TEXTILE CHANCEN

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TEXTILE CHANCEN IGF-Förderung hilft dem Mittelstand TEXTILE CHANCEN IGF-FÖRDERUNG HILFT DEM MITTELSTAND Impressum Forschungskuratorium Textil e.V. Reinhardtstraße 12-14 10117 Berlin www.textilforschung.de Redaktion: Checkpoint Media ® Grafik: Heike Unger Fotoquellen Sven George || D´Appolonia S.p.A.1 S. 23/2, 3 || DTNW S. 5/3 || FIBRE S. 42, S. 43 || FKT S. 7 || Hlawatschek S. 27/2 || Hohenstein S. 16/3, 31/2, 3; 32/1; 47/3; 48/1 || HS Niederrhein S. 16/1, 2; 27/1 || ITV U1/3; U4/1; S. 1/1; 5/2; 11/1, 3; 31/1; 32/2, 3; 33 || Kannegiesser S. 41 || Luminex S.p.A. U1/2 || Mattes & Amman S. 26/1 || Paulsberg: U1/1 || Richter-Fa S. 38/2 || Riesenhuber S. 2 || Robatex S. 1/2 || Romstedt S. 37/1 || RWTH S. 5/4; 15, 18 || Schmitz-Werke S. 10; 11/2 || STFI S. 1/3, 4; 23/1, 4; || textil+mode S. 6, 44/1, 2 || TITV U4/2; S. 9/2,3,4, 20; 21 || TUDALIT Markenverband e.V. S. 14/4 || wfk S. 17/3,4; 26/2 || Wohlfart S. 45 Das Forschungskuratorium Textil e.V. ist in einger Zusammenarbeit mit dem Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie e.V. tätig und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. (AiF) sowie der Initiative Kompetenznetze Deutschland beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.

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TEXTILECHANCENIGF-Förderung hilftdem Mittelstand

TEXTILE

CHANCEN

IGF-FÖ

RDERUNG

HILFT

DEM

MITTE

LSTA

NDImpressum

Forschungskuratorium Textil e.V.Reinhardtstraße 12-14 10117 Berlinwww.textilforschung.deRedaktion: Checkpoint Media ®

Grafik: Heike Unger

Fotoquellen

Sven George || D´Appolonia S.p.A.1 S. 23/2, 3 || DTNW S. 5/3 || FIBRE S. 42, S. 43 || FKT S. 7 || Hlawatschek S. 27/2 || Hohenstein

S. 16/3, 31/2, 3; 32/1; 47/3; 48/1 || HS Niederrhein S. 16/1, 2; 27/1 || ITV U1/3; U4/1; S. 1/1; 5/2; 11/1, 3; 31/1; 32/2, 3; 33 ||

Kannegiesser S. 41 || Luminex S.p.A. U1/2 || Mattes & Amman S. 26/1 || Paulsberg: U1/1 || Richter-Fa S. 38/2 || Riesenhuber S. 2

|| Robatex S. 1/2 || Romstedt S. 37/1 || RWTH S. 5/4; 15, 18 || Schmitz-Werke S. 10; 11/2 || STFI S. 1/3, 4; 23/1, 4; || textil+mode

S. 6, 44/1, 2 || TITV U4/2; S. 9/2,3,4, 20; 21 || TUDALIT Markenverband e.V. S. 14/4 || wfk S. 17/3,4; 26/2 || Wohlfart S. 45

Das Forschungskuratorium Textil e.V. ist in einger Zusammenarbeit mit dem Gesamtverband der deutschenTextil- und Modeindustrie e.V. tätig und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen„Otto von Guericke“ e.V. (AiF) sowie der Initiative Kompetenznetze Deutschland beim Bundesministerium fürWirtschaft und Technologie.

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Fäden und Fasern verbinden, verändern und er-schließen zugleich neue Horizonte. Textile Innova-tionen sind fortschrittsbestimmend und schreibenIndustriegeschichte. Das in Berlin ansässige For-schungskuratorium Textil stellte 69 dieser Highlightsin der Reihe „Textile Revolution“ vor. Die 2008 und2010 herausgegebenen Hefte sind wie der regel-mäßig erscheinende Newsletter im Download unterwww.textilforschung.de erhältlich. Das Heft „ImAbendkleid unterm Autohimmel“ kann direkt be-stellt werden.

TEXTILE REVOLUTION

Vom Nylonstrumpf zum FlugzeugrumpfRTextile Evolution RTextile Evolution

Im Abendkleid unterm Autohimmel

„Das von Ludwig Erhard aufgelegte Programm

Industrielle Gemeinschaftsforschung ist ein

Solitär in Europa und hat in über 55 Jahren

nichts von seiner Leuchtkraft verloren – auch wenn über eine bessere

Mittelausstattung für die nächsten Jahre noch nachgedacht werden

sollte.“Prof. Dr. Heinz Riesenhuber, Bundesforschungsminister a. D.

INNOVATIVE ZUCKERWATTE

Die Feinheit der verwendeten Fasern und damit ein extrem ge-ringes Flächengewicht bei maximaler Materialoberfl äche stellt einen Schlüssel für zahlreiche neue Anwendungen für Vliesstoffe 28 dar. Im Jahr 2003 wird durch das Institut für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf (ITV) ein bewährtes Verfahren für den Lackauftrag im Automobilbereich erfolgreich für den Einsatz in der Vliesherstellung modifi ziert.

In einem elektrostatischen Feld werden Spezialpolymere in Lösungsmitteln gelöst (Nassspinn-Verfahren) und auf eine sich extrem schnell drehende Scheibe getropft. Bei der Zerstäu-bung verdampft das Lösungsmittel und es bilden sich auf diese Weise extrem feine Fasern. Es entsteht mit hoher Produktivität ein gleichmäßiges, weiches Feinstfaservlies, das an Zuckerwat-te erinnert. Mit Hilfe des Zentrifugenspinnens können Feinst-faservliese an der Schwelle zum Nanometerbereich mit einem Gewicht von ca. 1 g/m2 hergestellt werden.

Ein weiterer, besonders wirtschaftlicher Weg zur Herstellung von feinen Vliesstoffen ist das Melt Blown-Verfahren. Bei die-sem Schmelzspinn-Verfahren werden die Fasern nach Austritt aus der Spinndüse durch komprimierte Heißluft verstreckt.

Zum Einsatz kommt feinfaseriges Vliesmaterial in Form von Matten oder 3-D-Formlingen u. a. in der Medizintechnik, bei Reinigungstextilien, bei Schutzbekleidung, als Dämmstoff so-wie als Saugeinlage und in der Filtration zur Feinstpartikelab-scheidung. Sie sind wasserdicht, chemikaliendicht, mikroben-dicht aber gleichzeitig atmungsaktiv.

GUT ZU WISSEN:

Faserfeinheiten in Abhängigkeit vom Spinnverfahren 42Schmelzspinnen >/< 1 µmNassspinnen > 1 µmZentrifugenspinnen > 1 µm

Melt Blown > 0,2 µm

Zum Vergleich: menschliches Haar 50-100 µm

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ZENTRIFUGEN-SPINNEN & MELT BLOWN

BAUEN MIT DURCHBLICK

Weil sie beim Bau ihres Rathauses die Fenster vergessen ha-ben, versuchen die Bürger der Stadt Schilda in einem deutschen Märchen Licht mit Säcken ins Innere des Gebäudes zu schaffen. Heute ist es durchaus möglich, Licht durch kompakte Mauern zu leiten - das Zauberwort lautet „Lichtbeton“.

1996 bettet man am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen (ITA) erstmals lichtleitende Glasfasern in Beton und schafft damit einen transluzenten Baustoff mit schier unend-lichen Einsatzmöglichkeiten. Aber erst über 10 Jahr später ge-lingt es, Lichtbeton im großtechischen Maßstab herzustellen.

Die Lichtdurchlässigkeit dünnwandiger, großfl ächiger Bau-teile wird bei einem, vom Institut für Textilmaschinen und Tex-tile Hochleistungswerkstofftechnik der TU Dresden (ITM) im Jahr 2007 vorgestellten Verfahren, durch Licht leitende tex-tile Voll- oder Hohlprofi lfasern erreicht. Diese werden senk-recht in einer die Fasern aufnehmenden Fläche oder Matrix aus Beton eingebunden.

Natürliche und künstliche Lichtquellen sorgen so bei Mau-ern, Verkleidungen und Designelementen, wie dem abgebildeten Waschtisch der Firma Robatex, für ein faszinierendes Spiel von Licht und Schatten. Das frost- und säurebeständige Material kann wie herkömmlicher Beton in allen gängigen Methoden verarbeitet werden: Es kann verklebt, gesägt, geschliffen, ge-bohrt oder gestrahlt werden. Begeistert wären die Bürger von Schilda sicherlich auch von den transluzenten Betonpaneelen mit integrierter Wärmedämmung, die sich seit kurzem eben-falls am Markt befi nden.

GUT ZU WISSEN:

Als Transluzenz wird die partielle Lichtdurchlässigkeit eines Körpers bezeichnet. In Abgrenzung dazu versteht man unter Transparenz die Bild- und Blickdurchlässigkeit eines Materi-als. Das Wort Transluzenz wird abgeleitet vom lateinischen Begriff „lux“ für Licht.

TRANSLUZENTER BETON

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Bilder Umschlagseiten: Neue textilbasierte Werkstoffe für Technik, Beruf und Freizeit – Wasserabweisend durch Nano-Beschichtung | Berufsbekleidung mit textilen Sensoren und Leuchtgewebe | Betonmöbel mit Wandstärken von nur wenigenMillimetern | Selbst leuchtende Textilien mehr als ein Modegag | Technischer Pflanzenhalm nach dem Bauplan der Natur

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�� Eines der dienstältesten Förderprogrammedes Bundes beweist auch im sechsten Jahr-

zehnt seine Vitalität: Das Programm INDUSTRIELLEGEMEINSCHAFTSFORSCHUNG (IGF). Die inzwi-schen legendär zu nennende Förderhilfe des Bun-desministeriums für Wirtschaft und Technologie

(BMWi) ist für den ständigen Brückenschlag zwi-schen Wissenschaft und Industrie mitverantwort-lich. Kleine und mittlere Unternehmen erhaltenauf diese Weise den direkten Zugang zu neuenForschungsergebnissen und damit für Know-howder Spitzenklasse. Nach wie vor gilt: Alle IGF-For-schungsergebnisse stehen für den deutschen Mit-telstand frei zur Verfügung.

Das noch von Ludwig Erhard angeregte vorwett-bewerbliche und bis heute einzige Programm zurForschungsförderung auf Branchenebene sorgt füreinen unverwechselbaren Standortvorteil. Dasspermanente Industrieforschung einen ganzen In-dustriezweig erneuern kann, zeigt das Beispiel derdeutschen Textil-, Mode- und Bekleidungsindustrie.Die einst dem Untergang geweihte Branche konntedurch überdurchschnittlichen Wissenschafts-Input

und den Mut vieler Unternehmen, sich auf Techni-sche Textilien umzuorientieren, binnen wenigerJahrzehnte erneuern. Was wissenschaftliche Ein-richtungen (oft im Verbund mit Hochschulen undbegleitet von Unternehmen) in diesem Rahmen er-forschen, wird von Mittelständlern aus den jewei-

ligen Industriebereichen als Anregung aufgegriffen,adaptiert und in innovative Verfahren, Produkteoder Dienstleitungen umgemünzt.

Das von der Arbeitsgemeinschaft industriellerForschungsvereinigungen e. V. (AiF) betreute Pro-gramm war 2011 mit 135 Mio. Euro ausgestattet(s. S. 44). Bewährt haben sich drei Fördervarian-ten: ZUTECH (branchenübergreifende Forschungs-vorhaben, bis 2010), CORNET (europäische undbranchenübergreifend) und CLUSTER (mehrereProjekte entlang einer Wertschöpfungskette). IGF,so die summarische Erfahrung auch der 16 deut-schen Textilforschungsinstitute, schafft immer ge-nügend Forschungsvorlauf. Davon, wie die Textilerdiese wissenschaftlichen Anregungen aufnehmenund in welcher Weise sie davon profitieren, han-delt diese Broschüre.

IGF: IMMER GENÜGENDFORSCHUNGSVORLAUF

1Innovative Technische Textilien durchdringen fast alle Lebensbereiche. Bilder von links: Zelt mit Solardach | Waschbe-cken aus transluzentem Textilbeton | Schmutzabweisende Tischdecke dank Nano-Beschichtung | Geotextilien: Super-grobe Geogitter zum Schutz brandgefährdeter Böschungen

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�� Gemeinsame Probleme einer Branche odereines Industriezweigs im Schulterschluss von

universitärer und institutioneller Forschung mit Un-ternehmen lösen: Mit diesem visionären Ansatzetablierte der Bund vor fast 60 Jahren ein außer-gewöhnliches Förderprogramm. Die IndustrielleGemeinschaftforschung hat unter dem Kürzel IGFseither zu Wirtschaftswunder, Exportrekorden undhöchster internationaler Wertschätzung für Tech-nologien und Produkte „made in Germany“ beige-tragen. Von Anfang an war die Textilindustrie indiese neue Form der Forschungsförderung einge-bunden, die zugleich größenbedingte Nachteile derUnternehmen unserer mittelständisch geprägtenBranche ausgleicht.Zum Programmstart 1954 hatte der Bund rund eineMillion DM eingeplant; 1990 lag der IGF-Etat beifast 120 Mio. DM und hat sich bis heute mehr alsverdoppelt. 10 bis 12 Millionen Euro fließen davonjährlich in vorwettbewerbliche Forschungs- und Ent-wicklungsvorhaben rund um Faser, Garn und Zwirn.Davon profitieren die im Forschungskuratorium ver-einten 16 Textilforschungsinstituten und ihre Praxis-partner. Besondere Stärke des vorwettbewerblichenBMWi-Programms: Sämtliche Forschungsergebnissewerden über Veröffentlichungen stets der gesam-ten Branche zur Nutzung erschlossen.Nur mit Hilfe der IGF konnte seinerzeit der Struktur-wandel der deutschen Textilwirtschaft gelingen.Ohne sie hätten sich nach der Wiedervereinigungauch kaum leistungsfähige textile Forschungs- undProduktionskapazitäten in den neuen Ländern eta-blieren können. Dafür sind wir dankbar. Zugleichsicherte das Programm kontinuierlich Hightech-Entwicklungen mit Direktwirkung auf Wettbewerbs-fähigkeit, Umsatz, Arbeitsplatz- und Steuerauf-kommen der Industrie: Der Airbus A 380 würde

ohne textile IGF-Vorlaufforschung vielleicht nichtfliegen, die Automobilindustrie hätte ihre interna-tional führende Stellung schwerlich behauptet, auchim Maschinenbau und zahlreichen anderen An-wenderbranchen tragen TechTex-Innovationen zurStärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland bei.Von ausländischen Kollegen wissen wir: Um diesesFörderinstrument, das die industrielle Eigeninitiativestärkt und dank seiner Themenoffenheit die Wett-bewerbsfähigkeit der Gesamtindustrie erhöht, be-neidet man uns in aller Welt. Umso erfreulicher, dassdie Bundesregierung im Rahmen ihrer Technologie-offensive die Industrielle Gemeinschaftsforschungweiter stärken will. Die vollständige Umstellung derAuswahl förderwürdiger Projekte auf ein wettbe-werbliches Verfahren kann die Qualität der Ergeb-nisse nur voranbringen.Diese Broschüre soll Einblicke in die Arbeitswelt derim IGF-Rahmen unterstützten Textilforscher undihrer Industriepartner vermitteln. Dass dies so in-formativ wie unterhaltsam gelingt, hoffe ich sehr.

Klaus Huneke

3

INHALT

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Klaus HunekeVorstandsvorsitzender Forschungskuratorium Textil

DAS WICHTIGSTE ZUERST1 IGF: Immer Genügend Forschungsvorlauf3 Klaus Huneke: Das Wichtigste zuerst

4 DIMENSION NATIONALWie sich der Industriezweig Textil+Mode erneuerteGespräch t+m-Ehrenpräsident Peter Schwartze

8 LEUCHTTEXTILIEN – Wenn dem Autositz ein Licht aufgeht...10 LOTOSMARKISEN – Selbstreinigung erhält Farbbrillanz

12 DIMENSION BAUTextilbeton – Der lange Weg eines Leichtgewichts

15 INTELLIGENZ AM HAKEN – Wann reißt das Seil?16 STARKE BEISPIELE18 ALUTEX – Noch nicht am Ziel19 TEXTILE AMPEL – Farbwechsel signalisiert Säureschutz20 THERAPIEHANDSCHUH – „Smart Textiles“ für Schlaganfallpatienten

22 DIMENSION EUROPAFLY-BAG bringt mehr Flugsicherheit

26 PERSÖNLICHE SICHTEN28 FKT – DACH UNTERM DACH29 Schatzkammer vor der Öffnung

30 DIMENSION MEDIZINVon Hohlfasern und Nervenleitschienen

34 SCHWEBE-FASSADE – Fehlstart führt zum Erfolg

36 DIMENSION MITTELSTANDForschung als Impuls für kleine Firmen

40 WETTBEWERB DER ANTRÄGE41 PARTIKEL GEZÄHLT42 ORGANOFOLIE – Bremer Forscher gibt CFK-Großserien

neuen Anstoss44 PROGRAMMWIRKUNGEN – Wachstumsfördernd & stabilisierend45 DAS NETZ DER NETZE46 TEXTILE REVOLUTION – UV-Schutz und Photochromie

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�� Unglaublich, aber wahr: Die deutsche Textilin-dustrie gehört inzwischen nach ihrem nicht

ganz freiwilligen Imagewechsel vom Traditionsher-steller mit den Schwerpunkten Spinnen, Weben undKonfektionieren zum trendangebenden Hightech-Dienstleister zu den kreativsten und vielgestaltigs-ten Werkstofflieferanten. Die Innovationen aus einer

fast schon totgesagten Branche haben inzwischenalle wichtigen Bereiche durchdrungen. Mehr noch:Ohne die Ergebnisse der textilen Revolution aus den16 Textilforschungsinstituten gäbe es weder Wind-räder, Abstandsgewirke noch Hochleistungsfilter.Textile Verbundstoffe fliegen in jedem Airbus mit –ihr Material-Anteil liegt beim Typ A 350 bei gut 50Prozent. Faserverstärkte Kunststoffe revolutionierendie Autoindustrie ebenso wie den Fassadenbau.Selbst in der Medizin ist der technotextile Vormarschnicht aufzuhalten: Bei der Therapie von Leistenbrü-chen sind Hernien-Netze mit jährlich rund einer Mil-lion Implantierungen Standard; kettengewirkteGefäßschläuche aus Polyester (Stents) halten ver-stopfte Blutgefäße offen. Und: Intelligente Klei-dungsstücke können unter dem Stichwort „SmartTextiles“ inzwischen Elektrizität und Daten leiten.

1.200 TEXTILFORSCHERNirgendwo ist der Beitrag zum technotextilen Fort-schritt größer als in Deutschland, sagt Dr. KlausJansen, Geschäftsführer des Forschungskuratoriums

Textil e.V. In den angeschlossenen Forschungsein-richtungen erarbeiten 1.200 Wissenschaftler imAuftrag der Textilforschung Grundlagen für inno-vative Produkte und Verfahren und sichern so dieZukunftsfähigkeit über die eigene Branche hinaus.Beispiel Medizintechnik: Wer weiß schon, dass dieTextilforschung für die Humanmedizin bereits weit

über 30 textilbasierte Anwendungen wie künstli-che Aorten, Herniennetze oder kühlende Gipsver-bände entwickelt hat?Untersuchungen zufolge kamen aus der Textilwirt-schaft als dem zweitgrößten Konsumgüterbereichin den vergangenen 20 Jahren gut 6.000 Patent-anmeldungen. Der Gesamtverband textil+modebeziffert den aktuellen Branchenumsatz der 1.200Unternehmen mit rund 27 Mrd. Euro; rund dieHälfte setzt die Textilbranche bereits mit Produk-ten aus dem Bereich Technische Textilien um. DieErzeugnisse von mittlerweile 380 Herstellern flie-ßen in zukunftsträchtige Produkte und Anwen-dungen ein und ergänzen bzw. ersetzen bewährteWerkstoffe wie Holz, Aluminium, Kunststoffe undStahl. Textil gehört nach Fahrzeug- und Elektro-industrie zu den Branchen mit der größten Inno-vationskraft. Eine Studie der Deutschen Bank vomJuli 2011 beziffert den Weltmarktanteil deutscherHersteller von Technischen Textilien auf 45 Pro-zent. Genau das ist der Weg, den die IGF-Förde-rung weist.

Wie sich der IndustriezweigTextil+Mode erneuerte

5Bild S. 4: Vliesstoff-Technikum im Sächsischen Textilforschungsinstitut Chemnitz. Bilder von links: FerienressortTropical Islands mit UV-schützender Außenhaut | Textile Nebelfänger im Süden Afrikas im Test | Biegsame Photovoltaik-Module auf textilem Trägermaterial | Vorform eines Cabrio-Hardtops als textile Leichtbau-Komponente

DIMENSION NATIONAL

Dass die meisten Textilforschungsinsti-tute vor allem in Baden-Württemberg,Mitteldeutschland und Nordrhein-Westfalen zu finden sind, ist industrie-geschichtlich bedingt: Gewebefor-schung und textile Wertschöpfungwaren von je her Nachbarn. Jedochkamen der Textilindustrie ab Mitteder 60-er Jahre hunderttausende Ar-beitsplätze und tausende Unterneh-men abhanden. In den Folgejahrendrohte ein ganzer Industriezweig derGlobalisierung und Niedriglöhnen inFernost zum Opfer zu fallen.

Der rettende rote Faden wurde indesin den Textilforschungsinstitutenrund um das einstige NischenthemaTechnische Textilien gesponnen. Dankeiner Vielzahl geförderter Projektedurch Bund und Länder wurden neueTechniken für innovative, umsatzbrin-gende und weltmarktfähige Fäden,Gewebe und textilbasierte Werk-stoffe entwickelt. Das IGF-Programmwar dafür eine tragende Säule.

1872 - Adolf von Bayer (formbarer Kunststoff)1881 - Theodor Bickel (Plauener Spitze)1890 - Oscar Troplowitz (Leukoplast)1903 - Hans Prym (zweiteiliger Druckknopf)1907 - Henkel („Persil“)

1912 - Sigmund Lindauer (BH)1938 - Paul Schlack (Perlon)1949 - Heinrich Mauserberger („Malimo“-Wirktechnik)1956 - Miele (Waschvollautomat)1969 - Seidensticker (bügelfreie Hemden)

Auswahl von Textilerfindungen „made in Germany“

DIMENSION NATIONAL

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7Deutschland hat mit 16 Textilinstituten eine in der Welt einzigartige Branchen-Forschungsinfrastruktur

�� Der Ehrenpräsident des Gesamtverban-des textil+mode, Peter Schwartze, sieht

in der IGF-finanzierten Forschung eine we-sentliche Triebkraft für die Revitalisierung die-ses klassisch- deutschen Industriezweigs.

Die innovative Seite Ihrer Branche machtSie zufrieden?Aber ja. Nennen Sie mir ein anderes Land, das einesolche Textilforscherdichte hat – und das seit vie-len Jahrzehnten. Mit anderen Worten: Innovatio-nen aus dem Mittelstand – oft Ergebnis des engenZusammenwirkens mit den Textilforschungsinsti-tuten – sichern die internationale Spitzenpositionder Branche. Nur könnten manche Transferpro-zesse schneller zum Erfolg führen. Ich verweise nurauf die Endlosstory Textilbeton. Seit 20 Jahren wirdhier geforscht: Lösungen rund um Brücken, Fassa-den und entsprechende Möbel sind einsatzfähigund haben eine Menge Vorteile gegenüber her-kömmlichen Beton. Sogar CO2 kann durch die Ver-wendung von Textilbeton eingespart werden – das

Material ist also ein Klimaschützer. Die Verwen-dung in der Praxis muss aber noch deutlich geför-dert werden.

Wie sieht der Ehrenpräsident die textileZukunft am Standort Deutschland?Optimistisch: die Qualität deutscher Mode wirdsich gegenüber Billiganbietern noch stärker als bis-her behaupten können. Und die Dynamik und In-novationsdichte im Bereich technischer Textilien istbemerkenswert. Die Wirtschaft setzt mehr undmehr textilbasierte Werkstoffe „Made in Germany“– von Leichtbau-Compositmaterialien und textilba-sierten Sensoren bis hin zu Leucht- und Geotextilien– ein. Allerdings sollten Forscher und Produzentenauch wachsam nach links und rechts über die Landes– und Kontinentgrenzen hinaus schauen: AlleinChina wird in absehbarer Zeit das Mehrfache anForschungspersonal als wir haben.

Sie sind jetzt im 73. Lebensjahr. Als Sie 15Jahre alt waren, hat Ludwig Erhard einFörderprogramm auf denWeg gebracht,von dem alle Kernbranchen – und damitauch Textil – heute noch profitieren …… Sie sprechen von der Industriellen Gemein-schaftsforschung. Diese vorwettbewerbliche För-derung hat den Textilern seit 1954 fast jedes Jahreinen zweistelligen Millionenbetrag für die Indus-trieforschung ermöglicht. Für mich ein Kernpro-gramm des Bundes, das nach wie vor seineBerechtigung hat und ohne das die Textilforschungund die daraus resultierenden Technologie- undProduktanstöße kaum denkbar sind. Ohne IGF alseine wesentliche Triebkraft hätte die Textilbrancheden Strukturwandel nicht so schnell geschafft, dabin ich mir sicher.

Forschungstransfer macht den Erfolg

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Ehrenpräsident des Gesamtverbandes textil+mode,Peter Schwartze

Textilforschung in Deutschland

DIMENSION NATIONALDIMENSION NATIONAL

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�� Ohne das ELITEX®-Material, das von der Toch-terfirma imbut GmbH produziert und vertrie-

ben wird, würde es so manche Zwischenerfolgeauf dem selbst gewählten TITV-Weg zur textilenSolarzelle noch nicht geben.Dieses Leitvorhaben wird in Greiz dank entspre-chender Fördermittel vom Land Thüringen, denbeiden Bundesministerien für Wirtschaft/ Techno-logie bzw. Bildung/Forschung sowie der EU seit im-

merhin schon zwölf Jahren verfolgt. An mehrerendaraus resultierenden Grundlagenpatenten derTextilforscher führt inzwischen kaum noch ein Wegvorbei …Marketingchefin Sabine Gimpel nimmt eine ein Kiloschwere ELITEX®-Spule aus dem Regal – und hatdamit wertmäßig 1.950 Euro in der Hand. „DerMeter kostet 8 Cent“, sagt die langjährige Mitar-beiterin. Sie berichtet von ersten Anwendungen,bei denen industriell hergestellte textile FlächenEnergie oder Daten übertragen, heizen oder ebenleuchten. Allesamt Innovationen bzw. Produkt-ideen, die zum Beispiel Patienten zugute kommen,zur Personensicherheit beitragen, Skifahrerhändewärmen oder Autofahrern besseren Bedienkom-fort bieten.In Zusammenarbeit mit der Daimler AG und anderenHerstellern wurden sinnvolle Leuchtpotenziale imPKW-Innenraum erschlossen: Leuchtmarkierungenan der Türverkleidung oder an Rückenlehnen, ein il-

luminierender Autohimmel. Auch von textilen Schal-tern in superflacher Bauart ist die Rede, die her-kömmliche Dreh- und Druckschalter überflüssigmachen könnten. Demnächst soll es auf ELITEX®-Basis Leuchtwesten, leuchtende Werbebanner undGardinen sowie LED-Leuchtschnüre geben. TextileLeuchtbänder dagegen sind schon Realität. Sie wur-den zum Einsatz beispielsweise im Katastrophen-schutz zusammen mit der Franz Schäfer Etiketten

GmbH, einem Traditionshersteller aus dem RaumBautzen, entwickelt.

Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter – auch inForm von Förderprogrammen. Eine Schlüsselfunk-tion sei dem ZUTECH-Projekt 146 zugekommen, er-innert sich die Marketingchefin. Die dabei zwischen2004 und 2006 erzielten Ergebnisse zur Energie-und Informationsübertragung in „Smart Textiles“(am besten mit „mitdenkende Gewebe“ zu über-setzen) hätten Wege in ganz verschiedene Rich-tungen geebnet. Integriert in textile Strukturenwerden textile Sensoren zur berührungslosen Er-fassung von Körperdaten (EKG- oder EMG-Signale),hochflexible Stimulationselektroden oder auch the-rapeutische Systemen zur interaktiven Abgabe vonWirkstoffen nicht mehr lange Zukunftsmusik blei-ben. Die Nachfrage nach textilen Monitoringsyste-men ist groß und wächst ständig.

www.titv-greiz.de

Wenn dem Autositz ein Licht aufgeht ...

9Bild S. 8: Der Autositz von morgen mit textilen Schaltern und Leuchtflächen. Bilder von links: Elitex®-Garn setztTextilien unter „Strom“ | Leuchtender Autohimmel | LED-Gewebe auch für Automotive | Gestickte Leiterplatten

LEUCHTTEXTILIENLeuchttextilien haben in Deutschlandgleich mehrere „Väter“. Licht leitendeGewebe sind Forschungsfelder sowohlim ITV Denkendorf, dem SächsischenTextilforschungsinstitut Chemnitz alsauch am TFI - Institut für Bodensys-teme an der RWTH Aachen. Allerdingswaren Wissenschaftler vom Textilfor-schungsinstitut Thüringen-Vogtlande.V. (TITV) Mitte der 90-er Jahre welt-weit so ziemlich die ersten, die derar-tige Anwendungen textiler Elektronikvoraussagten – und seither an diesemProblemkreis unter Mitwirkung zahl-reicher Industriepartner aus Medizin,Fahrzeugbau, Dekoration und Beklei-dung arbeiten ...

LEUCHTTEXTILIEN fluoreszieren oderphosphorisieren passiv oder erzeugenihr Licht durch Einsatz von LED bzw.integrierten Lichtwellenleitern. Beider Verdrahtung von elektronischenMikrobauteilen spielen die ebenfallsim TITV entwickelten hochleitfähigenELITEX®-Fäden eine Hauptrolle. In-zwischen lassen sich einfache Schalt-kreise aus diesem galvanisiertenMaterial weben und sticken.

ab 1997 ab 2004 ab 2004 ab 2010Vorprojekt IGF-ZUTECH BMBF-INNOREGIO/EU-INTERREG BMBF-VerbundprojektLand Thüringen (Energie- und Infoüber- (selbst leuchtende Textilien) u. a. Mikro-LEDs

trägung in Smart Textiles)

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�� Stefan Ruholl ist Technikleiter im Schmitz-Textil-werk. Der Manager weiß, dass die Natur mit

ihren Bauplänen und Oberflächeneigenschaftenseiner Branche so manches mitzuteilen hat. Nochbevor es um bionische Schutzschichten für Schirme,Markisen und Dekostoffe ging, hatte das Traditi-onsunternehmen für die Entwicklung stabilerer Trä-gersysteme auf Bioniklösungen zurückgegriffen. ImErgebnis haben technisch hergestellte Sehnen dietragenden und sperrigen Metallarme abgelöst; dieMarkisenhalterung sieht zudem eleganter aus.

Dann die nächste Herausforderung, für die Flora undFauna adaptierbare Vorschläge bereithielten: Hoch-wertiger Sonnenschutz, zumal wenn er attraktiv inFarbe und Design ist, wird infolge von Staub undVerschmutzung immer lichtundurchlässiger. Weildas Abbürsten von Markisen eine Zumutung für Ei-gentümer und Material gleichermaßen war, nahmder nordrhein-westfälische Hersteller Kontakt zuden Textilbionik-Fachleuten des Instituts für Textil-und Verfahrenstechnik in Denkendorf (ITV) auf. Dortliefen bereits Forschungen und Tests zum Themawasser- und schmutzabweisende Textilien. DieSchmitz-Werke kamen erst ziemlich am Ende desProjekts hinzu, sollten aber von den Ergebnissen alserste profitieren.Dr. Thomas Stegmaier, der die Bionik-Forschung vonderzeit gut einem Dutzend Projekten am Institut ko-ordiniert, erinnert sich an die Schwierigkeiten von

damals: „Man kann den Selbstreinigungseffekt ausder Natur nicht eins zu eins auf textile Oberflächenübertragen ohne die besonderen Eigenschaften derMikro- und Nanotopographie des Gewebes zu be-rücksichtigen.“ Im Ergebnis eines zweiten IGF-Pro-jekts – diesmal mit dem ITCF Denkendorf und denHohenstein-Instituten – stellte sich heraus, dass dieNanobeschichtung auf Textil mit einem neuen Ver-fahren viel resistenter und wirksamer sein kann alsbei nachträglicher Oberflächenveredlung der Faser.Die Selbstreinigungseigenschaften des Gewebes wird

dadurch verstärkt, wenn mikroskalige Synthesefaserndirekt im Spinnprozesses mit Hilfe magnetisierbarerNanopartikel dazu veranlasst werden, eine zusätzli-che nanostrukturierte Oberfläche zu bilden.Der Effekt beider Veredlungsvarianten, die inzwi-schen auch bei Outdoor-Bekleidung Anwendung fin-den: Treffen Staub und Regen auf das Textil, sorgendie durch Mikro- und Nano-Strukturierung zustandegekommenen Billionen winziger Speerspitzen aufder Faser für den aus der Natur bekannten Abper-leffekt. Emsdetter Hightech-Polyestergewebe, dasinzwischen zusätzlich gegen UV-Belastung schützt,trägt übrigens das in Denkendorf entwickelte Qua-litätslabel „Self-cleaning inspiried by nature“. DasProdukt ist ausgereift und für Nutzer und Umweltvöllig risikofrei.

www.schmitz-werke.dewww.itv-denkendorf.de

Selbstreinigung erhält Farbbrillanz

11Schmutzabweisende Markisenstoffe nach dem Vorbild der Natur: Der abperlende Wassertropfenschwemmt zugleich den Staub weg

LOTOSMARKISEN

Schmutzabweisende Beschichtungen:Was der Maikäfer, Alpenveilchen oderder in diesem Zusammenhang schonvor Jahren berühmt gewordene Lotos(Nelumbo nucifera) vormachen, lässtsich inzwischen auch auf Textiliennachempfinden. Welterster Herstellereines Schattenspenders mit selbstrei-nigender Oberfläche sind die Schmitz-Werke in Emsdetten. Das Unternehmenerzielt nur wenige Jahre nachVermark-tungsstart mit seinen neuen „sunsilk“-Markisen erfreuliche Umsatzerfolge.

Der Selbstreinigungseffekt bei Regenwird nach dem Vorbild der Natur durcheine spezielle Nano-Beschichtung er-reicht. Deren „Mixtur“ mit anschlie-ßender Optimierung beschäftigte diebeiden größten europäischen Textil-forschungsstandorte in Denkendorfund Hohenstein in Form von zwei IGF-Projekten.

2002 2004 / 2006 2006 2007/ 2009 2010BMBF-Machbarkeits- IGF-Projekt: Produktionsstart: IGF-Projekt ITCF/Hohenstein: Sunsilk-Markisen:studie (ITV) Schmutzabweisende „Sunsilk“-Markisen in Verbesserte umsatzstärkstes

Textilien (ITV) den Schmitz-Werken Oberflächenstrukturen Segment

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�� 1992 starteten wir das erste IGF-Projekt“, er-läutert Prof. Dr.-Ing. Peter Offermann, damals

Institutsdirektor an der TU Dresden. Schnell habesich jedoch gezeigt, so der heutige Berater desDeutschen Zentrums Textilbeton und Vorsitzendedes neuen Markenverbandes, dass die Kenntnisba-sis für praxisnahe Anwendungen von Carbonfaser-Verbundmaterial schlicht nicht ausreichte. WeiteresGrundlagenwissen musste also zunächst gesammeltwerden. Zwei von der DFG finanzierte Sonderfor-schungsbereiche mit unterschiedlichen Schwer-punkten zum Thema Textilbeton entstanden dazu1999 in Dresden und Aachen. Bis zum Förderendeim September 2011 legten sie schrittweise die wis-senschaftliche Basis für eine wirtschaftliche Nutzungtextiler Bewehrungen. Parallel liefen in Dresden fastdurchgängig produktbezogene IGF-Teilprojekte, ausdenen wiederum ungeklärte Fragen in die Grundla-genforschung zurückflossen. Offermann nennt dieseInteraktion wertvoll, ohne BMWi-Hilfe wäre manheute längst nicht in der Lage, über zahlreiche De-monstrations- und Referenzobjekte hinaus konkreteAnwendungen unter realen bauwirtschaftlichen undbautechnischen Bedingungen in Angriff zu nehmen.Hier aber liegt auch das (Transfer)-Problem.Wer in Deutschland nach neuen Verfahren, zumalmit Hightech-Materialien, großtechnisch bauenwill, braucht eine amtliche Zulassung. Nicht etwanur für den Einzelbau, sondern generell für dieTechnologie. Sie zu bekommen, ist wegen gefor-derter technischer Nachweisverfahren aufwändig– und damit teuer. So teuer, dass die meisten Groß-unternehmen der Baubranche bislang vor einer Be-teiligung zurückschrecken. Dennoch ist Offermannoptimistisch, in vier, fünf Jahren neben schon heuteproduktionsreifen großformatigen Fassadenelemen-ten (s. S. 34) dank Stahl ersetzender Carbonfasern

endlich auch im Bereich tragender Konstruktionentextile Bewehrungen mit ihren enormen wirtschaft-lichen, technologischen und ökologischen Vortei-len in die Baupraxis einführen zu können.Dazu bündelt der TUDALIT-Verband Kompetenz undRessourcen von Akteuren der gesamten Wert-schöpfungskette – vom Carbonfaserproduzentenüber Textilunternehmen, Maschinenbauern bis zuBetonlieferant und Bauunternehmen. Mit vereintenKräften treiben sie das allgemeine Zulassungsver-fahren, Türöffner für dann vereinfachte und kosten-günstige Zulassungen einzelner Anwendungsfälle,voran. Dass die Firmen noch reichlich Geduld undGeld aufbringen müssen, bis etwa das brand-schutztechnische Leistungsvermögen des Materialsnachgewiesen ist, ficht Offermann nicht an: „Fürden Durchbruch des Textilbetons braucht es visio-näre Unternehmer, genau wie seinerzeit beim Stahl-beton – dessen Entwicklung über 150 Jahre ist bisheute nicht abgeschlossen.“ Dass die Praxisüber-führung bei mehr Innovationsfreudigkeit und Enga-gement der großen Baukonzerne deutlich schnellergehen könnte, sagt er nicht.Doch auch so ist Deutschland in diesem völlig neuenTechnologiebereich international führend. Tenden-ziell deutlich sinkende Preise bei Carbonfasern be-stärken die Zuversicht, dass der leichtgewichtigeBaustoff Textilbeton bald seinen Bremsklotz ab-werfen kann.

www.tudalit.de

TEXTILBETON:Der lange Weg eines Leichtgewichts

13Bild S. 12: Textilbasiert sanierte Innenkuppel im denkmalgeschützten Finanzamt Zwickau.Bilder von links: Prof. Peter Offermann – einer der Väter des Textilbetons | Kuppel des historischenFinanzamtgebäudes in Zwickau

DIMENSION BAU

Anfang der 90er Jahre beschlossen dreiProfessoren der TU Dresden, des Säch-sischen Textilforschungsinstituts STFIund der RWTH Aachen, das Bauwesenzu revolutionieren. Dabei sollte korro-sionsanfälliger Stahl als Bewehrungs-mittel durch textile Komponentenabgelöst werden. Peter Offermann,Hilmar Fuchs und der inzwischen ver-storbene Burkhard Wulfhorst ahntendamals nicht, worauf sie sich einlie-ßen: Nach fast 20 Jahren Forschungmit 30 Mio. Fördermitteln aus demIGF-Etat und von der Deutschen For-schungsgemeinschaft (DFG) ist das„Werk“ fast vollbracht. Theoretisch.

Tatsächlich stehen die Wissenschaftlerund ihre mittelständischen Industrie-partner bei der Praxisüberführungdieser Erkenntnisse jedoch fast am An-fang.Aufwändige Zulassungsverfahrenschrecken bislang manchen Bauunter-nehmer vom Textilbeton-Engagementab. Mit der Kraft des 2009 gegründe-ten Markenverbandes TUDALIT soll dieRevolution dennoch gelingen.

1993 1999 2006 2009 bis 2010 2011Start des ersten Gründung zweier DFG- Erste Textilbetonbrücke Gründung Textilbeton- Begleitende AuslaufenIGF-Projekts Sonderforschungsbereiche der Welt in Markenverband IGF-Projekte der DFG-Textilbeton an TUD und RWTH Oschatz (Sachsen) TUDALIT Förderung

DIMENSION BAU

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Zwei Jahre später stand fest: Ein „Sensorseil“ kannfunktionieren und für Anwendungen mit besonde-ren Sicherheitsanforderungen auch wirtschaftlichsinnvoll sein. Welche das sein sollten, wie die Um-setzung aussehen könnte und welche empirischeDatenbasis dafür benötigt werde, erbrachten zweianschließende Projekte mit BMBF-Unterstützung. In-zwischen waren Industrieunternehmen einbezogen,die das enorme Potenzial der entstehenden Lösungschnell erkannt hatten. Derzeit laufen Entwicklungs-

arbeiten für drei konkrete Anwendungsfälle: Auf-zugs-, Windenseile und Hebeschlingen – allesamthochwertig und dank geringer Dehnung optimal fürtextile Detektoren geeignet. Ein erster Fahrstuhl läufttestweise in Neuhausen (Baden-Württemberg) beider Firma Thyssen-Krupp mit einem „intelligentenSeil“, dem „Smart Rope“. Die Zusammenarbeit mitden Mittelständlern bezeichnet Dipl.-Ing. Wipfler als„ideal“. Die kleinen Firmen seien innovativ und trotzdes noch beträchtlichen Aufwands für völlig neueNormen und Zertifizierungen hoch motiviert. DenIGF-Vorlauf am Anbeginn nennt sie „grundlegend“,weil erst er die Machbarkeit zu beweisen ermög-lichte: „Andernfalls wäre das Langzeit-Projekt SmartRope nicht umgesetzt worden.“ So aber eröffnensich bereits neue Ansätze für Monitoring-Lösungen,etwa bei faserverstärkten Kunststoffen im Auto-motive- oder Luftfahrtbereich.

www.ita.rwth-aachen.de

15Bilder von links: Seil unter Biegewechselbelastung | Sicherungsseil mit integrierter Sensorik |Hebeschlinge im Einsatz | Erster Prototyp eines Seiltesters aus dem Projekt Sensorseil

�� Diese für die Sicherheit von Menschen und Gü-tern entscheidende Frage ist bei Stahltrossen

und -seilen seit 100 Jahren erforscht. Wann aberextrem leichte, feste und relativ teure Hochleis-tungsseile aus Chemiefasern in Aufzügen oder ananderen Hebevorrichtungen gewechselt werdenmüssen, darüber fehlen bislang gesicherte Erkennt-nisse. Seit acht Jahren arbeiten deshalb Wissen-schaftler des Instituts für Textiltechnik der RWTHAachen (ITA) an einer Technologie, die verlässlich

Verschleiß und Materialermüdung überwacht sowiedie Restnutzungszeit verbindlich anzeigt.Dazu werden mit einem Auswertesystem kombi-nierte, elektrisch leitfähige Textilfäden in das Seil ge-flochten. Mithilfe ihrer Widerstandsveränderungenkann eine Aussage zur verbleibenden Zahl von He-bevorgängen bis zum unumgänglichen Wechsel ge-troffen werden. „Bevor unsere Industriepartner einfertiges Produkt vorlegen können, werden wohlnoch fünf Jahre vergehen“, glaubt Melanie Wipfler.Absehbar, so die ITA-Projektleiterin, werde es den-noch das weltweit erste überhaupt sein, das dieRestlebensdauer des Materials präzise ausweist.Auch beim Intelligenten Seil stand ein IGF-Projektam Anfang Pate: Seit 2004 hatten die AachenerForscher mit Kollegen des TITV in Thüringen unter-sucht, ob es überhaupt technisch machbar sei, Sen-soren für die Belastungs- und Verschleißkontrolle inlastaufnehmende Bänder und Seile zu integrieren.

INTELLIGENZ AM HAKENWann reißt das Seil?

�� Zahlreiche experimentelle und Demons-trationsbauten, aber auch erste Serien-

produkte in nichttragenden Bereichen stellendie eindeutige Überlegenheit carbonfaserver-stärkten Betons gegenüber klassischem Ma-terial exemplarisch unter Beweis.

SCHWEBEND ÜBERBRÜCKTDie welterste Brücke aus Textilbeton wurde 2006auf dem Gelände der Landesgartenschau Sachsen

in Oschatz errichtet. Weitere Brückenbauten folg-ten in Kempten/Allgäu und Albstadt, Baden-Würt-temberg.

LEICHT VERHÜLLTTrotz Abmessungen von bis zu 200 x 130 cm wiegtdas schwerste von 530 Fassadenelemente am neuerrichteten Gebäude des Instituts für Baustoffe derTU Dresden dank Bewehrung mit Glasfasertextil le-diglich 180 kg. Sämtliche Platten konnten deshalbauch ohne Kran montiert werden.

INNERE WERTEDas Motto „Textil revolutioniert Beton“ lässt sichauch beim Interieur belegen. Am Institut für Textil-maschinen und Textile Hochleistungswerkstoff-technik der TU Dresden wurde transluzenter, alsolichtdurchlässiger Textilbeton entwickelt. Erstmaligist nun auch die Herstellung dünnwandiger Beton-

elemente und Hohlkörper mit nur zwei MillimeternWandstärke ebenso wie etwa von Badmöbelnmöglich. Neuartige Flächenheizungen, beispiels-weise für U-Bahnen, sind auf gleicher Basis im Ent-stehen.

TRAGENDE FUNKTIONAuch im Tragwerksbereich bewährt sich das inno-vative Verbundmaterial bereits beispielhaft. Sokonnte 2006 die Hyparschale über dem großen

Hörsaal der FH Schweinfurt nur mit 15 Millimeterstarkem carbonfaserbasiertem TUDALIT-Beton ver-stärkt werden, 2008 wurde auf gleiche Weise dasdenkmalgeschützte Tonnendach des 1903 in Stahl-beton errichteten Finanzamts Zwickau (Sachsen)saniert.

TISCH & STUHLSeit Herbst 2010 macht die Paulsberg Möbelmanu-faktur in Dresden Textilbeton im Wortsinne salon-fähig. Ihre nur Millimeter starken, schwungvollenBetonsessel aus hoch- wie wetterfestem Feinbe-ton stützen sich auf Gelege aus Carbonfasern. DasHightech-Material lässt sich dekorativ schleifen,polieren, imprägnieren und wachsen, wirkt beson-ders attraktiv in Kombination mit Holz, Glas, Natur-stein oder Metall. Als zweite Produktlinie bietet dasStart up-Unternehmen Outdoor-Möbel für denstädtischen Raum und Parks an.

Referenzen in Textilbeton

14 Bilder von links: Prof. Offermann auf einem Brückenbauteil aus Textilbeton | Textilfassade an neuemTU-Gebäude in Dresden | Zweite Finanzamtskuppel in Zwickau | Arbeiten an der Hörsaalkuppel derFH Schweinfurt

DIMENSION BAU

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SCHUTZ BEI SCHARFEN KLINGEN

�� Fragt man Dr. Torsten Textor vom Deut-schen Textilforschungszentrum Nord-West in

Krefeld nach marktrelevanten Folgen einer von ihmmaßgeblich mit verantworteten neuen Technologiefür stichsichere textile Verbundmaterialien, wird derDTNW-Projektleiter einsilbig. Man kennt solch‘ be-redtes Schweigen als gutes Zeichen …Nicht vertraulich ist in jedem Fall: Mit rund 200.000Euro aus dem IGF-Etat beflügelt, hatten die Krefel-der Experten ab 2001 über zwei Jahre sehr spe-ziellen Wissensvorlauf geschaffen. Anschließendwussten sie und bald auch die interessierte Fachöf-fentlichkeit, wie man schusssichere Kleidungsstückeeffizient gegen Attacken mit Messern und Klingen

aller Art aufrüstet. Die traditionell als ballistischerSchutz eingesetzten, besonders zugfesten p-Ara-midfasern brauchen dazu „nur“ eine wenige Mikro-meter starke Umhüllung aus Hybridpolymeren, dieihrerseits mit nanopartikulärem Aluminiumoxid ge-füllt ist. Dann dringt eine Test-Klinge in eine Schutz-weste nur noch neun statt nach Polizeinormenzulässige 20 Millimeter ein.

„Das Sicherheitsbedürfnis wächst europaweit, reintextile Westen sichern den Träger nur begrenzt undeine Messerattacke ist hierzulande gewiss wahr-scheinlicher als ein Beschuss“; soviel ist Dr. Textorimmerhin zu entlocken. Auch, dass die seinerzeitim Textilbereich unbekannte Sol-Gel-Technologieerst und nur dank der BMWi-Förderung so erfolg-reich vorangetrieben werden konnte.

www.dtnw.de

STANDARD FÜR TEXTILHYGIENE

�� Lebensmittelindustrie, Gesundheitswesen,Pharmaindustrie: Wie schließt man für hygie-

nisch anspruchsvolle Bereiche eine biologischeKontamination dort genutzter Textilien nach Auf-bereitung in textilen Dienstleistungsbetrieben aus?Eine EU-Norm hatte zwar 2002 Vorgaben für einQualitätsmanagement-System zur Kontrolle derBiokontamination fixiert, jedoch keine mikrobiolo-gischen Grenzwerte benannt. Die Kunden verlang-ten aber zunehmend Hygiene-Garantien. „Auchdank unserem IGF-Projekt 13466 N kann eine stetigwachsende Zahl textiler Dienstleistungsbetriebediese inzwischen beruhigt und gesichert geben“,versichert Dr. Jürgen Bohnen, Direktor des wfk-Cleaning Technology Institute in Krefeld. DessenExperten fanden zwischen 2002 und 2004 in Ko-operation mit zahlreichen textilen Dienstleistern he-raus, dass eine sachgerechte Hygiene während desgesamten Wiederaufbereitungsprozesses sicher-gestellt werden kann, wenn IGF-gestützte Grenz-werte in einem Hygiene-Qualitätsmanagement-System beachtet werden. Daraus entwickelte derTextilverband intex mit dem wfk ein RABC (dt.: Ri-sikoanalyse und Kontrollsystem Biokontamination)-Zertifikat, das inzwischen über Deutschland hinausallmählich zum europäischen Standard wird.

www.wfk.de

17Bilder von links: Projektleiter Dr. Torsten Textor mit dem stichsicheren Material | Schusssichere Westenschützen nun auch gegen Klingen | Hygiene-Betriebsbegehungen sind Voraussetzung für die Zertifikat-vergabe | Textil-Biokontamination wird dank RABC reduziert

LEUCHTENDE TEPPICHE

�� Die Idee, Bodenbeläge zum Leuchten zu brin-gen, kam Wissenschaftlern des Forschungsin-

stitutes für Textil und Bekleidung der HochschuleNiederrhein, als die Glühbirne in Europa zum Aus-laufmodell wurde. Sie wollten elektrolumineszenteKabel schon bei der Herstellung im Textil platzieren.Gemeinsam mit dem TFI in Aachen suchten sie Mög-

lichkeiten, Licht- und Farbgebungselemente zu inte-grieren. Tests zeigten: Gegenüber Einweben oderAufsticken war Tufting erfolgversprechender. Faden-schlingen, die in den Teppichgrund genadelt werden,können zur Fixierung der Kabel genutzt werden. DasTFI steuerte eine Verarbeitungstechnologie bei, diedie Unversehrtheit der Kabel sichert. Die leuchten je-doch nur bei Anschluss an eine Stromquelle, die Ent-wickler sprechen deshalb von aktiver Licht- undFarbgebung. Sie ist nicht auf äußere Lichteinwirkungwie Sonneneinstrahlen angewiesen, damit reflektie-renden oder nachleuchtenden Systemen überlegen.Inzwischen ist die Entwicklung auch dank 220.000IGF-Euro, knapp ein Viertel davon für die Hochschulein Mönchengladbach, abgeschlossen „Die Industriegriff unser Know-how auf und arbeitet an konkretenProdukten“, berichtet Prof. Dr.-Ing. Maike Rabe.

www.hs-niederrhein.de

16 Bilder von links: Webteppich mit integriertem Elektrolumineszenz (EL)-Kabel und Anschluss |Dreher-Gewebe mit eingewebten EL-Kabeln vor dem Tuftvorgang | Erstmals verlässliche Daten zuKörpermaßen kräftiger Frauen verfügbar

STARKE BEISPIELEWas bringt der IGF-Vorlauf für die Branche konkret?

PASSGENAU FÜR STARKE FRAUEN

�� Deutschlands Bevölkerung legt statistischbeim Gewicht zu. Künftig können nun auch

Frauen mit Konfektionsgröße ab 48 aufwärts erst-mals auf passformgerecht geschnittene Kleider,Hosen, Blusen hoffen. Denn Wissenschaftler des Ho-henstein Institut für Textilinnovation e.V. haben mit-tels 3D-BodyScanner die genauen Körpermaße4000 starker Damen erfasst und für die Industrieaufbereitet. „Bei Reihenmessungen war der Anteilgroßer Größen stets zu gering, die verfügbarenMaße wichen deshalb von der Realität ab“, erläu-tert Simone Morlock, Projektleiterin in Hohenstein.Die jetzt aktuellen und optimierten Körpermaßesowie eine darauf basierende Marktanalyse als Pla-nungshilfe für bedarfsgerechte Größensortimentehätten bei der Industrie „riesiges“ Interesse gefun-den – ebenso wie die virtuellen, sehr realistischen3D-Modellbüsten, die das Institut für Textilmaschi-nen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik derTU Dresden im gemeinsamen IGF-Projekt entwi-ckelt habe.Über 70 Mal haben Bekleidungsunternehmen bis-lang den Forschungsband mit den Projektergebnis-sen abgerufen. „Die Daten fließen direkt in dieProduktentwicklung ein“, ist Ellen Wendt von derTU Dresden überzeugt.

www.hohenstein.de, www.tu-dresden.de

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�� In vielen Industriezweigen muss Berufsbeklei-dung nach dem Waschen stets neu mit einem

Schutz vor aggressiven Flüssigkeiten versehen wer-den. Professionelle Textilreiniger imprägnieren siemit Fluorcarbonharzen, die Säure abperlen lassen –und haften für die uneingeschränkte Protektwir-kung. Doch wie können Dienstleister und Kleidungs-träger sicher sein, dass auch nach der 50. Wäschedie Behandlung erfolgreich war? „Hierfür suchtenwir ein einfaches, aber verlässliches optischen Sig-nalsystem“, erklärt Diplom-Chemikerin Carmen Kno-

belsdorf vom Thüringischen Institut für Textil- undKunststoff-Forschung (TITK) in Rudolstadt.Ihr konzeptioneller Ansatz: Vom Urzustand bis zumEndprodukt durchlaufen Textilien ständig wässrigeProzesse, stets ändert sich dabei der pH-Wert. Nachdem Waschen sind Textilien chemisch stark alka-lisch, durch Spülen höchstens neutral. Die Impräg-nierung entfaltet ihre Schutzwirkung aber nur, wenndas Gewebe vor oder beim Aufbringen sauer ist.Also entwickelten die Thüringer mit Hilfe von200.000 Euro aus dem IGF-Programm ein einzunä-hendes Stofflabel, dessen Farbe sich (erst) beimWechsel vom alkalischen in den sauren Bereichsowie umgekehrt deutlich und definiert ändert. Die-ser Wechsel signalisiert dem Reiniger ebenso wiespäter dem Träger auf einen Blick: Die Imprägnie-rung hat gegriffen, der Schutz ist gewährleistet.

Zwar sind Indikator-Farbstoffe keine Neuerfindung,ihre Nutzung bei Reinigungsprozessen scheiterteaber stets an unzureichender Waschbeständigkeit.Erst in Kooperation mit einem Farbstoffhersteller undeinem Textilleasing-Unternehmen fanden Projekt-leiterin Knobelsdorf und ihre Forscherkollegen nachvielfachen Tests mit unterschiedlichen Farbstoffenund veränderlichen Waschbedingungen eine Lösungauf Basis reaktiv koppelnder Indikatorfarbstoffe. In-dustrieversuche mit echter Säureschutzbekleidungzeigten: Das nur ein paar Quadratzentimeter große

TITK-Label an Jacke oder Hose signalisiert zuverläs-sig die Schutzwirkung und ist zugleich über mindes-tens 50 Waschgänge farbstabil. Ziel erreicht.Über Veröffentlichung in Fachzeitschriften und alsForschungsbericht wurde dieses Know-how 2009der Branche erschlossen. Bundesweit produzierenetwa 40 Hersteller jährlich rund fünf Millionen StückBerufsbekleidung. Wert: 100 Millionen Euro. Selbstwenn nur ein Teil davon säureresistent sein muss, istdas Potenzial des kleinen Labels gewaltig.Carmen Knobelsdorf würde gern fachlich anknüp-fen: Das TITK beantragte ein IGF-Projekt für eineeinfache optische „Sicherheitskennung“ gegen Pro-duktpiraterie. Vielleicht hätte der Zoll schon ein pro-bates Mittel gegen gefälschte Markentextilien –wäre da nicht (s. S. 40) die leidige Warteschleife …

www.titk.de

TEXTILE AMPELFarbwechsel signalisiert Säureschutz

19Bilder von links: Projektleiterin Carmen Knobelsdorf zeigt Testmuster für gezielte Farbwechsel |Demonstration des Farbumschlags | Die „Schutzampel“ wird einfach eingenäht

�� Im Automobil-, Maschinenbau oder der Luft-fahrttechnik hat sich Aluminium vor allem

dank seines geringen Gewichts als Stahlkonkurrentfest etabliert. Getrübt wird das Bild allerdings durchdie begrenzte Halt- und Belastbarkeit von Bautei-len aus diesem Leichtmetall. Faserverstärkte Bau-teile auf Kunststoffbasis sind oft keine Alternative,da nur eingeschränkt temperaturbeständig.Ein Team junger Wissenschaftler um Dipl.-Ing.Britta Kuckhoff, Spezialistin für Faserverbundwerk-stoffe am Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTHAachen, suchte deshalb seit 2007 im Rahmen desIGF-Projekts „236 ZN AluTex“ nach einem alterna-tiven Weg zur Herstellung komplexer, hochfesterAluminiumgussbauteile. Und wurde fündig. „In-nerhalb von zwei Jahren haben wir durch Adaptionvon Arbeitstechniken aus dem Kunststoffbereicheine dreidimensionale, exakt positionierbare Ver-stärkung aus Keramikfasern entwickelt“, erklärt diedamalige Projektleiterin.Um passgenaue und gusstaugliche 3D-Verstär-kungstextilien fertigen zu können, musste zunächstdas etablierte Umflechtverfahren auf die neuen An-forderungen umgestellt werden. Die textilen Ver-stärkungen wurden dann im vom Gießerei-Institut

der RWTH modifizierten Feingussverfahren mitflüssigem Metall infiltriert. Mit Unterstützung einesFaserproduzenten sowie mittelständischer Ma-schinenbauer und Metallverarbeiter entstand soeine Prinzip-Lösung für den Extrem-Leichtbau, diehochfeste Bauteile durch Komplett-Verstärkungaber auch eine selektive Bewehrung besonders be-anspruchter Bereiche ermöglicht.Als Nachweis, im IGF-Sprachgebrauch Demonstra-tor, dient ein textilverstärkter Pleul – nachbearbei-tungsarm, temperaturbeständig und mit deutlichhöherer Festigkeit –, der etwa einem Automotorzu längerer Laufleistung verhelfen könnte. Dass eres bislang nicht tut, liegt primär an den für solcheAnwendungen noch deutlich zu hohen Kosten desFaser-Ausgangsmaterials. Obwohl bis zur indus-triellen Reife noch erheblicher Forschungsbedarfbesteht, ist Britta Kuckhoff optimistisch: „In denletzten Monaten kamen vermehrt Anwendungs-anfragen von Gießereien und industriellen Anwen-dern“. Die Umstellung der Herstellungsweise aufein großserientaugliches Verfahren ließe sich beiwachsender Nachfrage der Industrie durchaus be-werkstelligen, ist die Faserexpertin überzeugt.

www.ita.rwth-aachen.de

ALUTEXNoch nicht am Ziel

18 Bilder von links: Aluminium-Pleul mit geflochtener Verstärkung aus keramischen Fasern |Geflechtherstellung aus keramischen Fasern auf einer Umflechtmaschine

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�� In Deutschland erleiden jährlich 230.000 Men-schen einen Schlaganfall; nicht selten ist eine

Beeinträchtigung sensomotorischer Gehirnarealedie Folge. Sie lassen sich mittels elektrischer Stimu-lation weitgehend reorganisieren. An den Fingerndes Patienten werden dazu bislang Klebeelektro-den befestigt – immer neu. Für Menschen mitkrankheitsbedingt geringeren motorischen Fähig-keiten ist das ohne fachliche Hilfe kaum zu schaf-fen. Wie leitet man den Strom so einfach in dieFinger, dass jeder Patient die Behandlung zuhause

allein bewerkstelligen kann? Diese Frage blieb bis-lang unbeantwortet.Den Lösungsansatz brachte 2008 eine wissen-schaftliche Veröffentlichung des TITV über mit IGF-Hilfe entstandene Basiserkenntnisse bei gesticktentextilen Elektroden, die ein auf Medizintechnik spe-zialisierter Mittelständler aus Sachsen-Anhalt zu-fällig las. Der sah die Chance, diese Elektroden ineinen Handschuh zu integrieren und mit einemelektronischen Therapiegerät zu kombinieren. InFachgesprächen mit Experten des TITV und Neuro-wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochumwurde deutlich: „Das kann klappen.“

IN DREI JAHREN ZUM PRODUKTIn Folge entstanden am TITV im Auftrag der Uni-versität mehrere elektrodenbestückte Handschuh-Modelle, die in Pilotstudien am Patienten auf

Praxistauglichkeit getestet wurden. Seit 2009wurde der Prototyp in Greiz zudem weiter optimiert.Wesentlicher Vorteil gegenüber dem bisherigenHandling: Die Textilelektroden, die mit leitfähigemELITEX®-Garn aufgestickt und mit isolierten undknickbruchbeständigen ELITEX-I®-Anschlusslei-tungen kontaktiert werden, lassen sich schonwährend der Herstellung individuell an die Handanpassen. Anatomie- und therapiegerecht liegensie damit optimal an der Fingeroberfläche des Pa-tienten an. So kann er den Handschuh auch selbst

über die betroffene Hand ziehen und über Druck-knöpfe mit dem zugehörigen Stimulationsgerätverbinden.Dank IGF-Vorlauf blieben Aufwand und Risiko derEntwicklung deutlich gemindert. Das Restwagniswird sich auszahlen – und zwar binnen dreier Jahrevon der Idee zum Marktauftritt: Denn noch 2011soll die textilbasierte Anwendung als überzeugen-der Beleg, wie „Smart Textiles“ die Rehabilitationunterstützen können, in Serie gehen. Etliche Klinikenhaben bereits angefragt, auch aus mehreren EU-Ländern wurde Interesse signalisiert. Gut möglich,dass sich angesichts hoher Nachfrage und entspre-chender Stückzahlen die unsichere Beantragungs-tour zur Kostenübernahme durch die Kassendeshalb erübrigt, eine Anschaffung durch den Pa-tienten problemlos leistbar wird.

www.titv-greiz.de

„Smart Textiles“ fürSchlaganfallpatienten

21Bilder von links: Preisträgerin Katharina Gnewuch | Einfache Kombination mit einem Therapiegerät |Gestickte textile Elektrode

THERAPIEHANDSCHUH

In kaum einem Bereich schwebt überProduktentwicklern ein höheres wirt-schaftliches Risiko als bei Medizin-technik. Denn meist erst nachträglichentscheiden die Krankenkassen, ob siedie Kosten einer neuen Behandlungs-methode übernehmen. Davon hängtab, ob ein teurer Prototyp in Serie gehtoder nutzlos im Schrank verstaubt.

Letzteres wird einer innovativen Be-handlungstechnik zum Training derSensomotorik nach Schlaganfall inHandschuhform gewiss nicht gesche-hen. Seinen bereits absehbaren Markt-erfolg verdankt derTherapiehandschuhmit gestickten Fingerelektroden auchIGF-basiertem textilem Vorwissen. Fürseine Entwicklung u. a. im Auftrag desNeural Plasticy Lab an der Ruhr-Uni-versität Bochum erhielt Nachwuchs-forscherin Katharina Gnewuch vomTextilforschungsinstituts ThüringenVogtland (TITV) in Greiz 2010 einen In-novationspreis des Gesamtverbandestextil + mode.

Schlaganfalltherapie mit Handschuh

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�� Unter dem IGF-Titel „Entwicklung eines ex-plosionsfesten textilen Transportbehälters für

den Stückguttransport“ wurden bis 2006 zunächstneuartige textile Flächengebilde im Wirkverfahrenentwickelt, Strukturen getestet, Brand- und Ex-plosionsversuche durchgeführt. Am Projekt mit-beteiligt: Logistikexperten von der UniversitätDortmund, das Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdy-namik aus Freiburg und das FeuerwehrinstitutSachsen-Anhalt. „Wir wollten ein Feeling dafür be-

kommen, was machbar ist und was nicht“, fasstSTFI-Forschungsleiterin Dr. Heike Illing-Günther zu-sammen.

Der 155-seitige Abschlussbericht attestiert: „Hin-sichtlich der gewünschten Schutzwirkung sind diespeziell entwickelten textilen Strukturen grundle-gend geeignet, um hieraus anwendungsorientierteEntwicklungen… in Angriff zu nehmen.“ Solche er-mutigende Ergebnisse der Vorlaufforschung liegenin der Regel nicht lange auf Eis.Die Chemnitzer Textilwissenschaftlerin Dr. PetraFranitza, verantwortlich für Schutzrechts- und EU-Projektarbeit, fand im EU-Förderschwerpunkt Aero-nautik ein geeignetes Dach zur Fortführung derArbeiten. Mit dem gasdichten und splittersicherentextilen Mehrlagenverbund sollten internationalFortschritte in der Luftfahrtsicherheit möglich undgreifbar sein.

ACHT PARTNER AUS SECHSLÄNDERN

An dem von Brüssel ab Jahresende 2008 mit 2, 2Mio. € geförderten „Fly-Bag“-Projekt beteiligtensich Institute und Firmen aus fünf Ländern. ZumKonsortium, das nach erfolgreichem Abschluss derArbeiten den „Techtextil Innovation Awards 2011“auf der gleichnamigen Leitmesse in Frankfurt/Maingewann, gehören neben dem STFI: die Danske Tek-

niske Universitet (Dänemark), D´Appolonia S.p.A.und Consorzio CETMA (Italien), Blastech Ltd. (Groß-britannien), Cargo Network (Niederlande), APCComposite AB (Schweden) und die italienische Flug-gesellschaft Meridiana.Die mit europäischem Sachverstand entwickelteNeuheit ist Hightech vom Feinsten. Sie ist ebensorevolutionär wie seinerzeit der Airbag, der ebenfallsaus hochfestem Textilmaterial besteht. Der spreng-sichere textile Gepäcksack hat ein Volumen voneinem Kubikmeter und könnte – so die Hoffnungseiner Entwickler – künftig die doppelt so schwe-ren Aluminiumcontainer ablösen. Motto: WenigerTransportgewicht, weniger Kerosinverbrauch undein dickes Plus an Sicherheit im Passagier- undFrachtverkehr.„Ob, bzw. wann, es zur Serienentwicklung des ‚Fly-Bag‘ kommt, und ob die Airlines ihre bisherigen Ge-päckbehälter dadurch ersetzen werden, ist noch

23Bilder von links: Ultra-Hochfestmaterial „made in Chemnitz“ – Explosionssicherer Gepäcksack miteinem Rauminhalt von einem Kubikmeter | Computersimulation einer Detonation | Das mehrlagigeResistenzgewebe wird im STFI auf einer Schablone zugeschnitten

DIMENSION EUROPA

ERSTE BEWÄHRUNGSPROBE für einen explo-sionssicheren Gepäcksack: Erstaunen nachder ersten Detonation, Daumendrückenvor der dritten… Vier Explosionen halltenan diesem Januartag 2011 über einen briti-schen Sprengplatz. Zum Schluß Jubel beiminternationalen Team: Weder Nähte nochReißverschluss hatten dem enormen Explo-sionsdruck von Plastiksprengstoff nachge-geben; auch das vierlagige, hochfesteTextilcomposite bestand seine Feuertaufeschadlos.

Noch niemals zuvor hatten Textilen einersolchen Belastung getrotzt. Geht die Rech-nung der Entwickler aus sechs EU-Ländernauf, wird ihr „FLY-BAG“ eines Tages die Luft-fahrt sicherer machen. Der Quantensprungim Material ist Forschern des SächsischenTextilforschungsinstitut Chemnitz (STFI) zuverdanken. Die Forschungen dazu nahmenmit einem IGF-Projekt 2004 ihren Anfang.

2004-2006 2005 2006 2007 2008 2011Nationales Erstentwurf Ablehnung Wiedereinreichung Bewilligung AbschlussVorprojekt (IGF) für EU-Projekt durch Brüssel als FLY BAG und Start FLY-BAG-Projekt

FLY-BAG bringt mehr Flugsicherheit

DIMENSION EUROPA

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ger Entwicklungen speziell für den Mittelstand füreine Förderung aus dem Etat des Bundeswirt-schaftsministeriums empfehlen.

WELTWEIT ERSTER NETZTESTER

Das Chemnitzer Institut, das u. a. bei Textilbetonund Geotextilien weltweit Vorreiter war, hat sichdem Thema Luftfahrt nicht erst durch den Fly-Baggenähert. Die ebenfalls in Westsachsen entwickel-

ten knotenlosen Gepäcknetze können den Lasten-transport zwischen Himmel und Erde effektivergestalten. Setzt sich die Innovation durch, kann andie Stelle der weltweit verbreiteten geknoteten, ge-spleißten oder gesteckten Gepäcknetze eine „fla-che“ Generation leichterer und stabilerer Produktetreten. Die Textilindustrie rechnet sich mit der inno-vativen „Maschen-Ware“ für unterschiedliche Logi-stikaufgaben beste Marktchancen aus – und hofftso, verlorengegangene Marktanteile zurückzuge-winnen.Die neuen Flachnetze werden inzwischen von denSächsischen Netzwerken Huck GmbH in Heidenauseriell produziert. Sie bestehen aus gewirkten Ma-schenverbindungen, haben eine plane Oberfläche,sind vergleichsweise scheuerbeständig und zeich-nen sich durch exakt definierte Netzmaschengrö-

ßen sowie absolut schiebefeste Verbindungsstellenaus. Neue Netzgeometrien und Materialien machendas textile Maschenwerk nicht nur resistenter, son-dern auch deutlich leichter - um bis zu 60 Prozent,was bis zu 10 kg Gewichts- und Materialeinsparungje Netz entspricht.Bei der Entwicklung im Rahmen eines ZUTECH-För-derprojekts (ein Modul der IGF-Förderung) zogenSTFI und die Universität Dortmund sowie sechs In-dustriepartner an einem Strang. Ebenfalls mit dabei:Eine Logistikbrigade der Bundeswehr. Da für die Ent-

wicklung der neuen Netzstrukturen adäquate Prüf-methoden fehlten, entstand am Institut gleichzeitigder welterste Teststand für Netze. Die einzigartigePrüfvorrichtung misst mit unterschiedlich gestalte-ten Testkörpern das Kraft-Dehnungsverhalten derNetze bis zu einer Belastung von ca. 25 Tonnen. DerTeststand zahlt sich inzwischen aus. Netzherstellerbuchen die Anlage, um ihre Produkte nach objektivverlässlichen Kriterien untersuchen zu lassen.Die STFI Forscher sind auch weltweit in der Stan-dardisierung aktiv, um eine Norm für einheitlichePrüfkriterien zu etablieren.Die STFI Forscher sind auch weltweit in der Stan-dardisierung aktiv, um eine Norm für einheitlichePrüfkriterien zu etablieren.

www.stfi.dewww.fly-bag.net

25Bilder von links: Netze ohne Knoten sind im Kommen | Sächsische Textilforscher gaben nicht nur denAnstoß, sie entwickelten zugleich auch die erste Netztest-Einrichtung

offen“, kommentiert das österreichische Luftfahrt-magazin „Austrian Wings“ den derzeitigen Stand.Von den Projektbeteiligten war indes zu erfahren,dass es eine erste Präsentation vor der Europäi-schen Agentur für Flugsicherheit EASA gegebenund sich die in Köln ansässige EU-Behörde durchausinteressiert an der Neuheit gezeigt habe. Die auf-wendige und letztlich auch teure luftfahrtechnischeZulassung ist Voraussetzung für die Produktion undden Einsatz in den Maschinen.

KEINE WIEDERHOLUNGVON LOCKERBIE

Der über drei robuste Reißverschlüsse zum schnellenBe- und Entladen von Fluggastgepäck aufklappbareTextilbehälter besteht aus einem etwa fünf Millime-ter starken Mehrlagenverbund. Das Hochfestmate-rial hat einen hohen Anteil von Aramidfasern. Eserinnert an eine LKW-Plane und ist zugleich feuer-beständig. Verharzte Glasfasern geben dem Bodender Grundplatte Stabilität. Der gesamte Fly-Bag istmit stabilisierenden Gurten umspannt. Dort, wo sichdie Reißverschlüsse treffen, haben die Konstrukteurebewusst ein „Loch“ gelassen – „für den Fall des Fal-les“, wie es heißt. Dieser Fall tritt ein, wenn eineetwas größere Sprengstoffmenge zur Explosion ge-bracht würde. Dann könnte die heftige Gasentwick-

lung einen materialschädigenden Überdruck erzeu-gen. Ist jedoch eine Art Überdruckventil vorhanden,kann der Gasdruck nach vorn in den Gepäckraumkontrolliert und schadlos entweichen.Kommt der Fly-Bag zum Einsatz, haben Terroran-schläge an Bord durch Zünden von Gepäckbombenkaum noch Chancen. Gelangt trotz aller Kontrollendennoch Sprengstoff in den Laderaum, würde eineDetonation wie beim Lockerbie-Anschlag 1988 –damals hatte die Explosion von Plastiksprengstoffbeim Flug über Schottland 270 Menschen in den

Tod gerissen – ohne Absturzfolgen bleiben. Die ul-trafeste Textilhülle würde diesem Druck standhalten.„Wir hoffen auf baldige Zulassung und Produktionder textilen Gepäcksäcke mit Explosionsschutz - ambesten durch einen Hersteller aus dem Air-Cargo-Business, der zugleich auch die Vermarktung in seineHände nimmt“, sagt Petra Franitza.„Nachdem Fernsehen und Presse über den Fly Bagberichtet hatten, bekamen wir besonders vieleAnfragen und Anregungen“, so ForschungschefinIlling-Günther. Mittlerweile gibt es am STFI für dasvielseitig einsetzbare Hochfest-Material „made inSaxonia“ weiteren Entwicklungsbedarf. Das sind mitBlick auf Staubexplosionen bei der Verladung vonSchüttgütern bis hin zu Unglücken mit Gasflaschenim Haushalt oder beim Camping ggf. nächste Pro-jekte, die sich vor dem Hintergrund umsatzträchti-

24 Bilder von links: Undurchdringliches Gewebematerial, für das es bereits Anwendungsideen jenseits derLuftfahrt gibt | Textilforscherin Dr. Petra Franitza gehörte zu den Mitinitiatoren des EU-Projekts

DIMENSION EUROPA

Page 16: TEXTILE CHANCEN

„Ausgeprägt positiv“

�� Die Gemeinschaftsforschung kenne ich seit1996, als ich am heutigen Institut für Textil-

maschinen und Textile Hochleistungswerkstoff-technik der TU Dresden als Doktorandin an einemIGF-basierten Forschungsprojekt arbeitete. MeinGesamturteil? Ausgeprägt positiv. Die erreichteSpitzenposition der deutschen Textilindustrie imglobalen TechTex-Markt ist stark von dieser lang-fristig wirkenden Förderung beeinflusst worden. DieImpulse aus den Instituten in die Unternehmen, derDialog mit ihnen und der Wettbewerb zwischen in-stitutioneller und industrieller Forschung bringen dieBranche voran. Der Wissenschaft kommt dabei Ka-

talysatorwirkung zu: Ihren dank Förderunter-stützung generierten Vorlauf für Neues greift dieIndustrie auf, setzt ihn in Produkte um.Nur über diese Interaktion können wir uns interna-tional gegenüber den enorm aufholenden Billig-lohn-Konkurrenten behaupten. Folglich sind dieIGF-Mittel bestens investiertes Kapital. Ich selbstempfinde eine Verpflichtung, das Geld so zu ver-wenden, dass die Branche insgesamt profitiert –vom technischen Fortschritt in den Betrieben bis zurAusbildung kreativer Köpfe. Deshalb sollten die Mit-tel auch dort konzentriert sein, wo die Bachelor-,Masterstudenten und Doktoranden sind. Zugleichbrauchen wir wieder eine verstärkte Hinwendungzur Praxis und den Bedürfnissen der Industrie. Auchdie wettbewerbliche Auswahl zu fördernder Pro-jekte unterstütze ich nachdrücklich – die Forderungnach strikter Objektivität und Neutralität der Gut-achter eingeschlossen.�� www.hs-niederrhein.de

„Nehmen und Geben zugleich“

�� Ohne Zweifel ist eine enge Zusammenarbeitmit den Forschungsinstituten für mittelständi-

sche Familienunternehmen wie unseres vorteilhaft.Die vorwettbewerbliche Forschung liefert Ansätzefür neue textile Lösungen. Wir greifen sie auf undentwickeln daraus maßgeschneiderte Produkte, diesich auch international am Markt behaupten. Dasstärkt uns, wie den Standort Deutschland, sichertund schafft Arbeitplätze. Zudem fließen die vomStaat anfangs in den Forschungsvorlauf investier-ten Mittel über Steuern und Abgaben der Betriebezeitversetzt wieder zurück.

Die Kooperation mit der Forschung ist Geben undNehmen zugleich. So engagieren wir uns beispiels-weise im projektbegleitenden Ausschuss des neuenIGF-Vorhabens „Verfestigung von Textilverbünden“bei den Aachener RWTH-Instituten DWI und ITA.Dessen Ziel: mittels Elektrospraying und -spinnenzerstörungs- und versiegelungsfrei Schichten ausFeinstfasern mechanisch stabil auf einem Textilträ-ger zu fixieren.Damit kann etwa unsere Filzfabrik Fulda künftig dieFiltrationseigenschaften ihrer Vliesstoffe optimie-ren und vor allem lungengängige Partikel noch bes-ser abscheiden.��

www.filzfabrik-fulda.de

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Prof. Dr. Maike Rabe,Leiterin des Forschungsinsti-tuts Textil und Bekleidung ander Hochschule Niederrhein,Mönchengladbach

Hubert Hlawatschek,Mitarbeiter DevelopmentFiltration & Research,Wirth Fulda GmbH

„Wachstum und Arbeit“

�� Unser Unternehmen stellt seit 60 Jahren – aus-schließlich in Deutschland – exklusive textile

Meterware auf Maschenbasis für rund zwei DutzendIndustriezweige her. 300 Mitarbeiter produzierenauf 480 Maschinen jährlich 55 Mio. QuadratmeterStoff, erwirtschaften 60 Mio. Euro Umsatz.

Eng verbunden mit dem ITV Denkendorf und er-gänzend dem ITCF in Denkendorf beteiligen wir unsseit vielen Jahren an IGF-Vorhaben. Aus den Insti-tuts-Grundlagenarbeiten gingen zahlreiche Produkt-entwicklungen und Prozessinnovationen sowie-verbesserungen hervor, die wir nach und nach inunsere Produktions- und Produktlinien übernahmenund weiter übernehmen werden. In die IGF-Pro-jekte bringen wir uns stets gern und aktiv ein, umdie Forschung zu unterstützen. Manchmal sind sieihrer Zeit zwar so voraus, dass die Übertragung indie Fertigung nur zeitverzögert erfolgen kann. Ins-gesamt ist diese Art der Forschungsförderung füruns jedoch ein äußerst wertvolles Werkzeug, umdie Innovationskraft im Bereich der TechnischenTextilien in Deutschland weiter auszubauen. DieseMärkte bedeuten für Mattes & Ammann Wachs-tum – und damit Arbeit und Verdienst für unsereMitarbeiter.�� www.mattesammann.de

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PERSÖNLICHE SICHTEN

„Faktor Praxisrelevanz“

�� 2.300 vorwiegend kleine und mittlere textileDienstleistungsunternehmen beschäftigen sich

in Deutschland mit der Wiederaufbereitung vonTextilien. Wirtschaftliche Zwänge und rechtlicheVorschriften verstärken für sie kontinuierlich dieNotwendigkeit der Ressourceneinsparung. Zugleichsteigen die Anforderungen an Funktionalität, Rest-stoffarmut und Hygiene der Textilien permanent.Die Betriebe müssen also mit reduzierten Ressour-cen wachsende Qualitätsanforderungen erfüllen.Anwendungsorientierte Forschungsprojekte zu effi-zienteren Wiederaufbereitungsverfahren sind dafürunabdingbar. Solche Vorhaben führt unser wfk –Cleaning Technology Institute in enger Kooperationmit der Wirtschaft durch. Das Programm IndustrielleGemeinschaftsforschung stellt dabei ein ideales In-strument dar, um gemeinsam firmenübergreifendeProbleme zu lösen.Um diese einzigartige „Entwicklungshilfe“ für eineganze Branche weiter zu optimieren, scheint unswie unseren Kooperationspartnern aus der Wirt-schaft sinnvoll, die Praxisrelevanz der Forschungs-themen als Bewertungskriterium deutlich stärker zugewichten. Denn für die Unternehmen ist es essen-tiell, Forschungsergebnisse schnell betrieblich um-setzen zu können. Praxisrelevanz der Forschung istfolglich der entscheidende Faktor.�� www.wfk.de

Christoph Larsén-Mattes ,Inhaber der Mattes &Ammann GmbH & Co. KG,Meßstetten-Tieringen(Baden-Württemberg)

Dr. Jürgen Bohnen,GeschäftsführenderDirektor wfk – CleaningTechnology Institute,Krefeld

Wie bewerten IGF-erfahrene Wissenschaftler und Firmenchefs Bedeutung, Effizienz und Per-spektiven des Programms? Vier individuelle Sichtweisen aus Hochschulen und Industrie:

Page 17: TEXTILE CHANCEN

�� Alljährlich wächst das durch Hunderte Projektein den Instituten akkumulierte Fachwissen rund

um Faser & Co. weiter an. Damit Textilbetriebe esfür sich erschließen können, publizieren die Wis-senschaftler Ergebnisse in der Fachpresse und hal-ten Vorträge. Kurzfassungen samt Quellennachweisvon Veröffentlichungen laufen beim Forschungsku-ratorium Textil (FKT) zusammen, fließen in dessenjährlich gedruckten Tätigkeitsbericht ein. Doch dieZahl der Einträge ist gewaltig, eine gezielte Re-cherche nach Einzelthemen in den vielen Berichts-bänden nicht einfach. Die Schatzkammer für dentextilen Mittelstand ähnelt derzeit in Teilen ehernoch einem Labyrinth.Bereits 1994 wurde begonnen, Projektinformatio-nen in einer elektronischen Datenbank zu sammeln– entsprechend damaligem Stand des IT-Wissens.Der Datenbestand, Eigentum des Forschungskura-toriums Textil und auf einem Server des Branchen-Dienstleisters FIZ Technik platziert, erwies sichjedoch als wenig nutzerfreundlich. 2010 beschlossdas FKT deshalb eine strukturelle Überarbeitung desSystems. Leider waren die meisten Angebote spe-zialisierter Firmen unerschwinglich teuer. Zeitgleichzeichnete sich der drohende Zusammenbruch desFIZ Technik ab; der Druck wuchs. „Wir haben unsschließlich für einen kleinen, erfahrenen Anbieterentschieden. Den Aufwand für die Übernahme derBestandsdaten habe ich allerdings unterschätzt“,fasst FKT-Chef Dr. Klaus Jansen seine Erfahrungenzusammen. Gemeinsam mit dem IT-Experten habeer halbe Nächte mit der Aufarbeitung, Bereinigungund Systematisierung von dreitausend Datensätzenund Suche nach einem technisch wie inhaltlichgangbaren Weg vor dem Computer verbracht.Doch der Aufwand hat sich gelohnt. Bis einschließ-lich 2011 werden die IGF-Projektergebnisse noch

klassisch erfasst und gedruckt publiziert. Bereits imFolgejahr sollen sich für Textiler aller Gattungenunter www.textilforschung-online.de jedoch quali-tativ neue Möglichkeiten erschließen: Die Instituteerhalten erstmals Zugriff auf eine eigene, nutzer-freundliche Projektdatenbank, um etwa zu recher-chieren, was Kollegen zu einem bestimmtenProblemfeld zuvor bereits untersucht und heraus-gefunden haben. Die Mitgliedsfirmen der textilenFach- und Landesverbände dagegen können sichvia Internet jederzeit schnell und unkompliziert amzu Bits und Bytes geronnenen Vorlaufwissen bedie-nen. Aus der Kammer der Wissensschätze wird eindurchgehend geöffneter Fundus.„Und für das FKT springt auch echter Mehrwert he-raus“, freut sich Dr. Jansen. Zumindest perspekti-visch solle die Eingabe von Projektergebnissenganzjährig und durch die Institute selbst möglichwerden. Ein aktueller Tätigkeitsbericht in Echtzeitauf Knopfdruck rücke mit der Eröffnung der virtu-ellen Schatzkammer ebenfalls in greifbare Nähe.

Schatzkammer vor der Öffnung

29Die neue Textilforschungs-Datenbank ist ab 2012 verfügbar

�� Nur wenige Industrieverbände koordinierenihre Forschungsthemen entlang perspektivi-

scher Leitthemen und im engen Dialog zwischenForschungsinstituten, Sachverständigen und Un-ternehmen. Dazu gehört die Textilbranche, die be-reits 1951 ein Forschungskuratorium (seit 1998:Forschungskuratorium Textil e. V. unter dem Dachdes Gesamtverbandes textil + mode) geschaffenhatte. Als Mitbegründerin der Arbeitsgemeinschaftindustrieller Forschungsvereinigungen (AiF) er-schließt das Forschungskuratorium Textil (FKT) seit

1955 im Interesse der angeschlossenen Textilfor-schungsinstitute Fördermöglichkeiten vor allem imRahmen der Gemeinschaftsforschung des BMWi.

Das vierköpfige FKT-Team unter Leitung von Ge-schäftsführer Dr. Klaus Jansen hilft ebenfalls mit,Fördermöglichkeiten des Bundesministeriums fürBildung und Forschung (BMBF) und der EU im Inte-resse der Textilforschung nutzbar zu machen. Da-rüber hinaus unterstützt das Gremium den Transfer

von neuesten wissenschaftlichen Lösungen – zu-meist faserbasierte Werkstoffe bzw. deren Produk-tionstechniken – in die Industriepraxis. Mehrmalsim Jahr vermeldet deshalb der FKT-Newsletter:„Transfer gelungen“.

Das FKT versteht sich selbst als Dach für die an-geschlossenen Textilforschungsinstitute, derzeit16. Im Kuratorium wirken 20 Wirtschaftverbändemit mehr als 1.500 vorrangig mittelständischenMitgliedsunternehmen mit dem Ziel zusammen,für zukunftsweisende Forschungsprojekte über dieAiF Fördermittel aus dem Programm IndustriellenGemeinschaftsforschung zu akquirieren. Jede dergemeinsam ausgewählten themenoffenen Projekt-ideen wird dabei einer eingehenden wissenschaft-lichen wie wirtschaftlichen Prüfung unterzogen undzur Förderung vorgeschlagen. Im langjährigenDurchschnitt sind zwei von drei Anträgen erfolg-reich. Deswegen können Jahr für Jahr zwischen 40und 50 praxisnahe Vorhaben aus den Leitberei-chen Gesundheit, Mobilität, Sicherheit, Kommuni-kation und Emotionalität in Angriff genommenwerden.

Mit Blick auf das Jahr 2025 leitet das FKT derzeitHandlungsempfehlungen für künftige Forschungs-schwerpunkte ab, die sich aus solchen globalenMegatrends zu den Stichworten Nachhaltigkeit,Ressourceneffizient und Energieeinsparung erge-ben. Noch in diesem Jahrzehnt, davon ist Dr. Jansenüberzeugt, werde die koordinierteTextilforschungauf europäischer Ebene zunehmend an Bedeutunggewinnen. Deshalb müsse eine europäische Zu-sammenarbeit deutlich gestärkt werden.

www.textilforschung.de

FKT: DACH UNTERM DACH

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FKT-Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen

Page 18: TEXTILE CHANCEN

�� Besonders die beiden südwestdeutschen Tex-tilforschungsinstitute in Hohenstein und Den-

kendorf (beide Großraum Stuttgart) leisten seitJahren bemerkenswerte Beiträge zum therapeuti-schen und medizinischen Fortschritt und damit fürdie Gesundheitswirtschaft. Der Bereich gehörtneben Mobilität, Sicherheit, Kommunikation undEmotionalität zu den mittelfristigen Leitthemen derdeutschen Textilforschung. Im entsprechendenStrategiepapier des Forschungskuratoriums Textilwerden die Teilaufgaben bis 2015 skizziert: „ImVerbund mit der Medizintechnik, der Biotechnolo-

gie, der Pharmakologie und den Pflegedienstleis-tungen können Textilien bezüglich Effizienz undInnovation einen hervorragenden Beitrag leistenund die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesensunter Berücksichtigung beherrschbarer Kosten po-tenzieren.“In Bönnigheim, dem Sitz der privaten HohensteinInstitute, entwickelt speziell das Institut für Hygieneund Biologie (IHB) seit über zehn Jahren Innovatio-nen für das Gesundheitssystem. Schwerpunkt sindu. a. Medizintextilien für die Wund- und Allergiebe-handlung, für Wellness, Pflege und Krankheitsprä-vention. Das textil-medizintechnische Know-howder Deutschen Institute für Textil- und Faserfor-schung (DITF) mit dem Institut für Textil- und Ver-fahrenstechnik Denkendorf (ITV) ist demgegenüber

auf Medizintextilien wie OP-Kleidung, Kompressi-ons- oder Krankenhaustextilien ausgerichtet. Seinebenfalls stark angewachsener Bereich Biomedi-zintechnik erforscht und entwickelt Biomaterialien,Medizinprodukte und Implantate.

HOHENSTEINER HOHLFASERN

Im Hohensteiner Life-Science-Institut mit derzeit23 Mitarbeitern arbeiten unter Prof. Dr. Dirk HöferMediziner, Human-, Mikro- und Molekularbiologen,

Chemiker und Textilwissenschaftler interdisziplinärzusammen. Was hier mit Fördermitteln von Bund,Land und EU sowie im Direktauftrag der Industrieentsteht, hat auf den ersten Blick kaum noch etwasmit klassischer Textilforschung zu tun. Oder solltenAußenstehende auf Anhieb vermuten, dass einFettgewebeersatz, mit dem eines Tages größereWeichteilverletzungen bei Patienten optimal be-handelt werden sollen, gerade hier und nicht ander Charité oder in anderen klassisch medizinischenForschungseinrichtungen entwickelt werden?Gleiches gilt auch, um nur ein weiteres Beispiel zunennen, für Methoden zur Ansiedlung adulterStammzellen auf der Faseroberfläche von Textilim-plantaten. Zu den schlagzeilenträchtigen Projektenfür Therapie, Diagnose oder Prävention gehören

Von Hohlfasern ...

31Bilder von links: Textilforschung durch interdisziplinäre Wissenschaftskompetenz auch Partner der Gesund-heitsforschung – Fasern unter dem Elektronenmikroskop | Hohlfasern zur direkten Medikamentenabgabe indie Wunde | Gas freisetzende dentale Wattepolster

DIMENSION MEDIZIN

Medizinischer Fortschritt wird nichtnur durch Optik, Laser und Plasma be-stimmt. Spätestens seit es Stents undHerniennetze gibt, sind auch Techni-sche Textilien jenseits allseits be-kannter Pflaster, Binden und sterilerTücher stark im Kommen. Medizintex-tile Neuheiten können und sollenkünftig noch stärker zur Gesunderhal-tung beitragen. Daran arbeiten meh-rere Textilforschungsinstitute; genaudas ist zugleich auch die Botschaft desInnovationsträgers „Charly“ (Foto).

Das so benannte Skelett in einemSchaukasten des Gesamtverbandestextil + mode trägt Hinweisschilderauf fast 30 technotextile Entwicklun-gen – bereits gängige Produkte sowieEinsatzvorschläge. Zu ihnen gehörenKnorpelimplantate zur Modellierungneuer Ohrmuscheln, textile Halte-schrauben und -platten, die sich nachdem Heilungsprozess vollständig imKörper auflösen, oder auch textilerHirnhautersatz.

DIMENSION MEDIZIN

Innovationsträger Charly zeigt fast 30 technotextile Entwicklungen

Page 19: TEXTILE CHANCEN

für Herzklappentransplantationen jährlich zusam-men mit dem Klinikum der Universität Müncheneinen neuartigen Ansatz entwickelt: Statt der Ein-setzung von mechanischen oder biologischen Pro-thesen soll demnächst vielleicht eine zellbesiedeltePolyuretan-Herzklappenprothese aus Vliesstoff zurVerfügung stehen. Der vom stellvertretenden Insti-tutsdirektor Prof. Dr. Michael Doser geleitete Bio-medizin-Bereich verfügt – nicht zuletzt dank derIndustriellen Gemeinschaftsforschung – zum Thematextilbasierter Implantate über einen mehr als 30-jährigen Know-how-Vorsprung. Daraus ergebensich – aufgrund der komplexen Thematik oftmalserst nach 10, 15 Jahren – Innovations- und Um-satzchancen für mittelständische Produzenten. Den-noch arbeiten gerade auch kleine und mittlereUnternehmen (KMU) in der Regel bereits im pro-jektbegleitenden Ausschuss, den jedes IGF-Vorha-ben zwingend voraussetzt, mit.Im Fall der in Denkendorf zwischen 1999 und 2002entwickelten Nervenleitschienen waren das bei-spielsweise Vliesstoff-, Garn- und Gewebeherstel-ler. Sie haben bis dato von der Vorlaufforschungzum Nerventhema zwar noch nicht direkt profitiertkönnen; haben aber als Netzwerkpartner schonheute einen wesentlichen Know-how-Vorsprunggegenüber dem Wettbewerb. Und bereiten eineWertschöpfung vor, die später kaum zu kopierensein dürfte.

Warum beschäftigt sich ein Textilinstitut mit demNachwachsen von Nerven nach Unfällen wie Quet-schungen oder Schnittverletzungen? „Weil wir –ebenfalls als IGF-Projekt – zuvor hochporöse, re-sorbierbare Spinnfaservliesstoffe u. a. zur Regene-ration von Knorpelgewebe entwickelt haben unddamit auch Chancen sahen, durchtrennte Nerven

schneller wachsen zu lassen“, erläutert Prof. Doser.Das sei wünschenswert, weil Nervensträge, wennsie „wild“ – also unkanalisiert – mit rund ein Milli-meter pro Tag nur langsam nachwachsen, undzudem meistens durch Narbengewebe aufgehaltenwerden, das an der Verletzungsstelle entsteht.Nach der Denkendorfer Methode könnte das ver-hindert und das Regenerationstempo deutlich be-schleunigt werden. Das Rezept dafür klingt einfachund einleuchtend: Man nehme ein sich selbst ab-bauendes textiles Schlauchstück, stülpe es bei einerOperation über die Enden eines durchtrenntenNervs und warte nur wenige Wochen … Soweitdie Theorie. In der Praxis war die Regenerationimmer noch zu langsam. Ein BMBF-Folgeprojekt istjetzt auf die Erforschung neuer resorbierbarer Po-lymere mit beschichteten Oberflächen gerichtet,sowie auf strukturierte Fasern, an denen sich dieauswachsenden Nerven orientieren können (s.Foto). „Wir veranschlagen dafür weitere vier Jahreals Minium“, prophezeit Prof. Doser und bleibt op-timistisch.

www.hohenstein.dewww.itv-denkendorf.de

... und Nervenleitschienen

33Bild S. 32 rechts: Künstliche Blutgefäße auf textiler Grundlage | Bild oben: Bei Unfall durchtrennte Nervenwachsen schneller und besser zusammen: Textile Nervenleitschiene aus Denkendorf

ebenso kapillare Hohlfilamente. Das sind Hohlfa-sern mit „Inhalt“, aus denen künftig effektiv hei-lende Wundverbände zur verbesserten Versorgungchronisch Kranker bestehen könnten. Die Hohl-membranen lassen sich mit Arzneimittelwirkstof-fen befüllen, die dann gesteuert und direkt inschwer heilenden Wunden abgeben werden. An

einem solchen Material mit drug delivery-Funktionim Ergebnis eines IGF-Projektes sind Wirkstoffpro-duzenten ebenso wie Pharmahersteller, Kranken-häuser und Pflegedienste interessiert. Die großeAufmerksamkeit für das in Hohenstein entwickelteGrundprinzip ist mit Blick auf die Bestrebungen zurKostensenkung im Gesundheitswesen ebensonachvollziehbar wie aus Sicht der Patienten, derenWunden dann mit Arzneiwirkstoff- versetzten Ver-bänden erhofft schneller heilen.Hohensteiner Industrieforschern war es in gutzweijähriger Entwicklungsarbeit seit 2007 gelun-gen, verschiedenartige Wirkstoffe wie Madense-kret, antibiotisch wirkende Viren (Bakteriophage)und das Enzym Krillase in textile Depot-Hohlfaserneinzulagern. Die an den Enden geschlossenen Ka-pillarhohlmembranen aus Zellulose sind nunmehrin der Lage, in ihrem Inneren etwa 100 Mikrome-ter kleine Wirkstoffpartikel aufzunehmen und dieseüber einen definierten Zeitraum direkt in dieWunde zu transportieren. In ersten Versuchsreihen

konnte die Regulierbarkeit der drug delivery-Funk-tion nachgewiesen werden. Inzwischen ist in Ho-henstein ein vom Bundesforschungsministeriumunterstütztes Nachfolgeprojekt abgeschlossen, dasdie Einbettung weiterer Wirkstoffe in textile Hohl-fasern auch mit Blick auf die Krankenhauskeim-Pro-blematik untersucht hat.

DENKENDORFER BEITRÄGE ZURREGENERATIONSMEDIZIN

Etwa 50 km Luftlinie von Hohenstein entfernt, hatsich im größten europäische Textilforschungszen-trum mit über 300 Mitarbeitern ein zweites Zen-trum für Medizintextilien von Weltgeltung etabliert.Das Denkendorfer ITV war es auch, das das ein-gangs erwähnte Skelett „Charly“ mit seinen au-genfälligen medizintechnischen Innovationen aufTournee quer durch Deutschland schickte, um soauf Forschungsleistungen des Institutes im Inte-resse von Textilforschung und Humanmedizin auf-merksam zu machen. Die auf Faser-, Flächen- undStrukturtechnologien sowie auf innovative, intelli-gente Produkte ausgerichtete Forschungseinrich-tung ist speziell für medizintextile Highlights zumBeispiel zur Chirurgie und zur Regenerationsmedi-zin bekannt.Erst kürzlich hatte Denkendorf vor dem Hintergrundvon weltweit 210.000 herzchirurgischen Eingriffen

32 Bilder von links: Sie treiben die Medizinforschung in Hohenstein und Denkendorf voran: ForschungsleiterDr. Timo Hammer (li.) und der Direktor des Instituts für Hygiene und Biotechnologie, Prof. Dr. Dirk Höfer | ITV-Direktor Prof. Dr. Heinrich Planck (li.) mit seinem Vize Prof. Dr. Michael Doser, Entwicklungsleiter Biomedizin

DIMENSION MEDIZIN DIMENSION MEDIZIN

Page 20: TEXTILE CHANCEN

�� 1996 suchten ITA-Wissenschaftler mit IGF-För-derung nach Einsatzmöglichkeiten langfasrig

bewehrten Textilbetons als Alternative zu korrosi-onsanfälliger, aufwändiger Stahlarmierung im Neu-bau. Doch wie ihre Dresdner Kollegen (s. S. 12)mussten die Aachener Forscher feststellen, dass we-sentliche Basiskenntnisse als Voraussetzung fehlten.Das Projekt war somit nur begrenzt erfolgreich, aberAnlass zur Beantragung eines Sonderforschungsbe-reichs der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG).Später mit einem EU-Projekt kombiniert, brachte dasschließlich den Durchbruch für ein Sandwichelement

mit integrierter Wärmedämmung. Glasfaser-Gelegeverleihen den druckfesten Fassadenelementen dienötige Biege- und Zugfestigkeit – bei 80 Prozentweniger Betoneinsatz gegenüber traditioneller Bau-weise. Analog sinken die bei der Produktion anfal-lende CO2-Emission sowie der sonst drastischhöhere Transport- und Montageaufwand. Die tex-tilbewehrten Leichtelemente sind immun gegenRost und erlauben selbst filigrane Bauteile mit hoherWärmedämmwirkung in beliebigen Formaten. EineReferenzanwendung wurde die 590 Quadratmetergroße Gebäudehülle des ITA-Institutsitzes.Produziert hat sie ein Faserbetonspezialist im 100 kmentfernten Haan (Rheinland): Dr. Ulrich Pachow, Ge-schäftsführer der DuraPact GmbH, erinnert sich gernan die „aufregende Zeit“ 2007/08. Fast rund um dieUhr habe sein Team gearbeitet, um die richtige Ma-

terialkombination zu finden und eine präzise Pro-duktionstechnik zum Drehen der großen Sandwich-Halbplatten während der Herstellung zu entwickeln.Nur so waren zwei schalungsglatte Oberflächen zusichern. Ziemlich riskant sei die Auftragsübernahmegewesen, finanziell wie für das Firmenimage. Umsobefriedigender dann der Erfolg. Das gewonneneWissen sei in Produkte seines Unternehmens wie ex-klusive Küchen, Praxis- und Museumsausstattungeneingeflossen – allesamt aus Textilbeton.„Die Industrie reagiert aufgeschlossen“, antwor-tet ITA-Projektverantwortlicher Plamen Kravaev in

Aachen auf die Frage nach der Textilbeton-Praxis-nutzung über Demonstrationsbauten hinaus. Spe-ziell für Hersteller von Fertigbauteilen sei dieTechnologie spannend, könnten sie doch schnell ingroßen Mengen Elemente mit besten mechani-schen Eigenschaften fertigen. „Die Produktionläuft, die Firmen verdienen damit Geld“, betontder Diplomingenieur. Sein Institut plane jetzt wei-tere Entwicklungen, darunter ein Dachelement mitEnergierückgewinnung. Zumindest in diesem Be-reich scheint der Zukunftsbaustoff auf gutem Weg.ITA-Direktor Prof. Thomas Gries nennt deshalb denanfänglichen, scheinbaren IGF-Fehlschlag auch „Tür-öffner zu einem ganz neuen, aussichtsreichen For-schungsfeld“. Ohne Starthilfe des BMWi wäre es mitSicherheit unerschlossen geblieben.

www.ita.rwth-aachen.de

Fehlstart führt zum Erfolg

35Bilder von links: Leichtbau-Referenz am eigenen Haus – das ITA-Gebäude in Aachen |Projektleiter Plamen Kravajev bei der Gelegeherstellung | Bewitterte Sandwichplatte | Dr. Ulrich Pachow:„Dieser Testkübel hielt 1,8 Tonnen Last bei 10 Millimetern Wandstärke aus“

SCHWEBE-FASSADE

Hochfeste Faser schlägt Stahl. Der Be-weis, dass textilbewehrter Beton amBau klassisch armiertem Materialüberlegen ist, findet sich in Aachen ansymbolträchtigem Ort. Das neue Insti-tut für Textiltechnik (ITA) der RWTH istseit 2009 mit einer Fassade aus diesemZukunftsbaustoff bekleidet.

Aus Branchensicht sind die 216 je ca.3,5 Quadratmeter großen Modul-platten der Gebäudehülle extremleichtgewichtig: Deren Deckschichenaus textilen Gewirken und Feinbetonüber einem isolierenden, tragfähigenPUR-Hartschaumkern sind jeweils nur15 Millimeter stark. Die nicht alltäg-liche Erfolgsstory begann mit einemnur bedingt geglückten IGF-Projekt.

Textile Gebäudefassade mit 80% weniger Betonverbrauch

Page 21: TEXTILE CHANCEN

Forschung als Impuls für kleine Firmen

37Mehrwert für Bauhandwerk: Textilschnüre zur Mauerwerksentsalzung

DIMENSION MITTELSTAND

Der frühe Vogel fängt den Wurm. Aberauch Nachzügler haben bei der Indus-triellen Gemeinschaftsforschung durch-aus Umsetzungs- und Verwertungs-Chancen: Die Rede ist von KMU, dieentweder IGF-geförderte Forschungs-themen der Institute von Anfang anbegleiten, oder sich nach Abschlussder Projekte für die Ergebnisse inter-essieren. Weil die Forschungsergeb-nisse allen deutschen Branchenfirmenbarrierefrei zugänglich sind, könntenallerdings noch viel mehr Mittelständ-ler als bisher die Lösungsvorschlägeaus der Wissenschaft aufgreifen.

Ohne den Entwicklungsimpuls durchIGF, so das Forschungskuratorium Tex-til, wären mittelständische Innovatio-nen wie transluzenter Beton (RobatexGmbH, Stolberg), Lichttextilien (ETTLINSpinnerei und Weberei ProduktionsGmbH & Co. KG, Ettlingen), textileSchneeketten (RUD Ketten Rieger &Dietz GmbH u. Co. KG, Aalen) aktuellkaum am Markt.Von neuen „Nachnut-zungen“ berichtet der Beitrag.

Überdimensional: Carbonfaser-Strukturen für Leichtbauelemente entstehen auf Flechtmaschinen

SCHMALTEXTILIEN ZURMAUERWERKSANIERUNG

�� Die mannigfaltigen Textilanwendungen amBau werden absehbar um eine längst überfäl-

lige Innovation ergänzt: Schmaltextilien, die wie flu-sige Wäscheleinen aussehen und das Mauerwerk –dort speziell die Fugen – entsalzen sollen. Auf dasneue Verfahren, das sich bei Erstanwendungen zumBeispiel am Oberen Schloss in Greiz bewährt hat,warten Denkmalschützer, Restauratoren und In-standsetzungsspezialisten.Entsalzungsschnüre und das entsprechende Ver-fahren waren Gegenstand eines IGF-Projekts, das2006 vom Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogt-land und der Materialforschungs- und -prüfanstaltWeimar in Zusammenarbeit mit der Bauhaus-Universität in der Goethestadt initiiert wurde. Spä-testens 2012 soll das Material bundesweiteAnwendung finden. Die kostengünstige Alterna-tive zu den bisher oft nur kurzzeitig wirksamen Ent-salzungsmethoden in Form von pastenartigenEntsalzungkompressen wird derzeit von der Rom-stedt Technologien für Restauratoren GmbH in

Kirchheim/Thüringen als einem der projektbeglei-tenden Unternehmen vorangetrieben.Die neue Methode verspricht hohen Anwender-nutzen. Bereits in einem Zwischenbericht von 2009attestierten Greizer Textilforscher: Bei zwei Drittelder bandförmigen textilen Entsalzungskompressenkonnten gleich gute bzw. bessere Salzaustragser-folge im Vergleich zu herkömmlichen Kompressen-materialien erzielt werden. Wie es weiter hieß, seider um den Faktor fünf bis zehn niedrigere Preispro Flächeneinheit, „bemerkenswert“.„Wir müssen noch einiges optimieren, dann star-ten Produktion und Vertrieb“, kündigt Geschäfts-führer Hendrik Romstedt zwei Jahre später an. Wieder Restaurator und Bauplaner betont, profitieresein 2004 gegründetes Technologie-Unternehmenvon der Industriellen Gemeinschaftsforschung in di-rekter Weise. „Wir haben von der Forschung einfast fertiges Produkt, das uns in der restauratori-schen Praxis bisher gefehlt hat.“ Eingereicht für denThüringer Innovationspreis, gebe es von Seiten derIndustrie bereits Dutzende Anfragen, so der Fir-menchef optimistisch.

www.romstedt.de

DIMENSION MITTELSTAND

Page 22: TEXTILE CHANCEN

CARBONFASERN OPTIMIERENTEPPICHPRODUKTION

�� Seit Jahrzehnten hat sich bei der Produktiontextilen Bodenbelags mit Tuftingmaschinen

wenig geändert: Tausende Nadeln, dicht an dichtauf ein bis fünf Meter breites Werkzeug, Barre ge-nannt, bringen zeitgleich ebenso viele Fäden senk-recht in einen flächigen Untergrund. Mit hohemTempo fahren sie auf Zehntelmillimeter genau zwi-schen feine Greifer einer zweiten, waagerecht plat-

zierten Barre und reiben sich daran mit hohemDruck.So entstehen Teppichschlaufen, nach zusätzlichemAufschlitzen die namensgebenden (to tuft: „mitBüscheln versehen“) Velourseffekte. Fast alles anden Maschinen war bislang aus massivem Stahl.Das machte sie robust, aber anfällig für Schwingun-gen sowie Verzug bei Temperaturschwankungen.Die Folge: Nadelbruch. Selbst bei normalem Werk-zeugwechsel mussten wegen des hohen Barren-gewichts Ausfallzeiten über mehrere Schichteneingeplant werden.

„Seit Mitte der 90-er suchten wir deshalb eine tech-nologische Alternative“, sagt Dr. Ernst Schröder,Chef des TFI-Institut für Bodensysteme an derRWTH Aachen e. V.. Zehn Jahre, zwei IGF-Projekte

und Phasen industriefinanzierter Forschung späterwar sie gefunden. Analysen der Problemursachen,Materialstudien und viele Fertigungs-Testreihen hat-ten zu einem neuen Barrenmaterial geführt. StattStahl verwendet man dafür nun Hochleistungs-Fa-serverbundwerkstoffe: leicht, temperaturbeständigund haltbar.Die finale Produktentwicklung hätten spezialisierteMaschinenbauer übernommen, ergänzt Projekt-leiter Dirk Hanuschik. Die Substitutionseffekte seien„erstaunlich“. Eine Pilotanlage habe 2006 dank 90

Prozent leichterer Werkzeuge erstmals überhauptihre Soll-Tourenzahl geschafft. Die Ausschussratesei stark gesunken. „Ein Barren-Wechsel dauert nurdrei Stunden, die Produktivität hat insgesamt um20 Prozent zugelegt“, freut sich Hanuschik.

Die Bedeutung der Neuentwicklung für die Brancheist enorm, da rund 90 Prozent der EU-weit ver-kauften Bodenbeläge in Europa hergestellt werden.Ohne Know-how-Vorsprung in der Maschinentech-nik würden irgendwann Produktion und nachfol-gend auch Forschung ins Ausland abwandern. Umdas auszuschließen, untersuchen die TFI-Tufting-spezialisten nun weitere stählerne Komponentender Maschinen auf Austauschbarkeit gegen faser-basiertes Hightech-Material.

www.tfi-online.de

Technologiesprung

39Bilder von links: Detail der neuen Tufting-Maschine | Projektleiter Dirk Hanuschik an einer Versuchsanlage |Hunderte Spulen führen das Material zu

WOLKE GEGEN WOLLE

�� Einige potenziell umsatz- und exportstarkeTechnologiewunder benötigen einen beson-

ders langen Atem. Genau das ist beim Anti-Verfil-zungsprojekt so, das Fachleute „Filzfreiausrüstungvon Wolle“ nennen. Initiiert wurde das umfangrei-che Hightech-Forschungsvorhaben bereits 1993.Fast zwei Jahrzehnte später gibt es vielverspre-chende Teilerfolge, jedoch der ganz große Durch-bruch steht noch aus …Ein jeder hat mit verfilzter Wolle seine eigenen Er-fahrungen gemacht: Was eben noch als Jacke, Pul-lover oder Strumpf gepasst hat, ist nach demWaschen eingelaufen – und nur noch ärgerlich. DasVerfilzen der Wolle – physikalische Folge des Zu-sammenziehens schuppenbesetzter Fasern – hatnicht nur private, sondern auch volkswirtschaftlicheDimensionen. Aus diesem Grund hatte das Deut-sche Wollforschungsinstitut DWI in Aachen die Idee,als Alternative zur weltweiten Filzfreimachung unterVerwendung von Chlor und Epichlorhydrinharz eineumweltfreundliche und rückstandslose Veredlungs-methode zu entwickeln. Die Grundidee dabei: Die

Oberfläche von Wollfasern müssen nicht mehr –wie bisher – chemisch verätzt werden, um die de-finierten Eigenschaften zu bekommen, sondernwerden jetzt vielmehr unter Hochspannung einerPlasmawolke ausgesetzt.Das Vorhaben war mit zehn geförderten Teilthemen(BMWI/6 Projekte, BMBF/3, NRW/1) hochkomplex.Im Ergebnis ging 2007 bei der Firma Richter FA inStadtallendorf die weltweit einzigartige Atmosphä-rendruck-Plasmaanlage zur kontinuierlichen Be-handlung von Kammzugbändern in Betrieb. Dabeitrifft Wolle infolge einer Impulsspannung von mehrals 10.000 Volt auf eine unbeständige Ozonschicht,die das Material blitzartig saugfähig und filzresis-tenter macht. Im Vergleich zur herkömmlichen Me-thode ist das Corona-Finish-Verfahren nach Wortenvon FA Richter-Geschäftsführer Peter Vormbruck„deutlich besser und vor allem ökologisch wegwei-send“. Jetzt komme es darauf an, die mehrstufigeTechnologie so zu optimieren, dass sie auch preislichmit dem konkurrierenden Chemie-Verfahren mithal-ten und so ein Alleinstellungsmerkmal für einen mit-telständischen Betrieb sichern könne.

www.richter-fa.de

Antifilz-Methode

38 Bilder von links: Corona-Finish-Anlage in Stadtallendorf | Filzfreie Wolle nach Plasmabeschuss

DIMENSION MITTELSTANDDIMENSION MITTELSTAND

Page 23: TEXTILE CHANCEN

�� Mitunter partizipieren auch international agie-rende Familienunternehmen an IGF-Erfolgen.

Etwa die Kannegiesser-Gruppe: weltweit 1260Mitarbeiter, Hauptsitz im ostwestfälischen Vlotho.Sie produziert Komplettausstattungen für indus-trielle und gewerbliche Wäschereien. Darin werdenauch Textilien aufbereitet, die besonders saubersowie frei von löslichen Partikeln sein müssen:Reinraumbekleidung für die Chipindustrie, Lebens-mittelerzeuger, Pharmaunternehmen oder das Ge-sundheitswesen. Beim finalen Trocknen darf alsQualitätskriterium nur eine begrenzte Zahl Partikelpro Kubikmeter Abluft anfallen.Das hängt jedoch von mehreren Akteuren ab: demLieferanten der Waschmaschinen und Trockner,dem Waschmittelhersteller, dem Textilproduzentund den Reinigern selbst. Welcher dieser Einfluss-größen kommt nun welche Gewichtung zu? Natur-gemäß gingen die Meinungen dazu auseinander.Bis publik wurde, das Krefelder wfk – CleaningTechnology Institute habe mit Unterstützung desBMWi eine Methode zur zerstörungsfreien Online-Überwachung des Partikelgehalts von Reinraum-textilien über die optoelektronische Bestimmungdes genauen Partikel-Gehaltes im Abluftstrom vonWäschetrocknern entwickelt.„Da haben wir die Forscher natürlich angespro-chen“, erinnert sich Dipl.-Ing. Wilhelm Bringewatt,Leiter Konstruktion und Entwicklung bei Kannegies-ser. Bot sich damit doch die Chance, über Verände-rungen der Partikelzahl etwa nach Austausch desWaschmittels, Reinigung verschiedner Warenartenoder bei Modifizierung der Maschinenparameterdie Rolle der verschiedenen Einflussfaktoren zu ob-jektivieren, eine gemeinsame Bewertungsplattformzu schaffen. Auf dieser Basis hätten die Partner mitdem Ziel eines qualitativen Optimums zusammen-

gefunden, so Bringewatt. Sein Unternehmen habedie Krefelder Prinzip-Lösung praxisgerecht parame-triert, dann in Produktform gegossen. In einem spä-teren gemeinsamen BMBF-Projekt mit dem wfk seiein Schnelltest für die Überwachung der Partikel-kontamination hinzugekommen.Heute ist partikelarme Maschinentechnik bei Kan-negiesser Standard; Spezialfilter sowie die Parti-kelmesstechnik werden optional angeboten. Dieintensive Befassung damit hat dem Unternehmenim Nischenmarkt der Reinraumwäsche eine deutli-che Alleinstellung gesichert. Und seinen mittel-ständischen Kunden Qualität.

www.kannegiesser.dewww.wfk.de

PARTIKEL GEZÄHLT

41Kannegiesser-Trockner, im Vordergrund die Filtereinheit

HÜRDENLAUF ZURFÖRDERUNG

�� So viele spannende Forschungsansätzezur Vergrößerung des technologischen

Wissens gerade für Unternehmen ohne eigeneEntwicklungskapazitäten – doch der Deckelauf dem IGF-Fördertopf ist schwer. Lediglichein Teil der Vorhaben passt jedes Jahr darun-ter. Wie also die Gelder aus dem BMWi-Etatverteilen? „Nur höchste Qualität setzt sichdurch“, weiß Textilinsider Küttelwesch.

Die erste Hürde bilde schon die interne Vorauswahldurch die wissenschaftlichen Beiräte der Instituteselbst. Anschließend werde jeder Antrag von einemGremium aus Industrieexperten auf wirtschaftlicheund wissenschaftliche Qualität geprüft. Erst nachdessen positivem Votum – dabei können gute An-träge mit kleinen Schwächen gemeinsam analysiertund nachgebessert werden – reicht das FKT die Pro-

jekte bei der AiF in Köln ein. Dort sind Textil-Vorha-ben, die einen deutlichen Beitrag zur Stimulierungder industriellen Eigeninitiative sowie vielfältige Be-gleit- und Synergieeffekte versprechen, dem Zielschon recht nahe. Doch bei den Programmmana-gern stehen sie nun in Abwägungs-Konkurrenz miterfolgversprechenden Projekten aus anderen Tech-nologiebereichen …

Küttelwesch begrüßt deshalb das mehrstufige Aus-wahlsystem, das zu strikter Nutzenorientierungzwinge; sieht allerdings auch einen Trend zu durch-weg steigender Qualität – bei konstantem Förder-budget. Das führe unter Umständen dazu, dass sichselbst echte „Perlen“ mit erheblichem Produkt- undMarktpotenzial möglicherweise auf Dauer in einerständig anwachsenden Warteschleife drängen. Be-denke man, dass laut IGF-Evaluierung durch dasRWI 2010 Effekte der Förderung wie die Vergröße-rung des technologischen Wissens sich jedoch nichtnur in der eigenen Branche, sondern in zahlreichenSegmenten der gesamten Volkswirtschaft auswirken,würden durch solchen Rückstau potenzielle Wett-bewerbsvorteile am Standort Deutschland ver-schenkt. Man sollte folglich, so der erfahreneTextiler, die Praxisrelevanz der eingereichten Pro-jektanträge künftig stärker bewerten: IGF stehe klarfür vorwettbewerbliche Forschung. Auf dieser Basismüsse die Industrie über eigene, weiterführendeFuE-Anstrengungen den Staffelstab in Form ziel-führender Ergebnisse zumindest mittelfristig in diebetriebliche Praxis überführen können.„Ein Projekt mag wissenschaftlich hoch interessantsein – für universitäre Grundlagenforschung gibtes andere Instrumente. Entscheidend ist letztlichnur der Anwendernutzen für den Mittelstand“, ur-teilt Küttelwesch.

WETTBEWERB DER ANTRÄGE

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Rudolf Küttelwesch,bis zum Ruhestand 2009 lang-jährig Geschäftsführer Technikund Produktion der Wiesbade-ner MEWA Textil-Service AG& Co., war ein Jahrzehnt langauch Vorstandsmitglied deswfk-Cleaning Technology Insti-tuts, Krefeld. Als Obmanneines Fachgremiums im FKTbewertet er heute die Förder-würdigkeit von Forschungs-anträgen aus den Branchen-instituten.

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�� Nicht nur die Fachwelt weiß: Carbonfasern sindmit Kilopreisen bis zu 80 Euro noch ziemlich

teuer. Und: Kohlenstoff- oder glasfaserverstärkteKunststoffe haben, obwohl bereits in Bereichen wieAutomotive, Luftfahrt oder Sport/Freizeit einge-setzt, noch weitere entscheidende Nachteile. DiePreformprozesse sind bisher durch Handarbeit ge-prägt, es gibt für Großserien kaum reproduzierbareQualitäten, die Zykluszeiten pro Bauteil sind zu lang;und schließlich fehlen auch noch geeignete Recyc-lingverfahren.

Seitdem durch das IGF-Vorhaben Nr. 15692 N "Or-ganofolien“ die Grundlagen für den neuen techno-textilen Werkstoff gelegt wurden, gibt es für dessengroßtechnische Nutzung in unterschiedlichen In-dustriebereichen gute Chancen. Mit Organofolie inPlatinenform kommt nach heutiger Planung im Jahr2013 das erste Halbzeug auf den Markt, das die ge-nannten Nachteile überwindet und zugleich eineMarktdurchdringung bei CFK-Materialien beschleu-nigen wird.Die von mir entwickelte Organofolie ist bei ähnli-chem Material um 30 Prozent kostengünstiger, daim Gegensatz zur herkömmlichen CFK-Produktionauf die Gewebeherstellung verzichtet und so einkompletter Prozessschritt eingespart wird. Die Folie,die bei der Weiterverarbeitung wie Metall oderKunststoff faltenfrei tiefgezogen werden kann, er-möglicht viel komplexere Bauteilgeometrien, wie

sie beispielsweise bei Elektrofahrzeugen, in der Me-dizintechnik oder bei Fahrradhelmen benötigt wer-den. Das bedeutet: Unsere Organofolie empfiehltsich geradezu für Großserienprodukte aus CFK.Nachteile des Materials können durch die richtigeVerwendung kompensiert werden, so die um 25Prozent reduzierte Zugfestigkeit im Vergleich zumOrganoblech. Deshalb sollte immer genau analysiertwerden, ob bei dem jeweiligen Anwendungsvor-haben überhaupt eine so enorme Zugfestigkeit wiebei Organoblech (Stahl bringt es im Gegensatz dazu

nur auf die Hälfte des Wertes) notwendig ist. DieSteifigkeit bei Folie und Blech ist übrigens bei beidenMaterialien fast gleich.In der Produktionstechnologie steckt auch Know-how meiner Studienstätte, der TU Clausthal. FürOr-ganofolie werden bis zu 80 Millimeter lange Fasernbenötigt – entweder Neuware oder aus der Wieder-verwertung. Nach Aufbereitung und Vibrationsan-lage zur Faserausrichtung wird das Material auf Folieabgelegt – Grundlage für die Fertigung mehrlagigerLaminatplatten für die spätere Bauteilproduktion.Nachdem die Prototypanlage funktioniert, soll esbald eine großtechnische Herstellungsmöglichkeit-geben. Das Interesse der Industrie ist groß, dasBMWi unterstützt weiter. Zur Gründung meiner Car-boDom GmbH suche ich Investoren,die mir den Auf-bau der komplettenFertigungslinie ermöglichen.

www.organofolie.de

Bremer Forscher gibtCFK-Großserien neuen Anstoß

43Bild S. 42: Textilforscher, Mehrfachpreisträger und Firmengründer Henrik Dommes: „Vater“ der OrganofolieBilder von links: Langfasern aus Recycling- oder Neumaterial | Mit Organofolie kommt ein neuer Werkstoff mitausgezeichneten Eigenschaften auf den Markt | Das FIBRE gibt bei Fasertechnik den Ton mit an

ORGANOFOLIE

DER MANN DAHINTER

Ich bin der Mann hinter der Organo-folie: Henrik Dommes, 32, beschäftigtam Faserinstitut Bremen. Schon alsKunststofftechnik-Student habe ichnach neuen Wegen für den seriellenEinsatz des LeichtbaumaterialsCarbonfaser-Kunststoff (CFK) gesucht.Die durch ein EU-Patent geschützteInnovation, gerade mit demInnovationspreis textil+mode 2011ausgezeichnet, ist zugleich auch dasFundament für mein zukünftigeigenes Unternehmen.

Im Gegensatz zu Organoblech –gewebeverstärktem Thermoplast – istdie Organofolie ein mit gerichtetenLangfasern verstärkter Thermoplast-Werkstoff. Ausgerichtete Kohlenstoff-langfasern werden dafür perVibrationsförderung auf Kunststoff-Folien abgelegt. Aus dem gegenüberCFK wesentlich preiswerteren Mate-rial können komplexe Faserverbund-bauteile mit hoher Steifigkeithergestellt werden.

2006 2007 2008-2010 ab 2011Erstantrag/Ablehnung Antragsspezifizierung IGF-Projekt IGF-Folgeprojekt

Forschungstransfer EXIST

Page 25: TEXTILE CHANCEN

AIF: PARTNER UND SYNONYMDER IGF-FÖRDERUNG

�� Will man das besondere Verhältnis von vor-wettbewerblicher Forschung und Textilbranche

untersuchen, führt an Hans Wohlfart kein Weg vor-bei. 1958 trat er in die später über Jahrzehnte vonihm in Eitorf geleitete Kammgarnspinnerei ein undverließ sie erst nach der Wende, um ein einstigesDDR-Textilkombinat bravourös in die Marktwirt-schaft zu führen. Wohlfart war Chef des For-schungskuratoriums (Gesamt)Textil, 1983 bis ´92Präsident der AiF, leitete lange ein Wollforschungs-institut und engagiert sich bis heute im SächsischenTextilforschungsinstitut in Chemnitz. Kurz: Er kenntsich wie kaum jemand sonst aus.

Ihren geradezu revolutionären Strukturwandel, soder Experte, hätte die deutsche Textilwirtschaftohne die IGF-Unterstützung des BMWi und ohnederen Partner, die in Köln ansässige Arbeitsge-meinschaft industrieller Forschungsvereinigungen„Otto von Guericke“ e.V. (AiF), schwerlich meisternkönnen. Als Grund dafür führt Wohlfart die tradi-tionelle Kleinteiligkeit der Branchenfirmen an. Siehätten anspruchsvolle FuE-Vorhaben aus eigenerKraft kaum umsetzen können. Das erkläre wohlauch den besonderen Stellenwert der Textilfor-schung innerhalb der Forschungsvereinigungs-Dachorganisation AiF, zu deren Gründern dieTextiler 1954 mit gehörten. Bis heute sichere die-ses Netz aus über 100 verschiedenen Branchen-Netzen, dass Mittelständler dank der IGF-Mittel ausdem BMWi bundesweit und breitenwirksam anneuem Wissen bei maximaler Risikostreuung undgleichzeitiger Kostenminimierung partizipieren kön-nen. „Genau das hat der innovative textile Mittel-

stand benötigt und braucht er weiter“, ist sich derBranchenprofi sicher.Ohne diese Fördermittel und die seit über fünf Jahr-zehnten währende Betreuung durch die AiF wäreDeutschland nicht zum international führendenTechTex-Standort mit leistungsfähigen Betrieben,Tausenden neuen und gesicherten Arbeitsplätzenaufgestiegen, sagt Wohlfart. Die faserbasiertenWerkstoffe sichern deutschen Unternehmen heutesieben Milliarden Euro Umsatz. Mit einem Export-anteil von fast zwei Dritteln verwies die Bundesre-publik damit sogar die USA auf den weltweitzweiten Platz.Allein diese Fakten begründen aus Sicht Hans Wohl-farts für IGF wie AiF auch in kommenden Jahrzehn-ten eine „unbedingte“ Existenzberechtigung. Dabeirät er der Politik, mehr Mittel als bisher in die IGFund für den Transfer exzellenter FuE-Ergebnisse indie industrielle Umsetzung beispielsweise von Kar-bonfasern, die im Leichtbaubereich zunehmend denenergieintensiven Werkstoff Aluminium ersetzenkönnen, aufzubringen.

www.aif.de

DAS NETZ DER NETZE

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Seit Jahrzehnten gehört die Textilforschung mitjährlichen Zuwendungen von zumeist mehr alszehn Millionen Euro – ihre einzelnen Projekte wer-den mit bis zu 300.000 Euro gefördert – zu denaktivsten Anwendern der Industriellen Gemein-schaftsforschung (IGF). Wie eine wissenschaftlicheBegleitstudie 2009 nachdrücklich bestätigte, stärktdas Programm „für den Mittelstand“ durch per-manenten Wissens- und Technologietransfer vorallem kleine und mittlere Unternehmen geradeauch der Textilbranche. „Die IGF spielt eine wich-tige Rolle in den Innovationsprozessen der textilenWertschöpfungskette“, wird in der Untersuchungim Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaftund Technologie (BMWi) betont.

Das sich ständige weiterentwickelnde und an dieveränderte Bedürfnislage der Industrieforschungangepasste Programm unterstützt mit enormer He-belwirkung den, wie es heißt, „Siegeszug“ Techni-scher Textilien mit stabilisierenden Wirkungen fürden gesamten Industriezweig. Während Großun-ternehmen IGF-Projekte vor allem dazu nutzen,Anregungen für eigene Forschungsvorhaben zubekommen, wirkt sich der wissenschaftliche Input

bei Unternehmen bis zu 250 Beschäftigte direktwachstumsfördernd in Form von neuen Produktenoder Verfahren aus. Immer wieder zu beobachtenund positiv: Eine wachsende Zahl der Forschungs-netzwerke zwischen Instituten und Unternehmen,die sich zu Beginn von IGF-Projekten bilden, arbei-tet auch nach Abschluss des Vorhabens weiter zu-sammen – oft mit Fördermitteln aus dem ZentralenInnovationsprogramm Mittelstand (ZIM).Das jährliche Budget für die IGF wird voll ausge-schöpft. Die guten Ideen sind dabei sehr viel zahl-reicher als die Vorhaben, die eine Förderzusage derIGF erhalten können. Deshalb unterziehen sich dieProjektanträge einer gutachterlichen Bewertung,stellen sich also dem Wettbewerb um knappeHaushaltsmittel. In den letzten Jahren konnte diejährliche Mittelbereitstellung kontinuierlich erhöhtwerden. 2010 waren es fast 130 Mio. €, 2011 ste-hen 135 Mio. € bereit. Im Rahmen der BMWi-Tech-nologieoffensive sollen die IGF-Mittel künftigverstärkt branchenübergreifende Forschungs- undEntwicklungsvorhaben in zukunftsbestimmendenLeittechnologien unterstützen: Elektromobilität,LED-Techniken, Verfahren zur Energie- und Res-sourceneffizienz beispielsweise.

PROGRAMMWIRKUNGENWachstumsfördernd & stabilisierend

44 Bilder von links: IGF-geförderte Projekte oft bei der alljährlichen Vergabe des Innovationspreisestextil+mode mit dabei: 2011 (Fotos) gehörte Henrik Dommes (Organofolie) zu den Preisträgern, 2009wurde Gregor Hohn aus Hohenstein für seine Hohlfaserentwicklung ausgezeichnet

Hans Wohlfart:Seit über 50 Jahrenbegleitet der Maschi-nenbauer als Firmen-,Institutschef undBranchensprecher dieEntwicklung vonFäden, Fasern & Co.

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�� Die Textilforschung besetzt gegenwärtig eineinhaltliche Lücke in der Diskussion um den Kli-

mawandel. In Deutschland, so die Prognose, werdees in den nächsten Jahrzehnten wärmer, windigerund nasser. Was bedeutet das für die Hunderttau-senden, die den großen Teil des Jahres unter freiemHimmel arbeiten: Gärtner, Landwirte, Straßen- undGleisbauarbeiter, Eisenflechter, Straßenreiniger usw.?Sie sollten, wegen der steigenden Hautkrebsgefahrnicht nur eine Kopfbedeckung tragen, sondern auch

auf UV-hemmende-Berufsbekleidung mit hohemLichtschutzfaktor zurückgreifen können.Das Schutzbedürfnis gegen allzuviel Sonne am Ar-beitsplatz kann man, wie die EU, in einer sogenann-ten Sonnenscheinrichtlinie postulieren; viel wichtigerist jedoch die Entwicklung eines praktikablen Son-nenschutzes jenseits von robusten, generell kaumund in der Hitze schon gar nicht tragfähigen Gewe-ben sowie von Emulsionen mit hohem Lichtschutz-faktor. Für Dr. Jan Beringer und sein Team sindUV-hemmende Textilien Herausforderung und Ex-perimentierfeld zugleich. „Wir legen mit unseren Vor-arbeiten die Grundlage für eine mittelständischgeprägte Wertschöpfungskette im SüdwestenDeutschlands“, ist sich Beringer sicher. Das entspre-chende IGF-Projekt der Hohensteiner Wissenschaft-ler zur Entwicklung von Funktionsmustern fürkünftige UV-Schutzbekleidung traf deswegen schonim Vorfeld auf das Interesse der Industrie.

INDUSTRIE VON ANFANG ANMIT IM BOOT

Die Berufsgenossenschaft Bauwirtschaft, die u. a.auf Hitzeschutz spezialisierte Tempex GmbH ausHeidenheim, die in Balingen ansässige Eschler Tex-til GmbH und andere Textilunternehmen brachtenihrerseits Anregungen in das Vorhaben mit ein. Ar-beitskleidung mit UV-Faktor muss – wie jede an-dere Berufsbekleidung auch – zirkulieren, also für

Leasing und industrielle Reinigung geeignet sein. Siemuss zugleich einen guten Tragekomfort bieten undsich vom Aussehen her an Arbeits- oder Freizeitbe-kleidung orientieren – Forderungen, die auf derHand liegen, aber materialtechnisch eine enormeHerausforderung sind.Im Ergebnis des Forschungs- und Entwicklungs-projekts entstanden mehrere Funktionsmuster –Prototypen künftiger UV-Schutzshirts für ganz un-terschiedliche Belastungen (Sonne, Arbeitsbe-reich) und Anforderungen (z.B. Warnfarbe). Beiden Demonstrationsmodellen wurden verschie-denartige Materialien kombiniert, um neben derSchutzwirkung auch Strapazierfähigkeit, Elastizi-tät bzw. Atmungsaktivität zu erreichen. Die für dieSonnenbestrahlung empfindlichsten Schulter-, Rü-cken- und Armpartien bestehen aus besonderemUV-resistentem Gewebe. Dessen Fasern wurdenzuvor mit Titanoxidpartikel beschichtet, um nur

UV-Schutz ...

47Bilder von links: Weltweit nicht nur bei Bauarbeitern eine Marktlücke: effektiver Sonnenschutz mitguten Trageeigenschaften | Dr. Jan Beringer entwickelte Shirts mit UV-Schutz für den Arbeitsalltag |Hohenstein-Institute zertifizieren UV-Wirksamkeit von Geweben

TEXTILE REVOLUTION

Funktionalisierte textile Oberflächenhaben in den letzten Jahrzehnten dieBekleidung für Sport, Beruf und Frei-zeit verändert. Solche Eigenschafts-Klassiker wie imprägniert, schweiß-hemmend oder schmutzabweisendmarkieren jedoch längst nicht dasEnde der technotextilen Möglichkei-ten. Was bringt die Zukunft?

Ganz sicher Bekleidung mit verbes-serten Wohlfühleigenschaften, sicherBerufs- und Therapietextilien mit Mo-nitoringfunktionen, vielleicht auchJackets mit solarem Rückenteil, Klei-der mit Leuchteffekten oder Blusenmit metallischen Dünnschichten. ImGespräch mit Dr. Jan Beringer, wis-senschaftlicher Leiter der AbteilungFunction and Care der Hohenstein In-stitute, war von zwei weiteren texti-len Materialeigenschaften die Rede:UV-Schutz und Farbveränderung.

TEXTILE REVOLUTION

T-Shirt-Prototyp mit UV-schützenden Gewebepartien

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einen methodischen Weg zur Erzielung dieserSchutzfunktion zu benennen. Shirts mit dem Schutz-faktor 80 schützen einen ganzen Arbeitstag vor ge-fährlichem Sonnenlicht.Bereits zum Projektende stand fest: Mit dem Ver-fahren stehen UV-Textilen mit guten Preis-Leistungs-verhältnis zur Verfügung; folglich dürfte nicht mehrallzuviel Zeit vergehen, bis erste Produkte „created& made in Germany“ auf den Markt kommt. Beleg-bare Sicherheit erhalten Arbeitgeber wie Trägerdurch ein Prüfzertifikat, das die Hohenstein Instituteauf Anforderung ihren Kunden ausstellen.

FARBENFROHE ZUKUNFT IMFORSCHUNGSTANDEM

Forschungsgruppenleiter Dr. Jan Beringer könnte ei-gene Kollektionen entwerfen – Bekleidung mithohem UV-Schutzfaktor oder, um auf photochromeGewebe zu sprechen zu kommen, Textilien mit selb-ständigem Hell-Dunkel-Reaktionsvermögen. Mankennt den Effekt von Sonnenschutzgläsern bei Bril-len: Bei Einfall von UV-Strahlung wird das Materialangeregt, von einer farblosen in eine farbige Form

zu wechseln: Wird es dagegen wieder dunkel, ent-färben sich die Brillengläser. Textilien mit solchen Ei-genschaften sind nicht nur aus modischen Gründenerwünscht. Beringer kann sich in Zukunft selbstab-dunkelnde Gardinen ebenso vorstellen wie aktivreagierende Schattenspender.Deshalb bündelten Wissenschaftler des ITCF Den-kendorf und Hohenstein ihr Spezialwissen (Faser-herstellung durch Nassspinnen im einen, undBeschichtungskompetenz im anderen Textilfor-schungsinstitut) und entwickelten zwischen 2007und 2009 ebenfalls im Rahmen eines IGF-Projektsphotochrome Textilfasern und Textildrucke. Genaudas ist übrigens einer der großen StandortvorteileDeutschlands: Hier ist textiles Know-how zu allendenkbaren Facetten konzentriert. Die entspre-chenden Partner, die für neue Lösungen mit insBoot geholt werden sollen, sind nur eine Auto-oder Flugstunde voneinander entfernt.

Die bisher erreichten Forschungsergebnisse, da-runter die äußerst wirtschaftliche Verwendung desauf dem Weltmarkt enorm teuren photochromenFarbstoffs, machen Mut. Obwohl die photochro-men Moleküle in den Mustermaterialien nach eini-ger Zeit „ermüden“ bzw. nur stark verzögert fürden gewünschten Farbumschlag sorgen, gehen dieForscher jetzt schon davon aus, den Photochro-mieeffekt auch auf andere Materialien wie Lackeund Glas zur Etablierung intelligenter Funktionenzu übertragen. Das könnte für die Automobilin-dustrie ebenso interessant werden wie für allemöglichen Außenanwendungen, wenn Signalwir-kungen – z. B. beim Umschlag der Witterungsver-hältnisse – gefragt sind.

www.hohenstein.dewww.itcf-denkendorf.de

... und Photochromie

48 Farbwechsel-Effekte wie bei diesem T-Shirt lassen sich technisch auch auf andere Materialien übertragen

TEXTILE REVOLUTION