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68/390 FÜR STUDIUM UND PRAXIS D er nachfolgende Artikel befasst sich ausschließlich mit der Therapie der idiopathischen Epilepsie. Bei Hunden oder Katzen mit sekundärer Epilepsie ist die antikonvulsive Therapie natürlich eine wichtige therapiebegleitende Maßnahme, im Zentrum steht jedoch die Behandlung der Grundkrankheit, ein Thema, auf das hier nicht weiter eingegangen werden kann. Die allgemeine Vorgehensweise und das Management von auftretenden Prob- lemen sollen im Vordergrund dieses Be- richts stehen. Ein Beitrag über pharmako- kinetische Eigenschaften, Wirkmechanis- men, Nebenwirkungen und Wechselwir- kungen von Antikonvulsiva wurde kürz- lich von Vernau et al. (15) publiziert. Platt (10) beschreibt ausführlich die Therapie bei Katzen mit Krampfanfällen. Untersuchungen aus der Schweiz (5) haben gezeigt, dass die Therapieerfolge umso besser sind, je früher mit einer anti- konvulsiven Behandlung begonnen wird, je weniger Anfälle ein Hund oder eine Katze zeigt und je älter ein Patient zum Zeitpunkt des Erkrankungsbeginns ist. Für den niedergelassenen Tierarzt bedeu- tet dies, bereits nach dem zweiten oder dritten Anfall eines Patienten therapeu- tisch tätig zu werden. Antiepileptika können Epilepsie nicht heilen, aber mehr oder weniger wirksam die Entstehung von Anfällen unter- drücken. Unter rechtzeitiger Behandlung wird etwa ein Drittel der Patienten an- fallsfrei, bei ca. einem Drittel verbessert sich die Situation (weniger, kürzere und/oder schwächere Anfälle) und bei un- gefähr einem Drittel lassen sich die Krampfanfälle überhaupt nicht beeinflus- sen oder nehmen zu. Diese Angaben stimmen mit denen in der Humanmedizin überein. Als Ursache für die Therapieresistenz bei ca. 20-40% aller veterinärmedizini- schen Patienten wurde Anfang der neun- ziger Jahre ein Gen identifiziert, das so genannte MDR1-Gen (multi-drug-resis- tance gene) (8). Dieses Gen kodiert ein Eiweiß (»Transportermolekül«), das ver- schiedene pharmakologische Wirkstoffe (darunter alle Antikonvulsiva) sofort wie- der aus dem intrazellulären Raum der Nervenzelle ausschleust. Dies bedeutet, dass zwar im Serum ausreichende Wirk- stoffspiegel gemessen werden, am Wir- kungsort selbst aber niemals erreicht werden können. Patienten mit diesem Gen lassen sich mit allen zur Verfügung stehenden Medikamenten nicht erfolg- reich behandeln und sind in der Human- medizin eventuell Kandidaten für einen chirurgischen Eingriff. Einstieg in die Behandlung Der Wirkstoff Phenobarbital (z. B. Lu- minal ® ) ist bei Hund und Katze nach wie vor das Mittel der Wahl. Wegen der ver- gleichsweise kurzen Vorlaufzeit von zwei bis drei Wochen lassen sich auch bei Pa- tienten mit hoher Anfallsfrequenz relativ schnell Erfolge erzielen. Phenobarbital wird über die Leber ausgeschieden. Ent- gegen der landläufigen Meinung ist der Wirkstoff bei – vor Behandlungsbeginn gesunden – Patienten bis auf wenige Aus- nahmen nicht hepatotoxisch. Die erhöh- ten »Leberwerte« unter Behandlung sind lediglich Ausdruck einer gestiegenen Enzymaktivität (»Enzyminduktion«) und nicht einer Leberschädigung (15). Anders verhält es sich bei Primidon, der Vorläufersubstanz von Phenobarbital: Da Primidon, um überhaupt antikonvulsiv wirksam sein zu können, in der Leber erst zu drei Substraten (Phenobarbital, Poly- ethylmalonsäure und wiederum Primi- don) metabolisiert werden muss, findet hier tatsächlich eine starke Leberbelas- tung mit Potenz für dauerhafte Schäden statt. Man geht davon aus, dass von den drei gebildeten Substraten hauptsächlich Phenobarbital antikonvulsiv wirkt (87% der Gesamtwirkung, Primidon 11%, Poly- ethylmalonsäure 2%) und die beiden quasi unwirksamen Nebenprodukte den Hund nur sedieren. Daher sollte auf diese unnötige Leberbelastung verzichtet wer- den. Dazu kommt, dass die auf dem Markt erhältlichen Präparate mit dem Wirkstoff Primidon (z. B. Resematil ® oder Mylepsi- num ® ) etwa dreimal so teuer sind wie z. B. Luminal ® . Nach Meinung von Experten gibt es somit keinen Grund, Primidon den Vorzug vor Phenobarbital zu geben. Eine Umstellung von Primidon auf Phenobarbital kann ad hoc vollzogen wer- den. Das Verhältnis für die Umrechnung der Dosierung ist 3,8:1 (250 mg Primidon entsprechen 65 mg Phenobarbital). Kaliumbromid (Dibrobe ® ) kann so- wohl in Kombination als auch als Mono- therapeutikum bei Hund und Katze zur Anwendung kommen. Im Gegensatz zu Phenobarbital wird es nicht über die Leber, sondern über die Niere ausgeschie- den, eignet sich also bei allen Patienten mit Lebererkrankungen sehr gut als Erst- therapeutikum. Ein Nachteil ist jedoch die lange Vorlaufzeit von drei bis vier Mona- ten bis ein steady-state, d. h. ein stabiler Serumspiegel, erreicht wird. Daher eignet es sich nicht als erstes Mittel der Wahl bei Patienten mit vielen epileptischen Anfäl- len. In den letzten Jahren erlebte Kalium- bromid eine Renaissance in der veterinär- medizinischen Epilepsiebehandlung. Wie bei Phenobarbital muss auch hier regelmäßig der Wirkstoffspiegel be- stimmt werden. Im Gegensatz zum Hund zeigt die Katze gegenüber Diazepam keine phar- makologische Toleranz. Da Diazepam bei felinen Patienten außerdem eine Halb- wertszeit von annähernd 20 Stunden auf- weist, lässt es sich alternativ zu Phenobar- bital als Dauertherapeutikum einsetzen. Aufgrund der beschriebenen Nebenwir- kungen (akute Leberzellnekrose, Hyper- aktivität als adverse Reaktion, starke Ap- Krampfanfälle bei Hund und Katze Teil 2: Therapie K. Rentmeister

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Der nachfolgende Artikel befasst sichausschließlich mit der Therapie der

idiopathischen Epilepsie. Bei Hundenoder Katzen mit sekundärer Epilepsie istdie antikonvulsive Therapie natürlich einewichtige therapiebegleitende Maßnahme,im Zentrum steht jedoch die Behandlungder Grundkrankheit, ein Thema, auf dashier nicht weiter eingegangen werdenkann.

Die allgemeine Vorgehensweise unddas Management von auftretenden Prob-lemen sollen im Vordergrund dieses Be-richts stehen. Ein Beitrag über pharmako-kinetische Eigenschaften, Wirkmechanis-men, Nebenwirkungen und Wechselwir-kungen von Antikonvulsiva wurde kürz-lich von Vernau et al. (15) publiziert. Platt(10) beschreibt ausführlich die Therapiebei Katzen mit Krampfanfällen.

Untersuchungen aus der Schweiz (5)haben gezeigt, dass die Therapieerfolgeumso besser sind, je früher mit einer anti-konvulsiven Behandlung begonnen wird,je weniger Anfälle ein Hund oder eineKatze zeigt und je älter ein Patient zumZeitpunkt des Erkrankungsbeginns ist.Für den niedergelassenen Tierarzt bedeu-tet dies, bereits nach dem zweiten oderdritten Anfall eines Patienten therapeu-tisch tätig zu werden.

Antiepileptika können Epilepsie nichtheilen, aber mehr oder weniger wirksamdie Entstehung von Anfällen unter-drücken. Unter rechtzeitiger Behandlungwird etwa ein Drittel der Patienten an-fallsfrei, bei ca. einem Drittel verbessertsich die Situation (weniger, kürzereund/oder schwächere Anfälle) und bei un-gefähr einem Drittel lassen sich dieKrampfanfälle überhaupt nicht beeinflus-sen oder nehmen zu. Diese Angaben stimmen mit denen in der Humanmedizinüberein.

Als Ursache für die Therapieresistenzbei ca. 20-40% aller veterinärmedizini-

schen Patienten wurde Anfang der neun-ziger Jahre ein Gen identifiziert, das sogenannte MDR1-Gen (multi-drug-resis-tance gene) (8). Dieses Gen kodiert einEiweiß (»Transportermolekül«), das ver-schiedene pharmakologische Wirkstoffe(darunter alle Antikonvulsiva) sofort wie-der aus dem intrazellulären Raum derNervenzelle ausschleust. Dies bedeutet,dass zwar im Serum ausreichende Wirk-stoffspiegel gemessen werden, am Wir-kungsort selbst aber niemals erreicht werden können. Patienten mit diesemGen lassen sich mit allen zur Verfügungstehenden Medikamenten nicht erfolg-reich behandeln und sind in der Human-medizin eventuell Kandidaten für einenchirurgischen Eingriff.

Einstieg in die BehandlungDer Wirkstoff Phenobarbital (z.B. Lu-minal®) ist bei Hund und Katze nach wievor das Mittel der Wahl. Wegen der ver-gleichsweise kurzen Vorlaufzeit von zweibis drei Wochen lassen sich auch bei Pa-tienten mit hoher Anfallsfrequenz relativschnell Erfolge erzielen. Phenobarbitalwird über die Leber ausgeschieden. Ent-gegen der landläufigen Meinung ist derWirkstoff bei – vor Behandlungsbeginngesunden – Patienten bis auf wenige Aus-nahmen nicht hepatotoxisch. Die erhöh-ten »Leberwerte« unter Behandlung sindlediglich Ausdruck einer gestiegenen Enzymaktivität (»Enzyminduktion«) undnicht einer Leberschädigung (15).

Anders verhält es sich bei Primidon,der Vorläufersubstanz von Phenobarbital:Da Primidon, um überhaupt antikonvulsivwirksam sein zu können, in der Leber erstzu drei Substraten (Phenobarbital, Poly-ethylmalonsäure und wiederum Primi-

don) metabolisiert werden muss, findethier tatsächlich eine starke Leberbelas-tung mit Potenz für dauerhafte Schädenstatt. Man geht davon aus, dass von dendrei gebildeten Substraten hauptsächlichPhenobarbital antikonvulsiv wirkt (87%der Gesamtwirkung, Primidon 11%, Poly-ethylmalonsäure 2%) und die beiden quasi unwirksamen Nebenprodukte denHund nur sedieren. Daher sollte auf dieseunnötige Leberbelastung verzichtet wer-den. Dazu kommt, dass die auf dem Markterhältlichen Präparate mit dem WirkstoffPrimidon (z. B. Resematil® oder Mylepsi-num®) etwa dreimal so teuer sind wie z.B. Luminal®. Nach Meinung von Experten gibt es somit keinen Grund,Primidon den Vorzug vor Phenobarbitalzu geben.

Eine Umstellung von Primidon aufPhenobarbital kann ad hoc vollzogen wer-den. Das Verhältnis für die Umrechnungder Dosierung ist 3,8:1 (250 mg Primidonentsprechen 65 mg Phenobarbital).

Kaliumbromid (Dibrobe®) kann so-wohl in Kombination als auch als Mono-therapeutikum bei Hund und Katze zurAnwendung kommen. Im Gegensatz zuPhenobarbital wird es nicht über die Leber, sondern über die Niere ausgeschie-den, eignet sich also bei allen Patientenmit Lebererkrankungen sehr gut als Erst-therapeutikum. Ein Nachteil ist jedoch dielange Vorlaufzeit von drei bis vier Mona-ten bis ein steady-state, d. h. ein stabilerSerumspiegel, erreicht wird. Daher eignetes sich nicht als erstes Mittel der Wahl beiPatienten mit vielen epileptischen Anfäl-len. In den letzten Jahren erlebte Kalium-bromid eine Renaissance in der veterinär-medizinischen Epilepsiebehandlung.

Wie bei Phenobarbital muss auch hier regelmäßig der Wirkstoffspiegel be-stimmt werden.

Im Gegensatz zum Hund zeigt dieKatze gegenüber Diazepam keine phar-makologische Toleranz. Da Diazepam beifelinen Patienten außerdem eine Halb-wertszeit von annähernd 20 Stunden auf-weist, lässt es sich alternativ zu Phenobar-bital als Dauertherapeutikum einsetzen.Aufgrund der beschriebenen Nebenwir-kungen (akute Leberzellnekrose, Hyper-aktivität als adverse Reaktion, starke Ap-

Krampfanfälle bei Hund und Katze

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petitanregung) ist es aber ein Mittel derzweiten Wahl (10). Eine Ausnahme bildenKatzen, bei denen der Besitzer Schwierig-keiten mit der Eingabe der Phenobarbital-Tabletten hat. Diazepam ist auch in flüssi-gen Formulierungen erhältlich, wodurcheine regelmäßige Medikamentenapplika-tion bei vielen Patienten besser realisiertwerden kann.

Tabelle 1 gibt eine Übersicht über dieDosierung der Antiepileptika.

Richtige Einstellung des PatientenUm die Dosis für einen Patienten indivi-duell anzupassen (Tab. 2), wird drei Wo-chen nach Therapiebeginn der Serumspie-gel von Phenobarbital gemessen. Die Blut-entnahme muss zu keiner bestimmtenUhrzeit oder Zeitspanne nach der letztenTablettengabe erfolgen, da man nach dreiWochen von einem konstanten Blutspie-gel ausgehen kann. Die Untersuchungwird von allen gängigen Labors durchge-führt, die Referenzwerte sind je nach Institut unterschiedlich. Es wird empfoh-len, den Wirkstoffspiegel im mittleren bisoberen Referenzbereich einzustellen. BeiPatienten mit unbefriedigendem Thera-pieergebnis kann der Referenzbereichauch leicht überschritten werden.

Hat eine Dosisänderung stattgefunden(auch vom Besitzer), muss der Wirk-stoffspiegel grundsätzlich drei Wochenspäter überprüft werden. Bis ein Patientrichtig eingestellt ist, sind oft mehrereMessungen nötig. Auf diese Weise kön-nen einige Monate vergehen. Die durch-schnittliche Dosis von Phenobarbital beiausdosierten Patienten liegt dann meis-

Kombinationstherapie von Phenobarbital(meistens Ersttherapeutikum) mit Kali-umbromid.

Sollte auch die Kombinationstherapienicht oder nur gering effektiv sein, han-delt es sich wahrscheinlich um einen the-rapieresistenten Patienten (siehe Einlei-tung). Bei diesen Tieren können die Medi-kamente auf den unteren oder mittlerenReferenzbereich eingestellt oder sogarganz ausgeschlichen werden (Patientenohne medikamentöse Beeinflussung derAnfälle, aber mit Nebenwirkungen).

Humanmedizinische MedikamenteIn der Humanmedizin kommt mittler-weile eine Vielzahl von Substanzen aus mehreren Arzneimittelgenerationen er-folgreich zum Einsatz. Die in der Tier-medizin verwendeten Wirkstoffe Pheno-barbital und Kaliumbromid werden dage-gen wegen der relativ schlechteren Ver-träglichkeit und Nebenwirkungen, die beimMenschen natürlich eine größere Rollespielen, immer seltener verschrieben.

Die für den Menschen neu entwickel-ten Medikamente wurden in vielen Stu-dien auch an unseren Haustieren erprobt.Aufgrund unterschiedlicher Pharmakoki-netik, vor allem der beschleunigten Elimi-nation aus dem Organismus mit Halb-wertszeiten von nur ein bis zwei Stunden,sind alle diese Präparate zur Dauerbe-handlung bei Hund und Katze prinzipiellnicht geeignet. Bei einigen Substanzen (z.B. Vigabatrin) konnten auch schwereNebenwirkungen beobachtet werden.Über den Einsatz von Felbamat liegenvereinzelte Fallberichte aus der Tiermedi-zin vor (13). Da keine umfassenden Stu-dien an einer ausreichend großen Patien-tenzahl durchgeführt wurden, ist ein (routinemäßiger) Einsatz dieser sehr teu-ren Substanz in der tierärztlichen Praxisnicht gerechtfertigt. Die Anwendung vonZonisamid in Kombination mit Phenobar-bital verminderte beim Hund in wenigenFällen die Anfallsfrequenz bei chroni-scher Epilepsie (2).

tens zwischen 5 und 15 mg/kg KM zwei-mal täglich. Entscheidend ist, die richtigeMischung zwischen Dosis/Serumspiegel,Wohlbefinden des Patienten (Sedierung,Nebenwirkungen der Medikamente) unddem Therapieerfolg (Anfallsfrequenz) zufinden.

Phenobarbital kann frühestens sechsMonate nach einer anfallsfreien Zeit lang-sam ausgeschlichen werden.

Für Kaliumbromid gilt die gleicheVorgehensweise, allerdings erhöhen sichdie Intervalle für die Kontrolle des Se-rumspiegels auf drei Monate. Der Refe-renzbereich wird mit 1,0-2,0 mg/ml ange-geben (15).

Wirkt das eingesetzte Medikamentnicht ausreichend antikonvulsiv, sollte esgrundsätzlich zuerst austherapiert wer-den, bevor die Behandlung umgestelltoder verändert wird. Wenn sich auch dannkein Therapieerfolg einstellt, wird einezweite Substanz dazugegeben (Kombina-tionstherapie). Auf keinen Fall darf einabrupter Wechsel auf ein anderes Medika-ment erfolgen. Erst nachdem die zweiteSubstanz etabliert ist, kann der ersteWirkstoff eventuell langsam ausgeschli-chen oder reduziert werden (z.B. bei Nebenwirkungen). Empfohlen wird eine

Tab. 1 Dosierung von Antiepileptika

Tab. 2 Einstellung eines Patienten aufPhenobarbital

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Status epilepticus

Ein Status epilepticus ist ein absoluterNotfall und immer eine lebensbedrohli-che Situation: Je nach Literaturangabesterben ein Viertel (11) bis die Hälfte (3)der Patienten oder werden im Anschlusseuthanasiert. Das Krampfgeschehen mussso schnell wie möglich beendet werden.Folgende Medikamente kommen beiHund und Katze zum Einsatz:

Diazepam: 1-2 mg/kg KM intra-venös. Die Gabe kann jeweils im Abstandvon fünf Minuten ein- bis zweimal wie-derholt werden. Hat sich der Patient nacheiner dreimaligen Applikation nicht erholtoder fängt nach kurzer Zeit wieder an zukrampfen, muss auf ein länger wirksamesAntiepileptikum gewechselt werden, wie

Phenobarbital: 2-4 mg/kg KM intra-venös. Die Substanz kann bis zu einer Gesamtdosis von 12-24 mg/kg KM inmehreren Einzeldosen im Abstand von20-30 Minuten oder als einmalige »loading dose« verabreicht werden. Sis-tieren die epileptischen Anfälle auch unter dieser Medikation nicht, muss derPatient in Vollnarkose gelegt werden, vor-zugsweise mit

Pentobarbital: 3-15 mg/kg KM nachWirkung oder

Propofol: In zwei neueren Studien (4, 14) konnten bei Patienten, die auf alledrei oben genannten Medikamente nichtansprachen, refraktäre Anfälle erfolgreichmit Propofol beendet werden (2-8 mg/kgKM als Bolus, danach nach Wirkung).

Der so ruhig gestellte Patient ist einIntensivpatient, d. h. er muss intubiert undintensiv überwacht werden: Temperatur-kontrolle, Atmung, Sauerstoffsättigung,Dauer-EEG falls vorhanden, weiche La-gerung, Infusionsbehandlung, Blasenkon-trolle etc.

Die einmalige Applikation von Me-thylprednisolon (15 mg/kg KM) zur Vor-beugung eines Hirnödems bei Patientenmit Status epilepticus ist vertretbar.

Die häufigsten Behandlungsfehler

– Überhaupt keine oder nicht ausrei-chende Diagnostik.

– Zu später Behandlungsbeginn.– Mangelnde Information des Besitzers

über die Anlaufphase einer Medika-tion bis zum Erreichen des steady state,die Nebenwirkungen, die Notwendig-keit der konstanten Gabe des Medika-mentes und die Risiken eines plötz-lichen Therapieabbruchs oder der eigenmächtigen Dosisänderung. Eshandelt sich in der Regel um eine lebenslange Therapie. Um dafür eineoptimale Compliance des Besitzers zuerreichen, ist ein ausführliches Bera-tungsgespräch unbedingt notwendig.Ein Informationsblatt für den Besitzerstellt ein gutes Hilfsmittel dar.

– Die falsche oder zu niedrige Dosie-rung der Medikamente ist eine häufi-ge Ursache für erfolglose Behandlun-gen. Dadurch geht unnötig Zeit ver-loren, denn je länger die Anfälle nichtrichtig therapiert werden, destoschlechter ist die Chance, einen Pa-tienten erfolgreich zu managen.

– Verfrühter Wechsel auf ein anderesPräparat, ohne das erste auszudosie-ren.

– Abrupter Präparatwechsel, ohne dasMedikament auszuschleichen.

– Keine Überprüfung der Wirkstoff-spiegel. Hier wird leider häufig an derfalschen Stelle gespart. Eine regel-mäßige Kontrolle bis zur erfolgrei-chen Einstellung und auch im weite-ren Therapieverlauf (mindestens allesechs Monate) ist entscheidend fürden Therapieerfolg. Der Besitzer wirdbei entsprechender Aufklärung sicherseine Einwilligung geben. Jeder Sta-tus epilepticus mit Klinikaufenthalt(der durch korrekte Einstellung even-tuell vermieden wird) kostet ein Viel-faches einer einfachen Laboruntersu-chung.

– Verfrühte Euthanasie ohne alle thera-peutischen Möglichkeiten auszu-schöpfen.

Neue Behandlungs-methoden für Tiere?ChirurgieIn der Humanmedizin wird bei selektier-ten therapieresistenten Patienten einechirurgische Behandlung durchgeführt.Dabei wird der epileptogene Fokus mit-tels Thermokauterisation zerstört oderkonventionell chirurgisch reseziert. In derTiermedizin wird dies auch in den nächs-ten Jahren nicht möglich sein. Erstensfehlen die diagnostischen Möglichkeiten,den Fokus exakt zu lokalisieren (24-h-Dauer-EEG, intrakranielles EEG mit Tiefenelektroden, moderne bildgebendeVerfahren wie z. B. Positronen-Emissions-Tomographie – PET). Zweitens muss die Operation unter Lokalanästhesie amwachen und »sprechfähigen« Patientendurchgeführt werden, um lebenswichtigeZentren im Gehirn nicht zu verletzen. DieEpilepsiechirurgie wird daher auf experi-mentelle Studien in Spezialinstituten be-schränkt bleiben.

VagusstimulationDie Vagusstimulation ist ein neues Ver-fahren, das in der Humanmedizin bereitsbei über 10000 therapieresistenten Perso-nen eingesetzt wurde, teilweise mit gutenErfolgen. Sie beruht auf folgendem Prin-zip: Der linke Truncus vagosympathicuswird durch einen subkutan implantiertenStimulator über dünne Elektroden konti-nuierlich gereizt. Die Reizströme werdenüber die sensible Afferenz des zehntenGehirnnerven in dessen Kerngebiet(Nucleus solitarius) und von dort überzentrale Bahnen in kortikale und subkorti-kale Regionen weitergeleitet. Die perma-nente Stimulation führt zu einer herabge-setzten Krampfneigung, nachweisbar alsmessbare Veränderungen im EEG. In derTiermedizin liegt bisher nur eine Studieüber diese interessante Therapiemöglich-keit vor (9). Die zu erwartenden hohenKosten werden dieses Verfahren auch inZukunft auf wenige genau definierte Patienten reduzieren.

Krampfanfälle bei Hund und Katze. Teil 2: TherapieK. Rentmeister

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– Der Besitzer wechselt die Dosis nachBelieben und in Abhängigkeit der Tagesform des Patienten. Dies machtsowohl die Therapiekontrolle als aucheine erfolgreiche Behandlung unmög-lich.

TherapiebegleitendeMaßnahmen durch denBesitzer

Der Besitzer eines an Epilepsie erkrank-ten Tieres erkennt die Entstehung einesepileptischen Anfalls meistens schon imProdromalstadium. In dieser Phase ist esmöglich, beruhigend auf das Tier einzu-wirken und damit die Schwere des Anfallszu dämpfen oder den Anfall sogar zu ver-meiden.

Während eines Krampfanfalls sollnichts unternommen, sondern abgewartetwerden, bis der Anfall vorüber ist (es wurden schon viele Besitzer von ihrenkrampfenden Hunden gebissen!). Fallsnötig können (spitze) Gegenstände ausdem Weg geräumt werden, um Verletzun-gen des Tieres vorzubeugen.

Nach einem Anfall kann der Besitzer –möglichst nur nach Rücksprache mit demTierarzt – Diazepam (einmalige Maxi-maldosis von 1 mg/kg KM) verabreichen,entweder als Zäpfchen oder als rektaleSpritze. Auch die intranasale Applikationist möglich. Eine Indikation hierfür be-steht bei Patienten, die bereits den zwei-

6. Jaggy A, Steffen F. Epileptische Krampfanfällebeim Hund. Prakt Tierarzt 1995; 2: 95-102(Teil I), 3: 191-204 (Teil II), 4: 304-14 (TeilIII).

7. Jaggy A, Bernardini, M. Idiopathic epilepsy in 125 dogs: a long-term study. Clinical and electroencephalographic findings. J SmallAnim Pract 1998; 39: 23-9.

8. Löscher W. Neue Antiepileptika – ein Fort-schritt für die Behandlung epileptischer Tiere.Kleintierprax 1994; 39: 325-42.

9. Munana KR, Vitek SM, Tarver WB, Saito M,Skeen TM, Sharp NJH, Olby NJ, Haglund MM.Use of vagal nerve stimulation as a treatmentfor refractory epilepsy in dogs. J Am Vet MedAssoc 2002; 221 (7): 977-83.

10. Platt SR. Feline seizure control. J Am AnimHosp Assoc 2001; 37: 515-7.

11. Platt SR, Haag M. Canine status epilepticus: aretrospective study of 50 cases. J Small AnimPract 2002; 43: 151-3.

12. Quesnel AD, Parent JM, McDonell W, PercyD, Lumsden JH. Diagnostic evaluation of catswith seizure disorders: 30 cases (1991-1993). JAm Vet Med Assoc 1997; 210: 65-71.

13. Ruehlmann D, Podell M, March P. Treatmentof partial seizures and seizure-like activity withfelbamate in six dogs. J Small Anim Pract2001; 42: 403-8.

14. Steffen F, Grasmück S. Propofol for treatmentof refractory seizures in dogs and a cat with in-tracranial disorders. J Small Anim Pract 2000;41: 496-9.

15. Vernau KM, LeCouteur RA, Maddison JE. An-ticonvulsant drugs. In: Small Animal ClinicalPharmacology. Maddison JE, Page SW,Church D, eds. Philadelphia: Saunders 2002;327-41

Dr. Kai Rentmeister, Dipl ECVNKlinik für kleine Haustiereder Tierärztlichen Hochschule HannoverBischofsholer Damm 1530173 Hannover

ten Anfall innerhalb kurzer Zeit habenoder zu Clustern neigen.

Bei unklaren Verhaltensstörungenoder Epilepsieverdacht kann ein vom Besitzer angefertigtes Video sehr hilfreichsein.

Der Besitzer sollte einen Anfalls-kalender führen (Datum, Dauer, Art undSchwere der Anfälle). So wird eine thera-piebegleitende Beratung erleichtert undder Therapieerfolg auch für den Halterobjektiv erkennbar.

DanksagungGanz herzlich bedanke mich bei Frau Prof. Dr.Andrea Tipold, Tierärztliche Hochschule Hanno-ver, für die Durchsicht des Manuskripts.

Literatur1. Cizinauskas S, Fatzer R, Schenkel M, Gandini

G, Jaggy A. Can idiopathic epilepsy be con-firmed in cats? 15th annual Symposium of the European Society of Veterinary Neurology,Philadelphia, PA, 26.-29.09.2002

2. Dewey C. Zonisamide therapy for refractoryidiopathic epilepsy in dogs. 21st AnnualACVIM Forum 2003, Charlotte, North Caro-lina.

3. Gandini G, Flühmann G, Brini E, CizinauskasS, Jaggy A. Status epilepticus in the dog: retro-spective evaluation of 41 cases. 16th annualSymposium of the European Society of Vete-rinary Neurology, Prague, Czech Republic,26./27.09.2003.

4. Heldman DE, Holt DE, Brockman SJ, BrownDC. Use of propofol to manage seizure activityafter surgical treatment of portosystemicshunts. J Small Anim Pract 1999; 40: 590-4.

5. Heynold Y, Faissler D, Steffen F, Jaggy A. Clinical, epidemiological and treatment resultsof idiopathic epilepsy in 54 labrador retrievers:a long term study. J Small Anim Pract 1997; 38:7-14.

ERRATUMBeim klinischen Fall in der Ausgabe4/03 der »Tierärztlichen Praxis«(Jurina K, Scharvogel S. Impressions-fraktur des Schädels bei einem Hund

Aufarbeitung des Falles erfolgten jedochwährend der Tätigkeit der Autoren an der Klinik für Kleintiere der UniversitätLeipzig.

nach Bissverletzung. Tierärztl Prax2003; 31 [K]: 218; 234-7) ist die aktu-elle Korrespondenzadresse angegeben.Die Behandlung des Hundes und die

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