Teilhabe für junge Geflüchtete ermöglichen und gestalten · 2017-12-12 · Teilhabe für junge...

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BERLIN – 13.09.2017 jmd2start-Abschlusstagung Teilhabe für junge Geflüchtete ermöglichen und gestalten Dokumentation

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BERLIN – 13.09.2017

jmd2start-Abschlusstagung

Teilhabe für junge Geflüchteteermöglichen und gestalten

Dokumentation

2 / jmd2start-Abschlusstagung

Impressum

Modellprojekt jmd2start – Begleitung für junge Flüchtlinge im JMD Servicebüro JugendmigrationsdiensteAdenauerallee 12-14, 53113 Bonn

Bildnachweis: Markus Hertzsch, Servicebüro JMD; S. 15: Nina Pieroth, AWO Bundesverband, Delia Baum Veröffentlichung: 12/2017

Kontakt

Hanna Zängerling Tel. 0228 95968-22, [email protected]

Benjamin Reichpietsch, Tel. 0228 95968-23, [email protected]

www.jmd2start.de

InhaltSeite

Einstimmung: Ein Tag mit vielen Perspektivenwechsel 3

Begrüßung: Thomas Thomer, BMFSFJ und JMD-TrägervertreterInnen 4

Plenum: Zwei Jahre jmd2start – Erfahrungen aus den Standorten 5-6

Plenum: Impulsvortrag „Integration in Deutschland“– Prof. Dr. Naika Foroutan 7

Plenum: Gesprächsrunde „Teilhabe von Anfang an – aber wie?“ 8

Fachforen 1 bis 6 9-13

Perfomancegruppe OpenUp! 13

Ausblick: Charlotte Hüllen, BMFSFJ und JMD-Trägervertreter 14

Stimmen zur Tagung 15

i Dokumentation zur Tagung onlineDie Präsentationen der Tagung, Poster der Standorte und eine Bildergalerie finden Sie online unter:www.jmd2start.de/tagung

jmd2start-Abschlusstagung / 3

Yara ist 19 und kommt aus Syrien. In Homs ging sie nur kurz zur Schule. Was ihr in ihrer schulischen Biographie fehlt, versucht sie gerade aufzuholen. In der Willkommensklasse lernt sie Deutsch, Mathe und anderes mehr. Wenn alles gut geht, möchte sie hier einen Realschulabschluss machen und Krankenpflegerin werden. Yara steht auf und antwortet auf Fragen, indem sie stehen bleibt. oder sich setzt. Hat sie eine Chance, ihre Familie im Urlaub zu besuchen? Nein. Yara setzt sich. Andere bleiben stehen. Wird sie, wenn stichprobenartig Fahrkarten in der Bahn kontrolliert werden, zu den Kontrollierten gehören? Höchstwahrscheinlich. Sie bleibt stehen.

Es ist komisch zu stehen, wenn andere sich setzen können. Yara sieht sich um und fühlt sich gleichzei-tig angestarrt. Sie kann nicht einfach in der Menge der Menschen untergehen und möchte sich doch manchmal gerne wegducken. Weil sie sich im Deutschen unsicher fühlt, weil sie nicht weiß, was aus ihren Freunden geworden ist, weil über ihren Asylantrag noch nicht entschieden wurde.

Willkommen auf der anderen SeiteYara ist in diesem Moment nur die Figur eines Spiels. Eine von zehn Postkarten mit einer kurzen Personenbeschreibung, die als kleines Willkom-mensexperiment den Gästen der Tagung dabei helfen sollte, einen Perspektivwechsel durchzu-spielen. Sich in eine andere Rolle hineinzudenken hat erstaunliche Effekte. Beklemmung wird nachfühlbar. Viele der Anwesenden vollziehen den Perspektivwechsel täglich, nicht als Spiel, sondern

im Arbeitsalltag. Das gilt vor allem für die Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter der Jugendmigrations-dienste (JMD) in ganz Deutschland und ihre Netzwerkpartner, die am 13. September in Berlin zusammengekommen sind.

Bei der jmd2start-Abschlusstagung mit dem Titel „Teilhabe für junge Geflüchtete ermöglichen und gestalten“ ging es darum, in einem Projekt Bilanz zu ziehen, dessen Modellphase bald ausläuft und von dessen Erkenntnissen bei einer bundesweiten Zielgruppenöffnung alle Jugendmigrationsdienste profitieren sollen. Der Auftakt mit „Aufstehen“ und „Hinsetzen“ stimmte das Publikum auf einen Tag mit vielen Perspektivenwechsel ein. Weiter ging es mit Podien, bei denen externe Expertinnen und Experten, Netzwerkpartner und jmd2start-Mitarbeitende berichteten sowie Fachforen mit Schwerpunkten der Beratungsarbeit. Auf einem „Marktplatz“ stellten die Modellstandorte einzelne Projekte vor. Zum Abschluss zeigte die Theater-gruppe OpenUp aus Hamburg in einer beeindru-ckenden Darbietung einen ganz anderen Umgang mit dem Thema Flucht und Ankommen.

i Die Postkarten-Sets zeigen 10 Portraits mit Geschichten junger, geflüchteter Menschen. Sie sind entstanden in Zusammenarbeit des JMD Kassel mit dem Servicebüro JMD. MitarbeiterInnen können die Sets über den Materialversand im Servicebüro bestellen, zum Bestellformular.

EInSTImmunG

< Den Perspektiven-wechsel wagen: Nathalie Dettmar, JMD Kassel, stimm-te die Teilnehmer-Innen auf den Tag ein.

Ein Tag mit vielen Perspektivenwechsel

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„Jugend ermöglichen“

Das Leitmotiv des aktuellen Kinder- und Jugend-berichts nutzte Dr. Talibe Süzen, Referentin für interkult. Kinder- und Jugendhilfe der AWO, in ihrer Begrüßung, um die Aufgabe der Jugendsozialarbeit und somit der JMD zu verdeutlichen. Ziel sei es, die schulische und berufliche Qualifizierung, Verselb- ständigung und Selbstpositionierung der Geflüchte-ten gerade auch unter dem Aspekt als „junge“ Menschen zu unterstützen – mit Blick auf die vielfältigen Erfahrungen und Biographien kein Leichtes. Sie setze eine stärkere Professionalisie-rung, Vernetzung und die Erfassung der speziellen

Bedarfe der Zielgruppe voraus. Auch die Verwal-tungsstrukturen, das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt stehen vor einer wichtigen Aufgabe, sich im Einwanderungsland Deutschland interkultu-rell zu öffnen. Zwar könnten die JMD den etablier-ten Regeldiensten diese Aufgabe nicht abnehmen, aber sie könnten ihre migrationsspezifische Experti-se zur Verfügung stellen, wenn dort Bereitschaft besteht, sich interkulturell auf den Weg zu machen.

Walter Weissgärber, JMD-Bundestutor der BAG EJSA, verwies auf die sich wandelnde Ausrichtung der JMD und zitierte aus dem Manifest des „Rats für Migration“: Die Einsicht „Wir sind ein Einwande-rungsland“ habe in Deutschland lange gedauert und sehe sich aktuell durch einen Abwehrnationa-lismus bedrängt. Stattdessen sollte die politische Überzeugung sein „Wer dauerhaft in Deutschland lebt, gehört dazu – ohne Wenn und Aber“. Dazu tragen vor allem auf Dauer angelegte Programme wie die Jugendmigrationsdienste bei. Um sich an veränderte Anforderungen anzupassen und die Ausrichtung weiterzudenken, seien Modellprojekte wie jmd2start notwendig – zusammen mit Part-nern, wie auch bei dieser Tagung.

Tue Gutes und rede darüber

Thomas Thomer, Unterabteilungsleiter im Bundes-ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), begrüßte die TeilnehmerInnen und lud sie ein, Bilanz zum Modellprojekt zu ziehen. Auch wenn die über 450 JMD bereits fundierte Erfahrungen in der Begleitung von jungen, neuzugewanderten Menschen haben, hieß es zu Beginn des Projekts für die 24 jmd2start-Standorte: Neuland betreten. Die Bedarfe der jungen Geflüchteten – aufgrund ihrer individuellen Erlebnisse im Heimatland, in Drittländern, ihrer

Gesundheitsbedingungen und der Lebenssituation in Deutschland – galt es aufzunehmen und dafür Angebote zu schaffen. Die MitarbeiterInnen mussten sich mit neuen Partnern aus der Asyl- und Flüchtlingshilfe, den entsprechenden Ämtern und Schulen vernetzen und sich fachlich fit machen, auch zur komplexen Rechtslage. Mit Erfolg: Das bestätigt der stetig hohe Zulauf – 700 neue Ratsuchende pro Quartal –, die gelungene Vernet-zung vor Ort und die Zahl der engagierten und kompetenten MitarbeiterInnen. Bereits vor Ablauf des Modellprojekts wurden alle JMD für die Beglei-tung von jungen Geflüchtete geöffnet. Für das BMFSFJ war es dabei jugendpolitisch wichtig, dass die individuelle Situation der jungen Menschen berücksichtigt wird – und somit alle jungen Men-schen unabhängig von Anerkennungsquoten zur Zielgruppe gehören. Denn nur so können frühzeitig Perspektiven in Deutschland eröffnet werden – auf einem Weg, der für die jungen Menschen häufig lang und schwierig ist. Die JMD führen ihre Arbeit – jetzt mit der erweiterten Zielgruppe – fort unddie Erfahrungen des Modellprojekts können, soThomas Thomer, dafür eine gute Basis sein.

> Thomas Thomer,Unterabteilungs-leiter im BMFSFJ, begrüßte die Teilnehmenden.

BEGrÜSSunG

> Jugend im Fokus: Dr. Talibe Süzen (AWO) und Walter Weissgärber (BAG EJSA) hoben die Spezifika des JMD-Programms hervor.

jmd2start-Abschlusstagung / 5

< Lebendige Fakten präsentiert von den jmd2start-MitarbeiterInnen im Publikum.

Zwei Jahre jmd2start

Ausgerechnet Zahlen und Fakten wurden in Berlin so lebendig präsentiert, dass sie auch bei den externen TeilnehmerInnen hängen blieben – von den jmd2start-MitarbeiterInnen im Publikum.

Rund 5.000 Jugendliche aus 79 Herkunftsländern sind an bundesweit 24 Modellstandorten durch 57 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den fast zwei Jahren beraten worden. Der Beratungsalltag in den JMD war geprägt von Beschränkungen der Teilhabe, für die es galt, alternative Lösungen zu finden, mit Restriktionen umzugehen oder ganz grundlegend: die Kommunikation sicherzustellen. Dass hinter jeder und jedem Einzelnen dieser Gesamtzahl individuelle Geschichten und Schick-sale, Beratungserfolge und Frust, Glücksmomente und Anstrengung steckten, wurde immer wieder deutlich. Die wichtigsten Ergebnisse aus zwei Jahren jmd2start fasste Projektkoordinatorin Hanna Zängerling zusammen:

Die meisten der jungen ratsuchenden...> sind zwischen 19 und 27Jahre alt> kommen aus den Ländern Syrien, Afghanistanund Irak> wurden und werden vornehmlich im Rahmenvon sozialpädagogischen Beratungen (66%), weni-ger im Case Management (33%) begleitet.

Erkenntnisse für die JmD-Ausrichtung: > Die Zugangswege erweitern, z.B. durch Koope-rationen mit Unterkünften und Schulen (Willkom-mensklassen), aufsuchende Arbeit, externeSprechstunden z.B. in Ausländerbehörden> Individuell beraten mit besonderen Blick auf dieBiographie – Hintergrundwissen zu den Her-kunftsländern ist gefragt> Gruppenangebote ausbauen, um Teilhabe undKontakte zu ermöglichen> Empowerment-Konzepte nutzen: von Asylver-fahren bis Zeugnisanerkennung> JMD-Arbeit in ihrer menschenrechtlichenDimension wahrnehmen

Erkenntnisse zur netzwerkarbeit der JmD:> Die Netzwerke aktiv weiterentwickeln, dennWege für Härtefälle und strukturelle Lösungensind oft nur in Gremien oder am „Runden Tisch“gemeinsam zu finden> Enger Austausch zu Bedarfen der jungenMenschen und den neu zu etablierenden Maßnah-men – gerade beim Übergang in den Beruf> Die Zusammenarbeit der Jugendhilfe mit denJMD bei Fragen rund um Volljährigkeit und dennotwendigen Jugendhilfebedarf intensivieren.

PlEnum

i Zahlen und Daten zum Modell-projekt finden Sie auch im Factsheet:www.jmd2start.de/infomaterial

6 / jmd2start-Abschlusstagung

funktioniert besser, wenn Kooperationspartner mitmachen. In Köln trat ein Gesangsstudio an den JMD heran – ein Glücksfall. Über mehrere Monate erarbeitete eine Gruppe von neuzugewanderten und gebürtigen KölnerInnen ein Musical, das mehrmals im Sommer 2017 aufgeführt wurde. „Schon bei den Proben haben die Jugendlichen mehr für ihre Deutschkenntnisse getan, als irgend-ein Deutschkurs in dieser Zeit leisten könnte.“

Ein Arbeitsplatz stiftet IdentitätBei Fragen zu Ausbildung und Arbeit geht es oft nicht so schnell, wie es sich viele junge Menschen wünschen. Der JMD Regensburg führte Infoabende zum Schul- und Ausbildungssystem in Bayern durch, bei denen Jugendliche ihre Fragen stellen konnten. Für jmd2start-Mitarbeiterin Anja Arndt-Grundei sind diese frühzeitigen Angebote ein wichtiger Baustein. Junge Menschen, die noch nicht ausbildungsreif sind, vermittelt sie z.B. in PerjuF-Maßnahmen, nutzt aber auch regionale Angebote, die Menschen mit wenig Schulbildung den Übergang erleichtern. „Viele junge Ratsuchende empfinden es als wichtig für Selbstwertgefühl und Identität, eine Arbeit zu finden“, ergänzt Ines Osho. Kein Wunder, dass beim Jobcoaching des JMD Rostock statt der geplanten 15 dreimal so viele Personen teilnahmen.

Und welche Themen kommen auf die JMD zu – was wünschen sich die MitarbeiterInnen? Sprachförde-rung in Fachklassen und mehr Gruppenangebote in DaZ-Klassen werden wichtiger, darin waren sich die KollegInnen einig. Ihr dringlicher Wunsch an die Politik: Den ausgesetzten Familiennachzug für subsidiär Geschützte aufzuheben und mehr Personal an JMD-Standorten einzusetzen, an denen MitarbeiterInnen derzeit ohne personelle Aufstockung die erweiterte Zielgruppe beraten.

Erfahrungen aus Nord, Ost, Süd und West – die jmd2start-Arbeit unterscheidet sich in der regionalen Beratungslandschaft und in landesspezifischen Rechtsregelungen, in einer Großstadt von der Situati-on auf dem Land. Vieles eint die Standorte jedoch auch – z.B. mit den jmd2start-Angeboten Teilhabe zu fördern: vier MitarbeiterInnen berichteten.

Schnelle Einschätzungen gefragtIhr Einschätzungsvermögen bei der ersten Anfrage eines jungen Geflüchteten sieht Ines Osho, JMD Rostock, besonders gefordert und als wichtiges Handwerkszeug: „Je nach Aufenthaltsstatus gilt es zu entscheiden: An welcher Stelle des Asylverfah-rens befindet sich der junge Mensch? Welche Zugänge zu Sprachkursen, Arbeit oder Ausbildung sind möglich? Muss schnell gehandelt werden oder ist Zeit, einen Integrationsplan zu entwickeln?“ Und ihr Lübecker Kollege Abdulla Mehmud ergänzt: „Wir versuchen, uns Zeit zu nehmen, gerade beim ersten Gespräch mit den jungen Menschen. Viele Ratsu-chende haben ein ganzes Bündel an Fragen: Wie funktioniert Deutschland? – Ob Ausbildungswege, Handyvertrag, Nahverkehr und die oft existentiel-len Fragen zum Asylverfahren.“ In enger Zusam-menarbeit z.B. mit Rechtsanwälten, dem örtlichen Flüchtlingsrat, Ausländer- oder Jugendamt berät der JMD frühzeitig oder leitet an erfahrene Netz-werkpartner weiter und bewahrt so vor falschen Schritten. Teilhabe setzt voraus: die eigenen Rechte zu kennen und Abläufe zu verstehen.

Gleichzeitig bedeutet Teilhabe auch noch mehr: „Ein großer Wunsch der jungen Menschen in unserem JMD ist in Kontakt zu kommen mit anderen, deutschen Jugendlichen. Wir wollten für diese Begegnung Angebote schaffen“, so JMD-Mitarbeiterin Mo Leyendeckers aus Köln. Das alles

„Vom jungen menschen her denken!“ Erfahrungen aus den Projektstandorten

PlEnum

> Ines Osho, Anja Arndt-Grundei, Mo Leyendeckers u. Abdulla Mehmud im Gespräch mit Moderatorin Elena Lazaridou (v.l.n.r.).

jmd2start-Abschlusstagung / 7

Um das Thema Migration und Teilhabe im Diskurs zum Einwanderungsland Deutschland zu verorten, war Prof. Dr. Naika Foroutan vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Humboldt-Universität zu Berlin zur Tagung gekommen. Sie zeigte auch die starken Polarisie-rungen in der Gesellschaft auf, die – gerade in den vergangenen zwei Jahren – erkennbar wurden.

Zu Beginn stellte Prof. Foroutan einige Zahlenre-lationen her, z.B. zur Bevölkerungszusammenset-zung in EU-Mitgliedsstaaten, zur Fluchtzuwande-rung innerhalb der EU oder zu Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Gerade in aufgeheiz-ten Diskussionen empfahl sie, empirische Daten in der argumentativen Hinterhand zu haben. Auch wenn damit die Angst nicht direkt aufzulösen sei, könnten die empfundenen Probleme relativer wahrgenommen werden.

Willkommenskultur und rassistische Angriffe Im nächsten Schritt analysierte sie die gesellschaft-lichen Ambivalenzen im Umgang mit Zuwande-rung in den letzten zwei Jahren. Sie beschrieb die Ausweitung von Vielfalt und Diversität einerseits: Jeder und jede vierte Deutsche hat einen Migra-tionshintergrund und mindestens die Hälfte der deutschen Bevölkerung hat Bezüge zu Menschen, die zugewandert sind – über Kontakte am Arbeits-platz, Freunde oder Bekannte. Gleichzeitig habe die andere Hälfte aber keinen Kontakt zu zugewander-ten Menschen. Gerade in Ostdeutschland sind die Berührungspunkte selten, und negative Stereotype stärker verbreitet.

Einer starken Willkommenskultur, die sich z.B. durch acht Millionen ehrenamtlich Engagierte zeigt, steht eine der höchsten Gewaltraten gegen

Geflüchtete in ganz Europa gegenüber. Seit 2015 wurden etwa 6.000 Angriffe auf Asylsuchende oder ihre Unterkünfte verübt. Auch im Bereich des Arbeitsmarkts, bei Schulabschlüssen und Bewer-bungen zeigte die Wissenschaftlerin die Unter-schiede und bestehende Chancenungleichheit gegenüber herkunftsdeutschen Menschen auf, die ihre Ursache auch in Vorurteilen gegenüber neuzu-gewanderten Gruppen haben.

Integrationspolitik als moderne TeilhabepolitikDaraus folgerte Foroutan, dass Integrationspolitik um verschiedene Perspektiven zu erweitern sei, so z.B. um rassismuskritische Ansätze: Eigene ste-reotype Denkweisen, die erst einmal jede Personhabe, selbständig zu reflektieren und überprü-fen zu können sei eine zentrale Lernleistung, dieidealerweise im Schulunterricht zu vermitteln sei.Zudem sei Integrationspolitik auszuweiten zu einermodernen Teilhabepolitik. Der Begriff Teilhabe, soschlägt Foroutan vor, sei dabei weiter zu fassen.Auch strukturschwache Regionen und „abgehäng-te“ Menschen mit herkunftsdeutschen Biographienmüssten eingebunden werden in eine Politik, dienicht nach Herkunft unterscheide, sondern diegesamte Gesellschaft mitnimmt.

Eine Formel für die schwierige Frage, wann Integ-ration als gelungen gelten kann, lasse sich mit dem Akronym ACTIV auf den Punkt bringen. ACTIV ist die Abkürzung für „Anerkennung, Chancengleich-heit und Teilhabe in Vielfachgesellschaften“. Eine schöne Abkürzung – und ein anspruchsvolles Ziel für die JMD-BeraterInnen, gerade wenn junge Menschen aufgrund bestimmter Vorgaben keine Möglichkeiten haben, einen Platz im Sprachkurs oder der Schule zu erhalten.

„Integration in Deutschland vor dem Hintergrund von Fluchtbewegungen und migration“

< Prof. Dr. Naika Foroutan, Humboldt-Universität zu Berlin, ordnete die Arbeit der JMD in den ge-sellschaftspolitischen Kontext ein.

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8 / jmd2start-Abschlusstagung

Teilhabe ist ein Begriff, der viel genutzt wird und dabei gar nicht so leicht umzusetzen ist. „Teilhabe für junge Geflüchtete ermöglichen und gestalten“ – das Motto der Tagung wurde vor allem auf den Podien lebhaft diskutiert. Was ist eigentlich Teilhabe? An welchen Stellen ist sie einzufordern, und von wem?

„Wenn ein Mädchen mit Kopftuch auf einem Plakat erscheint, ist das schon Teilhabe? Hat sie jemand nach ihren Bedarfen gefragt? Und vor allem auch nach ihren Ressourcen, Interessen, ihrer Lebenser-fahrung?“ fragt mohammed Jouni von „Jugendliche ohne Grenzen“(JoG). Und die Frage ist berechtigt, binden doch viele Programme und Angebote junge Menschen erst ein, wenn bereits alles fertig geplant ist und umgesetzt werden soll. Teilhabe heißt für ihn auch, die Kompetenzen der Menschen zu sehen. Bei aller Kritik beobachtet der Vertreter von JoG, dass Teilhabe seit ca. zwei Jahren „endlich“ in das Bewusstsein vieler Einrich-tungen und Verantwortlicher gerückt ist und auch JoG viele Anfragen dazu erhalte.

Wenn es um Teilhabe beim Zugang zum Ausbil-dungsmarkt geht, ist Willkommenslotsin Irena Büttner die richtige Ansprechpartnerin. Seit 18 Monaten matcht sie bei der Handwerkskammer Berlin junge Menschen und Ausbildungsbetriebe und weiß: Teilhabe heißt auch, gut vorbereitet sein und Möglichkeiten zum Sprachelernen zu erhalten. Ohne B2-Niveau ist die Berufsschule nicht zu schaf-fen. Sie bilanziert, dass sich 2016 die Strukturen für die Sprachkurse verbessert haben und für viele jun-ge Menschen sich gerade der frühzeitige Zugang jetzt, zum neuen Ausbildungsjahr, auszahle. Bei den Handwerksbetrieben sei die Bereitschaft groß, junge Menschen – unabhängig von der Herkunft –

auszubilden. Eine gute Begleitung und z.B. ausbil-dungsbegleitende Hilfen sind dafür wichtig.

Wenn der Zugang zu diesen Hilfen im Einzelfall nicht gewährt wird, ist Dr. Barbara Weiser, Juris-tin bei der Caritas Osnabrück, gefragt. Sie be-tonte die rechtlichen Änderungen seit 2015: Es sei wichtig, genau zu wissen, an welchen Stellen der Gesetzgeber Menschen bestimmter Herkunftslän-der aus Maßnahmen ausgeschlossen hat (z.B. Men-schen aus als sicher geltenden Herkunftsländern) oder wo der dauerhafte, rechtmäßige Aufenthalt entscheidend ist. Letzteres muss im Einzelfall überprüft werden, und geht keinesfalls über eine Einstufung in pauschale „Bleibeperspektiven“, wie es in der Verwaltung oft gehandhabt wird. Ist der Asylantrag negativ beschieden, aber der junge Mensch kann eine Ausbildung beginnen, ist eine dauerhaft Perspektive vorhanden. Dr. Weiser empfiehlt, mit Behörden ins Gespräch zu kommen – und im Zweifel eine schriftliche Begründung füreine Ablehnung anzufordern.

Aufeinander zugehen und eine verbindliche, wertschätzende Zusammenarbeit entwickeln sind für Jugendamtsleiterin marion muerköster aus Kiel die einfachen, aber klaren Erfolgsfaktoren für die Unterstützung junger Volljähriger in ihrer Kommune. Sie setzt § 41, SGB VIII, allen jungen Volljährigen die erweiterte Hilfe anzubieten, strin-gent um. Nur wenige junge Menschen entschieden sich, darauf zu verzichten. Dies ist eine besondere Situation in Kiel, die auch von der Landesregierung unterstützt wird, und ein wichtiger Baustein, Teil-habe für junge Menschen zu ermöglichen, die mit vielen Brüchen in der Biographie ankommen und hier Beständigkeit und Sicherheit suchen.

Teilhabe von Anfang an – wie gelingt das?

PlEnum

> Irena Büttner be-richtete, wie sie in Ausbildung vermittelt (li.); Mohammed Jouni ist seit 12 Jahren aktiv bei JoG (re.).

jmd2start-Abschlusstagung / 9

Wie gelingen Kontaktaufnahme und Zugang zu jungen Frauen? Welche Angebote und Rahmenbedin-gungen sind förderlich? MitarbeiterInnen der Stand-orte Leipzig und Jena sowie VertreterInnen von zwei Netzwerkpartnern berichteten. In der Diskussion wurde deutlich: Junge Frauen werden über die bestehenden Angebote noch zu wenig erreicht – erforderlich ist: Netzwerke ausbauen und Kooperati-onen zwischen bestehenden AkteurInnen umsetzen.

Mit einem Blick auf das „Gepäck“ der Frauen, die nach Deutschland fliehen, startete das Fachforum: Vielfältige Interessen, Selbständigkeit, Verantwor-tungsbewusstsein werden als einige Aspekte genannt – diese Wahrnehmung bleibt aber ein Blick von außen, der beratenden Fachkräften – die Frauen mögen dies selbst anders bewerten.

Am Beispiel eines Sportangebots des JMD Leipzig und des Empowerment-Projekts FRIDA für Mäd-chen und junge Frauen des JMD Jena schildern jmd2start-MitarbeiterInnen, welche Gelingensbe-dingungen aus ihrer Sicht wichtig sind, z.B. dass die Angebote niedrigschwellig und einfach erreichbar sind. Auch eine Kinderbetreuung sollte vorhanden sein. Regelmäßige Kontaktarbeit, persönlich oder per WhatsApp, sind ebenso hilfreich. Dennoch war die teils frustrierende Erfahrung: Wenige Teilneh-merinnen kommen regelmäßig und bleiben lang-fristig. Um das zu fördern, ist das frühzeitige Einbeziehen der Zielgruppe in die Angebotsplanung zentral. Und die gelingt am besten über den Kontakt mit Frauen aus der Community, der ver-trauensvoll aufgebaut und gepflegt sein will. Ebenso sollten Familien/Ehepartner bzw. Eltern eingebunden werden, um Unsicherheiten und Missverständnissen vorzubeugen.

Viel Erfahrung bei der Einbeziehung von jungen geflüchteten Frauen hat der Berliner Verein trixiewiz. In ihrem MultiplikatorInnen-Projekt „BeVisible“ erweitern die Teilnehmenden ihr Fachwissen und schaffen Zukunftsperspektiven, indem sie sich für Geflüchtete einsetzen. Zwei AbsolventInnen des Projekts, Asal Akhavan und Mohammed Jouni, berichteten im Forum von ihrer MultiplikatorInnen-Ausbildung, aufgeteilt in sechs Theoriemodule (z.B. zu Asylrecht, Menschenrechten oder Kommunikation) mit zusätzlichen Praxispha-sen in Vereinen/Organisationen.

Ein weiterer Partner für die Arbeit mit geflüchteten Frauen ist das bundesweite MUT-Projekt des Vereins DaMigra. Koordinatorin Małgorzata Gedlek stellte die Angebote vor. Darunter sind z.B. Bera-tungs- und Empowermentprojekte mit dem Ziel, Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte in die Lage zu versetzen, in ihrem neuen Umfeld ein selbst- bestimmtes Leben führen zu können und zu „Mutmacher- und Brückenbauerinnen“ zu werden.

Forum 2: ich.du.deutschland – was Gruppenangebote erreichen

„Ich möchte deutsche Freunde finden.“ Viele junge Geflüchtete nennen das als einen großen Wunsch. JMD bieten vielfältige Angebote in der Gruppe an – partizipativ, niedrigschwellig und in Kooperationmit lokalen Partnern. Mit drei Beispielen zeigten dieMitarbeiterInnen, dass sich die Arbeit lohnt.

Im Demokratie-Projekt „NeulandWahl“ hat Felix Neumann, JMD Lahr mit jungen Geflüchteten po- litische Entscheidungsprozesse erfahrbar gemacht. Erstmalig lief das Projekt 2016 zur Landtagswahl in Baden-Württemberg, im Sommer 2017 zur Bundes-tagswahl. Zusammen mit dem Jugendgemeinderat

FACHFOrEn

< In einem Eisberg-Bild sammelten die TeilnehmerInnen verschiendeFaktoren, die auf die Zusammenar-beit mit der Ziel-gruppe einwirken.

Weitere Infos:> www.jugendmi-grationsdienste.de> www.trixiewiz.de> www.damigra. de/mut-projekt

Forum 1: Angebote und Empowerment für junge, geflüchtete Frauen

10 / jmd2start-Abschlusstagung

> Dazugehören und gehört werden: Felix Neumann (re.)berichtete, wie wichtig Gruppenan-gebote gerade für die Zielgruppe sind, die von anderen Angebote häufig ausgeschlossen sind.

und der Landeszentrale für politische Bildung gestaltete er das Programm: Besuche im Landtag, Fragestunden mit KandidatInnen und eigene U-18-Wahlen. Der Effekt? Die TeilnehmerInnen konnten sich ihre politische Meinungen bilden, Strukturen kennenlernen, ihnen wurde zugehört.

Die „Embassy of Hope“ im Hamburger Thalia Theater ist ein offener Begegnungsraum. Von Beginn an hat Lea Markard, JMD Hamburg, bei jungen Geflüchteten in einer nahegelegenen Sammelunterkunft das Angebot beworben. Gábor Thury, Dramaturg am Thalia Theater und Mitintia-tor, berichtete, warum es auch eine politische Entscheidung war, sich im Herbst 2015 als Theater zu öffnen. Neben offenen Treffs werden Lesun-gen, Theaterworkshops oder Konzerte für und mit den geflüchteten Menschen organisiert. Wie sich die Bedürfnisse im Laufe der Monate geändert haben, merkt Fabian Endemann deutlich. Er berät dort für die Refugee Law Clinic regelmäßig zu Asyl- und Aufenthaltsrecht, Lea Markard vom JMD bietet eine Sprechstunde zu (Aus-)Bildungs- und sozialen Fragen an. Gerade Asylsuchende, deren Antrag abgelehnt wurde, fragen derzeit häufig an.

Immer nur etwas über Flüchtlinge zu hören, hatten vier junge Menschen in Kassel satt. Für sie war es höchste Zeit, ihre eigene Perspektiven einzubrin-gen. Im JMD drehten sie ihren Film und zeigten ihn öffentlich. Edward Xavier, JMD Kassel, initiierte das Medienprojekt mit einem Profi-Kameramann. Dass der Film ein echter Erfolg geworden ist, lag am Engagement der ProtagonistInnen, an der intensiven Beziehungsarbeit vorab und der mehr-monatigen Nachbearbeitung. Die wichtige Erfah-rung für das Publikum: Die jungen Menschen – ak-tiv – als Sprechende in eigener Sache zu erleben.

Forum 3: Wege in Arbeit: junge Geflüch-tete beruflich qualifizieren

Zeit, Zeit und noch mal Zeit ist das Credo, wenn es um die berufliche Integration von jungen Menschen mit Fluchterfahrung geht. Bei der Vermittlung in Ausbildung und Arbeit, Weiterqualifizierung und Anerkennung von Zeugnissen heißt JMD-Arbeit auch „die Fäden zusammenzuhalten“. In diesem Forum wechselten sich Fallbeispiele aus der JMD-Praxis mit Wissenswertem zu rechtlichen Rahmen-bedingungen ab.

Wie gelingt die JMD-Begleitung beim Übergang in den Beruf? Zu Beginn stellte dies Maximilian John, JMD Köln, anhand eines Fallbeispiels vor und zeigte auf, wie viele Faktoren dabei einwirken: So hat der junger Mann aus dem Irak, 22 Jahre, zwar etwas Arbeitserfahrung, das Deutschlernen fällt ihm allerdings sehr schwer. Er hat eine Wohnsitz-auflage in Lünen, möchte aber dringend zu seinen Brüdern nach Köln ziehen. Mithilfe der Willkom-menslotsen ist ein Praktikumsplatz in Aussicht, den er aber aufgrund von Versicherungsfragen, Deutschkurs und Wohnsitzauflage nicht antreten kann. Schließlich erhält er einen Vollzeitarbeitsver-trag, mit Umverteilungsanträgen gelingt nach einem Jahr der Berufsstart.

Zentral ist, die Bedarfe, Wünsche und Interessen der jungen Menschen aufzugreifen – dafür braucht es Zeit, gute Netzwerke und Maßnahmen, die sich flexibel an die Situation der jungen Menschen anpassen, nicht andersherum.

Dr. Barbara Weiser, Juristin bei der Caritas Osna-brück und im IvAF-Programm für das Projekt Netzwerk Integration 3 (netwin 3) zuständig,

Weitere Infos:> www.jugendmi-grationsdienste.de>www.facebook.com/pg/jmdlahr> www.thalia-theater.de/em-bassyofhope

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jmd2start-Abschlusstagung / 11

< Junge Volljährige im JMD. Im Forum 4 bilanzierten die Teil-nehmerInnen: Es gibt gerade bei der Vernetzung noch Nachholbedarf.

ergänzte Wissenswertes zur Beschäftigungserlaub-nis, Ausbildungsduldung und Nebenbestimmungen, z.B. zu den Bedingungen der Wohnsitzverpflich-tung, die den Zugang zu Maßnahmen und Angebo-ten stark einschränken. Bei den Fördermöglichkei-ten für Aslysuchende der Bundesagentur für Arbeit empfahl sie, genau zu schauen, wer zu welchen Maßnahmen zugangsberechtigt ist. Beruht der Zugang auf der Grundlage des dauerhaften und rechtmäßigen Aufenthalts der asylsuchenden Person, muss im Einzelfall geprüft werden, eine pauschale Antwort ist nicht zu geben.

Beim Ausblick auf die Unterstützungsbedarfe in den kommenden Monaten sprachen sich die TeilnehmerInnen dafür aus, dass Deutsch und Fachwissen während der Ausbildung sowie eine kontinuierliche sozialpädagogische Begleitung gesichert sein müssen. Das Fachforum 3 war sich einig: So unterschiedlich jeder einzelne Mensch und seine Bildungsbiographie ist, so flexibel müssen auch Bildungs- und Ausbildungswege gestaltet sein.

Forum 4: Geflüchtet – volljährig – selbständig? Care leaver im JmD

Junge Geflüchtete, die als Care Leaver die (stationä-re) Jugendhilfe verlassen müssen, haben besondere Bedarfe. Es reißen nicht nur soziale Beziehungen ab, sondern es fehlt oft an Wissen zur asylrechtlichen Situation oder finanziellen Förderung. Im Fachfo-rum 4 diskutierten die TeilnehmerInnen die Heraus-forderungen, gerade bei der aktuell steigenden Zahl von geflüchteten jungen Volljährigen.

Wie die Zusammenarbeit zwischen JMD und Jugendamt gut gelingt, berichteten VertreterInnen

aus Kiel. Jugendamtsleiterin Marion Muerköster stellte gemeinsam mit ihrer Kollegin Eva Jordan, zuständig für Amtsvormundschaften, die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und die Arbeit an den Schnittstellen mit dem JMD vor. Die Haltung des Jugendamtes Kiel ist hier eindeutig: (Auch) Jungen Volljährigen muss ein Ankommen ermöglicht werden, daher setzen sie die Hilfen gemäß § 41 SGB VIII regelmäßig ein. Anna Forsthok und Savas Sari, JMD Kiel-Gaarden, beraten in diesem Kontext Vormunde und Fachkräfte zu migrationsspezifischen Themen. Während der Erziehungsbeistandschaft lernen die junge Men-schen bereits den JMD und seine Angebote kennen. Ein gutes Beispiel.

In der anschließenden Diskussion berichteten einige TeilnehmerInnen aber von gegensätzlichen Haltungen und Vorgehensweisen bei der Gewäh-rung von Hilfen. Auch Franziska Schmidt vom Bundesfachverband UMF konnte mit ihrem bundes-weiten Blick, u.a. auf Grundlage des kürzlich abgeschlossenen Projekts „Auf eigenen Füßen stehen“ bestätigen, dass es an vielen Orten gerade bei den Ressourcen für die individuelle Begleitung und an der fachdienstübergreifenden Zusammen-arbeit hapere.

Schließlich sammelten die TeilnehmerInnen einige Lösungsansätze, u.a.: - Runde Tische in den Kommunen, um darausverbindliche Kooperations- und Gesprächsgrundla-gen zu schaffen- die Bedarfe der jungen Volljährigen stärkeröffentlich thematisieren und- Ombudsstellen in ihrer Funktion und Bekanntheitzu stärken.

Weitere Infos:B-UMF: Leitfaden „Junge Geflüchtete auf dem Weg in ein eigenverantwortli-ches Leben beglei-ten“, Juni 2017www.b-umf.de > Publikationen

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12 / jmd2start-Abschlusstagung

Forum 5: Duldung – und dann? Strategien, wenn die Hürden hoch liegen

Junge Menschen, die mit einer Duldung in Deutsch-land leben, sind oft in einer Warteschleife gefangen. Im Jahr 2016 waren dies gut 60.000 Personen zwischen 12 und 29 Jahren. Mit ihnen gemeinsam Perspektiven zu erarbeiten ist eine herausfordernde Aufgabe, weil oft Restriktionen im Weg stehen. Im Forum 5 zeigten zwei JMD, wie es machbar wird.

Die Beratungsstelle Café Zuflucht in Aachen ist einer der wichtigsten Partner für jmd2start-Mitar-beiter Norbert Suing, denn das asylrechtliche Know-How der KollegInnen geht mit der JMD-Beratung beim Zugang zu Sprache und Beruf Hand in Hand. Für Menschen, die aus ganz unterschied-lichen Gründen geduldet sind, ist der Weg über den Zugang zum Ausbildung-/Arbeitsmarkt oft die einzige Chance zur Aufenthaltssicherung. Die Schnittstellenarbeit ist dafür maßgebend.

Norbert Suing und Flüchtlingsberater Ali Ismailovski schilderten dies an zwei Fallbeispielen: Für einen jungen Mann aus Mazedonien (sicheres Herkunfts-land) war die Asylantragsstellung nicht der richtige Weg. Stattdessen bot die Prüfung von Abschie-bungsverboten durch des BAMF eine Alternative, bei der – sofern sie negativ ausfiele – kein Arbeits-verbot folgt. Das zweite Beispiel eines Mannes aus Nigeria zeigte, wie wichtig der frühzeitige Zugang zu Sprache und Ausbildung sein kann, um über eine Ausbildungsduldung den Aufenthalt zu verfesti-gen. Auch für die Einstiegsqualifizierung(EQ) kann eine Ermessensduldung ausgesprochen werden, auch wenn die zuständigen Ausländerbe-hörde bei der Erteilung eher zurückhaltend ist.Anders stellt sich die Lage in Bayern dar, wo sich trotz vorliegendem Ausbildungsvertrag viele

Ausländerbehörden weigern, eine Arbeitserlaubnis auszustellen, zeigte sich am Beispiel aus Regens-burg. PädagogInnen und Ehrenamtliche haben dort die Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“ gegründet, um wieder handlungsfähig zu werden. Vor allem junge Menschen aus Afghanistan sind von Ausbildungsverboten stark betroffen – trotz ihrer hohen Motivation und schulischen Erfolge. JMD-Mitarbeiter Jürgen Wagner berichtete von der Entstehung der Initiative und den wichtigsten Bausteinen: einem Fonds zur Finanzierung des Rechtsbeistands, Veranstaltungen, um Öffentlich-keit zu schaffen und die Betriebe zu aktivieren sowie dem Aufbau eines Patensystems. Nebenbei schätzt der JMD-Mitarbeiter die Initiative wegen des informellen Fachaustauschs und der Netz-werkkontakte. In der Diskussion wurde deutlich:- wie gefragt die Flüchtlingsberatung mit ihremspezifischen Rechtswissen an den Schnittstellen ist- wie wichtig enge Kooperationen mit Rechtsan-wältInnen sind, um sich Strategien vergewissernzu können und- dass die Beistandschaft – trotz besten Engage-ments – an Kapazitätsgrenzen stößt.

Forum 6: Junge Geflüchtete gut beglei-ten – neue Herausforderungen für die JmD-Arbeit?

Die JMD sind seit Januar 2017 offiziell für die Beratung und Begleitung junger Geflüchteter, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, geöffnet. Ein Veränderungsprozess für die JMD-MitarbeiterIn-nen, aber auch die Programmstrukturen. KollegIn-nen der JMD, der Landes- und Bundesebene stellten ihre Perspektive auf die Öffnung dar und diskutier-ten, wie sich die JMD dazu fit machen können. Deutlich wurde: Der Prozess ist noch am Anfang.

Weitere Infos:> www.cafe-zuflucht.de> IvAF-Programm> www.ausbildung-statt-abschiebung.de

> Direkt in die Beratunsgpraxis tauchten die Teil-nehmerInnen beim Forum 5 ein.

FACHFOrEn

jmd2start-Abschlusstagung / 13

< Ausdrucksstark ohne viele Worte, die Perfomance-gruppe OpenUp! vom JMD Hamburg.

Ausgehend von den Erfahrungen der jmd2start-Praxis berichtete u.a. Conni Bauke, JMD Lübeck, wie wichtig die Zielgruppenöffnung war: Die Angebote würden sehr gut von den jungen Men-schen angenommen und die Erfahrungen aus der Beratung könnten über Netzwerke in die Struktur-entwicklung der Kommune einfließen. Als Hand-werkszeug sind für Conni Bauke drei Bereiche zent-ral: gut informiert zu asylrelevanten Fragen zu sein, mit Fachbereichen und Projekten zum Thema Flucht im eigenen Haus eng zusammenzuarbeiten und die Gruppenangebote auszubauen.

„Die Integration von jungen Geflüchteten hängt hochgradig vom Asyl- und Aufenthaltsrecht und den sich ständig ändernden Vorgaben ab,“ steht für Dietrich Eckeberg, Diakonie RWL, fest, der im Forum 6 die Landesebene vertrat. Er forderte für die JMD-Arbeit, das Wissensmanagement sowie die Fort- und Weiterbildung zu rechtlichen Fragen sicherzustellen. Zudem müssten mehr Mittel für Gruppenarbeit bereitstehen, um die Zielgruppen, gerade auch Menschen mit Duldung, gut zu erreichen und bei Desintegrationserfahrungen einen Lebensweltbezug zu ermöglichen.

Als Vertreter der Bundesebene zeigten Jochen Kramer, IB, und José Torrejón, BAG KJS, auf, wo sie die Schwerpunkte im JMD-Programm sehen und gaben einen Ausblick: Mit dem Abschlussbe-richt, Handlungsempfehlungen und der Überar-beitung der Rahmenkonzepte wird es verschiede-ne fachliche Grundlagen geben. Aber auch trägerübergreifende regionale Treffen, Fortbil-dung zu Asyl- und Aufenthaltsrecht, Umgang mit Traumata sowie Selbstfürsorge/Supervision sind in Planung, um die MitarbeiterInnen in der praktischen Beratungsarbeit zu stärken.

Openup! Performancegruppe

Bereits beim Einlass in den Saal war klar: Diese Performance geht unter die Haut. Auf der Bühne 16 Personen, die aus weißen Masken regungslos auf die ZuschauerInnen blickten. Sie standen unter Bildern vom Bombenhagel – dazu tönte eingängige Charts-Musik. An anderer Stelle hätte sie zum Tanzen eingeladen, jetzt war niemandem danach zumute.

Dann die Flucht, nur das Nötigste im Gepäck, dafür viele Wünsche und Hoffnung als Antrieb in die ungewisse Zukunft. Das Mittelmeer wird zur Grenzlinie und zum unfreiwilligen Stopp. Wenn nur eine Person die Überfahrt zahlen kann, wer soll es aus der Gruppe sein? Europa entscheidet per Gesetzgebung und Grenzabwehr, wer Zu-flucht und Sicherheit finden darf. Bei der Tagung wurde das Publikum gefragt – und antwortete mit Schweigen. Niemand wollte eine Entscheidung treffen, doch ohne diese ging das Stück nicht weiter. Mit einem ironischen Zwischenruf war es dann der gut ausgebildete Medizinstudent, der den Zuschlag für die Überfahrt bekommen sollte.

Ein Moment, der bei vielen ZuschauerInnen noch nachwirken sollte. Wer entscheidet? Und wie sind alle Menschen, die in Europa leben und Privilegien genießen, mitverantwortlich für sichere Zugangs-wege? Viel Applaus erhielten die DarstellerInnen von OpenUp! aus Hamburg für die 20minütige Performance, ein Ausschnitt ihres Stücks „Un-titled“. Die internationale Performancegruppe beschäftigt sich mit politischen Themen, er-forscht die eigene Identität und das Leben als Geflüchtete und People of Colour in Deutschland. Dabei stellen sie viele kritische Fragen. Das haben sie auch an diesem Nachmittag geschafft!

PlEnum

OpenUp! online:ww.cjd-nord.de/angebote/ migration-forschung- und-beratung/open-up/

14 / jmd2start-Abschlusstagung

Gedanken zum Abschluss u. Ausblick

Das Modellprojekt geht nun formal zu Ende, mit Blick auf die Zielgruppenöffnung ist weiterhin viel zu tun. Charlotte Hüllen, Referentin im Referat 501, BMFSFJ, verabschiedete die TeilnehmerInnen mit einem Ausblick auf anstehende Aufgaben im JMD-Programm. Gemeinsam mit den Bundestuto-rInnen und der Projektkoordination werden die Ergebnisse, die bei der Tagung schon exemplarisch anklangen, zusammengeführt und für alle 450 JMD aufbereitet. Vor allem den JMD-MitarbeiterInnen, die bislang die Zielgruppe junger Geflüchteter nicht so eng begleitet haben, sollen mit dem Abschluss-bericht und den Arbeitshilfen Empfehlungen für die weitere Arbeit zur Verfügung gestellt werden.

Mit der Zielgruppenöffnung ist bereits viel Bewe-gung in die Ausrichtung der JMD gekommen. Auch in anderen Bereichen erweitern die JMD ihr Profil. Charlotte Hüllen verwies auf zwei neue Vorhaben: „JMD im Quartier“ heißt ein neues Modellprojekt, das an bundesweit 16 Standorten in Kooperation zwischen dem Bundesjugendministerium (BMFSFJ) und dem Bundesbauministerium (BMUB) und dessen Programm Soziale Stadt sowie den Ländern umgesetzt wird. Ziel ist: Die sozialräumliche Ausrichtung der JMD und die Teilhabe der Quar-tiersbewohnerInnen zu stärken. Zudem wird ab 2018 an ausgesuchten JMD-Standorten in Koopera-tion mit Trägern der politischen Jugendbildung und der Extremismusprävention die Arbeit der JMD an Schulen gestärkt. Grundlage hierfür ist das Nationa-le Präventionsprogramm der Bundesregierung gegen religiös begründetetn Extremismus.

Charlotte Hüllen bedankte sich bei den jmd2start-MitarbeiterInnen für ihre engagierte Arbeit, wün-schte für die zukünftigen Aufgaben im Sinne der jungen Menschen allen Anwesenden viel Erfolg und

gab den externen TeilnehmerInnen die Bitte mit auf den Weg, die Angebote der JMD auch in ihre Netzwerke zu tragen und dort bekannt zu machen.

Abschließend fassten die JMD-Bundestutoren Jochen Kramer (IB) und José Torrejón (BAG KJS) die Tagung zusammen und leiteten kommende Aufgaben für die JMD ab: Die Zielgruppenöffnung als tiefgehende Herausforderungen an das JMD-Programm „haben wir angenommen und werden wir auch weiterhin mittragen.“ Der Tag habe gezeigt, dass Teilhabe nicht nur auf dem Willen der jungen Menschen basiert, sondern Teilhabe vor allem auch von politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, der medialen Darstellung von Zahlen und Fakten und dem Umgang mit Ausgrenzungsprozessen abhängt. Daraus ergebe sich auch der Auftrag an die JMD-Arbeit, im Namen der jungen Menschen in den politischen Raum und in die Gesellschaft hineinzuwirken.

Die JMD haben alle jungen Menschen im Blick – sowohl junge Geflüchtete als auch alle anderen neuzugewanderten jungen Menschen. Dafür gestalten sie ihre Arbeit nachhaltig, präventiv und ganzheitlich. Es seien aber mehr als die bestehen-den Ressourcen notwendig. Die Bundestutoren bilanzierten: Wenn die Realität, Deutschland als Einwanderungsland zu begreifen, akzeptiert wird, stehen wir noch am Anfang einer reformreichen Entwicklung. Mit dem Modellprojekt wurde ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung gemacht, aber noch kein abschließender. Weitere Etappen, auch im JMD-Programm, müssen folgen.

> Die JMD-Bundestutoren Jochen Kramer (IB) und José Torrejón (BAG KJS) fassten die Tagung zusammen (li). Die Mitwirkenden des Plenums am Vormittag (re).

AuSBlICK

Herzlichen Dank ...an alle Mitwirkenden, die jmd2start-MitarbeiterIn-nen und Verantwortlichen bei den Trägergruppen und im Referat 501 des BMFSFJ, die zum Gelingen der Abschlusstagung beigetragen haben.

jmd2start-Abschlusstagung / 15

„Ich hoffe, dass viele Teilnehmende von der Tagung mitnehmen, dass junge Geflüchtete in erster Linie junge Menschen sind. Eine

unserer Aufgaben in den JMD ist, dass wir ihnen die Zeit geben und ihre Jugend überhaupt ermöglichen. Sie bringen viele indivi-duelle Ressourcen mit, aber sie brauchen Zeit, um hier anzukom-

men bzw. sich zurecht zu finden. Dabei unterstützen die JMD.“

Dr. Talibe Süzen, AWO Bundesverband

„Ich fand vor allem die Podiumsdiskussion mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der JMD gelungen – als Stimmen aus der Praxis.

Das Beste, was das Programm erreichen kann, sind noch mehr Jugend-liche. Das bleibt die Kernarbeit – bei aller Politik- und Lobbyarbeit.“

Prof. Dr. Naika Foroutan, Humboldt-Universität zu Berlin

„Mir gefällt, dass MitarbeiterInnen aus ganz Deutsch-land die Tagung mitgestalten. Die sind an der Basis und kennen die Bedarfe. Ich verweise Jugendliche oft an die JMD, weil ich mich darauf verlassen kann, dass sie eine gute Beratung bekommen. Ich hoffe, dass es so weitergeht.“ Mohammed Jouni, Jugendliche ohne Grenzen

„Ich wünsche mir, dass wir in den JMD so weiterarbei-ten können. Es ist wichtig, diese Zielgruppe junger geflüchteter Menschen, die es nicht so einfach haben, nicht aus den Augen zu verlieren. Sie müssen präsent bleiben in unserem Beratungsalltag und in der JMD-Ausrichtung.“

Ines Osho, JMD Rostock

STImmEn Zur TAGunG

„Die Theorie sollte zurückstehen, mehr Praxiserfahrungen ist auf Tagungen gefragt.“

„Guter kollegialer Austausch, viele neue Infos.“

„Danke, dass die Tagung für Externe geöffnet wurde. Das ist für Außenstehende nicht nur interessant, sondern es ermöglicht auch neue Kontak-te und Synergien.“

„Es gibt noch viel zu tun – leider ist das Projekt schon vorbei.“

„Die Beteiligung der TagungsteilnehmerInnen hat mir gefehlt.“

„Neue Informationen für meine Beratungsarbeit – vielen Dank!“

„Durchhaltevermögen :-)“

„Ein stärkerer Fokus auf Empowerment wäre hilfreich gewesen.“

„Die Bedeutung von kultureller Sensibilisie-rung ist mir noch mal deutlicher geworden.“*

* in grün: Rückmeldungen aus der Tagungsevaluation

„Ich habe sehr viele engagierte Menschen an einem Ort gesehen – das macht Mut auf mehr!“

„Die Tagung bringt gebündelt die Ergebnisse des Modellprojekts in den Vordergrund und unterstreicht die Notwendigkeit der Arbeit, die wir täglich leisten. Unsere Hoffnung ist, dass die politischen Vertreterin-nen und Vertreter davon überzeugt sind, dass das ein gutes Projekt war und die JMD-Arbeit mit den neuen Anforderungen ausgebaut werden muss. Wir müssen uns fachlich fortbilden und weiterhin bundesweit austauschen.“

Lea Markard (li.) und Svenja Heinrich, JMD Hamburg

gefördert vom jmd2start ist ein Modellprojekt der

www.jmd2start.de

www.jugendmigrationsdienste.de