Theodor Hitzler

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1 Vorwort Bei der Suche nach Material für die Festschrift zum 100 jährigen Jubiläum der Hitzler Werft in Lauen- burg fand ich 1983 in einem großen Holzschrank in der Druckerei der Werft an verschiedenen Stellen mas- chinengeschriebene Manuskripte meines Großonkels Theodor Hitzler, die er im Jahre 1948 diktiert hat. Die vier Texte waren überschieben mit: Meine Lebensbeschreibung. Erinnerungen an meinen Vater. Erinnerungen an meine Mutter. und Meine Verheiratung und die Gründung der Hamburger Werft. Von meinem Vater und anderen Familienmitgliedern kannte ich natürlich einen großen Teil des Inhalts, doch durch mündliche Überlieferung verändert sich im Laufe der Zeit die Darstellung der Fakten und viele Details werden vergessen. Ich selbst bin meinem Onkel Theodor nur einmal begegnet. Es muss um 1952 gewesen sein. Ich war 3 Jahre alt und krabbelte auf dem Fußbodens unseres Wohnzimmers, als Onkel Theodor, ein würdiger alter Herr von 78 Jahren meine Eltern zusammen mit seiner zweiten Frau Anni besuchte. Das Einzige was mir von Onkel Theodor in Erinnerung geblieben ist, sind seine

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Lebensbeschreibung

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Vorwort

Bei der Suche nach Material für die Festschrift zum 100 jährigen Jubiläum der Hitzler Werft in Lauen-burg fand ich 1983 in einem großen Holzschrank in der Druckerei der Werft an verschiedenen Stellen mas-chinengeschriebene Manuskripte meines Großonkels Theodor Hitzler, die er im Jahre 1948 diktiert hat.

Die vier Texte waren überschieben mit:

Meine Lebensbeschreibung.Erinnerungen an meinen Vater.Erinnerungen an meine Mutter.undMeine Verheiratung und die Gründung der Hamburger Werft.

Von meinem Vater und anderen Familienmitgliedern kannte ich natürlich einen großen Teil des Inhalts, doch durch mündliche Überlieferung verändert sich im Laufe der Zeit die Darstellung der Fakten und viele Details werden vergessen.

Ich selbst bin meinem Onkel Theodor nur einmal begegnet. Es muss um 1952 gewesen sein. Ich war 3 Jahre alt und krabbelte auf dem Fußbodens unseres Wohnzimmers, als Onkel Theodor, ein würdiger alter Herr von 78 Jahren meine Eltern zusammen mit seiner zweiten Frau Anni besuchte. Das Einzige was mir von Onkel Theodor in Erinnerung geblieben ist, sind seine

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schweren schwarzen blankgeputzten Schuhe, die unter seinen Nadelstreifen Hosenbeinen hervorkamen.

Um 1995, mit dem Erwerb des ersten Scanners und OCR Software zur Texterkennung, habe ich Onkel The-odors Memoiren in digitale Form gebracht um sie in WORD zu bearbeiten. Ich habe Rechtschreibfehler kor-rigiert und schwer verständliche Formulierungen behu-tsam verbessert, den Inhalt aber nicht geändert.

Das so in eine besser lesbare Form gebrachte Manuskript wurde an wenige Interessenten verteilt.

Mit diesem Buch liegt jetzt eine um zusätzliche In-formationen vermehrte gedruckte Version vor.

Die Aufzeichnungen von Theodor Hitzler enden im Jahre 1948. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ge-boren.

Die Hamburger Werft von Theodor Hitzler war im 2. Weltkrieg völlig zerstört worden und musste wieder aufgebaut werden. Theodor Hitzler hatte große Hoff-nungen in seinen Sohn Markus als Firmenerbe und Nachfolger gesetzt. Doch Markus ist mit seiner Familie 1952 nach Chile ausgewandert, um in Valdivia eine ei-gene Firma zu gründen.

Mein Vater hatte nach dem frühen Tode meines Großvaters 1946 die Lauenburger Hitzler Werft geerbt. Beide hießen Franz. Franz Senior war der jüngere Brud-er von Theodor, Franz Junior des letzteren Neffe. Ich wurde 1949 als Franz III. geboren. Später wurde ich dann zur Unterscheidung vom Vater unter Verwendung des Initials meines zweiten Vornamens Christoph als

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Franz C. Hitzler bezeichnet. Vorbild für diese Regelung waren unsere Bremer Reederkunden Hermann Helms und sein Sohn Hermann C. Helms von der Hansa Linie.

Franz Junior war bei Übernahme der Werft 32 Jahre alt und am Beginn der Wirtschaftswunderjahre voller Schaffensdrang. So kam es zu eine Pachtvertrag zwischen ihm und seinem Onkel Theodor. Die Hamburger Werft auf der Veddel wurde für 12 Jahre an meinen Vater ver-pachtet, der die Werft ab 1. Januar 1951 zusätzlich zum Lauenburger Betrieb führte.

Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde Theodor Hit-zler vom Entnazifizierungsausschuss der Alliierten in Kategorie 2 „Aktivist“ eingestuft, da ermittelt wurde „… dass Sie durchaus dazu geneigt haben, Machtmittel des Nationalsozialismus anzuwenden, um dadurch Ihre Belegschaft zur Arbeit anzuhalten. Diese Tatsache im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zur NSDAP seit 1933, lassen Sie als Aktivist erscheinen….“ Konten und Vermögen wurden zunächst blockiert,

Trotzdem erhielt Theodor Hitzler aufgrund seiner vielen Ehrenämter - er war über 33 Jahre Vorsitzender des Vereins für Fluß- und Küstenschiffswerften - in den fünfziger Jahren höchste Ehrungen. 1950 wurde er Eh-renmitglied der Schiffbautechnischen Gesellschaft, die ihm bereits 1944 die Silberne Denkmünze verliehen hatte. 1954, zum 80. Geburtstag, verlieh ihm Bundesprä-sident Theodor Heuss das große Bundesverdienstkreuz.

Am 10. Mai 1955 ist Theodor Hitzler im Alter von 81 Jahren in Hamburg gestorben. Sein Neffe Franz Hitzler wurde zum Testamentsvollstecker bestimmt. Der Pacht-betrieb auf der Veddel wurde allerdings im Laufe der Jahre immer mehr zur Belastung für die Lauenburger Stammwerft. Die Tatsache, dass die Werft oberhalb der

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Hamburger Elbbrücken lag war ein großer Nachteil. Die in Lauenburg gebauten Seeschiffe konnten nicht dort, sondern mussten bei Blohm & Voß endmontiert werden. Zudem waren die Hamburger Löhne damals deutlich höher als an der Oberelbe. Trotzdem lag Franz Hitzler sehr an der Fortführung der Werft unter dem Namen Hitzler. 1962 kam der Erbe Markus Hitzler zu Besuch aus Chile um über die Fortsetzung des Pachtvertrages zu verhandeln. Die Vorstellungen über die Pachtbedin-gungen lagen aber so weit auseinander, dass eine Eini-gung nicht möglich war. Franz Hitzler legte sein Amt als Testamentsvollstrecker nieder. Die Erben kündigten den Pachtvertrag zum 31.12.1962. Der Werftbetrieb wurde eingestellt.

Der Hamburger Unternehmer Curt Eckelmann kaufte das Werftgelände, um unter dem Namen „The-odor Hitzler Lagerhaus GmbH & Co. KG“ neue Um-schlagsanlagen zu bauen. Die Slipanlagen wurden be-seitig, das Gelände sturmflutsicher aufgehöht und 5000 qm überdachte Lagerfläche an einer 90 m langen Kai-mauer geschaffen. Er hatte eine besondere Beziehung zu Theodor Hitzler, den eine lebenslange Freundschaft mit seinem Vater Carl Robert Eckelmann verband. Curt Eck-elmann schreibt in seinen Memoiren1: „Die Firma Hit-zler war eine traditionsreiche Schiffswerft. Der Gründer Theodor Hitzler war ein Freund meines Vaters gewesen. Die beiden hatte während des Ersten Weltkrieges den Auftrag gehabt, dem Deutschen Reich die Donau als Nachschubader zum Schwarzen Meer offen zu halten. Hitzler hatte meinen Vater damals zum Bergen von Wracks angefordert und ihm auf diese Weise den Fron-teinsatz erspart. Die enge freundschaftliche Beziehung

1 Curt Eckelmann - De Hobenboos - Eine Lebensgeschichte 1992

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zwischen den beiden Männern hat ein ganzes Leben lang gehalten, und mein Vater ließ alle Schuten für die Ewer-führerei bei Hitzler bauen.“

Für Eckelmann war diese Investition der Beginn des Übergangs von der Ewerführerei zum Kaibetrieb und zur späteren Eurokai KGaA. Er benutzte dafür die Metapher „Eckelmann geht an Land“.

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Theodor Hitzler 1954 nach der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Schiffbautech-nischen Gesellschaft im Gespräch mit Franz Josef Schellenberger und seinem Neffen Franz Hitzler.

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Die Fuchslochmühle bei Rottweil um 1877Im Jahr 1863 übernahm der Rottweiler Apoteheker Max Duttenhofer die seit Jahrhunderten im Neckartal bestehende Pulvermühlen von sei-nem Vater. 1864 kam im Zuge der Expansion der Fabrik die Fuchslo-chmühle hinzu.

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Meine Lebensbeschreibung

Von Theodor Hitzler (1875 – 1955)

Nach meinem 73. Geburtstag habe ich mich entschlos-sen, meine Lebenserinnerungen niederzuschreiben. Ich muß dies durchweg aus dem Gedächtnis vornehmen, da durch den II. Weltkrieg viele wichtige Aufzeichnungen, besonders über die geschäftlichen Vorgänge, verlorenge-gangen sind.

Ich bin am 5. Januar 1875, als Sohn des Maschinen-bauers und Monteurs Johann Georg Hitzler, in Geis-lingen an der Steige in Württemberg geboren. Meine Eltern hatten nach dem Krieg 1870/71 dort geheiratet. Mein Vater war zur Zeit meiner Geburt bei der Mas-chinenfabrik Straub tätig. Diese Tätigkeit endete sehr bald, da mein Vater beschuldigt wurde, sich politisch als Sozialist betätigt zu haben. Mein Vater bestritt dieses. Es waren Redner von auswärts gekommen, aber nicht auf seine Anregung.

Meine Eltern wechselten nun mehrfach ihren Wohnort, so daß ich die ersten ein bis zwei Lebensjahre in Geislingen und Cannstatt verlebte und wir dann aber in Fuchsloch bei Rottweil, auf der dortigen Pulverfab-rik, eine Bleibe fanden.

Obgleich ich in Fuchsloch erst drei Jahre alt war, habe ich drei Erinnerungen wohl noch deshalb im Gedächt-nis, weil es sich um Schreckmomente handelte.

Nach einer starken Explosion in der Pulverfabrik – ich sehe noch die Rauchwolken – nahm mich meine Mut-

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ter an der Hand und rannte mit mir in das Werk, um den Vater zu suchen. Wir fanden ihn auch, allerdings sehr verstört und aufgeregt bei Rettungsarbeiten. Als er uns sah, schickte er uns sofort mit der Begründung zurück, es könne jeden Augenblick noch mehr explodieren.

Der zweite Moment war, als ich meiner Mutter in die steilen Berge entlaufen und immer höher hinaufgeklet-tert war, bis mir wohl klar wurde, daß ich nicht wieder nach Hause finden konnte. Tatsächlich hat man lange nach mir in Bergen gesucht.

Der dritte Schreckmoment war, als ich auf einen Bahndamm geklettert war und meinen Fuß in einer Weiche eingeklemmt hatte. Dies war auf einer kleinen Eisenbahnbrücke, die direkt vor einem Tunnel lag. Ich schrie aus Leibeskräften, da ich Angst hatte, es käme gleich ein Zug aus dem Tunnel und würde mich über-fahren. Ich brachte aber meinen Fuß selbst wieder los und haute ab.

In dieser Pulverfabrik, die in einem wilden Tal quer zum Oberlauf des Neckars lag, war mein Vater Ober-meister. Ihm oblag besonders die Pflege und Reparatur der Pulvermühlen. Diese wurden durch Wasserkraft an-getrieben und gingen sehr oft in die Luft. Ich habe diese Tätigkeit in meinen „Erinnerungen an meinen Vater“ näher beschrieben.

In den Gründerjahren nach dem Kriege 1870/71 wurden auch eine Reihe von Pulverfabriken im In- und Ausland gegründet. Auch die Inhaber der Rottweiler Pulverfabrik, der Apotheker Duttenhofer und sein Brud-er, gründeten solche neuen Fabriken in Schlüsselburg bei Petersburg und in Düneberg bei Geesthacht, kurz

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oberhalb Hamburgs, auf Bismarckschen Gebiet.

Mein Vater wurde dazu ausersehen, die neue Fab-rik in Düneberg zu montieren, fertig auszubauen und nach ihrer Fertigstellung, als Obermaschinenmeister zu wirken.

Ende 1877 zog mein Vater also mit Familie nach Nor-ddeutschland. Es waren inzwischen noch zwei Schwest-ern angekommen, Sophie und Pauline. Diese Verpflan-zung vom Schwabenland an die Elbe war endgültig. Die Familie vermehrte sich stark auf insgesamt vier Söhne und sechs Töchter, die alle im Norden oder auch in Mit-teldeutschland und im Rheinland blieben. Nur der jüng-ste Sohn, Walter, ist 1921 an die Donau nach Regens-burg übergesiedelt.

Meine Jugend verbrachte ich nun also von Ende 1877 in Düneberg und Geesthacht. Im letzteren Ort kam ich 1879 in die Dorfschule. Wohnort und Schul-ort boten Gelegenheit zum Aufwachsen in freier Natur. Es gab Wiesen und Wasserflächen und eine große Zahl von Sanddünen, die besonders die Jungs anzogen. Im Sommer war Gelegenheit zum Baden, im Winter zum Schlittschuhlaufen – sogar bis in die Schule.

Allerdings zeigten sich auch Gefahren. Unser Dien-stmädchen war einmal im Hafen, in der Nähe der Fab-rik, mit zwei Kindern auf einem Schlitten in eine offene, eisfreie Stelle gefahren und schrie mächtig. Trotzdem schnell viele Leute zur Stelle waren, wäre doch fast ein Unglück passiert, wenn mein Vater nicht in der Nähe gewesen wäre und sofort ins Wasser gesprungen wäre. Er hatte gerade noch Grund, und beförderte alle wieder zurück aufs Eis.

Über meinen Besuch der Schule in Geesthacht in der Zeit von Johanni 1879 bis zu 1. April 1884, stellte mir

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der Oberlehrer Johns ein gutes Schulzeugnis aus. Ich wurde in die erste Abteilung der I. Klasse versetzt. In diese Zeit fiel auch mein erstes öffentliches Auftreten im Alter von zehn Jahren. Ich mußte bei Gelegenheit der Lutherfeier, Anfang 1884, ein längeres Gedicht in der Kirche aufsagen.

Die Schule in Geesthacht war sicher nicht schlecht. Es waren dort einige junge Lehrer, die gewiß einen guten Unterricht erteilten. Mein Vater wollte aber drin-gend eine bessere Schulbildung für mich erreichen, da ich später technische Schulen besuchen sollte. Er ging von dem Prinzip aus, wie er sagte: „Meine Jungens sollen einmal mehr lernen als ich.“ So bat er Verwandte in Ulm, mich aufzunehmen, damit ich die vierkursige Königliche Realschule in Neu-Ulm besuchen konnte.

Diese Schule besuchte ich von April 1884 bis zum 1. Juli 1885, worüber mir ein sehr gutes Zeugnis aus-gestellt wurde. Dieses Jahr in Ulm und Neu-Ulm habe ich in bester Erinnerung, lernte ich doch dort die Donau kennen, die in meinem späteren Leben noch eine große Rolle spielen sollte. Auch fand ich Gelegenheit, von Ulm aus meine Verwandten in Geislingen zu besuchen. Ich habe bei meinem Großvater Haug, dem Vater meiner Mutter, acht Wochen Sommerferien verlebt, die noch lebhaft in meiner Erinnerung sind. Unser Großvater war ein seltener und vielseitiger Mann. Er war von Haus aus Elfenbeindreher, hatte etwas von der Welt gesehen, war hoch musikalisch und spielte Cello in einem Streichquar-tett.

Als die Fotografie neu aufkam, war er einer der er-sten, der sich dieser Kunst annahm. Es war damals noch wirklich eine Kunst, da sich die damaligen Fotografen

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die Platte und das Papier selbst mit Chemikalien überz-iehen mußten. Beim Abwässern habe ich dann geholfen. Ich mußte in einem Korb die Abzüge in dem fließenden Bach (der Eils) lange spülen.

Großvater Haug war auch firm in der Krankenbehan-dlung und war lange Jahre Vorsteher eines Spitals gew-esen. Obwohl ich noch jung war, habe ich viel von diesem erfahrenen, abgeklärten alten Herrn gelernt und in mich aufgenommen.

Die Umgebung von Geislingen ist landschaftlich sehr schön, Täler und Berge und ganz oben die rauhe Alb. Die damals empfundene Liebe zur schwäbischen Heimat, hat mich auch in späteren Jahren immer wieder angezogen.

Frühe Photographie von Großvater Haug aus dem Jahre 1872. Ganz links der vierundzwanzigjährige Johann Georg Hitzler.

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Im Oktober 1885 waren meine Eltern nach Lauen-burg/Elbe umgezogen. Hier hatte mein Vater eine Schiffs- und Maschinen- Reparaturwerkstätte gegrün-det. Dies war auch die Veranlassung, daß ich aus Neu-Ulm zurückgerufen wurde und von der dortigen Realschule an die Lauenburger Albinus - Schule, ein Re-algymnasium, wechselte.

Erst später stellte sich heraus, daß ich durch diesen Schulwechsel einen erheblichen Nachteil erlitten hatte. Ich war schon zu alt, als ich an die Realschule kam und fiel zurück, da die beiden Schulsysteme so grundver-schieden waren, wobei noch der Fehler gemacht wurde, mich in Lauenburg wieder in Sexta beginnen zu las-sen. Da ich mit 14 Jahren auf alle Fälle zur praktischen Ausbildung in die väterliche Werkstatt kommen sollte, wurde ich bei meiner Konfirmation, im Jahre 1888, aus der Quarta in die Tertia versetzt. Die Lehrer bestürmten meinen Vater, mich noch drei Jahre zur Schule gehen zu lassen, dies lehnte er aber energisch ab, da ich sonst für die praktische Lehre zu alt wäre. Außerdem sollte ich ja nach der Lehre gleich wieder auf eine Fachschule gehen.

Mein Vater hatte gewiß recht. Es ist mir aber später schwer gefallen, die versäumten Schuljahre durch Selbst-studium wieder auszugleichen.

Das Richtigste wäre natürlich gewesen, mich noch mindestens zwei Jahre auf der Realschule in Neu-Ulm zu belassen. Dann hätte ich beim Eintritt in die Lehre, und später beim Eintritt in die Fachschule, mehr und bessere Schulkenntnisse gehabt. Meinen Eltern wäre es aber wohl schwer gefallen, mich in auswärtiger Pension zu belassen. Außerdem wurde ich schon als Schuljunge im Geschäft gebraucht. Ich habe damals alle Freizeit,

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einschließlich der Ferien, im Betrieb meines Vaters zuge-bracht. Auch an einzelnen Wochentagen mußte ich oft nach Lüneburg zur Gießerei und nach Bergedorf zur Gelbgießerei fahren, Modelle und alte Guß hinbringen und neue Teile zurückbringen.

Die Albinusschule habe ich nicht gerade als sehr leis-tungsfähig in Erinnerung. Es waren dort sehr viele alte akademische Lehrer, die gewissermaßen auf ihrem Al-tenteil saßen und die wir zum Teil unerlaubt verulkten. Nur einer war im besten Alter und ließ sich von uns auch nicht den geringsten Ulk gefallen. Er haute uns Backp-feifen herunter, die waren nicht von schlechten Eltern und wirkten vortrefflich. Mein Abgangszeugnis der Al-binusschule war nicht so gut, wie das von der Realschule in Neu-Ulm. Dies war sowohl durch den laschen Schul-betrieb, als auch durch meine Tätigkeit im väterlichen Betrieb veranlaßt.

Ein liegender Gasmotor der Firma Deutz. (Otto’s neuer Motor) Der Mo-tor der Hitzler Werft Baujahr 1885 hatte die Fabriknummer 12134.

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Meine Lehrzeit und praktische Tätigkeit im Betrieb begann im April 1888 und endete im April 1890. Durch meine vorherige vielseitige Beschäftigung dort, war ich für die Lehre gut vorbereitet und lernte alle Fertig-keiten natürlich schneller als Lehrlinge, die völlig be-triebsfremd anfingen.

Eine besondere Betätigung für uns Lehrlinge, wir waren vier bis fünf an der Zahl, war die Instandhaltung und tägliche Inbetriebsetzung unserer Betriebsmas-chine, des 6 PS Deutzer liegenden Gasmotors. Jeden Sonntag mußte der Kolben herausgenommen werden, desgleichen der Zündschieber und das Auspuffven-til. Alles wurde sauber gereinigt, ausgeschmirgelt und eingeschliffen. Wenn dies alles prompt und sorgfältig gemacht wurde, lief der Motor zuverlässig an. Nach der Sonntagsreinigung wurde gleich probiert, ob der Mo-tor funktionierte, damit am Montag früh auch bestimmt alles klappte. Wenn er einmal versagte und der Betrieb lief nicht an, gab es großen Krach. Mein Vater war sehr strenge und hatte schnell eine lose Hand. Ich habe ein-mal, an einem Montagmorgen, eine tüchtige Tracht Prügel bekommen. Der Motor war zwar angelaufen, aber nach einer halben Stunde brummte der Motor heftig. Mein Vater war nicht zur rechten Zeit aufges-tanden und hörte das Brummen zuerst, da er ungefähr darüber sein Zimmer hatte. Mein Vater stürzte wie wild in die Werkstatt, natürlich auf die Lehrlinge los. Zuerst traf er einen Lehrling, der schwerhörig war. Den ließ er gleich wieder los, indem er sagte: „Du dalber Siech, hörst ja nichts!“ Dann traf er den ältesten Lehrling, den er grob anhauchte und zum Motor hinstieß, dann mich, der ich schon von selbst anlief. Als er mich hatte, sagte er: „Du bist mein eigener, Dich kann ich hauen, soviel ich

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Die ersten Lehrlinge der Hitzler Werft im Jahre 1889 vor der Maschinenwerkstatt in der Stecknitzstrasse (heute Bahnhofstrasse).

Von links nach rechts:

Albrecht Hahn * 09.08.1974 (1. Lehrjahr)Robert Meyer * 16.03.1874 (1. Lehrjahr)Ernst Landahl * 30.10.1871 (3. Lehrjahr)Theodor Hitzler * 05.01.1874 (2. Lehrjahr)Richard Lucius * 21.09.1870 (3. Lehrjahr)Richard Haack * 06.03.1872 (2. Lehrjahr)(Richard Haack war später Besitzer des Lauenburger Gaswerks)

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will.“ Und dann bekam ich kräftige Senge. Die Ursache war ganz einfach: Es war vergessen worden, den kleinen Treibriemen zum Öltropfapparat anzustellen. Die Folge war, daß der Kolben kein Schmieröl bekam, trocken lief, heiß wurde und brummte. Ich sah dies sofort, legte den Riemen auf und gab einen guten Schuß Öl extra. Au-genblicklich legte sich das Brummen und der Sturm war vorüber. Die Aufregung meines Vaters war durchaus berechtigt, jede Betriebsstörung kostete Zeit und Geld. Außerdem hätte der Motor leicht ernsten Schaden ne-hmen können.

Die ganze Lehrzeit wurde damals noch viel strenger gehandhabt. Die Arbeitszeit war noch elf Stunden und wurde etwa 1890 in zehnstündige Arbeitszeit geändert. Auch sonnabends wurde voll gearbeitet. Die Folge dieser langen Arbeitszeit war, daß die Lehrlinge sonntagmor-gens ausfegen und die Werkstatt reinigen mußten. Die Lehrlinge durften nicht rauchen, sonst kamen die Ge-sellen und es gab eine Backpfeife. Auch durften wir nicht auf der Werkbank sitzen, sondern hatten einen Platz abseits.

Die Ausbildung der Lehrlinge war damals wesentlich gründlicher als heute. Es wurde dies schon durch die lange Lehrzeit, regulär vier Jahre, und die ausgedehnte Stundenzahl erreicht. Da die Werkzeugmaschinen dam-als noch nicht so zahlreich und auch nicht so vollendet waren, wurde hauptsächlich eine gute Handfertigkeit in allen Bereichen erreicht. Mein besonderes Gebiet war die Tätigkeit an der Drehbank, an der ich auch gute Leistungen erzielte.

Unsere Reparaturwerkstatt war sehr vielseitig be-schäftigt. Es wurden Dampfschiffe, Landdampfmaschin-en für Ziegeleien, Streichholzfabriken und Faßfabriken,

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Pumpen auf der Dynamitfabrik und der Pulverfabrik, Lokomobilen, Eisenkonstruktionen und Behälter repa-riert. Für einen Lehrling, der später Techniker werden wollte, war also Gelegenheit alle Gebiete kennenzulern-en und Anschauungsunterricht zu nehmen.

Da mein Vater mich so schnell wie möglich auf das Technikum bringen wollte, war die zweijährige Tätig-keit zunächst genügend. Er hat lange nach einer pas-senden Lehranstalt gesucht. In Norddeutschland gab es damals noch keine technischen Mittelschulen. Durch einen Ottensener Fabrikanten wurde ihm schließlich die Königlich Sächsische Werkmeisterschule in Chemnitz empfohlen. Dort erfolgte meine Anmeldung zu Ostern 1890. Mein Vater brachte mich selbst nach Sachsen. Es war zunächst eine Aufnahmeprüfung zu machen, bes-tand man sie, konnte man dableiben, wenn nicht, konnte man wieder abziehen. Ich wurde aufgenommen und zwar mit dem geringstmöglichen Alter von 16 ¼ Jahren. Das Durchschnittsalter war sonst zwanzig bis sechsundz-wanzig Jahre. Diese Staatsanstalt wurde sehr streng ge-führt und vom Sächsischen Staat, der ja auch die großen Kosten aufbrachte, stark beaufsichtigt.

Es ist erstaunlich, was in den vorgeschriebenen drei Semestern an Unterrichtsstoff bewältigt wurde. Dies wurde besonders durch eine tüchtige Lehrerschaft erreicht. Mit der Werkmeisterschule war auch eine höhere technische Lehranstalt, die Königliche Höhere Gewerbeschule, verbunden. Mit deren Abgangszeugnis konnte man die Technische Hochschule als Vollstudent besuchen. Durch diese Vereinigung waren auch sehr gute Unterrichtsmittel reichlich vorhanden. Nicht alle Schüler schafften es in drei Semestern, ein großer Teil

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musste irgendeines zweimal machen und brauchte dann vier. Das passierte auch meinem Lehrkollegen Richard Haack aus Lauenburg. Ich selbst habe fleißig gearbeitet, besonders im ersten und dritten Semester. Michaelis 1891 erhielt ich ein gutes Abgangszeugnis. Außer den normalen technischen Fächern hatte ich auch einige weitere freiwillig belegt, zum Beispiel Wasserleitungs-bau, Werkzeugmaschinen und Elektrotechnik. Einen besonders tüchtigen Lehrer hatten wir in der deutschen Sprache, Herrn Professor Walther. Er hat mich so be-geistert, daß ich am Ende des dritten Semesters einen freiwilligen Vortrag hielt, der mir gut gelungen war. Ich erhielt ein besonderes Lob dafür und bekam ein gutes Zeugnis. Ich hatte das Gefühl, daß ich damit einen Teil des an der Albinuschule Versäumten aufholen konnte.

Der große Industriestandort Chemnitz bot natürlich uns Schülern der Werkmeisterschule auch viel Gelege-nheit, größere Betriebe zu besichtigen und daraus viel zu lernen. Auch landschaftlich war die Umgegend von Chemnitz sehr schön und bot viele Gelegenheiten zu Ausflügen in der Freizeit. Ostern 1891 machte ich mit einem Kollegen eine dreitägige Fußtour von Annaberg nach Karlsbad und zurück.

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Dieser Dampfdrehkran wurde 1891 für die Vereinigten Schiffer Dresden gebaut.

Die Sommerferien 1891 verbrachte ich in Lauenburg. Ich wurde hauptsächlich damit beschäftigt, ein kompli-ziertes Kranfundament auf einem in Bau befindlichen Kranschiff anzuzeichnen und mit einer Kolonne von Leuten fertigzustellen.

In diesen Ferien hatte mein lauenburger Kollege Haack einen Chemnitzer Schüler mit nach Lauenburg genommen. Es war Wilhelm Hoppe, der in diesen Ferien meine Schwester Sophie kennen lernte und später hei-ratete.

Während des ganzen Studiums waren Haack, Hoppe und ich eifrige Mitglieder der Schülervereinigung „Teu-tonia“ grau, weiß, rot. Wir benahmen uns dabei ziemlich studentenhaft, besonders durch Anleitung von Hoppe, der seine Lehrzeit in Leipzig erledigt hatte und dabei auch mit Studenten verkehrt hatte.

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Die Vereinigung „Teutonia“ hielt ihre Mitglieder auch noch nach dem Studium zusammen.

In allen größeren Städten wie Dresden, Leipzig oder Köln, gab es Alte-Herren-Vereinigungen. Auch in Ham-burg habe ich später lange dazugehört. Es war also eine Vereinigung für das ganze Leben. Während des Studi-ums wurde gewiß etwas über Gebühr gekneipt, doch war alles Veranlassung zu guter und bleibender Kam-eradschaft so daß ich mit großer Genugtuung an das Chemnitzer Studium zurückdenke. 1941 habe ich in der Hamburger Alte-Herren-Vereinigung mein hundertstes Semester gefeiert.

Nach erfolgreichem Abschluß der Königlichen Werk-meisterschule Chemnitz ging ich sofort in den väterli-chen Betrieb nach Lauenburg zurück.

In den Jahren vom Herbst 1892 bis zum Herbst 1896 habe ich als junger Techniker meinem Vater im Betrieb geholfen. Eine technische Aufsicht war besonders im Schiffbau erforderlich, da sich der Betrieb auf diesem Gebiet besonders ausdehnte und die Belegschaft weiter angestiegen war.

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Im Jahre 1892 habe ich das erste Motorboot gebaut, dem dann in den nächsten Jahren viele weitere folgten.

Dieses erste Motorboot, das mit einem 2 PS Daim-ler Benzinmotor ausgerüstet war, erhielt der Fährmann Ackermann in Lauenburg.

Der Bau fiel mir sehr schwer, da ich zwar Maschinen-bautechniker war, aber keine technischen Kenntnisse im Schiffbau hatte. Für die Schiffsform hatte ich ein Hol-zmodell in genauem Maßstab gemacht, es dann wieder zerlegt und im Maßstab in natura aufgezeichnet und so die Spantform ermittelt.

Das 1892 erbaute Motor-Fährboot “Anna” für den Lauenburger Fährmann Paul Ackemann fuhr viele Jahrzehnte zwischen Lauenburg und Honstorf.

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Im Schiffbau waren bis Sommer 1892 folgende Fah-rzeuge gebaut worden ( Baunummern 1 bis 33):

6 Schleppkähne, Berliner Maß zu 300 to. 2 Schleppkähne, Plauer Maß zu 500 to.18 offene Hamburger Schuten zu 20 bis 80 to. 4 diverse Pontons 1 Dampfdrehkran 1 eisernes Ruderboot

Im Jahre 1894 mußte ich zur Musterung. Es bestand die Gefahr, daß ich eventuell meine technische Tätig-keit bei Einziehung zum Militär auf Jahre hinaus un-terbrechen mußte. Ich habe daher versucht, das Einjäh-rige Examen noch nachträglich vor der Kommission zu machen. Hierzu war erforderlich, mich von den wissen-schaftlichen Fächern und den Sprachen befreien zu las-sen. Mein Antrag auf Befreiung wurde besonders durch Bürgermeister Menge in Lauenburg unterstützt. Er hat auch bestätigt, daß ich bereits seit zwei Jahren der Lauen-burger Schifferschule als Fachlehrer angehörte und dort zu voller Zufriedenheit wirkte. Mein Gesuch auf Befrei-ung wurde aber von der Kommission abgelehnt. Meine Bemühungen waren erfolglos. Die Musterungen ergaben aber auch meine Zurückstellung vom Militärdienst, ich kam in die Ersatzreserve, brauchte also nicht zu dienen.

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Die Beschäftigung im Schiffbau hielt an. Es wur-den von 1892 bis Ende 1896 folgende Schiffe gebaut (Baunummern 34 bis 60):

5 Schleppkähne, Berliner Maß zu 300 to.2 Schleppkähne, Saale Maß zu 350 to.2 Schleppkähne, Breslauer Maß zu 400 to.1 Schleppkahn, Plauer Maß zu 500 to.1 Schleppkahn, Bardowick zu 250 to.6 offene Hamburger Schuten zu 80 bis 100 to.5 Kastenschuten5 Motorboote

Ein Motorboot hiervon war auf eigene Rechnung ge-baut und mit einem 6 PS Petroleum-Motor ausgerüstet für eine Leipziger Firma. Dieser Motor bewährte sich aber durchaus nicht, wie viele andere Motoren für Petro-leum. Ich habe viele Probefahrten machen müssen, die unendlich mühevoll waren. Der Motor wurde schließlich zurückgegeben, das Boot mit einem Benzinmotor aus-gerüstet und anderweitig verkauft.

Theodor Hitzler bei der Erprobung eines Motorbootes

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Meine Tätigkeit im Schiffbau hatte mir gezeigt, daß ich unbedingt weitere technische Ausbildung in diesem Fach suchen mußte. Trotz aller Bemühungen kam ich nicht richtig vorwärts. Ich versuchte deshalb, als Hos-pitant an der Technischen Hochschule in Charlotten-burg zugelassen zu werden, was mir im Wintersemester 1896/97 auch gelang. Jetzt mußte ich den Besuch der Technischen Hochschule mit der weiteren Tätigkeit zu Hause im Betrieb verbinden. Ich besuchte die beiden Wintersemester 1896/97 und 1897/98 ziemlich lück-enlos. Zu den dazwischen liegenden Sommersemestern konnte ich allerdings nur teilweise in Charlottenburg sein und leitete fast ausschließlich die Schiffbauarbeiten in Lauenburg. Ich war an der Hochschule bis zum Som-mersemester 1899 eingetragen, wobei ich aber durch-weg nur an den Exkursionen teilnahm, um den Nutzen der Besichtigungen weiter genießen zu können.

Ich habe als Hospitant natürlich fieberhaft gearbeitet, besonders bei Professor Flamm, Theorie und Entwerfen von Schiffen, und habe dabei immer besondere Rücksi-cht auf den Flußschiffbau und die gerade vorliegenden Aufträge im Schiffbau genommen.

Im Winter 1897 schloß ich mit meinem Vater in Dresden den Bau von zwei großen Schleppkähnen von je 1000 to. für die Österreichische Nordwest Dampf-schiffahrtsgesellschaft ab. Ich machte die Schiffbauzeich-nungen an der Hochschule, während der Bau im Sommer 1898 unter meiner Aufsicht in Lauenburg erfolgte.

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So zeigte sich in den folgenden Jahren immer mehr, daß mein Studium im Schiffbau von großem Nutzen gewesen war. Es war nunmehr möglich, auch an schwi-erige Flussschiffsbauten heranzugehen, wie Motorboote, Frachtdampfer, Schlepper und ähnliches.

Der damals größte Doppelschraubendampfer mit Plauerkanalmaß, „Manteuffel“ für den Berliner Lloyd wurde gebaut. Ebenso der Güterdampfer „Werder“ für die gleiche Gesellschaft, als erster von einer größeren Reihe gleicher Schiffe.

Im Jahre 1908 entstand der damals größte Doppel-schrauben-Schleppdampfer „Nicolaus“ für Louis Meyn, ein Schiff von 400 bis 500 PS.

Der Schleppdampfer “Nicolaus” auf der Probefahrt.

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Eine besondere Spezialität wurde auch der Bau von Motorschiffen und Motorbooten für das Ausland, größtenteils für die Hamburger Exportfirma Deurer & Kaufmann. Die Firma setzte größtes Vertrauen in mich und in unseren Betrieb. Wir haben auch halbfertige Boote für Deurer & Kaufmann nach Frankreich gelief-ert. Einmal sogar ein Motorboot als Ausstellungsstück für den Pariser Salon.

In dem mondänen nordfranzösischen Badeort Dinard an der Rance, liefen acht bis zehn unserer Motorboote, die ich mit dem Exporteur persönlich besucht habe. Die Franzosen waren sehr freundlich. Später riß diese Verbindung ab, da die deutsch-französischen Beziehu-ngen sich durch politische Fehler von deutscher Seite verschlechterten.

Das Motorboot Transport 6 wurde im Passagierverkehr zwischen Saint Malo und dem gegenüberliegenden Seebad Dinard ein der Bretagne eingesetzt.

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Neben den technisch bemerkenswerten Schiffsneu-bauten wurden Schleppkähne, offene und gedeckte Ham-burger Schuten in großer Zahl gebaut. Eine besondere Spezialität war die Herstellung von Kastenschuten für die Export-Zuckerlieferungen im Hamburger Hafen. Die Größen von 150, 200 und 220 to. hatten sich besonders bewährt und die Ablieferungen erreichten eine Gesamt-zahl von 60 Stück.

Im Nachfolgenden möchte ich eine ungefähre Zusam-menstellung der Schiffsneubauten von 1896 bis 1910 ge-ben. Es ist also die Zeit nach meinem Schiffbaustudium bis zu meinem Abgang von der Werft in Lauenburg. Im Jahre 1907 habe ich meinen eigenen Betrieb in Hamburg eröffnet. Auf Wunsch meines Vaters, der 1910 starb, habe ich aber von 1907 bis 1910, daneben den Lauen-burger Betrieb weitergeführt.

Vor seinem Tode, Anfang 1910, hatte mein Vater den Wunsch, den Lauenburger Betrieb an meine Brüder, Georg und Franz Hitzler zu übertragen, während ich selbst auf die Lauenburger Werft verzichtete, um

Georg Hitzler Theodor Hitzler Franz Hitzler 1881 - 1926 1874-1955 1884-1946

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meinen Brüdern Platz zu machen. Ich habe damals eine genaue Aufstellung der Lauenburger Werft gemacht. Nach sehr vorsichtigen Schätzungen hatte die Werft damals einen Wert von 100 000 Reichsmark, der in 20 Jahresraten von 5000 Reichsmark von meinen Brüdern an Vater abgezahlt werden sollte. Außer diesem Ge-schäftsvermögen hatte mein Vater 1910 weitere Werte an Schiffshypotheken und sonstigem Vermögen von 150 000 Reichsmark, so daß sich der alte Herr ruhig zur Ruhe setzen konnte. Ich hatte bis dahin meine Schuld-igkeit getan und konnte mit ruhigem Gewissen meinen eigenen Betrieb in Hamburg aufbauen.

Leider ist mein Vater bald nach Übergabe der Werft gestorben. Meine Mutter konnte einem ruhigen Leb-ensabend entgegensehen, sie lebte in geordneten Ver-mögensverhältnissen.

Diese Ruhe wurde aber 1914 mit Beginn des Er-sten Weltkrieges jäh zerstört. Nach dem Kriege gingen meiner Mutter viele Vermögenswerte verloren. Auch die von meinen Brüdern gemachten Abzahlungen ver-loren ihren Wert. Meiner Mutter blieb nur ein kleines Vermögen von etwa 20 000 Reichsmark, darunter auch ein Grundstück. Meine beiden Brüder, Georg und Franz, zahlten für das Grundstück Miete und sonstige Vergün-stigungen, gewissermaßen als Altenteil. Ich persönlich habe meine Mutter natürlich auch in jeder Weise unter-stützt, so daß sie keine Not litt und ihre durch den Krieg verursachte Armut nicht besonders empfand. Sie starb im Jahre 1935 und hinterließ 9 Kinder, 28 Enkel und 17 Urenkel.

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Zusammenstellung der Schiffsneubauten in der Zeit von 1896 bis Ende 1910 (Baunummern 60 bis 281):

30 offene Hamburger Schuten.58 Kastenschuten und Leichter2 Tankleichter für Spiritus1 Seeleichter 300 to.1 Fähre58 Motorboote für deutsche Rechnung29 Motorboote für den Export1 Motoryacht4 Motortransportleichter für den Export24 Schleppkähne in verschiedenen Größen,darunter

sehr viele mit festem, eisernen Deck und Mastgeschirr

Frachtdampfer:„Bürgermeister Klug“ für Matthias Burmester,

Lauenburg„Hamburg III“ für Ernst Burmester, Hamburg„Manteuffel“ für Berliner Lloyd, Hamburg„Werder“ für Berliner Lloyd, Hamburg„Hamburg IV“ für Ernst Burmester, Hamburg„Calbe“ für Gebrüder Meyn, Hamburg

Schleppdampfer:„Sachsen-Lauenburg“ für G. Stahlbock, Lauenburg„Nicolaus“ für Gebrüder Meyn, Hamburg

Passagierdampfer:„Loreley“ für Saßnitzer Dampfer Gesellschaft, Rügen

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In den Jahren 1903 bis 1904 wurde das Schwim-mdock für den eigenen Betrieb gebaut.

Neben den Schiffsneubauten sind in steigendem Maße auch Reparaturarbeiten an Schiffen ausgeführt worden. Bis zum Jahre 1904 mußten die Schiffe auf Helgen recht mühsam an Land gezogen werden. Es ist bis dahin meh-rfach versucht worden, einen Schiffsaufzug herzustel-len. Die Anlage wurde aber durch die Wasserbaudirek-tion Magdeburg nicht genehmigt. Es wurde verboten, das Ufer mit festen Anlagen zu bebauen. Nach meiner Verheiratung bemühte ich mich um die Genehmigung zur Anlage eines Fluss-Schwimmdocks. Als Beispiel di-ente mir damals das Schwimmdock der P.P.S.G., Buda-pest, aber in einfacherer Ausführung, Meinen Plan des Flußschwimmdocks für Kähne und Dampfer bis 450-500 to. Tragfähigkeit ließ ich durch einen Professor in Kiel nachprüfen, der die äußere Form bestehen ließ, aber die innere Festigkeit der Bauteile festlegte. Das Lauenburg-er Wasserbauamt zeigte durch das Ausbaggern einer Dockgrube im Hafen vor der Werft großes Entgegen-kommen. Besonders der damalige Baurat Thomany hat sich um das Zustandekommen der Anlage sehr verdient gemacht. Das Schwimmdock wurde 1903/1904 auf der Werft gebaut. Da der große Schiffskörper voraussichtlich lange Jahre nicht wieder trockengesetzt werden konnte, wurde ein Holzboden gewählt. Das Dock wurde 1904 in Betrieb genommen und hat sich durchaus bewährt. Die Kosten betrugen rund 47 000 Reichsmark, die wie folgt von mir aufgebracht wurden: 30 000 Reichsmark durch eine Anleihe bei der Mecklenburgischen Sparbank in Schwerin gegen eine Bürgschaft meines Schwieg-ervaters, Herrn J.C.F. Sörensen in Hamburg. Den Rest

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von 17 000 Reichsmark ließ Vater Hitzler stehen. Er wurde in etwa sechs Jahren abgezahlt. Für den Betrieb des Schwimmdocks hatte ich eine separate Abmachung mit meinem Vater getroffen: Die Dockgelder und Über-schüsse, besonders bei Havariesachen, flossen mir zu. Ich habe davon die Zinsen und Abzahlungen für das Schwim-mdock geleistet. Darüber hinaus hatte ich weitere Über-schüsse, so daß ich 1907 auf den von mir in Hamburg gekauften Betrieb bereits rund 20 000 Reichsmark An-zahlung leisten konnte.

Der Lauenburger Werftbetrieb hatte aber durch das Schwimmdock auch selbst sehr gute Überschüsse, so daß auch mein Vater in den Jahren 1906 bis 1910 gut verdi-ente und sich damit Ende 1910 mit rund 250 000 Reichs-mark Vermögen zur Ruhe setzen konnte. Hierdurch war auch die Übergabe der Werft an meine Brüder Georg und Franz zum Preise von 100 000 Reichsmark erst möglich geworden.

Das Schwimmdock ist dann etwa 1910 nach Ham-burg überführt worden. Inzwischen hatte nämlich die Wasserbaudirektion Magdeburg die Anlage eines Breit-

Die neue Slipanlage mit 10 Wagen für Schiffe bis 500 t Gewicht wurde 1907 genehmigt

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seitenaufzugs in Lauenburg gestattet.

Nachdem diese Slipanlage fertiggestellt war entstand durch das fehlende Dock kein Nachteil. Es zeigte sich, daß für Lauenburg eine Slipanlage günstiger war, da hiermit mehrere Schiffe zur gleiche Zeit trockengesetzt werden können, gegenüber nur einem Schiff im Dock.

Im Vorstehenden ist ausführlich über die Tätigkeit der Werft im Schiffbau gesprochen worden. Es war in den Jahren bis 1910 aber auch die Maschinenreparatur-werkstatt zu allen Zeiten immer vollauf beschäftigt und hat sich ebenfalls weiter ausgedehnt. Ein großer Kundenkreis ließ Maschinenreparaturen ausführen, für Ziegeleien, Streichholzfabriken, landwirtschaftliche Maschinen, Pulverfabriken, Dynamitfabriken, für das Lauenburger Wasser- und Gaswerk u.s.w.

Durch Zukauf von Nachbargrundstücken konnte auch die Werkstatt und Schmiede erheblich erweit-ert werden. Dies bedingte auch eine Vergrößerung der Kraftzentrale. Anstelle des 6 PS Gasmotors wurde zunächst ein größerer Sauggasmotor in Betrieb genom-men.

Mit Ende 1910 ging der Betrieb in den Besitz meiner Brüder Georg und Franz über. Damit schließt meine Berichterstattung.

Links: Die Hitzler Werft um 1905

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Johann Georg Hitzler 1848 - 1910

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Erinnerungen an meinen VaterVon Theodor Hitzler

Mein Vater wurde am 17. Februar 1848 in Dettin-gen2, Oberamt Heidenheim bei Ulm, geboren. Er be-suchte wohl bis zu seiner Konfirmation die Dorfschule in Dettingen, kam dann in die Schlosserlehre zu Schlosser-meister Kraus nach Heidenheim. Seine Mutter war ver-mutlich schon während seiner Schulzeit gestorben. Sein Vater starb während der Lehrzeit. Dieser war Hafner-meister, wie später auch dessen ältester Bruder Theodor in Neu-Ulm. Mein Vater hat oft von seiner Lehrzeit er-zählt. Der Meister war wohl tüchtig, aber saugrob, wo-runter die Lehrlinge und die Frau Meisterin zu leiden hatten. Diese hatte die Angewohnheit, das Essen in großen Mengen für mehrere Tage vorzubereiten und im-mer wieder aufzuwärmen, bis die Lehrlinge schließlich nicht mehr dagegen an konnten. Er erzählte, dass eines Tages wieder ein Eimer voll Essen da stand, das keiner mehr mochte. Da wäre der Meister eines Abends mit großem Hunger nach Hause gekommen und habe, zu aller Freude, den ganzen Rest verschlungen.

Nach beendeter Lehre hat mein Vater dann in Dettin-gen seinen geringen Erbteil seinen damals schon verhei-rateten Geschwistern gegeben und ist auf Wanderschaft gegangen.

Im Jahre 1873 ist mein Vater dann wohl in Geislin-gen an der Steige aufgetaucht und ist dort in die Mas-

2 Dettingen am Albuch ist heute ein Ortsteil von Gerstetten im württembergischen Landkreis Heidenheim.

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chinenfabrik Straub eingetreten.

Zuvor ist aber zu sagen, dass Vater den Krieg 1870/71 als Artillerist in Ulm mitgemacht hat. Er ist nicht an die Front gekommen, sondern wurde im Arsenal beschäft-igt. Da er während des Krieges zum Unteroffizier be-fördert wurde, hätte er nach Württembergischem Mil-itärreglement sechs Jahre dienen müssen. Dies wurde aber nicht wirksam, da nach dem Kriege durch das inz-wischen gegründete Kaiserreich, alle militärischen An-gelegenheiten neu geregelt wurden.

Mein Vater hat übrigens während seiner Militärzeit im Arsenal die technische Unteroffizierschule mit Eifer besucht und war darüber sehr froh, da seine Schulken-ntnisse doch nur mangelhaft gewesen waren.

Vater muss aber wohl schon während seiner Mil-itärzeit unsere Mutter kennen gelernt haben, da sie uns oft erzählt hat, dass sie in langen Fußmärschen nach Ulm zu ihrem Soldaten gewandert ist.

Die Wasserräder der Firma Straub in Geislingen

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Bei Straub in Geislingen arbeitete Vater an Wasser-rädern. Dies sollte für ihn später von besonderer Bedeu-tung werden. Die Wasserräder von Straub waren sein-erzeit berühmt und waren z.B. auch auf einer großen Ausstellung in Wien zu sehen. In Geislingen bin ich dann am 5. Januar 1874 und unsere Schwester Sophie am 26.12.1874 geboren.

Von Geislingen ist Vater dann aus irgendeinem Grunde nach Cannstatt übergesiedelt, zur Maschinen-fabrik Kuhn in Berg bei Cannstatt.

Der Grund soll politischer Art gewesen sein. In Geislingen soll plötzlich ein politischer Redner aufge-taucht sein. Die Versammlungen waren gut besucht und man zerbrach sich in Arbeitgeberkreisen den Kopf, wer den Redner herbeigeholt hätte. Da mein Vater den Red-ner mehrfach gesprochen hatte, wurde er bezichtigt und entlassen. Daher also der kurze Ausflug nach Cannstatt.

Im Jahre 1875 oder 1876 wurde für die Pulverfab-rik Duttenhofer in Rottweil ein Obermeister gesucht. Da das alte Werk in einem kleinen Nebental des Neck-ars noch viel mit Wasserrädern arbeitete, wandte man sich an Straub in Geislingen und es wurde von dort der Monteur Georg Hitzler empfohlen, der auch schon als Monteur von Straub aus in Rottweil gearbeitet hatte. Der Apotheker Duttenhofer in Rottweil hatte damals schon der Firma Straub in Geislingen erklärt, dass er den Monteur Hitzler behalten wolle, da er wahrschein-lich ein toller Draufgänger war und gut in solch eine alte Pulvermühle passte.

Tatsächlich hat Vater dort in ein paar Jahren eine große Anzahl von Explosionen erlebt, worüber er viel erzählt hat. Das schwarze Gewehrpulver wurde dam-

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als auf trockenem Wege gemischt, staubte furchtbar und die geringste Unvorsichtigkeit genügte, um eine Entzündung herbeizuführen.

Ich selbst erinnere als einzigen Schreckenmoment eine so1che Explosion, wie ich mit meiner Mutter über eine halb abgedeckte Holzbrücke ins Werk lief, um Vater zu suchen.

Er ist oft so nahe daran gewesen, dass er mehrfach zuerst ganz apathisch und geistesabwesend war. Nach der Explosion war es mein Vater, der die Opfer suchen und bergen musste.

Er erzählte von einem Fall: Es fehlte ein Verunglück-ter der nur in den steilen Felsabhängen stecken konnte. Er nahm eine Kolonne Leute and ein langes Tau and ließ sich von oberhalb an den Felsen herunterfieren. Sie sollten natürlich anhalten, wenn er ihn gefunden hätte. Als er dann schrie „hier ist er“, ließen die Leute vor

In den 70er Jahren entstanden die ersten Fabrikanlagen der Rottweiler Pulverfabrik. Sie waren mit einem Seilantrieb zur Energieversorgung und mit einem Schienensystem zum Transport untereinander verbun-den. Aufnahme von 1877 (Bild: Stadtarchiv Rottweil)

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Schreck das Tau los. Vater konnte sich Gott sei Dank gerade an einem Strauch festhalten und wetterte dann nach oben, bis die Leute wieder anfassten. Er steckte den Toten in einen Sack und ließ sich dann wieder raufholen.

Der zweite gefährliche Fall war folgender: Ein Was-serrad war stark reparationsbedürftig, es musste ein eiserner Ring warm aufgezogen werden. Das Wasserrad trieb aber eine gefährliche Pulvermühle. Der rot-warme Ring musste durch die Mühle hindurch getragen werden. Mein Vater ließ das ganze Werk in weitem Umkreis ab-sperren und führte die Arbeit selbst aus. Trotzdem er natürlich alle möglichen Vorsichtsmassregeln getroffen hatte, war die Sache mit einem großen Risiko verknüpft. Seine Leute lagen in guter Deckung und glaubten jeden Augenblick es würde krachen.

Die vielen Exp1osionen in der Pulverfabrik hatten auch ein gerichtliches Nachspiel. Mein Vater musste sich in einer Gerichtsverhandlung in Rottweil verantworten. Man suchte natürlich Schuldige, und da war der Ober-maschinenmeister selbstverständlich der zuerst Verant-wortliche.

Er wehrte sich natürlich kräftig und sagte nach sein-er Aussage den Richtern auf schwäbisch: „Wir macha Pulver, da kracht’s halt a mal. Beim Bomboles - Moser in Stugard, da explodiert’s nit.“ (Bonbonfabrik Moser in Stuttgart).

Nach dem Kriege 1870/71 entstanden sehr viele Pul-verfabriken. Auch der Apotheker Duttenhofer und sein Bruder in Rottweil gründeten neue Fabriken.

Mein Vater wurde dazu ausersehen, auf eine solche

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neue Fabrik versetzt zu werden.

1877 war die Fabrik Düneberg bei Geesthacht erbaut und sollte montiert werden. Hierzu wurde Obermeister Hitzler und noch eine Anzahl anderer Württemberger Fachleute und Inspektoren nach Düneberg geschickt.

Als die Fabrik in Betrieb gesetzt wurde, fehlte es an Arbeitern. Ortsansässige waren wenig da. und außerdem war auch das damalige Verfahren noch das trockene Mis-chverfahren and daher gefährlich. Es mussten daher alle möglichen schlechten Elemente, Zuchthäusler etc. ein-gestellt werden. Es war Sache des Obermeisters Hitzler, mit diesen Elementen fertig zu werden, er war saugrob genug. sprach nur sein schwäbisch, das verstanden die meisten nicht, er hatte dabei aber auch eine lose Hand. die deutlich zeigte, was er wollte.

Nachdem einige Explosionen stattgefunden hatten,

Aquarell der Pulverfabrik Düneberg um 1889

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musste jeder Mann vor Betreten des Werkes abrevidiert werden, besonders auf Messer, Streichhölzer etc. Fand Vater irgendwo einen solchen Gegenstand, so schnitt er mit seinem Taschenmesser einfach die ganze Tasche weg. Die Strenge. die Vater ausübte war natürlich not-wendig, aber nur möglich, da er selbst ein sehr starker, kräftiger Mensch war, der bei einem etwaigen Handge-menge sicher nicht zu kurz gekommen wäre.

Dieses hat er einmal auch deutlich gezeigt. Vater ging jeden Sonnabend abends ins Dorf Geesthacht zum Biertrinken und zur Geselligkeit. Er hatte dort viele Freunde, die sein Schwäbisch auch schon ganz gut ver-standen. Eines Tages wurde er aber von seinen Leuten gewarnt, er solle nicht nach Geesthacht gehen, es könnte ihm etwas passieren. Er ließ sich nicht abhalten. Auf dem Rückweg trat ihm in den dunklen Tannen ein Mann entgegen. Er hatte aber diesen Mann sofort am Hemd-kragen gefasst und schlug mit einem schweren Stock so-lange auf den Mann ein, bis er nur noch ein Stück Hemd in der Hand hatte. Er sagte dann zu seinen Leuten: „Der kommt nimma.“

Das alte Werk in Düneberg war so angelegt, dass die einzelnen gefährlichen Werke weit auseinander lagen. Die Kraftübertragung erfolgte durch große Seiltriebe, die jeweils einige hundert Meter lang waren. Die Kraft-zentrale, eine 400 bis 500 pferdige, liegende Dampfmas-chine, die, wegen der Kohlezufuhr per Schiff, am Elbufer lag, hatte ebenfalls eine große mehrrillige Seilscheibe. Von der Zentrale aus wurden die Seiltriebe über große Pfeiler geleitet und von dort kleinere Seitenseiltriebe zu den einzelnen Werken abgezweigt.

Es war eine unendlich mühsame Übertragung, da die Seile fortwährend geflickt, gespleißt oder erneuert

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werden mussten. Da dies in der Betriebsruhe geschehen musste, blieb nur der Sonntag dafür übrig. Es war Sache des Obermaschinenmeisters, jeden Sonntag mit 50 bis 100 Mann anzutreten, um die Seile zu bearbeiten. Von diesem Triebwerk sind natürlich nur noch kümmerliche Reste zu sehen. Später gab es elektrische Übertragung und außerdem wurde von etwa 1900, oder noch etwas früher, das rauchlose Pulver eingeführt, eine ganz ande-re Fabrikation auf dem nassen Wege über Nitroglyzerin und völlig ungefährlich.

Mein Vater hatte bei seinen Sonnabend-Besuchen in Geest-hacht auch den Schiffsreeder Franz Burmester aus Lauenburg kennen gelernt. Dieser war mit seinem Brud-er Matthias Burmester Inhaber der Lauenburger Passa-gierdampfer, die von Lauenburg und Geesthacht nach Hamburg fuhren. Es waren ungefähr 4 bis 6 Schiffe, die im Winter im Lauenburger Winterhafen lagen. In den Jahren 1883 bis 1885 haben nun die Gebrüder Burmester aus Lauenburg meinen Vater mehrfach und immer wie-der aufgefordert, eine eigene Reparationswerkstatt im Lauenburger Winterhafen zu gründen. Sie hatten wohl großes Vertrauen zu ihm, da er in Düneberg ja auch eine größere Reparaturwerkstatt mit 30 bis 50 Facharbeit-ern und allen maschinellen Einrichtungen hatte. Mein Vater sagte schließlich zu und kündigte seine Stellung. Es wurde ihm zugesagt, dass, wenn sein Unternehmen nicht glücken sollte, er wieder zurückkommen könnte. Mitte des Jahres 1885 kauften die Gebrüder Burmester in Lauenburg ein passendes Wassergrundstück, ein pas-sendes Werkstattgebäude wurde errichtet und über der Werkstatt eine Wohnung untergebracht.

Die Größe der Werkstatt genügte zunächst für ca.

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30 bis 40 Schlosser und Maschinenbauer. An Werkzeug-maschinen waren drei bis vier Drehbänke, Bohr- und Hobelmaschine, Shaping und eine Schmiede vorhanden. Der Einzug erfolgte im Oktober 1885. Der Winter-hafen brachte die erhoffte Arbeitsgelegenheit in reichem Maße, doch zeigte sich bald im Sommer ein Arbeits-mangel. Die Sommerzeit sollte nun durch Flussschiff-bau ausgefüllt werden. Schon 1886 ist der erste Schlep-pkahn fertiggestellt worden. Für Kähne war damals ein großer Absatz möglich. Der Schiffbau fiel aber meinem Vater sehr schwer. Er hatte darin, wie verständlich, keine Erfahrung. Es wurde dafür ein Meister eingestellt, der aber der Sache auch nicht gewachsen war. Hinzu kam, dass der Schiffbau noch von Hand betrieben wurde, also ohne Scheren, Stanzen etc. und ohne Holzbearbeitungs-maschinen. Dies war der Grund, dass viele Jahre hindu-

Das Grundstück an der Stecknitzstrasse um 1885. Das zweite Haus von rechts gehörte dem Töpfer Triloff., in dessen Garten links J.G.Hitzler seine Werkstatt gebaut hat.

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rch alles, was im Maschinenbau und in der Schlosserei verdient wurde, im Schiffbau wieder zugesetzt werden musste, wenn auch im Ganzen immer ein Fortgang bli-eb. Im Maschinenbau und in der Schlosserei haben wir schließlich für die ganze Umgegend gearbeitet. Ich erin-nere dies aus meiner Lehrzeit von 1888 bis 1890. Wir hatten viel auf Ziegeleien zu tun, auf Streichholzfab-riken, Fassfabriken, der Pulverfabrik in Düneberg und der Dynamitfabrik in Krümmel. Dazu kamen Repara-turen an landwirtschaftlichen Maschinen, Lokomobilen, Pumpen, Glockenstühlen, Windmühlen sowie Brücken-reparaturen und solche an Wasserturbinen. In der Bin-nenschifffahrt arbeiteten wir auf allen Gebieten, auch an Baggern und Spezialfahrzeugen.

Nach beendigter Lehrzeit 1890 kam ich auf die

Der erste Neubau. Ein „Berliner Maß“ Schleppkahn für den Lauenburg-er Schiffer Johannes Drewes 1886

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Werkmeisterschule der Technischen Lehranstalten in Chemnitz. Diese Ausbildung dauerte nur drei Semester, so dass ich Ende 1892 schon wieder im Betrieb tätig sein konnte. Er war inzwischen so weit angewachsen, dass mein Vater schon auf mich wartete und ich ihm als jung-er Techniker schon recht gut helfen konnte.

Ich bekam nun trotz meiner 18 Jahre schon größere Kolonnen, mit denen ich besonders im Schiffbau selb-ständig arbeiten konnte.

In dieser Zeit ging ich vor allen Dingen daran, die Schiffbau – Maschinen mit Kraftantrieb zu versehen und Band- und Kreissäge aufzustellen. Da die Mittel für neue Schiffbaumaschinen nicht vorhanden waren, wur-den zunächst die alten Handmaschinen auf Riementrieb umgebaut. Die Transmission wurde auf Pfosten hoch-gelegt und von der alten Transmission mit Riemen an-getrieben.

Hier muss ich etwas über unseren alten Kraftantrieb einschalten:

Bei Anlage der Werkstatt im Jahre 1885 gelangte ein 6 PS liegender Gasmotor zur Aufstellung. Lauenburg war eine der ersten Städte, die damals Leuchtgas hat-ten. Der liegende Deutzer Gasmotor war damals eine sehr moderne Kraftmaschine. Die ersten Gasmaschinen waren erst einige Jahre vorher entstanden. Der Mo-tor hatte eine offene Zündflamme, die durch einen hin- und hergehenden Bronzeschieber das Zylindergemisch entzündete. Es ist bemerkenswert, wie lange dieser Mo-tor seine Aufgabe erfüllt hat. Bei den vorbeschriebenen Antriebsmaßnahmen im Schiffbau um 1893/94 reichte allerdings die Kraft nicht mehr ganz aus. Wir kamen dann auf den Ausweg, dem Leuchtgas etwas Petroleum

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zuzusetzen, wodurch die Kraft zunahm. Sie wird dann wohl acht bis zehn PS betragen haben.

Ich komme nun zurück auf die gemeinsame Gründ-ung des Betriebes in Lauenburg mit den Gebrüdern Burmester. Eine schriftliche Abmachung irgendwelcher Art ist damals nicht getroffen worden. Als Vater noch in Düneberg war, hat wohl Franz und auch Matthias Burmester ihm versprochen, dass er das Geschäft alleine haben sollte. Die Mittel haben zum allergrößten Teil die beiden Burmester hergegeben. Mein Vater hatte damals nur geringe Mittel, da seine zahlreiche Familie sein Ge-halt wohl immer ziemlich aufgebraucht hat.

Die von Burmester eingeschossenen Mittel haben meiner Erinnerung nach etwa 40 000,- bis 50 000,- Mark betragen. Herr Matthias Burmester hat stets zu seinem Versprechen gestanden, dass er von der Reparaturwerk-statt nichts haben wollte; weiter nichts als die allmähli-che Rückzahlung seiner Einlage. Herr Franz Burmester hatte sich aber eines anderen besonnen, als er sah, dass der Betrieb sich entwickelte. Er wollte Gesellschafter werden und fing einen Rechtsstreit an, der in den Jahren 1893 bis 1895 geschwebt haben muss. Mein Vater war hierüber sehr unglücklich und ich hatte meine Not, in Gemeinschaft mit meiner Mutter, ihn zu beruhigen. Er konnte auch nicht abstreiten, dass bei den mündli-chen Besprechungen alles Mögliche besprochen worden war, was man so und so auslegen konnte. Es kam aber in diesem Rechtsstreit zu einem Vergleich. Die eigentli-chen Schulden an Burmesters waren nämlich inzwisch-en schon immer weiter abgezahlt worden. Nun erhielt Franz Burmester aufgrund des Rechtsstreites die Rest-schulden ausbezahlt und noch einen Abstand oder eine Vergütung von 6.000,- bis 8.000,- Mark. Damit war die

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Sache ausgestanden. Wahrscheinlich hatte Franz Bur-mester geglaubt, wir schafften diese Zahlungen nicht, aber da hatte er sich geirrt.

Solange die Maschinen-Reparaturwerkstatt noch kleiner war, hat mein Vater sehr heftig und fleißig mit-gearbeitet und ein sehr strenges Regiment geführt. Da-bei war er Neuerungen in der Arbeitsweise und den Leu-ten gegenüber durchaus zugänglich.

So erinnere ich den Übergang von der elfstündigen Arbeitszeit auf die zehnstündige. Es kam ein auswär-tiger Facharbeiter und nachdem er kurze Zeit da war, kam der Antrag auf Herabsetzung der Arbeitszeit. Er war natürlich geschickt worden. Mein Vater war aber so einsichtig, dass er sofort nachgab. Bei dem strengen Regiment kamen ihm seine großen Körperkräfte zugute. So kam er mir als jungem Techniker mal zu Hilfe. Er sah, dass ich mich mit einem angetrunkenen Schlosser abmühte, ich konnte ihn nicht hinausbringen. Vater sag-

Die Belegschaft im Jahre 1898 im Garten der Gärtnerei Wübbenhorst.Hinten links mit der hellen Jacke Johann Georg Hitzler, vorne Links ne-ben dem Schiffsmodell Theodor Hitzler

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te nur: „Was, Theodor, Du hast ihn schon dreimal auf-gefordert rauszugehen? Das werden wir gleich haben!“ Er hat den Mann dreimal angefasst, dann lag er blutend auf der Straße.

Mit dem großen Vorschlaghammer konnte keiner so zuschlagen wie er. Beim Abkeilen von Radnaben konnte er am längsten und kräftigsten draufschlagen und er tat es auch, wenn alle schlapp waren.

Vater Hitzler war in Lauenburg sehr beliebt. Das sah man besonders bei Festlichkeiten, wie Schützenfest, Kriegerfesten und ähnlichem. Er gab immer sehr gerne einen aus und deshalb blieben seine Genossen, die darauf

Lauenburger Honoratioren 1888. Oben rechts Johann Georg Hitzler, links daneben Friedrich Schoenfeld, Inhaber der Zündholzfabrik.

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warteten, so lange, bis Hitzler warm wurde und sang.

Selbstverständlich war er auch ein- oder zweimal Schützenkönig. Das waren große Feierlichkeiten, aber auch große Anstrengungen für ihn persönlich. Unsere Mutter hat ihn oft ermahnt, mit seiner Gesundheit etwas vorsichtiger umzugehen. Aber alles Bitten half nichts, bis er es selbst spürte. Mit 55 Jahren hatte er Schmer-zen und Kälte in den Füßen. Mit 60 Jahren war dies so schlimm geworden, dass er eine Kur in Neuenahr machen musste. Hier hatte er das Unglück, dass eine Schwester einen Fuß im Heißluftbad verbrannte. Dies konnte nicht mehr geheilt werden. Mutter und ich brachten ihn nach Hause und kurz darauf nach Lüneburg, wo ihm zuerst ein Fuß und dann ein Schenkel amputiert wurde. Er hat dann noch ein künstliches Bein bekommen und konnte wieder zum Biertrinken gehen. Er konnte eben nicht zu Hause sitzen.

Im Dezember 1910 starb Johann Georg Hitzler zwei-undsechzigjährig, nachdem er zuvor seinen Betrieb an seine Söhne Georg und Franz übertragen hatte.

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Erinnerungen an meine MutterVon Theodor Hitzler

Meine Mutter, geborene Margarete Haug, ist ge-boren am 4. Mai 1853 in Geislingen an der Steige/Württemberg als Tochter des Drechslermeisters Jacob Haug und Mutter Anna-Maria, geborene Wittich.

Der Vater Haug in Geislingen war ein sehr vielseitiger geachteter Bürger von Geis1ingen. Er war gelernter Elfenbeindreher, eine Hausindustrie in Geislingen. Die-ses Handwerk setzte eine große Hand- und Kunstfer-tigkeit voraus, da die Geislinger Erzeugnisse ins übrige Deutschland, besonders in die Badeorte und ins Ausland verschickt wurden. Nach seiner Lehrzeit war auch Vater Haug auf Wanderschaft gegangen und unter anderem auch in Hamburg gewesen. Haug hat aber in späteren Jahren nicht mehr sein eigentliches Handwerk ausgeübt, sondern war zeitweilig auch anders beschäftigt. So soll er lange Jahre Vorsteher eines Hospitals gewesen sein. Als ich ihn 1884 kennen lernte, als Schuljunge in den Ferien, war er schon Fotograf, hatte ein eigenes Atelier und lieferte viele Bilder, wobei ich ihm damals helfen musste. Auf kurze Zeit ist Großvater Haug auch in Lauenburg gewesen, etwa in den Jahren 1886 bis 1887. Er hat in dieser Zeit die Geschäftsbücher geführt, was meinem Vater damals wohl eine große Hilfe war. Haug war aber schon zu alt and hatte wohl Heimweh bekom-men und ging dann wieder zurück nach Geislingen, wo er einige Jahre später starb.

Als besonderen Vorzug habe ich noch in Erinnerung, dass Haug sehr musikalisch war, er spielte Cello in ei-

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nem Quartett zusammen auch mit meinem Vetter Emil Schütze.

Die Mutter Haug ist früh gestorben, soviel ich er-innere an Lungentuberkulose. Diese Krankheit hat sich später aber nur auf eine Enkelin übertragen, die als junges Mädchen an derselben Krankheit starb.

Vater Haug war ein ausgezeichneter Erzieher, ein re-ligiöser Mann, der in allen Dingen mit gutem Beispiel voranging.

Unsere Mutter hat sicher im Elternhause viel Gutes gelernt, dass sie dann später auf ihre eigene Familie übertragen hat.

Aus meinen Erinnerungen an meinen Vater ist er-sichtlich, dass unser Vater nicht die gute Erziehung im Elternhause haben konnte, da seine Eltern so früh ges-torben waren und er sehr früh in die Welt hinaus musste. Von unserem Vater haben wir dagegen wohl die Energie und Tatkraft geerbt. Von der Mutter viele sonstige gute Eigenschaften, soviel es dem Einzelnen glückte.

Der Ort Geislingen war eine sehr lebhafte Kreisstadt und gewiss geeignet, auf heranwachsende Menschen einen guten Eindruck zu machen, der sich auf unsere Mutter übertragen hat. Auch die ersten Ehejahre unser-er Eltern haben davon wohl gut gehabt.

Unsere Mutter muss als junges Mädchen von ca. 17 bis 18 Jahren unseren Vater kennen gelernt haben, a1s er Schlosser bei der Maschinenfabrik Straub in Geislingen war. Mutter hat oft erzählt, dass sie zu Fuß nach Ulm gewandert ist, um ihren Soldaten Georg zu besuchen. Es war dies ein weiter Weg, und ich habe nicht mehr in Erinnerung, ob die Bahn damals zu teuer war, oder

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was sonst die Veranlassung war, dass Mutter den Weg zu Fuß machen musste. Es muss dies in der Zeit des Krieges 1870/71 gewesen sein. Vater ist damals nicht an die Front gekommen, sondern musste im Arsenal Ulm arbeiten. Nach dem Kriege ist dann Vater Hitzler nach Geislingen zurückgekehrt als Schlosser und Monteur bei Straub in Geis1ingen.

Mutter and Vater Hitzler heirateten dann am 17. Februar 1873. Mutter war also rund 20 Jahre alt, der Vater 25 Jahre alt. Man kann also sagen: „jung gefreit, hat noch niemand gereut.“ Am 5. Januar 1874 wurde ich, der erste Sohn Theodor, in Geislingen geboren.

Die Ehe sollte aber in den ersten Jahren nicht so ruhig verlaufen, sie mussten mehrfach umziehen. Dies war gewiss für unsere Mutter eine besondere Beanspru-chung und mit vie1 Mühen verknüpft. Zunächst fand der Umzug nach Cannstatt, zur Maschinenfabrik Kühn in Berg bei Cannstatt, statt. Dort wurde das zweite Kind, die Tochter Sophie geboren und zwar am 26.12.1874, also im gleichen Jahre noch, in dem ich geboren war.

Schon ein weiteres Jahr später fand der Umzug nach Rottweil am Neckar statt. Hier dauerte der Aufenthalt etwas länger, nämlich bis 1877.

Von dieser Zeit ist mir persönlich noch einiges in Er-innerung. Auch hat Mutter von dieser Zeit oft erzäh1t.

Main Vater war in Rottweil Maschinenmeister auf der Pulverfabrik Duttenhofer im sogenannten Fuchsloch. Es war dies ein abgelegenes kleines Tal mit einem Bach, der in den Neckar floss. Die Fabrik lag ganz abgelegen, da die Herstellung von Pulver damals sehr gefährlich war und zu häufigen Explosionen Anlass gab.

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Unsere Wohnung war damals auch nicht weit von der ei-gentlichen Fabrik entfernt. Meine Mutter schwebte da-mals in fortwährender Angst und hat viele Explosionen mitgemacht. Nach den Explosionen musste mein Vater, vorausgesetzt. dass er unverletzt war, die Verunglückten aus den Trümmern holen und die Frauen, die auf der Fabrik wohnten mussten die Verunglückten, - gewöhn-lich Verbrannte - pflegen, also Krankenschwester spiel-en. Hier hat unsere Mutter erschütternde Erlebnisse ge-habt, war aber immer die Tapferste von den Frauen. Ich selbst erinnere mich, dass ich nach einer Explosion mit meiner Mutter, die mich am Arm hatte, auf das Werk ei-lte und wir Vater suchten. Ich sehe noch genau die große schwarze Wolke, auch kamen wir über eine Brücke, die kaum noch Bohlenbelag hatte. Unser Vater war auch da-mals unversehrt geblieben, er war aber doch so in der Nähe gewesen, dass er eine zeitlang geistesabwesend

Beispiel der Verwüstungen nach einer Explosion, die am 3.12.1906 ein zentrales Areal im Werksgelände zerstörte. (Bild: Stadtarchiv Rottweil)

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gewesen war und erst von seinen Leuten wachgerüttelt werden musste.

In den „Erinnerungen an meinen Vater“ habe ich ei-nige andere Explosionsbegebenheiten beschrieben.

Im Fuchsloch habe ich meiner Mutter als 2 – 3 jäh-riger Junge eine besondere Angst verursacht. Ich war hinter unserer Wohnung an die bewaldeten Felsen hi-naufgeklettert und musste lange gesucht werden.

Im Jahre 1877 wurde mein Vater in die neu erbaute Pulverfabrik Düneberg bei Geesthacht (30 km oberhalb Hamburgs) versetzt. Diese Fabrik war eine Neugründ-ung des Apothekers Duttenhofer und seines Bruders. Mein Vater wurde hier Obermaschinenmeister und musste das Werk im Ganzen mit aufbauen.

Mit dieser Versetzung ist unsere rein schwäbische Familie nach Norddeutschland verpflanzt worden, dehnte sich dort weiter aus und blieben auch fast alle Nachkommen in Nord- und Mitteldeutschland. Nur der jüngste Hitzler siedelte 1921 nach Bayern zurück.

Unsere Wohnung in Düneberg war etwas freier und schöner als die im Fuchsloch. Einsam lag aber auch diese Fabrik, eingebettet in kahle Sanddünen, die zum Besitz des Fürsten Bismarck in Friedrichsruh gehörten.

Auch in diesen Jahren 1877 – 1885 erfolgten einige Explosionen, die ich zum Teil noch gut erinnere. Auch hier musste Mutter den Verunglückten die Erste Hilfe bringen. Ich erinnere, wie fünf nackte Gestalten auf ein-en Saal gebracht wurden und von den Frauen in Leinöl und Watte gepackt wurden.

Hier in Düneberg sind drei weitere Hitzler geboren, nämlich Meta, Georg und Franz. Ein weiteres Kind ist

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im frühen Alter wieder gestorben.

Unsere Mutter hatte also jetzt schon 6 Kinder zu ver-sorgen und einen Mann, der außerordentlich stark be-schäftigt war. Der Betrieb ging nämlich Tag und Nacht. Jede zweite oder dritte Nacht hatte Vater Nachtdienst und durfte dann morgens 2 - 3 Stunden länger schlafen. Aber auch in den übrigen Nächten musste der Vater als Obermaschinenmeister bei jeder Betriebsstörung aufste-hen und in den Betrieb gehen.

Man kann sich denken, was unsere Mutter in diesen Jahren hat leisten müssen; bei diesem Geschäftsbetrieb Tag und Nacht, dazu die Gefahr und die Erziehung von 6 Kindern. Der Vater musste in dieser Zeit eine große Energie und Tatkraft entwickeln, seine Anforderungen gingen zu Hause vor. Er verlangte rücksichtslos was er brauchte.

Alles nahm unsere Mutter geduldig auf sich. Sie hatte ihre Not, die Kinder zu beruhigen, wenn Vater im Hause war. Dazu das einsame Leben auf der Fabrik, vieles zum Haushalt musste doch aus dem Dorf Geesthacht geholt werden. Sie wird in dieser Zeit kaum eine Abwechslung gehabt haben, sie war nur Mutter, die für viele Kinder sorgen musste und für einen Mann, der ganz aufging in seiner Aufgabe, die nur ein saugrober Schwabe erfüllen konnte.

Seine Tätigkeit auf der Fabrik Düneberg habe ich in den Erinnerungen näher beleuchtet.

Aus unserer Wohnzeit in Düneberg erinnere ich noch zwei gefährliche Begebenheiten, die auch unsere Mutter in Angst versetzt haben.

An einem Sonntagmorgen, als wir alle noch im Bett

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lagen, auch Vater, war plötzlich Feueralarm. Es hatte sich ein großer Waldbrand im Werk entwickelt. Große, schwarze Wolken stiegen zum Himmel. Mein Vater er-kannte sofort die Gefahr und verlangte, dass meine Mut-ter mit uns Kindern sofort ins Freie laufen sollte in die Richtung Geesthacht. Es war nämlich höchste Gefahr, dass der Waldbrand die einzelnen Werksgebäude er-fasste, besonders das große Pulvermagazin. Wäre dies in die Luft geflogen, wäre wohl alles zerstört worden. Da-her verlangte Vater unsere Flucht. Nach stundenlanger Bemühung mit einig hundert Leuten war das Feuer durch Bäume fällen isoliert und damit diese wirklich große Gefahr beseitigt.

Eine andere große Gefahr wurde durch ein Hochwas-ser herbeigeführt. Nach Beendigung eines Winters trat nach Tauwetter Eisaufbruch der Elbe ein. Das Eis trieb aber nicht ordnungsmäßig ab, sondern es trat Eisver-stopfung unterhalb der Fabrik ein. Die Elbe staute sich auf, das Wasser stieg rapide und floss über die Wiesen unterhalb der Fabrik. Es brach ein Sommerdeich und das Wasser heulte mächtig. Das Wasser stieg aber immer weiter, lief zwischen die einzelnen Werke und kam auch in die Nähe unseres Wohnhauses, schließlich fast bis an die Schwelle. Es muss sich dann wohl die Eisverstopfung gelöst haben und es trat wieder schnell Fall ein.

Unser Umzug von Düneberg nach Lauenburg erfol-gte im Oktober 1885. Die Gründe habe ich an anderer Stelle beschrieben.

Wir wohnten in Lauenburg zunächst in einem Haus am Marktplatz zur Miete, bis die Wohnung in unserer eigenen Fabrik im Frühjahr 1886 fertig war.

Durch diesen zweimaligen Umzug war unsere Mut-

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Die Hitzlerkinder 1890 hintere Reihe von links: Sophie *1874, Theodor *1874 Georg *1881, Meta *1879, mittlere Reihe: die Zwillinge Frieda und Lieschen *1887, Pauline *1878, vorne: Franz *1884, Emma 1888. Der jüngste Soh Wal-ter wurde erst 1895 geboren

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ter natürlich stark in Anspruch genommen worden, wie überhaupt die Errichtung eines eigenen Betriebes und die große Familie besondere Belastungen waren. Aber auch in Lauenburg vergrößerte sich die Familie weiter. Die Zwillinge Lieschen und Frieda wurden geboren, als-dann die Tochter Emma und schließlich der Sohn Wal-ter.

Die Sorgen nahmen also für meine Mutter in Lauen-burg nicht ab. Der Vater hatte nunmehr seinen eigenen Betrieb, dem er sich mit ganzer Kraft widmete. Alls wurde den Erfordernissen der eigenen Existenz unter-geordnet. Das Geschäft, und damit besonders die An-sprüche des Vaters, ging allem anderen vor. Wenn die Kinder unruhig waren, was bei der großen Zahl nicht verwunderlich war, sagte mein Vater nur zur Mutter: „Naus mit, naus mit den Senfmachern!“

Gegen uns Kinder war unser Vater nicht nur streng, sondern oft übermäßig hart. Häufig musste uns Mutter in Schutz nehmen, was sie gewöhnlich dadurch tat, dass sie uns versteckte, bis die Wut des Vaters verraucht war. Die Härte des Vaters nahm natürlich mit den Jahren ab. Die jüngsten Kinder haben nicht mehr soviel davon er-fahren. Nur wir älteren Kinder haben noch das volle Maß mitbekommen.

Sowohl Mutter als auch Vater waren gegen den Jüngsten Sohn Walter von einer rührenden Sanftmut. Sie haben uns ältere Kinder immer zur Güte und Mithil-fe gegen die Jüngeren und Jüngsten angehalten. Meine Schwester Sophie hat besonders viel Mithilfe bei der Er-ziehung der jüngeren Geschwister leisten müssen. Der Altersunterschied unter uns Kindern war ja auch sehr groß. Meine Schwester Sophie und ich waren schließlich zwanzig Jahre und älter, als die letzten Geschwister an-

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kamen. Meine Mutter hat mir im Alter einmal gesagt, dass sie sich schließlich vor den großen Kindern geni-ert habe, immer wieder noch weitere Kinder zur Welt zu bringen. Unsere Mutter hat aber alles mit großer Geduld ertragen.

Dabei hat sie aber auch manchen Kummer tragen müssen, der sich hätte vermeiden lassen. So erinnere ich, dass sie eine zeitlang sehr unter Eifersucht litt. Ob die-ser Verdacht berechtigt war, habe ich nie untersucht. Ich hatte aber das Gefühl, dass mein Vater diesen Zweifel hätte beseitigen müssen. Ich war der Älteste und wurde von Mutter in heiklen Situationen oft ins Vertrauen gezogen.

In den Jahren 1893 bis 1895 kam mein Vater in eine Geschäftskrise, unter der auch meine Mutter stark litt.

Ein Mitbegründer des Lauenburger Betriebes klagte auf Mitbeteiligung am Betrieb. Mein Vater geriet hi-erüber in große Mutlosigkeit, trotzdem er doch sonst so tatkräftig war. Meine Mutter und ich taten unser Möglichstes, um Vater wieder aufzurichten, der schon damit drohte, sein Gewehr zu benutzen.

Die Klage führte zu einem Vergleich, der durch Geldzahlung erledigt werden konnte. Ich war damals schon junger Techniker und half tüchtig im Betrieb. Hi-erdurch wurde es uns möglich, das Geld aufzubringen. Meine Mitverantwortung wuchs in dem Maße, wie Vater kränklich wurde. Er schonte seine Gesundheit in keiner Weise, trotzdem Mutter ihn immer wieder darum bat. Er übertrieb sowohl im Geschäft, als auch im Privatle-ben, und Mutter verzieh immer wieder, wenn ihm seine Übertreibungen schlecht bekommen waren. Trotz die-

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ser Extra-Kümmernisse hat Mutter besonders treulich für ihre große Kinderschar gesorgt. Man bedenke: zehn Kinder groß zu machen, zu kleiden, zu erziehen, in die Schule zu schicken und noch seelisch zu betreuen. Als die jüngsten Kinder noch klein waren und sie sich müt-terlich um sie kümmern musste, waren die ersten Kinder schon groß, brachten vielleicht schon großen Kummer, wollten unter Umständen schon heiraten oder bekamen schon selbst bald Kinder.

Die Warnungen Mutters wegen der Gesundheit Vaters waren nur berechtigt gewesen. Schon mit 55 Jahren hatte Vater kalte Füße bekommen und musste mit ca. 59 Jahren eine Kur in Neuenahr durchmachen Hier passierte ihm das Unglück, dass ein Fuß im Heißluftbad verbrannt wurde. Von diesem Unfall sollte er sich nicht mehr erholen. Der Fuß musste amputiert werden. Er bekam ein künstliches Bein. Aber mit 62 Jahren, im Jahre

Die Familie 1908. In der Mitte rechts Margarete und Johann Georg Hitzler. Links die Töchter Emma und Frieda. Ganz Rechts Lieschen.

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1910, starb Vater. In diesen letzten Jahren hat Mutter den Vater unermüdlich gepflegt, ihm immer wieder alles verziehen und im Tode dann rührend von ihm Abschied genommen.

In der nun beginnenden Witwenzeit hat Mutter sich besonders liebend um ihre große Kinderschar geküm-mert. Nachdem alle verheiratet waren, freute sie sich aufrichtig zu jedem ankommenden Enkelkind. Diese Witwenzeit dauerte noch 25 Jahre, sodass sie nicht nur 28 Enkelkinder, sondern auch noch 11 Urenkelkinder ankommen sah. Mutter war in dieser langen Zeit der Mittelpunkt der ganzen großen Familie. Sie hielt regen Schriftverkehr mit allen Kindern die schließlich weit zer-streut in Deutschland wohnten. Wenn wir etwas von un-seren Geschwistern wissen wollten, brauchten wir nur unsere Mutter zu fragen, die wusste alles.

Ein besonderer Kummer für meine Mutter war, dass unser Bruder Georg lange nicht heiraten wollte. Er lebte bei der Mutter und wurde von ihr blendend betreut. Es war dies in der Zeit von etwa 1910 bis 1920. Die Betreuung machte sie schon gern, aber der Kummer be-gann, als Georg mit ungefähr 36 Jahren doch noch heira-tete und zwar eine Frau, die nicht zu ihm passte und wohl auch nicht gut beleumundet war. Bruder Georg wurde vor ihr gewarnt. Auch ich habe ihm dringend abgeraten. Er heiratete aber doch und ging damit eine auch für ihn unglückliche Ehe ein. Mutter Hitzler sah dies sehr woh1 und hatte ihren Kummer darüber. Georg wurde im Jahre 1926 ernstlich krank und starb nach einer Operation.

Wir haben alle das Gefühl, dass er diese Krisis über-standen hätte, wenn er nicht selbst sehr unglücklich

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gewesen wäre.Alle verheirateten Kinder kehrten immer wieder bei

Mutter in Lauenburg ein. Hierdurch sind im Laufe der Jahre bei der Mutter mit den 10 Kindern sehr schöne Familienzusammenkünfte zustande gekommen.

Aber auch die Witwenzeit Mutters ist nicht ohne Erschütterungen für sie vorübergegangen. Die Vermö-gensverhältnisse Mutters waren beim Tode Vaters sehr wohl geordnet gewesen. Sie hatte ein eigenes Vermö-gen von ungefähr 150.000,- Mark und im Geschäft ein Guthaben von 100.000,- Mark, das in Jahresraten von je 5.000,- Mark abgezahlt wurde. Da brach 1914 der erste Weltkrieg aus und brachte alles ins Wanken, be-sonders durch die Inflation 1922 -1923. Ihr Vermögen sank auf ein Grundstück und ca. 20.000,- Mark herab. Ich habe nach Möglichkeit versucht, sie über dieses Un-glück hinwegzutäuschen, das uns ja alle betraf, aber die alten Leute natürlich am schlimmsten. Die Brüder Franz

Georg Hitzler und Ehefrau Hertha:

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und Georg zahlten ihr Jahresmiete für das Grundstück und sorgten in jeder Weise für ihre Altenteilswohnung. Ich selbst habe ebenfalls eine Monatsrente gegeben, so dass sie in den letzten Lebensjahren nicht das Gefühl der Armut zu haben brauchte. Ihr besonderer Kummer war nur der, dass sie so wenig für ihre Töchter hinter-lassen konnte, obgleich sie bei ihrer Zurruhesetzung ein so stattliches Vermögen besessen hatte, erworben durch jahrzehntelangen Fleiß und Ausdauer.

Eine besondere Freude haben wir unserer Mutter gemacht, indem wir in Regensburg eine eigene Werft für ihren jüngsten Sohn Walter gründeten, der ihr Nach-kömmling geblieben war.

Viel Tränen hat Mutter vergossen, als Walter gleich anfangs des Krieges vermisst war und dann so lange in Gefangenschaft sitzen musste. Ihre Freude war groß, als Walter ausgetauscht wurde. Sie hat dann sofort eine

Großmutter Hitzler mit ihrem Kaktus.

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Reise mit ihm nach Süddeutschland gemacht.

Eine besondere Erinnerung haben wir an unsere Mutter gelegentlich der verschiedenen Hochzeitsfei-erlichkeiten der jüngeren Geschwister in ihrem Hause. Auch manches Enkelkind hat trotz ihrer beschränkten Lage Geschenke bekommen und wenn es nur Handar-beiten waren.

Meine Mutter hatte zu mir, als dem Ä1testen, immer besonders Vertrauen. Wenn eine schwierige Lage ir-gendwo eingetreten war, musste ich zu ihr kommen, und wir haben dann beraten, was zu tun war. Immer zeigte sich hierbei ihr gutes mütterliches, großmütterliches oder urgroßmütterliches Herz. Bis ins hohe Alter war sie besorgt um alle.

Mutter war bis ins hohe Alter bei guter im allge-

Am 70. Geburtstag 1925: Links der älteste Sohn Theodor, rechts dane-ben die Enkel Franz und Markus, Theodors erste Frau Elsa und Enkelin Gretel. Hintere Reihe links die Enkelinnen Ilse und Magda (Meuser)

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meinen Gesundheit. Sie hatte aber doch sehr unter ei-nem unangenehmen Übel zu leiden und das waren ihre Krampfadern in den Waden. Viele Jahrzehnte lang hat sie ihre Füße wickeln müssen und war infolge dessen sehr schlecht zu Fuß. Dies kam auch besonders durch ihre Beleibtheit. Trotz aller Arbeit, die sie im Leben gel-eistet hat, war sie immer verhältnismäßig stark.

In Lauenburg wurde unsere Mutter immer sehr geachtet und besonders viel in Krankenfällen um Rat ge-fragt. Überall hat sie bereitwilligst geholfen. Für Kran-ke hat sie immer ein gutes Süppchen gekocht und mit gutem Mitgefühl überreicht.

Für eiternde Wunden und Geschwüre hatte sie ein gutes Heilmittel, eine Salbe, das sogenannte „Mutter – Hitzler – Pflaster“. Es stammte dieses Hausmittel aus der Schweiz, war aber in der Herstellung nicht ganz einfach. Die Folge war, dass sie die Herstellung immer selbst übernahm und dann in kleinen Portionen bereit-willig austeilte. Ihr Pflaster war weit und breit bekannt.

Bis ins hohe Alter nahm Mutter Hitzler auch regen Anteil am Leben der Lauenburger Einwohner. Sie saß in ihrem Lehnstuhl in ihrem Altenteilsstübchen und sah durch ihren Spion alle Leute auf der Straße, besonders die zur Eisenbahn gingen bzw. vom Bahnhof kamen.

Sie ist nicht oft in die Kirche gegangen, war aber ein durchaus religiöser Mensch. Sie beschäftigte sich einge-hend mit ihren Gebets- und Erbauungsbüchern bis auch für sie das letzte Stündchen schlug.

Im Jahre 1935 wurde Mutter von einer kurzen, hefti-gen Krankheit erfasst, die in ungefähr zwei Wochen zur Auflösung führte. Die in der Nähe befindlichen Kinder

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Theodor, Meta, Emma und Franz versammelten sich an ihrem Sterbebette und sahen die immer schwächer wer-denden Atemzüge schließlich ganz ausbleiben.

Eine treue Mutter, Großmutter und Urgroßmutter war im 83-sten Lebensjahr heimgegangen, betrauert von ihrer großen Nachkommenschaft.

Der 80. Geburtstag 1935: Meta, Pauline, Theodor, Sophie, Emma, Frie-da, Franz mit ihrer Mutter Margarete Hitzler geb. Haug. Lieschen und Walter fehlen, Georg ist schon 1926 gestorben.

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Meine Verheiratung und Gründung der

Hamburger WerftVon Theodor Hitzler

An den Pfingstfeiertagen des Jahres 1900 lernte ich meine zukünftige Frau kennen.

Die Neue Berliner Schnelldampfergesellschaft machte, auf Veranlassung des Direktors Rinkowsky, Pf-ingsten 1900 eine Dampferfahrt nach Lauenburg. Da wir gerade in dieser Zeit mehrere Schiffsneubauten für diese Gesellschaft in Bau hatten, bat er mich, die von ihm ge-ladenen Gäste durch Lauenburg zu führen. Obgleich ich an Pfingsten eigentlich etwas anderes vorhatte, musste ich diesen Wunsch erfüllen. In dieser Gesellschaft befan-den sich auch Magda und Elsa, die beiden Töchter des Herrn J.C.F. Sörensen, Baumeister aus Hamburg. Er war ein Kollege des Bauunternehmers Blatt, des Schwieg-ervaters von Herrn Rinkowsky. Nachdem die Gesell-schaft nachmittags Lauenburg gesehen hatte, erfolgte abends die Rückfahrt mit dem Dampfer. Ich machte diese Fahrt nach Hamburg mit, und dabei fand sich Gelegen-heit, die beiden Töchter Sörensen näher kennen zu lern-en. Es entspann sich hieraus ein Postkartenwechsel und schließlich mein Besuch bei den Eltern im Sommer. Elsa Sörensen und ich traten uns näher und ich erfuhr, dass Elsa mit ihrer Tante Sophie Ende September 1900 eine kleine Pension in Groß Barnitz bei Reinfeld aufsuchte. Ich habe dort zwei Besuche gemacht. Wir verlobten uns am 2. Oktober 1900. Ich hielt sofort bei Vater Sörensen um die Hand der Tochter an, gab auch Empfehlungen

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auf, damit Vater Sörensen Näheres über mich erfahren konnte. Diese Erkundigungen hat er eingezogen und mir dann in acht bis zehn Tagen die Tochter zur Frau gegeben.

Der alte Sörensen war ein hervorragender Baumeis-ter mit einem sehr respektablen Betrieb, ein „self-made-man“ von großer Energie. Sein Lebensbeispiel und seine guten Lehren, die er mir im Laufe der Jahre gegeben hat, sind mir von großem Nutzen gewesen und haben mir immer wieder die größte Achtung abgenötigt.

Meine Hochzeit fand am 15. Mai 1902 statt, nachdem es mir möglich war, mit der reichlichen Ausstattung eine

Theodor Hitzler und Elsa Sörensen

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schöne Wohnung in Lauenburg einzurichten.

Am 4. Mai 1904 wurde unsere erste Tochter Ilse ge-boren.

Die Gründung einer eigenen Familie regte natürlich das Verlangen in mir, eine eigene Werft zu gründen um damit eine vollständige Selbständigkeit zu erlangen.

Zunächst erreichte ich eine teilweise Selbständigkeit durch den Bau und die Inbetriebnahme des Schwim-mdocks im Jahre 1904.

Den Hergang habe ich vorher schon beschrieben.

In den Jahren 1905 und 1906 beschäftigte ich mich weiter mit dem Gedanken einer eigenen Werft. Meinem Vater war dieses Streben wohl bekannt und er vermutete zeitweilig, dass ich den väterlichen Betrieb erstrebte. Dies war aber meinerseits durchaus nicht der Fall.

Ich ging hierbei von folgenden Erwägungen aus:

Unsere Familie war sehr groß geworden, vier Söhne und sechs Töchter. Meine beiden Brüder Georg und Franz waren ebenfalls Maschinenbauer geworden und besuchten in den fraglichen Jahren, nach erfolgter Leh-rzeit, bereits nacheinander das Technikum Bremen. Es war also klar, dass nach einigen Jahren für den Lauen-burger Betrieb Nachfolger vorhanden waren. Hätte ich den Betrieb also damals 1905 – 1906 schon übernom-men, so hätte ich neben der Sorge für die Familie, auch den beiden nächsten Brüdern den Aufstieg erschwert oder unmöglich gemacht. Außerdem war damals für meinen Vater die Abgabe der Werft zu früh. Sein Ver-mögen war noch zu klein, als dass er sich hätte zur Ruhe

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setzen können. Ich eröffnete deshalb eines Tages mei-nem Vater, dass ich auf den väterlichen Betrieb verzich-tete um meinen beiden Brüdern Platz zu machen.

Mein Augenmerk war auf die Werften in Hamburg gerichtet, und ich hatte diese Absicht auch meinem Ge-schäftsfreund Eduard Cords mitgeteilt. Wir hatten beide schon damals den Werftbetrieb Heinrich Mahnke auf der Veddel im Auge. Ende 1906 erklärte sich der Be-sitzer Heinrich Mahnke bereit, den Betrieb gegen Kauf abzugeben. Herr Cords vermittelte den Kaufvertrag, der notariell mit dem Antritt 1. Januar 1907 gemacht wurde. Der Kaufpreis war M 50.000,-. Der Platz der Werft gehörte dem Hamburger Staat, war überhaupt da-mals nicht käuflich, sondern wurde nur gegen Pacht ab-gegeben. Es war also erforderlich, dass der Pachtvertrag von Heinrich Mahnke auf mich übertragen wurde. Die neue Pacht sollte auf 30 Jahre gewährt werden, wurde aber nur auf 22 Jahre bis 1929 erteilt. Die Pachtverkür-zung hatte natürlich einen Einfluss auf den Kaufpreis für die Werfteinrichtungen, die nun in kürzerer Zeit ab-geschrieben werden mussten. Vorhanden waren insbe-sondere ein geräumiges Wohn- und Geschäftshaus, ein Trockendock für Kähne und Dampfer und ein Schiffsauf-zug von Hand, aber mit Wagen und Rollen, also ein soge-nannter Slip. Diese Anlagen hatte Mahnke in den Jahren 1887 bis 1888 neu geschaffen, als er mit seinem Kolle-gen Kiehn von der alten Werft am Steinwärder Ufer un-terhalb der Elb-Eisenbahnbrücke abziehen musste. Die Verlegung wurde verlangt, da der Hamburger Hafen in einen Freihafen umgebaut wurde. Die vorbeschriebenen Werftanlagen sind sehr deutlich im Titelblatt in dem Buch „Veddel“ beschrieben.

Außer dem erstgenannten Kaufpreis hatte ich die

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Schiffbaumaterialien im Betrage von etwa M 20 000,- zu übernehmen. Die Begleichung des Kaufpreises erfolgte in erleichterter Form: Ich zahlte bei dem notariellen Ab-schluss M 20 000,- an, der Rest von M 30 000,- wurde in Raten abgezahlt. Die Materialien wurden in den ersten 2 Jahren verbraucht und auch in demselben Maßstab bezahlt.

Die erste Anzahlung beim Notar hatte ich aus ei-genem Verdienst vom Betrieb des Schwimmdocks in Lauenburg in den Jahren 1905 und 1906 zahlen können. Ich brauchte also beim Kauf keine eigentliche Erlaubnis meines Vaters und auch nicht meines Schwiegervaters.

Mein Vater war zuerst über diesen meinen Schritt sehr unglücklich, da er natürlich den Lauenburger Be-trieb nicht mehr alleine aus eigener Kraft führen konnte. Ich beruhigte ihn aber sehr schnell mit dem Vorschlag, dass ich zunächst beide Werften führen wollte.

Es begann nun natürlich eine sehr arbeitsreiche Zeit von 1907 bis 1910, indem ich fast täglich von Lauenburg nach Hamburg fahren musste. Im April 1907 verlegte ich unsere Wohnung von Lauenburg nach Hamburg. Ich war gewöhnlich vormittags in Hamburg, fuhr ca. um 12 Uhr nach Lauenburg, Ankunft 2 Uhr, arbeitete bis 18 Uhr, Abfahrt 19 Uhr, Ankunft in der Hamburger Woh-nung um 21 Uhr 30.

Der Hamburger Betrieb war zunächst noch klein mit etwa 20 Arbeitern unter Meister Jahncke, musste aber sehr bald ausgebaut und verbessert werden. Der Vorbe-sitzer war 76 Jahre alt geworden und hatte natürlich an den alten Anlagen nichts mehr gemacht. Der wundeste Punkt der Anlage war das Trockendock, das stark leckte, wenn der Flutwasserstand eine gewisse Höhe erreicht

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hatte. Diesem Übel war sehr schwer abzuhelfen und es hat mich viel Mühe, Arbeit und Kummer gekostet. Die bauliche Einrichtung des Trockendocks war unzulän-glich und in den vielen Holzteilen schon stark abgängig. Besonders die großen hölzernen Schleusentore waren in einem unsicheren Zustand. Die Abdichtung der Dämme und des Bodens war nicht mehr sicher und ließ viel Wasser durch, wenn der Flutstand höher wurde. Die Entleerung des Trockendocks erfolgte durch eine große Zentrifugalpumpe mit Dampfantrieb. Diese Pumpe sollte bei normalem Betrieb nur nach einer Eindockung in Betrieb gesetzt werden. Bei der großen Undichtig-keit musste dieses aber fast täglich geschehen, was aber große Kosten verursachte. Dieser Zustand des Trocken-docks war in Schifffahrtskreisen allgemein bekannt ge-worden und war auch der Grund, weshalb Mahncke vor meiner Zeit keinen Verkauf zustande brachte. Auch ich bin sehr bald gewarnt worden.

Mein Bestreben ging nun dahin, das Pumpen zu ver-bessern und zu verbilligen. Ich legte einen größeren Dampfkessel an und eine moderne kleine schnell laufende Dampfmaschine. Jetzt konnte ich neben der großen Pumpe, die nur bei den eigentlichen Dockungen in Betrieb gesetzt wurde, die kleineren Leckagen durch eine kleinere Flügelpumpe laufend beseitigen.

Ein weiterer Nachteil des Trockendocks war die große Unsauberkeit und die Verschlickung des Dockbodens, was die Arbeiten an den Schiffen sehr stark behinderte. Mit dieser Schwierigkeit und mit den vielen Unkosten des Trockendocks musste ich mich einige Jahre abfin-den. Ich versuchte inzwischen, die übrigen Einrichtun-gen der Werft zu verbessern. Hierzu gehörte auch die von Hand betriebene Slipanlage, die zu leicht und nur für

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Kähne geeignet war. In den Jahren 1911 und 1912 habe ich dann eine völlig neue Slipanlage für schwere Schiffe gebaut, die elektrisch angetrieben wurde.

Als mein Schwiegervater sah, dass ich den Veddeler Betrieb gut in Gang brachte, hat er mir auch noch einen weiteren Kredit bei der Mecklenburgischen Sparbank in Lauenburg eingeräumt. Durch weitere Bürgschaft wurde die alte Anleihe für das Schwimmdock von M 30.000,- auf M 50.000,- erhöht.

Trotz erfolgreicher Arbeit waren meine Schulden in den Jahren 1908 bis 1910 auf insgesamt 117.000,- M angelaufen, nämlich 50.000,- M bei der Mecklen-burgischen Sparbank, 20.000,- M Materialschulden, 30.000,- M Restschuld bei Mahncke und 10.000,- M auf das Schwimmdock bei Vater Hitzler.

Die ersten sieben Jahre der Werft Veddel verliefen aber nach meinen jährlichen Abrechnungen sehr zufrie-denstellend. Es wurden rund 20.000,- M Verdienst im Jahr erzielt, die etwa mit je 10.000,- M zu Abzahlun-gen und zu neuen Werfteinrichtungen verwandt wur-den. Mein Fleiß hatte also Erfolg und meine Lage bes-serte sich zusehends, so dass ich bei Eintritt des Ersten Weltkrieges 1914 fast schuldenfrei war, jedenfalls im ersten oder zweiten Kriegsjahr schuldenfrei wurde. Ich gab zu dieser Zeit die Bürgschaften an J. C. F. Sörensen zurück, die Anleihe der Mecklenburgischen Sparbank war zurückgezahlt, H. Mahncke war gänzlich bezahlt, zuletzt habe ich Vater Hitzler die restlichen 17.000,- M für das Schwimmdock zurückgegeben. Als die Schulden noch in voller Höhe bestanden, war mir doch recht än-gstlich zumute. Besonders auch meine Frau hatte viele Bedenken und sah kein Ende.

Ich habe in späteren Jahren sehr oft an diese ersten

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sieben Geschäftsjahre gedacht. Das Geschäft verlief in völliger Ruhe und Sicherheit, alles arbeitete, war zu-frieden. Auch die Arbeiter. Politisch herrschte Ruhe. Es war eine herrliche, schöne Zeit in Deutschland und be-sonders in Hamburg.

Mit dem Kriegseintritt 1914 war diese Ruhe, Sicher-heit und Zufriedenheit mit einem Schlage zu Ende. Ein ähnlicher Zustand ist bis heute, 1947, nicht wieder ein-getreten.

Nach Fertigstellung der neuen Slipanlage traf ich Anstalten, um das noch in Lauenburg liegende Schwim-mdock in Hamburg an die Werft zu legen.

Eine an der Werft liegende Wiese wurde vom Ham-burger Strom- und Hafenbau ausgebaggert und damit eine Dockgrube geschaffen, in der das Dock zwischen Duckdalben und Ketten befestigt wurde. Die Kosten be-trugen etwa 10.000,- M. Es dürfte dies 1911 bis 1912 gewesen sein.

Eine weitere wichtige Vergrößerung erhielt die Werft 1910 durch Hinzupachtung eines großen Platzes neben der Werft am Marktkanal zur Anlage einer Maschinen-fabrik. Auf dem Grundstück war ein großer Holzschup-pen von 30 x 30 m vorhanden, in dem die Maschinen ohne weiteres aufgestellt werden konnten.

Gegen diese wesentliche Erweiterung hatte mein Schwiegervater ernste Bedenken. Ich rechnete aber mit einer Vergrößerung besonders deshalb, weil ich auf der bisherigen Anlage eine Maschinenfabrik nicht einrich-ten konnte. Da ich selbst aber gelernter Maschinenbauer

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war, rechnete ich sehr stark mit dieser Maßnahme.

Es hat sich später auch gezeigt, dass ich dieses Gr-undstück nicht in andere Hände kommen lassen durfte. Es war plötzlich zu kaufen und ich musste sofort zug-reifen.

Dieser Schritt war nicht leicht. Der Maschinensch-uppen hatte rund 10.000,- M gekostet und es mussten nunmehr fortwährend Maschinen gekauft und Einrich-tungen geschaffen werden.

Ins Gewicht fiel aber auch die hohe Pacht für diesen Platz, da er hochwasserfrei war und 1,50 M pro qm und Jahr kostete, gegenüber 0,40 M für den alten Werftplatz.

Auch die Erweiterung der Arbeitskräfte brachte zunächst manche Unruhe. Zuerst hatte ich auch einen unehrlichen Meister im Maschinenbau, der mich sehr stark bestohlen hat.

Im Jahre 1912 wurde ich auch durch das Vertrauen meiner Hamburger Kollegen zum Vorsitzenden des Vereins der Fluss- und Küstenschiffswerften gewählt. Dieser freiwillige Verband dehnte sich später über ganz Deutschland aus und sollte für mich ein großes Arbeits-feld werden, durch viele schwere Zeiten bis 1945, dem

Werbung 1913

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Ende des Zweiten Weltkrieges.

Mein nächster Plan bei der Einrichtung der Werft war die Erstellung einer Krananlage am Marktkanal zwischen Maschinenfabrik und Werft. Diese schwierige Anlage wurde 1914 begonnen. Zunächst wurde eine 80 m lange Spundwand am Marktkanal errichtet. Dieser Bau wurde vom Hamburger Staat, Strom- und Hafen-bau, durchgeführt und in Form von Pacht und Abzah-lung verrechnet. Die Kosten haben etwa 45.000,- Mark betragen. Den eigentlichen Kran musste ich auf eigene Rechnung errichten, also auch die zugehörigen Funda-mente. Die waren sehr kostspielig, da jedes Fundament (2 x 4 = 8 Stück) auf gerammten Pfählen bis ganz tief in den Grund geführt werden mussten. Die darauf ste-hende Eisenkonstruktion wurde besonders konstruiert und in Wilhelmsburg gebaut. Den eigentlichen Laufkran konnte ich im rheinischen Industriegebiet gebraucht kaufen. Er musste aber mit neuer elektrischer Ausrüs-tung versehen werden. Die Kranbahn läuft etwa 60 Me-ter über den Platz bis zum Eisenbahngleis und bis 12 Meter über das Wasser. Auf diese Weise konnten die Lasten vom Schiff abgehoben, über den Platz gefahren, gelagert oder auf die Eisenbahn verladen werden.

Die ganze Anlage habe ich im Hamburger Hafen in ähnlicher Ausführung bei den Werkstätten der Ham-burg-Amerika-Linie gesehen, aber verschiedene Ver-besserungen, besonders bezüglich der Fundamentier-ung, ausgeführt.

Die Anlage war bei Eintritt des Ersten Weltkrieges im August 1914 noch im Bau. Die Fertigstellung erfolgte

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Mitte 1915 und wurde sofort mit Kriegsaufgaben belegt.

Im Weltkrieg war die Werft Veddel sehr stark be-schäftigt.

Die ersten Aufgaben waren sehr umfangreich und ungewöhnlich. Es wurden 6 bis 8 Schleppdampfer der Elbe und Oder entnommen, zerlegt und mit der Eisen-bahn zur Donau transportiert.

Für die Durchführung war mein Betrieb mit allen Einrichtungen versehen. Die abzutransportierenden Schiffe wurden ins Schwimmdock gebracht, dort aus-einandergenietet, in einzelne Teile zerlegt und mit dem Kran auf den Bahnwagen verladen. Zu diesem Zweck wurde das Schwimmdock von seinem Platz genommen und unter den Kran gelegt. Das Verfahren bewährte sich so sehr, dass der Abtransport und Versand viel schneller vor sich ging als der Zusammenbau bei der Firma Ruthoff in Regensburg.

Aus diesem Grunde bot ich mich an, zwei Dampf-schiffe selbst an der Donau wieder aufzubauen. Zu die-sem Zweck musste ich aber einen Aufstellplatz an der Donau errichten. Nach eifrigem Suchen entschied ich mich für einen Uferplatz in Deggendorf bei der Südde-utschen Donau-Dampfschifffahrt, wo auch früher schon Schiffe aufgestellt worden waren.

Die beiden übernommenen Schiffe habe ich dann in Rekordzeiten schwimmend auf der Donau abgeliefert. Als das zweite Schiff, „Nicolaus“, Probefahrt machte, wurden Kapitänleutnant Dr. Foerster und ich von dem Generalfeldmarschall Mackensen, der uns in Deggen-dorf besuchte, lobend ausgezeichnet.

Da ich nun einmal an der Donau mit Erfolg tätig gew-esen war, fasste ich Anfang 1916 den Entschluss, mich

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bleibend an der Donau mit einem Filialbetrieb niederzu-lassen. Ich kaufte in Deggendorf am Ufer der Stadt in der Nähe des Winterhafens eine Anzahl von passenden Grundstücken und begann zunächst mit Erdarbeiten für einen Gleisanschluss und die Slipanlage.

Es war eine arbeitsreiche Zeit, da ich gewöhnlich ein- oder zweimal in der Woche von Hamburg nach Deggen-dorf fahren musste. Hierzu musste natürlich der Nacht-D-Zug benutzt werden und zwar hin und zurück.

Mit Ende des Jahres 1916 war die Anlage so weit, dass der Betrieb zunächst einmal anlaufen konnte, da auch genügend Kriegsaufgaben vorlagen.

Im Ganzen genommen hielt ich die Lage an der Donau für sehr aussichtsreich. Die Donau war ein Ri-esenstrom, der noch nicht annähernd seiner Bedeutung nach ausgenutzt war und dabei sehr spärlich mit Werften besetzt war. Nur die Firmen Ruthoff und Übigau hatten

Damper Nicolaus im Dock bei Theodor Hitzler in Hamburg Ved-del

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damals eine Filiale an der Donau.

Ende 1916 traten andere, größere Aufgaben an mich heran. Ich wurde durch Kapitänleutnant Foerster auf-gefordert, zu seiner Unterstützung als Betriebsleiter mit nach Rumänien zu kommen. Nach Vordringen der deutschen Truppen, geführt von Mackensen, zeigte sich, dass die Rumänen, von Turn Severin abwärts, alle deutschen Donaufahrzeuge versenkt hatten.

Für die Armee und für Deutschland war es aber un-bedingt erforderlich, die Fahrzeuge wieder zu heben und in Fahrt zu setzen. Schon im Jahre 1917 musste das rumänische Getreide abgefahren werden, damit Deutschland nicht verhungerte. Es wurde die deutsche Bergungsgruppe durch die Zentraleinkaufsgesellschaft gegründet, die auch gleichzeitig den Getreideeinkauf und den Transport zu bewerkstelligen hatte.

Dr. Foerster beauftragte mich mit der Ausrüstung der ganzen Abteilung, zu welchem Zweck zwei Rad-dampfer, Schleppkähne und Schuten in Regensburg zur Verfügung gestellt wurden. In eiligen Waggonladungen wurden die Einrichtungen im November und Dezem-ber 1916 nach Regensburg expediert und dort auf die Schiffe geladen. Da ich nunmehr ganz zur Donau ziehen musste, gab man mir Vertreter für die Werft in Hamburg und in Regensburg. In Hamburg wurde mein Schwager Heinrich vom Rath und in Deggendorf Schwager Au-gust Wassmann vom Militär freigestellt.

Die Transportfahrzeuge in Regensburg mussten dort zum Teil noch auf der Werft Übigau umgebaut werden. Außerdem mussten auch ca. 30 große Fichten-stämme aus dem Bayerischen Wald auf die Schiffe ge-

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bracht werden.

Zu meiner Unterstützung hatte ich Hamburger Werftkollegen und Bergungsunternehmer hinzugezo-gen, die nun ebenfalls mit nach Rumänien ziehen mussten.

Der ganze Transport, bestehend aus zwei Raddamp-fern, vier Kähnen und drei Schuten, war am 16. Dezem-ber 1916 abfahrbereit. Ich erhielt den Befehl, den ganzen Transport zu leiten und bekam die nötigen Ausweise und Befehle des damaligen Chefs der Feldeisenbahn.

Für unsere Unterkunft waren die beiden Raddamp-fer mit den nötigen Wohnungseinrichtungen versehen, darunter auch ein größerer Büroraum, Proviantraum u.s.w., so dass unsere Fahrt zur rumänischen Donau sehr freudig verlief. Auf den einzelnen Strecken wurden im-mer die jeweiligen Lotsen aufgenommen und sie zeigten uns, dass die Donau nicht so einfach zu befahren ist, wie die Elbe oder der Rhein. Die Fahrt verlief, bis auf klei-nere Havarien, programmgemäß. In Apatin in Ungarn feierten wir Weihnachten. Wir kauften von den Fisch-ern unseren Weihnachtskarpfen. Sogar Meerrettich ha-ben wir an Land gefunden. Nachdem wir glücklich das Eiserne Tor passiert hatten, kamen wir am 4. Januar 1917 in Turn Severin an. Gleich bei Ankunft sahen wir die ganze versenkte Schiffsflotte und erkannten damit unsere Aufgabe, die uns fast zwei Jahre beschäftigen sollte. Die Tätigkeit der deutschen Bergungstruppe ist in den technischen Zeitschriften und in den Vorträgen der Schiffbautechnischen Gesellschaft eingehend ge-schildert und gewürdigt worden, so dass hier nicht im

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einzelnen darauf eingehen möchte.

Mir persönlich war zugestanden worden, dass ich jeden Monat einmal nach Deutschland fahren durfte, wovon ich ausgiebigen Gebrauch gemacht habe. Auf diese Weise konnte ich alle paar Wochen die Werften in Deggendorf und in Hamburg besuchen und nach dem Rechten sehen. Unsere Werft in Hamburg war im übri-gen Basis für den Bergungsbetrieb in Turn Severin. Alle benötigten Materialien wurden in Hamburg in Waggons verladen und von dort mit dem Waggonbegleiter abge-schickt. Die Bergungsgruppe hatte auch Facharbeiter freibekommen, die ich größtenteils von den Werften in Hamburg militärisch frei machte und in Turn Severin auf den Fahrzeugen oder auf der dortigen rumänischen Staatswerft, die wir in Benutzung hatten, beschäftigte. Unsere Tätigkeit war dort unten von großem Erfolg be-gleitet. Jeder Dampfer, der gehoben war, wurde von un-seren Schlossern sofort in Betrieb gesetzt und tat schon bald wieder seinen Dienst. So konnte der große Dampfer „Nicolaus“ schon im März 1917 wieder in Fahrt gehen.

Unsere eigene Tätigkeit wurde auch noch dadurch belohnt, dass wir unseren Familien in Hamburg Lebens-mittel schicken konnten. Zuerst spärlich in Päckchen, dann in Paketen und schließlich in Kisten.

Die Bergungsgruppe ist schließlich auf ca. 300 Facharbeiter und Schiffer angewachsen. Darunter waren auch viele Lauenburger Schiffer, die als Pioniere eingezo-gen waren und nun von uns zu Donauschiffern ausge-bildet wurden. Es dauerte nicht lange, und wir konnten die Donau selbständig mit den eigenen Fahrzeugen von Turn Severin bis Breila befahren. Dies war notwendig, da wir sehr bald auch die Stationen unterhalb von Turn Severin mit einzelnen Gruppen versehen mussten, wo

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ebenfalls viele Schiffe versenkt waren. Ich habe die Reise von Turn Severin bis Breila und zurück mehrfach in ei-gener Motoryacht zurückgelegt.

Eine Hauptstation war auch der Hafen von Giurgiu, wo wir eine große Werft mit Slipanlage anlegen sollten. Dieser Bau war bei Ende des Krieges fast vollendet. Die Slipanlage war besonders meine Aufgabe. Die Wagen und Winden wurden auf unserer Werft in Hamburg ge-baut. Ich habe die Anlage aber vor unserem Abzug wie-der zerstört. Vor dem Zusammenbruch im Oktober 1918 versuchte ich auch den größten Teil der Werftanlage in Giurgiu noch in 14 Waggons abzutransportieren. Es ist aber nicht geglückt. Lediglich 4 der Waggons sind mit 14 Begleitern in München angekommen.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 stellte an mich höchste technische Anforderungen in Flussschiff-bau und Bergung. Auch die Anlage von Werften und Slipanlagen war eine Aufgabe die mir durch den Krieg gestellt wurde. Sie wurden sämtlich fertiggestellt und in Betrieb genommen. Der unglückliche Ausgang des Krieges machte sich zuerst auf der unteren Donau be-merkbar. Die bulgarische Front brach schon im Okto-ber 1918 zusammen. Die Folge war, dass französische Schnellfeuergeschütze am rechten Donauufer erschienen und jeglichen Schiffsverkehr unmöglich machten. Damit war unser Abzug aus Rumänien gegeben. Ich selbst bin am 4. November 1918 mit dem letzten Zug aus Turn Severin abgefahren. In Budapest war bereits die un-garische Revolution ausgebrochen. Hier ahnte ich noch nicht, dass gleich nach meiner Ankunft in Hamburg, am 7.November 1918, die Revolution ebenfalls in vollem

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Gange war.

Die lange Dauer des Krieges veranlasste mich, die neu angelegte Werft in Deggendorf Ende 1918 wie-der zu verkaufen, und zwar an den Bayrischen Lloyd Schiffahrts A.G. in Regensburg. Die Gesellschaft suchte eine solche Anlage zur Reparatur ihres Schiffsparks, der im Kriege stark gelitten hatte.

Dieser Verkauf entlastete mich zunächst merklich, was in Anbetracht des unglücklichen Ausgangs des Krieges als wohltuend von mir empfunden wurde.

Die baren Auslagen für die Werft in Deggendorf von etwa 100.000.- M habe ich vom Bayrischen Lloyd in vollem Maße ersetzt bekommen und bei der Bayrischen Landesbank in München angelegt. Dieses Depot ist dann noch während der Rätezeit, als Curt Eisler in München herrschte, für eine kurze Zeit beschlagnahmt gewesen. Es ist aber später wieder frei geworden.

Die Revolution in Hamburg brachte große Unruhe und legte zunächst alles still. Der Werftbetrieb kam aber bald wieder in Gang, da er für die Hafen- und Flusss-chiffahrt natürlich dringend gebraucht wurde. Durch die starke Tätigkeit während des Krieges waren größere Mittel in Papiermark vorhanden und veranlassten mich, sofort an den weiteren Ausbau der Hamburger Werft heranzugehen.

Die ersten Aufgaben waren die Beseitigung des Trockendocks, der Bau der Schiffbauhalle und einer großen Slipanlage.

Schon im Jahre 1919 hat die Hamburger Strom- und Hafenbaugesellschaft das Trockendock mit einem Spül-er vollgefüllt, nachdem die Holzteile und das hölzerne

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Schleusentor entfernt waren. Die zur Elbe liegende Außenseite des Docks wurde als schiefe Ebene angelegt und darauf die große Slipanlage aufgebaut. Der Bau dauerte bis nach 1921 an.

Die Schiffbauhalle wurde in Eisenkonstruktion mit den Abmessungen 50 m x 20 m hergestellt. Die Slipan-lage war 80 m lang. Es wurde ein Schiffbau-Aufstellkran errichtet für 5 to und 130 m langer Laufbahn.

Die Anlagen sind im Ganzen gut gelungen. Damit waren die im Krieg erübrigten Mittel gut angewandt und zwar gerade zur rechten Zeit, da die Inflation 1922 – 1923 ihren Höhepunkt erreichte und damit alle diese

Das Wohn- und Bürohaus der Werft Theodor Hitzler in Hamburg Ved-del um 1920. Vor dem Haus rechts Emma vom Rath, geb. Hitzler, ganz rechts ihr Ehemann Emil Heinrich vom Rath, daneben Walter Hitzler und die Schwiegereltern vom Rath, sowie die Töchter .. und Friedel.

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Mittel verschlungen hätte.

Der Ausbau der Veddeler Werft war damit zu einem gewissen Abschluss gekommen.

Meine Tätigkeit an der Donau während des Krieges war mir aber wohl zu stark in Erinnerung, so dass ich versucht war, nochmals eine Gründung vorzunehmen. Die Verwirklichung trat näher, als auch meine beiden Brüder Georg und Franz der gleichen Meinung waren und sich bereit erklärten, sich an der Anlage einer Werft zu beteiligen.

Die Wahl fiel auf Regensburg und ich nahm die Suche nach einem passenden Platz auf. Es gelang mir der Ankauf eines größeren Wiesengeländes neben der Übigau Werft, vor der Donau-Eisenbahnbrücke und in der Nähe des Regensburger Hafens. Das Gelände lag zu tief und musste zunächst aufgehöht werden. Hierzu bot sich Gelegenheit, da die Werft Übigau sich erweiterte und der Bauunternehmer den überflüssigen Boden auf unserem Werftgelände unterbringen konnte.

Die neue Werftgründung in Regensburg kam hauptsächlich deshalb zur Ausführung, weil unser 1910 verstorbener Vater seine drei Söhne, Theodor, Georg und Franz, aufgefordert hatte, auch für den jüngsten vierten Sohn, Walter Hitzler, eine Selbständigkeit zu schaffen. Dieses Versprechen wollten wir nun einlösen und bauten also die Werft in Regensburg aus. Walter Hitzler war schon am Anfang des Krieges in Frankreich gefangen genommen worden. Er wurde schließlich 1918 ausgetauscht und besuchte nun, 1920, die Technische Hochschule in Bremen.

Zuerst wurde Meister Held in Lauenburg frei gemacht und leitete die ersten Bauarbeiten. Ich persön-

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lich hatte beim Bau an Ort und Stelle die Führung. Die Lauenburger Werft lieferte viele Einrichtungen, z.B. Slipwinden, sonstige Werkzeugmaschinen etc. Es be-gann nun wieder für mich ein wöchentliches Reisen von Hamburg nach Regensburg.

Walter Hitzler ist dann frühzeitig von der Schule in Bremen abgegangen und hat wohl ungefähr 1923 die Leitung der Werft übernommen. Die Anlage der Regensburger Werft ist also auch noch in Papiermark durchgeführt worden. Die aufgewandten Mittel betru-gen in Goldmark ca. 150.000.- M, davon kamen von Theodor Hitzler 100.000,- M, von Georg und Franz ca. 50.000.- M. Ein kleinerer Teil von ca. 20.000,- M wurde für Walter Hitzler ausgesetzt.

Die Werft in Regensburg hat zeitweilig sehr zu kämpfen gehabt. Es trat völlige Arbeitslosigkeit und damit eine Geldknappheit ein, die sehr gefährlich war. Georg Hitzler war 1926 gestorben. Franz Hitzler kam 1928 bis 1930 selbst in große Bedrängnis und hatte sein-en Anteil an der Regensburger Werft an eine Hamburg-er Bank verpfändet. Nun musste Regensburg auch dafür Zinsen aufbringen. In der äußersten Not musste ich mit Vermögen einspringen, um die Werft zu retten. Dies ist mir selbst außerordentlich schwer geworden. Ich tat es in der Hoffnung, die Werft für Walter zu retten, der inzwischen drei Söhne bekommen hatte. Ich freue mich heute, dass ich es damals geschafft habe. Später war die Krise überwunden und Walter erholte sich mit seinem Betrieb so kräftig, dass er schließlich auch meinen dama-ligen Anteil, den ich sehr stark auf 45 000 RM ermäßigt hatte, auszahlen konnte. Es war dies wohl im Jahre ....

Damit gab es ab 1930 drei selbständige Schiff-

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swerften:

die väterliche Werft J. G. Hitzler, im Besitz von Franz Hitzler in Lauenburg,

die Schiffswerft Theodor Hitzler Hamburg-Veddel, in meinem Besitz und

die Schiffswerft Theodor Hitzler – Inhaber Walter Hitzler in Regensburg.

Es ist schade, dass unser alter Vater diese Entwick-lung der Hitzler-Werften nicht mehr erleben konnte. Das Werk des alten Schwaben Johann Georg Hitzler aus Dettingen bei Heidenheim in Württemberg hatte vielfältige Ausdehnung genommen. Durch den Fleiß seiner Nachkommen wurde auch sein Werk erhalten und erweitert und darüber hinaus noch zwei weitere Un-ternehmen gegründet und lebensfähig gemacht.

Im weiteren Verfolg meiner Lebenserinnerungen nehme ich im Nachfolgenden zunächst nur Bezug auf meinen Hamburger Werftbetrieb. Hierbei muss ich be-sonders auf meine damaligen Familienverhältnisse eingehen.

Im Jahre 1929 heiratete meine Tochter Ilse den Po-lizeileutnant Erik Bertram und Tochter Magda den Arzt Dr. Johannes Daube. Die Hochzeiten wurden kurz hintereinander gefeiert. Beide Töchter erhielten eine entsprechende Aussteuer von 20.000,- RM. Ilse nahm mit Erik Wohnung in Berlin. Sohn Markus wurde 1929 konfirmiert und besuchte dann anschließend von Ostern 1929 bis Ostern 1931 das Landschulheim in Holzmin-den.

Im Jahre 1930 zeigte meine Frau große Unzufrieden-heit mit ihrer Lage. Bis dahin hatte sie mir getreulich

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zur Seite gestanden und bestens für die Kinder gesorgt. Nach der Verheiratung der beiden Töchter, glaubte sie aber, ihre mütterlichen Verpflichtungen erfüllt zu ha-ben. Sie stand auf dem Standpunkt, dass nunmehr die Kinder ihren eigenen Weg gehen sollten. Ich machte sie besonders auf Markus aufmerksam, der doch schließlich noch zur Schule ging und seine sonstige Ausbildung, Lehre usw., noch vor sich hatte. Diesen Einwand ließ sie aber nicht gelten und fing an, sich mit allen möglichen geistigen Dingen zu beschäftigen, die ganz außerhalb ihres familiären und häuslichen Wirkungskreises lagen. Einen besonderen Rahmen nahm die Christliche Wis-senschaft ein, und sie pflegte mit Gleichgesinnten einen engen persönlichen Verkehr. Dieses wäre ja noch angän-gig gewesen; es kann ja auch eine Hausfrau im reiferen Alter, nach Erfüllung der wichtigsten Pflichten, an eine mehr geistige Beschäftigung herangehen. Dieses Zug-eständnis habe ich gemacht. Meine Frau begnügte sich aber nicht damit, sonder verließ eines Tages das Haus, ohne mir zu sagen, wohin sie ging. Als ich nach einigen Wochen ihren Aufenthaltsort erfuhr, weigerte sie sich, zurückzukehren.

In dieser Zeit hat meine Frau mehrfach an mich das Verlangen gestellt, meinen Betrieb zu verkaufen und mich zur Ruhe zu setzten. Diesen Wunsch konnte ich ihr aber nicht erfüllen. Ein Mann muss schließlich wis-sen, wann er sein Lebenswerk aufgeben kann. Die Zeit war für mich noch keineswegs gekommen. Ich gebe zu, dass ich in vielen Jahren meiner Frau und meiner Fami-lie wenig Zeit schenken konnte. Meine geschäftliche Tätigkeit, einschließlich meiner Ehrenämter, hat mich zumeist über Gebühr in Anspruch genommen. Ich ver-stand wohl das Verlangen meiner Frau nach Ruhe; mein

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Pflichtgefühl gebot mir aber, meine vielfältigen Aufga-ben weiter zu führen, umso mehr, da ich voll dienstfähig war und keinerlei Sehnsucht nach Ruhe hatte; auch heute noch nicht, also 17 Jahre später. Meinen Betrieb wollte ich doch, wenn möglich, auf meinen Sohn übertragen.

Bertrams, Daubes und Markus haben in den fol-genden Monaten und auch noch ein Jahr später, im-mer wieder versucht, meine Frau zurückzuführen. Ihr Entschluss, allein zu leben, war ganz augenscheinlich dadurch entstanden, dass es ihr möglich geworden war, aus eigenen Mitteln zu leben. Sie erhielt aus ihrem el-terlichen Vermögen regelmäßige monatliche Auszahlun-gen und wurde auch von ihrer Mutter unterstützt. Ich musste mich in das Unvermeidliche fügen und nahm auf Anraten der Kinder etwa 1932 eine Haushälterin, damit der Haushalt in Ordnung blieb und Markus ein Heim hatte.

Ich widmete mich wieder ganz meinem Betrieb und meinen sonstigen ehrenamtlichen Verpflichtungen.

Die Geschäftsjahre 1926 bis 1929 standen im Zeichen der Reparationen, d.h., es wurden Schiffe für Rechnung der Feindmächte gebaut. Die Mittel wur-den vom Deutschen Reich aufgebracht und dem Reich als Reparationszahlungen angerechnet. Besonders im Jahre 1929 hat meine Hamburger Werft Schiffsbauten für serbische Rechnung ausgeführt, die gewinnbringend waren. Es war das aber auch das letzte gewinnbringende Jahr, nicht nur für unseren Betrieb, sondern für ganz Deutschland und den Weltverkehr überhaupt. Deutsch-land hatte sich völlig verausgabt und erlebte von dort an eine Wirtschaftskrise schlimmster Art, die sich bis 1932

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immer mehr steigerte.

1932 war auch der Werftbetrieb in Hamburg auf einem Tiefpunkt angekommen, da nur mit ganz klein-er Belegschaft an drei Tagen in der Woche gearbeitet werden konnte. In Deutschland war die Zahl der Ar-beitslosen auf 6 bis 7 Millionen angewachsen und das ganze Wirtschaftssystem stockte. Die politischen Par-teien der Systemzeit standen den Ereignissen machtlos gegenüber. Die damaligen politischen Versammlungen wurden gestört und niedergeschrien. Niemand wusste ein noch aus. In dieser Zeit wurde ich auf das straffe Vorgehen der nationalsozialistischen Partei aufmerksam gemacht. Ich konnte mich überzeugen, dass dort Ruhe und Ordnung herrschten, so dass deren Redner zu Worte kamen und Vorschläge machen konnten, wie die-ser katastrophalen Wirtschaftslage ein Ende gemacht werden könnte.

Die politischen Ereignisse Ende 1932 und Anfang 1933 sind bekannt. Als im Mai die Deutsche Volkspar-tei aufgehoben wurde, war ich automatisch Mitglied der neuen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei geworden. Die Maßnahmen der neuen Partei führten auch zu einer Verbesserung der Wirtschaftslage, die sich bereits 1934 für den Flussschiffbau günstig auswirkte. In diesen Jahren konnte wieder voll gearbeitet werden, da der Binnenschifffahrt Zuschüsse für die Reparaturkosten in Höhe von 20 % gewährt wurden.

Sohn Markus kam nach Erreichung der Mittleren Reife im Landschulheim Holzminden in die dreijährige Maschinenbauerlehre und zu Schluss zu Blohm & Voss von 1931 bis 1933. Ab 1934 besuchte er die Ingenieur-schule der Technischen Staatslehranstalten in Hamburg

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für fünf Semester bis 1936.Da der Hamburger Werftbetrieb voll ausgebaut war,

entschloss ich mich, die erzielten Gewinne in eigenen Fahrzeugen anzulegen. In den Jahren 1934 bis etwa 1936 baute ich nach den Plänen des Hamburger Ziviling-enieurs Cornelius, aus einem angekauften Baggerkörper den Saugbagger „Markus“. Nach dessen Fertigstellung, entschloss ich mich zu einer eigenen Inbetriebnahme. Cornelius übernahm Baggerarbeiten und wurde am Ge-winn beteiligt. Dieser Betrieb zeigte sich verschiedene Jahre sehr gewinnbringend.

Der Schiffspark war bis dahin schon auf zwei Schlep-pkähne und etwa zehn Hamburger Schuten, die ebenfalls im eigenen Betrieb beschäftigt wurden, angewachsen. In den Jahren 1937 bis 1938 wurden dann weiter Fah-rzeuge für eigene Rechnung gebaut: Aus einem alten Raddampfer vom Rhein ein offener Schleppkahn „Kar-in“ für die westdeutschen Kanäle, der durch die „Elbia“

Am 1. Mai 1934 marschiert Theodor Hitzler an der Spitze der nation-alsozialistischen Betriebszellenorganisation NSBO der Hitzler Werft Hamburg-Veddel über den Heidenkampsweg.

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Schifffahrtsgesellschaft in Duisburg betrieben wurde.

Aus einem Eimerbagger des Hamburger Staates wurde ein moderner Eimerbagger „Johannes“ nach den Plänen von Cornelius gebaut, der auch den Betrieb übernahm. Hierfür wurden auch zwei neue Boden-klappschuten benötigt und neu gebaut. Auch entstand ein weiterer kleinerer „Saugbagger II“.

Im Allgemeinen bewährte sich der Schifffahrtsb-etrieb mit eigenen Fahrzeugen sehr gut und brachte bessere Gewinne als der Werftbetrieb.

Markus hatte nach Absolvierung der Ingenieur-schule 1936 kurze Zeit als Techniker bei der Firme Stül-cken gearbeitet und ist dann zunächst als Hörer an die Technische Hochschule Charlottenburg eingetreten. Da er den Wunsch hatte, voll zu studieren, hat er durch Sonderkurse sein Abitur nachgeliefert. Am 30. März 1939 hat Markus vor der Kommission die Sonderreif-eprüfung gemacht.

In dem Verhältnis zu meiner Frau änderte sich bis zum Jahre 1938 nichts. 1936 versuchte ich nochmals eine Aussöhnung. Als 1936 Magda ihren Mann ver-loren hatte, traf ich meine Frau im Garten. Ich wollte sie begrüßen, sie verweigerte aber meine Hand. Damit gab ich weitere Versuche auf. Wir trafen uns noch häu-figer gelegentlich der Zusammenkünfte der Erben von J. C. F. Sörensen. Ich war nämlich auf Wunsch meiner Frau Testamentsvollstrecker in Gemeinschaft mit Carl Sörensen geblieben.

Meine Kinder rieten mir mehrfach, mich wieder zu verheiraten, da die Wirtschaft mit der Haushälterin nicht immer befriedigte. Im Jahre 1937 – 1938 lernte ich Frau Annie Meyerink geb. Jebens kennen und schätzen.

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Diese Bekanntschaft veranlasste mich zunächst, die Ehe mit meiner Frau scheiden zu lassen. Nach einigen Ver-handlungen, besonders über die geldlichen Abfindun-gen, wurden die Gründe anerkannt, lautend:

„Die häusliche Gemeinschaft der Parteien ist seit mehr als drei Jahren aufgehoben. Somit liegen die Voraussetzungen des § 55, Absatz 1 des Ehegesetzes vor. Widerspruch gegen die Scheidung hat die Beklagte nicht erhoben. Es war danach, wie geschehen, zu entscheiden.“

Es stand nunmehr meiner Wiederverheiratung nich-ts mehr im Wege. Ich heiratete am 27. Juni 1939 Frau

Die Familie Hitzler 1935. Obrere Reihe Emma vom Rath, Helene Hitzler (Frau von Franz Hitzler), Frieda Wassmann, Lieschen Müller, Theodor Hitzler, Sophie Hoppe, Franz Hitzler, Walter Hitzler.Mittlere Reihe: Meta Behrens, Heinrich vom Rath, Margarete Hitzler, Friedrich Wassmann, Pauline Meincke. Untere Reihe: Friedel vom Rath, Markus Hitzler, Ilse Hitzler.

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Annie Meyerink geb. Jebens, geboren am 20. März 1885.

Es begann nunmehr für mich ein neues Leben, das mich außerordentlich befriedigte und glücklich machte.

Während meiner frauenlosen Zeit von 1931 bis 1939 war mein Verhältnis zu Ilse, Erik und deren Kindern immer ein sehr herzliches gewesen. Besonders die vier Kinder Ingrid, Hannelore, Klaus und Ilse haben mir immer große Freude gemacht. In den Sommerferien waren die Berliner regelmäßig in Groß-Flottbek. Auch mein Verhältnis zu Markus war durch das Fehlen der Mutter inniger geworden, umso mehr, da er sich größte Mühe gab, seine fachliche Ausbildung fleißig und gründlich zu betreiben.

Mein Verhältnis zu Magda dagegen, hat verschieden Trübungen erfahren. Es war ein großes Unglück, dass mein Schwiegersohn Johannes auf so tragische Weise 1936 aus dem Leben schied. Hierdurch hatte Magda völ-lig ihren Halt verloren, so dass sie nicht mehr alleine leben konnte und einer Führung bedurfte. Ich hielt es deshalb für notwendig, sie meiner vom mit getrennt leb-enden Frau zuzuführen.

Magda zog dann zu ihr nach Plön und ging 1938 zu den Verwandten von Johannes Daube nach Chile. Die drei Kinder Karin, Johannes und Hasso habe ich immer gern gehabt und hatte auch einigemal Gelegenheit, mit den Kindern zusammen zu kommen. Diese Kinder sind dann im Jahre 1938 durch meine geschiedene Frau auch der Mutter nach Chile nachgebracht worden.

Geschäftlich waren die Jahre 1938 und 1939 sehr er-folgreich. Es ging sowohl der Werft als auch dem Fah-rzeug- und Baggerbetrieb gut.

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Alle wirtschaftlichen Verhältnisse wurden durch die nationalsozialistische Führung geregelt. Es herrschte völliger Friede zwischen dem Betriebsführer und der Ge-folgschaft, die in besonderer Weise geschützt wurde. Der Lohnstopp hielt die Löhne gleichmäßig; irgendwelche Lohnstreitigkeiten waren nicht möglich. Den gleich-mäßigen Löhnen und Gehältern entsprach aber auch ein Preisstopp für alle Lebensbedürfnisse. Die Zufrieden-heit der Gefolgschaft wurde durch vielerlei Entgegen-kommen erreicht und gefördert, besonders durch Bet-zahlung von Feiertagen, Erweiterung des Urlaubs und durch KDF-Fahrten. Die Leistungssteigerung wurde einwandfrei angestrebt und durch gerechte Mehrzah-lungen für Mehrleistung entschädigt. Bei Meinungs-verschiedenheiten zwischen Betriebsführer und Gefolg-schaft vermittelte die Deutsche Arbeitsfront beiderseits entgegenkommend und ohne Zwang.

Die Gesamtwirtschaft in Deutschland erreichte 1938 – 1939 einen Höchststand auf allen Gebieten, die den Stand von 1913 –1914 noch übertraf.

Plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, trat im September 1939 Kriegszustand ein.

Das normale Wirtschaftsleben wurde jäh unterbro-chen und alles musste sich auf die Kriegserfordernisse umstellen.

Der Flussschiffbau arbeitete zunächst weiter; ei-gentliche Kriegsschiffbauten setzten erst im zweiten und dritten Kriegsjahr ein, um dann fortschreitend auf alle Werften ausgedehnt zu werden.

Auf der Werft Veddel wurden, neben erhöhter Tätig-keit in den laufenden Reparaturen, bis Anfang 1943 auch

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einige größere Neubauten fertiggestellt, z.B. ein großer Baggerkörper für Lübeck und zwei Küchenschiffe für die Marine.

Der Bagger „Markus“ lag bei Kriegsausbruch im Kol-berger See, der „Bagger II“ in Büsum. „Markus“ wurde 1940 von dort zurückgeholt und hat dann kurze Zeit auf der Unterelbe bei Cuxhaven gearbeitet.

Die Baggerei hörte aber 1941 gänzlich auf. „Markus“ und „Bagger II“ wurden auf der Werft Veddel dann auf Land geholt. Der Bagger „Johannes“ ging auf der Rück-reise von Hörnum bei der Insel Amrum auf See verloren. Die Kähne und Schuten waren im Kriege beschäftigt.

Im weiteren Verlauf des Krieges zeigte sich, dass die Lage der Werft sehr gefährdet war. Im Februar 1943 trat das erste Kriegsunglück für die Werft Veddel ein. Durch einen Angriff mit Brandbomben wurde die Maschinen-halle entzündet und brannte gänzlich ab. Der große An-griff auf Hamburg im Juli 1943 äscherte das Wohn- und Verwaltungsgebäude ein.

Als Kriegsmaßnahme wurde der Wiederaufbau der Maschinenhalle verlangt und noch im Sommer begon-nen. Die Halle durfte nicht wieder in Holz aufgebaut werden. Eine Eisenkonstruktion wurde ebenfalls unter-sagt. Es blieb deshalb nur ein Massivbau in Beton und Backstein übrig. Dies verteuerte den Bau sehr stark. Da der Untergrund nicht gerammt werden durfte, waren sehr große und breite Betonfundamente erforderlich.

In den Jahren 1944 und 1945 erfolgten noch sechs Bombenangriffe, die auf der Werft große Schäden an Gebäuden und Einrichtungen anrichteten. Die Schiff-bauhalle wurde mehrfach getroffen und das wieder Er-reichte wieder umgeworfen. Desgleichen wurden die

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Zentrale, das Transformatorenhaus, die Slipanlage an vielen Stellen und die Schmiede mehrfach gänzlich umgelegt.

Mit Ende des Krieges war nur die im Aufbau befindli-che Maschinenhalle stehen geblieben. Die als Ersatz für das Verwaltungsgebäude errichtete Wohnbaracke war mehrfach wieder getroffen worden, konnte aber weiter benutzt werde.

Die Werft Veddel war also durch die Kriegsereignisse zu mindesten zwei Dritteln zerstört. Nur ein kleiner Teil war wieder aufgebaut worden. Ein ähnliches Schicksal hatte die Werft in Regensburg, während der Lauenburg-er Betrieb ohne eigentlichen Schaden davongekommen ist.

Auch der Fahrzeugpark hatte Schaden erlitten. Der eiserne Kahn „Annie“ wurde bei Magdeburg von den Russen erbeutet und nach Leningrad entführt. Der „Bagger II“ war auf Land liegend total ausgebrannt, der Bagger „Markus“ beschädigt. Der Kahn „Wankel“ war beschädigt. Zwei Hamburger Schuten sind verloren ge-gangen.

Das Wohnhaus in Groß-Flottbek ist mehrfach in Gefahr gewesen, schließlich aber doch unversehrt gebli-eben.

Sohn Markus war bei Ausbruch des Krieges aktiver Soldat, ist aber nicht eigentlich an die Front gekommen. Er ist mehrfach zum Besuch der Hochschule abkom-mandiert worden und konnte damit seine Studien fortset-zen. 1941 hat er dann sein Diplomexamen gemacht und wurde danach Sonderführer. Er hatte mehrfach Kom-mandos auf russischen Werften und später in Holland.

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Er ist glücklich heimgekehrt.

Leider hat unser lieber Erik Bertram am Schluss des Krieges 1945 and der Neisse-Front den Heldentod er-litten, nachdem er kurz vorher das Ritterkreuz erhalten hatte. Damit wurde unsere Ilse Kriegerwitwe mit fünf Kindern.

Magda war während des Krieges in Chile leider durchweg krank im Sanatorium, später gebessert in einer Privatklinik in Santiago. Die drei Kinder Karin, Jo-hannes und Hasso leben in Osorno und besuchen dort

Walter Hitzler, Inhaber der Werft Theodor Hitzler in Regensburg mit seiner Frau Johanna geb. von Eitzen (links) und Theodors zweiter Frau Annie (rechts). (Foto von 1950)

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die Deutsche Schule.

Im Mai 1945 war ganz Deutschland von den Feind-mächten besetzt und musste bedingungslos kapitulieren. Damit begann für Deutschland eine hoffnungslose Zu-kunft.

Alle drei Hitzler-Werften haben junge Nachfolger. Während ich den Hamburger Betrieb noch selbst leiten kann, habe ich als Nachfolger meinen Sohn Markus Hit-zler, der auch schon einen kleinen Sohn Michael hat.

Der Lauenburger Betrieb hat leider Ende 1946 den Inhaber Franz Hitzler verloren. Dort ist aber ein voll ausgebildeter Nachfolger, Franz Hitzler, vorhanden, der auch schon verheiratet ist und eine Tochter hat.

Am besten in der Nachfolgerschaft ist der Regens-burger Betrieb gestellt. Dort sind drei Söhne vorhanden, von denen zwei glücklich aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt sind und nun ihre technische Ausbildung erhalten. Der dritte Sohn ist in der Lehre.

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Theodor Hitzler war Anhänger der Kneipp Bewegung

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Die Firma J. G. Hitzler Von Richard Haack

Die Firma J. G. Hitzler siedelte sich vor 70 Jahren in Lauenburg an. Herr Hitzler war ein biederer Schwabe, er war auf dem Krümmel3 als Maschinenmeister tätig gewesen. Herr Hitzler war gut befreundet mit den Ge-brüdern Burmester, denen damals die sechs Lauenburger Dampfschiffe gehörten. Diese hatten ein Interesse daran in Lauenburg eine Reparaturwerkstatt für ihre Damp-fer zu haben. So überredeten sie Herrn Hitzler dazu sich dort anzusiedeln und gaben ihm auch das Geld zur Gründung seiner Schiffswerft und Maschinenwerkstatt. Sie war die erste in Lauenburg, die eine Antriebsmas-chine, einen 6 PS Gasmotor erhielt.

An Werkzeugmaschinen waren vorhanden:

eine Hobelmaschine,eine Shappingmaschine, eine große und eine kleine Drehbank, eine Bohrmaschine und eine Schmiedeanlage. Auf dem Hofe stand eine Blechschere, eine Blechstanze und eine Blechwalze. Diverse Schraubstöcke und sonstiges Zubehör vervollständigten die Ausrüstung.

3 hier irrt Richard Haak. Es war die Pulverfabrik Düneberg.

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Meister Hitzler war ein tüchtiger und energischer, dabei gutherziger Mann, ein echter biederer Schwabe. Aber trotz aller Gutmütigkeit konnte er auch höchst un-gemütlich werden. Besonders war das am Montag der Fall, wenn er am Sonntag die gesunkenen Kräfte durch Ruhe wieder ergänzt und durch etliche Gläser Bier wie-der aufgefrischt hatte. Dann flogen die “Himmel-Her-rgott-Sakraments!” nur so in der Luft umher. Doch im allgemeinen war er verträglich.

Im Sommer, wenn es warm war, kam es häufiger vor, dass er für seine Belegschaft ein Fass Braunbier auflegen ließ.

Im Jahre 1887 wurde Herr Hitzler Schützenkönig, es war ein Meisterschuss, den er abgab Es schoss so genau ins Zentrum, dass die Scheibe vom Stängel fiel. Im nächsten Jahre zum Schützenfest legte er dann für die Belegschaft einen Feiertag ein, bei voller Lohnzah-lung natürlich.

Die Firma fing mit 6 Gesellen an zu arbeiten. Sie hatte gleich gut zu tun, namentlich im Winter, dann la-gen so einige 20 Dampfer in Hafen , die dort überwinter-ten, sie alle hatten mehr oder weniger Reparaturen, die sie der Firma übertrugen.

Im Jahre 1888, kam ich zu ihm in die Lehre. Wir war-en 4 Lehrlinge, später wurden es 6. Die Be1egechaft war schon auf ca. 20 Mann gestiegen. In diesem Jahre fing die Firma mit dem Schiffbau an, sie hatte einige Schuten für den Hamburger Hafenbetrieb in Auftrag bekommen. Wir 4 Lehrlinge bildeten eine Kolonne, wir schnitten Bleche zu pass, stanzten Löcher darin und setzten die Bleche zusammen und nieteten sie zusammen.

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Die Maschinenwerkstatt hatten in diesem Jahre viel zu tun. Die Arbeitszeit wurde daher von morgens um 5 Uhr bis abends um 8 Uhr ausgedehnt.

Zu mir sagte der Meister zwar: ”Du brauchst net so früh zu komme, Richard!” Ich sagte: “Doch, das muss sein!“ Er fragte, wieso das sein müsste. Ich sagte: “Wir bilden hier doch eine Kolonne und ich muss die Nieten warm machen, wenn ich also nicht da bin, können die andern auch nichts machen”. ”Ach so”, meinte er, “Na, wenn Du meinscht, kannscht ja auch komme.” und so blieb es dabei.

Es dauerte nur ein Vierteljahr, dann trat die frühere Arbeitszeit von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends wieder ein.

Im Jahre 1889 wurde schon ein Erweiterungsbau vorgenommen, in dem die Schmiede untergebracht wurde. In diesem Jahre wurden wieder verschiedene Schuten gebaut, der erste Schleppkahn wurde auf Sta-pel gelegt und fertiggestellt und unter anderem auch der Passagierdampfer “Patriot” überholt und instandgesetzt, er sollte dem Kaiser-Wilhelm zur Hafenrundfahrt in Hamburg dienen.

Als unser Schleppkahn zum ersten Male im Schlep-pzug elbaufwärts fuhr, bauten wir uns alle am Ufer auf und riefen: “Hurra! “ Das brachte nun den Schleppkahn nicht außer Fassung, der fuhr ruhig weiter. Für uns war es aber doch ein schöner Ausdruck der Freude an dem Bau eines solch schönen Fahrzeuges mitgeholfen zu ha-ben.

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Inzwischen hat sie die Firma zu einem stattlichen Unternehmen entwickelt, sie gibt vielen Menschen Ar-beit und Verdienst, mancher Geschäftsmann hat eine n Vorteil durch sie und der Stadtkassierer lacht übers ganze Gesicht, wenn Herr Hitzler erscheint und seine Steuern bezahlt. Die Lauenburger haben aber allen Gr-und zu rufen: Heil Hit-z-ler !

Liebe Frau Trabert!Heute sende ich Ihnen wieder etwas für die Lauenburger Zeitung. Mit freundlichem Gruß R. Haack

An die Firma Hitzler 13.8.1959

Diesen Bericht, den ich nicht für lie L.L. ausgewertet habe, schickte mir der alte Richard Haack vor fünf Jahren. Für die Firma und Ihr kom-mendes Jubiläum, überlasse ich Ihnen jetzt den Brief. Hochachtungsvolle Grüße, Frau G. Trabert.

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