Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

44
Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen

Transcript of Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Page 1: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft

von den Internationalen Beziehungen

Page 2: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Lebenslauf – Kurzfassung

Reinhard Meyers, Jahrgang 1947, studierte Politikwissenschaft, Anglistik, und Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität 1966 – 1970 mit dem Abschluß Magister Artium. Forschungsstipendiat der Wiener Library, London, an der Graduate School of Contemporary European Studies, University of Reading 1970 – 1972 mit dem Abschluß Master of Philosophy.

Wissenschaftlicher Assistent bei Hans-Adolf Jacobsen und Karl-Dietrich Bracher am Seminar für Politikwissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität 1972 – 1984. Promotion zum Dr.phil. 1974; Habilitation im Fach Politikwissenschaft 1986; seit 1987 Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Westfälischen Wilhelms - Universität.

Page 3: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Die Forschungsinteressen galten ursprünglich der Geschichte der internationalen Beziehungen und der Sicherheitspolitik im 20. Jahrhundert; daneben trat aber schon vor der Habilitation die Wissenschaftsgeschichte der Lehre von den Internationalen Beziehungen sowie deren Epistemologie, Methodologie und Theorie. Seit den achtziger Jahren wird dieser Schwerpunkt ergänzt durch Arbeiten zur Friedens- und Konfliktforschung, seit den neunziger Jahren auch zur Europapolitik.

Seit 1991 mehrfach Prodekan und Dekan des Fachbereichs Sozial-wissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität, Oktober 1997 Ehrendoktor der Fakultät für Europastudien der Babes-Bolyai Universität Klausenburg; Mai 2007 Ehrendoktor der Universität Novi Sad. Mitgründer und seit 1993 Mitherausgeber der Zeitschrift für Internationale Beziehungen. Programmbeauftragter für die internationalen Doppeldiplomstudiengänge mit dem IEP Lille, der BBU Klausenburg (RO) und der Universiteit Twente (NL) 1997 – 2008.

Hobbies: Industriearchäologie des Transportwesens, italienische Küche

Page 4: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Inhalt:

1) Was sind und warum beschäftigen

wir uns mit Theorien ?

2) Großtheorien der Internationalen Beziehungen - ein Überblick

3) Konsequenzen unterschiedlicher Großtheorien: Verschiedenheit der wissenschaftlichen Weltsichten

Page 5: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Diese Datei ist ab sofort downloadbar von meiner

Website

http://reinhardmeyers.uni-muenster.de

Dort finden Sie auch weitere Materialien zu meinen Seminaren zu den Internationalen Beziehungen und zur Friedens- und Konfliktforschung

http://reinhardmeyers.uni-muenster.de/aktuelles.html

Page 6: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Literaturtip

• Siegfried Schieder/Manuela Spindler (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen. 2. Aufl. Opladen 2006 [UTB 2315]

• Gert Krell: Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie der internationalen Beziehungen. 4., überarb. Aufl. Baden-Baden 2009 [Nomos Studienkurs Politikwissenschaft]

• Robert Jackson/Georg Sorensen: Introduction to International Relations. Theories and approaches. 3rd ed. Oxford 2007

Page 7: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Für ganz Eilige…

• Reinhard Meyers, Artikel:• - Theorien der internationalen Beziehungen• - Kooperationstheorien• - Theorien internationaler Verflechtung und

Integration• alle in: Wichard Woyke (Hrsg.): Handwörterbuch

Internationale Politik. 11. Aufl., Opladen 2008 [UTB 702; auch Bundeszentrale f. polit. Bildung]

Page 8: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Was sind und warum beschäftigen wir uns mit Theorien ?

Page 9: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

System von möglichst allgemeinen Aussagen über die Wirklichkeit, die systematisch geordnet und intersubjektiv

überprüfbar sind !

WISSENSCHAFT

Prognosen über zukünftige

Ereignisse zu erstellen

Konkrete Handlungsoptionen aus

einer Menge von Optionen

auszuwählen und

das diese Handlungsoptionen in die

Praxis umsetzende Handeln zu

legitimieren.

Ziel der Wissenschaft

ist es, auf Grund dieser

Aussagen:

Page 10: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

PrämissePrämisse Gesellschaftliches, politisches und auch wissen-

schaftliches Handeln ist nicht unmittelbar als Reflex auf die reale Situation zu verstehen, auf die sich dieses Handeln bezieht.

Vielmehr wird es gesteuert durch die Perzeption einer realen Situation und durch die Interpretation, d.h. durch das Bild, das wir uns von der Handlungs-situation machen - unabhängig davon, ob die Handlungssituation tatsächlich so beschaffen ist, wie wir sie sehen und interpretieren (Thomas-Theorem).

Gesellschaftliches, politisches und auch wissen-schaftliches Handeln ist nicht unmittelbar als Reflex auf die reale Situation zu verstehen, auf die sich dieses Handeln bezieht.

Vielmehr wird es gesteuert durch die Perzeption einer realen Situation und durch die Interpretation, d.h. durch das Bild, das wir uns von der Handlungs-situation machen - unabhängig davon, ob die Handlungssituation tatsächlich so beschaffen ist, wie wir sie sehen und interpretieren (Thomas-Theorem).

Page 11: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Keine Erkenntnis ohne Vorbedingungen

Das Bild der politischen Realität wird nicht durch

Informationen und Erfahrungen geprägt, die unmittelbar aus politischen Ereignissen, Krisen und Konflikten stammen.

Sie werden vielmehr vermittelt - gleichsam gefiltert - durch politische und gesellschaftliche Interessen, (Alltags-)Erfahrungen und Traditionen, denen das realitätswahrnehmende Subjekt im Prozeß seiner politischen Sozialisation ausgesetzt ist.

Page 12: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Kognitive Schemata

In diesem Prozeß bilden sich Schablonen, Muster, Glaubenssätze, Verhaltensmaßstäbe, Urteile und Vor-Urteile - kognitive Schemata - die die Auswahl aktueller Informationen steuern und ihre Deutung und Bewertung bestimmen.

Die Bedeutung dieser Schemata erhellt nicht zuletzt aus dem Umstand, daß der Mensch tagtäglich einer derart großen Menge an Informationen aus und über seine Umwelt ausgesetzt ist, daß sein Wahrneh-mungs- und Informationsverarbeitungsvermögen binnen kurzem durch "information overload" blockiert würde, besäße er nicht die Möglichkeit, unter Rekurs auf kognitive Schemata

# die potentiell unendliche Informationsmenge zu begrenzen, # aus ihr auszuwählen und # das Ausgewählte nach bestimmten Bezugs- mustern zu ordnen.

Page 13: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Verschiedenheit der Weltsichten Ganz besondere Bedeutung haben solche Muster und

Schemata in Lebensbereichen, die wie die internationalen Beziehungen der unmittelbaren, alltäglichen Erfahrung des Individuums entzogen sind. Die Vorstellungen des Menschen über die politischen Ziele und Verhaltensweisen anderer Staaten bilden sich nach den in seinem Kopf vorhandenen, im Umgang mit gesellschaftlicher und politischer Realität erworbenen Wahrnehmungs- und Interpretationsmustern. Diese sind nicht für alle Menschen gleich, sondern je nach Qualität, Inhalt und Intensität der politischen Sozialisation des Individuums verschieden.

Die Verschiedenheit der kognitiven Schemata und der von ihnen gesteuerten Wahrnehmungs- und Informationsver-arbeitungsprozesse bedingt auch eine Verschiedenheit der individuellen Weltsichten. Allerdings läßt sich diese durch Konsensbildung - durch die Verabredung mehrerer Individuen dazu, Phänomene einheitlich zu bewerten und zu interpretieren - teilweise überbrücken und in einer verabredeten gemein-samen Weltsicht aufheben.

Page 14: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Wissenschaftliche Erkenntnis und Theoriebildung

In stärker • abstrahierend-kategorisierender, • logisch-formalisierter und insbesondere • an das Kriterium der Nachprüfbarkeit von

Aussagen gebundener Form liegt dieser Konsensbildungs - Prozeß auch der

wissenschaftlichen Erkenntnis, vor allem aber auch dem Prozeß der wissenschaftlichen Theoriebildung zugrunde.

• [ communis opinio doctorum ]

Page 15: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Was ist eine Theorie ?

Theorie ist “…das Netz das wir auswerfen, um die Welt einzufangen – um sie zu rationali-sieren, zu erklären und zu beherrschen."

Karl Popper. Logik der Forschung, 1935: p.26

The Logic of Scientific Discovery, London: Hutchinson, 1959.

Page 16: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Theorie: Funktionen

Eine gute Theorie sollte die folgenden Funktionen erfüllen:

• Beschreibung, Erklärung, Vorhersage von Phänomenen – positive/positivistische Idee der Theoriebildung

• Verifizierung oder (besser) Falsifizierung von (Beobachtungs) Aussagen (Popper) – durch Konfrontation unseres gesammelten Wissens mit der “Wirklichkeit” – kritisch-rationalistische Idee der Theoriebildung

• “No matter how many instances of white swans we may have observed, this does not justify the conclusion that all swans are white”.

• Karl Popper, The Logic of Scientific Discovery, op. cit.

• in sich konsistent, geschlossen und konkludent sein

Page 17: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Theorieelemente und Theoriefunktionen Theorieelemente und Theoriefunktionen

1. Begriff => Konstrukt => Idealtyp => Typologie

1. Begriff => Konstrukt => Idealtyp => Typologie

2. Begriffsschema („conceptual framework“)

=> Vortheorie („pre-theory“) => Untersuchungsansatz

(„approach“)

2. Begriffsschema („conceptual framework“)

=> Vortheorie („pre-theory“) => Untersuchungsansatz

(„approach“)

3. Vermutung => Hypothese => Gesetz3. Vermutung =>

Hypothese => Gesetz

4. Axiom => Proposition/Theorem/Lehrsatz

4. Axiom => Proposition/Theorem/Lehrsatz

5. Modell => wissenschaftliches Weltbild => Paradigma oder

Großtheorie

5. Modell => wissenschaftliches Weltbild => Paradigma oder

Großtheorie

1. Darstellungsmittel (ontologische Theorie)

Feststellung dessen „was eigentlich ist“

1. Darstellungsmittel (ontologische Theorie)

Feststellung dessen „was eigentlich ist“

2. Erklärungsmittel (explanative Theorie)

Feststellung der Gründe: „Warum ist das eingetreten

was jetzt der Fall ist ?“

2. Erklärungsmittel (explanative Theorie)

Feststellung der Gründe: „Warum ist das eingetreten

was jetzt der Fall ist ?“

3. Rechtfertigungsmittel (validierende Theorie)

Feststellung der Angemessenheit der Erklärung:

„Warum gilt die Erklärung dessen, was jetzt der Fall ist ?“

3. Rechtfertigungsmittel (validierende Theorie)

Feststellung der Angemessenheit der Erklärung:

„Warum gilt die Erklärung dessen, was jetzt der Fall ist ?“

THEO RIE

Page 18: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Theoriefunktionen Theoriefunktionen

1. Darstellungsmittel (ontologische Theorie)

Feststellung dessen „was eigentlich ist“

1. Darstellungsmittel (ontologische Theorie)

Feststellung dessen „was eigentlich ist“

2. Erklärungsmittel (explanative Theorie)

Feststellung der Gründe: „Warum ist das eingetreten

was jetzt der Fall ist ?“

2. Erklärungsmittel (explanative Theorie)

Feststellung der Gründe: „Warum ist das eingetreten

was jetzt der Fall ist ?“

3. Rechtfertigungsmittel (validierende Theorie)

Feststellung der Angemessenheit der Erklärung:

„Warum gilt die Erklärung dessen, was jetzt der Fall ist ?“

3. Rechtfertigungsmittel (validierende Theorie)

Feststellung der Angemessenheit der Erklärung:

„Warum gilt die Erklärung dessen, was jetzt der Fall ist ?“

Page 19: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Theorien - DefinitionsversuchTheorien - Definitionsversuch

Theorien

sind ganze Systeme von relativ allgemeinen wissenschaftlichen Sätzen

(miteinander verbundene Wenn – Dann - Aussagen), die einen

bestimmten Ausschnitt der Realität widerspruchsfrei erklären sollen.

Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinheit erscheint es

fraglich, ob es in der Sozialwissenschaft überhaupt (noch bzw. schon)

echte Theorien gibt. Momentan wird die Forschung klar von den

Theorien mittlerer Reichweite, die sich nur auf bestimmte soziale

Phänomene in bestimmten Gesellschaften beziehen, dominiert.

Theorien

sind ganze Systeme von relativ allgemeinen wissenschaftlichen Sätzen

(miteinander verbundene Wenn – Dann - Aussagen), die einen

bestimmten Ausschnitt der Realität widerspruchsfrei erklären sollen.

Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Allgemeinheit erscheint es

fraglich, ob es in der Sozialwissenschaft überhaupt (noch bzw. schon)

echte Theorien gibt. Momentan wird die Forschung klar von den

Theorien mittlerer Reichweite, die sich nur auf bestimmte soziale

Phänomene in bestimmten Gesellschaften beziehen, dominiert.

Page 20: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Literaturtip

• Johann August Schülein/Simon Reitze: Wissen-schaftstheorie für Einsteiger. Wien 2002 [UTB 2351]

• Bruno Heller: Wie entsteht Wissen. Eine Reise durch die Wissenschaftsatheorie. Darmstadt 2005 [wbg]

• John Ziman: Wie zuverlässig ist wissenschaftliche Erkenntnis ? Braunschweig 1982

• Robert C. Bishop: The Philosophy of the Social Sciences. An Introduction. London 2007

Page 21: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Grosstheorien der Internationalen Beziehungen – ein Überblick

Page 22: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Einführender ÜberblickEinführender Überblick

Die wissenschaftstheoretische Grundtriade

ERKENNTNISINTERESSE

FRAGESTELLUNG

SICHT bzw. DEFINITION DES (ERKENNTNIS-)GEGENSTANDES

Page 23: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Einführender ÜberblickEinführender Überblick

• Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse. Jüngste Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001

• John Ziman: Wie zuverlässig ist wissenschaftliche Erkenntnis? Braunschweig 1982

• Heinrich Schmidt/Georgi Schischkoff (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. Jüngste Aufl. Stuttgart: Kröner 1991

Page 24: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Die wissenschaftstheoretische Grundtriade

Theoretische Weltsicht

FRAGESTELLUNG

SICHT bzw. DEFINITION DES (ERKENNTNIS-)GEGENSTANDES

Page 25: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Großtheorien internationaler Beziehungen

Die Entwicklung der Lehre von den Internationalen Beziehungen hat - in Reaktion auf außerwissenschaftliche, politisch-gesellschaftliche Krisenphänomene - eine Reihe unterschiedlicher Großtheorien internationaler Beziehungen gezeitigt, die die Phänomene der internationalen Politik

mit je unterschiedlichem Erkenntnisinteresse und davon abhängiger Fragestellung auf der Grundlage je verschiedener anthropologischer, ethisch-

normativer und methodischer Vorverständnisse zu erfassen suchen.

Diese Großtheorien differieren im Blick auf ihre ontologischen, d.h. die Natur des Erkenntnisgegenstandes betreffenden Grundannahmen:

Page 26: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Grosstheorien internationaler Beziehungen (II)

sie formulieren unterschiedliche Prämissen und Annahmen

• über die Beschaffenheit, Qualität und Struktur des internationalen Milieus, d.h. des Handlungs(um)feldes internationaler Akteure;

• über Beschaffenheit, Qualität und Charakter der in diesem Handlungs(um)feld (überwiegend) handelnden Einheiten, d.h. der internationalen Akteure selbst;

• über die von diesen verfolgten Interessen und Ziele sowie über die

Mittel, die zur Verwirklichung dieser Interessen und Ziele gemeinhin eingesetzt werden.

Page 27: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Theorienkonkurrenz, nicht Theorienwechsel

Jede Großtheorie zeichnet ein für sie charakteristisches Weltbild internationaler Beziehungen; Großtheorien und wissenschaftliche Weltbilder konkurrieren miteinander, ohne daß letztlich entschieden werden kann, welche dieser Großtheorien und Weltbilder die (einzig) richtige Deutung der internationalen Wirklichkeit darstellt.

Denn dazu würde die Wissenschaft einen archimedischen Punkt über und außerhalb der Konkurrenz ihrer Großtheorien - oder gleichsam eine Meta-Großtheorie - benötigen, die es erlaubte, Kriterien für die Wahrheit oder Falschheit jener Prämissen zu etablieren, auf die die einzelnen Großtheorien ihre Aussagen zurückführen.

Ein solcher archimedischer Punkt ist gegenwärtig nicht in Sicht!

Page 28: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Über die Disparität bzw. Pluralität internationaler Theorieansätze: Gründe

1) Ergebnis kumulativer Theoriebildung und zunehmender Professionalisierung des Faches IB

2) Kaum mehr überschaubare Adaption von Erkenntnissen aus verwandten & benachbarten sozialwiss. Fächern – IB als Integrationswissenschaft

3) Enges Wechselverhältnis der IB zu ihrem realhistorischen und gesellschaftspolitischen Kontext – IB als Krisenwissenschaft, IB als weltpolitische Ordnungswissenschaft

Konsequenz: a) mangelnder Konsens über die angemessene begriffliche und theoretische Fassung des Erkenntnis-gegenstandes und der dem Gegenstand adäquaten Methoden b) ein durch realpolit. Veränderungen angestossener Wandel des Forschungsgegenstands geht immer mit einer Anpassung des theoretisch-konzeptionellen Instrumentariums der Disziplin einher

Page 29: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Großtheorie Akteur Milieu Strukturprinzip

Realismus

Nationalstaat

Staatenwelt als anarchischer (Natur-)

Zustand

vertikale Segmentierung,

unlimitiertes Nullsummenspiel um

Macht, Einfluss, Ressourcen

Englische

Schule

Staatenwelt als rechtlich verfasste

internationale Staatengesellschaft

vertikale Segmentierung, durch Norm und

Übereinkunft geregeltes

Nullsummenspiel

Idealismus Individuum Weltgesellschaft als internationale

Gesellschaft der Individuen

universalistische Verfassung

GROßTHEORIEN INTERNATIONALER BEZIEHUNGEN I

Page 30: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

GROßTHEORIEN INTERNATIONALER BEZIEHUNGEN II

Großtheorie Akteur Milieu Strukturprinzip

Interdependenz-orientierter Globalismus

individuelle oder gesellschaftliche Akteure

transnationale Gesellschaft

funktionale, grenzübergreifende

Vernetzung

Imperialismus-theorien

individuelle oder gesellschaftliche Akteure,

die Klasseninteressen vertreten

internationale Klassengesellschaft

gesellschaftlich: horizontale

grenzübergreifende Schichtung;

(macht-)politisch: vertikale Segmentierung

der imperialistischen Konkurrenten

Dependenzorientierter Globalismus:

Dependenztheorien und Theorien des kapitalistischen

Weltsystems

gesellschaftliche und nationalstaatliche

Akteure, die Klasseninteressen

vertreten

kapitalistisches Weltsystem als

Schichtungssystem von Metropolen und

Peripherien

horizontale Schichtung nationaler Akteure im

Weltsystem; strukturelle Abhängigkeit der

Peripherien von den Metropolen; strukturelle

Heterogenität der Peripherien

Page 31: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Realismus Pluralismus Strukturalismus

Hauptakteure Staaten Staaten und nichtstaatliche

gesellschaftliche Akteure

gesellschaftliche und nationalstaatliche

Akteure, die Klasseninteressen

vertreten

Kernfragen und Hauptprobleme

Internationale Anarchie; Sicherheitsdilemma;

Machtstreben

Transnationalismus und Interdependenz, aber keine klaren Problem-hierarchien zwischen

Sachgebieten

Ausbeutung, Imperialismus,

(Entwicklung der) Unterentwicklung in

Zentrums-Peripherie-Relationen

Hauptprozesse Streben nach militärischer und/ oder ökonomischer

Sicherheit; Balance of Power

Bargaining; Management von

Problemkomplexen; Veränderung der Wertehierarchien

Streben nach ökonomischer

Dominanz

Hauptergebnisse Krieg oder (negativer) Frieden

Erfolgreiches Management komplexer

Interdependenz

Spaltung der Weltgesellschaft

zwischen Zentrum und Peripherie;

kontinuierliche Ausbeutung der (armen)

Peripherie durch das (reiche) Zentrum

Perspektivische Konsequenzen unterschiedlicher IB-Theorien Perspektivische Konsequenzen unterschiedlicher IB-Theorien

Page 32: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Modell Akteure Strukturen Hypo-thesen

(Neo-)Funktionalismus EU als Reflex auf Probleme

Regierungen, Bürokratien

Politikfelder, Problembereich

e

SpilloverEffekte

Multiebenenansatz/ Governance

EU als Regierungs-

Tätigkeit

dito Polity auf mehreren

Ebenen

(gutes)Regieren

Liberaler Intergouverne-mentalismus

EU als Verhandlungs-

System

nat. Regierungen im

Interesse innenpol.

Akteure

Mehrebenensystem,

Verhandlungen zw.

Regierungen

Verhandlungs

Ergebnisse auf

Basis nat. Präferenzen

(Neo-) Realismus

EU als Instrument der

Machtbalance

nat. Regierungen

anarchisches Staatensystem

EU Reaktion auf

Sicherheits-problem

(Neo-) Institutionalismus EU als Regime Regierungen, EU-

Organe

Staatensystem mit

institutiona-lisierter

Kooperation

Lerneffekte,

Pfadabhängig keiten

Rational Choice/ Polit. Ökonomie

EU als

Entscheidungs-

System

jeweils unterschied

ll: Regierungen,

Inter- essengrupp

en, Wähler

Nutzenmaximierung

bedingt durch Institutionen

Einfluss von

Institutionen,

Aggregation von

Präferenzen

Konstruktivismus/Reflektivismus

EU als ideelle Wirkungseinheit

Regierungen, EU selbst,

nicht-Intentional

Identitätsbildung,

Wirkung von Ideen

EU-Institu-tionen

verändern nat.

Präferenzen

Perspektivische Konsequenzen unterschiedl. Integrationstheorien

Page 33: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Akteure Nationalstaaten

Prozesse Nullsummenspielartige Konkurrenz um Macht, Einfluss und Ressourcen

Strukturprinzip Sicherheitsdilemma

Milieu Staatenwelt als internationaler anarchischer Naturzustand

Friedenskonzept Sicherheit des Akteurs (als Voraussetzung seines Überlebens)

(Erklärungs-)Ansatzebene

(außengerichtetes) Aktions-/Interaktionsverhalten der Akteure („unit-level-explanation“)

Mittel Machtakkumulation, (gewaltsame) Selbsthilfe zur Durchsetzung von Eigeninteressen, Abschreckung, Gleichgewichtspolitik

Schlagwort Abschreckungsfrieden unter Anarchie

Friedensschaffende Leitprinzipien klassischer Großtheorien:Friedensschaffende Leitprinzipien klassischer Großtheorien:

REALISMUS

REALISMUS

Page 34: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Akteure Nationalstaaten

Prozesse Konflikt und Kooperation im Rahmen gemeinschaftlich anerkannter Verhaltensregeln

und (informeller wie formeller) Institutionen

Strukturprinzip Kontrolle des Machtstrebens und der Machtausübung der Akteure

in der internationalen

Anarchie

Milieu Staatenwelt als rechtlich verfasste internationale Staatengesellschaft

Friedenskonzept Garantie der Erwartungsverlässlichkeit des

Akteurshandelns in der internationalen (Rechts-) Ordnung

(„pacta sunt servanda“) (Erklärungs-)Ansatzebene

Vergesellschaftung/ Systembildung der Akteure; Phänomen der „governance without

government“

Mittel Ausbildung eines Konsenses der Akteure über gemeinschaftliche Interessen,

(Selbstbindende Verhaltens-) Regeln und Institutionen; insbes. Anerkennung/

Befolgung von Verhaltensregeln, die die Gewaltausübung in der Staatengesellschaft

einhegen, beschränken, reduzieren

Schlagwort (Rechts-)Ordnungsfrieden unter regulierter Anarchie

RATIONALISMUS

RATIONALISMUS

Page 35: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Akteure individuelle, gesellschaftliche, nationalstaatliche Akteure

Prozesse internationale Arbeitsteilung und funktionale Vernetzung als Ergebnis wie als Voraussetzung wissenschaftlicher, technischer, ökonomischer und politischer

Modernisierung

Strukturprinzip Kooperation und Interdependenz

Milieu Staaten- und Gesellschaftswelt als Friedensgemeinschaft liberaler Demokratien

Friedenskonzept Fortschreitende Verwirklichung von Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlfahrt als menschliche Existenzbedingungen plus Intensivierung der internationalen

Kooperation plus Förderung der Modernisierung als Bedingung moralischer Perfektibilität wie zunehmender Wohlfahrt der Menschheit

(Erklärungs-)Ansatzebene

Politische/ sozioökonomische Binnenstruktur der Akteure („inside-out-explanation“)

Mittel Freihandel, Förderung der internationalen Organisation und kollektiven Sicherheit, Demokratisierung der Akteure im Lichte von Rechtsstaatlichkeit und

Menschenrechtsverwirklichung, Aufklärung über gemeinsame (Menschheits-) Interessen und Erziehung zu kompromißhafter, interessenausgleichender

Konfliktbearbeitung

Schlagwort Demokratischer Frieden unter Kooperation

LIBERALER INTERNATIONA

-LISMUS

LIBERALER INTERNATIONA

-LISMUS

Page 36: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Das methodologisch-ontologische Bezugsfeld

REALISMUS NEOREALISMUS

TRADITIONALISMUS

qualitativ, historisch- hermeneutisch

SZIENTISMUS

quantitativ, empirisch-nomologisch

IDEALISMUS

Spinnweb-Modell internationaler Politik

GLOBALISMUS , REGIME-ANSÄTZE

Billard-Ball-Modell internationaler Politik

Page 37: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Das Billard-Ball-Modell Internationaler Politik

Zugkräfte

Druckkräfte

Page 38: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Spinnweb-Modell internationaler Beziehungen

Page 39: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Praktischer Hinweis für IT-Theoretiker

Page 40: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Kaffeepause

Page 41: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Literaturtipp

Klassiker der Internationalen Beziehungen• Adda B.Bozeman : Politics and Culture in International History. From the Ancient Near East to the

Opening of the Modern Age. 2.Aufl. New Brunswick: Transaction Publishers 1994• Hedley Bull: The Anarchical Society. A Study of Order in World Politics. 3. Aufl.Basingstoke:

Palgrave Macmillan 2002• Edward Hallett Carr: The Twenty Years’ Crisis 1919 – 1939. An Introduction to the Study of

International Relations. 2.Aufl. London: Macmillan 1974• Barry Buzan/Richard Little: International Systems in World History. Remaking the Study of

International Relations. Oxford: Oxford University Press 2000• Ernst-Otto Czempiel : Kluge Macht. Außenpolitik für das 21. Jahrhundert. München: C.H.Beck 1999• F.H.Hinsley: Power and the Pursuit of Peace. Theory and Practice in the History of Relations

between States. Cambridge: Cambridge U.P. 1967• Karl Kaiser/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.): Weltpolitik im neuen Jahrhundert. Baden-Baden: Nomos

2000• Werner Link: Die Neuordnung der Weltpolitik. Grundprobleme globaler Politik an der Schwelle zum

21. Jahrhundert. München: C.H.Beck 1998• Hans J. Morgenthau: Politics Among Nations. New York:Alfred A.Knopf 1960• Edward L.Morse: Modernization and the Transformation of International Relations. New York: Free

Press 1976• Kenneth N. Waltz: Man, the state and war. A theoretical analysis. New York: Columbia UP 1959• Adam Watson: The Evolution of International Society. A comparative historical analysis. London:

Routledge 1992• Martin Wight: International Theory. The three traditions, ed. Gabriele Wight & Brian Porter.

Leicester: Leicester U.P. 1991

Page 42: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Literaturtipp

Biographische Extras:

Kenneth W. Thompson (ed.): Masters of International Thought. Major Twentieth-Century Theorists and the World Crisis. Baton Rouge: Louisiana State UP 1980

Iver B.Neumann/Ole Waever (eds.): The Future of International Relations. Masters in the Making ? London: Routledge 1997

Page 43: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Literaturtipp

Einführungen, Übersichten, Kritik der IB-Theorie• Dario Battistella: Théories des Relations Internationales. Paris : Presses de Sciences Po

2003• Scott Burchill/Andrew Linklater (eds.): Theories of International Relations. Basingstoke:

3rd ed. Basingstoke: Palgrave/Macmillan 2005• James E.Dougherty/Robert L.Pfaltzgraff, Jr.: Contending Theories of International

Relations. A comprehensive survey. 5th ed. New York: Longman 2001• Jim George: Discourses of Global Politics: A critical (re)introduction to International

Relations. Boulder, Colorado: Lynne Rienner Publ. 1994• Martin Hollis/Steve Smith: Explaining and Understanding International Relations. Oxford:

Clarendon Press 1990• Charles W.Kegley, Jr. (ed.): Controversies in International Relations Theory. Realism and

the Neoliberal Challenge. New York: St. Martin’s Press 1996• Gert Krell: Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie der internationalen

Beziehungen. 4.Aufl. Baden-Baden: Nomos 2009• Siegfried Schieder/Manuela Spindler (eds.): Theorien der Internationalen Beziehungen.

Opladen: 2.Aufl. Leske & Budrich 2006• Steve Smith/Ken Booth/Marysia Zalewski (eds.): International theory: Positivism and

beyond. Cambridge: Cambridge U.P. 1996• Cynthia Weber: International Relations Theory. A critical Introduction. London:

Routledge 2001• Ngaire Woods (ed.): Explaining International Relations Since 1945. Oxford: Oxford U.P.

1996

Page 44: Theoretische Grundlagen einer Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen.

Nützliche Website

• http://www.oup.com/uk/orc/bin/9780199271184/01student/zcases/

• zu John Baylis & Steve Smith (eds.), The Globalization of World Politics, 3.Aufl. Oxford 2005

• The 1999 Kosovo Crisis• The Gulf War 1990 – 1991• The Iraq War 2003• Jeweils aus der Sicht von:• # Realist, # Liberal, # Marxist & Radical,# Alternative

Theories