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LANDESHAUPTSTADT www.wiesbaden.de Risiko Altersarmut Frauen im Fokus Tagung 18. November 2014, Rathaus der Landeshauptstadt Wiesbaden

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LANDESHAUPTSTADT

www.wiesbaden.de

RisikoAltersarmutFrauen im Fok

us

Tagung18. November 2014, Rathaus derLandeshauptstadt Wiesbaden

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Impressum

Informationen/Kontakt:

Kommunales Frauenreferat der Landeshauptstadt Wiesbaden

Juliane Philipp-Lankes

Schloßplatz 6

65183 Wiesbaden

Autorinnen:

Dr. Rabea Krätschmer-Hahn, Anja Baumgart-Pietsch

Redaktion:

Dr. Christian Fischer, Karin Knaup, Dr. Rabea Krätschmer-Hahn,

Juliane Philipp-Lankes

VeranstalterInnen der Tagung:

Kommunales Frauenreferat der Landeshauptstadt Wiesbaden

Amt für Soziale Arbeit der Landeshauptstadt Wiesbaden

Evangelisches Dekanat Wiesbaden/Sozialpfarramt

Inhaltliche Unterstützung der Durchführung durch das

Büro für Staatsbürgerliche Frauenarbeit e.V.

Tagungsfotos:

Anja Baumgart-Pietsch

Titel- und Kapitelfotos:

Franz Pfluegl (Titel und S. 5), eva dietsche (S. 3)

michagehtraus (S. 9), fullempty (S. 13)

DURIS Guillaume (S. 16) - alle www.fotolia.com

Grafik/Design:

Jutta Pötter, [email protected]

Druck:

Druck-Center der Landeshauptstadt Wiesbaden

Auflage:

250 Stück

Download:

http://www.wiesbaden.de/leben-in-wiesbaden/

gesellschaft/frauen/frauenbeauftragte. php

Juni 2015

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I. Grußwort 2

II. Warum diese Veranstaltung? Hintergründe und Ziele 3

III. Frauen und Armut: die Vorträge der Veranstaltung 5

IV. Podiumsdiskussion der Veranstaltung –

über KiTa-Plätze, Rollenbilder und Minijobs 9

V. Ausblick: Impulse für die Zukunft 16

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Inhaltsverzeichnis

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Das Kommunale Frauenreferat hat in Koope-ration mit dem Amt für Soziale Arbeit unddem evangelischen Dekanat mit dieser Ver-

anstaltung ein nicht nur aktuelles, sondern vor al-lem wichtiges Thema aufgenommen, das uns in vie-len Zusammenhängen begegnet und zukünftig im-mer stärker betreffen wird.Viele Menschen, auch in unserer vergleichsweisewohlhabenden Stadt sind, oftmals versteckt, vonAltersarmut betroffen und die Zahlen dazu steigen.Betroffene wenden sich – vielfach aus Scham – erstsehr spät an relevante Einrichtungen, wenn es nurnochwenigeMöglichkeiten für eineVeränderungderBedingungen gibt.Besonders Frauen tragen hier ein erhöhtes Risiko,das meist früh im Lebenslauf z.B. durch unterbro-cheneErwerbsverläufe ansetzt und sich aufgrundbe-sonderer Lebenslagen noch verschärft, wie bei-spielsweise als Alleinerziehende oder nach einerScheidung.Wie bundesweit aktuelle Medienberichte zeigen, istWiesbaden hier keine Ausnahme. Ich bin daher sehrfroh, dass es im Rahmen einer Auftakt-Fachveran-staltung gelungen ist, dieses Thema in den Fokus zurückenundetwas „Licht in dasDunkel“ der sehr kom-plexen Zusammenhänge und Bedingungen zu brin-gen, die letztendlich in die sogenannten „Armutsfal-len“ vieler Lebens- und Erwerbsverläufe führen.

Aber nicht nur die Information allein war das Zieldieses Vorhabens. Vielmehr sollte durch eine Dis-kussion mit verschiedenen AkteurInnen der Stadt-gesellschaft aus Wissenschaft, Kommune, KircheundWirtschaft sowie dem juristischen und dem sozialenBereich aufgezeigt werden, wo sich Stellschraubenund Ansatzpunkte zeigen, die die Grundlage für prä-ventive Aufgaben und Initiativen bilden können.Die Veranstaltung richtete sich an ein Fachpublikum,vielfach aus örtlichen Anlauf- und Beratungsstellen,aber auch an VertreterInnen aus Politik, Unterneh-men und Gemeinwesen, die die Ergebnisse der Ta-gung für ihre konkreten Bezüge und Initiativen nut-zen können.

Als Oberbürgermeister der Stadt Wiesbaden ist esmir ein großes Anliegen, die Möglichkeiten der Kom-mune und der Stadtgesellschaft auszuschöpfen, dieein „Weniger“ an Armutsrisiko – insbesondere fürFrauen – bewirken können.So hoffe ich, mit der ausführlichen Dokumentationder Auftaktveranstaltung die interessanten und auf-schlussreichen Inhalte vielen fachlich Interessiertenzugänglichmachen zu können und verbinde diesmiteiner Einladung zu den geplanten Folgeveranstal-tungen mit den Schwerpunktthemen: Alleinerzie-hende, Teilzeit- undMinijobs, Familienmodelle derZu-kunft sowie dem Thema „Rechtliche Grundlagen –Ehevertrag“.

Sven GerichOberbürgermeister

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IGrußwort

desOberbürgermeisters

SvenGerich

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Immer mehr Rentnerinnen und Rentner sind aufGrundsicherungangewiesen. Ende2013 bezogenbundesweit rund 500000Menschen ab 65 Jah-

ren existenzsichernde Leistungen. Das sind 7,4 %mehr als noch im Vorjahr.1 Am stärksten ist Alters-armut in den Ballungszentren verbreitet, und vor al-lem westdeutsche Frauen benötigen die Unterstüt-zung, weil ihre Rentenansprüche nicht ausreichen.

Wie stellt sich die Lage inWiesbaden dar? Allein zwi-schen 2010 und 2013 hat sich die Sozialhilfedichte inWiesbaden bei den 65-Jährigen und Älteren um ei-nen Prozentpunkt erhöht. Ende 2010 bezogen 5,2%der Älteren in Wiesbaden Leistungen der Grundsi-cherung im Alter, Ende 2013 waren es 6,2%2. Dabeizeigen sich deutlich ausgeprägte, geschlechtsspezi-fische Unterschiede. Frauen tragen ein höheres Risi-ko, im Alter auf Grundsicherungsleistungen ange-wiesen zu sein als Männer. Am höchsten ist das Risi-ko für Frauenmit ausländischer Staatsangehörigkeit.

Auch in einer wohlhabenden Stadt wie Wiesbadensind zahlreiche ältere Bürgerinnen und Bürger vonder Thematik „Altersarmut“ betroffen. Sie wendensich zwar an relevante Einrichtungen, Initiativen undBeratungsstellen der Stadt, aber oftmals aus Schamerst sehr spät. ZudiesemZeitpunkt gibt es außer kon-kreter finanzieller Unterstützung nur noch wenigMöglichkeiten auf eine Veränderung der Bedingun-gen. Zumeist sind es Frauen, die durch Lebensereig-nisse wie Scheidung, alleiniges Sorgerecht für Kin-der oder unterbrochene Berufskarrieren von Alters-armut besonders betroffen sind.Das Kommunale Frauenreferat der Landeshaupt-stadtWiesbaden hat es sich - in Kooperationmit dem

Amt für Soziale Arbeit und dem Evangelischen De-kanat – zur Aufgabe gemacht, mit einer Reihe vonVeranstaltungen zum Thema „Altersarmut bei Frau-en“ Öffentlichkeit zu schaffen und das Bewusstseindafür zu wecken. Den VeranstalterInnen war klar,dass es sich um ein komplexes Themenfeld mit vie-len Ambivalenzen handelt. Deshalb konzipierten siezunächst eine Auftaktveranstaltung, um die unter-schiedlichen „Armutsfallen“ innerhalb der Lebens-und Erwerbsverläufe von Frauen zusammenzutra-gen. Diese Fachtagung fand am 18. November 2014im Rathaus Wiesbaden mit dem Titel „Risiko Alters-armut – Frauen im Fokus“ statt.

Zentrale Fragen in der Vorbereitung der Veranstal-tungwaren:Wen betrifft (Alters-)Armut? Spielen be-sondere Lebenslagen eine Rolle? Sind geschlechts-spezifische Aspekte relevant?Ein Blick „hinter die Kulissen“ der Entstehung vonAltersarmut zeigt, dass viele der sogenannten„Armutsfallen“ schon früh im Lebenslauf ansetzen:Teilzeit-Erwerbstätigkeit, Mini-Jobs, lange beruflicheAuszeiten aufgrund von Kinderbetreuung oder derPflege von Angehörigen. Schon diese Aufzählungmacht deutlich, wer besondere Risiken trägt: Es sindzumeist Frauen, die ihre beruflicheTeilhabe aufgrundvon Familienaufgaben zurückstellen. Somit entstehteine ungünstigere Basis für ihre Rente und sie tra-gen insbesondere bei Einschnitten in ihrem Lebens-lauf, wie Scheidung, alleiniges Sorgerecht für Kin-der oder Krankheit, ein hohes Armutsrisiko. Obwohldie Gründe als individuell erscheinen, die Menschenin Altersarmut führen, so lassen sich doch struktu-relle Mechanismen erkennen, die Armut auch ge-schlechtsspezifisch ausgestalten.

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IIWarum

diese Veranstaltung?

Hintergründeund Ziele

1 Destatis Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 384 vom 04.11.2014;https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/11/PD14_384_221.html; abgerufen am 27.02.2015/13 Uhr.

2 Vgl. Amt für Soziale Arbeit: Wiesbadener Geschäftsbericht SGB XII, Jahresbericht 2013; Wiesbaden 2014;http://www.wiesbaden.de/leben-in-wiesbaden/gesellschaft/sozialplanung-entwicklung/content/sozialhilfeplanung-grundsicherung.php.

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Die geringere Beteiligung von Frauen am Arbeits-markt wird in der Debatte über Armut häufig aufge-griffen, da der Dazuverdienst von Frauen, insbeson-dere von Müttern, ein gängiges Familienmodell in(West-)Deutschland ist. Ein besonders wichtig er-scheinender Aspekt ist dabei die Frage der Kinder-betreuung, denn durch den Ausbau von Angebotenin diesemBereich soll dieVereinbarkeit vonBeruf undFamilie möglich gemacht werden.Dennoch schreibt die Diskussion über den „Ausbauder Kinderbetreuung“ und die „Vereinbarung vonFamilie und Beruf“ weiterhin den Frauen die Betreu-ung der Kinder zu und geht somit „nur“ von einer be-grenzten Erwerbstätigkeit aus. Einen Schritt weitergedacht,muss grundsätzlich erörtertwerden,wie eingeschlechtergerechtes Verhältnis zwischen familia-ler Arbeit und Erwerbsarbeit erreicht wird.Außerdem: Die Vereinbarkeit von Pflege und Berufwird die Gesellschaft als Thema in Zukunft noch in-tensiver beschäftigen. Pflegeleistungen werden zur-zeit oft in den Familien abgedeckt, ebenfalls über-wiegend durch Frauen. 47 % der Beziehenden vonPflegeversicherungsleistungen in Wiesbaden ent-scheiden sich für die reine Geldleistung. Sie nehmenkeine professionelle Unterstützung durch Pflege-dienste oder stationäre Einrichtungen in Anspruch.

Veränderte Familienmodelle und eine neue Aufga-benverteilung innerhalb der Familie und zwischendenGeschlechtern sind deshalbAufgaben für dieZukunft.Ebensowie bei derKinderbetreuung ist langfristig diePflegeder älterenGenerationenaufMännerundFrau-en gleichmäßig zu verteilen, sodass für Frauen keinestrukturelle Benachteiligungmehr an der Beteiligungam Erwerbsleben entsteht. Den Arbeitgebern fällthier ebenfalls Verantwortung zu.

Auf verschiedenenEbenenundvielgestaltig gerät dasThema „Altersarmut bei Frauen“ immerwieder in denFokus der aktuellenDiskussion.Mit dieser Fachtagungrückt das Kommunale Frauenreferat, in Kooperationmit dem Amt für Soziale Arbeit und dem Evangeli-schen Dekanat, die Problematik in den Vordergrund.

Ziel der geplanten Veranstaltungsreihe ist es, „Lichtin das Dunkel“ der komplexen Bezüge und Zusam-menhänge zu bringen, die letztendlich in die „Alters-armutsfalle“ führen. Damit will die Stadt WiesbadeneinenBeitrag leisten, schon frühzeitig auf Risiken vonAltersarmut bei Frauen aufmerksam zu machen undvor allem präventiv dagegen zu wirken.

Eine Vielzahl von Organisationen und Initiativen inWiesbaden bieten spezielle Förder- oder Hilfeange-bote für Frauen in Armutssituationen an. Von ihnennahmen einige an der Veranstaltung am 18. Novem-ber 2014 teil und stellten in einem „Markt“ ihreArbeit den Veranstaltungsteilnehmenden vor: AWOAltenzentren Konrad-Arndt und Robert-Krekel-Haus;Beratungsstellen für selbständiges Leben im Alterder Landeshauptstadt Wiesbaden; BerufsWege fürFrauen e.V.; Büro für staatsbürgerliche Frauenarbeite.V.; CASA e.V. Centrum für aktivierende Stadtteilar-beit; Diakonisches Werk Wiesbaden; EvangelischeFamilien-Bildungsstätte; GBQ Gesellschaft für beruf-liche Weiterqualifizierung e.V.; LandesFrauenratHessen;MädchentreffWiesbadene.V.; NetzwerkWies-baden 55+; Seniorenbeirat der LandeshauptstadtWiesbaden;WIFWiesbadener internationales Frauen-und Mädchen-Begegnungs- und Beratungs-Zentrume.V.; VHS Volkshochschule Wiesbaden e.V.Die Auftaktveranstaltung stieß mit ca. 130 Teilneh-menden auf eine große Resonanz. Sie sollte dazu an-regen, dass sich Akteurinnen und Akteure der Stadt-gesellschaft aus unterschiedlichengesellschaftlichenBezügen – sei es aus dem Sozialbereich, der Kom-mune, der Wissenschaft, dem juristischen Bereichoder derWirtschaft – untereinander verständigen. Diedabei heraus gearbeiteten „Stellschrauben” und An-stöße können als Grundlagen für präventive Aufga-ben und Initiativen gegenAltersarmut bei Frauen die-nen.

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Den systematischen Charakter der Beziehungzwischen Armut und Geschlecht hat dieForschung schon länger im Fokus, auch wenn

die öffentliche Debatte sich deutlich stärker auf dieDarstellung einer geschlechtsneutralen Armut kon-zentriert. Deshalb war es ein Ziel der Veranstaltung,die unterschiedlichenDiskussionssträngeausderwis-senschaftlichen Auseinandersetzung zum Thema„frauenspezifische Armut“ mit den empirischen Be-funden der Lage von Frauen in Wiesbaden zusam-menzuführen. Dazu war Prof. Dr. Barbara Riedmül-ler als Referentin eingeladen, die als mittlerweileemeritierte Professorin jahrelang, intensiv im Rah-men ihres Lehrstuhls für Sozialpolitik und Kompara-tistik an der Freien Universität Berlin zum Thema„Armut und Frauen“ gearbeitet hat. Heiner Brülle,Sozialplaner der Stadt Wiesbaden im Amt für Sozia-le Arbeit, berichtete als weiterer Referent über dieArmutslage von Frauen in Wiesbaden.

Einflussfaktoren fürgeschlechtsspezifische ArmutRiedmüller setzte bei der Veranstaltung den erstenImpuls durch einenVortrag, der die unterschiedlichen„Armutsfallen“ von Frauen im Lebens- und Erwerbs-verlauf skizzierte und mögliche „Stellschrauben“einer Veränderung aufzeigte, indem sie von den

Ergebnissen ihrer zuletzt durchgeführten Studie„Die Lebens- undErwerbsverläufe vonFrauen immitt-leren Lebensalter. Wandel und rentenpolitische Im-plikation“3 berichtete.

In dieser Studie vergleichen die Autorinnen Erwerbs-verläufe zweierGruppen vonGeburtsjahrgängenmit-einander: Die Gruppe der 1947-1951 geborenen Frau-en und die der Geburtsjahrgänge 1962-1966. IhrerUntersuchung liegt die Annahme zugrunde, dass diefrüher Geborenen noch stark nach einer traditionel-len Rollenverteilung leben, während die Lebens- undErwerbsverläufe der später geborenen, der soge-nannten „Babyboomerinnen“ schon deutlich vielfäl-tigereMuster aufweisen. DieAnalyse bedient sich derempirischen Typenbildung von Biographien, um dievonAltersarmut bedrohtenVerläufe zu identifizierenund Gründe für weibliche Altersarmut benennen zukönnen.Riedmüller berichtet über die konfliktreiche Schnitt-stelle zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit fürFrauen. Sie wollen und müssen beides vereinbaren,obwohl sich ihre Rente nur aufgrund der beitrags-pflichtigen Erwerbsjahre bemisst. Die „Babyboome-rinnen“ zeigen diversifizierte Lebens- und Erwerbs-muster, die getragen sind von einer sich gewandel-ten Haltung gegenüber der traditionellen Rolle derMutter. Zudem hat die Bildungsexpansion die Aus-gangslage für Erwerbstätigkeit besonders für Frau-en maßgeblich verbessert. Aber staatliche Interven-tionen stützen ein Familienmodell, in dem die Frauennicht in Vollzeit einer sozialversicherungspflichtigenBeschäftigung nachgehen.

Als ersten und wichtigsten Einflussfaktor für Alters-armut stellt Riedmüller in diesem Kontext die Teil-zeit-Erwerbstätigkeit heraus, die zu geringen Ren-tenansprüchen führt: Seit 1995 ist der Anteil der Teil-zeiterwerbstätigkeit unter den abhängig Beschäftig-ten in der Bundesrepublik beträchtlich gestiegen,besonders unter den Frauen in Westdeutschland, diezu ca. 45% in Teilzeit erwerbstätig sind. Zeitgleichging die Vollzeiterwerbstätigkeit unter Frauen antei-

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IIIFrauenundArmu

tdieVorträge der

Veranstaltung

Prof. Dr. Barbara Riedmüller während ihres Vortrags

3 Riedmüller, Barbara/Schmalreck, Ulrike: Die Lebens- und Erwerbsverläufe von Frauen im mittleren Lebensalter. Wandel und rentenpolitische Implikati-on, hrsg. von der Freien Universität Berlin, Projekt gefördert vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung Bund, Ber-lin 2012.

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lig zurück. Große Unterschiede existieren zwischenWest- und Ostdeutschland, vor allem in der Motiva-tion zur Teilzeit: Während die Frauen in Ostdeutsch-landaufgrundderArbeitsmarktlagehäufig ungewolltin Teilzeit erwerbstätig sind, ist es in Westdeutsch-land das vondenFrauengewünschte Erwerbsmodell,um Familie und Arbeit zu vereinen. Riedmüller dis-kutiert die These einer „kulturellen Linie“4, indemsieproklamiert, dass oft die Haltung der Frauen selbstzur Teilzeiterwerbstätigkeit die „Armutsfalle“ be-günstigt. Sie fordert einUmdenken in denKöpfen derMütter – wie auch bei den Vätern und anderen ge-sellschaftlichen AkteurInnen, denn ohne einenkul-turellen Wandel in dieser Haltung werden die Ar-mutsproblematiken für Frauen schlecht zu lösen sein.Empirisch belegt sie diese stabile „kulturelle Linie“mit dem Anteil der Frauen beider Untersuchungs-gruppen ihrer Studie, die dauerhaft nicht erwerbs-tätig sind: Dieser Anteil hat sich nicht verändert undliegt bei 18%.Ein zweiter Einflussfaktor der Altersarmut für Frau-en ist die Erwerbsunterbrechung aufgrund vonKindererziehung oder der Pflege von Angehörigen.Die hier nachweisbaren Bruttolohnverluste steigenmit der Länge des Ausstiegs und wirken sich nega-tiv auf die Alterssicherung aus. Genausowie ein drit-ter Faktor: die Arbeitslosigkeit. So kontrastierenBerechnungen der Rentenansprüche zwischenMän-nern und Frauen in West- und Ostdeutschland, wieimmens unterschiedlich diese durch Unterbrechun-gen in der Erwerbsbiographie ausfallen.Zusammenfassend resümiert Riedmüller, dass derAusbau geringfügiger Beschäftigungsverhältnisseund die häufige Teilzeit-Erwerbsarbeit die maßgeb-lichen Einflussfaktoren für spätere Armut sind. Die-se eingeschränkte Erwerbsteilhabe ist auch abhän-gig von staatlichen Interventionen: So begünstigenviele staatliche Interventionen die diskontinuierli-chen Erwerbsverläufe von Frauen, wie die Mitversi-cherung der nicht oder geringfügig erwerbstätigenEhefrau in der Krankenversicherung, das Ehegat-tensplitting oder die Sonderregelungen fürMinijobs.Aber auch die schon angesprochene kulturelle Hal-tung findet sich bei unterschiedlichen gesellschaft-lichen Akteuren in der Summe als ein „kulturellesBollwerk“ wieder. Es ist dadurch gekennzeichnet,dass die Kindererziehung und -betreuung immernoch als Aufgabe der (teilzeit-erwerbstätigen) Müt-ter gesehenwird. Diese „kulturelle Linie“ ist nicht nurin den Aushandlungsprozessen zwischen Männernund Frauen in Paarbeziehungen zu erkennen, son-

dern auch bei Frauen und Männern als Träger be-stimmter Rollen, beispielsweise als Arbeitgeber.Riedmüller verweist auf den irritierenden Umstand,dass Arbeitgeber (so wie unlängst in einer von ihrbetreuten Erhebung geschehen) es sich in Deutsch-land immer noch – kulturell getragen – leisten kön-nen, zuzugeben, dass sie auf bestimmten Positionenin ihrem Unternehmen „keine Mutti haben wollen“.Die vorrangige Strategie muss hingegen sein, Frau-en umfangreich (vollzeitnah!) in denArbeitsmarkt zuintegrieren, sodass sie in die Lage versetzt werden,eigenständig über die gesetzliche Rentenversiche-rung für das Alter vorzusorgen. Hierbei betont Ried-müller, dass staatliche Interventionen – oder auchgerade ihr Ausbleiben – Altersarmut für Frauen inDeutschland generieren und es durchaus zu gestal-tende Rahmenbedingungen gibt. „Für die Politik be-deutet dies nicht nur dieAnzahl der bezahlbarenKin-derbetreuungsmöglichkeiten zu erhöhen, sondernauch Veränderungen von Arbeitszeit- und anderenarbeitsrechtlichen sowie gleichstellungspolitischenRegulierungen herbeizuführen. Politik der Verein-barkeit von Kindern und Erwerbstätigkeit tangiertdas Steuerrecht ebenso wie Lohn- und Sozialpolitikund muss als langfristige Querschnittsaufgabe ver-standen werden.“5

In ihrem Schlussstatement greift Riedmüller mehre-re Aspekte pointiert heraus:1. Die Debatte über kulturelle Haltungen in Deutsch-land zu Familienmodellen und Rollenverständnisder Geschlechter hat schon begonnen. Sie ist abernoch stark davon geprägt, die Vereinbarkeit vonFamilie und Beruf bei den Frauen zu verorten.

2. Neue Akteure in dieser Diskussion sind die Unter-nehmen, die durch den bevorstehenden Fachkräf-temangel – in Korrelation mit dem demographi-schenWandel, nun Position beziehen und dadurcheine neue Qualität des Diskurses bewirken.

3. Was bedeutetAltersarmut vonFrauen für dieKom-munen?Gesundheitsaspekte unddas ThemaWoh-nen werden noch bedeutsamer im Kontext von Al-tersarmut werden. Als Aufgaben für die Kommu-nen kann deren Umfang auf Dauer ein finanziellnicht abschätzbares Risiko werden.

Schließlich formuliert Riedmüller ein Plädoyer an al-le, sichmit demThemaAltersarmut von Frauen – undsomit auch dem Thema der Erwerbsarbeit von Frau-en – auseinanderzusetzen und die Verantwortungwahrzunehmen, sich in diese Debatte einzubringen.

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4 „Kulturelle Linie“ ist ein Zitat von Barbara Riedmüller: Diesen Begriff verwendet sie für die in Deutschland vorherrschende Haltung, dass Frauen fürdie Kindererziehung und –betreuung größtenteils verantwortlich sind und folglich ihre Erwerbsarbeit reduzieren.

5 Riedmüller, Barbara/Schmalreck, Ulrike: Die Lebens- und Erwerbsverläufe von Frauen im mittleren Lebensalter. Wandel und rentenpolitische Implikati-on, hrsg. von der Freien Universität Berlin, Projekt gefördert vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung der Deutschen Rentenversicherung Bund, Ber-lin 2012, S. 114.

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Die Armutssituation von Frauenin WiesbadenIm Anschluss an das Impulsreferat von Riedmüllerfolgte der Vortrag von Heiner Brülle, der als Sozial-planer im Amt für Soziale Arbeit in Wiesbaden Zah-len zu der Armutslage von Frauen in Wiesbaden vor-stellte. Zu Beginn legte er dar, dass man Armut aufunterschiedliche Weise definieren kann: Nach dergängigen OECD-Definition gelten Menschen miteinem Einkommen von weniger als 60% des Durch-schnitts in der Bevölkerung als „relativ arm“6. Da derSozialplanung keine Angaben zur Einkommensver-teilung derWiesbadener Bevölkerung zurVerfügungstehen, wirdmit Daten der Grundsicherungsstatistikgearbeitet, sodass die hier diese Definition zutrifft:„Arm“ sind die Personen, die staatliche Existenzsi-cherungsleistungen beziehen. Da die Grenze deut-lich niedriger angesetzt ist, werden damit aber nichtalle Personen in „relativer Armut“ erfasst. Zum Ver-gleich: SGB II-Leistungen beziehen in Hessen 8,3%der Bevölkerung, während Berechnungen nach demEinkommen 13,2% der Bevölkerung als arm auswei-sen7.Wiesbaden, so Brülle, ist eine gespaltene Stadt: DieInnenstadt ist geprägt von beeindruckenden Gebäu-den und einer Vielzahl exklusiver Einkaufsmöglich-keiten. Es leben viele reiche Menschen in Wiesba-den. Andererseits gibt es auch sehr viele Arme: 13%der Wiesbadener Bevölkerung beziehen existenz-sichernde Grundsicherungsleistungen. Das liegtdeutlich über demhessischenDurchschnitt und auchhöher als der Anteil in vergleichbaren Rhein-Main-Städten wie Frankfurt oder Darmstadt8.

Es sind vor allem Alleinerziehende in besonderemMaße von dem Risiko betroffen, Grundsicherungs-leistungen beziehen zu müssen, sowie Familien mitdrei und mehr Kindern. Alleinstehende hingegenhaben ein durchschnittliches Risiko und Mehrperso-nen-Haushalte ohne Kinder haben eine deutlich ge-ringere Armutsquote.

Betrachtet man das Risiko, auf Grundsicherungslei-stungen angewiesen zu sein, nach Altersklassen, sozeigt sich ein noch deutlich erhöhtes Armutsrisikovon Kindern im Vergleich zu den Erwachsenen.Altersarmut hat zwar im Zeitverlauf überproportio-nal zugenommen, Aber: Während die einen nochganz am Anfang vor den entscheidenden Weichenfür den weiteren Lebensweg stehen, haben die an-deren in aller Regel bereits mit ihrem Beruf und deraktiven Erwerbsphase abgeschlossen. Sie verfügenüber so gut wie keine Möglichkeiten mehr, die Ein-kommens- und Vermögenssituation aus eigenenKräften zu verbessern. So oder so bedeuten Sozial-hilfeleistungen in jedem Fall finanzielle Einschrän-kungenmit Auswirkungen für den gesamten Bereichder Lebensführung und Lebensgestaltung.Es liegt auch eine geschlechtsspezifische Kompo-nente des Armutsrisikos vor: Während das Armuts-risiko der Frauen im Alter von 18 bis 44 Jahren er-höht ist, da hier die (alleinerziehenden) Mütter vor-wiegend betroffen sind, sind Frauen in den weiterenAltersgruppen eher geringer von Armut betroffen.Aber ab dem Alter von 65 Jahren, dem Rentenein-trittsalter, zeigen Frauenwieder ein deutlich höheresArmutsrisiko als Männer.Überprüft man neben dem hier benannten Wertfür die Gesamtstadt (13 %) auch die Verteilungennach Stadtteilen, fällt eine breite Streuung auf:Die Altersarmut variiert stark nach Stadtteilen undzeigt den geringsten Wert von 0,8% in den Siedlun-gen Dotzheims und in Frauenstein, jedoch den höch-sten Wert (24,4%) im inneren Westend. Die Zahlenbelegen, dass die Lebensrealitäten in der Stadt sehrunterschiedlich sind und durch Durchschnittswerteleicht verschleiertwerden können. In bestimmtenBe-völkerungsteilen und in einzelnen Stadtteilen nimmtdieArmutsquote der älterenMenschenWerte an, diean die Häufigkeit des Bezugs von Leistungen nachSGB II heranreichen. Diese Unterschiede gilt es beider Auseinandersetzung mit dem Thema „Altersar-mut“ durch eine differenzierte Betrachtung undHerangehensweise ausreichend zu berücksichtigen.Da fehlende Erwerbstätigkeit die entscheidendeKomponente für eine Armutslage ist, stellt Brülle dieZahlen der Erwerbsbeteiligung fürMänner und Frau-en in Wiesbaden gegenüber – sowie die der Männerund Frauen, die Grundsicherungsleistungen bezie-hen.9

Die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs-quoten der deutschen Männer und Frauen für 2013 inWiesbaden liegen eng beieinander (61% und 57%). 10

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6 Bei der Berechnung wird das so genannte "Nettoäquivalenzeinkommen" zu Grund gelegt, das Unterschiede in der Größe und Zusammensetzung derHaushalte durch eine unterschiedliche Pro-Kopf-Gewichtung berücksichtigt. Die Angaben zur durchschnittlichen Höhe des Einkommens beziehen sichauf den Median, der als "Zentralwert" weniger anfällig gegenüber Ausreißern ist als das arithmetische Mittel bzw. der Mittelwert, und die Verteilungexakt in zwei Hälften teilt.

7 Vgl. Nachrichtendienst des Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.: dv aktuell; Ausgabe 4/2014; S. 163.8 Vgl. Bundesagentur für Arbeit: Grundsicherung in Zahlen – Statistik der Grundsicherung für Arbeitsuchende, aktuelle Eckwerte; Nürnberg, November2014; Tabelle 2.

Heiner Brülle während seines Vortrags

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Abbildung 2: Erwerbsbeteiligung derLeistungsberechtigten im SGB II in Wiesbaden,in % (Juni 2014)

Quelle:

Amt für Soziale Arbeit Wiesbaden; OPEN/Prosoz;

Geschäftsstatistik; eigene Berechnungen

Auch in den Familien im SGB II-Leistungsbezug sinddie zuvor abgebildeten Muster sichtbar.Mehr als 33% der Leistungsberechtigten im SGB IIsind erwerbstätig und stocken ihr Erwerbseinkom-men bis zum Existenzminimum auf. Die Erwerbsbe-

teiligung der Mütter in Paarhaushalten ist um eini-ges geringer als die derVäter (insbesondere auchbeiden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigun-gen). Sie verdeutlicht die traditionelle Rollenvertei-lung von familialer Arbeit undErwerbsarbeit in Paar-haushalten.Die von Riedmüller beschriebene „kulturelle Linie“wird auch in den Wiesbadener Daten sichtbar und er-scheint als „kulturelles Bollwerk“ (Zitat Riedmüller),da die Einstellung zur verminderten ErwerbstätigkeitfürMütter nicht nur bei denPaaren selbst vorherrscht,sondern auchgetragenwird durch dieHaltungder Fall-managementfachkräfte oder der Arbeitgeber.Was folgt aus denAnalysen für dieArmutsvermeidungin weiblichen Lebens- und Erwerbsbiographien? Sozi-alversicherungspflichtigeErwerbsarbeit istwichtig fürdie individuelle Absicherung im Alter, und diese soll-te so kurzwiemöglich in Teilzeit ausgeübtwerden. ZurVermeidung von Armutslagen für die ganze Familiebedeutet es gerade im Bereich des SGB II in Wiesba-den, dass hier aufgrund von hohen Mieten, niedrigenLöhnen (durch die geringe Qualifizierung der Lei-stungsberechtigten) und Größe des Haushaltes, zweisozialversicherungspflichtige Einkommen notwendigsind, um überhaupt den Leistungsbezug verlassen zukönnen. Also auch, und gerade hier ist die umfängli-che Erwerbsarbeit der Frauen notwendig.

Aber derUmfangder Erwerbstätigkeit unterscheidetsich deutlich zwischen den Geschlechtern: Riedmül-lers Argument, dass insbesondere die weit verbrei-tete Teilzeiterwerbstätigkeit unter Frauen ein wich-tiger Faktor in der Debatte um Altersarmut ist, ver-deutlicht Brülle mit den Daten der Beschäftigten amWohnort Wiesbaden.

Nur48%der Frauen sind inVollzeit erwerbstätig, wäh-rend über die Hälfte entweder in Teilzeit (32%) odernur geringfügig (20 %) beschäftigt ist. Unter denMän-nern hingegen sind 77 % in Vollzeit erwerbstätig. Ein-geschränkte Erwerbsarbeit ist ein stark weiblich domi-niertesPhänomen11 – undes sind insbesonderedieFrau-en mit Kindern, die ihre Erwerbsarbeit deutlich redu-zieren.

9 Vgl. Amt für Soziale Arbeit: Wiesbadener Geschäftsbericht SGB XII, Jahresbericht 2013; Wiesbaden 2014; http://www.wiesbaden.de/leben-in-wiesbaden/gesellschaft/sozialplanung-entwicklung/content/beschaeftigungsfoerderung.php.

10 Die Beschäftigungsquoten der ausländischen Männer und Frauen in Wiesbaden zeigen hingegen etwas größere Differenzen: Es sind 46 % der ausländi-schen Männer in einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit beschäftigt, aber nur 36 % der ausländischen Frauen, vgl. Amt für StrategischeSteuerung, Stadtforschung und Statistik, Monitoring zur Integration von Migranten in Wiesbaden, Bericht 2014; Wiesbaden 2014.

11 Vgl. Daten auch im internationalen Vergleich bei Destatis Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/ Pressemitteilun-gen/2012/03/PD12_078_132.html, abgerufen am 18.12.14/11 h.

Abbildung 1: Erwerbsbeteiligung nach Art der Beschäftigung am Wohnort Wiesbadenfür Frauen und Männer, in % von allen Erwerbstätigen (Dezember 2013)

Quelle:

Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt in

Zahlen – Beschäftigungsstatistik,

Beschäftigung am Wohnort, Landeshaupt-

stadt Wiesbaden, Dezember 2013;

Sonderauswertung des Statistikservice

Südwest; eigene Darstellung

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0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

61,8% 20,9% 17,3%

76,9% 9,2% 14,0%

47,6% 32,0% 20,4%

Gesamt

Männer

Frauen

0 10 20 30 40 50 60

21,8% 11,6% 33,3%

23,6% 10,3% 33,9%

20,2% 12,7% 32,9%

25,8% 12,6% 38,5%

15,1% 11,1% 26,2%

Gesamt

Männer

Frauen

Alleinerziehende Frauen

Mütter in Paarhaushalten

sv-pflichtige Beschäftigung geringfügige Beschäftigung

sv-pflichtige Beschäftigung Vollzeit sv-pflichtige Beschäftigung Teilzeit geringfügige Beschäftigung

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IVPodiumsdiskussionüberKiTa-Plätze,Roll

enbilder

undMinijobs

Im Anschluss an die Vorträge, die verschiedeneFacetten geschlechtsspezifischer Armut ver-deutlichten, folgte die Podiumsdiskussion zum

Veranstaltungsthema „Risiko Altersarmut – Frauenim Fokus“. Die Teilnehmenden setzten sich aus Ver-treterInnen unterschiedlicher gesellschaftlicherBereiche zusammen, um den komplexen Zusam-menhang von (Alters-)Armut und Geschlecht ausmehreren Perspektiven zu beleuchten.

Moderation:Constanze AngermannJournalistin und Moderatorin; seit 1995 tätig fürden Hessischen Rundfunk; bekannt durch die lang-jährige Moderation der Hessenschau

Teilnehmende:Dr. Brigitte BertelmannVolkswirtin; Referentin für Wirtschafts- und Finanz-politik im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortungder Evangelischen Kirche in Hessen und NassauGordon BonnetJurist; Leiter der Unternehmenskommunikation undMitglied der Geschäftsführung der IHK WiesbadenArno GoßmannBürgermeister und Sozialdezernent derLandeshauptstadt WiesbadenGabriele Hermes-LennichRechtsanwältin und Mediatorin;juristischer Arbeitsschwerpunkt im FamilienrechtPhilipp JacksSoziologe M.A., DGB–KreisverbandsvorsitzenderWiesbaden-Rheingau-TaunusProf. Dr. Barbara RiedmüllerSozialwissenschaftlerin; emeritierte Professorin derFU Berlin mit dem Arbeitsschwerpunkt Sozialpolitikund Komparatistik

Constanze Angermann eröffnet die Podiumsdiskussi-on mit der Feststellung: Der Staat benötige Menschen,die in Zukunft für die Rentenzahlungen aufkommen –also Familien, die heute willens sind, Kinder zu bekom-men. Dann aber müsse der Staat auch dafür sorgen,dass entsprechende Rahmenbedingungen geschaffenwerden, um für Mütter und Väter die Gleichzeitigkeitvon Erwerbs- und Familienarbeit zu ermöglichen.

Die erste Frage geht an Bürgermeister und Sozial-dezernent Arno Goßmann: Auf die Kommunenkomme einiges zu – „haben Sie als Kommune IhreHausaufgaben denn gemacht?“Goßmann antwortet: „Seit einem Jahr forcieren wirden Krippenausbau.“ Es würden in Wiesbaden riesi-ge Anstrengungen unternommen. Ende des Jahres2015 gebe es eine Betreuungsquote von 40 – 41 %gegenüber den geforderten 35%. Wiesbaden habealso „seine Hausaufgaben gemacht“ und „wir habenein gutes Angebot, das auch sehr gut angenommenwird“. Im Vergleich zu anderen Großstädten könneman sich damit sehen lassen.

Philipp Jacks wird gefragt: Wie schwierig war esdenn für Ihre Familie, einen Kita-Platz zu finden?Jacks berichtet: Aufgrund eines kurzfristigen Um-zugs nach Wiesbaden konnte er seine Kinder nichtfrühzeitig in die Wartelisten eintragen. Nach länge-rer Zeit derUngewissheit konnte durch einen „glück-lichen Zufall“, aber noch rechtzeitig ein Platz gefun-

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Krippenausbau

Kinderbetreuung

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den werden, „aber es war schwierig“. Die Krippen-betreuungsmöglichkeiten reichen jedoch seiner An-sicht nach nicht aus. Das sei kein Wiesbadener Pro-blem. Aber bei einer Arbeitszeit von 9 bis 17 Uhrseien die Öffnungszeiten der Kindertagesstättennicht kompatibel, erst recht nicht bei noch ganz an-deren Arbeitszeiten, wie sie im Einzelhandel üblichsind. Wenn man die Zahlen zwischen West- und Ost-deutschland vergleicht, werden allerdings großeUnterschiede deutlich: Bessere Betreuung in derehemaligen DDR habe dazu geführt, dass die Frau-en dort eher einen Vollzeitjob gehabt hätten. Darumsei dieRentenlücke dort auchnicht so groß. Dasmüs-se jetzt hier auch flächendeckendhinbekommenwer-den. „Damit die Leute, die Vollzeit arbeiten wollen,dies auch können.“ Hier sei trotz eines gestiegenenBeschäftigungsanteils die Quote der Vollzeitarbeits-plätze zurückgegangen. Viele hätten Minijobs oderandere „atypische Beschäftigungen“. Der Unter-schied zwischen gewünschter und realer Arbeitszeitsei in keinem anderen Land so groß wie in Deutsch-land. Jacks plädierte für eine familienfreundliche Fle-xibilisierung der Arbeitszeiten. Manchewollten auch„nur zwei Stunden weniger pro Tag arbeiten“. „Dasmuss auch möglich sein!“

Gordon Bonnet hält dagegen, dass genau dies invielen größeren Betrieben bereits praktiziert werde.Der größte Arbeitgeber in Wiesbaden, die R+V-Versicherung, biete über 500 individuelle Teilzeitre-gelungen an, die sich zum Beispiel durch Lage derArbeitszeit oder den Arbeitsumfang unterscheiden.Es gebe zahlreiche Unternehmen, die Arbeitsplätzemehr nachdenBedürfnissenderArbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer ausrichteten. Gerade in den letz-ten Jahren habe sich besonders bei größeren Un-ternehmen viel getan. Wichtiger fände er – auch auseigener Erfahrung – dieOrganisation derAnmeldungzur Kinderbetreuung. Dass man sich bei den ver-schiedenen Trägern jeweils einzeln anmelden müs-se, sei verbesserungswürdig. „Aber die Leute, diedann sagen, es hat doch geklappt, sind auch in mei-nem Bekanntenkreis in der Mehrheit“. Wenn dieBetreuung besser ausgebaut würde, kämeman auchan die „guten Arbeitskräfte“ der Frauen heran. Beiganz kleinen Betrieben sei es oftmals schwieriger,Arbeitnehmerinnen zeitlich entgegenzukommen.Es ist eine große Herausforderung“ – sowohl beimUmdenken als auch bei der tatsächlichen Organisa-tion.

Die Frauen, soModeratorinAngermann, hätten aberauch noch ein anderes Problem: Viele verdienen imgleichen Job weniger als Männer „und das wohlnicht nur, weil sie sich die falschen Jobs aussu-chen“. Dazu die Frage an Bonnet: Was sagt die IHKdazu, in gesellschaftspolitischer Hinsicht?Der IHK-Sprecher weist auf „Nebenschauplätze“ desKarrieremachens hin. Karriere werde auch oft beiAbendterminen gemacht, es gebe eine unausge-sprochene, aber allgemein übliche „Präsenzkultur“.Das sei für Frauen mit Kindern natürlich schwierig.Auch hier müsse man umdenken. „Das gilt aber fürVäter wie Mütter gleichermaßen: Man möchte ja beiseinen Kindern sein.“ Dann aber sei es oft schwierig,die nächste Karriereebene zu erreichen. Umdenkensei aber aucherforderlich, umanzuerkennen,wie vie-le Väter undMütter dieDoppelbelastungmeisterten,im Job erfolgreich und in der Familie präsent zu sein.„Es muss stärker gesehen werden, was für eine tol-le Leistung das ist!“

Zum Thema gleiche Bezahlung richtet Angermanndas Wort an den Bürgermeister: Verdienen Frauenin derWiesbadenerVerwaltung gleich viel wieMän-ner?Goßmann hebt hervor, dass die Quote von Frauen inleitenden Funktionen in der Wiesbadener Stadtver-waltung hervorragend sei: Im Magistrat und in sei-nem eigenen Amt sei bei den Abteilungsleitungeneine „gute Quote“ verwirklicht. „Das Entscheidendeist, eine gute Frauenförderung auf den Weg zu brin-gen.“ Dann könne man auch den Arbeitsalltag sogestalten, dass Frauen – wie auch Männer – dieMöglichkeit haben, ihre Kinder zu sehen. „Das geht,wennmanes organisiert undwennmanes auchwill.“Vereinbarungen müssten getroffen, dann aber auchgelebtwerden: „Danngibt es individuelle Lösungen."Auch bei der Stadtverwaltung beständen Möglich-keiten, die Arbeitszeit individuell einzuteilen. DieStadt gebe im Übrigen jährlich über 100 MillionenEuro für die Betreuung von Krippen-, Kindergarten-und Grundschulkindern aus. Zum Thema gleicherLohn für gleiche Arbeit verwies der Bürgermeisterauf die geltenden Tarifverträge, die selbstverständ-lich für Männer und Frauen gelten. Verändern müs-se sich jedoch vieles bei den Führungsstrukturen.Auch hier hieße das Stichwort „Umdenken“. „Infor-melle Ebenen dürfen nicht über Karrieremöglichkei-ten entscheiden.“

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GleicheBezahlung

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„Wählen Frauen denn immer noch die falschen Be-rufe?“will Angermann vonDr. Brigitte Bertelmann,Volkswirtin imDienst der evangelischenKirche,wis-sen. Berufe, die schlechter bezahlt würden und dienicht automatisch zum Aufstieg in Führungsposi-tionen führten, obwohl die Frauen immer bessereBildungsabschlüsse mitbrächten.Bertelmann berichtet von ihrer eigenen Berufswahl.1972 stellte sich die Frage, was sie studieren wollte.„Meine erste Wahl war Chemie." Bei einem Praktikumin einem Chemieunternehmen habe der Vorstand zuihr gesagt: „In diesem Beruf können Sie eine eigeneFamilie vergessen. Das geht überhaupt nicht in Teil-zeit.“ So entschied sie sich für Volkswirtschaft, ummehr Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. Doch auchdort ließen sich qualifizierte Teilzeitstellen schlechtfinden, als sie nach der Familienpause wieder einstei-gen wollte. Nach ihrer Erfahrung verhindere Familien-arbeit, ernsthaft Karriere zumachen. „Daswar damalsso: Ganztags Kinderbetreuung, vor allem Krippen-plätze, gab es nur, wennman alleinerziehend war oderinNot. DasöffentlicheAngebotwar gering.Wenn, dannmusste man selbst etwas organisieren.“ Frauen woll-ten oft nicht nach „männlichen Mustern“ arbeiten.Zutrauen würden sie es sich sicher in den meistenFällen, „aber sie wollen nicht abends mit Männern inKneipen rumsitzen, um die Karriere zu fördern“. DieBilder in den Köpfen seien immer noch davon domi-niert, dass Frauen die Verantwortung in den Familienhätten und Männer im Berufsleben. „Wenn sich dieseBilder endlich ändern, dannwärenwir ein großesStückweiter." Natürlich könne man dies nicht „verordnen“.Aber „wenn beide Elternteile eine gute Ausbildunghaben, dann muss es doch möglich sein, dass bei-spielsweise beide zu 75%arbeiten“. DasPostulat „Dasgeht nicht“müsse abgeschafftwerden. Dies zu ändern,sei eineSachedes politischenWillens, des Lernens undder Entwicklung in den Familien – und dass man aufgute Erfahrungen anderer zurückgreifen undguteBei-spiele finden könne.

Wieso aber, fragtAngermann, sei es immer noch so,dass der „Mann ein Märtyrer“ sei, wenn er Erzie-hungsurlaub nehme? Aus welchem Grund nehmennicht beide Geschlechter paritätisch die Elternzeitin Anspruch?Die Antwort von Bonnet lautet: Dasmüsseman auch

innerhalb der Familie und Paarbeziehung klären. Ge-rade beim Thema Altersarmut müssten beide Part-ner ihre eigene Planung durchdenken und die Prä-gung der alten Rollenbilder endlich abschütteln.Untereinander zu klären,wie die eigeneAbsicherungfürs Alter aussehen könne, sei wichtig. Das müsseman auch durch „Privatverträge“ klären. „Dafür istEhrlichkeit nötig." Er selbst sei "nur" vier Monate inElternzeit gewesen. Das sei allerdings schonmehr alsbei vielen anderen. „Abfälligen Kommentare“ hätteer nur wenige hören müssen, aber „Das muss manauch aushalten." Gute Beispiele seien hilfreich. Manmüsse den Wunsch nach Elternzeit als Mann auchoffensiv vertreten und nicht nur „leise nachfragen“.In der jetzt jüngerenGenerationhabe sich bereits vielverändert, auch das Umdenken sei auf dem Weg.Die IHK habe sich als familienfreundlicher Betriebzertifizieren lassen, dies täten auch viele andere.

AuchJacks kann von ähnlichenSituationen aus seinereigenen Erfahrung berichten. „Unsere Vätergenera-tion ist schon so, dass viele Elternzeit nehmen.“ „Dum-me Kommentare“ seien selten. Der gesellschaftlicheWandel müsse sich aber auf allen Ebenen vollziehen –in der Familie, in den Betrieben, in der Politik. Es seinoch ein weiter Weg zu gehen. Im Augenblick seiendie politischen Rahmenbedingungen immer nochso, dass die „traditionelle“ Familien-Rollenverteilunggefördert werde – Stichworte Ehegattensplitting,kostenlose Mitversicherung der Ehefrau. Und auchdie generell schlechtere Bezahlung „typischer Frau-enberufe“, wie Erzieherin, müsse überdacht werden.„Wir haben ein männlich dominiertes Gesellschafts-bild.“ Verantwortung für Menschen werde geringerwertgeschätzt als Verantwortung für Technik. Andieser Einstellung müsse auch angesetzt werden.Ein weiteres Problemfeld sei die familiäre Pflege derälteren Generation. „Auch das hängt noch haupt-sächlich an den Frauen“, und hindere die weiblicheErwerbstätigkeit. Auch hier müsse man andere Orga-nisationsformen finden. „Da müssen wir alle gemein-sam ran!“ Anreize zur Unterstützung für Eltern – oderPflegezeit könnten Abhilfe schaffen. Außerdem dürfees keinerlei unterschiedlicheBezahlung zwischenMän-nern und Frauen geben. Wo Tarifverträge eingehaltenwerden, ist dies bereits der Fall.

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Berufswahl

FamilialeRollenverteilung

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Angermann fragt Riedmüller: Ist es so, dass Frau-en wohl Karriere machen möchten – „aber nicht zumännlichen Bedingungen“?Riedmüller betont, dass man solche Rahmenbedin-gungen nicht per Gesetz „erzeugen“ kann. Sie selbstsei als Professorin sehr oft die einzige Frau unterMännern gewesen. „Das ist meine Berufserfahrung.“Es gebe noch immer große kulturelle Differenzenzwischen den Geschlechtern. Wie finde kulturellerWandel statt? Entweder durch „Bildungsschichten, diees vorleben“ oder durch Katastrophen. „Wenn eineKatastrophe stattfindet, muss man sich verändern.Und dieseKatastrophe heißt nun „Armut“. Armutwer-de zur stärksten Herausforderung der Zukunft. „EineKommune wie Wiesbaden kann es sich einfach nichtleisten, einen so hohenGrundsicherungsanteil bei denFamilien zu haben.“ Wenn man beispielsweise denKita-Besuch von Kindern fördere, könneman künftigeArmut schon teilweise vermeiden. „Vielleicht brauchenwir die Katastrophe, um manche Parameter zu än-dern“, fragt sich Riedmüller. Dennoch seienMenschenlernfähig. Wenn gesellschaftliche Akteure dezidierthandelten, könneman die Katastrophe vielleicht nochvermeiden. Auch einzelne Familien könnten Vereinba-rungen treffen. „Doch wie kommt man an andereheran?“ Es seien auch von sozialplanerischer SeiteAnstrengungen gefordert, auf bestimmte Bevölke-rungsgruppen zuzugehen, die nicht von selbst Hilfesuchten. „Das kostet aber Geld.“ Doch auf lange Sichtkönne man damit Bedürftigkeit verhindern.

Wie kommt man dazu, Bildung zu etablieren, haktAngermann nach, „gerade auch für Mädchen, diesich vielversprechendere Berufswege aussuchenmüssen?“ Wie können persönliche Neigungen undArbeitsmarktanforderungen zusammengebrachtwerden?Das „getrennte Lernen“ müsse abgeschafft werden,sagte Riedmüller. Man brauchemehr Angebote für we-niger leistungsbereite Schülerinnen und Schüler. Lei-stungsbereitschaft, so Riedmüller, werde in anderenLändern, wie zum Beispiel Großbritannien, wesentlichaktiver und konkreter gefördert. „In Deutschland wirdleider vorwiegenddiskutiert.“ Es seien sehrwenigekon-krete Maßnahmen umgesetzt worden, „eine der weni-gen ist das Kindergartengesetz“. Viele andere Themenblieben „Lippenbekenntnisse“. Es sei wichtig, auf kom-munaler Ebene konkrete Verbindungen herzustellen.

Angermann weist darauf hin, dass ja gerade dieseVeranstaltung als so eine konkrete kommunaleMaßnahme gelten kann. Ein weiteres Thema sind„Minijobs“, die wenig bis nichts zur Altersvorsorgebeitragen. „Was muss sich da ändern?“ fragt An-germann den Gewerkschaftsvertreter Jacks.Die Minijobs, so Jacks, müssten auf jeden Fall vollsozialversicherungspflichtig werden. Minijobs seienin der derzeitigen Form „ein Riesenproblem“. Ent-weder sie werden als Zweitjob gemacht, weil dasreguläre Gehalt nicht zum Leben reicht, oder Men-schen gingen arbeiten, und seien dennoch auföffentliche Unterstützung angewiesen – zunächstneben dem Minijob und später im Alter. „Minijobssollten am besten abgeschafft werden und in nor-male Teilzeitjobs umgewandelt werden.“

Goßmann verweist noch einmal auf die kommuna-len Bildungsanstrengungen. Man betreibe in Wies-baden gezielte Bildungspolitik, zum Beispiel auch inder frühkindlichen Bildung. Und: „Die, die den nor-malenHauptschulabschluss nicht schaffen, brauchenUnterstützung. Wir haben dazu ein bundesweitanerkanntes Programm der Schulsozialarbeit ent-wickelt“. Auch die Eltern werden hier „mit ins Bootgeholt". „Wir wollen niemanden zurücklassen“, sagtGoßmann. In Zusammenarbeitmit denörtlichenGre-mien, wie der Handwerkskammer, der IHK oder derkommunalen Ausbildungsagentur, werden Erfolgeerzielt. Manche, die „bisher durch das Raster gefal-len sind, schaffen so doch noch einen qualifiziertenHauptschulabschluss oder werden wenigstens aus-bildungsfähig gemacht.“ Vielleicht würde man dasSystemderMinijobs irgendwanngar nichtmehr brau-chen. Er stimme Jacks‘ Kritik an den Minijobs durch-aus zu: „Am besten wäre es, wenn so etwas gar nichtmehr existieren würde.“ Auch die Etablierung einesMindestlohns halte er für gut und für „keine zu ho-he Anforderung an die Politik“. Leider hätten dieKommunen vieles „auszubaden“, was über Bundes-gesetze vorgeschrieben werde. Gerade beim Kinder-gartengesetz habe es anfänglich geheißen, dassBund, Länder und Kommunen sich die Kosten teilen.„Aber wir zahlen aktuell 77%“, sagte Goßmann. Erwolle gerne einmal erleben, dass die Kommunen et-was umsetzen, aber Bund und Länder die Kostenübernehmen.

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FrauenundKarriere

Berufswege fürMädchen

Minijobs

KommunaleBildungspolitik

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Angermann fragt die Scheidungsanwältin undMediatorinGabrieleHermes-Lennich nach ihrenEr-fahrungen zumThemaScheidung alsArmutsrisiko.Mediation, sagt die Anwältin, sei leider nicht weit ge-nug verbreitet. Viele Paare wüssten nicht, dass es soetwas gibt oder wollten dies nicht. Dabei sei es einsinnvolles Instrument, um beispielsweise Rentenan-wartschaften gerecht zu verteilen. Scheidung sei eingroßes Armutsrisiko, wenn Vermögen und Anwart-schaften rein gesetzlich geteilt würden. Frauen sei-endefinitiv benachteiligt, wenn sie nur eingeschränktoder vorübergehend eigene Rentenanwartschaftenerworben hätten. Staatlich könne man nur gegen-steuern, wenn eine gleiche Rente für alle etabliertwürde, „ganz gleich, wie lang der Arbeitseinsatzwar“. So sei es beispielsweise in der Schweiz.Ein weiterer Ansatz wäre der Abschluss eines „ge-scheiten Ehevertrags“, der die Rentenanwartschaf-ten gerecht regelt – mit oder ohne staatliche Hilfe.Eheverträge seien aber nicht sehr verbreitet und fürviele nicht zu finanzieren, weil man dazu einenRechtsanwalt aufsuchen müsse. Sie stehen zudemder romantischen Erwartung vor einer Eheschlie-ßung im Wege. „Aber eine Versorgerehe in dieserForm gibt es nicht mehr. Esmuss eigentlich für jedesjungePaar selbstverständlich sein, einen Ehevertragzu machen." Auch für „Normalverdienende“, denenman mit einfacher Finanzierung eines solchen Ver-tragsabschlusses entgegenkommen müsse. Vieledenken, dass sie sich diese Prozedur nicht leistenkönnten.Zudem dürfe es nicht so „verpönt“ bleiben, Kinderin die Krippe zu geben. „Das ist nur in Deutschlandso.“ Und es fördere weiterhin, dass Frauen dem Ar-beitsmarkt fern blieben. Eigene Erfahrungen vonHermes-Lennich aus Frankreich sprechen eine an-dere Sprache. „Nur hier werden Kinder bedauert,die in der Krippe sind.“ Es müsse auf jeden Fall einUmdenken stattfinden. Kinder entwickelten ganz an-dere soziale Kompetenzen, wenn sie in Krippe oderKita betreut würden.

Angermann bringt die Idee ins Spiel, bei Scheidun-gen Mediation zu „verordnen“. Das könne im Vor-feld vieles klären und im Ernstfall vereinfachen.Hermes-Lennich erklärt, dass Mediation auf jedenFall ein freiwilliger Prozess sei: „Das ist eines derGrundprinzipien und wesentlichsten Säulen von Me-diation.“ Doch sie könne auch als Anwältin beraten.Sie empfehle auf jeden Fall, auch bei derHeirat schonan Fragen wie Unterhalt und Altersvorsorge, auchim Falle einer Trennung, zu denken. Ebenfalls solledas beabsichtigte „Ehemodell“, gerade in Fragen derKinderbetreuung, geklärt werden: Wer bleibt zuHause? Wer reduziert die Arbeit? Wie ist der eigeneKarrierewunsch?Wenndie Ehe doch scheitert – „waszu 50% wahrscheinlich ist“ – kämen viele völlig un-vorbereitet zu ihr. Es sei ja inOrdnung,wennman kei-nenausgeprägtenKarrierewunschhabe. „Dannmussman aber von vornherein dafür sorgen, dass, wenndie Ehe scheitert, ein finanzieller Ausgleich stattfin-det.“ Es schade nicht, sich zumindest Szenarien zuüberlegen, um für einen „Ernstfall“ vorbereitet zusein – auch wenn dieser dann doch nicht eintritt.

Dass die „Versorgerehe“ nun Geschichte ist, soAngermann, hätten wohl die meisten begriffen.Doch eine völlig gleichberechtigte, partnerschaft-liche Beziehung führten dennoch die wenigsten.„Wie kriegen wir das hin?“ fragt sie Bertelmann.Das müsse auf verschiedenen Ebenen stattfinden,erwidert Bertelmann. GenerationenübergreifendeVerantwortung begleite einen sehr lange. Für Famili-enbedürfnisse flexibel sein zu können, ob für dieKindererziehung oder die Pflege älterer Menschen,müsse „ein Gemeingut“ sein. Die Entscheidung, Elternzu werden, sei zwar eine persönliche Entscheidung.Doch Kinder großzuziehen, sie darauf vorzubereiten,Mitglieder der Gesellschaft zu werden, „das ist einewirtschaftliche und gesellschaftlich relevante Lei-stung“. Wenn die Balance zwischen der Anerkennung,der materiellen Unterstützung und dem, „was die Ein-zelnen investieren“, nichtmehr stimme, „dannwerdenviele sagen, die Kosten sind zu hoch, das mache ichnicht“. Unser gesellschaftliches System beziehe dieseLeistung nur in sehr geringer Weise mit ein, sagt dieVolkswirtin. Wenn Frauen tatsächlich die Wahl haben,Kinder zu bekommen oder nicht – ergebe sich genau

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ScheidungalsArmutsrisiko

gleichberechtigteFamilienarbeit

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aus diesem Grund ein Geburtenrückgang. Das habeman in den letzten Jahrzehnten gesehen. Man benö-tige eine sehr viel höhere finanzielle Anerkennung derFamilienleistung. „Diese muss anspruchsbegründendwerden.“ Zudem werde eine andere Art der Finanzie-rung gebraucht als nur über sozialversicherungs-pflichtige Arbeit, da man bereits jetzt eine geringereLohnquote habe. Bertelmann empfiehlt die Finanzie-rung über allgemeine Steuern oder eine Bürgerversi-cherung nach Schweizer Vorbild, die alle Einkunftsar-ten einbezieht und Leistungsansprüche nicht über-wiegend durch abhängige Erwerbsarbeit begründet.AuchdieWertschätzungmüsse sich verändern. „WennFamilienarbeit nicht als Arbeit bezeichnet wird, fängtes damit schon an.“ Es sei notwendig, dass man Fami-lienarbeit als gesellschaftlich relevante Leistung sieht,fügt Bertelmann an. Es sei genauso wichtig, als Kom-mune in die Kinderbetreuung und als Unternehmen inAusbildung und Familienunterstützung zu investieren.„Das widerspricht aber dem betriebswirtschaftlichenDenken“, das kurzfristigereErfolge in denVordergrundstellt, sagtBertelmann. Die Investitionen inKinder- undFamilienförderungundderen gesellschaftlicher Ertragseien hingegen langfristiger angelegt.

In der Schlussrunde formulieren dieTeilnehmerinnen und Teilnehmerkonkretere Forderungen:

Bertelmann: Der Systemfehler sei, dass die gesell-schaftlich relevanteLeistungvonFamilien nicht aner-kannt, sondern als Privatsache gesehenwerde. „Kin-der kriegen die Leute immer“ – das berühmte Aden-auer-Zitat – stimme eben nicht. Das Renten- und Fa-milienbild heute sei aber immer noch ein Abbildvergangener Zeiten. Die nötigen Rahmenbedingun-gen für Betreuung seien immer noch nicht so ge-schaffen, dass die althergebrachte Rollenverteilungaufgebrochen werden könne. Eine volle Rente gebees immer noch erst nach 45 Beitragsjahren. Das ent-spreche nicht der Realität. „Aber wir passen es nichtan.“ Auch nichteheliche Partnerschaften, die überviele Jahre Verantwortung für Kinder übernehmen,bekämen immer noch nicht vergleichbare Leistun-gen wie Ehepaare – Stichwort kostenlose Mitversi-cherung von Ehefrauen. SozialversicherungsrechtundSteuerrechtmüssten andie verändertenBegriffe

von „generationsübergreifenden Lebensgemein-schaften“, die durchKindererziehungLeistungen fürdie Gesellschaft erbringen, angepasst werden.Die Ehe sei immer noch das Leitbild der Gesetzge-bung. Doch das entspräche nicht mehr der real vor-gefundenen Situation vieler Familien.

Hermes-Lennich: „In denKöpfenderMenschenmusswas korrigiert werden“. Man brauche kein kompli-ziertesVersorgungsausgleichsverfahren, keinenEin-satz von Juristen in teuren Scheidungsverfahren.„Wieso kann eine Ehe nicht einfach nur beim Stan-desamt geschieden werden?“ Teuer und kompliziertsei in diesem Land nur der Versorgungsausgleich.Das ließe sich doch ändern. Das Unterhaltsrecht seiwillkürlich und unübersichtlich, bestehe aus Hun-derten widersprüchlicher BGH-Entscheidungen. Damüsse es einheitliche Regelungen geben.

Riedmüller: Die Rentenreform habe nur das beste-hendeSystembeibehalten. „Das entspricht nichtmehrderWirklichkeit.“ DieAlternative dürfe aber auchnichtsein, dass Erziehungsleistung rentenrelevant sei, denndas zementiere die traditionelle Rollenverteilung. DerSystemfehler sei, dass die Rente aus der Rentenkassebezahlt wird. Es sei eine gesamtgesellschaftlicheVerantwortung. Daher müsse die Rente auch aus dergesellschaftlichen Verantwortung, aus dem Steuer-aufkommenbezahltwerden. Das dürfe dann aber auchnicht dazu führen, dass Frauennicht erwerbstätig sind!Man müsse beide Wege gleichzeitig gehen: „Wir brau-chen die Frauen im Arbeitsmarkt.“ Erwerbstätigkeitsei eine Säule der sozialen Sicherung. Beides müsse„zusammengedacht“ werden. „In Deutschland ist esimmer ein Entweder-Oder.“ Dennoch dürfe man nichtdenhistorischen Fehler beibehalten, „Armenfürsorge“und Sozialversicherung zu trennen. Die Rentenreformsei durch die „unselige Struktur des Lobbyismus“behindert worden. Es existierten zu kleinteilige For-derungen.

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Rentensystem

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Bonnet: „Das Ehegattensplitting halte ich für veral-tet, es muss abgeschafft werden.“ Und: Auf demStandesamt sollten nicht nur „Lebensweisheiten“ er-zählt, sondern es müsse auch gleich konkret nachEheverträgen gefragt werden. „Ich wünsche mirselbstbewusste Männer und Frauen, die partner-schaftlich untereinander klären, was sie wollen undmit demselben Selbstbewusstsein bei ihren Arbeit-gebern sagen, was sie sich wünschen.“ Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter, die direkt nachfragen, ebenauch Männer, die die Arbeitszeit reduzieren wollen,müssten das offensiv vertreten. Dann seien viele Ar-beitgeber auch bereit dafür. Der Fachkräftemangelspiele guten Arbeitskräften in die Hände.

Jacks: Eheverträge können eine Hilfe sein, um ge-setzliche Mängel auszugleichen. Aber nicht jederkann sich die dafür nötige, gute Beratung leisten –Stichwort Anwaltsgebühren. Zielmuss also eineVer-besserung der Gesetze sein. Ein Ehevertrag sei alsonur eine kurzfristige Lösung für ein gesamtgesell-schaftliches Problem. Um reale Gleichstellung zu er-reichen, muss sich das Bewusstsein der Arbeitneh-

mer und insbesondere der Arbeitnehmerinnen än-dern. Sie sollten sich gewerkschaftlich organisierenund gemeinsam für ihre Rechte eintreten. Arbeitge-bermüssten ihrer gesellschaftlichen Verantwortunggerechtwerdenunddie Tarifverträgebeachten, stattTarifflucht zu betreiben. Politikerinnen und Politikermüssten Rahmenbedingungen schaffen, mit denenArbeit gerecht verteilt wird. „Man muss die entspre-chenden Anreize schaffen.“ Und alle müssten sichfragen,wie ihrGesellschaftsbild fortschrittlicherwer-den kann. „Es fiel hier das Argument, dass bei Mi-grantinnen und Migranten noch stark traditionelleRollenbilder herrschen. Das ist bei uns auchnoch keinhalbesJahrhundert her!“DieRollen veränderten sichauch am ehesten in bildungsaffinen Schichten. Da-her sei es wichtig, mittels Bildung fortschrittlichesDenken zu ermöglichen.

Goßmann: Wichtig sei die Diskussion über die Aus-wirkungen des Betreuungsgeldes. Es hemme die Er-werbstätigkeit der Frauen und sei „dann wieder eineUrsache für Armut im Alter.“ Durch die ausführliche,hilfreicheDiskussion über die Eheverträge bei dieserVeranstaltung nehme er aber den Plan mit, seinenKindern den Abschluss eines Ehevertrags grund-sätzlich zu empfehlen.

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Die Podiumsrunde im Gespräch

Ehegattensplittingund Ehevertag

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Das Thema frauenspezifische „Armutsfallen“im Lebensverlauf wurde in der Fachtagungeingehend von sehr unterschiedlichen Seiten

beleuchtet. Sowohl die Vorträge als auch die Podi-umsdiskussion warfen wichtige Diskussionssträngeauf, die die Altersarmut von Frauen in einen Kontextzum Lebensverlauf setzten. Einige wichtige Aspekte,die im Verlauf der Veranstaltung herausgearbeitetwurden, werden hier im Sinne eines Fazits pointiertdargestellt:

Altersarmut von Frauen ist ein gesamtgesell-schaftliches Thema: Eine der zentralen Aussagender Veranstaltung war, dass erhöhte Altersarmut fürFrauen kein alleiniges „Frauenthema“ ist, das es mitden Frauen zu „lösen“ gilt. Hinter diesem Phänomenliegt ein großes gesellschaftliches Thema. Es ist dieFrage, wie die Verteilung von Erwerbs- und Familien-arbeit gerecht zwischendenGeschlechtern aufgeteiltwerden kann, damit Frauen und Männer die gleichenChancen auf eine auskömmliche Altersversorgunghaben. Und nicht nur hinsichtlich der Altersversor-gung ist dies eine grundlegende Frage, sondern auchfür das Risiko schon in jungen Jahren arm zu sein.Frauen sind durch die Übernahme der Kinderbetreu-ung und damit einhergehender reduzierter Erwerbs-arbeit schneller abhängig von staatlichen Unterstüt-zungsleistungen,wennbeispielsweise Scheidungundalleiniges Sorgerecht die Lebenssituation verändern.

Die „kulturelle Linie" muss aufgebrochen werden:Riedmüller betonte den Aspekt der „kulturellen Linie“.Hier machte sie deutlich, dass es gerade in (West-)Deutschland eine starke kulturelle Tradition gibt, diedie Kinderbetreuung zu großen Teilen den Mütternzuschreibt und die daraus folgende Erwerbsreduzie-

rung ein gewünschtes Familienmodell ist. Getragenwird diese Vorstellung des vorherrschenden Famili-enmodells nicht nur von den Müttern und Väternselbst, sondern eben auch von anderen gesellschaft-lichen AkteurInnen, wie ArbeitgeberInnen, Politike-rInnen, Fallmanagementfachkräfte in den Jobcen-tern, ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen. Diese„kulturelle Linie“ aufzubrechen ist ein schwierigesUn-terfangen und bedarf der Diskussion um die Vertei-lung von familialer Arbeit und Teilhabe an Erwerbs-tätigkeit.

Änderungen im Steuer- und Sozialrecht sind not-wendig: Staatliche Interventionen oder das Unter-lassen von solchen Interventionen müssen in ihremEinfluss stärker beachtetwerden. Denn sie verändernoder manifestieren kulturelle Haltungen in nicht zuunterschätzendemMaße. Als ein Beispiel sei das Ehe-gattensplitting benannt, das geringfügige Beschäfti-gungsverhältnisse von Ehefrauen begünstigt. In die-sem Kontext muss auf Bundesebene dringend überVeränderungsbedarfe im Steuerrecht nachgedachtwerden, um die umfängliche sozialversicherungs-pflichtige Erwerbsarbeit von Frauen zu erhöhen.

Mehr Frauen müssen in Vollzeit erwerbstätig sein:Klar wurde im Verlauf der Veranstaltung, dass unterden momentan bestehenden Rahmenbedingungen,wie Steuerrecht und Rentensystem, eine Verringe-rung von (Alters-)Armut für Frauen nur darüber er-reicht werden kann, dass die sozialversicherungs-pflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in Vollzeit er-höht werden.

v Ausblick:Impulse fürdie Z

ukunft

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Was folgt aus der Veranstaltung für eineweitere Beschäftigung mit dem Thema?Zu den einzelnen Themengebieten sollen zielgrup-penspezifische Veranstaltungen in 2015/2016 ange-boten werden, die sich vertiefend mit einzelnenAspekten auseinandersetzen. Zwei der Themenfel-der haben sich direkt aus der Veranstaltung herausergeben:

1. Thema „Rechtliche Grundlagen - Ehevertrag“:Hierzu ist eine Informationsveranstaltung ange-dacht, woerörtertwird, warumein Ehevertrag ausjuristischer Perspektive bei Eheschließungen rat-sam ist und wie ein solcher konkret ausgestaltetsein sollte. Darüber hinaus ist eine stadtinterneKooperationmit demStandesamtangestrebt. Hierist zu prüfen, ob eventuell im Beratungsprozesskünftiger Ehepaare der Funktion eines Ehever-trags eine größere Bedeutung beigemessen wer-den kann.

2. Thema „Minijob“:Für diesenThemenkomplex isteine Tagung sinnvoll, die sich zunächst mit dervorfindbaren Situation des Zusammenhangs vonMinijob und Geschlecht beschäftigt. Daran kanndiskutiert werden, inwiefern dieser Bereich deratypischen Beschäftigungen Frauen strukturellbenachteiligt und ein (Alters-) Armutsrisiko birgt.

3. Thema „Familienmodelle der Zukunft“: Hierzuist eine Veranstaltung vorgesehen, die sich ein-gehender mit einem, beispielsweise skandinavi-schen, Familienmodell auseinandersetzt. An die-sem Beispiel wäre mit einem Experten oder ei-ner Expertin zu diskutieren, welcheAspekte auchin Deutschland adaptionsfähig sind.

Während der Vorbereitung der Fachtagung undbei der Präsentation der Datenlage in Wiesbadenfiel auf, dass Alleinerziehende die Gruppe vonFrauen sind, die sowohl schon während der Er-werbsphase als auch im Rentenalter das höchsteArmutsrisiko tragen. Diese Gruppe kam in derPodiumsdiskussion leider zu kurz. Gerade deshalbsoll es in der weiteren Veranstaltungsplanungauch um die Situation von Alleinerziehenden ge-hen:

4. Thema „Alleinerziehende“: Zu dem Themen-komplex „Alleinerziehende und Armut“ ist eineweitere Fachtagung Veranstaltung geplant, diesich mit der besonderen Risikolage von Alleiner-ziehenden auseinandersetzt.

Die Auftaktveranstaltung zum „Risiko Altersarmut –Frauen im Fokus“ wurde gut angenommen, stießauf eine große Resonanz und setzte erste wichtigeImpulse in Gang. Mit weiteren Informationsver-anstaltungen und Gesprächsplattformen wollendie VeranstalterInnen dieses Thema in 2015/2016konstruktiv und auf verschiedenen Ebenen verfol-gen. Ganz im Sinne Henry Wadsworth Longfellows:„Beharrlichkeit ist ein Hauptelement des Erfolgs.Wer lange genug an die Pforten schlägt, wird je-manden zu wecken vermögen.“

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