Tarifvertragsrecht Fachanwaltslehrgang im Arbeitsrecht München – Juni 2015.

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TarifvertragsrechtFachanwaltslehrgang im Arbeitsrecht

München – Juni 2015

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Zur EinstimmungPraxisfall 1:

Arbeitnehmerin A war in der Zeit vom 01.02.2014 bis zum 31.01.2015 beim Beklagten Omnibusunternehmen M als Busfahrerin beschäftigt. Arbeitsvertraglich war ein Entgelt von EUR 10,40 brutto/Stunde vereinbart. Der TV für das private Omnibusgewerbe in Schleswig-Holstein sieht eine Vergütung von EUR 14,60 brutto/Stunde vor.A verlangt Nachzahlung von insgesamt EUR 2.884,-- brutto Lohndifferenz. Sie behauptet, sie sei Mitglieder der Gewerkschaft ver.di, M Mitglied im Verband privater Omnibusunternehmer SH.Der TV enthält eine Ausschlussklausel von 3 Monaten nach Fälligkeit. A hat im September 2014 erstmalig die bis dahin bestehende Differenz geltend gemacht.

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Praxisfall 2:

Arbeitnehmerin A ist bei der … SH seit 1996 beschäftigt. Sie ist in die Entgeltgruppe 7 des BAT/… eingruppiert. Ab dem 01.08.2014 übernimmt sie kommissarisch, ab 01.01.2015 dauerhaft Tätigkeiten nach der Entgeltgruppe 8.Sie verlangt nun Feststellung, dass die … sie nach EG 8 zu vergüten hat.Die … beruft sich auf eine Dienstvereinbarung, nach der jeder Mitarbeiter, der Tätigkeiten der EG 8 ausübt und „nur“ …-Fachwirt ist (im Gegensatz zu …-Betriebswirten) zunächst 24 Monate weiter nach EG 7 vergütet wird.

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Praxisfall 3:

Arbeitnehmerin A ist Reinigungskraft auf einem Flughafen. Sie reinigt dort u.a. Toiletten. Sie wird nach der Entgeltgruppe 1 des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags für das Reinigungsgewerbe vergütet.Der TV sieht für die regelmäßige Reinigung von „öffentlichen Bedürfnisanstalten“ die Entgeltgruppe 2 vor.A verlangt Vergütung nach der Entgeltgruppe 2.

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Typische erstinstanzliche Mandate im Tarifrecht:

• Mandant fordert Vergütung(sbestandteile) aus TV• Tarifauslegung (z.B. „verantwortungsvoll“)• Arbeitnehmer wird kürzere Kündigungsfrist entgegen

gehalten• Ansprüche des Arbeitnehmers sollen nach Klausel in TV

ausgeschlossen sein• Eingruppierungsstreit• Verbandaustritt / „Tarifflucht“

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„Wellen“ im Tarifrecht der vergangenen Jahre:

• CGZP / Equal-Pay-Klagen Arbeitnehmerüberlassung• Klagen wegen Altersdiskriminierung aus TV• ERA-Klagen• (Blitz-)Wechsel in OT-Mitgliedschaften

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Streitschwerpunkte im Tarifrecht der kommenden Jahre:

• § 4 a TVG („Tarifeinheitsgesetz“)

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§ 4 a TVG (ab 01.07.2015)

„… Soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden … , sind im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat. …“

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RechtsgrundlagenArt. 9 Abs. 3 GG

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeits-kämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.

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RechtsgrundlagenArt. 9 Abs. 3 GG

• Individuelle und kollektive Koalitionsfreiheit• Positive und (?) negative Koalitionsfreiheit

Kann ein Tarifvertrag Leistungen nur für Gewerkschaftsmitglieder vorsehen und die Gewährung dieser Leistung an Nichtmitglieder ausschließen, sog. Differenzierungsklauseln? Nach Ansicht des Vierten Senats des BAG ist bei Differenzierungsklauseln zu differenzieren!

(BAG 18.3.2009 - 4 AZR 64/08 – Handout Fall 1)

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Rechtsgrundlagen

Kollektive Koalitionsfreiheit

Betätigungsgarantie der Koalitionen

Tarifautonomie

Befugnis, Tarifverträge abzuschließen und das Arbeits- und Wirtschaftsleben anstelle des Staates zu regeln.

Vorteil: größere Sachnähe.

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Rechtsgrundlagen

Der Abschluss von Tarifverträgen und die damit bewirkte Normsetzung ist kollektiv ausgeübte Privatautonomie.(BAG 7.7.2010 – 4 AZR 549/08 – Rn. 44 – Handout Fall 4)

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Rechtsgrundlagen

Einfachgesetzliche Grundlagen:• Tarifvertragsgesetz –

enthält Regelungen über Inhalt, Geltung und Wirkung von Tarifverträgen, nicht aber über die Anforderungen an tarifschließende Koalitionen

• Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG)• Tariföffnungsklauseln in Einzelgesetzen

(z.B. § 13 I BUrlG, § 4 IV EFZG, § 17 III BetrAVG)• neu ab 01.01.2015: Mindestlohngesetz (MiLoG)

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Aufgaben des tarifvertrag-lichen Regelungssystems

• Schutzfunktion – Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers beim Abschluss des Arbeitsvertrags → Richtigkeitsgewähr → keine Inhaltskontrolle von Tarifverträgen

• Ordnungs- und Verteilungsfunktion (sinnvolle, interessen- und bedarfsgerechte Regelung von Arbeitsbedingungen)

• Friedensfunktion (kalkulierbare Arbeitskosten ohne Gefahr eines Arbeitskampfes)

• Kartellfunktion (Schutz vor Schmutzkonkurrenz)

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Aufgaben des tarifvertrag-lichen Regelungssystems

• Aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie:„Die Ordnung des Arbeitslebens durch Tarifverträge ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Die Arbeitswelt hat sich in einer modernen Industrie- und Dienstleistungs-gesellschaft zunehmend fragmentiert. Dies hat den Tarifvertragsparteien die ihnen durch Art. 9 Absatz 3 des Grundgesetzes überantwortete Ordnung des Arbeitslebens strukturell erschwert.“

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Aufgaben des tarifvertrag-lichen Regelungssystems• „Die Arbeit aller Menschen ist wertzuschätzen. In Deutschland hat die

Beschäftigung zu niedrigen Löhnen in den vergangenen Jahren zugenommen. Insbesondere im Bereich einfacher Tätigkeiten sind die Tarifvertragsparteien oftmals nicht mehr selbst in der Lage, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen zu schützen. (…)“

• „Durch die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen geschützt. Zugleich trägt der Mindestlohn dazu bei, dass der Wettbewerb zwischen den Unternehmen nicht zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die Vereinbarung immer niedrigerer Löhne, sondern um die besseren Produkte und Dienstleistungen stattfindet. Das Fehlen eines Mindestlohns kann ein Anreiz sein, einen Lohnunterbietungswettbewerb zwischen den Unternehmen auch zu Lasten der sozialen Sicherungssysteme zu führen (….)“

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Umfang und Grenzen der Tarifautonomie

• Thematisch können nur Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen geregelt werden

• Begrenzung durch höherrangiges Recht (Grundgesetz; einfaches, zwingendes Gesetzesrecht und gesetzesvertretendes Richterrecht, sofern hierdurch in die Betätigungsfreiheit nicht unverhältnismäßig eingegriffen wird)

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Umfang und Grenzen der Tarifautonomie

• Bindung der Tarifvertragsparteien an die Grundrechte – unmittelbare oder mittelbare Bindung?BAG 27.5.2004 - 6 AZR 129/03 – 1. LS:„Die Tarifvertragsparteien sind als Vereinigungen privaten Rechts nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Gleichwohl müssen sie auf Grund der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte bei ihrer tariflichen Normsetzung den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG sowie die Diskriminierungsverbote des Art 3 Abs 2 und Abs 3 GG beachten.“

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Umfang und Grenzen der Tarifautonomie

Der Tarifvertrag im Normensystem• Zwingendes Gesetzesrecht geht dem TV vor• Der Tarifvertrag geht einer Betriebsvereinbarung vor,

§§ 77 III / 87 I 1 BetrVG• Der Tarifvertrag geht einer Reglung im Einzelarbeitsvertrag

vor, wenn der Arbeitsvertrag nicht eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung enthält, § 4 I, III TVG

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Formalien des TarifvertragsDer Tarifvertrag ist ein • schriftlicher (§ 1 Abs. 2 TVG)• auch den Bestimmungen des allgemeinen Vertragsrechts

unterworfener • (Normen-)Vertrag • zwischen zwei oder mehr • tariffähigen und tarifzuständigen Koalitionen i.S.d. Art. 9

Abs. 3 GG.

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Formalien des TarifvertragsFormen des Tarifvertrags• Verbands- oder Flächentarifvertrag• Haus- oder Firmentarifvertrag• Firmenbezogener Verbandstarifvertrag• Mehrgliedriger Tarifvertrag• (P) Gibt es einen Konzerntarifvertrag?• (P) „Tarifvertrag“ unter Einbeziehung des

Betriebsrats

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Formalien des Tarifvertrags• Schriftformerfordernis, § 1 II TVG

(P) Dynamische VerweisungenDas Bundesarbeitsgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung seit der Entscheidung vom 9. Juli 1980 - 4 AZR 564/78 - die Auffassung, dass die Rechtsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien grundsätzlich auch das Recht umfasst, auf jeweils geltende andere Vorschriften zu verweisen, sofern dem Schriftformerfordernis des § 1 Abs. 2 TVG genüge getan und die Sachgerechtigkeit der in Bezug genommenen Regelung gewährleistet ist.Die Schriftform dient beim Tarifvertrag lediglich der Klarstellung seines Inhalts. Dieses Ziel ist auch erreicht, wenn die in Bezug genommene Regelung anderweitig schriftlich abgefasst ist und so genau bezeichnet wird, dass Irrtümer über Art und Ausmaß der in Bezug genommenen Regelung ausgeschlossen sind (BAG 27. März 1963 - 4 AZR 72/62 -).

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Formalien des TarifvertragsKündigung des Tarifvertrags• Form und Frist werden normalerweise im Tarifvertrag

vereinbart• Bei der Form wird ansonsten § 623 BGB, bei der Frist § 77 V

BetrVG analog heranzuziehen sein• Eine Teilkündigung ist grundsätzlich ausgeschlossen• Auch außerordentliche Kündigung denkbar, allerdings erst

nach gescheiterten Versuch einer Anpassung des Tarifvertrags im Verhandlungsweg

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Inhalt von Tarifverträgen

• Schuldrechtlicher Teil• Laufzeit des TV/ Kündigungsmöglichkeit• Friedenspflicht / Schlichtungsvereinbarung• Durchführungspflicht

• Normativer Teil• Inhalts-, Abschluss- und Beendigungsnormen, § 1 I TVG• Betriebsnormen, betriebsverfassungsrechtliche Normen,

§§ 1 I, 3 II TVG

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Inhalt von TarifverträgenRegelungsbeispiele

Inhaltlich können Tarifverträge alle Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien betreffen:

- Klauseln über die Arbeitspflicht im Hinblick auf die Art der Tätigkeit, den Umfang der Beschäftigungspflicht, die Berechnung der Beschäftigungszeiten und ihre Lage und Dauer, die Möglichkeit, Mehrarbeit anzuordnen, und deren Bezahlung, über Urlaub, Zusatzurlaub und über Urlaubsübertragung sowie natürlich über Art (Prämien, Akkord), relative (Eingruppierung) und absolute Höhe (Festlegung des Ecklohns) der Vergütung.

- Beendigungsnormen können Regelungen über die Länge von Kündigungsfristen, den Ausschluss von ordentlichen Kündigungen oder Altersgrenzenbefristungen sowie nähere Bestimmungen über die Statthaftigkeit von Befristungsabreden in Arbeitsverträgen enthalten.

- Schließlich geht es vielfach in Tarifverträgen um Normen zur Absicherung der sozialen Lage der Arbeitnehmer, besonders auch von älteren Arbeitnehmern, gegenüber Veränderungen im Betrieb (Arbeitsanforderungen, Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer in einer bestimmten Qualifikationsstufe).

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Inhalt von Tarifverträgen

BAG Urteil vom 24.3.2009 - 9 AZR 983/07:

Rn. 81: „Die Parteien des Einzelarbeitsvertrags können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von § 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Mindestjahresurlaubsanspruch von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG beschränkt. Dem einzelvertraglich angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rspr des EuGH kein Gemeinschaftsrecht entgegen.“Rn. 84: „Für einen Regelungswillen der Parteien des Einzelarbeitsvertrags, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheidet, müssen im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB deutliche Anhaltspunkte bestehen.

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Inhalt von Tarifverträgen

BAG 23.3.2010 – 9 AZR 128/09 - Rn. 47:

Für einen Regelungswillen, der zwischen Ansprüchen auf Abgeltung von Mindest- und Mehrurlaub unterscheidet, müssen auch bei Tarifverträgen, die vor der Entscheidung des EuGH in der Sache Schultz-Hoff geschlossen wurden, deutliche Anhaltspunkte bestehen. Diese deutlichen Anhaltspunkte müssen sich aus Tarifwortlaut, -zusammenhang und -zweck sowie ggf. aus der Tarifgeschichte ergeben.

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Inhalt von Tarifverträgen

BAG 12.04.2011 – 9 AZR 80/10 -Kein „Gleichlauf“ liegt vor, wenn der Tarifvertrag entweder zwischen gesetzlichem Urlaub und tariflichem Mehrurlaub unterscheidet oder sowohl für Mindest- als auch Mehrurlaub wesentlich von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichende Übertragungs- und Verfallsregeln bestimmt.

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Inhalt von Tarifverträgen• Effektiv- und Differenzierungsklauseln:

Sie sollen dazu dienen, bei Tariflohnerhöhungen übertarifliche Leistungen zu erhalten.

Qualifizierte Differenzierungsklauseln sind nach h.M. unzulässig, da die Tarifvertragsparteien nicht befugt sind, den übertariflichen Teil zu regeln

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Inhalt von Tarifverträgen

Beendigungsnormen• Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit (daraus

folgt Sonderbehandlung bei Sozialauswahl, beachte BAG 20.6.2013 – 2 AZR 295/12)

• Altersbefristung

(P) Altersgrenze 65 – konstitutiv oder deklaratorisch bei Anhebung des Regelalters in der gesetzlichen Rentenversicherung auf 67 Jahre? => SGB VI § 41

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Inhalt von Tarifverträgen

• Altersbefristung(P) Grundsätzliche Zulässigkeit

Auch tarifliche Altersgrenzen unterliegen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle. Das BAG unterscheidet bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer auf das Erreichen eines bestimmten Lebensalters des Arbeitnehmers bezogenen Regelung zwischen den an das Rentenalter anknüpfenden Altersgrenzen (§10 Nr. 5 AGG) und solchen, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor diesem Zeitpunkt vorsehen. Letztere sind nur rechtfertigen, wenn das Erreichen eines bestimmten Lebensalters wegen der vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeit zu einer Gefährdung wichtiger Rechtsgüter führen kann (vgl. BAG 16.10.2008 - 7 AZR 253/07 (A)).

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Inhalt von Tarifverträgen

EingruppierungsvorschriftenHäufig – zB im öffentlichen Dienst – gilt eine Tarifautomatik, dh die Eingruppierung ist reine Subsumtion der Tätigkeit unter die Merkmale der Vergütungsgruppe. Ändert sich der Inhalt der zugewiesenen Tätigkeit, ändert sie die Vergütungsgruppe automatisch.Ist im Arbeitsvertrag eine bestimmte Vergütungsgruppe ausdrücklich benannt, ist zu prüfen, ob nur deklaratorisch oder konstitutiv (BEACHTE: Die Festlegung der Vergütungsgruppe kann den Umfang des Direktionsrechts nach § 106 GewO beschränken)

- NICHT Leistungsklage auf ordnungsgemäße Eingruppierung, sondern Leistungsklage auf bezifferten Lohnbetrag nach höherer Vergütungsgruppe oder Feststellungsklage (P) Klage auf zukünftige Leistungen

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Inhalt von Tarifverträgen

Betriebsverfassungsrechtliche Normen• § 3 BetrVG (zB Unternehmensbetriebsrat, Zusammenfassung

von Betrieben)• § 47 IV BetrVG: Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrats• Erweiterte Mitbestimmung bei personellen Maßnahmen,

z.B. in einem Sanierungstarifvertrag (vgl. § 102 VI BetrVG)

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Inhalt von Tarifverträgen

Betriebsverfassungsrechtliche NormenBundesarbeitsgericht 13. März 2013 - 7 ABR 70/11 –Die Wahl von Betriebsräten erfolgt nach § 1 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich in

den Betrieben. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG können aber durch Tarifvertrag „andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen“ bestimmt werden, „soweit dies insbesondere aufgrund der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation oder aufgrund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient.“ Ein Tarifvertrag, der diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist unwirksam. Eine dennoch auf der Grundlage eines solchen Tarifvertrags durchgeführte Betriebsratswahl ist zwar in der Regel nicht nichtig, aber anfechtbar.

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Inhalt von TarifverträgenBetriebsnormen – BAG 26.4.1990 - 1 ABR 84/87:

Immer dann, wenn eine Regelung nicht Inhalt eines Individualarbeitsvertrages sein kann, handelt es sich um Betriebsnormen und nicht um Inhalts- oder Abschlussnormen. Dabei ist das Nichtkönnen nicht i. S. einer naturwissenschaftlichen Unmöglichkeit zu verstehen, da theoretisch fast jede Sachmaterie als Arbeitsbedingung im Arbeitsvertrag geregelt werden kann (z. B. sogar auch die Voraussetzungen für die Benutzung einer Kantine). Würde man für die Annahme von betrieblichen Normen verlangen, dass es wissenschaftlich unmöglich sei, die Frage in Inhaltsnormen zu regeln, bliebe bei einer solch restriktiven Anwendung schon in sachlich-gegenständlicher Hinsicht kein Anwendungsbereich für Betriebsnormen mehr. Das entspricht aber weder dem Willen des Gesetzgebers noch erfordert es die nach Auffassung des BVerfG in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit. Es muss für die Annahme von Betriebsnormen ausreichen, wenn eine individualvertragliche Regelung wegen evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit ausscheidet.

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Inhalt von Tarifverträgen

Gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, § 4 II TVG (Regelungen im Drei-Personen-Verhältnis):

Sind im Tarifvertrag gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien vorgesehen und geregelt (Lohnausgleichskassen, Urlaubskassen usw.), so gelten diese Regelungen auch unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtung und das Verhältnis der Einrichtung zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

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Inhalt von Tarifverträgen

ProtokollnotizenOb eine Protokollnotiz selbst Tarifcharakter hat, oder ob sie lediglich als Interpretationshilfe für tarifliche Vorschriften dient, ist durch Auslegung zu ermitteln. Eine tarifvertragliche Regelung liegt vor, wenn in der Vereinbarung der Wille der Tarifvertragsparteien zur Schaffung einer tariflichen Regelung deutlich wird, etwa indem die Protokollnotiz inhaltlich und formal einem Tarifvertrag entspricht.Wiedemann/Thüsing TVG 7. Aufl. § 1 Rn. 317: Im Zweifel sollen Protokollnotizen Bestandteil des Tarifvertrags sein und Tarifcharakter tragen.

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Inhalt von TarifverträgenDie Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln:• Zunächst ist vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn

der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften.• Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der

Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat.

• Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann.

• Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.

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Inhalt von TarifverträgenErgänzende Auslegung von Tarifverträgen?

Auch tarifvertragliche Regelungen sind grundsätzlich einer ergänzenden Auslegung zugänglich, jedenfalls dann, wenn der Tarifvertrag lückenhaft geworden ist (BAG 20.7.2000 – 6 AZR 347/99 – zu II. 3. a, NZA 2001, 559 mwN). Es darf sich allerdings nicht um eine bewusste Auslassung der Tarifvertragsparteien handeln (BAG 24.9.2008 – 4 AZR 642/07 – Rn. 24). Im Falle einer unbewussten Lücke haben die Gerichte die Möglichkeit und die Pflicht, die Lücke, ggf. unter Rückgriff auf eine artverwandte und vergleichbare Regelung zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, wie die Tarifvertragsparteien den Sachverhalt bei Kenntnis der Lücke geregelt hätten. Diese Auslegung scheidet allerdings aus, wenn verschiedene Möglichkeiten bestehen, die Lücke zu schließen. In diesem Fall muss es allein den Tarifvertragsparteien überlassen bleiben, zu entscheiden, welche Lösungsmöglichkeiten gewählt werden soll.

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Inhalt von Tarifverträgen

Inhalts- oder Rechtskontrolle von Tarifverträgen?Da die Tarifvertragsparteien typischerweise in einem Gleichgewichtsverhältnis zueinander verhandeln und regeln, gilt für ihre Regelungen die Richtigkeitsvermutung der idealen Privatautonomie

- Keine Billigkeits- oder Angemessenheitskontrollenur Rechtskontrolle, vgl. § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB

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Die Parteien des TarifvertragsTariffähigkeit• § 2 I TVG: Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften,

einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern.• § 2 II, III TVG: Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und

von Vereinigungen von Arbeitgebern (Spitzenorganisationen) können im Namen der ihnen angeschlossenen Verbände Tarifverträge abschließen, wenn sie eine entsprechende Vollmacht haben. Spitzenorganisationen können selbst Parteien eines Tarifvertrags sein, wenn der Abschluss von Tarifverträgen zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört.

• § 54 Abs. 3 Nr. 1 Handwerksordnung: Die Handwerksinnung und die Innungsverbände können auf Arbeitgeberseite Tarifverträge abschließen.

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Die Parteien des TarifvertragsTariffähigkeit - Eine Arbeitnehmervereinigung ist eine Gewerkschaft im arbeitsrechtlichen Sinne nur, wenn sie gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllt. Sie muss sich als satzungsgemäße Aufgabe die

• Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt haben und

• willens sein, Tarifverträge abzuschließen. Sie muss

• frei gebildet, • gegnerfrei, • unabhängig und • auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und • das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Darüber hinaus muss

sie • Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler besitzen und• über eine gewisse Leistungsfähigkeit der Organisation verfügen.

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Die Parteien des TarifvertragsTariffähigkeit – Der Fall CGZP

Im Beschluss vom BAG 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 - hat der Erste Senat des BAG festgestellt, dass die im Dezember 2002 gegründete Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) keine tariffähige Spitzenorganisation i.S.d. § 2 Abs. 3 TVG ist.

• Um eine solche zu sein, müssen die sich zusammenschließenden Gewerkschaften ihrerseits tariffähig sein und der Spitzenorganisation ihre Tariffähigkeit vollständig vermitteln. Dies ist nicht der Fall, wenn die Befugnis zum Abschluss von Tarifverträgen durch die Spitzenorganisation auf einen Teil des Organisationsbereichs der Mitgliedsgewerkschaften beschränkt wird.

• Zudem darf der Organisationsbereich einer Spitzenorganisation nicht über den ihrer Mitgliedsgewerkschaften hinausgehen.

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Die Parteien des TarifvertragsTariffähigkeit – Der Fall CGZP

BAG 23.05.2012 - 1 AZB 67/11 – (OS):1. Die Rechtskraftwirkung des Senatsbeschlusses vom 14. Dezember 2010

über die Tarifunfähigkeit der CGZP besteht in zeitlicher Hinsicht ab dem 8. Oktober 2009. Gegenstand der Senatsentscheidung war die Feststellung der Tariffähigkeit der CGZP im zeitlichen Geltungsbereich ihrer an diesem Tag geänderten Satzung.

2. Rechtsfolge eines rechtskräftigen Beschlusses nach § 97 Abs. 1 ArbGG ist zum einen, dass ein erneuter Antrag mit identischem Streitgegenstand unzulässig ist. In subjektiver Hinsicht erfasst die Rechtskraft der Entscheidung über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit nicht nur die Personen und Stellen, die im jeweiligen Verfahren nach § 97 Abs. 2 i.V.m. § 83 Abs. 3 ArbGG angehört worden sind, sondern entfaltet Wirkung gegenüber jedermann. Aus diesem Grund sind alle Gerichte an einen solchen Ausspruch gebunden, wenn diese Eigenschaften als Vorfrage in einem späteren Verfahren zu beurteilen sind, sofern nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Rechtskraft endet, was im Aussetzungsbeschluss näher zu begründen ist.

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Die Parteien des TarifvertragsTariffähigkeit – Der Fall CGZP

BAG 23.05.2012 - 1 AZB 58/11 – (OS):1. Wird in einem Verfahren nach § 97 V ArbGG rechtkräftig festgestellt,

dass eine Vereinigung aufgrund von Satzungsmängeln zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht tariffähig oder tarifzuständig war, steht dies weiteren Verfahren entgegen, in denen sich zu einem anderen Zeitpunkt diese Eigenschaften der Vereinigung ebenso nach dieser Satzung bestimmen.

2. Wird in einem Verfahren nach § 97 V ArbGG festgestellt, dass eine Arbeitnehmerkoalition bei Abschluss eines bestimmten Tarifvertrags aus tatsächlichen Gründen nicht über die erforderliche soziale Mächtigkeit verfügt hat, ist von deren Fehlen nicht nur für den festgestellten Zeitpunkt, sondern auch für die Folgezeit auszugehen. Die materielle Rechtskraft der im Verfahren nach § 97 V ArbGG getroffenen Entscheidung wirkt bis zu einer wesentlichen Änderung der entscheidungserheblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse.

3. Die Rechtskraft der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9.1.2012 erstreckt sich vom Zeitpunkt der Gründung der CGZP am 11.12.2002 bis zum 7.10.2009.

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Die Parteien des TarifvertragsTariffähigkeit – OT-MitgliedschaftBAG 18.7.2006 – 1 ABR 36/05, 1. LS:

„Ein Arbeitgeberverband kann seine Tarifzuständigkeit nicht wirksam auf seine jeweiligen Mitglieder beschränken. Er kann jedoch in seiner Satzung eine Form der Mitgliedschaft vorsehen, die nicht zur Tarifgebundenheit nach § 3 Abs 1 TVG führt.“

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Die Parteien des TarifvertragsTariffähigkeit – OT-Mitgliedschaft

BAG 22.4.2009 – 4 AZR 111/08 (OS d. Ri) / BVerfG 1.12.2010 – 1 BvR 2593/09:

• Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie erfordert den Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Betroffenheit im Hinblick auf die Tarifnormen, um die Unterwerfung der Koalitionsmitglieder unter die Normen des Tarifvertrags und die Angemessenheitsvermutung der ausgehandelten Mindestarbeitsbedingungen zu legitimieren.

• Ein tarifschließender Arbeitgeberverband muss in seiner Satzung seine Mitglieder, die nicht an Tarifverträge gebunden sind (OT-Mitglieder), von den Entscheidungen über Tarifangelegenheiten ausschließen.

• Dazu gehören auch Entscheidungen über die Verwendung eines Fonds, der im Falle eines Arbeitskampfs die Unterstützung von Verbandsmitgliedern vorsieht, die an Tarifverträge gebunden sind.

• Lässt eine Verbanssatzung zu, dass OT-Mitglieder auf die Verwendung eines Arbeitskampffonds unmittelbaren Einfluss haben, kann ein bisher tarifgebundenes Mitgliedsunternehmen nicht tarifrechtlich wirksam in den OT-Status wechseln, sondern ist als Verbandsmitglied i.S. von § 3 I TVG weiter an die vom Verband abgeschlossenen Tarifverträge gebunden.

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Die Parteien des TarifvertragsTariffähigkeit – OT-Mitgliedschaft

BAG 20.5.2009 – 4 AZR 179/08:

• Auf Grund der grundgesetzlich gewährleisteten Satzungsautonomie steht den Verbänden das Recht zu, die Fristen für den Austritt oder den Wechsel von einer Mitgliedschaft mit Tarifbindung in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung grundsätzlich frei zu bestimmen. Dazu gehört auch die Freiheit, die jeweiligen Fristen unterschiedlich zu bemessen.

• Die tarifrechtliche Wirksamkeit des Wechsels ist nicht von einer Mitteilung an einzelne Beschäftigte abhängig. Insbesondere kann eine entsprechende Rechtsfolge nicht aus § 2 I Nr. 10 NachwG iVm Art. 2 II lit. J der RiLi 91/533/EWG oder aus § 3 S. 1 NachwG iVm. Art. 5 I RiLi hergeleitet werden. Da sich aus diesen Regelungen ergibt, dass die Wirksamkeit einer Änderung einer etwaigen Informationspflicht zeitlich vorgeht, kann erstere nicht von einer eventuellen Informationspflichtverletzung berührt werden.

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Die Parteien des TarifvertragsTariffähigkeit – OT-Mitgliedschaft

BAG 4.6.2008 - 4 AZR 316/07:

Ein vereinsrechtlich wirksamer Statuswechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung ist tarifrechtlich als die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie beeinträchtigende Abrede unwirksam, wenn er während laufender Tarifverhandlungen erfolgt und der konkrete Wechsel für die an der Verhandlung beteiligte Gewerkschaft nicht vor dem endgültigen Tarifabschluss erkennbar ist. Die Gewerkschaft als Verhandlungspartner muss zu einem Zeitpunkt über die eingetretene Veränderung informiert werden, zu dem sie in die Lage versetzt wird, auf den Statuswechsel des Verbandsmitglieds mit Wirkung für den vor dem Abschluss stehenden Tarifvertrag zu reagieren. Wird die Gewerkschaft von Arbeitgeberseite vom Wechsel in die OT-Mitgliedschaft nicht in Kenntnis gesetzt, ist der Statuswechsel hinsichtlich derjenigen Tarifverträge, die während des Status-wechsels verhandelt wurden, tarifrechtlich unwirksam. An diese Tarifverträge bleibt das OT-Mitglied trotz des vereinsrechtlich wirksamen Wechsels in diese Mitgliedschaftsform nach § 3 Abs. 1 TVG gebunden.

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Die Parteien des Tarifvertrags

Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers• Der einzelne Arbeitgeber ist immer tariffähig, die

Tariffähigkeit geht nicht durch den Eintritt in den Arbeitgeberverband verloren (aber ab da Schutz durch Friedenspflichten)

• Arbeitgeber ist der Vertragsarbeitgeber, d.h. im Konzern das einzelne Konzernunternehmen.

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Die Parteien des TarifvertragsTarifzuständigkeit• Die Tarifzuständigkeit bestimmt den größtmöglichen

Geltungsbereich der Tarifverträge, die von einer Vereinigung abgeschlossen werden können.

• Sie richtet sich nach der Satzung des Verbands.• Tarifzuständigkeit und Tariffähigkeit können in einem

gesonderten Verfahren nach §§ 2a I Nr. 4, 97 ArbGG geklärt werden.

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Geltung des Tarifvertrags für das Arbeitsverhältnis

Damit ein wirksamer Tarifvertrag für ein konkretes Arbeitsverhältnis gilt, müssen drei Fragen beantwortet werden:

1. Will der Tarifvertrag überhaupt in diesem Arbeitsverhältnis gelten? – Frage nach dem Geltungsbereich.

2. Ist der Tarifvertrag in der Lage, das einzelne Arbeitsverhältnis zu gestalten? - Frage nach der Tarifgebundenheit.

3. Setzt sich dieser Tarifvertrag gegen einen anderen, ebenfalls in Betracht kommenden Tarifvertrag durch? - Problematik der Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität.

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GeltungsbereichBestimmung des Geltungsbereichs

Der Geltungsbereich eines Tarifvertrages wird zumeist an dessen Beginn beschrieben nach den Kriterien des

• räumlichen,• fachlich/betrieblichen und • persönlichen (kann auch arbeitnehmerähnliche Personen

erfassen) Geltungsbereiches.Die Grenzziehung ist nach der Rspr erst dann als willkürlich von der Rechtsordnung nicht hinzunehmen, wenn die Differenzierung im persönlichen Geltungsbereich unter keinem Gesichtspunkt, auch koalitionspolitischer Art, plausibel erklärbar sei.

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GeltungsbereichHerauswachsen aus dem Geltungsbereich

Werden die Voraussetzungen des Geltungsbereichs zunächst erfüllt, fallen sie aber später weg – z.B. durch eine inhaltliche Neuausrichtung eines Betriebs (Teile werden nicht mehr aus Metall, sondern aus Plastik hergestellt) -, so wirkt der bisherige Tarifvertrag grundsätzlich entsprechend § 4 V TVG nach, sofern nicht ein anderer Tarifvertrag nach § 4 I TVG zur Anwendung kommt.

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GeltungsbereichMischbetriebe

Grundsätzlich obliegt es den Tarifvertragsparteien, eine Regelung auch für Mischbetriebe vorzusehen.Fehlt eine Regelung kommt es nach der Rechtsprechung des BAG darauf an, auf welche Geschäftstätigkeit die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer entfällt und die damit dem Betrieb sein Gepräge gibt.

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TarifbindungEin Tarifvertrag kann in einem Arbeitsverhältnis Anwendung finden• kraft beiderseitiger durch Verbandsmitgliedschaft

vermittelter Tarifgebundenheit, • aufgrund staatlicher Anordnung durch

Allgemeinverbindlicherklärung oder Rechtsverordnung nach AEntG,

• wegen einer einzelvertraglichen Inbezugnahme - auch konkludent oder kraft betrieblicher Übung möglich - und

• nach Betriebsübergang, wenn beim Veräußerer ein Tarifvertrag galt.

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Tarifbindung• Die Geltung eines Tarifvertrags wird grundsätzlich dadurch

legitimiert, dass beide Arbeitsvertragsparteien Mitglied in den tarifschließenden Verbänden sind, § 3 I TVG.

• Der Austritt aus dem Verband (bzw. die Verbandsauflösung) führt nach § 3 III TVG nicht zu einer Beendigung der Tarifbindung an den Tarifvertrag.

• Nach dem Austritt aber keine Bindung mehr an später abgeschlossene Tarifverträge.

• Für den Zeitpunkt des Austritts kommt es auf die Verbandssatzung an.

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TarifbindungFortgeltung bzw. Fortbindung, § 3 III TVG

Wann endet die Bindung bei unbefristeten Tarifverträgen?• Das Gesetz sieht keine Befristung der Fortbindung vor (BAG

1.7.2009 – 4 AZR 261/08 – Rn. 35)• Nach einer Mindermeinung, Ende bereits im Zeitpunkt der

ersten Kündigungsmöglichkeit• Denkbar ist 5-Jahres-Frist im Hinblick auf negative

Koalitionsfreiheit.

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TarifbindungFortbindung – Änderung als Beendigung?• Jede inhaltliche Änderung des Tarifvertrags führt zur

Beendigung der fortwirkenden Tarifbindung.• Ob dies auch die für bloße Ergänzung eines

Regelungskomplexes, der zuvor nicht Teil des TV war, gilt, ist str.

• Zu Änderung durch einen anderen TV: BAG, Urteil vom 25. Februar 2009 – 4 AZR 986/07 –

• Nimmt ein Tarifvertrag auf einen anderen TV Bezug und wird dieser geändert, so endet die Bindung an jenen TV.

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Tarifbindung

Allgemeinverbindlichkeit, § 5 TVG• Führt zu einer Tarifbindung, § 5 IV TVG• Der Geltungsbereich kann durch Allgemeinverbindlichkeit

nicht erweitert werden.• Die Allgemeinverbindlichkeit endet spätestens mit dem

Ablauf des Tarifvertrags, § 5 V 3 TVG.• Nach seinem Ablauf wirkt der früher allgemeinverbindliche

TV gem. § 4 V TVG nach.

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Praxisfall 4 (nach LAG Schleswig-Holstein Urt. v. 01.09.2010, 2 Sa 226/10):

Arbeitnehmer A hat als Barchef für die Beklagte B bis zum 30.06.2009 gearbeitet. Auf das Arbeitsverhältnis ist kraft Allgemeinverbindichkeit der TV „Dehoga“ SH anwendbar. Dieser enthält eine Ausschlussklausel 3 Monate nach Fälligkeit. Es wird ein Arbeitszeitkonto geführt.A behauptet, er habe noch Anspruch auf Abgeltung von 351 Überstunden. B bestreitet dies und verweist zudem auf die Ausschlussklausel.A, anwaltlich vertreten, hält die Klausel für unanwendbar. Er verlangt hilfsweise Schadensersatz wegen Nichtbelehrung über die Anwendbarkeit des TV und Verstoß gegen § 1 NachwG.

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Tarifbindung

Rechtsverordnung nach § 7 AEntG• Gilt nur für die in § 4 AEntG genannten Branchen • Kann sich nur auf Arbeitsbedingungen iSd. § 5 AEntG

beziehen• Erforderlich ist nur öffentliches Interesse, keine

Mindestrepräsentativität iSd § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG

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Tarifbindung

Bezugnahme auf TarifvertragMan unterscheidet üblicherweise 3 Typen von Verweisungsklauseln:

1. Statische Verweisungen die nur auf einen konkret bezeichneten, bestimmten Tarifvertrag verweisen, der an einem bestimmten Tag abgeschlossen worden ist,

2. die kleine dynamische Verweisung, die einen bestimmten, insbesondere nach Branche und räumlichem Geltungsbereich gekennzeichneten Tarifvertrag oder ein solches Tarifwerk in seiner jeweiligen Fassung in Bezug nimmt, oder

3. eine große dynamische Verweisung oder Tarifwechselklausel, welche die für den Betrieb jeweils geltenden Tarifverträge zum Vertragsgegenstand machen will, also auch einen Tarifwechsel des Arbeitgebers arbeitsvertraglich wirksam werden lassen will.

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Tarifbindung

Bezugnahme auf Tarifvertrag• Die arbeitsvertragliche Verweisungsklausel selbst unterliegt der

Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle, wie sie Formular- und Verbraucherverträgen auch im Übrigen unterliegen (§ 310 III & IV 2 BGB).

• Die Tarifnormen werden Bestandteil des Arbeitsvertrages und haben dessen Rang in der Regelungshierarchie des Arbeitsrechts.

• Daraus folgt, dass jederzeit – ohne Beachtung des Günstigkeitsprinzips – von dem Tarifvertrag abweichende Vereinbarungen getroffen werden können.

• Dagegen gilt das Günstigkeitsprinzip, wenn ein Tarifvertrag unmittelbar und zwingen wirkt, während kraft Bezugnahmeklausel ein anderer Tarifvertrag zur Anwendung kommt.

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TarifbindungBezugnahme auf Tarifvertrag

Im Rahmen gesetzlicher Öffnungsklauseln können durch die Bezugnahme auf Tarifverträge vom Gesetz abweichende Regelungen getroffen werden, die durch Einzelvertrag ansonsten unzulässig wären. Dabei ist jeweils zu prüfen:

• Ob der gesamte Tarifvertrag in Bezug genommen sein muss – regelmäßig zumindest der entsprechende Gesamtkomplex. Nach ghM greift auch die Bereichsausnahme des § 310 IV 1 BGB nur bei vollständiger Bezugnahme.

• Ob die Bezugnahme nur für Arbeitsverhältnisse möglich ist, die dem Geltungsbereich des Tarifvertrags unterfallen (Ansonsten ist es für eine wirksame Bezugnahme nicht erforderlich, dass das Arbeitsverhältnis vom Geltungsbereich erfasst wird).

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TarifbindungBezugnahme auf Tarifvertrag

Eine sog. Gleichstellungsabrede soll – nur! – dazu führen, dass nichttarifgebundene Arbeitnehmer bei der Tarifvertragsanwendung im gleichen Betrieb ebenso – nicht besser und nicht schlechter – behandelt werden als tarifgebundene Arbeitnehmer nach Maßgabe des Tarifvertragsrechts. Folgen:

• dass tarifgebundene wie nicht tarifgebundene Arbeitnehmer nach einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers nicht mehr an der Tarifvertragsentwicklung nach dem Verbandsaustritt teilnehmen, weil der Arbeitgeber gegenüber einem tarifgebundenen Arbeitnehmer an Tarifverträge, die nach seinem Austritt aus dem Verband von diesem abgeschlossen worden sind, nach Tarifrecht nicht mehr gebunden ist.

• dass nach einem Betriebsübergang von einem tarifgebundenen auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber der - an sich dynamisch in Bezug genommene - Tarifvertrag nur noch (ebenso wie nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB) in der Fassung zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges gilt; spätere neue Tarifabschlüsse derselben Tarifvertragsparteien binden den nicht tarifgebundenen Betriebsübernehmer auch nicht einzelvertraglich, weil sie ihn tarifrechtlich nicht gegenüber den tarifgebundenen Arbeitnehmern binden.

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TarifbindungBezugnahme auf TarifvertragWann ist eine Gleichstellungsabrede anzunehmen?• Nach alter Rspr. immer, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden

ist.• Bei allen Bezugnahmeklauseln, die nach dem 31.12.2001

vereinbart wurden, nur dann, wenn sich im Wortlaut der Vereinbarung klare Anhaltspunkte finden lassen.

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TarifbindungBezugnahme auf Tarifvertrag

Vorschlag für die Formulierung einer Gleichstellungsabrede nach neuer Rspr:„Auf das Arbeitsverhältnis finden die XY-Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung und die sie ergänzenden, ändernden und ersetzenden (Haus-) Tarifverträge Anwendung. Diese Verweisung auf die Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung gilt, weil und solange der Arbeitgeber an sie tarifgebunden ist. Nach der Mitteilung des Arbeitgebers vom Ende seiner Tarifgebundenheit in der für Bekanntmachungen an die Belegschaft üblichen Form gelten die in Bezug genommenen Tarifverträge mit dem Inhalt, den sie zum Zeitpunkt der Bekanntmachung beim Ende der Tarifbindung des Arbeitgebers hatten.“

Beachte: Würde vereinbart, dass der Arbeitnehmer so gestellt wird, als sei er Gewerkschaftsmitglied, so würde dies bei einer einfachen Differenzierungsklausel zur Zahlungspflicht führen.

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TarifbindungBezugnahme auf Tarifvertrag

In einer Gleichstellungsabrede ist allein noch keine Tarifwechselklausel enthalten mit der Konsequenz, dass auch vertraglich ein anderer Tarifvertrag gilt, wenn er tarifrechtlich auf organisierte Arbeitnehmer Anwendung findet, was insbesondere aufgrund § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB der Fall sein kann. Eine Tarifwechselklausel kann aber vereinbart werden – Beispiel:„Es gelten die jeweils für den Betrieb einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung, an die der Arbeitgeber tarifgebunden ist und solange er an sie tarifgebunden ist. Das sind derzeit die XY-Tarifverträge. Anwendbar sind damit derzeit insbesondere die XYa- und XYb-Tarifverträge. Bei einem Wechsel der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers gelten die Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung, an die der Arbeitgeber gebunden ist, von dem Tag an, an dem der Arbeitgeber den Wechsel der Tarifgebundenheit in der für Bekanntmachungen an die Belegschaft üblichen Form mitgeteilt hat. Bei Ende jeder Tarifgebundenheit gelten die zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Tarifverträge mit dem Inhalt weiter, die sie zum Zeitpunkt der Bekanntmachung hatten.“

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Tarifkonkurrenz undTarifpluralität

• Tarifkonkurrenz: Wenn zwei oder mehr Tarifverträge dasselbe Arbeitsverhältnis regeln wollen.

• Tarifpluralität: Liegt vor, wenn der Betrieb des Arbeitgebers vom Geltungsbereich zweier von verschiedenen Gewerkschaften geschlossenen Tarifverträge für Arbeitsverhältnisse der selben Art erfasst wird, an die der Arbeitgeber gebunden ist, während für die jeweiligen Arbeitnehmer je nach Tarifgebundenheit nur einer der beiden Tarifverträge Anwendung findet.

• Nach der (bisherigen) Rspr. des BAG sind beide Situationen dahingehen aufzulösen, dass Tarifeinheit dadurch herzustellen ist, dass der speziellere den allgemeineren TV verdrängt.

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Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität

Rechtsprechungsänderung!BAG 7.7.2010 – 4 AZR 549/08:Die Rechtsnormen eines Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG in den jeweiligen Arbeitsverhältnissen eines Betriebes unmittelbar. Diese durch das Tarifvertragsgesetz vorgesehene Geltung wird nicht dadurch verdrängt, dass für den Betrieb kraft Tarifgebundenheit des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 TVG mehr als ein Tarifvertrag gilt, für die jeweiligen Arbeitsverhältnisse derselben Art im Falle der Tarifbindung eines oder mehrerer Arbeitnehmer allerdings jeweils nur ein Tarifvertrag - sogenannte Tarifpluralität.

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Wirkung des TarifvertragsGünstigkeitsprinzip, § 4 III TVG• Der Tarifvertrag hat Mindestarbeitsbedingungen zu setzen,

nicht Höchstarbeitsbedingungen.• Es wird ein Sachgruppenvergleich, kein Gesamtvergleich

durchgeführt.• Bestimmung erfolgt nach objektiven Kriterien, nicht nach der

subjektiven Meinung des einzelnen Arbeitnehmers.• Die zwingende Wirkung des Tarifvertrags wird nur

aufgehoben, wenn die Günstigkeit des Einzelarbeitsvertrags festgestellt werden kann.

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Wirkung des TarifvertragsNachwirkung, § 4 V TVG• Sie greift ein, wenn der zeitliche Geltungsbereich nicht mehr

greift („nach Ablauf“), aber auch, wenn das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen aus dem Geltungsbereich des TV fällt.

• Nimmt ein Tarifvertrag einen anderen dynamisch in Bezug und tritt ersterer in die Nachwirkung, so wird die dynamische zu einer statischen Bezugnahme.

• Die Nachwirkung kann im Tarifvertrag ausgeschlossen werden.

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Wirkung des Tarifvertrags

BAG 1.7.2009 - 4 AZR 250/08, 4 AZR 261/08 -:Grundsätzlich verdrängen nur Abmachungen, die nach – oder konkret in Bezug auf das - Auslaufen der zwingenden Tarifwirkung abgeschlossen wurden.Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, die untertarifliche Abreden enthält und bereits im Stadium der Nachbindung gelten soll, ist grundsätzlich bereits nach ihrem Regelungswillen keine „andere Abmachung“ im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG.

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Wirkung des TarifvertragsUnverzichtbarkeit tariflicher Rechte, § 4 IV

Die einseitig zwingende Wirkung des Tarifvertrages muss auch für den sich aus einer Tarifnorm ergebenden Anspruch erhalten bleiben, damit diese Tarifwirkung nicht unterlaufen werden kann. Deshalb sind tarifliche Rechte unabdingbar und unverzichtbar, soweit der Tarifvertrag selbst unabdingbar ist.

Vorsicht: Unverzichtbarkeit gilt auch für den gerichtlichen Vergleich!

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Wirkung des Tarifvertrags

Bekanntgabe des TarifvertragsArbeitgeber, die nicht tarifgebunden, aber einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag unterworfen sind, müssen nach § 9 Abs. 2 der Durchführungsverordnung die allgemeinverbindlichen Tarifverträge an allgemein zugänglicher Stelle im Betrieb auslegen. Dieselbe Pflicht trifft einen tarifgebundenen Arbeitgeber nach § 8 TVG für den kraft Tarifbindung geltenden Tarifvertrag.

Die Verletzung dieser Pflicht führt nach h.M. nicht zu einem Schadensersatzanspruch. Beachte aber, dass über die Tarifgeltung an sich ein Nachweis zu erteilen ist, § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG!

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Tarifvertrag und Betriebsübergang

Fortgeltung beim Erwerber• Ist der Erwerben an dieselben TV‘e gebunden wie der

Veräußerer und fällt das Arbeitsverhältnis nicht auch dem Geltungsbereich der TV‘e gelten die TV‘e auch beim Erwerben kollektivrechtlich.

• Ansonsten richtet sich die Fortgeltung des Tarifvertrags nach § 613a I 2-4 BGB.