THEATER MIT KÖPFEN · 4 GPS KULTUR.Bl Magazin 3.2011 GPS KULTUR.Bl Magazin 3.20115 RECHERCHE IM...

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kultur.bl Magazin 3.2011 1000 Antworten auf 13 Fragen: Eindrücke eines Zaungasts von der Tagsatzung kultur.bl «Warum machen sie denn so ein Theater?» Drei Personen geben Auskunft Von Waldenburg bis Jaffa – eine Reise zum Theater auf dem Lande Name mit Köpfchen: Traugott Meyer – Dichter und Grenzgänger Theater Augusta Raurica – Spielzeit 2011 THEATER MIT KÖPFEN

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kultur.bl Magazin 3.2011

1000 Antworten auf 13 Fragen: Eindrücke eines Zaungasts von der Tagsatzung kultur.bl«Warum machen sie denn so ein Theater?» Drei Personen geben Auskunft !!Von Waldenburg bis Jaffa – eine Reise zum Theater auf dem LandeName mit Köpfchen: Traugott Meyer – Dichter und Grenzgänger

Theater Augusta Raurica – Spielzeit 2011

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ENT-/ GEWINNWARNUNG, ODER GIBT ES IN DER KULTUR «SIEGER»?

Wer an dieser Stelle erwartet, dass wir wenige Tage nach der TAGSATZUNG kul-tur.bl auch im Kanon der selbsternannten Sieger mitsingen und gleich lauthals-mehr-stimmig die Prioritäten für das neue Baselbieter Kulturleitbild hinausposaunen, denoder die müssen wir enttäuschen. Dieses Editorial dient diesbezüglich der Entwarnung.Denn: Die Auswertung ist erst gerade angelaufen, und das Abhören der zahlreichen Ta-pes und Takes vor dem Hintergrund des kulturpolitischen Auftrags (13 Leitthemen und-fragen) braucht seine Zeit. Zudem sind Inputs weiterhin möglich. Jetzt sind vorurteils-lose Sorgfalt und Zielorientierung im Sinne des landrätlichen Auftrags gefragt! DieseHaltung ist der TAGSATZUNG kultur.bl und ihren Ambitionen geschuldet. Sonst ver-raten wir die Zielsetzungen und zerstören gleichzeitig die Erinnerung an ein (vielleichteinmaliges?) Bürgerforum, das bezüglich Ambiente und Charakteristik viel Lob bekom-men hat. Der Kultur und ihrer Politik ist – im Gegensatz zu anderen Domänen gesell-schaftlichen Handelns – Siegermentalität fremd. In diesem Sinne versteht sich diesesEditorial eher als Gewinnwarnung. Voilà!

Als ergänzenden Kontrast porträtieren wir dafür in unserer Rubrik NAMEN UNDKÖPFE einen veritablen Baselbieter, der formidabel auf die Gästeliste des kulturpoliti-schen Bürgerforums in Liestal gepasst hätte. Aber wir graben nicht – wie fast immer,wenn Baselbieter Berühmtheiten angesagt sind – die unterdessen unverwüstlichen,mehr verehrten als geliebten Emigranten aus der Gründerzeit aus: August Sutter (Ge-neral und Goldgräber) oder Carl Spitteler (der Schweiz einziger Literaturnobelpreisträ-ger). Wir halten uns lieber an einen «Grenzgänger» aus Wenslingen, Böckten, Muttenzund Basel, dessen populär-besinnliche Mundartgeschichten und -betrachtungen als «sBottebrächts Miggel» in den 1940er/50er-Jahren auf Radio Beromünster Woche für Wo-che eine nachhaltig grosse Zuhörerschaft fanden. 1948 erhielt er den Johann-Peter-Hebel-Preis, der in Ehren an einen anderen kulturellen Grenzgänger dieser Region noch heuteverliehen wird. Sein Gedicht – eine Art Paraphrase auf das Lied «Vo Schönebuech bisAmmel» – ist wahrlich ein Gedicht!

Szenenwechsel: Dass die dritte Ausgabe unseresGPS Magazins sich den Brettern, die die Welt bedeu-ten, widmet, liegt nach all den zum Teil dramatischanmutenden Ereignissen im Baselbiet irgendwie aufder Hand: Theaterdebatte, Regierungs- und Landrats-wahlen, Präsenz am Zürcher Sechseläuten, Neueröff-nung Museum.BL und die TAGSATZUNG kultur.blwaren allesamt bühnenreife Szenarien und passenzum Thema. Wer nämlich etwas genauer hinsieht,wird bemerken, dass sich die Theaterdichte vor allembezüglich Qualität und Profil ihrer Exponenten/innensehen lassen kann. Theater findet statt, auch wenndem Baselbiet für das Gedeihen der Theaterkultur der

geeignete Humus eines urbanen Zentrums fehlt. An Bühnenräumen, in denen der sprich-wörtliche Lappen immer von Neuem hochgeht, fehlt es nicht: das Roxy in Birsfelden, dasPalazzo in Liestal, das Neue Theater am Bahnhof in Dornach-Arlesheim, das Kulturfo-rum in Laufen, der Pfarreichäller in Waldenburg, das Marabu in Gelterkinden. Und lastbut not least bietet das Römische Theater in Augusta Raurica als archäologisch-thea-tralischer Kulturort eine beeindruckende Szenerie. Nicht zu vergessen all die Protago-nisten und Protagonistinnen, Ensembles und Truppen landauf, landab sowie die unter-dessen gut entwickelte Theaterpraxis in den Gymnasien und Sekundarschulen.

Und zum Schluss zur Erinnerung und auch Ermunterung (auch für uns) nochmalsder Hinweis, dass mit GPS kultur.bl 2.0 auf Facebook ein Responsetool für unser GPSMagazin kultur.bl zur Verfügung steht. Schön, wenn es genutzt würde.

Niggi UllrichKulturbeauftragter Kanton Basel-Landschaft

FESTIVAL RÜMLINGEN 2011 DRINNEN VOR ORT •VIER LANDSCHAFTEN – VIER JAHRESZEITEN – VIER WEGE SONNTAG 25. SEPTEMBER 2011 AB 12 UHR Klangimaginationen von Peter Ablinger (A), Cecilia Arditto (ARG), Malin Bång (SWE), Alvin Curran (USA), Patrick Frank (CH), Jürg Frey (CH), Tom Johnson (USA), Yoav Pasovsky (ISR), Genoël von Lilienstern (D), Dieter Schnebel (D), Urs Peter Schneider (CH), Ernstalbrecht Stiebler (D),Peter Streiff (CH), Manos Tsangaris (D), Cathy van Eck (NL), Hans Wüthrich (CH).

Texte von Jürg Laederach (CH), Klaus Merz (CH), Urs Richle (CH), Peter Weber (CH).

Drinnen vor Ort. Vier Orte, vier Jahres-zeiten und die Gelegenheit zu lauschen: Das Festival Neue Musik Rümlingen begibt sich 2011 einmal mehr hinaus in die Juralandschaft und lädt zum Wandern ein. Anders als in den früheren Jahren erwarten die Festivalwanderer/innen diesmal aber nicht bestimmte Klangereignisse. Vielmehr bringen sie ihre eigenen Klänge mit und « realisieren » sie in ihrem inneren Hören. Zum Auftakt dieser Reisen nach aussen und innen erwandern wir am 25. September 2011 die Ziele gemeinsam. Passend zum Datum führen die « Herbst»-Komponisten Tom Johnson, Cathy van Eck, Hans Wüthrich und Manos Tsangaris von Rümlingen aus vier Gruppen zu den unterschiedlich weit entfernten Orten der imaginären Klänge – später finden alle Festivalbesucher sternförmig zu einem Imbiss in der Natur wieder zusammen. Detailprogramm und weitere Informationen: www.neue-musik-ruemlingen.ch Kartenbezug ( inkl. Hör-Wander-Buch ) vor Ort. Das Hör-Wander-Buch kann nach dem 25.9.2011 auch bei der Geschäftsstelle bezogen werden. Festival Rümlingen, PF 457, CH-4410 Liestal T +41 (0)61 681 69 54, [email protected]

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NEUE MUSIKTHEATERINSTALLATIONEN

Idee und Ausführung – das Titelbild

im Entstehen.

Inhalt

04 GPS SPOT

05 Die Tagsatzung kultur.bl –eine Recherche im Festivalformat

08 GPS FUNDSTÜCK

09 Warum machen sie denn so ein Theater? – ein Gespräch

15 THEATER AUGUSTA RAURICA SPIELZEIT 2011

23 Von Waldenburg bis Jaffa – eine Reise zum Theater auf dem Lande

30 Von Arlesheim sieht man bis Afrika – Kathi Jungen sorgt für Weitblick

33 GPS MAIL AUS DEM KLOSTER SCHÖNTHAL

34 GPS NAMEN & KÖPFEImpressum

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kultur.blWelches Kulturleitbild braucht das Land?

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RECHERCHE IM FESTIVAL-FORMAT

«Das Theater Basel soll ein Programm machen, das denLeuten gefällt», wirft Peter Börlin am Stammtisch in der Schüt-zenstube in die Runde. «Wir sind auch wer», betont Niggi Mes-serli ein paar Strassenzüge weiter am Runden Tisch in derKunsthalle Palazzo. Das sind zwar nur zwei Einzelstimmen ausdem Chor, der in Liestal Rohstoffe für ein Kulturleitbild aus denTiefen der Debatten ins öffentliche Bewusstsein gehievt hat;aber sie stehen für verallgemeinerbare Grundtöne dieser Leit-bild-Kantate: So wie der Veteranenobmann des Musikverbandsbeider Basel auf den in der Schweiz – nicht anders als inDeutschland – virulenten Dauerkonflikt zwischen einer kri-tisch-reflektierenden und der unterhaltenden Kultur anspielt,so unterstreicht der Gründungsdirektor des Liestaler Kultur-

hauses das ebenso verbreitete Bedürfnis, wahrgenommen zuwerden. Für das Baselbiet heisst das vor allem: aus dem Schat-ten einer Kulturmetropole wie Basel zu treten. Welche und wieviel Kultur also braucht der Kanton an der Nahtstelle zwischender schnell tickenden Grossstadt und der langsamer getaktetenProvinz? Was will, was muss er fördern? Wie stellt er sich zumStadtkanton?

Solche Fragen gibt es auch im Umland deutscher Gross-städte. Dort aber hat bislang niemand die Antworten in einerBürgerbeteiligung gesucht – und genau diesen Weg einer Poli-tik des Gehört-Werdens ging nun das Baselbiet. Das Sensoriumdafür umfasste rund 80 Empfangs- und Relaisstationen – vomtheoretischen kulturpolitischen Statement bis zum nieder-

Die Tagsatzung in Liestal sammelte in rund 80 Einzelveranstaltungen den Rohstoff für ein neuesKulturleitbild des Baselbietes. — Als Zaungast eingeladen war auch der deutsche Journalist Mi-chael Baas, der als Redakteur bei der «Badischen Zeitung» arbeitet und den GPS um seine Eindrü-cke von diesem Bürgerforum gebeten hat. Bilder: Susanne Schenker

GPS SPOTCamping vor dem Eingang zum Kunsthaus Baselland: Jemand istfür eine Übernachtungspause von der nahen Autobahn herunterge-fahren und hat für eine Nacht hier campiert? Nein. Die KünstlerinSchirin Kretschmann hat während der ERNTE-Ausstellung zwanzigTage lange in diesem Wohnwagen gelebt und für ihr Projekt «no-madic competences» gearbeitet. Am 25. April ist sie weitergereist.

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Die Antike für Kulturgeniesser.

www.augusta-raurica.ch6 GPS KULTUR.Bl Magazin 3.2011

schwelligen Stammtisch, von locker reflektierenden Talkrun-den bis zum aktiven Brainstorming an Runden Tischen, vomSmall Talk in der Lounge im Engel mit Kulturveranstaltern,Verbänden und ParteipolitikerInnen bis zu themenbündelndenForen. Wie Archäologen trugen die Akteure dieser Werkstättendabei Schicht für Schicht ab und legten Konstrukte frei wie«kantonale Identität», erkundeten Balancen zwischen dem Ei-genen und dem Fremden, suchten Inhalte für Formeln wie städ-tische und ländliche Kultur, loteten den Stellenwert aus von

professioneller Spitzen- und von Laienkultur, steckten einenGrat ab zwischen Kunst und Kommerz, vermassen das Verhält-nis von privater und öffentlicher Kultur, von Kulturförderungund -aufgaben.

Das unerklärte Motto dieser Recherche im Festivalformatsteckte dabei in einem Bild des Schweizer Malers Albert Ankerzur Kappeler Milchsuppe, das in den Foren im Engel-Saal immerwieder leitmotivisch auf eine Leinwand projiziert wurde: Ver-söhnen statt spalten, liesse sich dessen sublime Botschaft in denWorten des früheren deutschen Bundespräsidenten JohannesRau umschreiben. Anders gesagt: Das Gemälde aus dem 19.Jahrhundert weckt Assoziationen an das sprichwörtlicheSchweizer Konsensprinzip, aber es ist auch ein Fingerzeig fürBewahrer und Brauchtumspfleger – Stimmen, denen in den De-batten so behutsam zugehört wird wie allen anderen. Anderer-seits reichen wenige Eindrücke, um die Risiken allzu enger Defi-nitionen zu verdeutlichen. Die kurze Wegstrecke zwischen En-gel und der Kunsthalle Palazzo etwa führt an einem Treffpunktder Metal- und Tattoo-Szene vorbei. Allein diese Kulisse bieteteinen warnenden Gegenpol zu isoliert auf den Kanton und seineGeschichte ausgerichteten Mustern und Identitätsentwürfen.

Macht es überhaupt Sinn, für einen heterogenen, kleinenRaum wie das Baselbiet kulturelle Identität zu definieren? Ausder Perspektive eines deutschen Landes wie Baden-Württem-berg, das mehr Einwohner hat als die Schweiz insgesamt, hatder Versuch jedenfalls einen schrulligen Charme. «In Bern binich ein Basler»: Einordnungen wie diejenige von StänderatClaude Janiak klingen denn auch vernünftig und stehen exem-plarisch für viele, die Identität nicht in Abgrenzung zu Basel de-finieren. Faktisch gäbe das Baselbiet mit zu viel Distanz – wieWeil oder Lörrach auf der deutschen Seite – auch eher die Mar-ke auf, über die es jenseits des kantonalen Tellerrands wahrge-nommen wird. Aber es gibt auch hartnäckige «Stadtneuroti-ker», und es fragt sich, woher dieser Impuls kommt. Spiegelt erdie Schweizer Grundhaltung, dieses selbstbewusste, mitunter

fast störrische Beharren auf dem Eigenen, dieses aktive Ja zureigenen Kultur, das Beobachter aus der historisch so kompli-zierten deutschen Sicht staunen lässt und zugleich befremdet?Wiederholt die Debatte im kantonalen Kontext, was diesen Staatauch national auszeichnet: das Beharren auf dem Eigenen?

Mehr Kooperation könnte tatsächlich ein Weg sein. Nochweiter ging Christoph Meury: Es sei, so der Leiter des Roxy inBirsfelden in Anspielung auf die parallele Kulturleitbild-Suchein Basel, «unfassbar, dass zwei Kantone, die aufeinander ange-

wiesen» seien, Leitbilder entwickelten, die «kaum eine Schnitt-menge haben». Eine Sichtweise, die Philippe Bischof, Leiter derAbteilung Kultur im Basler Präsidialdepartement, nachvollzie-hen kann. Auch für ihn sind «politische und kulturelle Grenzennicht mehr kongruent», haben sich «funktionale Räume» überdie Verwaltungsgrenzen hinweg entwickelt. Woher also über-haupt der Bedarf an kantonalen Kulturleitbildern? Weil sie«Prozesse der Selbstvergewisserung» initiierten, erläuterteKatja Gentinetta. Der Wert der Leitbilder ergibt sich für die TV-Moderatorin und Philosophin denn auch eher im Erarbeiten alsim Ergebnis. Der Weg ist sozusagen das Ziel, als «Handlungsan-leitung für die Politik, die so wenig Regeln setzt wie nötig».

Welche Koordinaten aber lieferte die Tagsatzung für die-ses Regelwerk? Nicht weniger Geld für die Spitzenkultur in Ba-sel, aber mehr für das Baselbiet, forderten da in ihrer Loungezum Beispiel die Kulturrätin Ursula Pfister und Letizia Schubi-ger von der kantonalen Fachkommission für Kunst. Gad Fidlervon der Konzertfabrik Z7 wäre fürs Erste schon mit mehr undintensiverem Austausch zwischen Kulturmachern, Verwaltungund Tourismusbranche zufrieden. Anderes dürfte komplizier-ter zu erfüllen sein: Die Wünsche, Kultur besser in Lehr- undBildungsplänen zu verankern, oder die Träume von «Kultur-leuchttürmen im Baselbiet», die wie Gespenster durch den Tagirrlichterten.

Wenig Reiz hatten für die Mehrheit schliesslich alle An-sätze, Leitbilder auf Brauchtumspflege zu begrenzen. Das zeig-te sich nicht zuletzt darin, dass die Verfechter dieses «verängs-tigen» und «selbstverliebten Kulturbegriffs», so der frühereRessortleiter der «Basler Zeitung» Martin Matter, offenbar iso-lierter sind, als die mitunter massiven und von Medien in undausserhalb der Schweiz breit aufgegriffenen öffentlichen Auf-tritte erwarten lassen. So geriet die SVP-Präsentation in derLounge mit Hilfe eines Trachtentrios zwar unüberhörbar; leb-hafter debattiert aber wurde in anderen Lounges. Relativ klarkristallisierte sich denn auch heraus, dass eine Front zwischen

urbaner Spitzen- und bodenständiger Volkskultur, zwischenProfis und Laien Scheinkonflikte beschwört. Für Meury geht esnicht um ein Entweder-Oder, sondern um «Sowohl-als-auch-Op-tionen», was jeder Schrulligkeit entbehrt. Denn in dieser janus-köpfigen Gestalt wird der (ländliche) Raum zum Chancen-Raum, in dem für vieles Platz sein könnte.

Am Ende dieser Vermessungen des kulturellen Raumssoll nun ein Leitbild entstehen, das solche «Unterschiede nichteinebnet», verspricht der federführende Kultur- und Bildungs-direktor Urs Wüthrich. Die 130 000 Franken, die die Veranstal-tung kostete, sieht er jedenfalls gut investiert. Dass die Reso-nanz jenseits des Fachpublikums bescheiden blieb, ist zwar einWermutstropfen; der Ansatz einer nicht doktrinär, nicht vonoben verordneten Kulturpolitik aber zukunftsweisend – und dasnicht nur für das Baselbiet. Darüber hinaus sei ihm wichtiger,dass «die Leute Theater und Musiksäle füllen und nicht dieWorkshops», sagt Wüthrich. Allerdings ist auch das kein Selbst-läufer. Im Gegenteil: Wie bekommen wir die Mehrheit über-haupt dazu, Kultur vor Ort aktiver und als Alternative zum TVzu verfolgen? So lautete eine weitere Überlegung, die am Endedes letzten Runden Tisches nach 19 Uhr mit dickem Fragezei-chen im Raum stand und die sich als solche – wie viele anderedieser Tagsatzung – auch jenseits der kantonalen und nationa-len Grenzen stellt. Davon, dass sie dort auch so intensiv disku-tiert wird, ist allerdings nichts bekannt. !

«Wiederholt die Debatte im kantonalen Kontext, was diesen Staat auch national auszeichnet: das Beharren auf dem Eigenen?»

Wie geht es nach der Tagsatzung weiter?Im Amt für Kultur wird sich ein Redaktionsteam bis im Spätsommerdamit befassen, die zahlreichen Voten, Statements, Testimonials, dieschriftlichen und sonoren Protokolle abzuhören, zu gewichten und –zusammen mit den Erkenntnissen aus der Online-Umfrage und den In-puts – in einem Prioritätenkatalog für den Entwurf des Kulturleitbildszu verdichten. Drei thematische Felder zeichnen sich jetzt schon ab:1. Das Kulturleitbild des Kantons Basel-Landschaft soll das Zusam-menspiel zwischen den Privaten (Vereine, Institutionen, Kulturschaf-fende), den Gemeinden und den kantonalen Instanzen aufzeigen undZuständigkeiten definieren. Der Fokus steht in der Förderung des kul-turellen Schaffens im Kanton, in der regionalen Dimension und in derFörderung der kulturellen Vielfalt durch die Kulturpartnerschaft mit Ba-sel-Stadt.2. Das Kulturleitbild des Kantons Basel-Landschaft soll die Mechanis-men der Kunst- und Kulturförderung transparent aufzeigen (Organisa-tion, Zugang und Kriterien, Unterstützung, Subventionen)3. Die Erarbeitung eines detaillierten Who-is-Who-Indexes der Kultur-szene des Baselbiets.Das neue Kulturleitbild soll im Spätherbst fertig erstellt, publiziert(GPS Magazin) und zusammen mit der Kulturgesetzvorlage (Entwurf)dem Landrat zur Genehmigung unterbreitet werden.Neue Inputs sind willkommen:Die Online-Plattform auf www.tagsatzung-kultur-bl.ch bleibtweiterhin in Betrieb. Zwischenresultate und -erkenntnisse sollen laufend publiziert und kommentiert werden.

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GPS FUNDSTUECKDieses nur etwa acht Zentimeter lange Bronzeblech wurde 2010auf der Publikumsgrabung beim Osttor von Augusta Raurica in einem römischen Keller gefunden. Das auf den ersten Blick unscheinbare Blech war korrodiert und stark verschmutzt, doch beider sorgfältigen Restaurierung kam eine fein gepunzte Inschriftzum Vorschein. Diese nennt einen bisher in Augusta Raurica nochnicht belegten VICANIUS OPTATUS, der die kleine Tafel dem GottJupiter gestiftet hatte. Solche Votivbleche mit Inschriften wurdennormalerweise in Tempeln geweiht, um sich der Gunst der Götterzu versichern.

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WARUM MACHEN SIE DENNSO EIN THEATER?Karin Gensetter, Christoph Meury und Danny Wehrmüller sind drei prominente regionaleTheaterschaffende. Das Gespräch mit ihnen zeigt, dass gerade die vielfältigen Herangehens-weisen von Profis und Laien lebendiges Theater ausmachen. — Jana Ulmann wollte wissen, wassie in der Theaterszene umtreibt und was die aktuelle Debatte um ein neues Kulturleitbild bei ih-nen bewegt. Bilder von Christian Flierl

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Danny Wehrmüller, Sie sind ein profilierter Vertreter des Laien-theaters in der Region. Welcher Theaterbegriff leitet Sie bei IhrerArbeit?

Danny Wehrmüller: Ganz einfach: Theater ist, wenn einer et-was vorspielt und ein anderer schaut zu. Da gibt es eine Füllevon Möglichkeiten: Mit welchen Mitteln geschieht das? Wo ge-schieht es? Wer schaut zu? Für mich ist Theater ein sehr gegen-wärtiges Medium. Es lebt vom Augenblick, von der Jetzt-Zeit.Deshalb spielen wir Stoffe, die einen Bezug zur Gegenwart ha-ben. Alte Stoffe klopfe ich erst einmal daraufhin ab, was sie unsheute noch zu berichten haben. Und mich interessiert, wie weithinaus man die Grenzen des Laienspiels verschieben kann.

Karin Gensetter und Christoph Meury, Sie leiten mit dem Thea-ter Palazzo in Liestal und dem Theater Roxy in Birsfelden zweiBaselbieter Häuser für Theater und Tanz. Womit profilieren Siedie beiden Häuser?

Karin Gensetter: Das Theater Palazzo ist vorwiegend eine Gast-spielbühne. Theaterschaffende haben aber auch die Möglich-keit, in unserem Haus ein Stück in Gänze zu erarbeiten. Ich be-vorzuge zeitgenössische Produktionen, die sich mit aktuellenThemen oder spannenden Theaterformen befassen. Ich findeden Hintergrund des Erarbeitungsprozesses einer Produktionspannend, etwa wenn mit Improvisation gearbeitet wird.

Christoph Meury: Theater ist für mich ein öffentlicher Raum –das Theater Roxy inszeniere ich als öffentlichen Denkraum.Nicht nur das, was sich auf der Bühne abspielt, ist Theater, auchder Arbeitsprozess, der zum Stück führt, und die Menschen, diedaran arbeiten, gehören dazu. Das Theater ist in jedem Fall auchein sozialer Raum. Die ganze Bandbreite der Performing Arts,um einen heutigen Begriff zu verwenden, umfasst die klassischeTheaterform genauso wie Tanz und Performance.

Landauf, landab wird über die identitätsstiftende Rolle von Kul-tur debattiert. Welchen Part kann das Theater dabei übernehmen?

Karin Gensetter: Theater spielt mit Identitäten. Es präsentiertverschiedene Sichtweisen auf ein Thema, kann seinen Gegen-stand überhöhen und kritisch reflektieren. In diesem Sinn hatdas Theater vielfältige Möglichkeiten, Themen aufzugreifen,das Publikum zu spiegeln, zu bewegen und Verhaltensmecha-nismen zu hinterfragen. Im besten Fall werden die Zuschauerin-nen und Zuschauer zum Denken gebracht und zum Reagieren.

Danny Wehrmüller: Die identitätsstiftende Rolle des Theaterssteht für mich nicht im Zentrum. Die Rattenfänger spielen seitzwanzig Jahren an verschiedensten Spielorten in Muttenz. Werein paar dieser Inszenierungen gesehen hat, betrachtet die Ge-meinde immer wieder in einem anderen Licht; Alltägliches undBekanntes wird aus einem gemeinsamen Erlebnis heraus plötz-lich neu wahrgenommen. Ansonsten meine ich, dass das kon-servative Theater, ich nenne es jetzt mal «Bauerntheater», stär-ker identitätsstiftend wirkt als das nach allen Seiten offene mo-derne Theater. Wenn man eine Emmentaler Liebhaberbühnesieht, dann ist der Kreis von Theatermachern und Publikum

dermassen dicht, dass die identitätsstiftende Rolle des Theaterssehr stark spürbar wird.

Was Danny Wehrmüller über die Liebhaberbühne im Emmentalgesagt hat, beschreibt einen bewahrenden Zugriff aufs Theater.Christoph Meury, was sucht die Identität im Theater?

Christoph Meury: Mich stören diese Diskussionen über Identi-tät, aber auch über die Aufteilung in Laien- und Profitheater, infreies Theater und Stadttheater. Da instrumentalisiert die Poli-tik die Kunst. Diese Schubladisierung und Spezifizierung ver-sucht das Theater und die Kunst «in den Griff» zu bekommen. Inallen Ausprägungen von Kunst wirken verschiedenste Ent-wicklungen und unterschiedlichste Auseinandersetzungen infriedlicher Koexistenz nebeneinander. Diese Vielfalt finde ichspannend, weil da jeder für sich seinen Teil findet. Nun sollenplötzlich Sinnfragen und Identitätsstiftung im Zentrum stehen.Diese Kategorien bringen der Kunst nichts, wenn sie in dieserWeise besetzt werden. Ich wehre mich gegen diese Steuerung.Ich will auf das bisher gelebte friedliche Nebeneinander ver-schiedener kultureller Errungenschaften nicht verzichten müs-sen. In diesem Sinn würde ich mich sogar als Traditionalist be-zeichnen: Ich will, dass das grundsätzlich so weiter besteht. Si-cher – es gibt gutes und schlechtes Theater. Aber das Laien-theater müsste doch unterdessen aufstehen und sich gegen diepolitische Instrumentalisierung wehren, die es als das Ur-sprüngliche darstellt, das es so ja auch nicht ist.

Fühlen sich die Rattenfänger instrumentalisiert, und wie gehenSie damit um?

Danny Wehrmüller: Instrumentalisiert werden wir vor allemhinsichtlich der Finanzen. Manche Leute finden: «Schaut an,man kann mit sehr wenig Geld Theater machen und grosse Pro-jekte realisieren.» Warum also, so der Schluss, soll das TheaterBasel so viel Geld erhalten? Dann muss ich die Dinge ins richti-ge Licht rücken und erklären, dass professionelle Theaterschaf-fende von ihrer Arbeit leben müssen, dass die Infrastrukturkos-ten hoch sind, und so weiter.

Karin Gensetter: Die Abgrenzung von Laien- und Profitheaterfinde ich problematisch und polemisch. Die Realität ist: ImTheater Palazzo und auch im Theater Roxy finden professionel-le Produktionen ebenso wie Laientheater Platz. Natürlich wirdLaien- und Profitheater von der Finanzierung her anders ge-wichtet. Aber immer fehlt es beiden Gruppen an Geld.

Im Sport käme keiner auf die Idee, Profis und Amateure gegenei-nander auszuspielen. Warum also im Theater?

Christoph Meury: Im Moment tut man das Theater gerne alsFreizeitbeschäftigung ab. Aber das Theater hatte als Teil derBildung lange einen ganz einen anderen Stellenwert und wurdenicht nur als Kostenverursacher betrachtet. Die Auseinander-setzung mit dieser Kunstform gehörte zum integralen Bestand-teil des bildungsbürgerlichen Kanons. Nur, der Bildungsbürgerist der Gesellschaft in letzter Zeit abhandengekommen, der hatsich in Wirtschaftsfragen geflüchtet.

Dann braucht das Theater also neues Publikum und muss sichneu erfinden?

Christoph Meury: Das Theater hat keine Probleme mit dem Pu-blikum. Die Kulturlandschaft hat sich ungeheuer diversifiziert.Die Leute sind sehr aktiv und finden in einem immer breiterwerdenden Spektrum von Möglichkeiten immer mehr Andock-punkte. Deshalb verteilt sich das Publikum anders, aber in derSumme wird es ja nicht weniger.

Danny Wehrmüller: Ich glaube, kein Theater findet ohne Bil-dungsbürgertum statt. Ein Bildungsbürger ist für mich einer,der seine Seele bilden will. Theater muss sich sein Publikumständig neu suchen. Das war bestimmt schon einmal einfacher.Wir Macher versuchen die Notwendigkeit des Theaters immerwieder neu zu vermitteln. Die Rattenfänger tun das, indem sieden Leuten das Theater quasi vor die Haustüre stellen. Mich be-schäftigt, dass wir eine bestimmte Schicht der Muttenzer Dorf-bevölkerung aber überhaupt nicht erreichen. Da sitzen Men-schen aus der ganzen Region im Publikum, aber viele, die beimEinkaufen sozusagen über unsere Tribünen stolpern, die kom-men nicht. Ich möchte mit unseren Produktionen auch Leuteansprechen, die mit Theater sonst nichts am Hut haben.

Hat sich der Kanton BL mit der Theaterabstimmung als ein Kan-ton von Theatermuffeln situiert?

Christoph Meury: Die Blogs im Nachgang zur Theaterabstim-mung geben mir zu denken. Das Theater Basel scheint da eineArt Stellvertreterfunktion übernehmen zu müssen. Es ist chic

geworden, Kunst in der Öffentlichkeit zu verhöhnen, «intellek-tuell» ist ein neues Schimpfwort und alles, was typisch städ-tisch ist, gilt es zu bekämpfen. Da werden Gräben ausgehoben,die so gar nicht existieren.

Karin Gensetter: Die Abstimmung um das Theater Basel polari-siert sicher. Ein grosser Teil der Bevölkerung kann sich mit derAblehnung der Initiative und den Reaktionen in den Blogs abernicht identifizieren. Ich erlebe, dass das Publikum weiterhinkommt – in den Palazzo und zu den anderen Spielorten. Sicher,es verteilt sich, es wählt aus dem grossen Angebot aus. DasTheater Basel hatte und hat eine spezielle Stellung in der Kul-turlandschaft der Region.

Danny Wehrmüller: Ich meine, hinter dem Nein zum TheaterBasel lässt sich das Phänomen der Entsolidarisierung der Ge-sellschaft ausmachen, und das finde ich bedenklich. Offenbarkönnen sich immer weniger Leute vorstellen, etwas für unter-stützenswert zu halten, was sie selbst nicht dringend brauchen.Bei dem knappen Abstimmungsresultat finde ich den Schluss,dass die Baselbieter ein Völkchen von Theatermuffeln sind,

aber nicht zulässig. Der Kanton Baselland als Einheit, den gibtes doch so gar nicht – il n’existe pas.

Christoph Meury: Sicherlich hat diese Haltung mit Egoismus zutun. Die Baselbieterinnen und Baselbieter wissen doch, dass esdas Kunstmuseum, das Theater und all die kulturellen Herr-lichkeiten in der Stadt auch weiterhin geben wird, auch wennsie nicht mitzahlen.

Dem Theaterkanton BL noch ein wenig nachgespürt: Wie lässt ersich umschreiben? Vielleicht hilft die historische Perspektive: Esgab und gibt kein eigentliches kulturelles Zentrum im Kanton Ba-selland, entsprechend besass die traditionelle Volkskultur immereine starke Position. Welchen Stellenwert hat die Volkskultur inEurer Arbeit?

Danny Wehrmüller: Ausser dass schon immer auch Laien Thea-ter gespielt haben, machen wir eher das Gegenteil von traditio-neller Volkskultur. Der immer gleiche Fundus, aus welchemdiese schöpft, ist für mich nicht interessant.

Christoph Meury: Meine kulturelle Prägung hat nicht über dietraditionellen Vereine stattgefunden. Ich bin in Arlesheim auf-gewachsen, kulturell animiert hat mich die städtische Theater-und Musiklandschaft. Das hat mich motiviert und irgendwannins Stadttheater geführt, wo ich eine Kunst fand, die mich inte-ressierte. Wahrscheinlich geht das den meisten meiner Genera-tion ähnlich. Die kulturellen Fixpunkte in Arlesheim waren fürmich die damals sehr verwilderte Eremitage und die Silber-mannorgel im Dom, die hatte einfach einen super Sound.

Die Idee, dass das Laientheater aus der Scholle kommt, stimmteinfach nicht. Die Rattenfänger spielen Stücke von internatio-nal bekannten Autoren. Auch beim Laientheater macht man jadie Welt auf und sucht Vorlagen und Vorbilder von aussen.Selbst die Baselbieter Erfindung «Augusta Raurica» ist impor-tiert. Das ist im Ursprung ein Theaterkonzept, das nicht vonhier kommt. Man muss nicht so tun, wie wenn alles aus dem Ba-selbieter Boden gewachsen sei.

Karin Gensetter: Die Entwicklungen in der Volksmusik der letz-ten Jahre machen diese Mechanismen ziemlich anschaulich: Mo-dern lebt neben und mit traditionell. Was Christian Zehnder un-ter anderem macht, ist eine Weiterentwicklung der Volksmusik.

Christoph Meury: Christian Zehnder finde ich ein sehr gutesBeispiel. Er ist in der Stadt gross geworden, entwickelte undpräsentierte seine Produktionen im Roxy und in der Kaserne.Jetzt gilt er als Teil einer Szene, als Teil einer Volkskultur, mitder er ursprünglich nichts zu tun hatte. Er entdeckte etwas neuund brachte neuen Drive. Das machst Du, Danny, mit dem Lai-entheater ja auch.

«Theater hat einen hohen sozialen Aspekt. Man trifft sich immer wiederan einem bestimmten Ort, an den man gerne hingeht» (Karin Gensetter)

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Danny Wehrmüller: Natürlich, neue Anstösse und Aufbrüchekommen immer von aussen.

Gibt es weitere Baselbieter Künstler, die einen solch innovativenUmgang mit Tradition pflegen?

Christoph Meury: Den Baselbieter Künstler, den gibt es fürmich so nicht. Cathy Sharp ist eine Baselbieter Tanzcompagnie,weil sie die Subvention vom Kanton BL bekommt, aber die Com-pagnie ist nur international zusammengesetzt. Wenn das En-semble im Roxy spielt, ist es Baselbieter Kultur, wenn es auf ei-ner Basler Bühne spielt, dann ist es städtische Kultur – die Spe-zifizierung und Wertung als Baselbieter Kultur bringt uns nicht

weiter. Der Begriff Baselbieter Kultur ist ein künstlicher, einVersuch, etwas zu fassen, das an allen Ecken und Enden überdie Grenzen hinauswächst. Im Übrigen kann die Theaterkunstim Kanton auch gar nicht gelernt werden. Jemand, der dasTheater zum Beruf machen will, muss erst mal raus und weg,nach Zürich, Bern, Berlin, München, um sein Rüstzeug zu ler-nen. Theater entsteht im Austausch. Eine Grenzziehung wäreder Tod dieser Kunst.

Danny Wehrmüller: Die Abgrenzung widerspricht der Kunst to-tal. Allerdings sieht das ein Teil des heimischen Publikumsnicht so offen. Abende von Theatergruppen in Reinach oderPratteln interessieren gerade noch. Aber schon Rheinfelden istzu weit weg, und Riehen geht gar nicht. Es gibt diese Identifika-tion des Publikums mit «seinen Künstlern» schon.

Christoph Meury: Aber es ist doch absurd, das Cathy SharpDance Ensemble auf einer Irlandtournee als Repräsentantin ei-ner Tanzentwicklung des Baselbiets anzukündigen?

Danny Wehrmüller: Ja natürlich, aber es geht um die Wahrneh-mung des Publikums hier. Offenbar gibt es dieses Bedürfnisnach Vereinnahmung der Künstler. Vielleicht liegt darin sogardas Identitätsstiftende. Die Rattenfänger sind für viele Mutten-zer auch «unsere Theatergruppe». Dabei machen die Muttenzerweder den Hauptteil des Publikums noch der Spieler aus.

Karin Gensetter: Bei Euch hängt das damit zusammen, dass Ihrvor Ort spielt. Ihr macht ja keine Gastspiele im ganzen Kanton.

Dann geht es also darum, dass das Publikum sich etwas Bekann-tes in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft sucht?

Karin Gensetter: Das halte ich für einen sehr wichtigen Punkt.Theater hat einen hohen sozialen Aspekt. Man trifft sich immerwieder an einem bestimmten Ort, an den man gerne hingeht.

Ist denn der Palazzo das Theater der Liestaler?

Karin Gensetter: Für einen Teil der Bevölkerung ist das sicher-lich so. Die Stadt erwähnt den Palazzo immer als wichtiges Kul-turhaus, da gibt es ein sehr gutes Commitment. Ob es aber inder Bevölkerung dieses Gefühl von Identität gibt, im Sinne von«das ist unser Palazzo», da bin ich mir nicht sicher.

Christoph Meury: Für das Theater Roxy war die fehlende Identi-fikation am Anfang ein Problem. Vor allem mit den Tanzprojek-ten konnte man in Birsfelden zu Beginn nicht sehr viel anfan-gen. Tanz gilt ja von der Affinität her eher als städtische Kultur.Die Städter wiederum brauchten auch Angewöhnungszeit. Aber

als klar war, dass Birsfelden leicht erreichbar ist, als sich die Ge-wohnheiten eingespielt hatten, war das kein Thema mehr.

Braucht die Kulturpolitik das Konstrukt Baselbieter Theater-landschaft?

Christoph Meury: Ein kulturpolitischer Entscheid wird immermit beiden Kantonen geregelt. Die Grenzziehung zwischen denKantonen ist sicher eher eine Orientierungshilfe für die Politik,die Zuschauer benötigen diese Abgrenzung nicht. Die aktuelleDebatte um die beiden Kulturleitbilder zeigt, wie anachronistischdie Situation ist. Beide Kantone arbeiten für sich ein Kulturleit-bild aus, aber ohne den jeweils anderen Kanton gross mit ein-zubeziehen. Dabei wäre eine gemeinsame Basis für die Zukunftdes Kultur- und Kunstschaffens in der Region dringend nötig.

Danny Wehrmüller: Dass man bei den Leitbildern nicht mehrzusammenarbeitet, das leuchtet mir auch nicht ein.

Karin Gensetter: Ich kann mich dem anschliessen. Aber der Sta-tus quo ist nun einmal der, dass es die beiden Kantone gibt, unddeshalb finde ich es wichtig, dass auch Baselbieter Gruppierun-gen und Häuser eine angemessene finanzielle Unterstützungdurch öffentliche Gelder erhalten. Da gibt es einige, die be-scheiden bis miserabel gefördert werden. Einige wertvolle Kul-turhäuser und kulturelle Initiativen bleiben aus diesem Grundin der öffentlichen Gewichtung klein und unbedeutend.

Danny Wehrmüller: Ich verstehe schon, dass die BaselbieterKünstler sich manchmal benachteiligt fühlen. Da denkt mancheiner: «Warum wird die Knabenkantorei in der Stadt unter-stützt, aber wir nicht?»

Christoph Meury: Diese Struktur hat sich doch total überlebt.In der Wirtschaft denkt heute keiner mehr so. Wer überlebenwill, muss in Netzwerken denken. Die interessantesten Projek-

te, auch im Theater, wären nicht denk-, finanzier- und machbar,wenn man sie nicht in Netzwerken realisieren würde. Das Kul-turfestival «Wildwuchs» ist ein aktuelles Beispiel: Es findet inBasel statt, einzelne Vorstellungen gibt es im Roxy zu sehen.Aber in dieser Grössenordnung ist das Festival nur möglich,weil es in Zürich vorher mit «Okkupation» ein ähnliches Festi-val gibt und man gegenseitig Ressourcen und Gruppen austau-schen kann. «Culturescapes» ist ein weiteres Beispiel, wo wirüber andere Kanäle die Welt kennenlernen. Das ist für ein ur-banes Publikum eine Topmotivation, ins Theater zu gehen undsich auseinanderzusetzen. Von der Thematik und von den For-men her sind das auch genau die Beispiele, wo permanent ver-sucht wird, Grenzen zu überschreiten. Hier liegen die Chancen,und das ist der Motor des Theaters für die Zukunft. Mich inte-ressiert nicht mehr, ob ich mit Laien oder Profis zusammenar-beite, mich interessieren spannende Kooperationen, bei denenam Ende gutes Theater herauskommt.

Danny Wehrmüller: Wir werden immer mobiler, die Wirtschaftwird immer globaler und die offiziellen Kulturkonzepte werdenimmer regionaler. Das ist ein unglaublicher Widerspruch.

Es gibt offizielle kulturpolitische Bestrebungen, Netzwerke zu un-terstützen und aufzubauen. Die Vernetzung des Tanzes in derSchweiz ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Vielleicht muss man dieFrage einfach anders stellen. Die Gesellschaft bewegt sich mit un-geheurer Dynamik, die Politik funktioniert viel langsamer undhinkt hinterher. Wie müsste eine Kulturpolitik aussehen, die demLauf der Dinge auf der Spur bleibt?

Christoph Meury: Die Einsicht, dass das Inseldasein nicht funk-tioniert, könnte helfen. Es entspricht nicht dem Alltag und nicht

der Welt, in der wir leben. Ich arbeite permanent mit der Kaser-ne Basel, mit dem Theaterhaus Gessnerallee und mit anderenVeranstaltern zusammen, ich bin im dauernden Austausch.

Karin Gensetter: Die Kulturpolitik müsste Mechanismen erfin-den, die der Funktionsweise des Theaterschaffens Rechnungtragen. Man kann gleichzeitig den Chor auf dem Land unter-stützen und die Gruppen, die sich vernetzen. Aber ich erlebe dasauch so: Künstlerinnen und Künstler, die sich vernetzen, brin-gen spannendere Produktionen auf die Bühne. Im Moment sam-meln die einfach bei den entsprechenden Kantonen ihre För-dergelder ein. Aus meiner Erfahrung läuft es so: Kulturschaf-fende und Künstlerinnen habe eine Idee und versuchen dieseerst einmal mit wenig Geld zu realisieren. Dann wird daraus ei-ne neue Veranstaltungsreihe, vielleicht sogar ein neuer Spiel-ort, der sich immer mehr etabliert. Parallel zu den Ansprüchenan die Professionalität wachsen auch die finanziellen Bedürf-nisse. Auf diese Entwicklung sollte ein neues Kulturleitbild rea-gieren können: Initiativen, die aus der Basis entstehen und sichbehaupten, sollten gefördert werden. Kunstkonzepte könnennicht in Auftrag gegeben werden.

Danny Wehrmüller: Die Vision für eine Kulturpolitik: Ich magkeine toten Buchstaben. Am Schluss fehlt immer das Geld fürall die wunderbaren Konzepte. Wenn man überzeugt ist, dassKultur und Kunst wichtig sind, dann sollen sie entsprechendalimentiert werden. Und dann entwickelt man ein Konzept da-für, was man mit dem Geld, das zur Verfügung steht, wirklichfördern will.

Wie sieht denn die Vernetzung bei den Laientheatern aus? Es gibtja beispielsweise den Zentralverband Schweizer Volkstheater.

«Ich erwarte von der Kulturpolitik, dass auch sie die Möglichkeitdes Scheiterns akzeptiert. Sprich, dass nicht nur ‹sichere› Projektegefördert werden » (Danny Wehrmüller)

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Spätestens nachdem der sprichwörtliche «Lappen» hochgegangen ist, beginnt auf einer Theaterbühneimmer dasselbe Spiel: Illustre Figuren aus allen Himmelsrichtungen der Weltgeschichte verwickeln dasPublikum in Geschichten und Emotionen und machen es flugs zu Zeugen und Komplizen von dramati-schen, tragischen oder komischen Turbulenzen inklusive mehr oder weniger unauflöslicher Komplika-tionen. Theater beginnt bekanntlich in den Köpfen von Autorinnen, Komponisten oder Regisseuren, fin-det auf die Bühne dank der Ausdruckskraft von Schauspielerinnen oder Tänzern und landet als Fortset-zung in den Köpfen und Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Theater ohne Köpfe? Ohne Herzen?Geht nicht. Zum Glück! Das Prinzip Theater von und mit Köpfen sowie einem Publikum mit grossem Her-zen funktioniert im Römischen Theater Augusta Raurica seit jeher und in der Spielzeit 2011 hoffentlichauch. Herzlich willkommen!

Danny Wehrmüller: Die Rattenfänger sind bei diesem Verbandnicht dabei, weil sie sich als freie Theatergruppe definieren. DerVerband nimmt in meiner Wahrnehmung eine sehr bewahrendeRolle ein. Eine Qualitätsdiskussion wird kaum geführt. Im Mo-ment ist die Situation die: Die Förderung des Laientheaters istSache der Kommunen, für das professionelle Theater ist derKanton zuständig. Da kann man ganz schön zwischen Stuhl undBank fallen. Unserer Gemeinde ist es vor allem wichtig, dass al-le Vereine gleich behandelt werden. Wir erhalten gerade mal5000 Franken Defizitgarantie. Das ist eine halbe Vorstellung vonvierzehn. Das finden wir zwar nicht toll, wir machen aber trotz-dem weiter.

Welche Fragestellungen werden Euch in näherer Zukunft be-schäftigen?

Christoph Meury: Mich treiben die Projekte um, die sich mit denFragen permanenter Grenzüberschreitung beschäftigen. Fra-gen zur ästhetischen und künstlerischen Wahrnehmung. Wasfinden wir im Tanz spannend? Geht es um die tollen Körper aufder Bühne oder geht’s um den Menschen und die Geschichten,die die Körper erzählen? Mich interessiert das transkulturelleFestival «Fremd?!», wo es darum geht, Geschichten von Jugend-lichen mit Migrationshintergrund eine Form, eine Darstellungund natürlich eine Öffentlichkeit zu geben.

Danny Wehrmüller: Mich interessiert Kultur, die etwas wagt.Ich mag es, wenn ein Haus oder eine Gruppe eine eigene, vonNeugier geprägte Handschrift hat. Wenn man in jedem Dorf dengleichen Schwank sehen kann, finde ich das langweilig. Der«Brand von Pratteln» beispielsweise vor drei Jahren war für diedortige Laienbühne und die Gemeinde im Grunde ein völligüberrissenes Projekt. Ich fand das toll, das hatte eine grosse Re-levanz für die Gruppe und die Gemeinde. Mit den Rattenfängernmöchte ich immer wieder Neues probieren, an neuen Orten, mitneuen Leuten und mit anderen theatralischen Mitteln arbeiten.Nicht zuletzt deshalb, weil man dabei auch furchtbar auf dieNase fliegen kann. Aber das gehört dazu. Für mich impliziertTheater keine Sicherheit, Kultur generell nicht. Ich erwarte vonder Kulturpolitik, dass auch sie die Möglichkeit des Scheiternsakzeptiert. Sprich, dass nicht nur «sichere» Projekte gefördertwerden, sondern dass man den Mut hat, unsichere Projekte zuunterstützen. Das hilft den Kulturschaffenden, selbst neugierigzu bleiben.

Karin Gensetter: Ich sehe mich im Theater Palazzo als Vermitt-lerin für Bühnenproduktionen und will Gruppen einladen, diesich in neuen spielerischen Formen mit dem Zeitgeist ausei-nandersetzen. Mir ist egal, woher die kommen, ich denke danicht lokal. Allerdings ist es so, dass Künstlerinnen und Künst-ler aus der Region mehr Publikum anziehen, und ich habe auchengere Kontakte zu ihnen.

Christoph Meury: Mir kommt da ein interessanter Gedanke: DieGesellschaft hat ja immer das Gefühl, die Theater und Kultur-schaffenden seien die Bittsteller, die man füttern muss, damitsie nicht bissig werden. Man kann das einmal umdrehen: Vonder Entstehung und Entwicklung einer Theaterproduktionkönnte die Gesellschaft ganz viel lernen, wenn man bereit wäre,die Prozesse, die zum Resultat führen, in die Beurteilung miteinzubeziehen: Leute aus unterschiedlichsten Kulturen undKontexten gestalten in einem Probeprozess von ein paar Wo-chen in einem Raum, wo nichts ist, mit unterschiedlichsten Mit-teln, einen spannenden Abend. Wie finden sie sich zusammen,was ist die gemeinsame Sprache und Ästhetik, wie gestalten siedas, wie vernetzen sie das für andere Menschen? Ein kreativerProzess, der ständig neu erfindet und reflektiert, damit amSchluss ein abendfüllendes Stück, eine Tanz- oder Theaterpro-duktion, entsteht. !

Karin Gensetter verbrachte ihre Jugend in Zürich, wo sie nach der beruflichenLaufbahn einer PR- und Werbefachfrau in die Theaterszene rutschte und sichauf diesem Gebiet mittels Learning by Doing und dem Besuch von Theaterkur-sen professionalisierte. 1990 machte sie sich als Produktionsleiterin für Büh-nenproduktionen, Events und Festivals selbstständig. 1994 war sie Mitglieddes Leitungsteams und Leiterin Öffentlichkeitsarbeit der Kaserne Basel. Ab1998 arbeitete sie zwei Jahre lang bei der «ProgrammZeitung – Kultur im RaumBasel». Seit 1999/2000 ist sie künstlerische Leiterin des Theater Palazzo inLiestal. In den Jahren 2000–2002 organisierte sie drei Ausgaben des Festivalsfür Neue Musik Rümlingen (BL). 2004 arbeitete sie im Leitungsteam des Thea-terfestivals «Welt in Basel» in der Kaserne mit. In Liestal gründete sie mit weite-ren LeiterInnen von Kulturinstitutionen den Verein Liestal Kultur, der es sich zumZiel setzt, die Veranstaltungen zu koordinieren und gemeinsam Anlässe zu or-ganisieren, wie beispielsweise die erfolgreiche Kulturnacht «Lichtblicke».

Christoph Meury wuchs in Arlesheim auf und erlernte das Theaterhandwerk von1982 bis 1986 am Theater Basel und am Stadttheater Bern. Er ist ausserdemausgebildeter Sozialarbeiter. Mitarbeit in den Leitungsteams der Kaserne Baselund des Theaterhauses Gessnerallee in Zürich. Seit 1999 Leiter des TheaterRoxy Birsfelden. In Kooperation mit anderen Veranstaltern erfand er immer wie-der neue Theaterformate: zum Beispiel als Gründer und Projektleiter vonTREIBSTOFF – Theatertage Basel sowie als Projektleiter der Tanztage Basel.Ausserdem Gründer und Verwaltungsrat der Kurhaus Bergün AG (100-jährigesJugendstilhotel in Bergün/Albulatal GR).

Danny Wehrmüller wuchs in Basel und Binningen auf. Er arbeitet als freier Re-gisseur und als Primarlehrer im Halbpensum. Ausbildung bei H. Noelte(Sprechtheater) und dem Mimen Amiel (Körperausdruck, Pantomime, Masken-spiel). Seit der Gründung der «theatergruppe rattenfänger» 1989 deren künst-lerischer Leiter und Regisseur. Inszenierungen quer durch die Weltliteratur,auch bei Kultur in Brüglingen, Förnbacher-Theater, Basler LehrerInnentheater,Laienbühne Pratteln, Theater Münchenstein und in der Off-Szene der Regionsowie bei diversen Vorfasnachtsveranstaltungen, gegenwärtig Glaibasler Chari-vari. Schreibt Stückbearbeitungen, Gedichte, Lieder, Kabarett-Texte und Kinder-Musicals. Spielt szenische Stadtrundgänge und diverse Musikinstrumente.

«Von der Entstehung und Entwicklung einer Theaterproduktionkönnte die Gesellschaft ganz viel lernen» (Christoph Meury)

Spielzeit 2011: Theater mit KöpfenTheater Augusta Raurica

Viel Theater. Ein Ort.www.theater-augusta-raurica.ch

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CANT ROMONTSCH DIE BESONDERE «SCHWEIZER NACHT» M IT CORIN CURSCHELLAS & SINAFreitag, 8. Juli 2011 | 20.30 Uhr

Singer/Songwriterin, Musikerin, Komponistin, Theater- undFilmschauspielerin – all diese Facetten hat sie schon ausgebrei-tet. Dabei trägt die vielseitige Künstlerin Corin Curschellas ausGraubünden eine der seltensten Sprachen aus der Bergwelt indie Welt hinaus, bis über den Atlantik. Sie ist stets auf demabenteuerlichen Doppelgleis zwischen Regionalem und Welt-läufigem unterwegs, hat ein Netzwerk zwischen Hier und An-derswo aufgebaut. So arbeitete sie bereits mit «Urgesteinen» derSchweizer Musik, aber auch mit experimenteller Jazzpromi-nenz in New York und horcht immer wieder auch auf die Stim-men der Welt. An ihre Rolle in der Stimmenproduktion GlobalVocal Meeting (2000) erinnern sich noch viele Festivalbesucher. Sie sagt von sich selbst, dass sie eine «Naturstimme» besitzt –

STIM M EN-FESTIVAL

CANT ROMONTSCHDIE BESONDERE «SCHWEIZER NACHT» CORIN CURSCHELLAS & SINAFreitag, 8. Juli 2011 | 20.30 UhrTickets: ! 28 | CHF 39

NORWEGISCHE HYM NENKRISTIN ASBJŒRNSENSamstag, 9. Juli 2011 | 20.30 UhrTickets: ! 24 | CHF 34

KartenvorverkaufSchweiz: Vorverkauf bei ticketportal unter der Nummer 0900 101 102 (CHF 1.19/Min., Anrufe ab Festnetz), www.ticketportal.com, an jedem SBB/SOB und BLS Bahnhof, in über 100 Hotelplan-Filialen, in allen grösseren Coop-City-Warenhäusern, bei der BaZ am Aeschen-platz, im Kulturhaus Bider & Tanner mit Musik Wyler, bei der Infothek Riehenund weiteren Verkaufsstellen.

SBB RailAway-KombiMit der Bahn fahren und dabei sparen! Bis zu 20% Ermässigung auf die Hin-und Rückfahrt nach Lörrach (D), Kaiseraugst und Riehen und 10% Ermässi-gung auf den Eintritt. SBB RailAway-Kombis sind am Bahnhof oder beim RailService 0900 300 300 (CHF 1.19/Min. vom Schweizer Festnetz) erhältlich. Weitere Informationen unter: www.sbb.ch/railaway

ErmässigungenKinder von 6 bis 12 Jahren erhalten 50% Ermässigung für alle Konzerte in Augusta Raurica.

Alle Preise sind Vorverkaufspreise inkl. System- und Vorverkaufs-Gebühren. An der Abendkasse wird ein Zuschlag erhoben. EC- und Kreditkartenzahlungen sowie Gutschein-Einlösungen sind an denAussenspielorten nicht möglich.

AnreiseSTIMMEN-Shuttle: Die Eintrittskarte ermöglicht am Veranstaltungstag die kos-tenlose Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmittel im Tarifverbund Nordwest-schweiz (TNW), einschliesslich Shuttlebus ab den Bahnhöfen Augst und Kai-seraugst (zwischen 19.30 und 23.30 Uhr). Von/nach Basel: Regionalbahnen fahren von beiden Basler Bahnhöfen.Von/nach Lörrach: Per Bahn: Mit der Regio-S-Bahn 6 Richtung Basel und der Regionalbahn weiter nach Kaiseraugst. Vom Bahnhof sind esnoch 10 Gehminuten zum Theater Augusta Raurica.

PKW/Parken: A98 nach Rheinfelden, direkt nach der Grenze auf der Landstrasse den braunen Wegweisern «Augusta Raurica» und den Hin-weistafeln zu den Besucherparkplätzen folgen.

DAS ALKESTIS-SPIEL

THEATERGRUPPE RATTENFÄNGERVorstellungen: 19. | 20. | 23. | 24. | 25. | 31. August 2011 1. | 2. | 3. | 7. | 8. | 9. | 10. September 2011jeweils 20.15 Uhr

Ab 18.45 UhrAbendkasseTheaterrestaurant mit Nachtessen T 077 453 19 83 bei unsicherer Witterung

Vorverkaufwww.theatergruppe-rattenfaenger.chDropa Drogerie Dietschi, MuttenzBider & Tanner, Basel, T 061 206 99 96Buchinsel, Liestal, T 061 922 22 62Museumsshop Augusta Raurica

EintrittspreiseCHF 34 | 18Ticket gültig als ÖV-Fahrkarte innerhalb des TNWShuttle-Bus Bhf Kaiseraugst und Bushaltestelle Augst – Theater – und zurück

TRIUM PH & TRAUER

STADTM USIK BASELAKADEM ISCHES ORCHESTER BASELHeldenmusik von François-Joseph Gossec, Claude JosephRouget de Lisle, Etienne-Nicolas Méhul und Hector BerliozVorstellungen: 16. | 17. September 2011Ersatzvorstellung: 18. September 2011jeweils 20.00 Uhr

Ab 19.00 UhrAbendkasseSnacks & Getränke am Theater-Kiosk

Vorverkauf www.kulturticket.ch | T 0900 585 887 (Mo–Fr 10.30–12.30 Uhr | 1.20/Min.)ab 1. Juli 2011 und allen Vorverkaufsstellen mit kulturticket-AngebotReservationen im Museumsshop Augusta Raurica | T +41 61 816 22 22 ab 1. Juli 2011

EintrittspreiseCHF 34 | 18

und mit ihr schafft sie eine Vokalkunst, die sehr innerlich istund visionär zugleich, dem Text dienend und ohne affektierteArtistik, herzlich und beherzt. Für die einzigartige BündnerTonzauberin ist es ein Anliegen, dass das Rätoromanische keinfossiler Abdruck bleibt: Curschellas beweist mit ihrem Cant Ro-montsch, dass diese Sprache ein lebendiges Klangbild der Sehn-süchte, Hoffnungen, Träume und Freuden der Menschen in denTälern und auf den Höhen ist, das den Kontakt mit dem ganzenGlobus sucht.www.corin.ch

Sina residiert in der Schweizer Mundartmusik in der Königs-klasse. Man könnte sie eine Poprock-Sängerin mit Breitenwir-kung nennen. Die Walliserin wurde seit den frühen 1990er-Jah-ren mit zahlreichen gold- und platinveredelten Alben dieserGattung ausgezeichnet. Doch Sinas Projekte fächern sich in vie-le Richtungen auf: Sie war Moderatorin beim Schweizer RadioDRS, mit Erika Stucky drehte und vertonte sie Super 8-Filme, inChina arbeitete sie mit einer Underground-Band, in Bulgarienmit den berühmten Frauenchören. An Sarah-Vaughan- undFrank-Sinatra-Hits übte sie sich im Kreis des Swiss Jazz Or-chestra, am Schauspielhaus Zürich gab sie die Seeräuber-Jennyin der «Dreigroschenoper». Sina ist so wunderbar unberechen-bar, wie ihre schöne, dunkle Stimme Festigkeit verspricht: Die-ser warme, empfindsame, etwas bluesige, aber auch resoluteund selbstbehauptende Ton in ihrem Gesang, der auch jenseitsder Schweizer Landesgrenzen gefangen nimmt – ein Gesang,der vor allem immer sehr «wiiblich» tönt, wie es ihr früherNummer 1-Hit versprach. In ihrem aktuellen Programm «Ichschwöru» fährt sie orchestralen Sound auf, duettiert mit Pa-tent-Ochsner-Chef Büne Huber und beschwört die ewige Liebe.www.sina.li

Aussergewöhnliche (Frauen-)Stimmen an einem einzigartigen Schauplatz – für die Konzerte amEröffnungswochenende des Stimmen-Festivals 2011 in der Schweiz wäre kaum ein besserer Schau-platz denkbar als das Theater Augusta Raurica.Mit Corin Curschellas und Sina wird das antike Römische Theater in Augst am 8. Juli zur Bühnefür eine besondere «Schweizer Nacht», die im Zeichen verschiedener Stilarten des Cant Ro-montsch stehen wird. Am 9. Juli wird dann Kristin Asbjœrnsen mit ihren norwegischen Hymnendazu einladen, in die Welt des Gospel, Folk und Jazz einzutauchen. Zwei Konzerte, die an diesemOrt ganz besonders tönen und nicht nur die Mitwirkenden betören werden.

«CANT ROMONTSCH» UND «NORWEGISCHE HYMNEN» AM STIMMEN-FESTIVAL

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Der Stoff in der griechischen MythologieKönig Admetos von Thessalien erfährt durch ein Orakel, dasser sterben muss – er sich aber retten kann, wenn er jemandenvon vergleichbarem Stand findet, der sich für ihn opfert. Wederseine Getreuen noch seine Eltern sind dazu bereit. Seine jungeGattin aber geht für ihn in den Tod, und Admetos nimmt dasOpfer an.Herkules, gerührt von Admetos’ Gastfreundschaft trotz dessenTrauer um Alkestis, steigt in die Unterwelt hinab und gibt Al-kestis dem trauernden Gatten zurück.

DAS ALKESTIS-SPIEL

Die Spielfassung – Würden Sie für Ihren Mann/Ihre Frau sterben?Euripides hat den Stoff als Erster nachgedichtet. Er hält sich da-bei sehr eng an die hier kurz wiedergegebene Überlieferung.Gleiches gilt für die Dramatisierung Hugo von Hofmannsthals.Freiere und den Stoff erweiternde Fassungen stammen u.a. vonThornton Wilder, Alexander Lernet-Holenia und Erwin Wickert.Einige Fragen, die aus heutiger Sicht besonders interessant er-scheinen, werden aber von den bekannten Dramatisierungenweder gestellt noch berührt:- die Frage nach der Anmassung von Admetos, ein anderer habefür ihn zu sterben- die Frage nach dem Grund für Alkestis’ Handeln. Je nach Quel-le ist sie Mutter von zwei oder drei Kindern. Was gibt es fürGründe, sein Leben bewusst für jemand anderen hinzugeben?- die Frage nach der Zeit nach Alkestis’ Rückkehr aus dem Ha-des. Man kann sich vieles vorstellen, nur nicht, ihre Ehe gingenun so weiter wie vorher.

Die Spielfassung erzählt unter anderem die überlieferte Ge-schichte und bedient sich hierfür bei den oben erwähnten Auto-ren. Gleichzeitig stellt sie dem Stoff heutige, bewusst bodennah for-mulierte Szenen entgegen, welche die drei zentralen Fragen ausdem Hier und Heute diskutieren. Es entsteht eine Collage ausAlt und Neu, deren verbindendes Element ein grosser Chor ausheutigen Menschen ist. Aus ihm erwachsen die modernen Sze-nen, er ist es, der die entscheidenden Fragen stellt. So kann er –auch – als Spiegelbild des Publikums betrachtet werden. Die Schauspieler/innen mit Soloaufgaben agieren ebenfalls ausdem Chor heraus. Für ihre solistischen Auftritte lösen sie sichräumlich von diesem und spielen ihre Szenen in der Orchestra.Die nicht stücktragenden Figuren kehren anschliessend in denChor und damit auf die Podesterie zurück, sie «verschwinden»wieder in der Masse.

MusikDer Chor tritt hauptsächlich sprechend, aber auch singend auf.Die sechs Lieder von Bach bis modern dienen der Rhythmisie-rung und bringen mit der zusätzlichen Klangfarbe eine atmo-sphärische Veränderung ins Spiel. Ein Klavierquartett unter der Leitung von Ruth Jeker über-nimmt sowohl die Begleitung der Lieder als auch eigenständigemusikalische Aufgaben, die zum Teil improvisiert werden (Un-termalung von Szenen, Szenenübergänge, atmosphärische Ver-dichtungen).

NORWEGISCHE HYM NENKRISTIN ASBJŒRNSENSamstag, 9. Juli 2011 | 20.30 Uhr

2010 eröffnete sie das Stimmen-Festival mit einer unvergessli-chen, gospelgetränkten Nacht. Nun kehrt die Norwegerin, diedas «Hamburger Abendblatt» als «samtgoldene Gottesanbete-rin» pries, im Open-Air-Kontext von Augusta Raurica zurück,weil sie im vergangenen Jahr einfach zu kurz gekommen ist!Die Pfarrerstochter Kristin Asbjœrnsen hat sich von ihrer nor-dischen Heimat aus auf einen ganz erstaunlichen Weg gemacht.Zunächst in den Jazzrock- und Trip-Hop-Bands Dadafon undKrøyt sowie als Soundtrackerin für den Film «Factotum» aktiv,tauchte sie mit ihrer rauchig-kratzigen, bluesigen und zugleichtransparenten, federleichten Stimme tief ein in das Lob desHöchsten, so wie es auf der anderen Seite des Atlantiks gepflegtwird. Afro-amerikanische Spiritualität ist ihre Sangesheimatgeworden, und sie reichert sie mit dem Geist skandinavisch-protestantischer Hymnen sowie ihrer ganz eigenen Musikspra-che an. Sie bewegt sich damit angstfrei und voller Mut irgendwozwischen den Welten von Folk, Jazz und afrikanischen Pinsel-strichen.Asbjœrnsen greift Spirituals aus dem kollektiven Erbe derAmerikaner auf, unter ihnen das berühmte «Wayfaring Stran-ger». Sie zitiert aus der Sammlung ihrer Gesangslehrerin RuthReese, einer Schwarzen aus Chicago, die einst vor rassistischenÜbergriffen nach Oslo flüchtete. «Diese Songs gründen in dieserstarken Hoffnung und in dem Glauben, dass aus etwas Zerbro-chenem Schönheit werden kann», sagt sie selbst über ihre Vor-liebe für Gospels. Daneben kann die nordische Sängerin mit derroten Lockenmähne auch andere Songwriting-Facetten aus-spielen: Ein sanfter Cellobogen, Tupfer am Piano und die ein-fühlsam umhergleitenden Slides der Lap-Steel-Gitarre bereitenihrer Stimme einen sanften und zugleich erdigen Boden, aufdem sie ihr vielschichtiges Repertoire wachsen lässt. «Da brei-tet sich mal elfenhafte Märchenstimmung aus, mal verzweifel-

tes Flehen, mal hymnisches Jubilieren», schrieb die «BadischeZeitung» nach Asbjœrnsens letztjähriger Burghof-Premiere.«The night shines like the day» heisst ihr aktuelles Album – undmit ihrer nordisch schimmernden und südlich befeuertenLeuchtkraft wird Kristin Asbjœrnsen der Nacht im Römerthea-ter funkelnden Zauber verleihen.www.kristinsong.com

Theatergruppe Rattenfängernach Euripides, Wilder, Hofmannsthal und anderen19. August bis 10. September 2011, 20.15 Uhr

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Mitwirkende

SchauspielensembleNicole Aubry Héritier, Regina Graus, Stephanie Feddern, ErikaHaegeli Studer, Kristiina Kanholt-Siemer, Nathalie Müller, Ve-rena Obrist, Natalie Sameli, Cornelia Soliva, Livia StuderSämi Bally, Christian Giese, Peter Jesse-Clemann, Rainer Het-tenbach, Ramon Krieg, Tobias Meyer, Niggi Reiniger, TobiasScheidegger, Alain Sigg, Stefan Uelinger, Christian von Tobel,Peter Wyss

ChorKarin Bongartz, Theresa Brunner, Elwina Bucciolini, AndreaDanne, Rosmarie Giese, Viola Giese, Vinzent Gisi, Annelies Gla-ser, Margrit Graf, Erika Honegger, Brigitte Jost, Monika Junker,Janine Kissling, Reiner Luginbühl, Susi Luginbühl, JohannaMaetzke, Andrea Reiniger, Angela Rodoni, Annemarie Sauter,Anne Spiess, Salome Tramèr, Franziska Uebers, Gaby Weis, Da-niela Werner Sigg, Angelika Willburger

Regie, RaumDanny Wehrmüller

Musikalische LeitungRuth Jeker

Bühnenbild und KostümeKurt Walter

TechnikChristoph Ritter, Bea Betschart

«theatergruppe rattenfänger» Die «theatergruppe rattenfänger» wurde 1989 gegründet. DerName des Ensembles leitet sich vom ersten gemeinsamen Stückab, das ein Jahr später in der hinteren Burgruine auf dem War-tenberg die Tradition der Freilichtspiele in Muttenz einläutete:Gespielt wurde «Der Rattenfänger» von Carl Zuckmayer.Seither ist es das Ziel der Gruppe, mit anspruchsvollem und le-bendigem Amateurtheater zur Belebung des kulturellen Le-bens in Muttenz und in der Region beizutragen.Bisher sind – an stets wechselnden Spielorten – 21 sowohl vonden Stücken als auch vom Stil her sehr unterschiedliche Pro-duktionen entstanden, 19 davon unter freiem Himmel.Oft hat sich das Ensemble – seit seiner Gründung unter der Lei-tung von Regisseur Danny Wehrmüller – bewusst grosse Schu-he angezogen, um während der Probenarbeit langsam hinein-zuwachsen. Fast jedes Genre des Sprechtheaterrepertoires wur-de so schon bespielt, vom Märchen für Erwachsene bis zum po-litischen Thesenstück, vom Festspiel bis zur modernen Bear-beitung klassischer Stoffe, vom Drama bis zur musikalischenKomödie, von der Commedia dell’arte bis Shakespeare...Dass die «theatergruppe rattenfänger» trotz dieser Vielfalt derAnsprüche ein unverwechselbares Gesicht erhalten hat, liegt si-cher an der kontinuierlichen Ensemblearbeit, welche die Mit-wirkenden auf und hinter der Bühne und die künstlerische Lei-tung umschliesst. Aus dieser Kontinuität und Vertrautheit –durch neu hinzukommende Mitstreiter/innen immer wieder be-reichert und herausgefordert – erwächst die Kraft, tatendurs-tig, neugierig und wach zu bleiben, was letztlich eine Hauptvo-raussetzung für fast jede Art von Kunst ist.(www.theatergruppe-rattenfänger.ch)

Preise:1995 Kulturpreis der Gemeinde Reinach (Regie)1999 Kulturpreis der Basellandschaftlichen Kantonalbank2003 Kulturpreis der Gemeinde Muttenz

PROGRAM MHYM NE À LA LIBERTÉ (LA MARSEILLAISE)Claude Joseph Rouget de LisleSMB & aob

DEUX MARCHES DE LA RÉVOLUTION FRANÇAISEI. Marche victorieuse | 2. Marche militaireFrançois-Joseph GossecSMB

LA CHASSE DU JEUNE HENRI (OUVERTURE)Etienne-Nicolas Méhulaob

SYM PHONIE POUR M USIQUE M ILITAIREFrançois-Joseph GossecSMB

GRANDE SYM PHONIE FUNÈBRE ET TRIOM PHALEHector BerliozSMB & aob

TRIUMPH & TRAUER

Hymne à la liberté – La MarseillaiseRouget de Lisle (1760–1836) soll in der Nacht auf den 26. April1792 in Strassburg dieses Lied unter dem Titel «Chant de guerrepour l’armée du Rhin» geschrieben haben. Anlass war dieKriegserklärung des revolutionären Frankreich an Österreich. Beim Text liess sich Rouget de Lisle von der kämpferischen re-publikanischen Propaganda der damaligen Zeit und den revolu-tionären Umwälzungen in Frankreich beeinflussen. Es ist im-mer noch ungeklärt, ob die Musik tatsächlich von ihm stammt;mehrere Namen wurden genannt.Die «Hymne à la liberté» ist vor allem unter dem Namen «LaMarseillaise» bekannt. Der Grund: Als es gegen Ende Juli 1792in Paris immer mehr zu bewaffneten Auseinandersetzungenkam, rückte ein Kontingent von republikanischen Soldaten ausMarseille ein, das bei seinem Einzug die «Hymne à la liberté»von Rouget de Lisle sang. Bereits am 14. Juli 1795 wurde dasLied zur Nationalhymne erhoben. Im weiteren Verlauf der Ge-schichte wurde die «Marseillaise» allerdings immer wieder alssolche abgesetzt (zum ersten Mal durch Napoleon als Kaiser)und wieder eingesetzt. Erst seit der Verfassung von 1946 (IV. Re-publik) ist sie dauerhaft die offizielle Nationalhymne vonFrankreich.

Deux Marches de la Révolution françaiseFrançois-Joseph Gossec (1734–1829) ging nach ersten musikali-schen Unterweisungen im heimatlichen Hennegau 1751 nachParis und erlernte dort die Komposition. Die ersten sechs Sinfo-nien veröffentlichte er 1756. Trotzdem er jahrelang von adeligenMäzenen unterstützt worden war, zeigte sich Gossec von denIdeen der Französischen Revolution begeistert. 1790 kompo-nierte er ein Te Deum für Männerchor und Blasorchester für ei-ne Revolutionsfeier auf dem Champ de Mars am 14. Juli.Der überaus produktive Gossec wurde zum offiziellen Kompo-nisten der Französischen Republik und verfasste zahlreiche re-präsentative Werke für die Festlichkeiten der Revolutionszeit.Einige seiner Werke gelten sozusagen als Standardwerke für dieRevolutionszeremonien.

La Chasse du jeune Henri (Ouverture)Etienne-Nicolas Méhul (1763–1817) galt neben François-JosephGossec als der Komponist der Französischen Revolution. Sein«Chant national du 14 Juillet 1800», der von Napoleon nach derSchlacht von Marengo bestellt worden war, bekam fast denRang einer Nationalhymne. Er wurde aber vor allem durch sei-ne mehr als 40 Opern bekannt, daneben komponierte er sechsgrosse Klaviersonaten, drei Ballette, sechs Sinfonien, Bühnen-musiken und Messen. Neben seinem Zeitgenossen und Rivalen Jean François Lesueurhat sich Méhul um die Erweiterung der Stoffe in der Oper ver-dient gemacht. Auf ihn gehen einige kühne Neuerungen in derOrchestrierung zurück. Aus Ludwig van Beethovens Briefen ist

Stadtmusik Basel (SMB) und Akademisches Orchester Basel (aob)Augusta Raurica 16./17./(18.) Sept. 2011

Theater Augusta Raurica | Spielzeit 2011 Theater Augusta Raurica | Spielzeit 2011

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zu ersehen, dass er den Kompositionen Méhuls grosses Interes-se entgegengebrachte. Méhul gilt als Pionier in der Verwendungvon Leitmotiven. Seine Meisterschaft im Umgang mit sinfoni-schen Formen und rein orchestralen Werken kommt bereits inden Ouvertüren zu seinen Opern zum Ausdruck. Eine davon istdie Ouvertüre zu «La Chasse du jeune Henri». Nach einer lang-samen Einleitung, welche an Haydns sinfonische Einleitungenerinnert, wird die Jagd durch vier schmetternde Hörner eröff-net. Méhuls «revolutionäre» Musik wurde im deutschen Sprach-raum oft und gern gespielt, geriet jedoch zunehmend in Verges-senheit. Seit Kurzem erleben seine Sinfonien eine Renaissance.Erkannt wird der musikalische Einfluss, nicht zuletzt auf dieMusik Mozarts, Haydns und vor allem Ludwig van Beethovens.

Grande Symphonie funèbre et triomphale, op. 15Hector Berlioz (1803–1869) gilt als wichtiger Vertreter der Musikder Romantik in Frankreich, obwohl er selbst dem Begriff Ro-mantik nichts abgewinnen konnte: Er verstand sich als klassi-scher Komponist. Berlioz gilt als Begründer der sinfonischenProgrammmusik und der modernen Orchesterinstrumentati-on. Seine für die damalige Zeit revolutionären Kompositionenwurden kaum verstanden und trugen ihm mehr Kritik als Lobein. Deshalb musste er seinen Lebensunterhalt zusätzlich alsMusikkritiker bestreiten. Erst lange nach seinem Tod erfuhrBerlioz in Frankreich Anerkennung. Er war jedoch ein grossesVorbild für viele der jungen Romantiker. Entscheidend war seinEinfluss auf Franz Liszt, Richard Strauss und viele russischeKomponisten.1840 plante die französische Regierung anlässlich des zehntenJahrestags der Revolution von 1830, die Leichen der damals Ge-fallenen in ein neues Ehrenmal an der Place de la Bastille um-zubetten. Berlioz bot dafür die Komposition einer «grossenTrauer-Sinfonie» an, die während der Feierlichkeiten gespieltwerden sollte. Er soll das Werk in nur 40 Stunden niederge-schrieben haben, verwendete dafür allerdings Material aus frü-heren, aufgegebenen Projekten. Die Grande Symphonie funèbre et triomphale wurde wie vorge-sehen bei den Feierlichkeiten in Paris am 28. Juli 1840 uraufge-führt. Sie folgt dem Vorbild der gross besetzten, zeremoniellenBlasmusiken von Gossec, Cherubini, Catel und anderen aus derZeit der Revolution von 1789 und der Napoleonischen Ära. Es handelt sich hier um das erste grossformatige Werk über-haupt für Blasorchester, das Eingang in das Band-Repertoirefand, in der Besetzung schon ähnlich heutigen Blasorchestern.Der eröffnende Marche funèbre ist ein feierlicher, ausgedehnterMarsch in einer schlichten Sonatenform, bemerkenswert we-gen seiner langatmigen Melodien. Gedämpfte Trommeln sindim ganzen Satz zu hören, wie auch später wieder im Finale. Derzweite Satz, Oraison funèbre, geht nach einem dramatischenTutti-Akkord direkt in ein wortloses Rezitativ mit Arie für Solo-Posaune über. Die Posaune übernimmt die führende Melodie;die Bläser fungieren als Begleitung und als Chor, der die An-sprache kommentiert. Die finale Apothéose beginnt mit einemTrommelwirbel und einer Fanfare, Berlioz zufolge «ein Trom-petenstoss der Erzengel, schlicht, aber sublim, grenzenlos,schimmernd, ein immenses Strahlen, anschwellend und wider-hallend, Himmel und Erden das Öffnen der herrschaftlichen To-re verkündend».

Philipp WagnerSeit 1989 leitet Philipp Wagner (*1965) die Stadtmusik Basel undseit 2004 deren Big Band – die SMB Big Band. Er schloss 1989sein Studium als Blasorchesterdirigent und 1990 sein Lehrdi-plom für Trompete an den Konservatorien von Basel und Lau-sanne ab. Heute arbeitet Philipp Wagner als Berufsmusikin-struktor im Kompetenzzentrum Militärmusik in Aarau, wo erals Chef Ausbildung tätig ist. Im Rahmen seines Militärdienstesleitet er das Symphonische Blasorchester des Schweizer Ar-meespiels.

Raphael ImmoosRaphael Immoos studierte Kirchenmusik an der Musikhoch-schule Luzern und schloss mit dem Berufsdiplom für Orgel undChorleitung ab. Es folgten Meisterkurse mit Qualifikationen anden internationalen Sommerakademien in Biel (Orchesterlei-tung) und in Stuttgart (Gächinger Kantorei, Helmut Rilling)und weitere Studien bei Tomas Koutnik (CZ), Kirk Trevor undTsung Yeh (USA). Seit 1995 ist Raphael Immoos Dozent fürChorleitung an der Hochschule für Musik, dirigiert den Hoch-schul- und den Kammerchor sowie das Vokalensemble der Ge-sangsklassen. Seit November 2000 ist er Dirigent des Akademi-schen Orchesters Basel und seit 2004 künstlerischer Leiter vonCAPPELLA NOVA. Rundfunk- und CD-Aufnahmen sowie Gast-auftritte mit Chören und Orchestern im In- und Ausland doku-mentieren eine vielseitige Tätigkeit. Ein besonderes Anliegensind Raphael Immoos die Aufführung zeitgenössischer und dieRecherche unbekannter Musik.

Björn JensenNach einem Schauspielstudium in Stuttgart arbeitete er als Re-gieassistent u.a. bei Herbert Wernicke, Jürgen Flimm, FrankCastorf und Christoph Marthaler an den Opern in Zürich, Ba-sel, Salzburg u.a.. Neben eigenen Regien – ausschliesslich Ur-aufführungen im Musiktheater – als künstlerischer Betriebsdi-rektor im Gare du Nord in Basel tätig. 2006 Abschluss Master ofAdvanced Studies in Arts Management in Basel. 2007 Gründungder Firma dieproduktion GmbH, die international u.a. fürChristoph Marthaler, Ueli Jäggi und Anna Viebrock arbeitet.

Wie etwas aussieht, hängt bekanntlich von der Perspekti-ve des Betrachters ab. Auf dem Binninger Margarethenhügel istdas auffällige Dach des Basler Stadttheaters noch bestens sicht-bar. Mit zunehmender Distanz dominieren aber Kirchtürme,Hochhäuser, Kamine, Fabriken und das Flussband des Rheinsdie Ansicht von Basel und das Stadttheater geht im Häusermeerauf. Dennoch blinkt der «Leuchtturm» sinnlich, intellektuellund emotional bis in die Oberbaselbieter Gemeinden – selbstwenn man sich dort tatsächlich nur über vermeintlich ver-schleuderte Kulturmillionen ärgern sollte. Bei den vergange-

nen Debatten rund um die Theaterabstimmung und die Kontro-versen über «ländliche» versus «städtische» Kultur kam derBlick fürs Ganze bisweilen auf beiden Seiten der Hülftenschan-ze abhanden. Das Theater Basel thront nicht als einzelner«Leuchtturm» auf weiter Flur am Rhein, sondern ist in einerüberregionalen Theaterlandschaft verankert, der auch das Ba-selbiet angehört. Das macht eine so lesenswerte wie amüsante,im letzten Jahr erschienene Publikation klar. Die Theaterwis-senschaftler Christel und Rudolf Denk behandeln die Theater-landschaft in der «offenen Metropolregion Oberrhein» aus his-

VON WALDENBURG BIS JAFFA –EINE REISE ZUM THEATER AUF DEM LANDEGibt es jenseits des Stadtkantons ein eigenständiges Theaterleben oder handelt es sich einfach umstädtische Theaterkultur, die sich aufs Land verirrt hat? Wo liegen die Ursprünge, Bezugspunkteund Hotspots dieser Theaterszene? Wer sind ihre Akteurinnen und Akteure? — Von Jana Ulmann(Text) und Susanne Schenker (Bilder)

Theater Augusta Raurica | Spielzeit 2011

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torischer und struktureller Perspektive. Das Gebiet wird als ge-meinsamer Kulturraum situiert und reicht von der Südpfalzund der alten Kurpfalz bis in die beiden Départements des El-sass und von Südbaden bis in die Kantone der Nordwest-schweiz. Die darin eingeschlossenen Stadttheater und kleine-ren Spielorte verbinde theatralische Kontinuität und eine be-sondere Exzellenz, so die Behauptung.

Ein gemeinsamer Kulturraum Oberrhein bedeutet aucheinen Raum, in dem verschiedene Theaterformen nebeneinan-der existieren und sich lokale Eigenheiten ausbilden können.Wie also sieht die Topografie der Theaterlandschaft BL aus undwie profilieren sich die Theaterschaffenden selbst darin?

Michael Huber lebt und arbeitet schon lange in Liestal.Letztes Jahr wurde er für sein poetisches Figurentheater für Fa-milien mit dem Baselbieter Kulturpreis ausgezeichnet. SeinePerspektive auf die Theaterlandschaft wirkt erfrischend undhat mit dem verengten Blick, die der Begriff «ländliche Kultur»gerne assoziiert, nichts gemein. «Der Bezug zur städtischenKunst- und Theaterszene ist sicherlich wichtig, aber die Basel-bieter Theaterschaffenden haben ihr eigenes Profil, weil sie mitanderen Vorzeichen umgehen müssen. Auf dem Land gibt esmehrere dezentrale Spielorte, die weniger hierarchisch organi-siert sind. Das bietet die Chance, eine grössere Nähe zum Publi-kum zu erreichen, eine grössere Identifikation mit der Kultursogar. Je herausragender, je bedeutender, je grossartiger einTheater ist, so scheint es mir manchmal, desto weniger Bezugfinden manche Bevölkerungsschichten dazu. Eine Migrantenfa-milie aus der Längi geht kaum ins Stadttheater! Für mich wares eine bewusste Wahl, an dem Ort auch zu arbeiten, wo ich le-be und mich wohlfühle. Ich bin davon überzeugt, dass der Ort ei-ne Wirkung hat und dass unsere Arbeit darauf zurückwirkt.»

Der Gedanke, dass Strukturen die Mentalität mehr prägenals Inhalte, öffnet den Horizont für eine Denkbewegung, die ei-nerseits den Blick für das grössere Ganze nicht aus den Augenverliert und zum anderen lokale Eigenarten auszumachen ver-mag. Dass der Horizont so weit bisweilen doch nicht ist, weissAdrian Meyer aus eigener Erfahrung. Er ist seit Langem imKanton Aargau als freier Theaterschaffender tätig, lebt in Gel-terkinden und engagiert sich dort im Verein des Theaters Ma-rabu. Seiner Erfahrung als «Grenzgänger» entspricht, dass geo-grafische Grenzen in Sachen Kultur wichtiger sind als politi-sche. So hat die Theaterlandschaft hinter dem Jura andere Be-zugspunkte. Das gesamte Mittelland orientiert sich eher nachBern, obwohl unsere hypermobile Gesellschaft Distanzen mitneuen Strassen, Tunnels, Zug- oder Busverbindungen perma-nent schrumpfen lässt.

Theaterlandschaft historischDie Topografie der Baselbieter Theaterlandschaft war

und ist in Bewegung. Rein historisch gesehen fanden grosseAufbrüche auch hier in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundertsstatt. Im Baselbiet rang man nach der Kantonstrennung von1832/33 vorerst noch um Ebenbürtigkeit mit der Stadt und umkulturelles Selbstbewusstsein. Folgende Meldung aus dem «un-erschrockenen Rauracher» vom 18. Februar 1835 zeigt, dass dasländliche Volkstheater sich gerne im Wettstreit zum städti-schen Nachbarn definierte: «Liestal. Seit einigen Wochen lebenwir hier auch ein wenig grossstädtisch und residenzlich; wir ha-

ben auch unser Theater, wie jede andere Hauptstadt, wie Basel,Zürich u. s. w. Lustspiele, Schauspiele, Opern wechseln mit ei-nander ab, und die sorgfältigen Bemühungen des Herrn Schau-spieldirectors L. Collot verschaffen uns manchen angenehmenAbend. Und gewiss dürfen wir ohne Ruhmredigkeit melden,dass selbst grössere Theater nicht oft bessere Schauspieler auf-weisen als unsere kleine Bühne. Jedes Mitglied derselben ist inder Regel seiner Rolle gewachsen und wenn dann und wann ei-ne Rolle besser gelernt werden dürfte, damit der Souffleur seineLunge besser schonen könnte, so ist dies zwar zu rügen aber derUmstände wegen manchmal zu verzeihen.»

Diese Strukturen änderten sich noch eine ganze Weilenicht. Noch 1944 umschreibt der Erziehungsdirektor des Kan-tons Basel-Landschaft das kantonale Berufs- und Laientheaterfolgendermassen: «Der Kanton besitzt kein eigenes Theater. DieMusik-, Gesangs- und Turnvereine der Gemeinden beschäftigensich von Zeit zu Zeit mit der Aufführung von Laientheatern. DieInteressenten der Berufstheater besuchen das Basler Stadt-theater, das auch seitens des Kantons Baselland finanziell un-terstützt wird.»

Das Laientheater spielt im Baselbiet auch heute noch einegrosse Rolle. So aussergewöhnlich ist dies allerdings für Schwei-zer Verhältnisse nicht. In unvollständiger Liste zählt der Regio-nalverband Nordwestschweiz des Schweizer Zentralverbandesfür Volkstheater 46 angeschlossene Vereine auf. Das ist ordent-lich, wenn auch der Blick auf die Mitgliederlisten der anderenRegionalverbände zeigt, dass es durchaus aktivere Gegendengibt. Zu beobachten ist, dass viele Laientheatergruppen sich be-wusst öffnen, manche arbeiten mit professionellen Regisseurenzusammen. Die Grenzen zwischen Profis und Laien scheinennicht mehr so starr wie ehedem. Diverse Feierlichkeiten in derStadt und auf dem Land bedienen sich noch immer gerne desLaientheaters. An kantonalen und nationalen Turn-, Schützen-und Schwingfesten, bei Feiern des Beitritts von Basel zur Eid-genossenschaft oder auch zum Jubiläum der Kantonsgründungspielen und spielten Laiengruppen auf.

Stellvertretend für all diese grösseren und kleineren Spek-takel soll hier «Brand von Pratteln» erwähnt werden. Das Stückvon Ruedi Brassel rollte zum 175-jährigen Jubiläum der Kan-tonsgründung im Jahr 2008 in szenischen Bildern den histori-schen Brand von Pratteln am Originalschauplatz auf. In der Wo-che rund um den 5. August wurde das Stück acht Mal bei bestem

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Wetter im Dorf gespielt. Mit immensem Aufwand und riesigempyrotechnischem Aufgebot inszenierte die umtriebige PrattelerLaienbühne unter der Regie der Präsidentin Dorette Dürr ein ei-gentliches Spektakel. Das Stück war so gut besucht, dass die 250Sitzplätze jeweils behelfsmässig durch eilends herbeigeschlepp-te Stühle ums Doppelte aufgestockt werden mussten.

Die Entwicklung einer professionellen, freien Theatersze-ne, geprägt von vielen individuellen Figuren und Gruppen, dienach einer eigenen künstlerischen Handschrift suchen, hängtmit der 68er-Bewegung zusammen. Deren Forderung nach derDemokratisierung der Kunst und nach alternativen Kulturräu-men führt in den 1970er- und 1980er-Jahren auch in der Regionzur Gründung zahlreicher Theater und Formationen, die bisheute wichtig sind. 1974 gründen Gerd Imbsweiler und Ruth Os-walt das Vorstadttheater in Basel. 1977 nimmt das Junge Thea-ter Basel Fahrt auf. 1978 initiieren Niggi Lehmann, Niggi Mes-serli, Christian Schweizer und Peter Jakob das Kulturhaus Pa-lazzo. Das Theater auf dem Lande in Arlesheim besteht seit1980, die Kulturwerkstatt Kaserne öffnet ihre Tore im selbenJahr. Seit 1984 gibt es sogar ganz hinten im Waldenburgertal einkleines Theater. Auf der Bühne des Theaters im Pfarrhauskel-ler hielten schon Peter Bichsel, Niklaus Meienberg, Otto F. Wal-ter und Franz Hohler Lesungen.

Hotspots – die SpielorteBühnen, auf denen leidenschaftlich Theater produziert

und gespielt wird, finden sich heute an Orten, wo früher Postsortiert (Theater Palazzo Liestal), geschlachtet (KulturforumLaufen), Kinofilme gezeigt (Theater Roxy in Birsfelden, Marabuin Gelterkinden und bis vor Kurzem auch Neues Theater amBahnhof in Dornach) oder Tricotwäsche (Obere Fabrik Sissach)produziert wurde. Die Hotspots der freien Theaterszene richte-ten sich also auch im Baselbiet dort ein, wo Raum verfügbarwar, aber wo ursprünglich keine Kultur- oder Theaterbetriebegeplant waren. Eine Ausnahme bildet das antike Römertheaterin Kaiseraugst. Allerdings diente es im zweiten Jahrhundertnach Christus mindestens zeitweise als Arena für blutrünstigeKämpfe. Wo auch immer: Ohne Spielorte geht es nicht, sie sinddie Bezugspunkte für kulturelles Leben, mit ihnen kann sichdie Bevölkerung identifizieren. Aber auch wenn die Aufzählungder grösseren regionalen Theaterräume auf den ersten Blickrecht ergiebig scheint – für die Theaterschaffenden selbst istder Mangel an günstigen Proberäumen und passenden Bühnenimmer ein Thema, für das Abhilfe gefunden werden muss.

Wo das Theater «brodelt»Weder in Basel noch im Baselbiet gibt es einen Ausbil-

dungsort für professionelle Theaterschaffende. Das heisst nochlange nicht, dass junge Menschen sich nicht für Theater inte-ressieren würden oder dass es keinen Nachwuchs gäbe. Das Ge-genteil scheint eher der Fall. Die Jury der Theatertage «Treib-stoff», einer Plattform für die Nachwuchsförderung, sieht sichvon Ausgabe zu Ausgabe mit einer stetig wachsenden Zahl vonGesuchen konfrontiert.

Ein Teil der Theatersozialisation findet in den Schulenstatt. Theaterbesuche und Treffen mit Theaterleuten auch imeigenen Klassenzimmer gehören dazu, aber am fruchtbarstensind sicherlich die eigenen Versuche, Theater zu machen – egal,

ob als Regisseurin, Dramaturg, Schauspielerin, Bühnenbildner,Maskenbildnerin und so weiter. Am Gymnasium Liestal und amGymnasium Oberwil haben sich um die beiden Regisseure UrsBlindenbacher und Kaspar Geiger eigentliche Theater-Keimzel-len entwickelt. Hier wird auf hohem Niveau und mit grosserSpiellust Theater gemacht und nicht selten der Grundstein füreinen späteren Schritt ins professionelle Theaterleben gelegt.Der Schauspieler und Regisseur Manuel Bürgin etwa wuchs inReigoldswil auf. Die Wurzeln seines Theaterschaffens ortet erklar im Theaterkurs am Gymnasium Liestal. Danach kam dasJunge Theater Basel, und wie manche, die da landeten, machteer im Anschluss eine Schauspielausbildung. Nach Lehr- undWanderjahren lebt und arbeitet er nun in Zürich und hat sichunterdessen als Regisseur der freien Theaterformation Fax anMax einen Namen gemacht. Insgesamt drei Inszenierungenwurden im Theater Roxy in Birsfelden und in der Kaserne Baselgezeigt, zuletzt «Fortschritt. Ein Céline-Projekt». Manuel Bür-gin gilt als vielversprechender junger Regisseur. Schon jetzt ister national und international vernetzt und produziert seine In-szenierungen in Kooperation mit anderen Spielorten in Bern,Zürich, Luzern und Berlin.

Das Beispiel von Manuel Bürgin zeigt auch, dass die über-regionale Wirkung des Jungen Theater Basel wohl kaum zuüberschätzen ist. Das Jugendtheater produziert mit professio-nellem Anspruch kontinuierlich zwei Stücke pro Jahr. Es ist einErfolgsmodell, das man gerne als «Talentschmiede» bezeichne-te, klänge das nicht so bierernst. Denn beim JTB steht die Lust,

Theater zu machen, im Mittelpunkt. Die Besetzungslisten desStückarchivs sind jedenfalls staunenswert. Viele «Ehemalige»haben sich unterdessen national und international profiliert,darunter, um nur einige der letzten Jahrgänge zu nennen, Rafa-el Sanchez, Sebastian Nübling, Michael Koch oder auch TabeaMartin und Matthias Mooij.

Christoph Marthaler – ein Baselbieter Theaterurgestein?Eine vollständige Auflistung aller Theaterschaffenden

der Region ist nicht die Aufgabe dieses Textes. Vielmehr sollenein paar Schlaglichter die Vielfalt der Szene beleuchten. DerBlick auf die Liste der Empfängerinnen und Empfänger derjährlich verliehenen Baselbieter Kultur- und Spartenpreisebleibt an einem klangvollen Namen hängen. 1992 erhält Chris-toph Marthaler den Spartenpreis für sein Theaterschaffen. Erist wie andere Preisträgerinnen und Preisträger vor und nachihm kein Baselbieter. Warum also der Baselbieter Kulturpreis?Will man sich da vielleicht auf dem Land einfach einen Schim-mer Künstler-Glorie sichern? Die Fachgruppe für Theater undTanz BL begründet die Preisvergabe unter anderem mit den in-novativen künstlerischen Impulsen, die der Regisseur und Mu-siker mit seinen musikalischen Theaterabenden «angesichtsder herrschenden künstlerischen Flaute – nicht zuletzt auch imfreien und im Amateurbereich» dem zeitgenössischen Theater-schaffen der Region zu verleihen vermag.

Zwei Dinge an diesem Nominationstext sind so interes-sant wie bekannt. Zum einen ist da wieder der Bezug zum Thea-

ERÖFFNUNGSKONZERT KASERNE LIESTAL, DREIFACHTURNHALLEFR 9. SEPT. 2011, 19.30 UHRSymphonisches Blasorchester Schweizer Armeespiel Maj Philipp Wagner, LeitungViva Cello-Orchester Ivan Monighetti, LeitungVioloncello-Solistinnen und -Solisten Werke von G. Rossini, F. Gulda, J. Offenbach und A. Knaifel

A WAY TO IMMORTALITYSTADTKIRCHE LIESTAL, SA 10. SEPT. 2011, 13.30 UHRJean-Guihen QueyrasSolosuiten von J.S. Bach

IST KLANG DER SINN?STADTKIRCHE LIESTAL, SA 10. SEPT. 2011, 15.30 UHRThomas Demenga und sein CelloensembleWerke von J. Wyttenbach, T. Demenga, P. Boulez und S. Barber

IN MEMORIAM MSTISLAV ROSTROPOVITCHSTADTCASINO BASEL, SA 10. SEPT. 2011, 20.00 UHR basel sinfonietta, Michal Klauza, Leitung Sol Gabetta, Mischa Maisky, Ivan Monighetti, Kian Soltani Werke von B. Romberg, L. Boccherini, A. Ginastera, M. Bruch und K. Penderecki

SOFIA GUBAIDULINA ZUM 80. GEBURTSTAGSTADTKIRCHE LIESTAL, SO 11. SEPT. 2011, 11.30 UHRBasilea Guitar Ensemble, Irena Zeitz, OrgelAlexander Rudin und Marcis Kuplais Werke von S. Gubaidulina und V. Silvestrov

…VIVE LE ROMANTIQUE…STADTKIRCHE LIESTAL, SO 11. SEPT. 2011, 14.30 UHRIvan Monighetti und Alexander KniazevPavel Gililov, KlavierSonaten von F. Chopin und C. Franck

VON BAROCK BIS ROCKHOTEL ENGEL LIESTAL, SO 11. SEPT. 2011, 16.30 UHRRastrelli Cello Quartet

ABSCHLUSSGALA FOR VIVA CELLO WITH LOVE…STADTKIRCHE LIESTAL, SO 11. SEPT. 2011, 19.30 UHRNicolas Altstaedt, Thomas Demenga, Sol Gabetta, Alexander Kniazev, Mischa Maisky, Ivan Monighetti, Emil Rovner u.a.; Riccardo Bovino und Pavel Gililov, KlavierÜberraschungsprogramm nach Ansage

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ter Basel, das unter der Intendanz von Frank Baumbauer blüht;zum anderen die Erwartung seitens des Publikums und nichtzuletzt seitens der offiziellen Kulturförderung an die freie Sze-ne, sie solle innovative Impulse aufzunehmen, um gleichsam ei-ne eigene Theatersprache zu kreieren. In diesem Jahr wirdChristoph Marthaler übrigens für die «kreative Originalitätund die grosse Resonanz auf der internationalen Bühne» mitdem Hans-Reinhart-Ring geehrt, der herausragende Verdienstefür das Theater auszeichnet.

Eigene Wege, eigene TheatersprachenNatürlich prägen Persönlichkeiten die Theaterlandschaft

der Region. Sie bescheren dem Publikum mit ihren eigenenHandschriften einprägsame Theaterabende und reflektierendie Welt in einem anderen Licht. Die Schauspielerin Serena Weyist eine solche Theaterpersönlichkeit, die seit mehr als 25 Jah-ren ihre Leidenschaft für Sprache und Wörter umtreibt. Ihr epi-sches Erzähl-Theater bringt zeitgenössische Romane wie BirgitVanderbekes «Das Muschelessen», Zsuzsa Bánks «Der Schwim-mer», Aglaja Veteranyis «Warum das Kind in der Polenta kocht»oder «Der Schattenfuchs» von Sjón auf die Bühne. In dichtenBildern packt sie ihre Texte in eine äusserst reduzierte Büh-nenanlage, die auch die Lifemusik zum Mitspieler werden lässt.

Fast den gleichen Jahrgang wie Serena Wey hat die freieSchauspielerin, Regisseurin und Theaterpädagogin DalitBloch. Sie startete ihre Karriere 1978 ebenfalls beim JungenTheater Basel: zuerst als Schauspielerin und später als Co-Re-gisseurin gemeinsam mit ihrem Partner Daniel Buser, für dasStück «Kasch mi gärn ha / Was heisst denn hier Liebe?» Seitherist sie als Theaterschaffende mit diversen Formaten in der Re-gion unterwegs. Sie machte professionelles Theater für Kinder,arbeitete als Schauspielerin und immer wieder als Regisseurinmit Profis und Laien quer durch alle Altersgruppen. Furoremachte Dalit Bloch, die die ersten sieben Jahre ihres Lebens inIsrael verbrachte, unlängst mit dem Stück «Yalla», einem gren-zenüberschreitenden Theaterprojekt, das sie mit zehn arabi-

schen und jüdischen Jugendlichen aus Schulen in Jaffa und TelAviv realisierte. Dabei lieferte Gottfried Kellers Liebesge-schichte «Romeo und Julia auf dem Dorfe» den Plot für einStück, das völkerverständigende Kommunikation und die Kon-stellation einer ungewöhnlichen gemeinsamen Bühnenerfah-rung von arabischen und jüdischen Israelis verhandelte. DasStück wurde letztes Jahr in Jaffa uraufgeführt, im Januar 2011startete die Tournee vom Vorstadttheater Basel aus nachSchaan, Zürich, Aarau und zurück nach Dornach. Das Marken-zeichen Dalit Blochs ist die Lust, immer wieder Grenzen zusprengen und Inhalte so zuzuspitzen, dass sie gesellschaftlicheRelevanz behaupten. Dabei behält sie den Anspruch, dass Lai-entheater auf einer professionellen Ebene arbeiten, und nichtzuletzt eine hohe Sensibilität dafür, mit welchen Stoffen das Pu-blikum sich heute ins Theater locken lässt.

Auffallend ist, dass es in der Region einige Gruppen gibt,die spezielles Theater für die ganze Familie machen. Neben demFigurentheater Michael Hubers, Margrit Gysins und der TokkelBühne bietet die Compagnie Nicole et Martin bezauberndesTheater für Gross und Klein. Das unabhängige, professionelleTheaterensemble tourt seit 1999 mit weissem Kuppelzelt, Holz-wohnwagen und Zugfahrzeugen nicht nur durch die Schweiz,sondern auch durchs Ausland. Die bezaubernden Märchener-zählungen von Nicole et Martin, bei denen Akrobatik, Jonglageund Musik mit dem Märchenplot verwoben werden, finden über-all begeisterte Anhängerinnen und Anhänger.

Und wie sieht die Zukunft aus?Die Frage nach der Zukunft ist auch die Frage nach Visio-

nen. Dabei sind neben der Innovationskraft der Theaterschaf-fenden und einem theaterlustigen Publikum auch die offizielleKulturförderung und private Sponsoren gefragt. Ein offenerGeist und die Lust, Grenzen zu überschreiten, stünde allen Be-teiligten gut an. Ohne ihn hat das Theaterschaffen im Baselbietkeine Bleibe. Theater, das eine gesellschaftliche Relevanz fürsich in Anspruch nehmen will, findet nicht im Wohnzimmerstatt. Egal, ob auf Dorfplätzen, Industriebrachen, in perfekt aus-gestatteten Theaterräumen oder in zwischengenutzten Scheu-nen, Fabriken und Schwimmbädern, egal ob Laien oder Profis:Theater soll sich der Welt stellen, sie stören und verführen. !

Jana Ulmann1972 in Basel geboren, in Münchenstein aufgewachsen. War als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museum.BL in Liestalund als Leiterin Öffentlichkeitsarbeit des Luzerner Theaters tätig. Die Germanistin und Historikerin lebt und arbeitet als selbstständigeTexterin, Konzepterin und Publizistin in Solothurn und ist Mitglieddes Fachausschusses Tanz und Theater BL/ BS.

Christel Denk / Rudolf Denk: Theater am Oberrhein. Geschichte und Gegenwart einer europäischen Theaterlandschaft. Freiburg im Breisgau, 2010(Rombach Verlag).

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VON ARLESHEIM SIEHT MAN BIS AFRIKA –KATHI JUNGEN SORGT FÜR WEITBLICK

Die Gemeindebibliothek Arlesheim ist eine von neunzehn ihrer Art im Kanton Baselland und einviel genutzter Ort: Fast 110 000 Ausleihen wurden im letzten Jahr dort verzeichnet. Leiterin der Bi-bliothek ist Kathi Jungen, die ihren Berufsweg als Drogistin begann und bereits in zwei anderenBibliotheken gearbeitet hat: in Pratteln und im kamerunischen Ndoungué. — Von Roger Ehret(Text) und Christian Flierl (Bild)

Ein Dienstagnachmittag im Mai: Um halb drei wird dieTüre geöffnet, und schon wenige Augenblicke später sind dieRäume der Gemeindebibliothek Arlesheim erfüllt von heiterenKinder- und leise geführten Erwachsenengesprächen und vonstiller Leselust. Viele Jugendliche sind hier, ein Vater berät sei-ne zwei Söhne bei der Auswahl von Büchern und eine jungeMutter schaut sich mit ihrer kleinen Tochter ein Bilderbuch an.

Kathi Jungen leitet die Gemeindebibliothek, die ihr Do-mizil ganz in der Nähe der BLT-Haltestelle «Arlesheim Dorf»hat, seit fünf Jahren. «Ich habe das Glück, mit vier anderenFrauen in einem motivierten Team arbeiten zu können, das imAlltag am selben Strick zieht und an fünf Tagen in der Woche ei-nen Ort schafft, an dem die Leute sich wohlfühlen und wo eineOase und ein wichtiger Treffpunkt für ein breites Publikum undfür verschiedene Generationen besteht», sagt sie und lobt auchdie Unterstützung durch die Gemeinde. «Der Gemeindepräsi-dent hat vor einiger Zeit die Bibliothek als ‹Juwel im Dorfkern›bezeichnet.» Rund 14 000 Bücher sind hier zu finden, dazu 37Zeitschriften, fast 700 Hörbücher für Erwachsene und rund 1200für Kinder und Jugendliche sowie rund 1300 DVDs. Und schliess-lich profitieren bereits mehr als hundert Nutzerinnen und Nut-zer vom speziellen Angebot der «Digitalen Bibliothek»: «10 000Bücher, Filme, Musiktitel und Hörbücher kann man sich ausdem Internet herunterladen und sich so auch ausserhalb derÖffnungszeiten und von einem beliebigen Ort aus Zugang zuLektüre und Unterhaltung verschaffen.»

Kathi Jungen spricht einen Schaffhauser Dialekt, aufge-wachsen ist sie am Rhein, in Rüdlingen. Nach einer Drogisten-lehre besuchte sie die Höhere Fachschule für Drogisten undDrogistinnen im Neuenburg, absolvierte die Meisterprüfungund war danach Geschäftsführerin in Zürich. Von 1982 an folg-ten fünf entscheidende und prägende Jahre in Afrika, wo siemit ihrem Mann Peter in einem Austauschprojekt der Koopera-tion Evangelischer Kirchen und Missionen in der Schweiz(KEM) und der Reformierten Kirche im zentralafrikanischenKamerun arbeitete. In Ndoungué, einem kleinen Ort im Wald-land, rund 150 Kilometer von der Atlantikküste entfernt, hatteihr Mann eine Stelle als Lehrer an einer Internatsschule. «Icharbeitete mit Frauen in den Bereichen Ernährung, Hygiene undFamilienplanung und lehrte sie auch Nähen und Stricken. Undgemeinsam mit meinem Mann führte ich dort die Schulbiblio-thek – wir hatten rund 2000 Bücher und stellten die Möbel selberher.» In Ndoungué kamen auch zwei der drei Kinder des Ehe-

paars zur Welt. «Das war sehr eindrücklich», erzählt Kathi Jun-gen. «Drei Stunden nach der Geburt von Jonas verliess ich dasSpital. Unser Haus füllte sich mit vielen Menschen, die Ge-schenke wie Früchte, Seife oder auch fertige Mahlzeiten mit-brachten, und der kleine Bub ging von Arm zu Arm.»

Nach der Rückkehr in die Schweiz führte Kathi Jungenein intensives Familienleben, engagierte sich für den fairenHandel und das Hilfswerk SolidarMed und bewarb sich dann anihrem Wohnort Pratteln in der Gemeindebibliothek. Sie bekameine Teilzeitstelle und absolvierte 1999 berufsbegleitend einenAusbildungskurs zur Bibliothekarin SAB: «Ein spezielles Ange-bot für Mitarbeiterinnen von Gemeindebibliotheken. Die Aus-bildung in der Kantonsbibliothek Baselland in Liestal dauerteetwa ein halbes Jahr – zwei bis drei Abende pro Woche – und um-fasste Fächer wie Bibliotheksorganisation, Katalogisieren oderauch Öffentlichkeitsarbeit.» Im Jahr 2003 wechselte Kathi Jun-gen von der Pratteler in die Arlesheimer Bibliothek, die sie in-zwischen, seit 2006 und einer entsprechenden Weiterbildung,

auch leitet. Im Rahmen ihrer Arbeit organisiert sie mit ihrenMitarbeiterinnen drei bis vier Mal im Jahr spezielle Anlässe:«Beispielsweise öffentliche Lesungen: Die bekannte Schriftstel-lerin Eveline Hasler war kürzlich hier, und 2012 kommt der Au-tor und Fernsehjournalist Ulrich Tilgner. Dieses Jahr stehtnoch ein Poetry-Slam-Abend auf dem Programm, und am 18.November zum fünften Mal unsere Erzählnacht.» Immer wiedersorgt die Gemeindebibliothek Arlesheim auch für einen speziel-len Weitblick – dank Büchern und Filmen über oder aus Afrika,die Kathi Jungen persönlich aussucht. Bibliotheken warenschon immer ein Fenster zur Welt. !

«Der Gemeindepräsident hat vor einiger Zeit die Bibliothek als ‹Juwel im Dorfkern› bezeichnet»

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GPS MAIL AUSDEM KLOSTERSCHOENTHALKein Schwein, geschweige denn ein Wildschwein, würde vermu-ten, dass einige seiner Artgenossen nicht nur auf dem Teller lande-ten, sondern ihre säuberlich präparierten Schädel und Knochenseit dem 1. Mai als Kunstwerk in der luftigen Höhe eines ausge-dienten Silos schweben. Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger habendessen Hohlraum in ein wahres «Eldorado» verwandelt – ein Voll-treffer, um den sie von verdrossenen ortsansässigen Jägern benei-det werden. Die neueste Arbeit im Schönthaler Skulpturenparksteht eindrücklich für das Konzept «Kunst aus dem Ort –für denOrt», kontrastierend zu Richard Longs archaischer Arbeit«Cowshed Ellipse», nur einen Steinwurf vom «Eldorado» entfernt. Was gibt es noch im Schönthaler Kunstsommer? Im Kirchenraumsind Hugo Suters «Seherfahrungen» ausgestellt. Hinter geätztenGläsern versammelt der Künstler in aufwendig komponierten undsorgfältig abgestimmten Objektmontagen ganz unterschiedlicheFundstücke und weggeworfene Gegenstände aus dem Alltag.Durch die Mattscheibe betrachtet, generieren sie den Eindruck ma-

lerischer Bildmotive, die an klassische Stillleben, Porträts oderLandschaften erinnern. 28 Skulpturen säumen Wege und Pfade des Skulpturenparks undverweben Natur und Kunst zu einer Einheit. «See what you see,whatever it may be», dichtete Robert Lax. Eine Inschrift auf einerBank lädt ein zum Nachdenken und Verweilen im Dreiklang desKlosters Schönthal: «Geschichte, Natur, Kunst».

John Schmid hat im Jahr 1987 das Kloster Schönthal samt einem 100 Hektar grossen Bauerngut erworben und es nach Renovationen ab 2000einer neuen Bestimmung zugeführt. 2004 erhielt er den Baselbieter Kulturpreis. «Sculpture at Schoenthal» geniesst internationale Bekanntheit,der Skulpturenpark zählt jährlich um die 6000 Besucher.

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GPS NAMEN & KOEPFEGEDANKEN ZU STADTUND LANDAm 17. Mai 1948 wird aus Anlass des Hebeltags zumzweiten Mal nach Kriegsendedie deutsch-schweizerischeGrenze bei Riehen für einenTag geöffnet. 22 000 Schwei-zerinnen und Schweizer strömen nach Lörrach, wo amAbend Traugott Meyer, der eine Woche zuvor den Johann-Peter-Hebel-Preis des LandesBaden erhalten hat, eine Redehält. Der Mundartdichter und Schriftsteller ist damals 53Jahre alt und arbeitet als Sekundarlehrer in Basel. Dergebürtige Wenslinger verfasstMundartgedichte, Erzählungenund Romane wie «S Tunälldorf» oder «Dr Gänneral Sutter» und schreibt 1951 – im Auftrag des Kantons Basel-Stadt –das Festspiel «Inclyta Basilea».Landesweit bekannt wird Meyer durch seine von RadioBeromünster ausgestrahltenErzählungen «S BottebrächtsMiggel verzellt». 1959 stirbt erin Basel. Der Schriftsteller ThomasSchweizer aus Füllinsdorfbrachte an die Tagsatzung kultur.bl vom 7. Mai 2011 dasGedicht «Uff ere Baselbieter-Flueh» mit. Es zeigt Traugott Meyer alsHeimatdichter, der ohne Heimattümelei auskommt unddem es auf anschauliche und aus heutiger Sicht erstaun-lich aktuelle Weise gelingt,über Grenzen hinaus zu den-ken – und zu dichten. (eh)

Impressum

GPS MAGAZIN – Herausgeberin: Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion, Amt für Kultur / kulturelles.bl, Amtshausgasse 7, 4410 Liestal, T +41 61 552 50 67,

www.kulturelles.bl.ch, [email protected] | Redaktion: Roger Ehret (eh), Leitung; Niggi Ullrich (*nu*) | Autoren/innen: Michael Baas, Jana Ulmann, Debora

Schmid, John Schmid | Lektorat: Rosmarie Anzenberger | Fotos: WOMM (Titelbild), Schirin Kretschmann, Susanne Schenker/Augusta Raurica, Urs Lang/Au-

gusta Raurica, Christian Flierl | Gestaltung: WOMM Werbeagentur AG, Basel | Druck: Hochuli AG, Muttenz | Erscheinung: in der Regel einmal pro Jahreszeit |

Auflage: 10 000 Ex. | ISSN: 1664-2554

GPS STANDPUNKT – www.kulturelles.bl.ch

GPS KULTUR.BL 2.0 – FacebookHauptsponsor:

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Uff ere Baselbieter-Flueh

Lueg nidsi! Cha’s au öppis Schöners geeAs d’Stadt dört unden und dä glänzig Rhy?Lueg obsi! Chönnt’s eim neume wöhler syAs i däm Ländli mit sym Chriesischnee?

Und wo de luegsch, chasch Bach und Bächli gsehUnd Wäg, wo gege d’Stadt zue wei und dry.Zrugg chöme Strosse, Wäge … Lüt derby.Das isch es Hin-und-Här, es Gee und Neh!

Und iez säg ein: «Stadt und Land sy zweu!»Es isch kei Lus dra wohr, bi myner TreuUnd schwätzt ein däwäg, nu, no macht’s dr Chyb!

Die Wäg im Land sy d’Odere vom LybUnd d’Stadt isch s Härz … do git’s nüt z’rüttle dra! ...E Lyb, wo läbe will, muess bedes ha!

Traugott Meyer (1895–1959), Basel-

bieter Schriftsteller und Lehrer

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