworten bevorzugt auf eine bestimmte Bewegungsrichtung. Weitere Schritte im posterioren parietalen Kortex. Vibrationskodierung: Meissner (<40 Hz) und PC-Rezeptoren (100-200 Hz). Schwelle = Die Schwingungsamplitude, bei der die afferenten Nervenfasern ein AP pro Schwingungsperiode generieren; niedrigere Amplitude => einige APs fehlen; höhere Amplitude => mehr als 1 AP pro Periode. Propriozeption: Vermittelt die Empfindungen Lage, Bewegung, Kraft.

• Lagesinn: Information über die Stellung der Gelenke. • Bewegungssinn: Vermittelt die Geschwindigkeit der Bewegung (egal ob aktive oder

passive Bewegungen) • Kraftsinn: Vermittelt das Ausmaß der Muskelkraft, die für die Aufrechterhaltung einer

Gelenkstellung oder für die Durchführung einer Bewegung erforderlich ist. • Ergorezeption: Ein grober Kraftsinn, vermittelt durch freie Nervendigungen im

Muskel (Temperatur- oder Metabolit-sensitiv). Untersucht wie von Weber (zweite Vorlesung):

Propriozeptoren:

• Korpuskuläre Endigungen (Ruffini-ähnlich) in Gelenkkapseln => Dehnungsrezeptoren.

• Muskelspindeln, die Endigungen von Gruppe Ia- und Gruppe IIa-Afferenzen enthalten (dynamische vs. statische Reizantworten). Parallel zu den Muskelfasern angeordnet. Signalisieren die Muskellänge (Reiz = Längezunahme des Muskels)

• Golgi-Sehnenorgane, die Endigungen von Gruppe Ib-Afferenzen enthalten und sich am Übergang vom Muskel zur Sehne befinden. In Serie zu den Muskelfasern angeordnet. Signalisieren die Muskelkraft (Reiz = aktiv erzeugte Muskelkraft, nicht passive Dehnung).

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Eine passive Dehnung (Muskelverlängerung) aktiviert die Spindel, während eine Kontraktion die Golgi-Sehnenorgane aktiviert, wie bereits in der Vorlesung zur neuromuskulären Physiologie erklärt: Die Aktivität von Ia, II und Ib Afferenzen im Muskel ist unten dargestellt (siehe Vorlesungen zur neuromuskulären Physiologie).

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5. Stunde: Thermorezeption, Viszerozeption Thermorezeption: Vermittelt die Empfindung von Wärme und Kälte (Veränderungen der Hauttemperatur). Es gibt nicht eine „Temperaturempfindung“, sondern zwei Arten: Wärme- und Kälteempfindung. Die Rezeptoren sind freie Nervendigungen in der Haut (Epidermis oder Dermis, noch nicht klar). Kaltrezeptoren werden von Aδ-Fasern gebildet (nach Erlanger und Gasser; = III nach Lloyd und Hunt) Warmrezeptoren werden von unmyelinisierten C-Fasern ( = IV) gebildet. Beide Rezeptortypen funktionieren als proportional-differential Sensoren: Sie reagieren stark (durch eine starke Änderung ihrer Aktionspotenzialfrequenz) auf stufenförmige Temperaturänderungen (dynamische Antwort), aber kodieren auch die statische Temperatur mit tonischen Antworten. Sie haben dynamische Temperaturempfindungen: Detektionsschwellen hängen von der Geschwindigkeit der Temperaturänderung, der Größe der gereizten Hautfläche und der Ausgangstemperatur ab; bis zu 0.2°C. Abhängig von Ausgangstemperatur: Im Kaltbereich wird eine Abkühlung leichter erkannt als eine Erwärmung; im Wärmebereich wird eine Erwärmung leichter erkannt. Thermorezeptoren adaptieren schnell (was ist Adaptation?). Beispiel für Adaptation: Webers „Zwei-Schalen-Versuch“. Jeder Kalt- und Warmrezeptor besitzt eine individuelle Antwortkurve mit einer optimalen Temperatur, bei der die tonische Aktivität am höchsten ist. Die Temperaturempfindung entsteht im ZNS aus der Differenz der Aktivitäten von Kalt- und Warmrezeptoren. Kaltrezeptoren: Aktiv von ~10°C bis ~38°C; Maximum bei ~25°C. Unterhalb wird die Kälteempfindung durch Kälteschmerz ersetzt (Nozizeptoren werden aktiviert). Warmrezeptoren: Aktiv von ~30°C bis ~45°C; Maximum bei ~43°C. Oberhalb wird die Wärmeempfindung durch Hitzeschmerz ersetzt (Nozizeptoren). Thermische Indifferenzzone (oder Indifferenztemperatur): ~30-35°C: beide Rezeptortypen aktiv, aber nach Adaptation verschwindet die Wärme- oder Kälteempfindung völlig Einige Kaltrezeptoren werden auch über 45°C aktiviert (inadäquat gereizt) => paradoxe Kälteempfindung. Die Rezeptoren können auch von verschiedenen Chemikalien inadäquat aktiviert werden (menthol, capsaicin, etc). Warm (Hitze, heiß)-Rezeptoren, TRPV1, sind Ionenkanäle (Kationkanäle), die durch Hitze oder capsaicin (aus der Chili) geöffnet werden. Sie depolarisieren die sensorischen Fasern: Es wird vermutet, dass alle anderen Kälte- oder Wärme-Rezeptoren ähnlich zum TRPV1 gebaut sind. Zentrale Neurone der Thermorezeption: Kalt-Neurone: lokalisiert im Hinterhorn des Rückenmarks. Werden von Kaltrezeptorafferenzen erregt und von Warmrezeptorafferenzen gehemmt. Sie schicken ihre Axone zum somatosensorischen Thalamus.

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Andere Neurone im Hinterhorn werden sowohl durch Abkühlung als auch durch Erwärmung aktiviert: Sogenannte HPC Neurone, da sie durch „heat“, „pinch“, „cold“ (Hitze, kneifen und Kälte) aktiviert werden. Im Prinzip könnten die HPC Neurone kalt- und warm-Signale zum Kortex schicken, was den Kortex verwirren würde. Aber die kalt-Neurone hemmen die thalamokortikale Verarbeitung der Ausgangssignale dieser HPC Neurone. Dadurch können kalt-Signale der HPC Neurone den Kortex nicht innervieren. HPC Neurone können nur warm-Signale zum Kortex schicken, weil Kaltneurone in der Wärme nicht aktiv sind und so die thalamokortikale Verarbeitung der Ausgangssignale der HPC Neurone nicht mehr blockiert ist. So wird der Kortex die Signale von HPC Neurone immer als „Wärme“ Signale verstehen. Eine Paradoxe Hitzeempfindung findet dann statt, wenn diese Hemmung durch Kaltneurone entfällt z.B. bei Blockade der myelinisierten Afferenzen durch Nervkompression. Viszerozeption: verschiedene Qualitäten von viszeralem Schmerz über Hunger, Durst bis zu Atemnot.

• Generell nicht bewusst wahrgenommen: Empfindungen entstehen bei Abweichungen von der normalen physiologischen Funktion => unangenehm/schmerzhaft.

• Viszeraler Schmerz wird in der Haut fehllokalisiert • Viszeraler Schmerz wird durch spinale Afferenzen vermittelt; kortikale Repräsentation

in der Inselrinde. Verschiedene Beispiele: Mechanorezeptoren:

• Mechanorezeptoren in der Bauchwand; Dehnungsrezeptoren im Gastrointestinaltrakt vom Ösophagus bis zum Rektum (für die Kontrolle der Peristaltik). Leichte Dehnung => phasische Antwort; starke Dehnung => tonische Antwort => Schmerz. Struktur: Unmyelinisierte Endigungen, die von myelinisierten afferenten Nervenfasern gebildet werden.

• Herz-Kreislauf System: Mechanorezeptoren, die Blutdruck oder intravasale Volumina messen. Mechanorezeptoren auch in Thoraxwand (um Herzaktivität zu detektieren).

• Dehnungsrezeptoren in der Harnblase (=>Harndrang), Lungendehnungsrezeptoren, Mechanorezeptoren in den Mammillen der stillenden Mutter (für den Milchejektionsreflex).

Chemorezeptoren: • Chemorezeptoren der Glomera carotica und aortica. Registrieren die Veränderungen

des O2- und CO2-Partialdrucks. Für CO2 auch Rezeptoren in der Medulla oblongata und Area postrema.

• Glucose-Rezeptoren im Duodenum/Dünndarm. • Chemorezeptoren in der Schleimhaut von Bronchien, Pharynx, Nase => zur Steuerung

des Hustenreflexes, Würgereflexes und Niesreflexes. • Nozizeptive Afferenzen aus dem Herzen oder den Blutgefäßen, die chemisch gereizt

werden können => Schmerz.

Durch sensorische Konvergenz wird der viszerale Schmerz manchmal in der Haut fehllokalisiert. Weil sowohl Viszerozeptoren der inneren Organe, als auch Schmerzrezeptoren der Haut dieselben Neurone 2. Ordnung im Rückenmark nutzen, werden die Signale im Kortex als Haut-Signale verstanden: [die Neurone 2. Ordnung sind in der „dritten sensorischen Vorlesung“ erklärt]

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6. Stunde: Schmerz Schmerz = „ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird“ (International Association for the Study of Pain, IASP). Der Schmerz hat verschiedene Komponenten: Sensorische, affektive (Emotionen), vegetative (Reaktionen des vegetativen Nervensystems, z.B. Blutdruckabfall, Übelkeit), motorische (Schutzreflexe) und kognitive (z.B. Schmerzäußerungen). Nozizeption: vermittelt Schmerz = objektive Vorgänge, mit denen das Nervensystem noxische Reize aufnimmt und verarbeitet. Verschiedene Arten von Schmerz können von Patienten gefühlt werden. Schmerzklassifikationen nach Art der Schmerzentstehung:

• Physiologischer Nozizeptorschmerz (bei Gewebeschädigungen). Dies sind „normale“ Schmerzen: Zeigen Krankheiten an; erzwingen ein nützliches Verhalten (z.B. Schonung)

• Pathophysiologischer Nozizeptorschmerz (bei Gewebeveränderungen, z.B. Entzündung). Die Schmerzschwelle sinkt, sodass niedrige Reizintensitäten als schmerzhaft empfunden werden (Hyperalgesie). Die Hyperalgesie ist nicht nur auf den Ort der Schädigung begrenzt (z.B. Sonnenbrand, Gelenkentzündung)

• Neuropatischer Schmerz (Schädigung von Nervenfasern). Bei Schädigung im Zentralnervensystem=> zentrale Schmerzen

• In manchen Fällen (oft bei chronischen Rückenschmerzen) gibt es keine pathologische Schädigung, sondern ein psychisches Phänomen (sensorische, psychologische und soziale Faktoren)

Nach Entstehungsort:

• Somatischer Oberflächenschmerz (Haut) • Somatischer Tiefenschmerz (Muskulatur, Knochen, Gelenke, Bindegewebe) • Viszeraler Tiefenschmerz (Eingeweide)

Nozizeptoren:

• Rezeptoren sind freie Nervenendigungen in der Epidermis/ Dermis/ Eingeweideorganen oder Teilen des Bewegungsapparats; z.B. wird stechender Schmerz dünnen myelinisierten Aδ (III; Leitungsgeschwindigkeit 2,5-30 m/s) Afferenzen zugeschrieben, brennender Schmerz => C (IV; 1-2,5 m/s) unmyelinisierten Afferenzen.

• Die Schwelle => hoch – nur durch intensive Reize erregt. • Die räumliche Auflösung in der Haut ist ~1 cm; viel schlechter in Eingeweiden. • Die meisten Nozizeptoren sind polymodal => reagieren auf mechanische, thermische

und chemische Reize. Es gibt z. B. auch Mechanonozizeptoren • Gereizte Nozizeptoren können verschiedene Substanzen (z.B. Substanz P, Neurokinin

A, Somatostatin oder Calcitonin-gene related peptide, CGRP) lokal freisetzen => lokale Änderungen der Durchblutung und Gefäßpermeabilität = neurogene Entzündung. Immunzellen können auch lokal aktiviert werden.

• Die Rezeptoren adaptieren sehr langsam oder gar nicht. • Einige Empfindungen, die durch Nozizeptoren vermittelt werden, werden nicht als

Schmerz erkannt: Nozizeptoren in der Schleimhaut vermitteln z.B. scharfen Geschmack.

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Transduktionsmechanismen:

• Mechanische Reize: Durch Kationenkanäle, die mechanisch geöffnet werden • Hitzereize: Vanilloidrezeptor 1 aus der „transient receptor potential“ (TRP) Familie,

TRPV1 genannt. Kationenkanal, der durch Hitze aktiviert wird. Auch durch Capsaicin aktiviert.

• Chemische Reize: Viele verschiedene Rezeptoren, die durch Moleküle (Mediatoren) aktiviert und/oder sensibilisiert werden; z.B. Entzündungsmediatoren wie Bradykinin, Prostaglandine. Metabotrope Rezeptoren (G-Protein-gekoppelt; z.B. Prostaglandinrezeptoren) und auch ionotrope Rezeptoren (z.B. Serotoninrezeptoren).

• Säure-sensitive Kanäle: Na+-permeable Kanäle, die bei niedrigen pH-Werten geöffnet werden (ASIC = acid sensing ion channel)

Das nozizeptive System (Bahnen). Es gibt:

• Aufsteigende Bahnen, genau wie bei Mechanorezeption, die das thalamokortikale System aktivieren (=> bewusste Schmerzempfindung).

• Nozizeptive Interneurone, die motorische Reflexe auslösen; z.B. der Wegziehreflex, der gekreuzte Streckreflex (Zurückziehen + Aktivierung der kontralateralen Seite => Körperstabilisierung). Auch komplexe motorische Reaktionen; z.B. Schonhaltungen verletzter Gliedmaßen.

• Auch vegetative Reflexe (vegetative und neuroendokrine Reaktionen) Nozizeption, Mechanismen in Rückenmark Viele Nozizeptoren konvergieren auf eine nozizeptive Zelle => das rezeptive Feld eines Rückenmarkneurons ist größer als das eines Nozizeptors. Einige Rückenmarkneurone werden von A) Primärafferenzen von Mechano- und/oder Viszerozeptoren, und B) Nozizeptoren aktiviert. A) – die Neurone reagieren mit APs mit niedriger Frequenz. B) – hohe Frequenz. Konvergenz Beispiele:

Nur von der Haut, reagieren auf Oberflächenschmerz Haut + Tiefengewebe (Gelenke, Muskulatur) Nur Tiefengewebe, reagieren auf somatischen Tiefenschmerz Viszera, Haut und/oder Tiefengewebe resultiert in „übertragenen Schmerz“ (z.B. bei Ischämie des Herzens

wird der Schmerz im linken Arm empfunden). Die verschiedenen Fälle wurden von Head beschrieben; bekannt als „Head-Zonen“.

Nozizeptive Neurone im Rückenmark haben Post-Synapsen für u.a. Mechanosensoren, Nozizeptoren (erregend) und Interneurone (inhibitorisch):

• Erregung: durch Glutamat und Neuropeptide (Substanz P, CGRP); Glutamat ist der Haupttransmitter; Substanz P und CGRP stärken die Glutamatwirkung über GS-Proteine.

• Hemmung: Durch GABA und/oder Glycin und hemmende Neuropeptide wie Opioidpeptide (z.B. Enkephalin)

• Das Glutamat aktiviert AMPA/Kainat-Rezeptoren, NMDA Rezeptoren und auch mGluR Rezeptoren. Bei einer niedrigen Depolarisation (z.B. durch Mechanosensoren) aktiviert das Glutamat hauptsächlich AMPA-Rezeptoren. Dieses Signal wird akkurat als Berührung-Empfindung weitergeleitet. Bei höherer Depolarisation (durch Schmerzrezeptoren) werden auch NMDA Rezeptoren aktiviert (Magnesiumblockierung der NMDA Rezeptoren wird aufgehoben. Dieses viel stärkere

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Signal (NMDA-Kanal-getriebene Depolarisation durch Ca2+ Einstrom) wird akkurat als Schmerz-Empfindung weitergeleitet,.

• Aber die NMDA-Rezeptor-Aktivierung kann plastische Konsequenzen haben: LTP. Bei chronischen Schmerzen, wenn die NMDA Rezeptoren viel zu oft aktiviert werden, können alle Synapsen durch LTP verstärkt werden. Die nozizeptiven Neurone im Rückenmark leiten dann, wie bei Schmerz, normale Mechanosensor-Signale als starke Depolarisation weiter. Das Resultat ist eine spinale Sensibilisierung, ein klinisches Problem, bei dem normale Berührungen als Schmerz empfunden werden.

• Deszendierende Bahnen können den Schmerz kontrollieren; z.B. durch Opioide wie Endorphine und Endomorphine (wirken an µ-Rezeptoren), Enkephaline (δ-Rezeptoren) oder Dynorphin (κ-Rezeptoren) => Neurone werden hyperpolarisiert. Diese Neurone ermöglichen vielleicht den Placeboeffekt => durch die Erwartung werden anti-nozizeptive Neurone aktiviert, die Opioide freisetzen.

Thalamokortikale Nozizeption, Mechanismen:

• leiten nur die bewusste Schmerzempfindung weiter • Wenn das thalamokortikale System im Wachzustand ist, wird Schmerz empfunden

(nicht im Schlaf). Starke Schmerzreize aktivieren Wachmechanismen. • Mehrere Areale im Kortex sind beteiligt (S1 im Gyrus postcentralis, mit sensorisch-

diskriminativen Aufgaben; S2 im Parietalkortex, sensorisch-integrativ; Insula, sensorisch-limbische Interaktionen; Gyrus cinguli, für Aufmerksamkeit Aufgaben; präfrontaler Kortex, für die Kontrolle über Affekt, Emotion, Gedächtnis).

Klinisch-relevante Schmerzen: Entzündungsschmerzen. Polymodale Nozizeptoren werden durch Mediatoren wie Entzündungszellen, Plasma, Thrombozyten sensibilisiert => Schwelle sinkt => primäre Hyperalgesie. Sensibilisierung erfolgt durch Second-Messenger-Systeme; z.B. Prostaglandin-Adenylatzyklase-cAMP-Protein Kinase A- Phosphorylierung von Ionenkanälen oder Bradykinin-Phospholipase C-Diacylglycerin-Protein Kinase C- Phosphorylierung von Ionenkanälen. Auch spontane Nozizeptoraktivität in entzündetem Gebiet => Ruheschmerzen. „Stumme“ Nozizeptoren (die eine extrem hohe Erregungsschwelle besitzen) werden auch sensibilisiert und werden durch mechanische/thermische Reize erregt. Neuropatische Schmerzen. Durch Entstehung ektoper Aktionpotenziale (verletzte, erkrankte Nervenfasern). Zentrale Sensibilisierung; z.B. bei Rückenmarksneuronen: Entzündung aktiviert Rückenmarksneurone, die durch die wiederholte Stimulation sensibilisiert werden (z.B. durch die oben erwähnten plastischen Effekte der NMDA-Aktivierung) und nun ähnlich auf schwächere Inputs aus anderen Regionen reagieren (sekundäre Hyperalgesie). Schmerz durch kortikale Reorganisation – Areale, die keinen sensorischen Eingang besitzen, werden von anderem Eingang „mitbenutzt“ (z.B. Phantomschmerz nach Amputation). Schmerz als Lernprozess => klassische oder operante Konditionierung.

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Schmerztherapie: Kausale Schmerztherapie = Beseitigung des schmerzauslösenden Krankheitsprozesses. Auch symptomatische Schmerztherapie; besonders bei chronischen Schmerzen => z.B. medikamentös; auch physikalische Methoden wie Akupunktur; oder neurochirurgische Maßnahmen. Analgetika:

• Non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAID) wie Azetylsalizylsäure. Hemmen die Bildung von Prostaglandinen.

• Opiate; wie Morphin. Siehe oben. • Lokalanästhetika => Alle Nervenfasern werden lokal inaktiviert; z.B. Procain:

Blockierung von Na+-Kanälen. Wofür? • Antikonvulsiva, die generell die Erregbarkeit von Nervenzellen hemmen, oder

Antidepressiva, die die endogene Schmerzhemmung stärken. Physikalische Methoden:

• Massage, Krankengymnastik, Bewegungstherapie => wahrscheinlich indirekte Mechanismen (fördern Heilung, lockern Muskelspannung, etc).

• Kälte- und Wärmebehandlung. Durch verschiedene Mechanismen; z.B. Bekämpfung der Entzündung durch Absenkung metabolischer Vorgänge (Kälte) oder Förderung von Heilungsprozessen (Wärme). Kälte kann auch die Temperatur bis unterhalb der Temperatur, die die (sensibilisierten) Nozizeptoren erregt, senken.

• Akupunktur => Placeboeffekte? (siehe oben). Afferente Hemmung? (via Prinzip der Gegenirritation: Schmerzhafte Empfindungen werden durch andere gleichzeitig wirkende Sinnesreize unterdrückt).

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7. Stunde: Geschmackssinn Chemosensibilität: Wichtig für die Steuerung des Ess- und Trinkverhaltens (unterstützt z.B. die Aufnahme von Aminosäuren, Salzen, Kohlenhydraten); soziale Funktionen (Mutter-Kind-Bindung, Partnerwahl); Abwehr gegen verdorbene Lebensmittel, Gifte (wie bittere Alkaloide), etc.

• Spezifische Chemosensibilität: Geschmackssinn + Geruchssinn. Chemische Substanzen interagieren mit Membranmolekülen => Rezeptorpotenziale in Sinneszellen (Geschmackspapillen, Riechepithelium).

• Unspezifische Chemosensibilität: Afferenzen des Nervus trigeminus, Nervus vagus und Nervus glossopharyngeus (in hinterer Zungenregion, Epiglottis, Ösophagus); reagieren auf Reizstoffe (z.B. Capsaicine, Meerrettich). Ermöglichen Reflexe wie Niesen, Husten, Würgen, Erbrechen, vermehrte Speichel- und Tränensekretion.

Geschmacksrezeptoren: • Auf der Zunge (~2/3), Gaumen, Epiglottis, Pharynx. Bei Säugling/Kleinkind auch auf

den Schleimhäuten der Wangen (warum?) • Vermitteln 5 Empfindungen: süß, sauer, salzig, bitter, Umami (durch Glutamat

auslösbarer Geschmack)

• Geschmackspapillen: 3 Typen: Pilzpapillen (Papillae fungiformes); über die Zungenoberfläche verstreut; es gibt 200-400 Pilzpapillen. Enthalten ~3-4 Geschmacksknospen (pro Pappilla), die in den Wänden und Gräben der Papillen liegen. Blätterpapillen (Papillae foliatae); als dicht hintereinander liegende Falten am hinteren Seitenrand der Zunge; 15-20 Blätterpapillen. Enthalten ~ 50 Geschmacksknospen. Wallpapillen (Papillae vallatae), an der Grenze zum Zungengrund; 7-12. Enthalten ~100 Geschmacksknospen. [Fadenpapillen, Papillae filiformes, haben keine Geschmacksfunktion! Nur taktile Funktion] Erwachsene haben 2000-4000 Geschmacksknospen (weniger mit zunehmendem Alter).

• Geschmackssinneszellen = spezialisierte Epithelzellen = sekundäre Sinneszellen, ohne Nervenfortsatz. Jede Geschmacksknospe enthält 10-50 Sinneszellen, die wie in einer

Citrusfrucht angeordnet sind. Apikal ein Porus. Basalzellen am Fuß der Geschmacksknospen generieren ständig Sinneszellen,

die nur 10-15 Tage überleben. Andere Zellen in den Geschmacksknospen: Stützzellen, die vielleicht zur

Sensitivität gegenüber Anionen beitragen; sie entfernen ATP (siehe unten) mithilfe von Ectonucleotidasen (Enzymen). Nachbarzellen, die Serotonin freisetzen (siehe unten).

Die Sinneszellen können spannungsgesteuerte Na+- und K+-Kanäle enthalten, um APs zu generieren (aber nicht immer!)

Die Sinneszellen sind polare Zellen: Mikrovilli (apikal), welche die Oberfläche vergrößern. Basolateraler Teil durch gap junctions mit den Nachbarzellen verbunden.

Geschmacksrezeptoren in Mikrovilli => Rezeptorpotenzial entsteht apikal. Transformation (in AP) => an der basolateralen Membran und den nachgeschalteten afferenten Fasern.

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Basal finden sich Endigungen afferenter Fasern der Geschmacksnerven (VII, IX, X). ATP depolarisiert die Endigungen => APs.

Geschmackssinneszellen wirken auf mehrere Axone und Nachbarzellen. Auch die afferenten Fasern kontaktieren mehrere Sinneszellen (oft aus verschiedenen Geschmacksknospen), aber typischerweise nur Sinneszellen, die auf eine bestimmte Geschmacksqualität reagieren. => Große rezeptive Felder.

Die afferenten Fasern kontaktieren mehrere Sinneszellen (oft aus verschiedenen Geschmacksknospen), aber hauptsächlich Sinneszellen, die auf eine bestimmte Geschmacksqualität reagieren. Aus der Aktivität einzelner Fasern => keine eindeutige Information. Nur ein Vergleich der Erregungsmuster mehrerer Fasern kann eindeutige Geschmacksinformation geben. Generelle Transduktionsmechanismen: Depolarisation in Sinneszellen => Erhöhung des intrazellulären Calciumspiegels => ATP wird von Sinneszellen durch nicht-synaptische Mechanismen (z.B. durch porenbildende Proteine (Pannexine)) freigesetzt. ATP aktiviert ATP-gesteuerte Ionenkanäle der afferenten Nervenfasern (P2X Rezeptoren = Purinozeptoren); auch auf den Nachbarzellen, die Serotonin freisetzen (synaptisch!). Die afferenten Fasern generieren APs. Einzelne Sinneszellen reagieren auf Vertreter einer oder mehrerer Geschmacksqualitäten! Aber eine Zelle ist für eine Modalität am empfindlichsten (z.B. süß). Transduktion und Transformation von Geschmacksreizen:

• Sauer. Kationenkanäle der TRP-Familie (transient-receptor-potential) werden durch eine Erhöhung der H+-Konzentration (=verminderter pH-Wert) geöffnet. Sie leiten überwiegend Na+ und Ca2+. Andere Kanäle spielen hier auch eine Rolle; wie z.B. Kaliumkanäle, die zum Ruhemembranpotenzial beitragen und duch H+ blockiert werden => Depolarisation.

• Salzig. Natriumkanäle der EnaC-Familie (epitheliale Natriumkanäle) in der Membran => bei Aufnahme salziger Speisen wird der Einstrom von Na+ erhöht => Depolarisation. Amilorid blockiert diese Kanäle. Sowohl Kationen als auch Anionen tragen zur Geschmacksintensität bei; einige Salze mehr als andere: NH4

+ >K+>Ca2+>Na+>Li+>Mg2+. Für Anionen: SO4

2- >Cl->Br->I->HCO3->NO3

-. • Süß. Zuckermoleküle und D-Aminosäuren binden an T1-Rezeptoren (metabotrope, G-

Protein-gekoppelte Rezeptoren). Verschiedene Isoformen: T1R1, T1R2, T1R3. Die Rezeptoren funktionieren als Dimere: Süß-Rezeptoren sind T1R2-T1R3 Dimere. G-Protein (Gustducin?) Aktivierung => Phospoholipase C Aktivierung => Diacylglycerol + IP3 => Ca2+ Einstrom (z.B. aus endoplasmatischem Retikulum) => Transmitterfreisetzung.

• Umami. Wie für „süß“, aber Nutzung von T1R1 + T1R3. T1R1 Rezeptoren haben eine niedrige Affinität => Zucker und Aminosäuren werden nur in hohen Konzentrationen wahrgenommen (10-100 mM). Warum?

• Bitter. Wie für „süß“ oder „Umami“ => Dimere von T2 Rezeptoren. Gustducin-aktiviert, wie oben.

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Bittersubstanzen haben im Gegensatz zu Zuckern oder Aminosäuren eine sehr niedrige Schwelle, weil sie für viele Alkaloide (Gifte) charakteristisch sind und die niedrige Schwelle -evolutionär gesehen- sehr wichtig ist, um Gifte zu erkennen und zu vermeiden. Die Geschmacksempfindung wird durch die Schwellenkonzentration von Substanzen bestimmt. Wahrnehmungsschwelle = Geschmack wird wahrgenommen, aber nicht erkannt; liegt unter der Erkennungsschwelle. Zusätzlich kann die Konzentration die Geschmacksqualität beeinflussen: Einige Salze können bei niedrigen Konzentrationen als süß empfunden werden. Wie andere Rezeptoren können auch die Geschmackssensoren adaptieren. Adaptation – schneller bei z.B. salzig-schmeckenden Stoffen als bei Bitterstoffen – warum? Negative Nachbilder = Rezeptoren z.B. auf süß adaptiert => destilliertes Wasser wird danach sauer schmecken Zentrale Verarbeitung:

• Afferente Fasern der Geschmacksnerven (Hirnnerven VII, IX, X). • Vordere 2/3 der Zunge => über die Chorda timpani in Nervus facialis (VII); Papillen

am Gaumen => über Nervus petrosus major auch in Nervus facialis. • Papillen am hinteren Zungengrund => Nervus glossopharyngeus (IX) • Papillen tief am Gaumen und Pharynx => Nervus vagus (X) • Efferenzen zum Nucleus tractus solitarii (im Hirnstamm). Axone vom Nucleus tractus

solitarii zum Thalamus (Nucleus ventralis posterior) und auch zum limbischen System.

• Kortex: Primäres Projektionsfeld = am Fuß des Gyrus postcentralis. Sekundäre Areale = orbitofrontaler Kortex.

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8. Geruchssinn Geruch wird mithilfe von Riechsinneszellen in der Nase empfunden; diese sind primäre Sinneszellen (Neurone). Düfte werden subjektiv bewertet (Hedonik => Düfte werden als angenehm oder unangenehm bewertet). Für manche Düfte genetisch determiniert (faules Fleisch = unangenehm), dennoch für die meisten => gelernt. [Wichtig: Freie Nervenendigungen des N. trigeminus in der Nasenschleimhaut haben neben der nozizeptiven auch olfaktorische Funktionen; reagieren auf stechende Gerüche wie Salzsäure, Ammoniak, Chlor. Nervendigungen im Mund reagieren auf brennende Scharfstoffe - Capsaicin]. Organisation:

• In der Nasenhöhle => Riechepithel, ca. 2x5 cm2 groß. Besteht aus Riechsinneszellen, Stützzellen und Basalzellen (= Stammzellen).

• Ca. 30 Millionen Riechsinneszellen. Diese überleben ~1 Monat. Basalzellen differenzieren sich in Riechzellen (ungewönlicher Mechanismus!).

• Riechsinneszellen = bipolare Zellen; die apikalen Enden formen feine Sinneshaare (Zilien). Die basalen Enden formen Axone, die direkt zum Gehirn projizieren. Die Axone laufen durch die Siebbeinplatte und ziehen zusammen (als Nervus olfactorius) zum Bulbus olfactorius.

• Die Axone enden in den Glomeruli (100 – 200 µm groß), die von Riechsinneszellaxonen und Dendriten von Mitralzellen (=> viele Synapsen) gebildet werden. Konvergenz => mehr als 1000 Axone projizieren auf die Dendriten einer Mitralzelle. Zahl von Glomeruli korreliert mit der Zahl der funktionalen Riechrezeptoren.

• Interneurone (periglomeruläre Zellen) schicken auch Dendriten in die Glomeruli => Synapsen mit Axonen von Riechsinneszellen. Auch andere Interneurone beteiligt (Körnerzellen).

• Horizontal werden die Glomeruli durch ein Netz von GABAergen, hemmenden Interneuronen verbunden (periglomeruläre Neurone). Die Aktivierung von Interneuronen führt zu einer lateralen Hemmung, die zur Kontrastverschärfung dient: wenn mehrere Gerüche im Raum sind, werden diese, die die Glomeruli stärker aktivieren intensiver empfunden, da die anderen durch Hemmung schwächer wahrgenommen werden.

• Zwischen periglomerulären Zellen, Mitralzellen und Körnerzellen (weniger) bilden sich dendro-dendritische Synapsen => ermöglichen rekurrente Hemmung => auch für Kontrastverschärfung.

• Die Mitralzellenaxone formen den tractus olfactorius. Ein Hauptast kreuzt in der vorderen Kommissur zum Bulbus der anderen Hirnseite und hemmt diesen. Die zwei Bulbi hemmen einander, was zur Kontrastverschärfung und Richtungserkennung führt.

• Andere Fasern projizieren zu Projektionsfeldern im Paleokortex. Signale werden zum Neokortex weitergeleitet (Cortex praepiriformis), limbisches System (Mandelkern, Hippocampus), Hypothalamus, Formatio reticularis.

• Adaptation: Auf Rezeptorebene; aber auch durch zentrale Mechanismen.

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Geruchsdifferenzierung:

• ~10.000 Düfte können unterscheiden werden • Jeder Duftstoff aktiviert eine besondere Auswahl von Riechrezeptoren. Das Muster

aktivierter Rezeptoren bestimmt die Empfindung und die Differenzierung. • 7 typische Geruchsklassen: blumig, ätherisch, moschusartig, kampferartig, faulig,

schweißig, stechend • Anosmie = kompletter Verlust des Geruchssinnes. Partielle Anosmien => z.B. fehlen

von Rezeptormolekülen für bestimmte Düfte Signaltransduktion: Rezeptormoleküle: Eine Genfamilie G-Protein-gekoppelter Rezeptoren mit ~350 Proteinen, die in Clustern über alle Chromosomen verteilt ist (nicht Y und #20). Jede Riechzelle stellt nur einen oder wenige Typen von Rezeptorproteinen her. Transduktion: G-Protein-vermittelte Aktivierung der Adenylatzyklase => cAMP steigt => Kationenkanäle öffnen sich (cAMP/cGMP-aktivierte Ionenkanäle = CNG-Kanäle) => Na+- und Ca2+-Einstrom => Depolarisation. Durch Ca2+-Einstrom können auch Ca2+-aktivierte Chloridkanäle geöffnet werden => Chloridausstrom => Verstärkung der Zellerregung. Adaptation => z.B. durch Ca2+/Calmodulin, das die CNG-Kanäle blockiert. Am Übergang zum Nervenfortsatz werden APs in den Zellen generiert (diese sind primäre Sinneszellen). Die AP Frequenz hängt vom Duftstoff ab; bestimmte Duftstoffe können auch eine Hemmung der Spontanrate triggern. Summenableitungen der Erregung von größeren Arealen der Riechsschleimhaut => Elektroolfaktogramm (EOLG; ähnlich dem EEG).

Wie beim Geschmackssinn gibt es eine Wahrnehmungsschwelle und eine Erkennungsschwelle für jeden Geruch. Diese Schwellen sind generell sehr niedrig. Die Unterschiedsschwelle (was ist das?) ist relativ groß (~25%). Jeder Mensch ist durch einen individuellen Körpergeruch identifizierbar, der wahrscheinlich durch Zerfallsprodukte von Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC) Molekülen entsteht => wichtig für Partnerwahl. Viele Säugetiere haben ein weiteres Organ, das Vomeronasalorgan, das der Wahrnehmung von Pheromonen dient. Es ist beim Menschen unterentwickelt und hat wahrscheinlich keine Funktion. Spermien besitzen auch alle molekularen Komponenten der Duftsignalkaskade => um die Eizelle via Chemotaxis zu finden.