THE RACE 36 • SÜNDE

28
Bekennt einander eure Sünden Warum diese Aufforderung Sinn macht //Seite 14 //Seite 20 //Seite 38 Hinter Gittern Wie sehen Straffällige ihre Schuld? Spüren, was andere fühlen Hochsensibilität 11. Jahrgang • 1/2010 • Nr. 36 (März) 7 EUR/10 SFr (Einzelpreis) SüNDE PASS AUF KLEINES AUGE, WAS DU SIEHST JUBILäUM! 10 JAHRE THE RACE

description

Das hässliche Thema »Sünde« unterschiedlich beleuchtet.

Transcript of THE RACE 36 • SÜNDE

Page 1: THE RACE 36 • SÜNDE

Bekennt einander eure SündenWarum diese Aufforderung Sinn macht

//Seite 14 //Seite 20 //Seite 38

Hinter GitternWie sehen Straffällige ihre Schuld?

Spüren, was andere fühlenHochsensibilität

11. Jahrgang • 1/2010 • Nr. 36 (März) 7 EUR/10 SFr (Einzelpreis)

SündePaSS auf kleineS auge, waS du SiehSt

Jubiläum!10 Jahre the raCe

Page 2: THE RACE 36 • SÜNDE

2 THE RACE 01/10

Monika, 40, Bonn Gott zu lieben und ihm zu dienen.

Friederike, 32, KaltenhofMit Seelenverwandten richtig ablachen und die bedingungslose Liebe meines himmlischen Papas.

Sarah, 24, Vienenburg Die Gegenwart Gottes.

Anton, 42, Detroit Mit Brüdern und Schwe-stern Gemeinschaft zu haben.

Marion, 33, Freuden-stadt All-die-Fülle-Tage, tanzen und Papazeit mit meinen WG-Schwestern.

Daniel, 28, HerrenbergMit motivierten Leuten ein konkretes Ziel zu verfolgen.

DEin GEsiCHT Auf sEiTE 2

WAs mACHT DiCH lEbEnDiG?

Michel, 27, TailfingenAustausch mit echten Freunden.

Laura, 24, Vinnica, UkraineEssen und trinken! So-wohl geistliches als auch leckeres natürliches.

Carina, 29, RostockEin Spaziergang mit Gott am Meer, den Wind im Gesicht, Wasser und Sand unter den Füßen.

Ute, 29, GäufeldenGottes Reden in meinem Leben zu hören und wenn er mir offenbart, was er mit mir vorhat.

Mirj, 24, HerrenbergSchwarztee mit Honig und ein Sonnenaufgang in den Bergen bei eisigen Temperaturen.

Judi, 26, TailfingenLieder mit Tiefe von meinem iPod.

Timea, 38, Bonn Zu wissen, dass Gott ei-nen guten Plan für mich hat und dass ich hier und heute leben darf.

Veit, 25, TübingenDie Hoffnung auf Großes.

Alex, 28, WaiblingenMorgens Kaffee. Und die kleinen Dinge im Leben, die unvorhergesehen gut oder schlecht laufen.

Sara, Tübingen, 23Unsere Träume machen uns lebendig! Das kann ich für mich nur bestätigen.

Sonja, 31, FreudenstadtZu erleben, dass Jesus handelt. Alarm im Kreiß-saal. Vergebung.

Marijana, 27, Split, KroatienSchwimmen gehen, mit Freunden und Familie gutes Essen teilen, singen, tanzen und lachen.

Silke, 31, FreudenstadtSpaziergänge mit meinem Freund Jesus und Psalm 139. Meine Wohngemeinschaft und LKW fahren.

Traugott, 48, GeroldsweilerDie Hoffnung auf Unver-gänglichkeit.

Matthias, 46, WittendorfAuf wundervolle Weise, die weit über meinen kleinen Verstand reicht, belebt mich »El Elohim Adonai«.

Marco, 37, KaltenhofDie Freiheit zu haben, der zu sein, der ich bin – mit all meinen Stärken und Schwächen.

Brent, 37, Leubsdorf am Rhein Wenn ich einen guten Song spiele, der dem Publikum gefällt. Ein tolles Gefühl ...

Konny, 47, GeroldsweilerWenn ich etwas vorhabe, das meine Auf-merksamkeit, meinen Einsatz und meine Ideen fordert.

Anna, 23, Bad LiebenzellNicht nur von »gegen den Strom schwimmen« zu reden, sondern wirklich eine eigene Meinung zu haben.

Barti, 28, NürnbergJesus. Lobpreis. Meine Frau. Meine Tochter. Die Ebenbildband.

Martin, 32, Pfedelbach Ein kühles Bier an einem heißen Sommertag.

Damaris, 30, ErfurtFrei zu meiner Lieb-lingsmusik zu tanzen! Genau das macht mich lebendig.

Simon, 21, SelbitzDer Glaube an etwas höheres, nach dem ich trachten kann.

Katrin, 32, NeuendettelsauUnser neues Zuhause. Alles worüber ich lachen kann. Ärger so richtig Luft zu machen.

Susanne, 37, BerlinWenn ich das tun kann, wo meine Leidenschaft ist: beraten, coachen und kreativ sein.

Thomas, 25, RostockKicker zocken, Bierchen trinken und ein netter Schnack mit guten Freunden.

Kalli, 48, Dautphetal-Friedensdorf Naomi und Joshua (neben mir auf dem Bild) – die Jüngsten un-serer noch ganz jungen Gemeinde.

Anke, 29, HerrenbergDas Durchblättern von Dekozeitschriften. Weil es mich inspiriert!

Ina, 25, SindelfingenSchönheit, Natur, Kunst und Kinder machen mich lebendig. Aber vor allem die Liebe lässt meinen Lebensgarten erblühen.

Esther, 22, Dronten, NiederlandeGott macht mich leben-dig, aber ohne meinen Mann und meine Tochter würde mein Leben ganz leer sein.

Maret, 22, RostockClub Mate bei der Arbeit.

Anna, 20, OstelsheimNachts um halb eins Nu-deln mit Tomatensoße kochen und genießen.

sCHREib uns

Schreib uns eine kurze Ant-wort auf die Frage »Was war dein bester Kinderstreich?« und mit etwas Glück landest du auf der nächsten Seite 2!

[email protected]

sTATEmEnT

Page 3: THE RACE 36 • SÜNDE

3THE RACE - ONLINE . DE

AuTsCH// Wir sitzen als Redaktionsteam im Wohnzimmer einer Ferienwohnung mit Blick auf die schönen Berge des Schwarzwaldes. Das hässliche Wort »Sünde« ist beim Brainstormen neuer Heftthemen gefallen. Es löst verschie-dene Reaktionen bei uns aus: Zum einen verbinden wir mit »Sünde« das Diktiert-Sein durch Ge- und Verbote, in dem es das Ziel ist, keine Fehltritte zu leisten. Zum anderen merken wir aber auch, dass wir das Thema ziemlich an den Rand gedrückt haben, da wir andere Fragen an das Leben haben. Das erschreckt uns und wir merken, dass wir uns einen neuen Zugang zum Umgang mit Sünde wünschen. Um diesen zu bekommen, hilft es, durch andere Augen zu sehen. Aus dem Blickwinkel einer Gefängnisseelsorgerin zum Beispiel bekommen Schuld und Vergebung eine ganz andere Dimension (S. 20).Wenn sich Sünde nicht auf Ge- und Verbote reduzieren lässt – was ist sie denn dann? Eine Definition ist notwendig, um hier Näheres zu erfahren (S. 11).In der Auseinandersetzung mit Sünde kommt man auch schnell auf Bezie-hungen zu sprechen – der Rahmen, der häufig durch Sünde zerstört wird, aber auch die Stelle, an der man Heilung erfahren kann (S. 14). Das ist das Geniale und Wundervolle bei der Beschäftigung mit diesem Thema: Man stößt als Christ unweigerlich auf Heilung und Gnade. Mit Sünde haben wir immer zu tun, ob wir diese sehen oder nicht sehen wollen. Aber wenn wir sie sehen und bekennen, erfahren wir Gnade – auch wenn sich Gnade schwer mit Worten beschreiben lässt (S. 22).

EDiToRiAl

GooDbyE unD 1000 DAnk, bEnny!

Als Benjamin 2005 ein Teil von THE RACE wurde, hat er zunächst das Ressort »Politik« bedient. Ein Jahr später über-nahm er zusammen mit Michael Zim-mermann die Redaktionsleitung. Seine klare und erfrischende Art hat die Redak-tion durchweg postiv geprägt. Sein weites Netzwerk war und ist für das Projekt von großer Bedeutung. Jetzt führt ihn sein Weg weiter. Wir wissen, dass wir dich als Freund behalten werden und wünschen dir bei allen deinen Vorhaben Erfolg und viel Segen!

Ein Interview mit Benjamin findet ihr auf Seite 64. Ebenso einige Fragen an Jörg, der den Staffelstab in der Redaktionsko-ordination von Benny übernimmt.

in EiGEnER sACHE: VERlAGsGRünDunG

Wir freuen uns, euch mitteilen zu kön-nen, dass wir seit dem 1. Januar 2010 die Herausgabe von THE RACE selbst in die Hand genommen haben. Dazu haben die zwei Redakteure Michael Zimmermann und Jörg Schellenberger eigens den oora verlag gegründet, der die offizielle Träger-schaft übernimmt. www.oora.de

Mehr zur Verlagsgründung und dem neuen Leserservice auf Seite 65.

Das Redaktionsteam von links nach rechts:

Michael, Jörg, Anneke, Anne

In dieser Ausgabe gibt es außerdem einiges zu feiern. THE RACE wird 10 Jahre alt und wir geben euch ei-nen Überblick über unsere Geschichte, um euch an diesem Ereignis Teil haben zu lassen (S. 32). Eine wei-tere geniale Neuigkeit ist, dass wir in diesem Jahr ei-nen eigenen Verlag gegründet haben. Nun haben wir als Redakteure komplett die Verantwortung für THE RACE übernommen und schaffen somit die Basis, die WEITERdenker -Zeitschrift weiter zu entwickeln (S. 64).

Wir wünschen euch viele gute Impulse und neue Ideen beim Lesen dieser Ausgabe.

Euer THE RACE Redaktionsteam

Page 4: THE RACE 36 • SÜNDE

4 THE RACE 01/10

infos

Qim-CHARTARTikElRATinG

Mit Hilfe unseres QIM.Charts kannst du auf einen Blick erkennen, was dich in einem Artikel erwartet: Geht es um das Q für qualifizierend, also das Vermitteln von Wis-sen, das dich hoffentlich schlauer macht? Oder ist der Artikel eher I für inspirierend, eine Horizonterweiterung, die dich lebendiger macht? Möglicherweise ist der Artikel auch M für mobilisierend, so dass du aktiver wirst?

Alle Artikel haben Q, I und M. Aber durch die Übersicht der Gewichtung kann man vorab zuordnen, wo der Schwerpunkt des jeweiligen Artikels liegt.

Die folgende Legende schlüsselt auf, wieviel QIM in einem Artikel vorhanden ist:

1 – so gut wie gar nicht2 – kaum3 – wenig4 – durchschnittlich5 – recht viel6 – sehr viel7 – außerordentlich viel8 – fast nur

Achtung: Das Rating ist nicht als Benotung der Inhalte zu sehen, sondern als Hilfe, den Artikel schon vor dem Lesen tendentiell einzuordnen.

HäufiGE fRAGEnDeine Adresse hat sich geändert? Bitte schicke uns sobald wie möglich deine neue Adresse und gib dabei deinen Namen, deine alte Anschrift und ergänzend auch deine Telefonnummer und dein Geburts-datum mit an. Einfach an [email protected].

Du möchtest, dass andere THE RACE kennen lernen? Wir senden dir gerne kostenlos THE RACE Werbeflyer zu, die du weitergeben oder auslegen kannst. Nenne uns ein-fach die gewünschte Stückzahl und wie du sie loswerden willst.

Du willst THE RACE abonnieren? Oder verschenken? Kein Problem! Am einfachsten ist es direkt in unserem Online-Shop auf www.therace-online.de/shop. Du kannst deine Bestellung aber auch telefonisch unter 089/858 53 552 oder per E-Mail an [email protected] aufgeben.

Du willst mit einem der Autoren Kontakt aufnehmen? Unsere Autoren freuen sich über jedes Feedback. Schicke deine Nachricht an [email protected] und wir leiten diese gerne weiter.

Du willst einen Artikel nachdrucken? Da gibt es leider ein paar rechtliche Dinge zu beachten: Das Kopieren/Ausdrucken/Nachdrucken eines Artikels ist bis zu einer Auflage von 15 Stück für nichtkommerzielle Zwecke (z. B. Jugendgruppe oder Hauskreis) ausdrücklich gestattet, allerdings nur, wenn die Rechte beim oora ver-lag GbR liegen. Am Ende des kopierten Artikels muss dann jeweils der Quellennachweis (z. B. »aus THE RACE Nr. 32«) und das Copyright angegeben werden (© oora verlag GbR). Bitte sende uns eine Kopie des betreffenden Artikels mit allen zugehörigen Angaben: Wer hat den Artikel kopiert? Wie oft? Für welche Gruppe? Liegen die Rechte nicht bei oora verlag GbR, so ist direkt unter oder neben dem Ar-tikel ein anderes Copyright angegeben. Hier musst du die Kopiergenehmigung beim Rechteinhaber selbst einholen. Wenn du dabei Hilfe brauchst, wende dich einfach an uns.

QimRATinG

fAQ

sCHWERpunkT: sünDE //

6 könnEn kinDER sünDER sEin? • Schuldempfinden bei jungen Menschen

Kinder wissen doch noch nicht was Sünde ist. Wirklich? Die Autorin hat es anders erlebt. // KERSTIN HACK

8 im DunkEln DARf GEsToHlEn WERDEn • Wie Kultur un-ser Sündenverständnis beeinflusst

Die einen dürfen es – die anderen nicht. Tätowierung, Minirock und Zigaretten – was davon ist Sünde und was hat das Ganze mit Kultur zu tun? // MARTIN PREISENDANZ

11 WAs isT sünDE? Eine Definition zum Einstieg. // MARTIN PREISENDANZ

12 WEnn VERGEbEn niCHT GEHT • Über Unversöhnlichkeit und ihre Gründe

Wie gehe ich damit um, wenn ich dem anderen nicht vergeben kann? // URSULA HAUER

14 bEkEnnT EinAnDER EuRE sünDEn • Warum diese Auffor-derung Sinn macht

Was soll die Forderung der Bibel, Sünde vor einem anderen zu beken-nen, wo ich doch die Sache schnell und unproblematisch allein mit Jesus ausmachen kann? Eine ausführliche Antwort dazu findest du in diesem Artikel. // MARKUS S. HOFFMANN

20 HinTER GiTTERn • Wie sehen Straffällige ihre Schuld? Eine Berliner Pfarrerin berichtet über ihre Erlebnisse als Gefängnis-

seelsorgerin. // ASTRID EICHLER

22 Ein mAnn, DER GnADE biTTER nöTiG HATTE • Über den Risikofaktor Gnade

Der Autor lädt dich dazu ein, der Gnade ins Auge zu schauen. Eine Reise, die riskant, herausfordernd und wunderschön ist. // HARALD

SOMMERFELD

26 VERGEbunG unAuffinDbAR • Die Sünde gegen den Heili-gen Geist

Viele Christen fürchten sie und viele wissen gar nicht so genau, wie man sie begeht: die Sünde gegen den Heiligen Geist. Hier gibt’s Klarheit. // ROBERT SCHAEFER

28 miT ERHobEnEm ZEiGEfinGER • Sünde im Spannungsfeld von Gemeinde und Gesellschaft

Was Sünde ist und was nicht, scheint zunächst einfach, entpuppt sich aber bei genauerem Hinsehen als gar nicht mehr so klar. // GÜNTER J.

MATTHIA

Page 5: THE RACE 36 • SÜNDE

5THE RACE - ONLINE . DE

QuERGEDACHT //

34 Von DER WERTlosiGkEiT DEs mEnsCHEn • Neues aus dem Hinterhof der Geistlichkeit �Kolumne. Was Herr Bohlen mit den Leuten in DSDS macht, ist total daneben. Aber was machen

wir eigentlich so in der Gemeinde? // AXEL BRANDHORST

38 spüREn, WAs AnDERE füHlEn • Hochsensibilität Was ist Hochsensibilität? Ist sie Gabe oder Last? Und wie kann man damit umgehen?

// CHRISTA LÜLING

42 bREiT GEfäCHERT • Unter der Oberfläche� �Kolumne. Ist doch genial, wenn man vielseitig interessiert und begabt ist, oder? Schon, aber diese

Gabe bringt auch ihre ganz eigenen Probleme mit sich. // LINDA ZIMMERMANN

44 DER uR-DEsiGnER Am WERk • Kunst und du Ist Kunst nur christlich, wenn dabei ein Kreuz oder ein Fisch mit abgebildet wird? Nein, meint un-

sere Autorin und führt aus, dass der Schöpfer seinen gestalterischen Esprit in alle Menschen gelegt hat und das deshalb jede Kreativität Ausdruck von Gottes Größe sein kann. // DEBORA RUPPERT

50 unTERGRunDsTREifZuG Die Autorin ist in einer großstädtischen U-Bahn unterwegs. Und macht dort allzu typische Er-

fahrungen. // FRANZISKA ARNOLD

52 DiE WElT Auf DEn kopf sTEllEn • Was passiert, wenn wir von den Beziehungen her denken

Wir sind stark davon geprägt, vom autonomen Individuum aus zu denken. Der Autor nimmt dich mit hinein, Beziehung andersherum zu denken. // DANIEL EHNISS

56 mACHTlos? • Ganz down to earth� �Kolumne. Manche Dinge scheinen uns zu überwältigen, im persönlichen Leben oder in unserem

Umfeld. Doch wir sind ihnen nicht machtlos ausgeliefert, wir müssen sie nur angehen – Stück für Stück. // KERSTIN HACK

58 WiE finDE iCH mEinEn bREnnEnDEn busCH? • Was Berufung bedeutet Drei Leute aus völlig verschiedenen Hintergründen tauschen sich über dieses bedeutungsvolles

Thema »Berufung« aus. // KERSTIN SCHELLENBERGER

61 bäCkER süpkE • In meine Backwaren kommen nur Sachen, die man auch ausspre-chen kann

�Leser�gestalten. Ein Portrait über einen Leser, der mit Leidenschaft anders bäckt. // JULIANE MANDEL

62 WiE iCH AnfinG, GoTT miT EinEm bAum Zu pREisEn • Mein Freund Gott und ich � �Kolumne. Mickey besucht ein Seminar, das von ihm zunächst höchst fragwürdige Praktiken fordert.

Aber sein Freund Gott hilft ihm mal wieder, ihm selbst darin zu begegnen und auch noch andere mit hinein zu nehmen. // MICKEy WIESE

DETAils //

2 DEin GEsiCHT Auf sEiTE 2: Was macht dich lebendig?32 10 JAHRE THE RACE – eine Retrospektive64 sTAffElsTAbübERGAbE in DER REDAkTionslEiTunG unD VERlAGsGRünDunG Fragen an Benjamin Finis und Jörg Schellenberger66 impREssum • lEsERbRiEfE

inHAlT

Page 6: THE RACE 36 • SÜNDE

6 THE RACE 01/10

SündE

6 THE RACE 01/10

Page 7: THE RACE 36 • SÜNDE

7THE RACE-ONLINE.DE

SündE

// Als 10-Jährige fuhr ich meine jüngere Schwester im Kinderwagen aus. Ich war dabei unachtsam. Sie fiel heraus und stürzte mit dem Kopf auf eine Steinplat-te. Und schrie wie am Spieß. Als meine Eltern mich anschließend fragten, warum sie so schrie, log ich sie an: »Ich weiß es nicht, vielleicht hat sie Hunger?«Ich schämte mich und schwor mir, nie wieder zu lügen. Als meine kleine Schwes-ter in einer ähnlichen Situation von meinem Bett auf den Boden fiel, log ich jedoch trotzdem wieder. Dass es mir nicht gelungen war, die Wahrheit zu sagen, war für mich ein Schock. Ich realisierte: Ich bin nicht gut. Trotz aller guten Vorsätze schaffe ich es nicht, immer so zu handeln, wie ich es eigentlich will. Kurz darauf hörte und begriff ich zum ersten Mal das Evangelium, dass Gott als Mensch – Jesus – zu uns auf die Erde kam, um unsere Schuld zu tragen, uns zu entlasten, mit uns durchs Leben zu gehen und uns die innere Kraft zu geben, besser und liebevoller zu handeln.Für mich war schnell klar: »Das ist das, was ich will!« So schrieb ich an meine El-tern, erklärte die Situation und entschul-digte mich. Anschließend bat ich Gott in einem Gebet um Vergebung und ent-schied mich, von nun an in Verbindung mit ihm leben zu wollen. Ich spürte tiefe Erleichterung und explosive Freude.Kinderkram? Kann ein Kind überhaupt schon wissen, was Sünde ist? Vielleicht. Doch ich habe als Mitarbeiterin auf

christlichen Ferienlagern immer wieder erlebt: Kinder wissen sehr genau, dass manche ihrer Handlungen falsch sind – und sehnen sich nach Vergebung. Ich erinnere mich an ein Mädchen, das darunter litt, dass sie ihre Eltern auf die Frage hin, wer etwas angestellt hatte, be-log. Das führte dazu, dass ihre unschul-dige Schwester Prügel bekam. So wie sie können meiner Erfahrung nach viele Kinder schon in jungen Jahren be-nennen: An dieser einen Stelle habe ich etwas falsch gemacht und nicht so gehan-delt, wie es gut und richtig gewesen wäre. In der Regel sind es nicht unendlich viele Vergehen, die sie belasten, sondern einige wenige Schlüsselsituationen, durch die sie erkennen: Mein Handeln ist nicht immer gut. Ich brauche Vergebung. In der Erzählung »Die Schuldkiste«, die in meiner Kindheit in christlichen Krei-sen recht verbreitet war, wird von einem Jungen erzählt, der Gegenstände, die ihn an schuldhaftes Verhalten erinnerten, in eine Kiste verbannte und erst später den Weg zur Vergebung fand. Man braucht Kindern keine Schuld ein-zureden, wenn sie sie nicht klar empfin-den. Das führt nur zu Verkrampfung und Unnatürlichkeit. Davon würde ich abra-ten. Doch viele Kinder wissen, wo sie de-finitiv falsch gehandelt haben. Sie erleben das Evangelium tatsächlich als frohe Bot-schaft: »Gott vergibt mir meine Schuld. Ich kann neu beginnen.« Unbeschwert. Kindlich. Froh. ///

KönnEn KindER SündER SEin?OdER: SCHuldEmpfindEn bEi jungEn mEnSCHEnTExT:KErsTINHacK

Kerstin Hack (42) lebt und arbeitet in Berlin, der spannendsten Stadt Deutschlands, in der sich ständig etwas verändert. Als Auto-rin und Referentin inspiriert sie zu Verände-rungsprozessen, als Coach unterstützt sie Menschen dabei, dass die Veränderungen auch gelingen.

Dass es mir nicht gelungen war, die Wahrheit zu sagen, war für mich ein Schock. Ich realisierte: Ich bin nicht gut.

Page 8: THE RACE 36 • SÜNDE

20 THE RACE 01/10

SündE

HinTER GiTTERnWiE SEHEn STRAffälliGE iHRE SCHuld?TexT:AsTrideichler

SündE

// »Frau Pfarrer, sie werden merken, alle unschuldig, alles Justizopfer hier drin-nen.« Mit diesem Satz wurde ich vielfäl-tig von Bediensteten empfangen. Seit fünf Jahren arbeite ich im Gefängnis – und ich habe es noch nicht gemerkt. Die meisten, die zu mir zu einem Ge-spräch kommen, sagen irgendwann: »Ich habe Scheiße gemacht, deshalb sitze ich hier.« Oder »Ja, ich habe einen Fehler ge-macht. Es ist okay, dass ich hier bin.« Von Sünde redet kaum einer. Und dann sitzen sie da – erleichtert, endlich einmal reden zu können – ein-fach so. Oder auch über das, was sie be-drängt. Meistens ist es die Situation mit ihren Leuten draußen, den Angehöri-gen, Eltern, Kindern, der Frau oder der

Freundin. Sie alle leiden unter der Folge der Schuld. Schuld zieht immer Kreise. Unheilvolle Kreise in das Leben vieler, die betroffen sind. Zumindest das tut ih-nen Leid. Sie leiden darunter, oft mehr unter den Folgen ihrer Schuld, als unter der Tatsache, dass sie schuldig geworden sind. Manche gestehen ihre Schuld ein und fügen sofort hinzu: »Aber ich habe niemandem geschadet!« Nur Versiche-rungen betrogen. »Schuld, ohne jemandem zu schaden. Das gibt es nicht!«, versuche ich zu erklären. »Betrug von einigen schadet allen, die Tarife steigen in die Höhe. Wir zahlen alle dafür.« »Hm, wenn man das so sieht ... Ja, dann ...«Andere erklären: »Ich brauchte Geld, ganz dringend – was sollte ich denn machen?«

Die Ausweglosigkeit des eigenen Lebens als Beginn der Schuld. In unzähligen Ge-sprächen merke ich, wie viele Anfänge von Schuld es gibt. Und könnte es bei mir nicht genauso anfangen? Sünde hat so viele Gesichter – und sie ge-biert immer neue Sünden und bringt den Tod. »Der Sünde Sold ist der Tod« (Rö-mer 6, 23a). Wie oft klingt dieses Wort in mir auf, wenn ich den Tod fast mit Hän-den greifen kann: Zerstörtes Leben der Opfer, zerstörtes Leben der Täter. Auch die Atmosphäre im Gefängnis trägt den Tod in sich.

Da treffe ich einen Mann, 68 Jahre alt, der zählt seine Haftstrafen auf. Ich frage nach: »Wie viele Jahre waren sie in Haft?«

Page 9: THE RACE 36 • SÜNDE

21THE RACE-ONliNe.de

SündESündE

»Dreißig.« Er sagt es mit einem gewissen Stolz. Sein Leben – ein rein, raus, wieder rein, raus ... und wieder rein. So etwas gibt es – ja, wirklich!Ich frage nach, lasse mir erzählen: »Was war da früher mal? Was war zu Hause?« Und wie so oft entfaltet sich vor meinen Ohren eine chaotische Lebensgeschich-te. Erfahrungen von Ablehnung, Gewalt, Heimerziehung, Ausbrüchen. Dramatisch und doch so gewöhnlich hinter diesen Mauern.Geschichten, manchmal kaum vorstellbar!

Dann sitze ich mit einem Sexualstraftäter zusammen. Er gibt mir seine Lebensge-schichte zu lesen, voller Erfahrungen von Gewalt und Vergewaltigung. Der eigene Vater, der ihn missbrauchte. Die Mutter, die es nicht wahrnahm oder nicht wahr haben wollte. Und was wird aus dem Sohn? Ein Missbraucher und Vergewalti-ger. Sünde gebiert Sünde.Und ich denke an den kleinen Jungen, von dem die Mutter, die »einen neuen Macker hat«, mir am Telefon erzählt: »Ich habe ihn gefragt, welchen Papa er lieber hat – den von früher oder den von jetzt?« Auswechselbare Väter. Was wird aus den Söhnen?

Und doch: Es bleibt dabei – die Verant-wortung liegt bei dem Einzelnen. Eine Geschichte kann erklären, aber nicht ent-schuldigen. Es gibt Gründe, Abgründe, aber keine Entschuldigung. Strafe muss sein und viele der Straftäter sehen das nicht anders. Aber es gibt auch die anderen. Die, die die Schuld nur bei den anderen sehen. Die im Gefängnis um ihr Recht kämp-

fen, obwohl sie es verwirkt haben und das Recht anderer mit Füßen getreten haben. Es gibt immer die einen und die ande-ren. Das ist da drinnen nicht anders als draußen. Und: Das war schon immer so. Schon damals, als Jesus am Kreuz hing. »Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir emp-fangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heu-te wirst du mit mir im Paradies sein« (Lu-kas 23, 38-43).Es gab sie schon immer, die Einsichtigen und die Uneinsichtigen, die Spötter und die Beter. Es gibt sie heute auch, die, die mir hinterher rufen: »Wenn es Gott gibt, soll er mich hier rausholen!« und die, die ängstlich fragen: »Habe ich noch eine Chance?« Und die, die sich Jesus zuwenden, stehen unter seiner Barmherzigkeit. Unfassbar! Das habe ich in meinem Dienst im Ge-fängnis ganz neu begriffen.

Wir bieten im Gefängnis einen Alpha-kurs an. Bei einem der Treffen haben wir Gebet angeboten. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter sind danach tief bewegt. Es sind Tränen geflossen – über die eigene Schuld. Es wurde um Vergebung gebetet und Vergebung empfangen.

In den Gottesdiensten im Gefängnis sin-gen wir immer ein Lied von Albert Frey, das mir in meinem Dienst überaus kost-bar geworden ist: »Es gibt bedingungslose Liebe, die alles trägt und nie vergeht. Es gibt Versöhnung selbst für Feinde und echten Frieden nach dem Streit, Verge-bung für die schlimmsten Sünden, ein neuer Anfang jederzeit.« Im Gefängnis klingt es anders als in ei-ner Gemeinde. Für mich klingt es im Ge-fängnis kräftiger, schöner, unglaublicher. Und deshalb so kostbar. Die Frage ist nur: Glauben wir das wirklich?Wenn ich mit den Männern zusammen-sitze, von ihnen höre und mit ihnen rede, fange ich an, es immer mehr zu glauben. Und darüber zu staunen. ///

Astrid Eichler (51), ursprünglich Kranken-schwester, studierte von 1982 bis 1986 Theologie in Ost-Berlin. Danach war sie 16 Jahre lang Pfarrerin in kleinen Landgemein-den in der Prignitz. Seit 1996 ließ sie ihr Dienstverhältnis auf 50% eingeschränken, damit sie Freiraum für die Mitarbeit in ver-schiedenen Projekten, wie z. B. den Jesus-tag, hatte. Sie war 2000 Mitgründerin eines missionarischen Fußballvereins. Seit fünf Jahren ist sie in der Gefängnisseelsorge in einer Berliner Justizvollzugsanstalt tätig. www.forum-straffaelligenhilfe.de

Ich habe Scheiße gemacht, deshalb sitze ich hier. Sie alle leiden unter der Folge der Schuld.

Page 10: THE RACE 36 • SÜNDE

22 THE RACE 01/10

SündE

// In jeder Stadt gibt es ein paar Typen, die keiner mag. Der, um den es hier geht, war so einer. Er hatte die Leute ausge-nommen, wo es nur ging, und war davon reich geworden. Vermutlich stellten die meisten sich nicht offen gegen ihn, denn sie wussten, dass ihre Geschäfte früher oder später über seinen Schreibtisch ge-hen würden. Aber im Grunde verurteilten ihn alle wegen seines Verhaltens, und zu-sätzlich verachteten sie ihn wegen seines äußeren Erscheinungsbildes.Vermutlich war es nur die übliche menschliche Neugierde, die den Mann eines Tages auf die Straße trieb. Ein Pro-mi war unterwegs in seiner Stadt, und je-der wollte ihn gesehen haben. Aufgrund seiner biometrischen Daten war unser Mann allerdings benachteiligt: Alle, die vor ihm standen, überragten ihn, weil je-der in der Stadt größer war als er. So stieg der kleine Mann auf einen hohen Baum.

Schon erkannt? Die Geschichte steht in der Bibel (Lukas 19). Der prominente Besucher war Jesus, der betrügerische Finanzmann Zachäus. Ihr Lebensmotto war so entgegengesetzt wie nur möglich. Von Jesus ist der Satz überliefert: »Geben ist seliger als Nehmen.« Von Zachäus ist die Praxis überliefert: »Nehmen ist seliger als Geben.« Wenn irgendetwas nicht zu-sammenging, dann die beiden. Und doch blieb Jesus gerade unter dem Baum, den Zachäus als Hochsitz erkoren hatte, ste-hen: »Zachäus, komm schnell runter, ich muss heute dein Gast sein.«

Die Frage deckt etwas auf, das in uns steckt – ein tiefes Misstrauen gegen Gnade, nach der wir uns sehnen und

die wir gleichzeitig fürchten.

Ein MAnn, dER GnAdE biTTER nöTiG HATTEübER dEn RiSikofAkToR GnAdETexT:hArAldsOmmerfeld

Jesus behandelte ihn, als spräche nichts gegen ihn, als wäre er guter Umgang. Gastfreundschaft und gemeinsames Essen bedeuteten in jener Zeit und Kultur sehr viel: Man identifizierte und ver-band sich miteinander. Indem Jesus sich selbst bei Zachäus ein-lud, signalisierte er: »Du bist für mich okay.« (Womit Jesus auf einen Schlag für den Rest der Stadt nicht mehr okay war.)Gnade – denn so wird man nen-nen müssen, was Jesus hier zeigte – interveniert unerwartet, unvorbereitet und unverdient und stellt das Leben, so wie wir es kennen und für richtig hal-ten, auf den Kopf. Gnade ist etwas von einem anderen Stern. Deshalb gibt es sie im vollen Sinne auch erst seit und durch Jesus. »Das Gesetz ist durch Mose gege-ben; die Gnade und Wahrheit ist durch Je-sus Christus geworden« (Johannes 1, 17). Will heißen: Wir wissen auch ohne Je-sus, was falsch ist und richtig wäre. Und dass man natürlich für das eine gerade stehen muss und für das andere Lohn verdient. »Falsch!«, sagt Jesus. »Nicht länger!«

Gnade vor RechtDen Schock, den die Gnade in Jericho erzeugte und den sie bis heute auslöst, wenn sie recht verstanden und nicht fromm verbrämt oder bürgerlich verharmlost wird, können wir am besten verstehen,

Page 11: THE RACE 36 • SÜNDE

23THE RACE-ONliNe.de

SündE

wenn wir sie mit der Gnadenpraxis un-serer Gesellschaft vergleichen. Örtliche Justizbehörden erlassen eine Weihnacht-samnestie, der Bundespräsident hat das Recht zur Begnadigung. Aber man erwar-tet – wie Diskussionen der letzten Jahre gezeigt haben – eine gewisse »Berechti-gung«, bevor jemandem Gnade vor Recht geschieht, sei es die geäußerte Reue, die günstige Prognose oder die minder schwere Schuld. Und außerdem ist an die Opfer zu denken und daran, ob ihnen die Begnadigung des Täters zumutbar ist.

Bei Jesus ist Gnade viel radikaler (und riskanter). Zachäus hatte nichts bereut, nichts geändert, nichts versprochen. Jesus hatte nichts erwartet, nichts gescholten, kein Wort über Zachäus Opfer verloren. (Das wurde auch den Rest des Tages von Jesus nicht thematisiert!) Gnade geschah »einfach so«: »Ich komme zu dir. Ich esse mit dir aus derselben Schüssel.«In dieser einfachen Handlung lag viel mehr, als wir gemeinhin mit dem Be-griff »Gnade« verbinden. Gnade übersieht nicht nur, was gegen einen Menschen spricht, sondern sie spricht für ihn. Jesus nennt Zachäus einen »Sohn Abrahams« – die positivste Wertschätzung, die in

diesem Kontext ausgesprochen werden konnte. Gnade tilgt nicht nur das Mi-nus, sondern bringt ins Plus. Sie über-windet nicht nur Verurteilung, sondern auch Verachtung. Ihr Ziel ist nicht, reinen Tisch zu machen, sondern den Tisch zu decken. »Komm, Gauner, iss mit mir!«Darf Gnade das? Durfte Jesus, was er tat? Gefährdete er nicht die moralische Ord-nung? Jesus ging es zunächst nicht um die moralische Ordnung, sondern um seinen Vater. »Wer mich sieht, sieht ihn«, erklär-te er wiederholt. Und in der Tat wird von seinem Vater ähnlich Anstößiges berichtet. Paulus nennt ihn den Gott, »der die Gott-losen gerecht spricht« (Römer 4, 5). Gott er-klärt also den Schuldigen für unschuldig. »Für mich bist du okay. Ich mag dich, ich bin mit dir, ich wirke durch dich. Und was du falsch gemacht hast oder falsch machen wirst, ist kein Thema mehr zwischen uns beiden.« Aber was ist dann mit der mora-lischen Weltordnung? Einfacher gefragt: »Warum soll ich mich anstrengen, wenn Gott sowieso für mich ist? Dann kann ich doch Scheiß bauen, so viel ich will. Ich habe ja nichts zu befürchten.«

Eine gute Frage. Sie ist deshalb gut, weil sie zeigt, dass wir dem Evangelium auf

der Spur sind. Dieselbe Frage stellte sich auch den Lesern des Paulus: »Heißt das jetzt, dass wir einfach weiter sündigen kön-nen und die Gnade dadurch nur noch grö-ßer wird?« (Römer 6, 1) Wenn diese Fra-ge aufkommt, ist das ein Hinweis darauf, dass wir das Evangelium (endlich) rich-tig zu verstehen beginnen. Solange Gna-de etwas Bedingtes ist (das man nur un-ter bestimmten Voraussetzungen erhält) oder etwas Vorläufiges (das man auf Be-währung bekommt und wieder verlieren kann), stellt sie sich nicht. Und solange sie sich nicht stellt, hat man weder das Evan-gelium des Paulus noch das von Jesus in aller Radikalität begriffen. Die Frage deckt etwas auf, das in uns steckt – ein tiefes Misstrauen gegen Gna-de, nach der wir uns sehnen und die wir gleichzeitig fürchten. Wir fürchten sie, weil wir Angst haben, sie könnte zum Freibrief werden. Aber ist diese Angst begründet? Vielleicht ja. Vielleicht birgt Gnade wirklich ein Risiko. Vielleicht ge-hört dieses Risiko zu der Chance, die die Gnade bietet – der Chance, die wir nicht

Die Frage deckt etwas auf, das in uns steckt – ein tiefes Misstrauen gegen Gnade, nach der wir uns sehnen und

die wir gleichzeitig fürchten.

Ein MAnn, dER GnAdE biTTER nöTiG HATTEübER dEn RiSikofAkToR GnAdETexT:hArAldsOmmerfeld

Page 12: THE RACE 36 • SÜNDE

24 THE RACE 01/10

SündE

Gnade ist die Gleichstellungsbeauftragte Gottes.

missen möchten und die sonst nichts bie-tet. Vielleicht hätte Zachäus den Besuch von Jesus nutzen können, um seinen Be-trieb mit einem Erinnerungsstück des prominenten Gastes zu schmücken, um anschließend weiterzumachen wie bisher. Doch das ist Spekulation.

Gnade erlebenTatsache ist, dass Zachäus aus dieser Be-gegnung mit bedingungsloser Gnade ver-ändert hervorgeht: »Die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wen ich betrogen habe, dem gebe ich das Vierfache zurück«. Gnade ist nicht die Antwort auf erste Schritte der Ver-änderung (eingestandene Schuld, gelobte Besserung, gefasster Vorsatz, mildernder Umstand, gesprochenes Übergabegebet). Gnade ist die Ursache der Veränderung. Die Begegnung mit Jesus weckte etwas in Zachäus, das vorher nicht in ihm ge-schlummert hatte. Er wurde ehrlich. Er machte wieder gut. Und nicht nur das. Solche Resultate bringt gelegentlich auch moralischer Druck (oder die Furcht vor dem Erwischt-werden) hervor. Zachä-us fing an zu lieben. Zachäus gab denen, denen er nichts schuldig war. Er wurde selber »gnädig«, wenn man es so nennen darf, nämlich den Armen gegenüber.Die Gnade mag Anlass zur Sorge geben. Sie gibt jedoch mehr Anlass zur Hoffnung. Ich habe zu viele Christen kennengelernt, de-ren »christliches Leben« sich darum drehte, ob sie heilig oder hingegeben oder gesegnet genug waren, die ständig mit ihren Schuld-gefühlen kämpften, weil sie nicht glauben konnten oder wollten, dass sie durch Jesus unschuldig waren, selbst wenn sie es ver-masselt hatten. Meist habe ich festgestellt, dass bei allen Lippenbekenntnissen zur Gnade ihre Gottesbeziehung doch unter

dem Leitthema »Meine Vorleistung und Gottes Gegenleistung« stand: »Was muss ich tun, damit …?« Ihre geistlichen Kapazitäten wurden so von ihrem Bemühen aufgebraucht, »gute Christen zu sein« und auferlegte Pflich-ten zu erfüllen, dass es kaum jemals zu enthusiastischen Ausbrüchen von Liebe und Freigebigkeit kommen konnte wie bei Zachäus. Woher auch?

Hier sind wir an einem entscheidenden Punkt angekommen. »Gnade« ist kein Lehrbegriff, den man theoretisch vermit-

teln kann. »Gnade« ist ein Erfahrungsbe-griff. Was Gnade ist, erkennt man, indem sie einem widerfährt. Und meist wider-fährt sie einem, wenn man sie am we-nigsten verdient hat.

Schließlich war da noch dieser Morgen, an dem Peggy auf dem Fahrrad den rest-lichen Kilometer zur Arbeit gegen einen gewaltigen Orkan ankämpfen musste! Das gab ihr den Rest. Als sie nun so auf ihrem Fahrrad saß und sich fast die Lun-ge aus dem Leib strampelte, brannte ihr eine Sicherung durch, und sie schrie aus

ein mann, der gnade bitter nötig hatte

Page 13: THE RACE 36 • SÜNDE

25THE RACE-ONliNe.de

SündE

vollem Hals Gott an: »Da bin ich nun und will zur Arbeit fahren! Ich will dir dienen! Ich liebe diesen Taugenichts von einem Ehemann, den du mir beschert hast! Ich mach‘ die ganze Hausarbeit und nie hilft er mir! Und jetzt schickst du mir auch noch einen Sturm!« Dieser Aus-bruch riss die Türen auf und nahm ihr das Steuer aus der Hand: All die aufge-stauten Gefühle brachen aus Peggy he-raus. Sie fluchte und schimpfte und wet-terte, und schließlich schleuderte sie Gott auch noch Obszönitäten entgegen! Und was geschah? Kein Blitz kam vom Him-mel, um sie zu vernichten. Kein Auto überfuhr sie, um sie zu strafen. Stattdes-sen überkam sie ein überwältigender Frie-de. Vom Himmel her wurde sie mit Se-gen und Liebe überschüttet! Genau dort mitten auf der Straße blieb sie stehen und weinte wie ein Baby. Zum ersten Mal in ihrem Leben wusste sie, dass jemand sie liebt — auch wenn sie Fehler macht. Das Evangelium ist schließlich bis in ihr un-gläubiges Herz vorgedrungen.1

Gnade hat eine objektive Grundlage. Gott ist gnädig. »Gott rechnet Verfeh-lungen nicht an« (2. Korinther 5, 19). Aber das ändert oft noch wenig. Gnade braucht eine subjektive Kraft. Ein Mensch erlebt Gott als gnädig. Das ändert alles. Aber dafür müssen wir die Angst vor der Gna-de verlieren und sie zulassen.

Gerecht aus GnadeDoch manchmal fürchten wir die Gna-de auch, weil wir Angst haben, am Ende die Dummen zu sein. Die Bürger Jeri-chos waren schockiert und empört über Jesu Gnade. Sie hatten unzählige Male

1 John und Paula Sandford, Umgestaltung des in-neren Menschen, Solingen 1991, Seite 64-65.

die Gnade Jahwes in ihren Gebeten ange-rufen und gepriesen. Doch solche Gnade wollten sie nicht. Was sie störte, war die »Unteilbarkeit« der Gnade: Man kann sie nicht für sich selbst empfangen und gleichzeitig andere von ihr ausschließen. Zachäus hatte das intuitiv verstanden. Wenn Gnade für ihn da war, war sie auch für jeden anderen da. Zum Beispiel für die Armen. Gnade ist die Gleichstellungsbeauftragte Gottes. Wer sie erlebt, entdeckt den Nächsten, und zwar immer als jemand, mit dem er auf ein und derselben Stufe steht.Die Bürger Jerichos hingegen wollten mit dieser umfassenden Gnade nichts zu tun haben. Wenn das galt, was Jesus tat, dann hatten sie mit ihrer Ehrbarkeit oder Frömmigkeit ja gar keinen Vorzug vor diesem Halsabschneider. Gott sollte

ihnen gnädig sein, aber mit diesem Ty-pen wollten sie nichts zu tun haben. Jesus sagte: »Okay, dann habe ich halt nur mit diesem Typen etwas zu schaffen.«

Wo der Baum steht, auf den du klettern müsstest, damit die Gnade bei dir ein-schlägt, kann ich dir nicht sagen. Doch wenn du einen Rat haben möchtest, wie du subjektiv mehr von dieser Gnade erle-ben kannst, hätte ich einen Vorschlag: Es wird immer jemanden geben, den du ver-urteilst, der dich stresst, den du verach-test. Wenn du ein Polizist bist, bete für die Autonomen. Wenn du ein Autono-mer bist, bete für die Neonazis. Wenn du ein Neonazi bist, bete für die Asylanten. Wenn du ein Asylant bist, bete für … Du weißt, was ich meine.Ich kann verstehen, wenn dir mulmig wird. »Und wenn der sich nicht ändert? Bin ich dann nicht am Ende der Dumme?« Ich sehe, du hast verstanden. Gnade ist riskant. ///

Harald Sommerfeld (56), auch bekannt als Haso, ist verheiratet, Vater von vier erwach-senen Kindern und wohnt in Berlin. Er hat Mathematik und Theologie studiert und als Pastor und Dozent gearbeitet. Zuletzt war er im Rahmen des Netzwerkes »Gemeinsam für Ber-lin« als »Beauftragter für interkulturelle Bezie-hungen« tätig. Mehr dazu, wie man Gnade er-leben und ohne Schuldgefühle leben kann, hat er in seinem Buch »No More Blues. Glauben ohne Schuldgefühle« geschrieben, das man unter www.down-to-earth.de bestellen kann.

Mit welcher Sünde kämpfst du und was hast du bereits unternommen?

silke(31)AusfreudeNsTAdTeinedersünden,mitdenenichkämpfe,ist,dass ichschnellüberanderemenschenur-teile.Jesuszeigtmirdannoft,dassesgenaudiedingesind,mitdenen ich früherselbstzutunhatte–eineschachtelZigarettenproTag,Beziehungen,dienichtnachGottessinngelebtwerden,stolz,lügen,etc.dieses urteilen versuche ich zu überwin-den, indem ich mir bewusst mache: ichsehe, was vor Augen ist, Gott aber siehtdasherzan.icherinneremichdaran,wievielGnadeundGeduldichinAnspruchneh-men durfte. Auch Augustinus’ Aussage:»GerechtigkeitfragtnachTatsachen,liebefragt nach ursachen.« hat mich an demPunktweitergebracht.Wennichmirvorstel-le, dass diese Person womöglich ein vielaufrichtigeresherzhatals ich,verschwin-dendieseGedankenwieder. Trotzdem istesimmerwiedereinkampf.mitJesuhilfemöchte ichweitergehen,auchwennnocheinlangesstückWegvorunsliegt.

Page 14: THE RACE 36 • SÜNDE

32 THE RACE 01/10

10 JAHRE THE RACE

32 THE RACE 01/10

1999

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

2000 2001 2002 2003 2004 2005

10 JAHRE THE RACE EinE RETRospEkTivE

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

Ende1998ÜberlegungenbeiMarcusSplitt,einLehrheftfürjungeChristenzumachen,dasmehrmitInhaltenüberzeugtalsmitbuntenBildchen.Eigentlichfrech.

TrägerkreisgründungAnfang1999.EinRedaktionsteambildetsichausVertreternvonvierWerken:PrayerInterNet(ab2004DestinyDesign):MarcusSplittJugend-,Missions-undSozialwerk:Klaus-PeterFoßhagChristlichesTrainingszentrum:Ben-RainerKrauseGlaubenszentrumBadGandersheim:MichaelPuschke

RedaktionstreffenmitgemeinsamenBrainstormings.DaseigentlicheDoingliegtindenHändenvonMarcusSplittalsVisionärsowieJohannesSturmalsbrilliantemUmsetzer.BorisKernalsGrafikerlegtvielHerzblutindasProjekt.Beten,planen,organisieren,Preiseeinholen...

FieberhafteArbeitandererstenAusgabe.Februar:THERACENr.1istda.Claimist»Runit!Winit!–DasneueLehr-heftfürdiejungeGeneration«.

DieAusgabenNr.2-4geheninsLand.DieAbozahlensteigen.

AbTHERACENr.5:ÄnderungdesUntertitelsin»KompromissloseLehrefürdiejungeGeneration«.

Februar,Mai,August,November:DieAusgaben5-8erscheinen.ErmutigendesFeedbackvonJugendlichen,JugendleiternundHauskreisleitern.

Oktober:Anmietungeines16-m²-RaumesalsBüroineinemPlattenbaumitOriginal-PVC-Geruch.

2002entpupptsichzumKrisenjahr.DurchFehlerimFinanzmanagementstehtTHERACEimAugustkurzvordemAus!DieAus-gabeNr.11kanngeradesobezahltwerden.DieRedaktionsleitung,bestehendausMar-cusSplittundJohannesSturm,schreibteineE-MailanalleRACE-Abonnenten,inderdieLagebeschriebenundumVerständnisundHilfegebetenwird.NurderfinanziellenUnterstützungderLeser-schaftisteszuverdanken,dassesTHERACEheutenochgibt.

Herbst:DieErstausgabeunsererWebseitewirdlivegeschaltet.

November:DieAusgabeNr.12gehtinsLand–ohneweiterefinanzielleEngpässe.InsgesamtkanndasJahr2002miteinemgeringenGewinnabgeschlossenwerden–einechtesWunder.

ErsteFebruarwoche:GroßerUmzugstermin!THERACEbeziehtneueRäumlichkeiteninderMeiningerInnenstadt;BefreiungausdemPlat-tenbau–Erweiterung!

DieErscheinungsterminewerdenumjeweilseinenMonatnachhintenver-legt.DieersteAusgabe2004,THERACENr.17erscheintdahererstimMärz.NeuerUntertitel»Lehre,diedichweiter-bringt«.

Esgibtetwaszufeiern:MitdieserAusgabefeiertTHERACEihren10.Geburtstag!MancherLesererinnertsichvielleichtnochandieAnfängeundmagmitunseinenBlickzurückwerfen.Füralleanderenistessicherinteressantmalzusehen,wieTHERACEbegonnenundsichentwickelthat.THERACE–eineRetrospektive:

Page 15: THE RACE 36 • SÜNDE

33THE RACE-ONLINE.DE

10 JAHRE THE RACE

33THE RACE -ONLINE.DE

Januar:DestinyDesignverändertsich.ErsteÜberlegungenkommenauf,THERACEanjüngereLeutezuübergeben.

Februar/März:EinneuesTeamüber-nimmtdasRuder:BenjaminFinisundMichaelZimmermannübernehmengemeinsamdieLeitungvonTHERACE.UnterstütztwerdensiedabeivonDanielTrebienundAljaRenk.DasJugend-,Missions-undSozialwerkAltensteigwirdoffiziellerHerausgeber.

April:DasDesignwirdweiterentwickelt,dasLogomodifiziert.

DieJuli-AusgabezumThema»Finanzen«(Nr.25)istdieersteAusgabedesneuenTeams.

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

DerRelaunch:NeuesKonzeptundDesign.MichaelZimmer-mannverstärktdasRedakti-onsteamunderarbeiteteinneuesDesign.DarüberhinausgibtesjetztnurnochdreigroßeRubriken:Heftthema,Denken-Fühlen-HandelnunddasJahresthema.

DerUntertitelwirdeinweiteresMalgeändert.Diesmalauf»Qualifizieren.Inspirieren.Mobilisieren«.

März:TheRACEerscheinterst-malsimneuenLookundwirktaufgeräumter,geradlinigerundreifer.

Juli:ErstmalserscheinteineTheRACECD-ROM,diealleAbonnentenmitderJuli-Aus-gabeerhalten.DieReaktionendaraufsindjedochverhalten.

Januar:THERACEwirdselbststän-dig!Überdeneigensdafürgegrün-detenooraverlagwirdTHERACEabjetzterscheinen.GründerdesVerlagssindMichaelZimmermannundJörgSchellenberger,Abo-undFinanzverwaltungübernimmtderDienstleister»InTimeMediaServices«.

WirdankendemJugend-,Missi-ons-undSozialwerkAltensteigfürseinegroßeundselbstloseHilfealsHerausgeberindenletztenJahren.Ohneeuchhättenwiresnichtgeschafft!

März:JensKieferübernimmtvonSebastianSchenkdiekompletteAbo-Verwaltung.

ImLaufedesJahresverlassenunsausGründenderNeuorientierungoderandersgelagerterPrioritätenNadjaGail,AljaRenkundDanielTrebien.

Juli/August:DerneueInternet-AuftrittgehtandenStart.

JörgSchellenbergerundNadjaGailsteigeninsRedaktionsteammitein.AnkePhilippiwirdRedaktions-assistentinimBereichMarketing.

Oktober:JensKieferengagiertsichalsUnterstützerfürSebastianSchenkinderAbo-Verwaltung.

Februar:AnnekeReinecker,zuvorschonLektorinfürTHERACE,wirdMitglieddesRedaktionsteams.

März:RubrikenwerdenumbenanntunddasäußereErscheinungsbildvonTHERACEweiterentwickelt.

August:KathrinBürkleübergibtdieVer-antwortungfürdenAbonnenten-ServiceunddieBestellabwicklungvonTHERACEanSebastianSchenk.

Oktober:AllenTeammitgliederwirdinan-näherndgleichemUmfangVerantwortungfürdieInhaltegegebenunddieMöglich-keiteingeräumt,Artikelvonanderenzukommentieren.SosolldieMeinungs-vielfaltinnerhalbdesTeamsauchinderZeitschriftabgebildetunddasProfilvonTHERACEalsZeitschriftzumWEITERden-kengeschärftwerden.

AnneCoronelwirdMitglieddesRedakti-onsteams.

Page 16: THE RACE 36 • SÜNDE

44 THE RACE 01/10

quERgEdACHT

Page 17: THE RACE 36 • SÜNDE

45THE RACE-onLine.de

quERgEdACHT

// Ich schlendere durch die Straßen New Yorks, über den Broadway, die schmalen Straßen von China Town, schnuppere hi-nein in die Designerläden in Soho und streife durch die Häuserblocks in Brook-lyn. Mitten in Manhattan bleibe ich stehen und spüre den Rhythmus der Stadt. Es ist, als würden Pulsschläge durch New York gepumpt, wie Blut, das durch die Adern der Stadt fließt. Beats strömen in die Modesze-ne, fließen in die Clubs, vom Broadway auf die Bühnen der Welt. Designer lassen sich hier inspirieren, lange Menschenschlangen ergießen sich vor gläsernen Gebäuden auf dem Broadway: Models, Tänzer und Musi-ker stehen Schlange in der Hoffnung beim Casting entdeckt zu werden. Kunstgalerien finden sich in Szenespots und in verlas-senen Hafengegenden. Die Stadt vibriert, rhythmische Beats wabbern in Mode-, Kunst-, und Musikszene.

Ich bin zurück, heimgekehrt nach Ber-lin, der Stadt, die ich so sehr liebe. Ich schlendere durch die Straßen des Prenz-lauer Berges mit den kleinen gemütlichen Cafes, laufe am »Kauf Dich Glücklich« vorbei, wo man auf weißlackierten, ver-schnörkelten Metallstühlen mit trashigen Kunstlederbezügen sitzend die leckersten Waffeln der Stadt verzehren kann, sich von den Sonnenstrahlen wärmen lässt, während die Spatzen frech auf den Tisch hüpfen und die Krümel der Waffeln auf-picken. Ich schlendere durch den Mau-erpark mit seinen Straßenkünstlern und Drum-Zirkeln, der Karaoke im Frei-luftauditorium, den Schmuckhändlern

mit ihren Bauchläden und den Pärchen, die im Gras chillen. In Berlin bin ich angekommen, hier bin ich Zuhause. Es ist, als sei ich in dieser Stadt wachgeküsst worden, als hätte Gott durch die Dynamik und Kreativität in dieser Stadt etwas in mir aufgeweckt, was vorher geschlummert hat. Als hätte die Kreativität, die durch die Straßen dieser Stadt fließt, auch die Kreativität in meinen Adern neu zum Schwingen gebracht und mein Herz aufgefordert zu einem Tanz.

Ein Entwurf zum Selbstverständnis der Kunst Kunst mit ihren verschiedenen Ausdrucks-formen prägt uns. Wir sind eine visuelle Gesellschaft und werden tagtäglich mit unzähligen Bildeindrücken konfrontiert. Sie rauschen an uns vorüber: Clips in den U-Bahnen, Werbung bei MySpace und Fa-cebook, Musikclips auf dem Handy. Eine Flut von Eindrücken prasselt fortwährend auf uns nieder. Die Kunst ist und war zu allen Zeiten ein Sprachrohr. Ein Sprachrohr, das vi-sualisiert und verkündigt, oftmals auf Missstände hinweist, wie zum Beispiel Heinrich Zille, der in der Zeit des Wil-helminischen Kaiserreiches die soziale Unterschicht in den Berliner Hinterhö-fen mit ein paar Pinselstrichen aufs Papier brachte und die Gesellschaft so bewusst mit ihrem Dasein konfrontierte. Kunst protestiert gegen zerstörerische Regime.Sie träumt von einer besseren Welt, wie beispielsweise in dem Gedicht »I have a dream« von Martin Luther King. Sie

zeigt Schönheit – man denke nur an das Gemälde »Mona Lisa« von Leonardo da Vinci. Auch Leid und Krankheit weicht sie nicht aus, selbst dem Tod blickt sie ins Gesicht. Dies wird einmal mehr in den Fotografien von Annie Leibovitz sichtbar, welche ihre Lebensgefährtin, die Journa-listin Susan Sonntag, in ihrem langwie-rigen Krankheits- und Sterbeprozess mit der Kamera sensibel begleitete. Die Kunst konfrontiert politische und ge-sellschaftliche Strömungen und auch den Zeitgeist, wie in der Arbeit des Modefoto-grafs F. C. Gundlach zu sehen ist. Gund-lach dokumentiert diesen, spiegelt ihn wi-der, macht ihn begreifbar und hinterfragt dabei das Dargestellte.Kunst prägte und prägt die Gesellschaft ständig aufs Neue. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist: Wer wie-derum prägt und gestaltet die Kunst? Begeben wir uns auf eine Zeitreise, zurück zu den frühsten Anfängen der Kunst, so finden wir uns im Tohuwabohu und bei dem Urheber aller Kunst wieder. Demjeni-gen, dem die Urheberrechte dieses Planeten gehören. Sein einmaliges Design wird in jedem Kaktus, jedem Gletscher, jedem Ok-topus und jedem Wetterleuchten sichtbar.

Der erste DesignerDie Kreativität und das Potential Neues zu entwerfen und zu schaffen ist zutiefst göttlich. Der Designer des Universums begegnet uns in den ersten Zeilen der Heiligen Schrift als Künstler, der aus dem Nichts etwas erschafft und kreiert. Der aus dem Tohuwabohu Schönheit er-

dER uR-dEsignER Am WERkkunsT und duTexT:deborarupperT

Page 18: THE RACE 36 • SÜNDE

46 THE RACE 01/10

quERgEdACHT

weckt. Der in Vielfalt modelliert und er-schafft. Er begegnet uns als Designer des Erdballs, der die Farben und Formenviel-falt entwickelt hat, der das Urheberrecht auf jedes Design hat, der aus Materie, aus Ton das Geschöpf, gemäß seiner eigenen DNA, entsprechend seines eigenen Desi-gns, als Mann und Frau kreiert. Er, der Schöpfer, hat etwas von seiner schöpferischen Kraft, seiner Kreativität und Innovation in uns, seine Geschöpfe, gelegt. Das wird in Form von Fotografie, Malerei, Architektur, Tanz, Musik, Prosa, Design sichtbar. All dies sind Expressi-onen der Genialität des Schöpfers. Etwas von dieser Genialität wird in der Expressi-on, dem künstlerischen Gestaltens seiner Geschöpfe, sichtbar.

Spüre den Rhythmus deiner Stadt Kunst, die etwas von dem kreativen Po-tential des Schöpfers aufblitzen lässt, ist nicht an das Label »christliche« Kunst gebunden. Damit in der Kunst etwas von dem Schöpfer sichtbar wird, ist es

meiner Meinung nach nicht notwendig, ausschließlich Bibelverse zu zitieren. Al-lein dass ein Mensch künstlerisch tätig sein kann, dass er Neues entwerfen kann, ist ein Zeichen dafür, dass er in Gottes Ebenbild geschaffen ist. Diese Fähigkeit ist bereits in sich ein Sichtbar werden der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Gott der Schöpfer hat diese Gabe in jeden Menschen gelegt, unabhängig davon, ob derjenige in einer bewussten Beziehung zu Gott lebt oder nicht. Dies gilt es zu-nächst anzuerkennen und zu achten. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich mit allen Inhalten jeglicher Form von Kunst übereinstimme oder sie befürworte, aber es gilt in Achtung, Wertschätzung und Respekt mit der Kunst eines anderen um-zugehen. Sich auch aus einem eventuell verkürzten Denken, über »weltliche« und »christliche« Kunst heraus zu lösen und vielmehr anzuerkennen: »Alles ist durch ihn (Christus) und für ihn geschaffen« (Ko-losser 1, 16b). So kann überall auf diesem Planeten und in den verschiedenen Aus-

drucksformen der Kunst etwas von Chri-stus sichtbar werden, unabhängig davon ob Christen oder Nichtchristen sie ent-worfen haben.

Vor einiger Zeit bin ich in Berlin über die Oberbaumbrücke vom Bezirk Friedrichs-hain in den Nachbarkiez Kreuzberg ge-laufen und habe dort ein Street-Art-Bild entdeckt, auf dem eine Frau abgebildet ist, die ihren Mund weit geöffnet hat und lei-denschaftlich schreit. Es ist ein Bild vol-ler Intensität und Leidenschaft. Während ich weiter durch Kreuzberg lief, dachte ich über das Bild nach und empfand, dass es einen Teil dieses Stadtteils sehr gut zum Ausdruck brachte. Dann erinnerte ich mich an ein Zitat aus der Weisheitslitera-tur in den Sprüchen Salomos, Kapitel 31, 8, wo es heißt: »Öffne deinen Mund für den Stummen und für den Rechtsanspruch aller Schwachen!« So erlebe ich Kreuzberg. Es ist ein Kiez, in dem viel demonstriert und pro-testiert wird, wo Menschen verschiedener Couleur ihren Mund für den Rechtsan-

Der Designer des Universums begegnet uns in den ersten Zeilen der Heiligen Schrift als Künstler, der aus dem Nichts etwas erschafft und kreiert.

der ur-designer am werk

Page 19: THE RACE 36 • SÜNDE

47THE RACE-onLine.de

quERgEdACHT

spruch der Schwachen öffnen und auf Un-recht aufmerksam machen und Ungerech-tigkeit benennen. Gleichzeitig war ich an ein poetisches Zitat aus Psalm 9, 13b erin-nert, wo es heißt: »Gott hat das Schreien der Elenden nicht vergessen.« Mit dieser Aussage des Psalmisten in meinen Gedanken be-wegt es mich, Berlin-Kreuzberg zu sehen und zu wissen, dass Gott jeden Schrei, jede Demonstration, jedes »auf die Barrika-den gehen« gegen Ungerechtigkeit sieht. All diese Gedanken wurden inspiriert von diesem Street-Art-Bild. War der- oder die-jenige, die es entworfen hatte, Christ? Ich

weiß es nicht, ich habe den Künstler nie kennengelernt. Aber unabhängig davon, ob er mit Gott in einer nahen, vertrauten Be-ziehung lebt oder nicht: Er hat dieser Stadt Berlin gelauscht, vielleicht ganz spezifisch dem Stadtteil Kreuzberg, und hat etwas von dessen Rhythmus aufgenommen und in eine Form gebracht. Allein darin wird etwas von Gottes Ebenbild sichtbar, sei es in dem krea-tiven Schaffen dieser Person oder in dem »Erkennen und Wahrnehmen« eines Stadtraumes oder der Menschen, die da-rin leben.

Das kreative Potential Die Frage, die für mich dadurch aufgewor-fen wird, ist: Wie wird das künstlerische und gestalterische Potential im Menschen geweckt, sodass es sichtbar wird und eine Dynamik der Expansion entsteht?Es gibt eine Vielfalt von Arten und Weisen, wie Gottes Geist durch die Kunst weht. Ein Beispiel aus dem Bereich des Kunst-handwerkes vor vielen 1000 Jahren sei hier aufgeführt. In 2. Mose 35, 30-35 heißt es dazu nämlich: »Und Mose sprach zu den Is-raeliten: Sehet, der HERR hat mit Namen berufen den Bezalel (...) und hat ihn erfüllt

PionierakademieInnovative theologische Aus- und Weiterbildung

Siehst du die gesellschaftlichen Veränderungen als Chance, neue Wege zu gehen und im In- und Ausland tätig zu sein?Siehst du deine Berufung darin, Menschen die Gute Nachricht mit Worten und Taten zeitgemäß zu vermitteln?

Siehst du deine Berufung darin, unsere Gesellschaft positiv mitzugestalten?

Dann bist du auf der Pionierakademie goldrichtig! informiere dich auf www.destinydesign.de

anZeige

Page 20: THE RACE 36 • SÜNDE

48 THE RACE 01/10

quERgEdACHT

Was sind die Orte, an denen du dich frei fühlst, zu leben, zu träumen und zu sein?

mit dem Geist Gottes, dass er weise, verstän-dig und geschickt sei zu jedem Werk, kunst-reich zu arbeiten in Gold, Silber und Kup-fer, Edelsteine zu schneiden und einzusetzen, Holz zu schnitzen, um jede kunstreiche Ar-beit zu vollbringen.  Und er hat ihm auch die Gabe zu unterweisen ins Herz gegeben, ihm und Oholiab(...). Er hat ihr Herz mit Weisheit erfüllt, zu machen alle Arbeiten des Goldschmieds und des Kunstwirkers und des Buntwirkers mit blauem und rotem Pur-pur, Scharlach und feiner Leinwand und des Webers, dass sie jedes Werk ausführen und kunstreiche Entwürfe ersinnen können.«Hier wird von einem künstlerisch begabten Handwerker berichtet, der im Zeitalter der Pharaonen in Ägypten lebte, und von dem es nach dem Auszug aus der Metropole Ägypten bei dem Bau der Stiftshütte heißt, dass der Geist Gottes auf ihm ruhte und er geschickt war zu jedem künstlerischen Werk. Hier wird beschrieben, wie Gottes Geist jemanden im Bereich der Kunst be-gabt und wie sich das Potential, das in die-sem Menschen geschlummert hat, einen Weg nach außen bahnt. Dies ist im Be-reich der Kunst nicht auf das Handwerk des Goldschmieds zu reduzieren, sondern auf alle weiteren künstlerischen Bega-bungen zu übertragen. Es gilt also, die eigenen Charismen, die Be-gabungen, durch die Gottes Geist wirken kann, zu entdecken. Ein guter Tipp, um die eigenen Gaben zu entdecken, können folgende Fragen sein: Wobei schlägt mein Herz schneller? Was bringt mich zum träu-men? Was fasziniert und begeistert mich?

Was macht dich lebendig? Nicht jeder Mensch auf diesem Planeten befindet New York und Berlin als die schönsten Städte auf Gottes Erden. Jeder Mensch hat andere Orte, die ihn faszinie-

ren, inspirieren und wo er sich dem Leben nahe fühlt. Für den einen ist es ein Leucht-turm am Meer, für den nächsten der Blick über eine Großstadt von einem Hügel in der Nacht, für den anderen seine Hänge-matte, für den nächsten sein Lieblingscafé. Was sind die Orte, an denen du dich frei fühlst, zu leben, zu träumen und zu sein? Was inspiriert, beflügelt und befreit dich? Was weckt und ruft das in dir hervor, was tief in dir schlummert? Was befreit dich zum Leben?

Der FokusAber entspricht es nicht einfach nur dem Zeitgeist unserer individualistischen Ge-sellschaft, sich, seine Stärken und sein Po-tential zu entdecken? Geht es als Christ nicht in erster Linie darum, zu dienen, demütig zu sein und anderen Menschen Gutes zu tun, beispielsweise als Kranken-schwester oder als Lehrer? Ich persönlich bin der Überzeugung, dass es eine der tiefsten Arten der An-betung des Schöpfers ist, wenn ich das Original, als das Gott mich kreiert hat, in mir entdecke. Damit erkenne ich Gott, seine souveräne Herrschaft und sein souveränes Design tiefgehend an. Und ich bete Gott als das Geschöpf, als das er mich geschaffen hat, an. Es gilt, dich und das einzigartige Design, mit dem Gott dich geschaffen hat, sowie die Leidenschaften, Befähigungen und Be-gabungen, die er in dich hineingelegt hat, zu entdecken. In 1. Korinther 12, 11 heißt es, dass der Geist Gottes die Gaben austeilt, wie er will. Es kann also sein, dass du eine Begabung als Künstler, Krankenschwester, Lehrer oder Astro-naut auslebst und damit diesen Planeten beglückst. Es gilt, die anvertrauten Ta-lente in die Waagschale zu werfen, sich

an ihnen zu freuen und dies alles zur Verehrung und zur Anbetung Gottes.

Aller Ruhm dem ewigen Designer»Was immer ihr tut, tut von Herzen un-serem Herrn Jesus Christus« (frei übersetzt nach Kolosser 3, 3a). Ob du als Kran-kenschwester oder Lehrer in einem Ent-wicklungsland oder hier vor Ort arbei-test, ob du dich als Theologe gerade auf eine Gemeindegründung vorbereitest, als Schriftsteller an einem neuen Roman schreibst, als Tänzerin für eine Auffüh-rung trainierst, als Fotograf in verschie-dene Länder reist, als Designer an dei-nem innovativen Entwurf arbeitest – was immer du tust, tue zur Ehre und zum Lob des Herrn.Sich wahrhaft für diesen Planeten zu investieren und die Menschen dadurch zu beglücken, dass du das volle Poten-tial ausschöpfst, das der Ur-Designer in dich hineingelegt hat, darin liegt Frei-heit und Heilung für dich, für mich und diese Welt. ///

Debora Ruppert (28) liebt Berlin und wohnt dort im schönen Kiez Prenzlauer Berg. Dort gründet sie gerade eine Community mit dem Namen »Mosaik – Community of Arts«. Ansonsten studiert sie Theologie in Form eines Fernstudiums an einer Uni in Flori-da und fotografiert leidenschaftlich gerne www.menschkindberlin.de. In ihrer freien Zeit reist sie gerne, besucht Kunstausstel-lungen und liebt es, sich mit Freunden und Bekannten auf einen Kaffee mit nettem Plausch zu treffen.

der ur-designer am werk

Page 21: THE RACE 36 • SÜNDE

49THE RACE - ONLINE . DE

quERgEdACHT

Page 22: THE RACE 36 • SÜNDE

qUERgEdACHT

52 THE RACE 01/10

Page 23: THE RACE 36 • SÜNDE

qUERgEdACHT

53THE RACE-online.de

// Von den Beziehungen her zu denken fühlt sich an, als ob wir die Welt auf den Kopf stellen würden. Mit einer Schneekugel ist es einfach, die Welt auf den Kopf zu stellen. Ich nehme sie in die Hand, hebe sie leicht von der Tisch-platte an und drehe sie um. Die Schneeflo-cken fallen langsam nach oben und sam-meln sich am Himmel. Wenn sich der ganze Schnee am Himmel gesammelt hat, stelle ich die Schneekugel vorsichtig auf den Tisch zurück und sehe dem Schnee dabei zu, wie er leise vor einer idyllischen Landschaft zu Boden rieselt.

Wir leben in einer Welt, die auf dem Kopf stehtHier stehen wir nun, bis zu den Knien im Schnee. Der Schnee liegt allerdings nicht auf dem Boden. Nein, wir stehen in der Himmelswölbung. Der Schnee hat sich hier angesammelt. Derjenige, der unsere Schneekugel in Händen hält, hat wohl ver-gessen sie wieder auf den Tisch zu stellen.Wir sind es gewohnt, von den Menschen, Personen oder Dingen her zu denken und Beziehungen als etwas Sekundäres zu ver-stehen. Auch wenn wir es oft nicht bewusst tun, so gehen wir in vielen unserer Hand-lungen von einer Personendefinition aus, die auf den Gedanken von Boëthius be-ruht. Für ihn lag das Besondere der Person vor allem in ihrer Unabhängigkeit und ih-rer Rationalität. Das Ideal eines solchen Personenbildes ist das autonome Selbst. Es gründet seine Handlungen auf unabhängige rationale Entscheidungen. Die ideale Person wird als unabhängiges Individuum verstanden. Sie kommt alleine auf ihre guten Ideen und setzt diese ohne Hilfe anderer um. Sie weiß wer sie ist und kennt ihre Stärken. Di-

ese setzt sie sehr bewusst ein und erreicht ihre selbstgesteckten Ziele. Natürlich wird Teamfähigkeit immer wieder als wichtig bezeichnet, sie erscheint jedoch nur dann sinnvoll, wenn jede und jeder sich selbst ge-nau kennt und auch alleine zurecht käme. Die Beziehung, das Team oder der Aus-tausch stehen an zweiter Stelle. Und unbe-wusst erscheint uns derjenige, der auf Hilfe angewiesen ist, immer als schwächer.In der Himmelswölbung stehend, neh-men wir die Person, ihre Identität und somit das Subjekt als zentral wahr. Bezie-hungen gelten uns als sekundär und bil-den eine nette Ergänzung. Die Schneeku-gel wird jedoch immer kippen, wenn wir versuchen, sie auf den Himmel zu stellen. Wir müssen sie dringend umdrehen, zu-rück auf den Boden.

Beziehungen wieder entdeckenEinige Denkerinnen und Denker haben damit begonnen unsere Welt wieder zu drehen. In Soziologie, Philosophie und Theologie gibt es eine ganze Reihe von Menschen, die der Bedeutung von Bezie-hungen wieder einen höheren Stellenwert geben. Bei ihnen steht nicht mehr das Sub-jekt im Zentrum, sondern sie denken von den Beziehungen her. Erst kürzlich fand ich in einem Buch1 ei-nen sehr guten Zugang zur Bedeutung von Beziehungen. Wenn wir es wagen, die Per-son vom Ereignis ihrer Entstehung her zu sehen, stellen wir fest, dass es ohne Bezie-hung keine Person gäbe. Eine Frau liebt einen Mann, dieser er-widert die Liebe der Frau und die beiden schlafen miteinander. Dabei verbindet sich

1 Ina Praetorius: »Gott dazwischen – eine unfertige Theologie«

ein Same des Mannes mit einer Eizelle der Frau, ein Mensch entsteht. Im Bauch der Frau wächst der Mensch heran. Die Eltern nehmen schon jetzt Kontakt mit ihrem Kind auf. Wenn der Säugling schließlich zur Welt kommt, ist er bereits in ein reiches Beziehungsgeflecht eingebunden. Wenn wir unser aller Geborensein in Erinnerung bewahren, dann relativiert sich schnell der Anspruch, dem autonomen Ideal entspre-chen zu müssen und wir behalten unser Le-ben in Beziehungen im Blick.In der Soziologie wird die Angewiesenheit des Menschen auf Sozialisation thema-tisiert. Niemand von uns ist direkt nach seiner Geburt in der Lage selbstständig zu leben. Wir sind darauf angewiesen, dass sich unsere Eltern um uns kümmern. Sie betreuen uns und helfen uns dabei in dieser Welt zu leben. Wir sind nicht wie Tiere mit richtungsweisenden Trieben ausgestattet, vielmehr sind wir auf Kul-tur angewiesen, die es uns ermöglicht, im Alltag zurecht zu kommen. Wir erlernen die Kultur von unserem Umfeld und sind Zeit unseres Lebens daran beteiligt, unse-re Kultur mit zu prägen. Martin Buber hat davon gesprochen, dass in der Begegnung mit dem Du das Ich entsteht. Die Beziehung zu unseren Be-zugspersonen, gerade die in unseren er-sten Jahren, machen deutlich, was Buber gemeint hat. Wir lernen, uns selbst durch die Begegnung mit unseren Bezugsper-sonen wahr zu nehmen. Das eigene Ich eines Säuglings wird diesem in der Be-gegnung mit seiner Mutter bewusst. Er beginnt langsam zu verstehen, dass seine Mutter und er zwei unterschiedliche Per-sonen sind. Über andere findet er zu sich selbst und wird immer mehr dazu fähig in Beziehungen zu leben.

diE WElT AUf dEn Kopf sTEllEnWAs pAssiERT, WEnn WiR von dEn BEziEHUngEn HER dEnKEnTexT:danielehniss

Page 24: THE RACE 36 • SÜNDE

qUERgEdACHT

54 THE RACE 01/10

Wenn wir von den Beziehungen her den-ken, beginnen wir, unsere Identität dy-namisch und nicht statisch zu verstehen. Unsere Identität ist uns nicht biologisch als Wesenskern mitgegeben, sie entwickelt sich in den Beziehungen. Diese Entwick-lung geschieht in unseren ersten Jahren am auffälligsten, endet dort jedoch nicht. Wir stehen unser gesamtes Leben im Austausch mit unserem Umfeld. Dieses prägt uns, und auch wir prägen unser Umfeld. Unse-

re Identität erreicht kein festes Stadium, in dem sie dann als abgeschlossen bezeichnet werden könnte, sondern verändert sich ent-sprechend unserer Geschichte weiter.

Gott von den Beziehungen her denkenWie eben erwähnt, wird auch in der Theo-logie die Bedeutung der Beziehungen wie-derentdeckt. Der Begriff »Dreieinigkeit« begegnet uns in diesem Zusammenhang wieder häufiger und weist auf die Be-ziehung von Vater, Sohn und Geist hin. Nachdem wir uns zunächst mit einigen Gedanken zu Beziehungen unter Men-schen beschäftigt haben, wollen wir nun einen Blick auf die Beziehungen der Got-tesgemeinschaft werfen. Wir betrachten dazu die drei Verben »handeln«, »lieben« und »tanzen« bezogen auf Gott.

Gott handeltWir erkennen Gott hauptsächlich durch sein Handeln. Das, was wir über Gott aussagen, interpretieren wir im Nach-

klang des erlebten Handelns Gottes. Am Beispiel der Schöpfung ist meiner Ansicht nach sehr gut Gottes Handeln in Bezie-hung zu erkennen.Die dreieinige Gottesgemeinschaft öffnet sich und lädt ihre Schöpfung in ihre Ge-meinschaft ein. Vater, Sohn und Geist sind beteiligt. Bei der Schöpfung handelt es sich um einen weiten Lebensraum für die Ge-schöpfe, der eine Fülle von Möglichkeiten des Lebens bietet. Die Gottesgemeinschaft

schafft auf Beziehung hin. Die Schöpfung geschieht in Gemeinschaft, die Geschöpfe sind in diese Gemeinschaft eingeladen und werden nicht als unabhängige Einzelwesen geschaffen. Ihre Fähigkeit, in Beziehungen zu leben, sowie die Beziehungsorientie-rung an sich, enden nicht an irgendeiner geschöpflichen Grenze, sondern ziehen so-wohl die Beziehung zwischen Geschöpf und Gott, als auch unter den Geschöpfen mit ein. Schließlich ist die Einladung des Menschen in die Gottesgemeinschaft auch mit einer Einladung zur Partizipation ver-bunden. So wie alle Geschöpfe durch Fort-pflanzung in den Schöpfungsprozess in-volviert sind, sind es auch die Menschen. Sie bekommen darüber hinaus eine Mit-verantwortung gegenüber der Schöpfung zugesprochen und sind eingeladen, mit der Gottesgemeinschaft Verantwortung gegen-über der Schöpfung zu übernehmen und diese mit zu gestalten. In der Schöpfung se-hen wir die Gottesgemeinschaft in hohem Maße beziehungsweise handeln.

Die drei Personen handeln gemeinsam. Wenn wir von diesem gemeinsamen Han-deln der Gottesgemeinschaft ausgehen, fällt es schwer von einem Wesen Gottes oder gar einer göttlichen Substanz, zu sprechen. Wir reden jedoch auch nicht von drei autonomen Göttern und bilden mit unseren Gedanken zur Gottesgemein-schaft keine Analogie zum griechischen Götterhimmel. Wir interpretieren aus dem Handeln eine lebendige liebende Gemein-

schaft. Sie handeln gemeinsam, kommuni-zieren miteinander und einigen sich. Und dennoch handelt es sich nicht um eine ab-geschlossene Gemeinschaft, sondern um eine Gemeinschaft, die sich in der Schöp-fung auf die Geschöpfe hin öffnet und die-se in ihre liebende Gemeinschaft einlädt.

Gott liebtIn diesem Abschnitt betrachten wir die Aussage »Gott ist Liebe« ausgehend von 1. Johannes 3, 16 aus einer relationalen Perspektive. Ich entscheide mich für die-se Stelle, da hier eine Interpretation von Gottes Handeln vorliegt. Die Gottesgemeinschaft liebt nicht mit einer romantischen Liebe, wie sie bei-spielsweise in Liebesliedern besungen wird. Es handelt sich dabei vielmehr um eine Liebe, die sich die Hände schmutzig macht. Nach 1. Johannes 3, 16 erkennen wir die Liebe Gottes darin, dass Jesus als Mensch auf diese Welt kam und hier sein Leben für uns gab.

die welt auf den kopf stellen

Page 25: THE RACE 36 • SÜNDE

qUERgEdACHT

55THE RACE-online.de

In Jesu Menschwerdung wendet sich die Gottesgemeinschaft ihrer Schöpfung zu. In einer bedingungslosen Hinwendung zur gesamten Schöpfung lädt sie uns zu sich ein. Jesus gibt sich in die mensch-liche Sphäre hinein und nimmt neben ei-nigen Einschränkungen auch eine extreme Leidenserfahrung auf sich. Wir verstehen Gottes liebevolles Handeln am besten in seinem rettenden Heilshandeln.Wenn wir dann weiterlesen, stellen wir fest, dass wir nicht nur über Gottes Liebe staunen dürfen, sondern dass wir eingela-den sind, unsere Hände schmutzig zu ma-chen, an der rettenden und befreienden Liebe Gottes zu partizipieren. In der erneuten Hinwendung der Gottes-gemeinschaft auf ihre Schöpfung hin, se-hen wir, dass die Dreieinigkeit nicht auf sich selbst beschränkt ist. Der Vater sendet den Sohn, dieser geht und lebt, im Ein-klang mit dem Vater durch den Geist, in dieser Welt. Jesus umarmt die Schöpfung. In Jesus wird die mögliche Beziehung der Geschöpfe mit der Gottesgemeinschaft sichtbar. Er lebt ihnen liebevoll zugewandt, befreit die Schöpfung und begründet somit die Hoffnung der Schöpfung auf eine be-vorstehende vollkommene Gemeinschaft.

Gott tanztBisher haben wir hauptsächlich über die Hinwendung der Gottesgemeinschaft zur Schöpfung gesprochen. Mit einem Bild aus der Ostkirche möchten wir abschließend noch einen Blick auf die Gottesgemein-schaft werfen.Mit dem Begriff »Perichorese« wird in der Ostkirche die Gottesgemeinschaft ange-deutet. Dieser Begriff kommt aus dem Be-reich des Tanzes. Hier stand er vor allem für das einander Umtanzen. Die drei Per-sonen Gottes leben in einer Gemeinschaft. Karl Barth nahm diesen Begriff ebenfalls auf und verstand ihn als Ausdruck des Ei-nigwerdens der Gottesgemeinschaft. Peri-chorese deutet die liebevolle Zuwendung innerhalb der Gemeinschaft an. Sie kom-munizieren miteinander, gehen aufeinan-der zu und einigen sich. Keine der drei Per-sonen beharrt auf seiner Position, sondern

öffnet sich auf den anderen hin. In diesem Tanz bleibt die jeweilige Besonderheit von Vater, Sohn und Geist gewahrt. Und trotz ihrer Besonderheiten lässt sich der Begriff »Gott« nicht auf eine der drei Personen be-grenzen, sondern steht symbolisch für die Beziehung der drei Personen.Die Gottesgemeinschaft tanzt. Dieser Tanz findet jedoch nicht in geschlossener Ge-sellschaft statt. Die gesamte Schöpfung ist eingeladen. Wir sind eingeladen mit Gott zu kommunizieren, uns daran zu beteiligen was er tut und uns sowohl ihm als auch der Schöpfung liebevoll zuzuwenden.

Wir Menschen als Ebenbild GottesIn diesem Artikel sind wir von den Bezie-hungen unter Menschen ausgegangen, da es sich hierbei um gewohntes Terrain han-delt, und haben erst dann über die Mög-lichkeiten gesprochen, Gott von den Be-ziehungen her zu denken. Nun kehren wir noch einmal zu den Beziehungen unter Menschen zurück.Wir Menschen sind im Ebenbild Gottes auf Beziehung hin geschaffen. Wir müssen daher nicht nach Unabhängigkeit streben und uns danach ausstrecken alles alleine geregelt zu bekommen. Wir dürfen uns der Tatsache, auf die Gottesgemeinschaft und unsere Mitmenschen angewiesen zu sein, bewusst bleiben und sind eingeladen in vielfältigen Beziehungen zu leben.Wir sind auf Beziehung hin geschaffen. Niemand ist ohne Gegenüber komplett. Auf die Frage »Wer bin ich ohne dich?« ha-ben wir bereits weiter oben mit »ohne dich bin ich nicht« geantwortet. Die Auswirkungen dieser Gedanken möchte ich nun noch kurz auf unsere Nachfolge beziehen. Ein Leben in der Nachfolge verstehe ich als Leben in der Gottesgemeinschaft mit anderen Men-schen. Das führt mich dazu, bewusst in Beziehungen nachzufolgen, das Leben zu teilen und voneinander zu lernen. In man-chen Gemeinden oder Gemeinschaften findet das statt, allerdings braucht man dazu nicht zwingend eine Gemeinde im klassischen Verständnis und auch keine regelmäßigen Gottesdienste.

Ich wünsche mir, dass wir auch die Schnee-kugel unserer Nachfolge wieder auf den Tisch stellen und uns gemeinsam in den Si-tuationen des Alltags an unser Leben in der Gottesgemeinschaft erinnern und einan-der dabei helfen an den liebevollen Hand-lungen Gottes in und an seiner Schöpfung mitzuwirken. ///

Daniel Ehniss (33) lebt mit seiner Fami-lie in Karlsruhe. Dort ist er als Hausmann, Theologe und Webdesigner tätigt. Mit der Kubik-Gemeinschaft und im Rahmen von Emergent Deutschland beteiligt er sich an der Suche nach einer relationalen Nachfol-ge in unserer Zeit. Seinen Blog findest du auf www.danielehniss.de

BuchhinWEis:Daniel Ehniss und Björn Wagner (Hrsg.)Beziehungsweise LeBen: INSpIRATIoNEN ZuM LEBEN uND HANDELN IM EINKLANG MIT GoTT uND MENScHEN. Ein Sammelband, der sich leicht verständlich mit Spiritualität, Gerechtigkeit und gemeinsam gelebter Nachfolge beschäftigt.

Stuart HallKuLtureLLe identität und gLoBaLisierungSeiten 393-441. (In: Karl H. Hörning und Rai-ner Winter (Hrsg.), widerspenstige KuLturen: cultural Studies als Herausforderung.) Ein Sammelband aus dem Bereich der cultural Studies mit unterschiedlichsten Artikeln, die z. T. anspruchsvoll zu lesen sind.

Jürgen Moltmanntrinität und reich gottes: zur gottesLehre Ein sehr gutes Standardwerk aus der Theologie, in dem Gott von den Beziehungen her gedacht wird.

Leonardo BoffKLeine trinitätsLehre Eine gute und leicht zu lesende Einführung, um Gott von den Beziehungen her zu denken.

Page 26: THE RACE 36 • SÜNDE

64 the race 01/10

Verlagsgründung

staffelstaBüBergaBe in der redaktionsleitung

Warum hörst du mit THE RACE auf und wie geht es für dich jetzt weiter?ich habe mich dazu entschlossen aus dem Redaktionsteam auszusteigen, weil ich ge-merkt habe, dass mein Herz zunehmend dafür schlägt in meinem direkten umfeld zu prägen. ich möchte mit den Jungs aus meiner Fußball-Jugendmannschaft Zeit verbringen und ihnen ein Gegenüber sein. ich will die lokalpolitik aktiv mitgestalten und als Gemeinderat richtig Gas geben. Außerdem habe ich den Anspruch ein guter ehemann und Freund zu sein und möchte immer wieder in meine Beziehungen investieren. und da ich inzwischen auch noch berufstätig bin, musste ich Prioritäten setzen. es ist einfach eine nächste etappe in meinem leben. und diese führt mich stärker in die Ge-

sellschaft und in Beziehungen hinein. um die sich öffnenden Türen zu nutzen, brauche ich Zeit – und die will ich mir bewusst nehmen.

Was hat dir THE RACE persönlich gebracht?Zu Beginn hatte ich das Gefühl, aus Versehen zur falschen Zeit am falschen ort die Hand ge-hoben zu haben. im Rückblick kann ich jetzt sagen, dass es goldrichtig war, bei THe RAce einzusteigen und auch Verantwortung zu über-nehmen, da die Arbeit meinen Horizont unheim-lich erweitert hat. Die DnA von THe RAce war mir zu Beginn et-was suspekt: Die lieb gewonnenen Antworten ergebnisoffen hinterfragen, Grauzonen entta-buisieren, sich nicht mit dem Mainstream und 08/15 zufrieden geben. Das war für mich eine heftige Herausforderung, da ich aus einem kontext komme, in dem viele kopfnicker zu

Hause sind. Mich haben die vielen impulse im Redaktionsteam geprägt, die zahlreichen Dis-kussionen, wie krass wir hinterfragen wollen und wo wir Grenzen definieren. ich persönlich habe gelernt, meine Perspektive hinterfragen zu lassen und mich nicht hinter pauschalen Antworten zu verstecken. Wie viel ehrlichkeit vertrage ich ganz persönlich? und wie viel ehrlichkeit können wir unserer subkultur zu-muten? THe RAce war aber auch eine neue erfahrung im Hinblick auf Teamführung: ein virtuelles Team, das über ganz Deutschland verstreut agiert, hat eine ganz eigene Dynamik – und wenn man sich nur zweimal im Jahr sieht und sich davor nicht kannte, ist das schon sehr spannend! Trotz der räumlichen Distanz habe ich Freunde gewonnen, die ich schätze und deren impulse ich vermissen werde.

Nachdem Benjamin Finis in den letzten vier Jahren als Koordinator ein sehr wichtiger Teil unseres Redaktionsteams war, übergibt er nun den Staffelstab an Jörg Schellenberger, der in Zukunft zusammen mit Michael Zimmermann die Redaktion leiten wird. Wir haben Benny und Jörg dazu ein paar Fragen gestellt:

fragen an Benny

Page 27: THE RACE 36 • SÜNDE

65the race - online . De

Du sagst, du hattest zu Beginn das Gefühl zur falschen Zeit am falschen Ort die Hand gehoben zu haben. Wie bist du denn überhaupt zu THE RACE gekommen?Marcus splitt suchte einen Redakteur, der re-gelmäßig im Themenfeld Politik Artikel liefern könnte und sich inhaltlich einbringen würde. nach einigen Telefonaten hatte er mich auch gleich zur Mitarbeit im Redaktionsteam über-zeugt. Als kurze Zeit später klar war, dass Marcus aussteigt, wurde noch ein letztes Re-daktionstreffen anberaumt, in dem wir prüfen wollten, wie es weitergeht. in der sitzung (mei-ner ersten Redaktionssitzung überhaupt) war schnell klar, dass keiner ein interesse daran hatte, die Hauptverantwortung für THe RAce zu übernehmen. nur so ein Typ aus Berlin und ich wehrten uns gegen die »Beerdigung«. so mach-ten wir eine sitzungspause, in welcher der Berli-ner und ich uns kennenlernten und überlegten, ob wir gemeinsam weitermachen. Das ergebnis kennt ihr: Michi und ich haben ein Team zusam-mengestellt und die nächste Phase für THe RAce eingeläutet.

Was begeistert dich nachhaltig an dem Projekt, wenn du auf die vier Jahre zurückblickst, in denen du dich bei THE RACE eingebracht hast?Wir haben uns konsequent unseren eigenen hohen Ansprüchen gestellt und es geschafft, mit einigen Mitstreitern ein Projekt am leben zu erhalten. egal wie viele nachtschichten es geko-stet hat – mit dem Ziel vor Augen und dem Zu-sammenhalt war fast alles möglich. Wir haben dabei inhaltlich und auch zahlenmäßig mächtig zugelegt. Das war und ist begeisternd. Mich begeistert außerdem der Pulsschlag, der in un-seren Heften steckt – er ist nicht verdammend, sondern immer hinterfragend, um neues zu schaffen und konstruktiv zu verändern. Diesen Ansatz möchte ich mir auch persönlich erhalten.

Was wünscht du dir für THE RACE in der Zukunft?ich wünsche mir, dass THe RAce immer wieder in der lage ist, positive Veränderungsprozesse in den köpfen und Herzen der leser auszu-lösen. ich wünsche mir, dass auch in Zukunft Wert darauf gelegt wird, dass Themen aus der Gesellschaft aufgegriffen werden und kein reines Blatt für den theologischen nachwuchs entsteht. und ich wünsche mir, dass THe RAce als Projekt so richtig abhebt, coole neue leute dazustoßen und ihr mit dem neu gegründeten Verlag erfolg habt!

Danke, Benny. Wir werden dich vermissen.

fragen an JörgWie bist du eigentlich zu THE RACE gekommen?ich hatte THe RAce abonniert und einen le-serbrief geschrieben, da ich in einigen Punkten eine andere Ansicht hatte. ohne dass ich es erwartet hatte, hat mir Benny darauf ausführ-lich geantwortet, woraus eine längere Diskussi-on entstand. Fünf Monate später war ich dann beim Redaktionstreffen dabei.

Wo hast du vorher bereits Erfahrungen mit dem Publizieren von Texten gemacht?erste erfahrungen habe ich mit dem »Grillan-zuendar« sammeln können: Mit Freunden hatte ich die Zeitschrift gegründet, die ursprünglich nur für leute gedacht war, die gemeinsam auf der gleichen Jugendfreizeit gewesen waren. Aber dann hat sich der »Grillanzuendar« in un-serer Region ziemlich schnell verbreitet.

Warum machst du bei THE RACE mit? es ist meine leidenschaft zu publizieren! Ganz besonders eine Zeitschrift, die keine standar-dantworten liefert, sondern Themen ehrlich an-schaut und wenn nötig hinterfragt. ein weiterer Grund ist, dass THe RAce von seiner struktur her viel von Beziehung und Vertrauen lebt. Wenn wir Redakteure nicht die Beziehung als Basis hätten, könnten wir uns in der krassen unterschiedlichkeit unserer christlichen Hinter-gründe wohl nicht aushalten. es ist auch immer schade wenn ein Redakteur aussteigt, weil man sich sehr schätzen gelernt hat.

Warum habt ihr gerade jetzt einen Verlag gegründet?in den letzten Jahren haben wir als Redaktion eigenständig innerhalb des Jugend-, Missions- und sozialwerks Altensteig gearbeitet. THe RAce »gehörte« aber im Prinzip schon immer uns – JMs Altensteig hat uns dabei den recht-lichen und administrativen Rahmen geboten. im letzten Jahr haben wir gemerkt, dass wir die-sen Rahmen auch selber schaffen können und wagen es jetzt. Das hat ein bisschen was von erwachsen werden – so wie bei kindern, die ir-gendwann von Zuhause ausziehen.

Bedeutet die Verlagsgründung im Grunde nicht eine Kommerzialisierung des Projektes?Die größte Veränderung, die ich durch den Wech-sel vom Verein zum unternehmen wahrnehme ist die, dass wir mehr Verantwortung haben. Wir gehen jetzt auch noch mal verantwortlicher mit dem Potential und den Ressourcen von THe RAce um. Zum Beispiel haben wir jetzt unseren ehrenamtlichen Mitarbeiter vom Versand entlas-tet und bezahlen für diese Arbeit einen Medien-dienstleister. Wir Redakteure arbeiten weiterhin ehrenamtlich für THe RAce.

Verlagsgründung

neuer leserserVice

Verlagsgründung zum JuBiläum

Genau zehn Jahre und seitdem 36 Ausgaben ist es her, dass the race das erste Mal er-schienen ist. Pünktlich zum Jubiläum haben wir nun ein eigenen Verlag gegründet und seit dem 1. Januar 2010 offiziell die Herausgabe der Zeitschrift selbst in die Hand genommen. Dabei haben wir uns dabei den wohlklingenden namen »oora verlag« gegeben. www.oora.deDazu Rainer Taigel, Geschäftsführer von JMs Altensteig: »Als wir vor über drei Jahren die Trä-gerschaft von THe RAce übernommen haben, gab es mehrere optionen für die Zukunft. eine davon war, das Projekt mittelfristig in die selbst-ständigkeit zu führen. Wir als Jugend-, Missions- und sozialwerk sehen es als unsere Aufgabe, Menschen und interessante Projekte im Reich Gottes zu fördern. es freut uns sehr, wenn die Projekte ›erwachsen‹ werden und auf eigenen Beinen stehen können. Dass ihr es jetzt wagt und mit dem eigens dafür gegründeten Verlag die Trägerschaft übernehmt, finden wir gigan-tisch. Macht weiter so und seid reich gesegnet!«Wir schauen dankbar auf die Zeit zurück, in der uns das Jugend-, Missions- und sozialwerk Altensteig so selbstlos mit Buchhaltung, offi-zieller Trägerschaft und der Übernahme des finanziellen Risikos getragen hat. Gleichzeitig trauen wir uns nun zu, diese Trägerschaft und das finanzielle Risiko selbst zu übernehmen. Dieses zusätzliche Maß an unabhängigkeit er-füllt uns mit ehrfurcht und Respekt unseren le-sern und dem Reich Gottes gegenüber. Wie ihr vielleicht gemerkt habt: Wir sind selber noch ganz aufgeregt und schauen in eine extrem spannende Zukunft!

Für die Aboverwaltung haben wir mit inTime Me-dia services einen Partner gefunden, der in Zu-kunft zeitnah und zuverlässig eure Bestellungen und serviceanfragen bearbeiten wird. solltest du also Fragen oder Mitteilungen ha-ben, zum Beispiel wenn sich deine Adresse oder Bankverbindung geändert hat, kannst du unseren leserservice von Montag bis Freitag zwischen 7.30 und 18.00 uhr unter der Telefon-nummer 089 / 858 53 552 erreichen. Also quasi den ganzen Tag. oder du schreibst einfach eine e-Mail an [email protected]. Das geht sogar in der nacht.

Page 28: THE RACE 36 • SÜNDE

66 the race 01/10

Nummer 36 • 1/2010

ISSN 1864-2012Herausgeber: oora verlag GbR Jörg schellenberger und Michael Zimmermann, Pfarrstr. 12, 91522 Ansbach • www.oora.deRedaktionsleitung: Jörg schellenberger, Michael Zimmermann ([email protected])Redaktionsteam: Anne coronel, Anneke Reinecker, Jörg schellenberger, Michael ZimmermannRedaktionsbeirat: klaus-Peter Foßhag, Gerhard kehl, Gernot Rettig, stefan Waidelich

Gestaltung: Büro klaus, www.büroklaus.deDruck: rollerdruck, Turmfeldstraße 23, 72213 AltensteigAnzeigen: Anke Philippi ([email protected])

Erscheinungsweise: März, Juli, novemberAbonnement: ein Abonnement verlängert sich automatisch um ein weiteres Bezugsjahr, wenn es nicht bis zum 30.11. gekündigt wurde. Das gilt nicht für Geschenk-Abos, die automatisch nach einem Bezugsjahr enden.Heftpreise: Abo the race: 15,– € (D), 29,– sFr (cH), 19,– € (A). einzelpreis: 7,– € bzw. 10,– sFr. Bei allen Preisangaben innerhalb dieser Ausgabe von the race gilt: Änderung und irrtum vorbehalten.Bankverbindung: sparkasse Ansbach, BlZ 765 500 00, konto-nr. 836 89 38 • iBAn: De18 76550000 0008 3689 38, Bic: BylADeM1Ans

Leserservice: THe RAce leserservice, Postfach 1363, 82034 DeisenhofenTelefon: 089/858 53 - 552, Fax: 089/858 53 - 62 [email protected], www.therace-online.de

© 2010 oora verlag GbR

BildnachWeiss.1, s.4-5, s.6, s.8, s.10, s.14-21, s.22, s.26, s.34, s.38, s.42-49: www.photocase.de; s.11: neubauwelt; s.12, s.46-49: www.istock.com; s.14-18, s.22-24, s.30, s.33, s.50-51, s. 56: www.flickr.com/creativecommons; s.62: Büro klaus; s.52-54: Michael Gibis; s.64: THe RAce; s.68: Anja Brunsmann

impressum

Zu »Reichtum für alle« von Benjamin Finis, Ausgabe 3/2009nikolAi AlBeR,

sTuDenT DeR PoliTikWissenscHAFT,

BeRlin

Liebe THE RACE,der Artikel über den »Verrat an der Sozi-alen Marktwirtschaft« (Ausgabe 03/09, S. 46) wirft viele gute Fragen auf. Auf Grund meines Studiums beschäftige ich mich intensiv mit politischer Theorie, die sich genau damit auseinandersetzt, wie wir Menschen zusammenleben sollen. Für meinen Teil sehe ich in einer durch Wett-bewerb – und im globalen Kontext wirk-lich entfesselten Wettbewerb – gestalteten Welt keine Möglichkeit eines gerechten Zusammenlebens. Im globalen kapitali-stischen System bestimmen die Interessen der Unternehmen und Wirtschaftseliten, wie der Hase läuft. Die Beine des Hasen, um in diesem Bild zu bleiben, müssen immer weiterlaufen um noch mehr Pro-fit und Rendite zu erwirtschaften, da die Wirtschaftseinheiten sonst ganz einfach untergehen. Es gibt keinen Weltstaat, der sich um die soziale Verträglichkeit des Kapitalismus kümmert. So entsteht Un-gleichheit und Ungerechtigkeit, die sich in unserer Welt an den enormen Unter-schieden zwischen unserer »westlichen« und den anderen Teilen der Welt sichtbar machen. Ich als Christ kann dies nicht akzeptieren. Deshalb möchte ich auch in christlichen Kreisen über alternative Gesellschaftsent-würfe diskutieren, die ein menschenwür-diges Leben für alle – auch schon in die-ser Welt – ermöglichen. Zum Weiterlesen empfehle ich Apostelgeschichte 2, 42 ff.

leserBriefe

leserBriefe Bitte einsenden an [email protected]

Allgemeines FeedbackFRenne BRonneR,

kRAnkenscHWesTeR, kAlTenHoF

Hallo liebes THE RACE -Team, ich möchte euch allen ein ganz großes Lob für eure Zeitschrift aussprechen! THE RACE ist für mich eine wahre »Fundgru-be«; man kann über Wochen darin stö-bern und findet immer etwas Neues. THE RACE ist kein »Einheitsbrei«, sondern je-der Artikel ist anders und steht für sich. Auch dass Dinge hinterfragt werden und Tabuthemen nicht ausgelassen werden, finde ich sehr gut und hilfreich. Ich wurde durch viele Artikel ermutigt oder heraus-gefordert, aber an erster Stelle spürt man: Wir sind alle gemeinsam auf dem Weg und dürfen eins sein, trotz oder gerade weil wir alle unterschiedlich sind. Danke für eure Arbeit und macht weiter so!