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POSTGRADUALE FERNSTUDIENGÄNGE HUMAN RESOURCES STUDIENBRIEF SOWI0710 SOZIALWISSENSCHAFTEN: ORGANISATION UND KOMMUNIKATION SYSTEMISCHE FÜHRUNG AUTOR PROF. DR. ROLF ARNOLD

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POSTGRADUALE FERNSTUDIENGÄNGE

HUMAN RESOURCES

STUDIENBRIEF SOWI0710 SOZIALWISSENSCHAFTEN: ORGANISATION UND KOMMUNIKATION

SYSTEMISCHE FÜHRUNG

AUTOR

PROF. DR. ROLF ARNOLD

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Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung und des Nach-drucks, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf außerhalb der im Urheberrecht geregelten Erlaubnisse in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmi-gung der Technischen Universität Kaiserslautern, Distance & Independent Studies Cen-ter, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Kaiserslautern 2015 (2. Auflage).

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Inhaltsverzeichnis I

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis I

Abbildungsverzeichnis III

Lernziele IV

Kurzinfo zum Autor VI

Glossar VII

Vorwort XII

1 Einleitung 1

2 Führung – eine Form sozialen Handelns 7

2.1 Das innere Tun als Sprachspiel 8

2.2 Zur Frage nach der Autonomie des Handelns 10

3 Systemik als Haltung 15

3.1 Nochmals: selbsteinschließende Beobachtung 15

3.2 Die Beratung des Ent-Lernens 18

3.3 Spiritualität und Führung 21

3.4 Die Konstruktivität dessen, was auf uns zu wirken vermag 24

4 Management von äußerer Komplexität – auch eine innere Aufgabe 33

4.1 Mosaikprofil einer das Außen gestaltenden Führung 36

4.2 Mosaikprofil der inneren Dimensionen einer nachhaltigen Führung 45

4.3 Ermöglichung statt Motivation 52

5 Elegante Kommunikation – zehn Regeln einer wirkungsorientierten Gesprächskultur 59

5.1 Ist Kommunikation zweidimensional, viereckig oder sechseckig? 59

5.2 Konflikte – das Salz in der Suppe der Kommunikation 64

5.3 Konfliktgestaltung durch elegante Kommunikation 66

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II Inhaltsverzeichnis

6 Führung als Gestaltung lernender Organisationen 75

6.1 Von der Organisationsentwicklung zur lernenden Organisation 75

6.2 Auf dem Weg zur lernenden Organisation – ein Interview 83

6.3 Systemische Professionalität 85

Literaturverzeichnis 90

Musterlösungen zu den Übungsaufgaben 94

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Abbildungsverzeichnis III

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Prinzipien und Kompetenzen einer nachhaltigen Beratung 19

Abb. 2: Der spirituelle Manager 22

Abb. 3: Mosaikprofil einer spirituellen Bildung – Teil 1 37

Abb. 4: Erweitertes Mosaikprofil einer nachhaltigen Führung 46

Abb. 5: Der Motivationszirkel 53

Abb. 6: Die Entwicklung (Auffächerung) des Kommunikationsmodells 63

Abb. 7: Hinweise zur Berücksichtigung mentaler Modelle beim Umgang mit anderen 80

Abb. 8: Führung als Transformation von Wirklichkeit 82

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IV Lernziele

Lernziele

Der vorliegende Studienbrief ist darum bemüht, die Ambiguität jeglicher Führung zu beleuchten. Führung ist stets eine Anleitung und Begleitung zur sachgemäßen Problemlösung einerseits, aber andererseits auch eine Förderung der individuellen Kompetenzen und Potenziale derer, von deren Engagement und Kooperation der Erfolg und die Qualität der jeweiligen Leistungserbringung (eines Teams, einer Abteilung oder einer Organisation) abhängen. Insofern ist Führung stets auch ein unsicheres bzw. wirkungsunsicheres Tun.

Nach der Bearbeitung des vorliegenden Studienbriefes sind Sie in der Lage:

• die Wirkungssicherheit eigener Führungsinterventionen neu zu bewerten und Führung stärker auch von der Systemik des Gegenübers als nur von der eigenen Absicht her zu begründen;

• Führung als eine Form des sozialen Handelns zu beschreiben und systemisch wirksame Strategien aufzuzeigen, mit deren Hilfe Führungskräfte den Schwierigkeiten bei sich ihnen – störend – entgegenstellenden Heteronomen (z. B. in der Gestalt von „Dementoren“) wirksam begegnen können;

• die Bedeutung einer systemischen Haltung für eine nachhaltige Führungspraxis zu beschreiben und auch die spirituellen Dimensionen einer solchen Praxis zu erläutern;

• das Kompetenzprofil einer systemisch professionellen Leadership detailliert zu beschreiben und zu kommentieren;

• die „Regeln“ einer wirksamen Form der Führungskommunikation („elegante Kommunikation“) herzuleiten und zu begründen;

• die Rolle einer – systemisch – professionellen Führung bei der Gestaltung einer „lernenden Organisation“ in ihren grundlegenden Wirkungsdimensionen zu beschreiben.

Der vorliegende Studienbrief ist darum bemüht, theoretische Einsichten praktisch werden zu lassen. Dies ist nicht durch einen linearen Transfer von der Theorie in die Praxis hinein tatsächlich zu bewältigen. Vielmehr werden Theorie und Praxis wechselseitig aufeinander bezogen. Dabei wird auf Tools, die der Autor in seinen Büchern „Wie man führt, ohne zu dominieren“ (Arnold 2012a) und „Spirituelle Führung“ (Arnold 2012b) entwickelt hat, Bezug genommen. Bei Einsatz und Nut-zung dieser Tools gilt es zu berücksichtigen: Tools können Brücken zwischen Theorie und Praxis bauen – vorausgesetzt, sie transportieren keine Transferlogik,

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Lernziele V

sondern dienen der Verschränkung von Perspektiven (vgl. Arnold/Siebert 2006).1 Diese zugleich instrumentelle wie wirkungsskeptische Haltung folgt dem Grund-anliegen des Pragmatismus in der Tradition eines William James (1842–1910), dessen Philosophie bekanntlich auf der erkenntnistheoretischen Position basierte: „Truth is what works“2 – eine auch und gerade für führungstheoretische sowie veränderungswissenschaftliche Erörterungen grundlegende konstruktivistische These, wie sie seit den 1990er-Jahren auch die Führungsdebatten beherrscht.

Kaiserslautern, August 2012

1 In diesem Sinne heißt es in dem Buch „Wie man führt, ohne zu dominieren“: „Misstrauen Sie Regeln und hinterfragen Sie Ihre eigene Regelhaftigkeit“ (Arnold 2012a, S. 134).

2 Vgl. u. a. www.williamjamesstudies.org/3.1/weed.html.

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VI Kurzinfo zum Autor

Kurzinfo zum Autor

Prof. Dr. Rolf Arnold

Univ.-Prof. Dr. Rolf Arnold vertritt das Fachgebiet Pädagogik (insbesondere Be-rufs- und Erwachsenenpädagogik) an der Technischen Universität Kaiserslautern. Nach mehrjähriger Leitungsfunktion in einer internationalen Organisation leitete Arnold ab 1992 den Aufbau des heutigen Distance and Independent Studies Cen-ter (DISC) an der TU Kaiserslautern zu einer der größten akademischen Fernstu-dieneinrichtungen in Deutschland, dem er heute als wissenschaftlicher Direktor vorsteht. Im Jahr 2002 lehnte Prof. Arnold einen Ruf an die Universität Tübingen ab. Arnold ist seit 2003 der Sprecher des Leitungsgremiums des Virtuellen Cam-pus Rheinland-Pfalz (VCRP) – eines Hochschulnetzwerks mit heute mehr als 30.000 Studierenden –, und er war viele Jahre Verwaltungsratsvorsitzender des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) in Bonn sowie Mitglied des Innovationskreises Weiterbildung beim Bundesministerium für Bildung und For-schung (BMBF).

Arnold ist als internationaler systemischer Berater beim Aufbau von Bildungssys-temen, der Führungskräfteentwicklung und als didaktischer Organisationsberater beim Lernkulturwandel größerer Bildungsprovider engagiert. Seine Konzepte der Ermöglichungsdidaktik, des emotionalen Konstruktivismus, der systemischen Pä-dagogik und der subsidiären Führung beeinflussen nicht nur die Weiterbildungs-entwicklung, sondern auch die Führungskräftequalifizierung und Personalent-wicklung in vielen Unternehmen. Unter anderem ist Prof. Arnold an der Leitung der postgradualen Masterprogramme „Erwachsenenbildung“, „Personalentwick-lung“, „Schulmanagement“ und „Systemische Beratung“ an der TU Kaiserslau-tern beteiligt.

Zu den Konzepten des emotionalen Lernens und einer zeitgemäßen Führungspra-xis hat Arnold u. a. die Bücher „Das Santiago-Prinzip. Systemische Führung im Lernenden Unternehmen“ (2. Auflage 2010) im Schneider-Verlag, das auch als Hör-CD erhältliche Buch „Führen mit Gefühl“ (2. Auflage 2011) sowie die Bü-cher „Spirituelle Führung“ (2012) im Gabler-Verlag und „Wie man führt, ohne zu dominieren“ (2012) im Carl-Auer-Verlag vorgelegt.

Weitere Informationen sowie Downloads und Audio- sowie Video- bzw. Vorle-sungsaufzeichnungen: www.sowi.uni-kl.de/paedagogik.

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Glossar VII

Glossar Autonomie

Bedeutet so viel wie Selbstverantwortung. Man gibt sich selbst („auto“) sein Ge-setz („nomos“). Autonomiestreben ist die wesentliche Grundlage des aufkläreri-schen Denkens, welches nach Kant dem „Mut“ folgt, sich seines Verstandes „oh-ne fremde Hilfe“ zu bedienen.

Commitment

Die innere Zustimmung und Bindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu der Organisation und deren Aufgabe. Dies beinhaltet eine prinzipiell konstruktive und unterstützende Haltung gegenüber den inhaltlichen und persönlichen (Kundinnen und Kunden, Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte) Bedingungen der eigenen Arbeit.

Eigensinn

Ein alter Begriff (wie er z. B. in dem Märchen „Das eigensinnige Kind“ verwen-det wird), der – bevor Humberto Maturana und Francisco Varela dafür den Begriff der Autopoiesis geprägt haben – die Selbstorganisation des Subjektiven beschreibt (nachzulesen in dem Klassiker „Geschichte und Eigensinn“ von Oskar Negt und Alexander Kluge).

Handlungstheorie

Bezeichnet die Versuche, die Rahmenbedingungen, Beweggründe und Bewe-gungsformen des menschlichen Handelns zu verstehen, um sie auch den Handeln-den selbst in ihren durchschaubaren Mustern transparent und veränderbar erschei-nen zu lassen.

Heteronomie

Bezeichnet das Gegenteil von Autonomie. Man unterliegt unterschiedlichen „fremden“ Gesetzen und folgt (zumeist unbewusst) in seinem Denken und Han-deln anderen als „eigenen“ Gesetzen, Einsichten oder Handlungsimpulsen.

Identitätslernen

Ein Lernen, in dem es (auch) um die Weiterentwicklung bzw. Reflexion und Ver-änderung der eigenen Persönlichkeit und Selbstwahrnehmung geht. Identitätsler-nen ist eine wesentliche Komponente neuzeitlicher Bildung.

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XII Vorwort

Vorwort

Der vorliegende Studienbrief ist darum bemüht, die Einsichten, Ergebnisse und offenen Fragen der Führungsforschungen anhand eines komplexen Beispiels zu entfalten. Dabei soll der Gedanke illustriert werden, dass die systemisch-konstruktivistischen Führungstheorien sich vollständig von dem Anspruch gelöst haben, „die“ Wahrheit über die Wirkungszusammenhänge „ans Licht zu bringen“. Es geht vielmehr darum, zu verstehen, wie die kooperierenden Akteure „ihre“ Wahrheiten konstruieren und sich dabei auch bemühen, sich „treu zu bleiben“ und aus diesem Verständnis heraus als Führungskraft zu „intervenieren“, zu „motivie-ren“ und zu „reagieren“ – allesamt Verben, die im Führungsalltag nicht wirklich halten, was sie versprechen.

Führungskräfte müssen sich deshalb zu einem Führungsverständnis durcharbeiten, welches hinter die mit den herkömmlichen Begriffen konstruierte Realität zurück-reicht, um mögliche und wirksame Anknüpfungspunkte für eine verantwortliche und nachhaltige Führung zu „entdecken“. Diese liegen meist in ihnen selbst ver-borgen, weshalb auch die modernen Führungstheorien nicht hinter das Konzept der „selbsteinschließenden Reflexion“ nach Francisco Varela3 zurückweichen können. Moderne Führung ist in ihrem Kern eine angewandte Erkenntnistheorie, die beständig darum bemüht ist, so zu handeln, dass Führungskräfte sich eben nicht nur „treu“ bleiben, sondern darum bemüht sind, die Anzahl ihrer Optionen zu erhöhen und dadurch ihr Selbst und ihre persönlichen Kompetenzen im Um-gang mit Komplexität, Widerständigkeit und Unsicherheit zu erweitern.

Diese veränderungstheoretischen Ansprüche werden in dem vorliegenden Studi-enbrief nicht lediglich in der Weise wiederholt, wie dies durch die detaillierte Auseinandersetzung mit dem Buch „Veränderung durch Selbstveränderung“ (Arnold 2010b) bereits geschehen ist. Ziel des vorliegenden Textes ist es viel-mehr, die aktuelle führungstheoretische Debatte entlang der Aufforderungsgehalte eines komplexen Ausgangsbeispiels zu entfalten und zu diskutieren. Es geraten dabei weiter reichende und auch instrumentell „entschlossenere“ Dimensionen des Führungsalltags selbst in den Blick.

3 Francisco Varela (1946–2001) wird auch von den MIT-Führungsforschern stark aufgegriffen. So widmete die Gruppe um Peter Senge ihr Buch „Presence. Exploring profound Change in People, Organizations and Society“ (Senge u. a. 2005) ausdrücklich diesem chilenischen Hirnforscher und zitierte ihn mit den Worten: “A life of wisdom consists of being constantly engaged in that letting go, and letting the virtuality and fragility of the self manifest itself. […] A fully developed human being is presencing constantly […] it’s to be there where things happen. But it’s something that clearly cannot be done if there’s little me there that’s saying, ‘Oh, I’m manifesting presencing’” (Senge u. a. 2005, S. 101).

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Vorwort XIII

Schlüsselsituation

In einem jungen Start-up-Unternehmen, das vor etwa zehn Jahren im Forschungs-kontext einer benachbarten Universität gegründet worden war, kommt es immer wieder zu Reibereien und manchmal sogar zu offenen Auseinandersetzungen zwi-schen den beiden Gründern und einigen der mittlerweile über 50 Beschäftigten. Dabei stehen insbesondere die Abteilungsleiter „im Kreuzfeuer der Kritik“ – ein Sachverhalt, den eine dieser Führungskräfte mit der Bemerkung kommentiert: „Es ist schon zweierlei: ein Unternehmen auf der Basis einer technologischen Innova-tion gründen und es dann auch über Jahre und Jahrzehnte wettbewerbsfähig hal-ten. Mein Eindruck ist der, dass unsere beiden Heroen wirkliche Weltklasse im Hinblick auf die erste Aufgabe (gewesen) sind, dass es aber jetzt andere Qualitä-ten braucht, um aus ihren Ideen eine nachhaltige Unternehmensentwicklung zu gestalten. Immer wieder erlebe ich, wie junge talentierte Mitarbeiter und Mitarbei-terinnen das Handtuch werfen, weil man – wie sie oft sagen – hier, in einem Un-ternehmen, das von zwei Ideengebern lebt, eh nicht wirklich mit seinen eigenen Ideen ‚ankommen‘ kann. Das ist schade!“

Redet man mit den beiden Firmengründern, so stellt man schnell fest, dass diese „ihr Unternehmen“, wie sie es nennen, in seinen technologischen Abläufen in- und auswendig kennen, aber demgegenüber nahezu vollständig „blind“ sind im Hinblick auf die Einstellungen und die Motivationen der Mitarbeitenden. Darauf angesprochen erklärt einer von ihnen: „Ja, das mag sein. Wir sind alle zu sehr technologisch ‚drauf‘, und wir haben sicherlich dort unsere Grenzen, wo es um diesen Stoff des Sozialen geht, von dem ich letzthin las, dass er die Organisation zusammenhält. Doch was sollen wir tun? Wir können uns doch nicht umstricken! Und schließlich haben wir ja noch unsere Führungskräfte, von denen wir erwar-ten, dass sie den Laden irgendwie zusammenhalten!“ Die Führungskräfte, von de-nen hier die Rede ist, fühlen sich jedoch meist überfordert und auch alleine gelas-sen. „Insbesondere junge Menschen, die gerade von der Universität zu uns kom-men, die erwarten oft einen anderen Umgang und möchten sich entwickeln kön-nen. Dazu muss man mit ihnen im Kontakt stehen und sie begleiten – ganz so, wie man es ja auch in den zahlreichen Personalentwicklungskonzepten neueren Da-tums nachlesen kann. Da sind wir manchmal nicht gut, weil wir zu geschäftsmä-ßig eingestellt sind und zu wenig darauf achten, wie diese Menschen sich hier einbringen möchten.“ Kommt man auf die „Vorfälle“ der letzten Jahre zu spre-chen, d. h. Fälle, in denen es zu Konflikten zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kam, so stößt man immer wieder auf ähnliche Beschreibungen, die darauf hinweisen, dass „das Menschliche“ gegenüber „dem Geschäftlichen“ auf der Strecke bleibt und man auch keine wirklichen Vorstellun-gen davon hat, wie das eine mit dem anderen „versöhnt“ werden kann.

Berichtet wird u. a. über Bemühungen in der Vergangenheit, eine systematische Führungskräftequalifizierung zu realisieren – ein Versuch, der jedoch kläglich ge-scheitert sei. Denn einige der Führungskräfte fühlten sich persönlich angegriffen,

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XIV Vorwort

wenn man sie mit der Frage konfrontierte, wie sie es sich erklärten, dass in ihrer Abteilung die Unzufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Fluktuation besonders groß seien. „Ich erinnere mich noch genau an einen Wort-wechsel, in dem einer unserer erfahrensten Abteilungsleiter verärgert feststellte – so der Bericht eines seiner Kollegen: ‚Also, was bildet ihr euch eigentlich ein? Schließlich fahre ich meine Abteilung seit Anfang an in der Gewinnzone, was die Projektakquise und Projektabwicklung anbelangt. Das kann ich nur, weil ich mich nicht um jedes Wehwehchen detailliert kümmere. Mir ist lieber, jemand geht, wenn es ihm hier nicht gefällt, als dass wir ihn mit einem sozialpädagogischen Begleitservice bei Laune halten müssen!‘ Damals war ich entsetzt über so eine Kaltschnäuzigkeit, und ich habe für mich einfach die Konsequenz gezogen, mich in meiner Abteilung gezielter um die Kolleginnen und Kollegen zu kümmern. Ne-ben den jährlichen Mitarbeitergesprächen, in denen ich mit ihnen über ihre Erwar-tungen und Karriereziele rede, habe ich mich auch gezielt um eine eigene Super-vision gekümmert, indem ich alle acht Wochen an einem Kreis von Führungskräf-ten teilnehme. Die Beteiligten berichten über ihren Führungsalltag und beraten sich gegenseitig, wenn es Fälle gibt, in denen es nicht so gut läuft. Was mich da-bei zunächst erstaunt hat: Es geht niemals um Richtig- oder Falschbeurteilungen, vielmehr begegnet man sich in diesem Kreis in einer Atmosphäre, die von der un-ausgesprochenen Übereinkunft getragen ist, dass Führung nur ein tastendes Be-mühen ist, in dem man gerade dann ‚besser‘ werden kann, wenn man seine Fähig-keiten zur Achtsamkeit und zur Selbstkritik pflegt. Nie vergesse ich den Satz des Coach, der diese Gruppe begleitet: ‚Führen will gelernt sein, und ihr lernt es nur, wenn ihr euch in eurer Fähigkeit zur Selbstführung verbessert!‘“

Diese Einzelerfahrung einer Führungskraft trug auch dazu bei, dass sich in dem Softwareunternehmen das Klima der Kooperation allmählich verbesserte. Wie konnte dies geschehen? Es veränderten sich z. B. die Kommentare, die von der erwähnten Führungskraft, nennen wir sie „Herr D.“, in bestimmten Situationen ausgingen, und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Abteilung be-richten über den gewandelten Stil und Tonfall gegenüber Kolleginnen und Kolle-gen anderer Abteilungen. Doch auch die anderen Führungskräfte bemerkten mit der Zeit, dass es bei Herrn D. irgendwie „runder“ lief und seine Abteilung „trotz-dem“ die anstehenden Vorhaben sehr gut und zur wachsenden Zufriedenheit der Kunden abwickelte – ein Effekt, den auch einer der Firmengründer mit der Be-merkung quittiert: „Der D. hat seinen Stil spürbar umgestellt. Er ist irgendwie mit den Leuten und verharrt nicht mehr als Führungskraft in einer Distanz der Exper-tenschaft und Unnahbarkeit. Als ich ihn darauf anspreche, sagt er mir: ‚Ach wis-sen Sie, die Leute bringen die besten Leistungen, wenn sie ihre Arbeit gerne tun und sich wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen. Das habe ich spät genug ver-standen. Doch seit ich es verstanden habe, habe ich mein Führungsverhalten um-gestellt – getreu dem Slogan ‚Put first things first!‘ Das ist das ganze Geheim-nis!‘“ [vgl. Covey 1989] „Vielleicht“, so der Firmengründer, „hat D. recht, und wir werden langfristig nur am Markt bestehen können, wenn wir technologisch und menschlich führend sind?“

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Vorwort XV

Übungsaufgabe 1

Was ist mit „menschlich“ in dem Ausgangsbeispiel gemeint? Erstellen Sie eine Liste der Aspekte, auf die die Achtsamkeit einer Führungskraft sich in besonde-rem Maße einstellen sollte, um der erwähnten Doppelperspektive erfolgreicher Führung Rechnung zu tragen.

Übungsaufgabe

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Kapitel 1: Einleitung 1

1 Einleitung

„Führung“ ist ein altes Thema der Managementforschung, und es vergeht kaum ein Jahr, in dem diese nicht eine erneute „Wende“ vollzieht. Häufig kommt diese geräuschvoll daher, und man gewinnt den Eindruck, dass ihre Vertreter immer wieder aufs Neue meinen, eine Art „kopernikanische Wende“ auszulösen im Hin-blick auf die Frage, wie andere Menschen, Teams oder gar Organisationen inten-tional steuerbar seien. Solchen Umbruchkonzepten ist mit Vorsicht zu begegnen, denn Führung war bereits zu allen Zeiten schwierig, vielfach gar unmöglich.

Führungskräfte sollten die Gründe (er-)kennen, warum wirkungssichere Inter-ventionen in sozial komplexen Systemen unmöglich sind, um geeignete Formen des Umgangs mit dem anderen auszuloten, zu erproben und zu erfinden.

„Das andere“ ist das Gegenüber im sozialen Kontakt – in seiner Einwurzelung in biografisch Erworbenes und aktuell Gefordertes. Dieses erscheint uns oft eigen-sinnig oder gar widerständig – und immer wieder ertappen sich selbst reflektierte Führungskräfte bei dem Gedanken „Der andere ist nicht okay!“. Dieser Eindruck sagt jedoch auch mehr über die Unangemessenheit der eigenen wohlfeilen Kon-zepte vom anderen aus als über diesen selbst, denn das oder der andere kann auch den Führungskräften nur zu ihren eigenen Bedingungen in Erscheinung treten. Dies bedeutet, dass auch Führungskräfte lernen müssen, ihre wohlfeilen Konzepte als solche zu erkennen, zu hinterfragen und gegebenenfalls aufzugeben. „Wohl-feil“ sind Deutungen, Mutmaßungen und Erklärungen, die sich als spontaner Download über das andere aus unserem Erfahrungsschatz „einstellen“ – mit dem aktuell sich darstellenden „Gegenüber“ allerdings wenig zu tun haben. Der Ver-änderungsforscher C. Otto Scharmer vom MIT (Boston) schreibt dazu:

„Unser Handeln und Denken basiert häufig auf Gewohnheitsmustern. Ein ver-trauter Stimulus löst eine gewohnte Reaktion aus. Wollen wir jedoch zukünftige Möglichkeiten wahrnehmen und aus einer entstehenden Zukunftsmöglichkeit her-aus handeln, bildet dieses ‚Runterladen‘ ein Hindernis, da es zu einem ständigen Wiederholen von Mustern aus der Vergangenheit kommt“ (Scharmer 2009, S. 124).

Diese Wiederholung stiftet uns zwar „Gewissheit“, sie fordert uns aber auch her-aus, und nicht selten werden wir gerade durch das Vertraute, welches wir in eine Situation hineinlegen, überfordert. So „wissen“ wir:

• woran es liegt, dass der Kollege auch dieses Mal seinen Termin nicht einhalten kann;

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94 Musterlösungen zu den Übungsaufgaben

Musterlösungen zu den Übungsaufgaben

Übungsaufgabe 1

Was ist mit „menschlich“ in dem Ausgangsbeispiel gemeint? Erstellen Sie eine Liste der Aspekte, auf die die Achtsamkeit einer Führungskraft sich in besonde-rem Maße einstellen sollte, um der erwähnten Doppelperspektive erfolgreicher Führung Rechnung zu tragen.

Lösungsvorschlag

Einige zentrale Aspekte wurden in dem Beispiel selbst bereits genannt, etwa:

• sich um die Ideen und Potenziale der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern;

• ihnen Raum für die Artikulation eigener Ansichten, Vorstellungen und Pläne geben;

• regelmäßig mit ihnen in Kontakt sein (in Mitarbeitergesprächen etc.);

• sich um das Soziale, den Stoff, der Organisationen zusammenhält, als Führungskraft gezielt kümmern.

Weitere Aspekte eines „menschlichen“ Führungsstils könnten sein:

• ein offenes Ohr haben für die persönlichen Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter;

• sich um ihre eigene Fortentwicklung durch differenzierte Angebote der Personal- und Kompetenzentwicklung gezielt kümmern;

• sie in die Umsetzungsplanungen einbeziehen und ihre eigenen Anregungen und Ideen so weit wie möglich aufgreifen;

• Raum für Kritik und Feedbacks an die Führungskräfte lassen.

Übungsaufgabe 2

Untersuchen Sie, welche Anerkennungs-, Beziehungs- und Konfliktmuster beim Umgang mit Autonomie und Heteronomie in dem Ausgangsbeispiel deut-lich werden. Beschreiben Sie, über welche Kompetenzen Führungskräfte verfü-gen sollten, um Commitment und Synergie durch eine Balance dieser beiden Pole des sozialen Handelns erfolgreich gestalten zu können. Nutzen Sie Ihre Einsichten aus Tool A, um ein Anforderungsprofil für Führungskräfte zur Ba-lance dieser beiden Pole zu formulieren.