TdZ Look Out: Die Nachwuchsbesorgerin

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Look Out Von diesen KünstlerInnen haben Sie noch nichts gehört? Das soll sich ändern. / 42 / / TdZ Februar 2014 / Die Nachwuchsbesorgerin Die Heidelberger Theatermacherin Beata Anna Schmutz arbeitet mit Jugendlichen ausschließlich postdramatisch – und zeigt genreübergreifend große Kunst U nglaublich, dass eine derart strahlende Frau so düsteres Theater machen kann – mit bleischweren Texten in abrissreifen Häusern, im Wurstküchenkolorit, im spröden Ju- gendhaus … Ihre Mittel: Perfor- mance, Video, bildende Kunst – und Sprache. Und nicht zuletzt: ästheti- sche Überwältigung mit Twens und Teenagern, deren frühreife Grenz- überschreitungsbereitschaft schlicht atemberaubend ist. 2005 gründete Beata Anna Schmutz, Germanistin, Kunsthistorikerin, Pädagogin, Re- gisseurin, Dramaturgin (und einiges mehr), im Heidelberger Haus der Jugend eine Theatergruppe. So weit, so unspektakulär. Was die gebürtige Danzigerin dort aber mit Theater Per- formance Kunst Rampig, aus Rampe und pig, den „Rampen- säuen“ also, entwickelt hat, ist weit mehr als landesübliches Jugendtheater. „Die Inszenierungen haben Werke der klassischen Litera- tur zur Vorlage, die mit den Mitteln der neuen Dramatik sprach- liche und visuelle Motive und Zitate aus der Pop- und Hochkul- tur kombinieren und so die Aufhebung herkömmlicher narrativer Erzählverfahren zum Ziel haben“, stellt Schmutz ihre Arbeits- weise trocken vor. Doch was zu sehen ist, ist weitaus sinnlicher, emotionaler und klüger als das. Ins Geschäft ist Schmutz, die zuvor auch als Museums- pädagogin arbeitete, gleich ganz theatergegenwärtig eingestie- gen. Vorne tobt Hamlets multipel besetzter Wahnsinn, daneben wird getanzt, in der Ecke performt, während an der Bühnen- wand live ein Gemälde entsteht. Hier spielt die Musik; und Vi- deos flimmern, die Angst und Unsicherheit assoziieren und da- mit psychologisch gleichwohl die Lebenssituation der Hauptfigur wie auch der rund 25 Darsteller spiegeln. Dass Rampig mit diesem bemerkenswerten „Hamlet“ im vergangenen Jahr zum Theatertreffen der Jugend ins Haus der Berliner Festspiele ein- geladen wurden, ist somit kein Wunder. Verwunderlich hingegen sind die Verve und das unverkrampfte Selbstverständ- nis, mit denen sich Theaterneulinge mit ihr in die Arbeit stürzen. „Antigone“, „Faust“, „Die Pest“, Kafkas „Schloss“ und seine „Verwandlung“ kommen bei Beata Anna Schmutz freilich anders um die Bücherecke als im Deutschunterricht. Die Grenze zwischen Publikum und performativem Akt wird in Schmutz’ Arbeiten meist bewusst aufgebrochen. Wer zum Beispiel das leerstehende Haus durchwanderte, das Rampig bei der Kaf- ka-Produktion „Winterquartier/Spuren im Schnee“ im Oktober elf Tage lang als Spiel- und Lebensort diente, musste ge- legentlich selbst entscheiden, ob er sei- ne Rezipientenrolle als aktiver Teilneh- mer oder eben nur als Beobachter einnehmen wollte, während die Akteure in den Räumen (und/oder Videoräumen) neben Darstellern immer auch Ausstellungsobjekte waren. Die Arbeitsweise, Performance mit postdramatischen Ausdrucksformen des Schauspiels zu verbinden und in einen Kontext zu Rauminstallationen und anderen Formen bildender Kunst zu stellen, entsteht aus dem Kollektiv selbst. Alles wird gemeinsam entwickelt – und längst haben einstige jugendliche Kunden den professionellen Weg zum Theater eingeschlagen. Unter ihnen sind mittlerweile Szenografen, Schauspiel- und Kostümbildschüler, Studenten der Theaterwissenschaften, die nun auch als junge Erwachsene weiterhin in freier Anbindung mitwirken. Seit 2012 sind Theater Performance Kunst Rampig deshalb auch nicht mehr beim Heidelberger Jugendamt, son- dern als freischaffendes Künstlerkollektiv in Form eines ge- meinnützigen Vereins aufgestellt. Für Nachwuchs aus dem Ju- gendhaus sorgt Beata Anna Schmutz selbst, wenn sie dort mit Jugendlichen zwischen zwölf und 16 Jahren in der Jungen Theatergruppe Ramy weiterarbeitet – und die Begeisterungsfä- higen mit Begeisterung zu Fähigen macht. // Ralf-Carl Langhals „Das Schloss – Permafrost“ von Beata Anna Schmutz ist am 8. Februar 2014 bei zeitraumexit in Mannheim zu sehen. Beata Anna Schmutz. Foto Nikola Haubner

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Die Heidelberger Theatermacherin Beata Anna Schmutz arbeitet mit Jugendlichen ausschließlich postdramatisch - und zeigt genreübergreifend große Kunst. (c) Theater der Zeit / Ralf-Carl Langhals (c) Foto: Nikola Haubner

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Look Out Von diesen KünstlerInnen haben Sie noch nichts gehört? Das soll sich ändern.

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Die Nachwuchsbesorgerin

Die Heidelberger Theatermacherin Beata Anna Schmutz arbeitet mit Jugendlichen ausschließlich postdramatisch – und zeigt genreübergreifend große Kunst

U nglaublich, dass eine derart strahlende Frau so düsteres Theater machen kann – mit bleischweren Texten in abrissreifen Häusern, im Wurstküchenkolorit, im spröden Ju-gendhaus … Ihre Mittel: Perfor-mance, Video, bildende Kunst – und Sprache. Und nicht zuletzt: ästheti-sche Überwältigung mit Twens und Teenagern, deren frühreife Grenz-überschreitungsbereitschaft schlicht atemberaubend ist. 2005 gründete Beata Anna Schmutz, Germanistin, Kunsthistorikerin, Pädagogin, Re-gisseurin, Dramaturgin (und einiges mehr), im Heidelberger Haus der Jugend eine Theatergruppe. So weit, so unspektakulär. Was die gebürtige Danzigerin dort aber mit Theater Per-formance Kunst Rampig, aus Rampe und pig, den „Rampen-säuen“ also, entwickelt hat, ist weit mehr als landesübliches Jugendtheater.

„Die Inszenierungen haben Werke der klassischen Litera-tur zur Vorlage, die mit den Mitteln der neuen Dramatik sprach-liche und visuelle Motive und Zitate aus der Pop- und Hochkul-tur kombinieren und so die Aufhebung herkömmlicher narrativer Erzählverfahren zum Ziel haben“, stellt Schmutz ihre Arbeits-weise trocken vor. Doch was zu sehen ist, ist weitaus sinnlicher, emotionaler und klüger als das.

Ins Geschäft ist Schmutz, die zuvor auch als Museums-pädagogin arbeitete, gleich ganz theatergegenwärtig eingestie-gen. Vorne tobt Hamlets multipel besetzter Wahnsinn, daneben wird getanzt, in der Ecke performt, während an der Bühnen-wand live ein Gemälde entsteht. Hier spielt die Musik; und Vi-deos flimmern, die Angst und Unsicherheit assoziieren und da-mit psychologisch gleichwohl die Lebenssituation der Hauptfigur wie auch der rund 25 Darsteller spiegeln. Dass Rampig mit diesem bemerkenswerten „Hamlet“ im vergangenen Jahr zum Theatertreffen der Jugend ins Haus der Berliner Festspiele ein-geladen wurden, ist somit kein Wunder.

Verwunderlich hingegen sind die Verve und das unverkrampfte Selbstverständ-nis, mit denen sich Theaterneulinge mit ihr in die Arbeit stürzen. „Antigone“, „Faust“, „Die Pest“, Kafkas „Schloss“ und seine „Verwandlung“ kommen bei Beata Anna Schmutz freilich anders um die Bücherecke als im Deutschunterricht.

Die Grenze zwischen Publikum und performativem Akt wird in Schmutz’ Arbeiten meist bewusst aufgebrochen. Wer zum Beispiel das leerstehende Haus durchwanderte, das Rampig bei der Kaf-ka-Produktion „Winterquartier/Spuren im Schnee“ im Oktober elf Tage lang als Spiel- und Lebensort diente, musste ge-legentlich selbst entscheiden, ob er sei-ne Rezipientenrolle als aktiver Teilneh-mer oder eben nur als Beobachter einnehmen wollte, während die Akteure in den Räumen (und/oder Videoräumen)

neben Darstellern immer auch Ausstellungsobjekte waren.Die Arbeitsweise, Performance mit postdramatischen

Ausdrucksformen des Schauspiels zu verbinden und in einen Kontext zu Rauminstallationen und anderen Formen bildender Kunst zu stellen, entsteht aus dem Kollektiv selbst. Alles wird gemeinsam entwickelt – und längst haben einstige jugendliche Kunden den professionellen Weg zum Theater eingeschlagen. Unter ihnen sind mittlerweile Szenografen, Schauspiel- und Kostümbildschüler, Studenten der Theaterwissenschaften, die nun auch als junge Erwachsene weiterhin in freier Anbindung mitwirken. Seit 2012 sind Theater Performance Kunst Rampig deshalb auch nicht mehr beim Heidelberger Jugendamt, son-dern als freischaffendes Künstlerkollektiv in Form eines ge-meinnützigen Vereins aufgestellt. Für Nachwuchs aus dem Ju-gendhaus sorgt Beata Anna Schmutz selbst, wenn sie dort mit Jugendlichen zwischen zwölf und 16 Jahren in der Jungen Theatergruppe Ramy weiterarbeitet – und die Begeisterungsfä-higen mit Begeisterung zu Fähigen macht. // Ralf-Carl Langhals

„Das Schloss – Permafrost“ von Beata Anna Schmutz ist am 8. Februar

2014 bei zeitraumexit in Mannheim zu sehen.

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