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Bauwelt 37 | 2008 20 Thema Neue Bauten von Souto de Moura Bauwelt 37 | 2008 21 Mauern, keine Fenster Neue Bauten von Eduardo Souto de Moura Kritik: Kaye Geipel Fotos: Christian Richters Von der 2002 eröffneten Metrostation Lapa geht es steil hinab zu einer mehr als hundert Meter langen, mit Graffiti überzoge- nen Stahlbetonwand, an die ein öffentlich zugänglicher Lau- bengang geklemmt ist. Unten, hinter der Stahlbetonwand, ver- bergen sich die Höfe der Wohnanlage der „Cooperativa Águas Férreas“, entworfen von Alvaro Siza Vieira. Mit ihren steilen Treppen und schmalen Durchgängen erinnert sie vage an ein Bergdorf. Die 2004 als sozialer Wohnbau erstellte Anlage ist ob der besonderen Atmosphäre einer der beliebtesten Wohnorte der Stadt. Die Station oben hat im Kontrast zur Graffitiwand eine schicke Edelstahlverkleidung und ist eine der von Edu- ardo Souto de Moura nach einem Modulsystem konzipierten Metrostationen von Porto. Beide Architekten, Siza Vieira und Souto de Moura, sind seit Jahrzehnten befreundet. Sie haben ihr Büro im selben Haus, sie kritisieren gegenseitig ihre Projekte, sie sind Konkur- renten bei der Vergabe großer Wettbewerbe und sie arbeiten in ihren Entwürfen gern mit frei stehenden Mauern und lan- Zwei Villen, 27 Appartements, ein Museum und ein Büro- hochhaus von Eduardo Souto de Moura sind vor kurzem fertig geworden. Wir zeigen die portugiesische Kunst der Mauer und beantworten die Frage, warum Souto de Mouras Villen nicht in die Magazine von Schöner Wohnen gehören. Vier herkömmliche Villen hät- ten auf dem Grundstück der Villa in Bom Jesus Platz ge- habt. Die sorgfältig geschal- ten Mauern dienen hangab- wärts auch als Begrenzungen der verschiedenen Terrassen. Lageplan im Maßstab 1 : 1500, Grundrisse 1 : 1000 gen Wandscheiben. Und doch ist der Blick der beiden Planer, wenn es um die architektonische Funktion der Mauer geht, grundsätzlich verschieden. Während Alvaro Siza seine Mau- ern als eine Art Schutzwand betrachtet, hinter der er die Ge- sellschaft neu auffädelt, dienen sie Souto de Moura häufig als Anlass, um in ihrem Schatten besondere Formen der Individu- alisierung zu entwerfen. Portugiesische Stadtlandschaft In einem engen Streifen entlang der Atlantikküste Portugals wachsen die Städte seit 30 Jahren übergangslos zusammen, vergleichbar vielleicht noch mit Japan, das in der Nachkriegs- zeit seine Küste einer radikalen Urbanisierung unterzog, wäh- rend das Hinterland unberührt blieb. Private Spekulation ist der Motor der portugiesischen Entwicklung, große neue Wohnanlagen stehen großen Erholungs- und Shopping Cen- tern gegenüber. Die Dichte macht diese großmaßstäbliche Mi- schung brisant, die alten Ortskerne wirken oft wie vergessene

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Bauwelt 37 | 200820 Thema Neue Bauten von Souto de Moura Bauwelt 37 | 2008 21

Mauern, keine FensterNeue Bauten von Eduardo Souto de MouraKritik: Kaye Geipel Fotos: Christian Richters

Von der 2002 eröffneten Metrostation Lapa geht es steil hinab zu einer mehr als hundert Meter langen, mit Graffiti überzoge-nen Stahlbetonwand, an die ein öffentlich zugänglicher Lau-ben gang geklemmt ist. Unten, hinter der Stahlbetonwand, ver-bergen sich die Höfe der Wohnanlage der „Cooperativa Águas Férreas“, entworfen von Alvaro Siza Vieira. Mit ihren steilen Treppen und schmalen Durchgängen erinnert sie vage an ein Bergdorf. Die 2004 als sozialer Wohnbau erstellte Anlage ist ob der besonderen Atmosphäre einer der beliebtesten Wohnorte der Stadt. Die Station oben hat im Kontrast zur Graffitiwand eine schicke Edelstahlverkleidung und ist eine der von Edu-ardo Souto de Moura nach einem Modulsystem konzipierten Metrostationen von Porto.

Beide Architekten, Siza Vieira und Souto de Moura, sind seit Jahrzehnten befreundet. Sie haben ihr Büro im selben Haus, sie kritisieren gegenseitig ihre Projekte, sie sind Konkur-renten bei der Vergabe großer Wettbewerbe und sie arbeiten in ihren Entwürfen gern mit frei stehenden Mauern und lan-

Zwei Villen, 27 Appartements, ein Museum und ein Büro-hochhaus von Eduardo Souto de Moura sind vor kurzem fertig geworden. Wir zeigen die portugiesische Kunst der Mauer und beantworten die Frage, warum Souto de Mouras Villen nicht in die Magazine von Schöner Wohnen gehören.

Vier herkömmliche Villen hät-ten auf dem Grundstück der Villa in Bom Jesus Platz ge-habt. Die sorgfältig geschal-ten Mauern dienen hangab-wärts auch als Begrenzungen der verschiedenen Terrassen.

Lageplan im Maßstab 1:1500, Grundrisse 1:1000

gen Wandscheiben. Und doch ist der Blick der beiden Planer, wenn es um die architektonische Funktion der Mauer geht, grundsätzlich verschieden. Während Alvaro Siza seine Mau-ern als eine Art Schutzwand betrachtet, hinter der er die Ge-sellschaft neu auffädelt, dienen sie Souto de Moura häufig als Anlass, um in ihrem Schatten besondere Formen der Individu-alisierung zu entwerfen.

Portugiesische StadtlandschaftIn einem engen Streifen entlang der Atlantikküste Portugals wachsen die Städte seit 30 Jahren übergangslos zusammen, vergleichbar vielleicht noch mit Japan, das in der Nachkriegs-zeit seine Küste einer radikalen Urbanisierung unterzog, wäh-rend das Hinterland unberührt blieb. Private Spekulation ist der Motor der portugiesischen Entwicklung, große neue Wohnanlagen stehen großen Erholungs- und Shopping Cen-tern gegenüber. Die Dichte macht diese großmaßstäbliche Mi-schung brisant, die alten Ortskerne wirken oft wie vergessene

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Bauwelt 37 | 200822 Thema Neue Bauten von Souto de Moura Bauwelt 37 | 2008 23

Zur rückseitigen Rua Emidio Navarro löst sich die Wand der Ausstellungshalle des Muse-ums von Bragança vom Boden ab.

Lageplan und Schnitt im Maß-stab 1:1000

Überreste. Während die einzelnen Großprojekte in ihrer Bin-nenstruktur durchaus überzeugen können, ist ihre Einbettung ins Umfeld meist von katastrophaler räumlicher Qualität. Die Verbesserung dieser Zwischenräume ist eine der wichtigsten urbanen Herausforderungen. Kleinere Projekte haben in die-sem Potpourri wenig Chancen. Das ist auch ein Grund dafür, warum das „System Mauer“, traditionelles Mittel der Urbarma-chung von landwirtschaftlichen Terrassen entlang der Küste, auch in der zeitgenössischen Architektur eine neue Bedeu-tung erlangt hat. Mit seiner Hilfe lassen sich Ebenen vonein-ander abheben, hinter der Mauer lassen sich Räume neu ord-nen. Souto de Moura hat dies schon in seinen ersten Einfami-lienhäusern Anfang der achtziger Jahre, etwa in Nevogilde in Porto, vorgemacht.

Minimale ÖffnungenBesuch in Bom Jesus im Quartier Lamaçães in Braga. Nicht nur die Fassaden, auch die Mauern der Villa, die sich um das Grundstück ziehen, bestehen aus Stahlbeton, hier mit senk-rechtem Schalungsmuster und nicht mit horizontalen Linien wie beim Haus. Die Eigentümerin begrüßt uns am Tor, führt uns zunächst auf die oberste der fünf Terrassen. Wir passieren einen senkrechten Schnitt in der Hauswand. Rahmenlos ist eine schmale Verglasung eingelassen. „Mit den Fenstern, da war es schwierig“, sagt die Frau. „Souto de Moura probierte end-los lange neue Öffnungen, ohne sich zu entscheiden. Beinahe hätten wir auf dieser Seite des Hauses gar kein Fenster gehabt.“ Das Haus in Bom Jesus, mit seinen mineralischen Horizonta-len sicher der schönste der neuen Bauten Souto de Mouras, hat auch zur Südseite hin nur versteckte Öffnungen. Das Haus be-steht in der Hauptsache aus fünf Terrassen und im Inneren aus nebeneinander liegenden, kojenartigen Wohnräumen.

Bei all seinen Bauten hat Souto de Moura eine Minimierung der Elemente gesucht, die sich eben nicht nur auf die Materia-lien beschränkt. Er baute Dutzende von Luxushäusern, aber die anheimelnden Klischees der Wohnform Villa ließ er stur links liegen. Nicht einmal jenen überdimensionierten flie-ßenden Wohnraum, der zum wichtigsten Statussymbol groß-zügigen Wohnens geworden ist, trifft man in seinen Bauten. In den einschlägigen Zeitschriften des Schöner Wohnens sind Souto de Mouras Villen deshalb eigentlich fehl am Platz. Ein gutes Beispiel ist die Steilhang-Villa in Ponte Lima (Heft 20.2006), deren „Fassade“ aus einem geschlossenen Rahmen besteht, der den Berg hinabgekippt ist. Eine Öffnung vor dem Wohnzimmer hätte den Rahmen zerstört. Der Architekt öff-nete das Haus deswegen von einer Galerie; von dort gibt es einen atemberaubenden Ausblick, während das tiefer gelegene Wohnzimmer eher einer Schachtel gleicht.

In Bom Jesus sind es die simpel addierten Wohnräume, die angesichts des riesigen Hauses geradezu ärmlich wirken. Umso stärker ist der Kontrast zu den Terrassen: aus dem Hang herausgeschobene Belvederes mit einem Blick auf die Stadt, der in Braga wohl nur noch von der neobarocken Treppenan-lage des katholischen Wallfahrtsorts weiter oben am Hang übertroffen wird. Grundstücke wie in Bom Jesus finden sich auch in Portugal immer seltener. Eine von Souto de Mouras frühen Villen, die 1989 in Quinta do Lago an der Algarve im „arabischen Stil“ erbaute, wird demnächst abgerissen. „Das phantastisch gelegene Grundstück ist zu wertvoll für ein ein-zelnes Haus geworden, der Besitzer verkauft, und die Anlage wird in Parzellen zerteilt“, so der Architekt. Wie aber lässt sich auf den teuren Grundstücken bauen, wenn diese immer sel-tener herausragende landschaftliche Qualitäten aufweisen? Bei der Villa in Maia (Seite 34) werden die eingrenzenden

Oben: Die Villa in Maia ist zwischen zwei parallele, zwei geschossige Mauern ge-spannt.

Grundrisse im Maßstab 1:1000

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Bauwelt 37 | 200824 Thema Neue Bauten von Souto de Moura Bauwelt 37 | 2008 25

Ein luxuriöses Quartier von Appartementhäusern, die sich hinter einer vorgelagerten Ge werbezone verstecken, rea-lisierte Souto de Moura an der Avenida Boavista in Porto.

Lageplan im Maßstab 1:1500

Ebenfalls an der Avenida Boa-vista entstand auf einem ei-genen Plateau ein Bürohoch-haus mit seitlich angefügtem Riegel.

Grundrisse Erd- und Regel-geschoss im Maßstab 1:1500

Mauern defensiv eingesetzt. Von der Poesie der Wandabschlie-ßungen bei der Villa in Bom Jesus ist hier wenig zu spüren. Im-merhin: Souto de Moura hat eine Replik auf Corbusiers kleines Haus am Genfer See eingefügt: ein schweigsam-schönes Ar-rangement mit einem über Eck gezogenen Fenster, das einen selbstgenügsamen Ausguck in die geschlossene Gartenmauer stanzt; davor ein Tisch, zu dem sich ein einzelner Baum ge-sellt. Was durch das Fenster an Wirklichkeit zu sehen ist, ist bereits unwichtig geworden.

Nur ein DachDas neue Museum der Stadt Bragança nahe der spanischen Grenze liegt in der Altstadt versteckt in zweiter Reihe. Ein da-zugehöriger Altbau wurde von Souto de Moura perfekt sa-niert, der Museumsleiter hat zwei wunderschöne Räume er-halten, die auf den patioartigen Garten führen. Doch weiter hinten ist Schluss mit der Idylle. Dort thront ein sperriges weißes Objekt, die neue Wechselhalle für Kunst – eigentlich viel zu monumental für den Platz und geradezu eine Heraus-forderung für die Institution. Was kann das Museum mit die-sem Raum, der eigentlich in eine viel größere Stadt passt, an-fangen? Souto de Moura lacht. „Es ist geplant, dass das Centro mit zwei anderen, größeren Museen kooperiert. Das wäre eine große Chance für Bragança. Aber ob es klappt, ich weiß es nicht.“ Das Museum als Möglichkeitsraum. Der Architekt als Katalysator. Mehr kann er nicht tun.

Souto de Moura hat die Auseinandersetzung mit den tra-ditionellen Raumqualitäten vom Stigma der regionalen Be-schränktheit befreit. Er hat sie mit manchmal halsbrecheri-scher Anpassung in die Gegenwart gezerrt. Wie viel Risiko er dabei eingeht, zeigt heute, vier Jahre nach Eröffnung, das Sta-dion von Braga. Es ist, halb in einen Steinbruch geschoben, der

wohl eindrucksvollste Sportbau, den Portugal zu bieten hat (Heft 22.2004). Wer auf den Rängen weiter oben Platz nimmt, fühlt sich wie auf einer überdimensionalen Schiffschaukel, deren Sitze jeden Augenblick nach hinten kippen können. Das Stadion ist zum Wahrzeichen von Braga geworden. Aber es hat auch unbestrittene Mängel, die ihm heute vorgehalten werden. Der Bau dreht der Stadt den Rücken zu, er ist, umgür-tet von einem stählernen Zaun und einer Grünanlage, kaum zu sehen. Und er bietet den bis zu hundert Beschäftigten nur Räume im Souterrain, nicht einer hat ein Fenster.

In Souto der Mouras Atelier stapeln sich neue Projekte. Zeit für kleine Villen hat er immer weniger. Eben hat er am Wettbewerb für das riesige Zentralkrankenhaus von Lissabon teilgenommen, und er kann jetzt, nach Jahren des Wartens, die Mehrzweckhalle von Viana do Castelo bauen. In Lissabon wird er ein zweites Büro eröffnen. Nicht alle seine Projekte der jüngsten Zeit überzeugen. Die Abgrenzung der städtischen Wohnanlage an der Quinta da Avenida wirkt, selbst wenn man die Ausführung bewundern mag, geradezu zynisch. Solche Mängel sind die Kehrseite einer starren Haltung. Die Anmut seiner Bauten liegt darin, dass er scheinbar mutwillig immer nur äußerst bescheidene Werkzeuge in die Hand nimmt, um dem städtischen Chaos gegenüberzutreten: lange Mauern, we-nige Materialien, ein flaches Dach. Für die zentrale Metrosta-tion in der Nähe von Rem Koolhaas’ Casa da Musica war es ein solches, sehr langes Dach (Heft 21.2005). Das Dach sieht aus, als habe der Architekt beim Entwerfen vergessen, den Zei-chenstift abzusetzen. In einer Umgebung, in der Spekulation und Armut zusammenprallen, ist es bis heute das einzige ver-bindende Element. Längst haben sich fliegende Händler unter diesem Dach eingenistet. Souto de Moura bleibt, hinter Alvaro Siza Vieira, der zweite große Architekt Portugals.