Theoretische Physik fürs Lehramt

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 Theoretische Physik f ¨ urs Lehramt: L1 Beatrix C. Hiesmayr Faculty of Physics, University Vienna [email protected] SS 2008

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Theoretische Physik furs Lehramt: L1 ¨Beatrix C. Hiesmayr Faculty of Physics, University Vienna [email protected] 2008InhaltsverzeichnisVorwort: Warum soll sich eine angehende Lehrkraft mit Theoretischer Physik “qu¨len”? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a 1 Die Newtonsche Mechanik 1.1 Was versteht man unter einem Teilchen (Massenpunkt)? . . . 1.2 Wie sehen Newtons 3 Axiome aus? . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Zu Newtons Axiomen und ihren Zus¨tzen . . . . . .

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Theoretische Physik f urs Lehramt: L1

Beatrix C. Hiesmayr

Faculty of Physics, University Vienna

[email protected]

SS 2008

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Warum soll sich eine angehende Lehrkraft mit Theoreti-scher Physik “qualen”? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1 Die Newtonsche Mechanik 91.1 Was versteht man unter einem Teilchen (Massenpunkt)? . . . 91.2 Wie sehen Newtons 3 Axiome aus? . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.2.1 Zu Newtons Axiomen und ihren Zusatzen . . . . . . . 13

1.3 Die Newtonschen Gleichungen im Detail . . . . . . . . . . . . 131.3.1 Die Mathematik hinter den Newtongleichungen oder

wie Theoretiker gerne analysieren . . . . . . . . . . . . 151.3.2 Und wenn der Theoretiker weiter in diesem Sinne ana-

lysiert: Newtonschen Gleichungen f ur N  Teilchen . . . 16

1.4 Was versteht man unter einem Feld? . . . . . . . . . . . . . . 181.5 Ist die Masse trager als schwer oder schwerer als trag? . . . . . 19

1.6 Beispiele gegebener Krafte a la Newton . . . . . . . . . . . . . 201.6.1 Ein Massenpunkt im homogenen Schwerefeld oder im

homogenen elektrischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . 201.6.2 Freie Schwingung oder Federkraft . . . . . . . . . . . . 20

1.6.3 Was kann f ur Krafte, die nur vom Ort abhangen, aus-gesagt werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

1.7 Fur welche Krafte gilt die Energieerhaltung? . . . . . . . . . . 241.8 Warum macht es Sinn sich mit Potentialen “herumzuschlagen”? 27

1.9 Noch ein wichtiger Spezialfall: Zentralpotentiale und Kepler–Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

1.10 Weitere Erhaltungssatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

1.11 Schwarze Locher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391.12 Welches Raum-Zeit Konzept steckt hinter den Newtonschen

Gleichungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401.13 Beschleunigte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

1.13.1 Linear beschleunigtes Bezugssystem . . . . . . . . . . . 431.13.2 Rotierende Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . 44

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2 Lagrangesche Mechanik 47

2.1 Einleitung/Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472.2 Generalisierte Koordinaten und deren Geschwindigkeiten . . . 492.3 Wie erfolgt eine Bewegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502.4 Wie “errat” man die Lagrangefunktion? . . . . . . . . . . . . 542.5 Erhaltungssatze und Symmetrien . . . . . . . . . . . . . . . . 592.6 Welche Eigenschaften erleichtern das Erraten von L noch? . . 652.7 Der Lagrange– und Hamiltonformalismus . . . . . . . . . . . . 66

3 Relativistische Mechanik 693.1 Die Lorentztransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

3.2 Wie schaut das Raum–Zeit Konzept der Lorentztransforma-tionen aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723.3 Auswirkungen des veranderten Raum–Zeit Konzepts: Lorentz-

kontraktion und Zeitdilatation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773.4 Wie sehen Impuls– und Energiebegriff f ur ein relativistisches

Teilchen aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793.5 Aquivalenz von Masse und Energie . . . . . . . . . . . . . . . 813.6 Wie behandelt man Teilchen mit Ruhemasse 0? . . . . . . . . 813.7 Anwendungen: Teilchenphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

3.7.1 Der Zerfall von einem Teilchen . . . . . . . . . . . . . . 833.7.2 Wie sieht die Kinematik der Teilchenerzeugung aus? . . 84

3.8 Um den Kreis zu schließen: Wie sieht der relativistische Kraft-begriff aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

4 Elektrodynamik: Ein Paradebeispiel einer relativistischen Theo-rie 894.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 894.2 Die Lagrangefunktion der Elektrodynamik . . . . . . . . . . . 90

4.2.1 Wie sieht die Lagrangefunktion f ur ein freies relativis-tisches Teilchen aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

4.2.2 Wie sieht die Lagrangefunktion f ur geladene Teilchen

aus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 944.3 Die Lorentzkraft und ihr nichtrelativistischer Limes . . . . . . 974.4 Die Maxwell Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

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Vorwort:

Warum soll sich eine angehende Lehrkraftmit Theoretischer Physik “qualen”? 

Womit beschaftigt sich die Theoretische Physik?Der “klassische” Zyklus, wie er auch an dieser Universitat gelesen wird, um-fasst die Mechanik, die Elektrodynamik, die Quantenmechanik und die Ther-modynamik. In ihnen werden die Grundgedanken entwickelt, die die Unzahlan experimentellen Phanomenen, die wir aus Experimenten kennen, beinhal-tet, und in ein auf wenigen Prinzipien fußenden Gedankengebaude zusam-mengefasst. Es bietet das Grundgerust, f ur die Allgemeine Relativitatstheo-rie, die Teilchenphysik, die theoretische Festkorperphysik, die mathematischePhysik, . . . die gegenwartige Forschungsgebiete sind.

Durch Abstraktion erhalt man einen anderen Einblick in die Naturgesetze,uber die Entstehung und Dynamik unseres Universums,. . . , aber naturlicherhoht ein besseres Verstandnis immer die Aussicht auf neue Anwendungenund Fortschritt.

Die Mechanik war das erste Teilgebiet der Physik, in dem ein mathe-matischer Zugang zu einem weitreichenden Verstandnis der beobachteten

Phanomene und Vorgange gef uhrt hat. Die im Verlauf der Entwicklung diesesGebietes eingef uhrten Begriffe und Methoden haben sich von außerordent-lich großer Tragweite erwiesen und werden heute in allen ubrigen Gebietender Physik verwendet, mehr noch sie offnet das Tor, mit dem die moder-ne Physik erst verstanden werden kann. Zum Beispiel werden wir in dieserVorlesung uber den Lagrangeformalismus bzw. Hamiltonformalismus spre-chen, der zunachst moglicherweise nicht sinnvoll erscheint, da er “nur” eineandere Betrachtungweise darstellt, aber ohne das Verstandnis eines so ge-nannten Hamilton’s kann die Schrodinger Gleichung, die das Verhalten vonQuantenteilchen beschreibt, nicht verstanden werden und Erwin Schrodinger

hatte sie wahrscheinlich nie “finden” konnen, hatte er sich nicht mit diesemFormalismus beschaftigt.

Die klassische Mechanik wird manchmal auch als “das Paradies des Phy-sikers 1” genannt, da hier Klarheit herrscht, da genau festgelegte Ursachen zugenau festgelegten Wirkungen f uhren (wir werden allerdings durchaus unsereliebe Muhe haben und des Ofteren ziemlich schwitzen :-)). Vor der Vertrei-bung aus dem Paradies haben William Thomson und Lord Kelvin ja nochgemeint, die Physik sei beinahe vollstandig verstanden, nur zwei offene Dinge

1Original Ton: Bernhard Baumgartner

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gabe es noch: der “Ather” des Lichttragers und die Warmestrahlung. Wie

wir wissen haben genau diese Dinge sich zu der Notwendigkeit gef uhrt, unserWeltbild, unser Gedankengebaude neu zu entwickeln, im Besonderen unsereVorstellung von Ort und Zeit. Eines der ungelosten derzeitigen Probleme ist,wir haben keine Idee wie die zwei modernen Theorien, Relativitatstheorie undQuantentheorie, zusammenpassen sollen. Beide sind sehr gut experimentellbestatigt. Immerhin widersprechen sich beide Theorien nicht in ihren Aussa-gen!

Die Mechanik ist bis heute die exemplarische Disziplin geblieben, an derman die Denkweisen der theoretischen Physik gut verstehen lernt. Die Mecha-nik befasst sich mit der Bewegung von Gegenstanden (Korpern). Uber eine

Beschreibung der Bewegung gelangt man zu einer Analyse ihrer Ursachen.Das f uhrt zu einer bedeutenden Verstandnis- Okonomie: eine Vielfalt mogli-cher Bewegungen kann auf wenige Ursachen zuruckgef uhrt werden. Sind dieUrsachen einer Bewegung bekannt, so kann diese im Prinzip aus Anfangsda-ten und mechanischen Charakteristika des bewegten Korpers vorausberech-net werden. Je nach dem Aufbau der untersuchten Korper unterscheidet manzwischen der Mechanik von Teilchen bzw. aus solchen aufgebauten Systemenund der Mechanik von Kontinua. Diese Unterscheidung ist sehr alt, hat aberimmer noch ihre Bedeutung. Zwar ist es heute angesichts des Aufbaus jeg-licher Materie aus Atomen und deren Bestandteilen klar, dass jeder Korper

streng genommen ein Teilchensystem und kein Kontinuum ist. In vielen An-wendungen ist es jedoch moglich und auch zweckmaßig, von der atomarenStruktur abzusehen und die Materie als kontinuierliche Verteilung von Massezu beschreiben.

Bewegung bedeutet eine Ortsveranderung im Laufe der Zeit. Die zu ih-rer Untersuchung entwickelten Methoden erweisen sich als tragf ahig genug,um viel allgemeinere zeitliche Veranderungen zu erfassen: die mechanischeDynamik wird zum Modellfall von Dynamik schlechthin (Lagrange– bzw.Hamiltonformalismus). Die Untersuchung eines zusammengesetzten Systemsdurch Analyse seiner Teile und ihrer Wechselwirkungen, das Aufsuchen derrelevanten Freiheitsgrade sowie die Bedeutung von Erhaltungsgroßen sindweitere Zuge, die uber die Mechanik hinaus von Wichtigkeit sind und wirwerden uns damit befassen. Auch die verwendeten mathematischen Metho-den und Techniken sind im gesamten Bereich der theoretischen Physik (undweit uber diese hinaus) von Nutzen.

Will man die große Bedeutung der Theoretischen Physik und damit derModernen Physik erfassen und diese Disziplin verstehen, so muss man zuerstdie Mechanik grundlich studieren. Die vorliegende Vorlesungsausarbeitunggibt einen kurzen Einblick in diese und sollte einer Lehrkraft die Fahigkeitgeben,

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•den Schulstoff von einer abstrakteren Sicht zu verstehen,

• mit den wichtigsten Begriffsbildungen und Methoden soweit vertrautgemacht werden, dass er/sie damit umgehen kann und den Uberblickuber das behalt, worauf es f ur das Verstandnis physikalischer Sachver-halte ankommt,

• er oder sie soll in die Lage versetzt werden, sich uber den Vorlesungsstoff hinausreichende Kenntnisse aus der Literatur selbst anzueignen undsich gegenwartige und neue Entwicklungen in der Modernen Physikaneignen zu konnen.

Damit wunsche ich viel Spass, weil auch das soll Physik sein!

Beatrix C. HiesmayrWien, Marz 2008

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Kapitel 1

Die Newtonsche Mechanik

Hier werden wir uns mit der Welt, wie sie von Newton gesehen wurde,besch   aftigen. Wir werden uns das Raum–Zeit Konzept, das dieser Welt un-terliegt, erarbeiten und als Anwendung die Keplergesetze herleiten.

1.1 Was versteht man unter einem Teilchen

(Massenpunkt)?

Als Teilchen (Massenpunkt) bezeichnen wir ein Objekt, dessen Abmessungenman bei der Beschreibung der Bewegung vernachlassigen kann. Teilchen istalso ein Naherungskonzept, eine Idealisierung. Aus der hier gegebenen Defi-nition ist ersichtlich, dass man dabei nicht nur an die Teilchen denken muss,aus denen die Materie zusammengesetzt ist. Zwar entsprechen z.B. Elektro-nen oder Protonen der Definition in fast allen Fallen, unter Umstanden tunes auch Atome oder Molekule oder auch großere Objekte wie ein Auto. DasKonzept ist also in einem viel großeren Bereich praktisch bzw. brauchbar.Zur Verdeutlichung betrachten wir die folgenden einfachen Beispiele:

(1) Bewegung von Protonen (Protonradius ∼ 10−13 cm) in großen Kreis-

beschleunigern (z.B. CERN-Beschleuniger bei Genf, dort gerade (2008)der LHC (Large Hadron Collider) in Betrieb). Bahnradius 102 − 103 m,Abweichungen von der Kreisbahn durch Schwingungen ∼ 1 cm. ImVergleich dazu spielt der Radius des Protons keine Rolle.

(2) Bewegung eines Satelliten (Abmessung einige m) um die Erde (Erdra-dius ∼ 6.000 km). Der Bahnradius betrage 3 Erdradien (∼ 18.000 km).Im Vergleich dazu spielt die Abmessung des Satelliten sicher keine Rol-le. Uber den Einfluss der Abmessung der Erde muss man hingegennachdenken.

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

(3) Bewegung der Erde (r

∼6

·103 km) um die Sonne (r

∼6.9

·105 km).

Der mittlere Bahnradius betragt ∼ 1.5 · 108 km; Unterschied großte -kleinste Entfernung von der Sonne ∼ 6 ·106 km. Im Vergleich zu beidenBahndaten spielt die Abmessung der Erde keine Rolle.

Es kommt also auf die Abmessungen des Objektes im Vergleich zu cha-rakteristischen Abmessungen f ur die Bewegung (Bahndaten) an. Die Mo-dellvorstellung “Massenpunkt” ist also eine Idealisierung, die annimmt, dassdie Bahnkurve ohne Berucksichtigung der anderen Freiheitsgrade behandeltwerden kann. Die Anwendung des Modells ‘Massenpunkt” kann aber auchfehlerhaft sein! (Beispiel: Die Drehung einer Billardkugel kann einen wesent-lichen Einfluss auf die Bahn haben! Der Reiz des Billardspiels!)

Aber bereits bei der Bewegung eines Teilchens kann man zwischen zweiAuffassungen unterscheiden. Man kann sich zunachst daf ur interessieren, wiedie Bewegung zu beschreiben ist (Kinematik), ohne dass man fragt, warumsie so und nicht anders erfolgt. Die vom Teilchen beschriebene Bahn wirddann als vorgegebene Kurve im Raum aufgefasst, die zunachst rein geome-trisch untersucht wird. Aus der Untersuchung, wie sie vom Teilchen durch-laufen wird (wo es sich in verschiedenen Zeitpunkten befindet), also aus derBahnkurve

r(t) = x(t) e1 + y(t) e2 + z(t) e3 = x(t)y(t)z(t) , (1.1)

erhalt man weitere mechanische Charakteristika der Bewegung, z.B. die Ge-schwindigkeit

v(t) :=d

dtr(t) = r(t) = x(t) e1 + y(t) e2 + z(t) e3 =

x(t)

y(t)z(t)

(1.2)

und die Beschleunigung

a(t) := ddt

v(t) = r(t) = x(t) e1 + y(t) e2 + z(t) e3 = x(t)

y(t)z(t)

. (1.3)

Hier beschreiben e1/2/3 Einheitsvektoren im kartesisches Koordinatensystem.

Hinweis: Um viel Schreibarbeit zu vermeiden und eine Verallgemeinerung inbeliebige Dimensionen zu erleichtern, bedient sich der Theoretiker oft einerKurzschreibweise. Z.B. f ur die Bahnkurve kann man schreiben

r(t) = xi(t) ei , (1.4)

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1.2. Wie sehen Newtons  3 Axiome aus? 

wobei man bei gleichen Indizes immer eine Summe uber alle Koordinaten

versteht, also xi(t) ei ≡ 3i=1 xi(t) ei, und hier sind x1(t) ≡ x(t), x2(t) ≡y(t), x3(t) ≡ z(t).

Anstatt sich die Kinematik anzuschauen kann man sich f ur die Dynamikinteressieren, um die Ursachen zeitlicher Anderungen und damit der Bewe-gung uberhaupt. Man fragt nach dem Warum und nimmt die Bahnkurvenicht einfach als vorgegeben hin: man trachtet, sie aus moglichst einfachenUrsachen zu berechnen. Es ist einleuchtend, dass die Kinematik eine Vor-stufe zur Dynamik ist: man lernt aus ihr, auf welche Bestimmungst ucke esankommt. Auch historisch war die Kinematik eine wesentliche Vorstufe:

Keplers Gesetze gaben eine rein kinematische Beschreibung der Pla-netenbewegung; erst mit Newtons Dynamik war es m   oglich, die Be-wegung der Planeten (und anderer Himmelsk   orper) aus der Schwer-kraft als universeller Ursache zu berechnen.

Achtung: Die vertraute Beschreibung der Bahnkurve (1.1) ist inkeiner Weise trivial!

Sie setzt ganz wesentliche Dinge voraus, namlich ein Langenmessung, ei-ne Zeitmessung und eine physikalische Annahme uber die Struktur unseres

Raumes.Die Langen- und Zeitmessung erfolgt durch die Festlegung eines Verfah-

rens zur Messung. Ein kartesischen Koordinatensystems (KS) existiert nurim euklidischen oder ebenen Raum. Der Gegensatz dazu ist ein gekrummterRaum, definiert dadurch, dass in ihm kein kartesisches Koordinatensystemmoglich ist (Beispiel: zweidimensionaler Raum der Kugeloberflache). Aller-dings kann man im euklidischen Raum naturlich auch gekrummte Koordi-naten (wie Kugelkoordinaten oder Zylinderkoordinaten) verwenden, was wirnaturlich immer dann machen, wenn die physikalische Situation dadurch ein-facher zu beschreiben ist, z.B. Bewegung einer Masse auf einer Kreisbahn.

1.2 Wie sehen Newtons 3 Axiome aus?

Jede physikalische Theorie muss von gewissen unbewiesenen, grundlegendenGesetzen ausgehen, die man aus (endlich) vielen Beobachten gewinnt. DurchVorhersagen kann das Gesetz verifiziert, aber nicht bewiesen werden. Durcheine einziges Experiment kann es falsifiziert werden.

In der (klassischen) Mechanik konnen Newtons Axiome (mit einigen Erganzun-gen) als Naturgesetze aufgefasst werden.

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

1. Axiom: Es existieren Bezugssysteme (BS), so genannte In-ertialsysteme (IS), in denen die kraftefreie Bewegung durchr (t) = v = const (daher: a = r = 0) geschrieben werdenkann.

Es ist klar, dass die beobachteten Bewegungen vom spezifizierten BS abhangt:Ein Billardspieler wird ganz andere Beobachtungen machen, wenn sich derTisch auf einem Karussell befindet.

Achtung: Naturlich kann man auch mit nicht IS arbeiten und das ist auchoft der Fall (wir wohnen ja auf einem rotierenden Planeten), aber es tretendann noch zusatzliche Krafte auf (siehe Abschnitt 1.13)!

In einem IS sind die physikalischen Gesetze besonders einfach: die gleichf ormi-ge Bewegung oder Ruhe ist ein Zustand, in dem der Korper verharrt. OhneKrafte bewegen sich die Korper also gleichf ormig, d.h. die Integration von

r(t) = v = const ergibt:

r(t) = v t + r(0) . (1.5)

Falls Krafte gelten, dann f uhrt dies zu einer nicht gleichf ormigen Bewegung,die zum 2. Axiom f uhrt:

2. Axiom:d(m v)

dt= d  p

dt:=  F  im IS

Es beinhaltet die Definition der Masse und Kraft als Messgroßen und weitersdie physikalische Aussage uber die Bahnbewegung.

Achtung: Fur Geschwindigkeiten vergleichbar mit der Lichtgeschwindigkeitc gilt diese Axiom nicht, es ist falsifiziert (siehe Kapitel 3)! Aber da es f urweite Bereiche korrekte Vorhersagen macht, arbeitet man weiterhin damit,es ist sozusagen nutzlich und brauchbar.

Das letzte Axiom lautet:

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1.3. Die Newtonschen Gleichungen im Detail 

3. Axiom: Der Kraft, mit der die Umgebung auf einem Massen-punkt wirkt, entspricht stets eine gleich große, entgegenge-setzte Kraft, mit der der Massenpunkt auf seine Umgebungwirkt:

 F actio = −  F reactio

1.2.1 Zu Newtons Axiomen und ihren Zusatzen

Fur Systeme aus Massenpunkten braucht man zusatzliche Annahmen uberdie auftretenden Krafte:

1. Zusatz: Die Krafte, die zwischen zwei Massenpunkten auftre-ten, wirken entlang der Verbindungslinie:

(r1 − r2) ×  F 12 = 0

2. Zusatz: Wirken mehrere Krafte  F i auf einen Massenpunkt, soist die Gesamtkraft  F  die Summe der Einzelkrafte:

 F  =

i

 F i

Die Zusatze gelten beispielsweise f ur die Newtonschen Gravitationskrafteoder die Coulombkrafte, sie schranken aber die moglichen Kraftansatze ein.Magnetische Krafte zwischen bewegten Ladungen verletzen Zusatz 1, nicht-lineare elektromagnetische Feldeffekte in einem Medium verletzen Zusatz 2.

1.3 Die Newtonschen Gleichungen im Detail

Ausgangspunkt f ur die Dynamik in der von Newton gegebenen Form ist dasTragheitsprinzip von Galilei:

Ein K   orper, der eine konstante Geschwindigkeit hat, ¨ andert diese nicht, so- fern er keinen ¨ außeren Einwirkungen unterliegt (Axiom  1).

Das wesentliche Neue an diesem Prinzip war, dass zur Aufrechterhaltung

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

einer (geradlinigen und gleichf ormigen) Bewegung keine Ursachen notwen-

dig sind. Diese sind nur erforderlich, wenn die Geschwindigkeit (nach Betragund/oder Richtung!!) geandert werden soll. Unserer Alltagserfahrung undder der Schuler entspricht das nicht gerade, da z.B. eine Kugel sehr schnellzur Ruhe kommt (naturlich meist auf Grund der Reibung).

Aber mit der Modernitat kennen wir mittlerweile solche Situationen: esist bekannt, dass man den Raketenantrieb eines Raumschiffes nur zum Star-ten, Bremsen und Manovrieren braucht. Nach Brennschluss bewegt sich dasRaumschiff mit der zuletzt erreichten Geschwindigkeit weiter, ohne dass daf urein Antrieb notig ist.

Zu Galileis Zeiten war ein betrachtliches Maß an Abstraktion notig, um

diesen Zusammenhang zu erkennen: man kannte nur Bewegungen, die unterdem Einfluss von Reibungskraften verlaufen, wodurch die Geschwindigkeitverandert wird (wie meist in unserem Alltag); daher hatte man lange Zeithindurch (zurecht) geglaubt, dass auch zur Aufrechterhaltung von BewegungKrafte notig sind (wenn ein Wagen nicht vom Pferd gezogen wird, bleibt erstehen).

Eine Dynamik wird daher so zu fassen sein, dass Krafte als Ursache vonGeschwindigkeitsanderungen anzusehen sind. Um zu einer quantitativen Be-ziehung zu kommen, braucht man ein Maß f ur die Tragheit des Korpers, des-sen Geschwindigkeit sich andern soll: es ist einleuchtend, dass dieselbe Kraft

auf verschieden schwere Korper verschieden wirkt. Fur ein Teilchen (das perdefinitionem keine innere Struktur hat) sollte eine einzige Zahl als mechani-sches Charakteristikum ausreichen, um seine Tragheit zu beschreiben. Wirnennen sie die trage Masse m und nehmen zur Kenntnis, dass verschiedeneTeilchen durch verschiedene Massen unterschieden werden konnen.

Mit Newton benutzen wir zur Formulierung der Dynamik anstelle derGeschwindigkeit des Teilchens den Impuls

  p = mv . (1.6)

Dass diese Große zweckmaßiger ist, wird sich spater zeigen (Seite 38).

Newtons Bewegungsgleichungen zur Bestimmung der Bahn r(t) lau-ten dann (vergleiche Axiome)

m r(t) =   p (t) (1.7)

  p (t) =  F  (1.8)

Die auf das Teilchen wirkende Kraft  F  kann als Ursache der Bewe-gung angesehen wird.

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1.3. Die Newtonschen Gleichungen im Detail 

Im Allgemeinen reicht es in der Mechanik anzunehmen, dass die Kraft  F 

vom Ort r(t) und der Geschwindigkeit v(t) und manchmal auch explizit vont abhangt oder mathematisch hingeschrieben:

 F  =  F (r(t), v(t), t) . (1.9)

Man schließ damit zum Beispiel aus, dass die Kraft von der Beschleunigungoder von hoheren Ableitungen oder der Bewegung des Teilchens zu fruher-en Zeiten abhangt. Geschwindigkeitsabhangige Krafte sind zum Beispiel dieLorentzkraft, mit der wir uns noch beschaftigen werden, und die Reibungs-kraft.

Soll die Bahnkurve durch Losung der Newtonschen Gleichungen berechnetwerden, so muss die Kraft als Funktion seiner Argumente bekannt sein. DieBestimmung der Bewegung ist damit auf die Ermittlung der Kraft zuruck-gef uhrt. Man kann dabei phanomenologisch vorgehen: man macht einen An-satz f ur die Kraft und untersucht, welche Bahnen damit aus den Newtonglei-chungen herauskommen; stimmen sie mit beobachteten Bahnen uberein, soist man zufrieden; andernfalls verandert man den Ansatz solange, bis Uber-einstimmung erreicht wird. Damit erreicht man eine gewisse erkenntnistheo-retische “Okonomie”, da ein einziger Ansatz f ur  F  sehr viele verschiedeneBewegungen als Konsequenzen hat.

Schon Newton hat erkannt, dass aus einem einzigen Ansatz f ur die Schwer-kraft die Bahnen aller Himmelskorper des Sonnensystems folgen (wie prak-tisch)! Die Schwerkraft auf den durch r(t) beschriebenen Himmelskorper wirddabei durch alle ubrigen Himmelskorper hervorgerufen. Die Sonne dominiertdabei so stark, dass es in sehr guter Naherung genugt, die von ihr ausgeubteSchwerkraft zu betrachten. Das werden wir noch genauer in Abschnitt 1.9untersuchen.

1.3.1 Die Mathematik hinter den Newtongleichungen

oder wie Theoretiker gerne analysierenMathematisch sind die Newtongleichungen (1.7) und (1.8) ein System vonDifferentialgleichungen 1. Ordnung f ur 6 Funktionen (3 Komponenten vonr (t), 3 von   p (t)). Die Bahn ist dadurch in Termen von 6 Anfangswerten,r (t0) und   p (t0), festgelegt. Im Allgemeinen sind diese Differentialgleichun-

gen nichtlinear. Ein lineares System resultiert nur, wenn  F  eine Linearkom-bination von r und   p ist, d.h. nur f ur einen sehr speziellen Kraftansatz(Fallt jemandem dazu eine physikalische Situation ein?). Fur die Schwer-

kraft  F  ∼ 1r3

r (oder Coloumbkraft) ist das System bereits nichtlinear.

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

Man kann naturlich die erste Gleichung (1.7) in die zweite (1.8) einsetzen

und erhalt ein System von drei Differentialgleichungen 2. Ordnung f ur r(t):

 F  = m r(t)

Dies ist naturlich die bekannte Formel f ur die Kraft “Kraft=Masse×Beschleunigung”!Eine Voraussetzung daf ur ist, dass die Masse m konstant ist, sonst kann mandie erste Gleichung nicht in die zweite einsetzen! Nur unter dieser Bedingunggilt diese Formel!

1.3.2 Und wenn der Theoretiker weiter in diesem Sin-

ne analysiert: Newtonschen Gleichungen f ur N Teilchen

Die Verallgemeinerung der Newtongleichungen f ur N  Teilchen ist leicht anzu-geben. Die Massen der Teilchen konnen voneinander verschieden sein, m(n),ebenso kann auf jedes Teilchen n eine andere Kraft  F (n) wirken. Damit habenwir die folgenden zwei Gleichungen f ur N  Teilchen:

m(n) r (n)(t) =   p (n)(t) (1.10)

  p (n)(t) =  F (n) (1.11)

wobei n = 1, 2, . . . , N   das jeweilige Teilchen bezeichnet. Um die N  Bahn-kurven durch Losung dieser Gleichungen bestimmen zu konnen, mussen alleKrafte als Funktionen der Koordinaten und Geschwindigkeiten und unterUmstanden auch explizit von der Zeit bekannt sein. Die Newtongleichungensind dann (wie f ur ein Teilchen) ein (i.a. nichtlineares) System von Diffe-rentialgleichungen erster Ordnung f ur 6N  Funktionen. Die Bahnen werdendadurch in Termen von 6N  Anfangswerten festgelegt (3N  Anfangsorte, 3N Anfangsimpulse).

Sind alle Massen konstant, so kann man die zwei Gleichungen wieder in

3N  Differentialgleichungen 2. Ordnung umschreiben

m(n)r (n)(t) =  F (n) . (1.12)

Fur numerische Losungsverfahren sind Differentialgleichungen 1. Ordnungoft von Vorteil, sonst macht es naturlich keinen Unterschied.

Jedoch sehr wichtig f ur die Struktur der Gleichungen ist, von welchenVariablen die Krafte wirklich abhangen. Wurde man annehmen, dass in  F (n)

nur Ort und Geschwindigkeit des n–ten Teilchens (und allenfalls die Zeit t)vorkommen, so ware das unrealistisch. Man konnte dann das Teilsystem f ur

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1.3. Die Newtonschen Gleichungen im Detail 

(  p (n), r (n)) f ur jeden einzelnen Wert von n losen, also jedes Teilchen separat

betrachten, ohne sich um die ubrigen Werte N − 1 kummern zu mussen. DieTeilchen wurden voneinander nichts spuren, jedes wurde sich auf einer Bahn-kurve bewegen, die davon unabhangig ist, ob die ubrigen Teilchen uberhauptvorhanden sind oder nicht. Statt eines Einteilchenproblems hatte man alsoN  Einteilchenprobleme formuliert, d.h. man wurde damit nur die Bewegungvon Teilchen ohne Wechselwirkung erfassen, eine wirklich fade oder wie derTheoretiker so gerne sagt “triviale” Situation.

In Wirklichkeit oder was uns mehr interessiert ist naturlich die Wechsel-wirkung der Teilchen untereinander: ein herausgegriffenes Teilchen (Nr. n)erf ahrt Krafte von allen ubrigen, d.h.

 F (n) =  F (n)(r (1), r (2), . . . , r (N );   p (1),   p (2), . . . ,   p (N ), t) . (1.13)

Dadurch werden die Newtonschen Gleichungen zu einem gekoppelten Systemvon Differentialgleichungen: in den Gleichungen f ur (r (n),   p (n)) kommen uber F (n) alle ubrigen Orts– und Geschwindigkeitsvektoren vor und umgekehrt;man muss das System als Ganzes betrachten.

Die Krafte sind in der Newtonschen Mechanik als die Ursachen aufzu-fassen, auf die die Bewegungen zuruckgef uhrt werden kann. Wie bereits f urein Teilchen festgestellt wurde, konnen die Krafte nicht “berechnet” werden,sondern man muss sie in Form eines Ansatzes f ur die funktionale Abhangig-

keit von F 

(n)

von seinen Variablen in die Bewegungsgleichungen “hineinste-cken”. Der “richtige” Kraftansatz resultiert mitunter erst nach einem lange-ren Erkenntnisprozess, by trial and error . D.h. man untersucht die aus einembestimmten Ansatz folgenden Bewegungen durch Losung der NewtonschenGleichungen, vergleicht das Resultat mit beobachteten Bewegungen und kor-rigiert den Ansatz so lange, bis Theorie und Experiment ubereinstimmen.Dadurch lernt man etwas uber die Ursachen der Bewegung, also uber denMechanismus, der einem Bewegungsphanomen zugrunde liegt. Das Ziel die-ses Prozesses ist es, auf phanomenologischem Weg zu immer “tieferen” Ur-sachen vorzudringen. Ein Kraftansatz ist dabei als “besser”, “tiefer” anzu-sehen, wenn er in dem Sinn “allgemeiner” ist, dass aus weniger zugrundeliegenden Annahmen mehr Konsequenzen gezogen werden konnen, wenn al-so mehr Phanomene auf weniger Ursachen zuruckgef uhrt werden.

Albert Einstein formulierte das etwa so: “Eine Theorie ist umso eindrucks-voller, je gr   oßer die Einfachheit ihrer Pr   amissen ist, je verschiedenartigereDinge sie verkn   upft und je weiter ihr Anwendungsbereich ist.”

Ubungsaufgabe: Es gibt nur 4 fundamentale Krafte oder Wechselwirkun-gen (nach derzeitigem Stand des Wissens), die die Moderne Physik kennt: die

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

starke, die schwache, die elektomagnetische Wechselwirkung und die Gravi-

tation (die schwache und elektromagnetische Wechselwirkung kann zur einerTheorie vereinheitlicht werden, die elektroschwache Wechselwirkung). Uber-lege wie die Herkunft der folgenden Krafte erklart werden kann: Muskel-kraft, Zwangskrafte (z.B. Korper auf Tischplatte), Ruckstellkrafte (z.B. Fe-der, Festkorper mochte nach Verformung in ursprunglichen Zustand zuruck),Haftreibung, Gleitreibung, Scheinkrafte (siehe auch Kapitel 1.13), Druck-krafte (z.B. Auftrieb),. . .

1.4 Was versteht man unter einem Feld?

Das Gravitationsgesetz

 F 12 = G m1 m2r1 − r2

|r1 − r2|3, (1.14)

lasst sich auf zweierlei Art interpretieren: Einerseits kann man sich vorstel-len, dass die auf m1 wirkende Kraft F 12 den zwischen den Massenpunkten m1

und m2 befindlichen Raum einfach uberspringt und direkt auf m1 wirkt (undnaturlich umgekehrt). Die Frage nach einem Mechanismus der Kraftubert-ragung wird hier nicht gestellt. Die zur Newtons Zeit vertretene Auffassunghieß Fernwirkungstheorie. Eine moderne Auffassung der Kraftubertragungist beim Studium der elektromagnetischen Phanomene entwickelt worden,die so genannte Nahwirkungstheorie und kann in gleicher Weise auch auf dieNewton Theorie angewendet werden. Hier erzeugt die Masse m2 ein Feld, einmateriefreies Medium, im ganzen Raum. Es existiert auch falls m1 nicht vor-

handen ist. Bringt man m1 aus dem Unendlichen in einen endlichen Abstandzu m2, so wird durch das Feld auf die Masse m1 eine Kraft  F 12 ausgeubt.Dabei gilt: Das von m2 erzeugte Feld existiert im ganzen unendlichen Raum,eine Kraftwirkung aber nur an Stellen im Raum, an denen sich Massen be-finden. Siehe auch Seite 66.

Noch eine sehr praktische Eigenschaft: Das Gravitationsfeld einer ku-gelf ormigen Masse mit dem Radius R außerhalb des Korpers bleibt gleich,wenn man sich das Volumen des Korpers unverandert, die Gesamtmasse je-doch im Kugelmittelpunkt konzentriert vorstellt. (Beweis: siehe Literatur)

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1.5. Ist die Masse tr ager als schwer oder schwerer als tr ag? 

1.5 Ist die Masse trager als schwer oder schwe-

rer als trag?

Betrachten wir die fundamentalen Gleichungen der Mechanik, die Newton-sche Bewegungsgleichung (Index t f ur trage)

 F  = mt r (1.15)

und das Gravitationsgesetz

 G2 = G m2r

|r

|3

, (1.16)

 F 12 = m1  G2 . (1.17)

In allen 3 Gleichungen kommen Massen vor allerdings im Zusammenhang mitverschiedenen Eigenschaften. In (1.15) kommt zum Ausdruck, dass sich dieMasse unter dem Einfluss einer Kraft bewegt, wobei diese Bewegung gewis-sermaßen “trage” erfolgt: Starke Anderungen von  F  ubertragen sich direktnur auf  r, nicht jedoch auf die durch zweimalige Integration “geglattete”Bewegung r. Masse besitzt sozusagen Tragheit und mt ist die trage Masse.

Das ist aber nur eine Seite der Medaille! Nach (1.16) ist die Masse auch“felderzeugend” (siehe Abschnitt 1.4). Daruber hinaus wird durch (1.17) auf 

einen Massenpunkt durch das Feld eine Kraft ubertragen. Ein Korper im Gra-vitationsfeld der Erde druckt mit einem Gewicht m g (g. . . Erdbeschleunigung)auf die Erdoberflache. Diese Gewichtseigenschaft (“Schwere”) stellt demnacheine zur Tragheit unterschiedliche Eigenschaft dar. Die 3 Gleichungen be-schreiben jeweils unterschiedliche Eigenschaft (Tragheit, Fahigkeit zur Fel-derzeugung, Schwere).

Aufgrund des 3. Axioms, “actio=reactio”, konnen wir (1.16) und (1.17)als gleichartig auffassen und haben damit

 F 12 = G m1 m2r1 − r2

|r1 − r2|3, (1.18)

wobei hier m1/2 die schwere Masse ist. Aber sind diese zwei Arten von Massenidentisch?

Experimente finden keinen messbaren Unterschied zwischen trager Masseund schwerer Masse! Daher kommen wir durch Angabe eines einzigen skalarenWertes m aus, wie praktisch!!

Im Rahmen der Newtonschen Mechanik und der Gravitationstheorie istdie Gleichheit der Massen ein Zufall. Dagegen nimmt sie die Allgemeine Rela-tivitatstheorie zum zentralen Ausgangspunkt (Einsteinsches Aquivalenzprin-zip)!

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

1.6 Beispiele gegebener Krafte a la Newton

Wir besch   aftigen uns nun mit Problemen, die sich in einer Dimension dar-stellen lassen, und kommen so auf den sehr praktischen Begriff “Potential”.Dieser bildet die Grundlage der Diskussion sehr vieler verschiedener physi-kalischer Situationen auf eine einfache und einheitliche Weise ohne auf zu viele Details, die einer speziellen physikalischen Situation entsprechen, ein-gehen zu m   ussen....

1.6.1 Ein Massenpunkt im homogenen Schwerefeld oderim homogenen elektrischen Feld

Die Kraft ist in diesem Fall gegeben durch

F  = m z = −m g , (1.19)

wobei g die Erdbeschleunigung ist und in der Nahe der Erdoberflache alskonstant angesetzt werden kann. Die Kraft ist also weder von Ort, noch Ge-schwindigkeit, noch Zeit abhangig. Einmal integrieren ergibt (Warum kurztsich die Masse heraus?)

vz(t) : = z = −g t + vz(0) ,

wobei vz(0) die Integrationskonstante, bzw. die Geschwindigkeit zum Zeit-punkt t = 0 ist. Ein weiteres Mal integrieren ergibt

z(t) = −g

2t2 + vz(0) t + z(0) ,

wobei z(0) wieder die Integrationskonstante, bzw. der Ort des Massenpunkteszum Zeitpunkt t = 0.

Ein analoger Kraftanzatz ist f ur die Beschreibung eines geladenen Teil-chens in einem homogenen elektrischen Feld, wie gegeben zwischen den Plat-ten eines geladenen Kondensators. Hier ist die Masse durch die Ladung zuersetzen und g durch den Betrag der elektrischen Feldstarke. Im Gegensatzzur Masse kann die Ladung nat

¨urlich positive oder negativ sein, daher kann

es sich nach oben oder unten bewegen.

1.6.2 Freie Schwingung oder Federkraft

Stellen wir uns eine Feder mit einer Masse vor, die in der x–Richtung ausge-lenkt wird. Hier ist die Kraft proportional zur Auslenkung x aus der Ruhelage

m x(t) = −k x(t) (1.20)

und k ist die Federkonstante, die im Experiment zu bestimmen ist.

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1.6. Beispiele gegebener Kr afte  a la Newton

Die Bewegungsgleichung ist eine homogene lineare1 (gewohnliche) Diffe-rentialgleichung (siehe Mathematik Vorlesung), deren allgemeine Losung eineLinearkombination von zwei linear unabhangigen Losungen ist, d.h.

x(t) = A cos(ω t) + B sin(ω t) (1.21)

mit ω =  km . Das lasst sich sofort verifizieren, indem man diese Losung zwei-

mal nach t differenziert und in die obige Bewegungsgleichung einsetzt. DieIntegrationskonstanten A und B erhalt man durch einsetzen der Anfangsbe-dingungen x(0) = x0 und x(0) = v0, also lautet die Losung

x(t) = x0 cos(ω t) +v0

ωsin(ω t) . (1.22)

Dass bei der Losung der sin oder cos auftritt sollte uns nicht verwundern,eine Masse die sich auf einer rotierenden Scheibe befindet und von der Seitebetrachtet wird, f uhrt genau die Bewegung aus, die eine Masse an einer Federausf uhrt.

1.6.3 Was kann f ur Krafte, die nur vom Ort abhangen,ausgesagt werden?

Der Theoretiker: Konnen wir allgemeiner Aussagen uber Krafte treffen, dienur vom Ort abhangen, wie die Federkraft?

Wir suchen also die Losung f ur die folgende Bewegungsgleichung

m x(t) = F (x(t)) . (1.23)

Multiplizieren wir beide Seiten mit x(t), so kann die obige Gleichung auch

so geschrieben werdenm

2

d

dtx(t) = − d

dtU (x(t)) , (1.24)

wobei U  eine Funktion nur vom Ort ist und gewohnlich Potential oder po-tentielle Energie (ahha!) genannt wird und sich allgemein so schreiben lasst

U (x) = − 

dx F (x) + const , (1.25)

1Die Kraft hangt nur linear von x ab.

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

wobei die Integrationskonstante ohne Bedeutung f ur die Bewegungsgleichung

ist (f allt beim Differenzieren weg!). Umgekehrt errechnet man klarerweise beigegebenen Potential die Kraft durch

F (x) = − d

dxU (x) (1.26)

oder im 3–dimensionalen Fall

 F (r) = −gradU (r) = eiiU (r) =  U (r)

= ei∂ 

∂xi

U (r) = ∂ 

∂xU (r)

∂ ∂y

U (r)∂ 

∂zU (r) , (1.27)

worauf wir spater naher darauf eingehen.Integrieren wir nun die die Bewegungsgleichung (1.23) nach der Zeit, er-

halten wir

m

2x(t)2 = −U (x(t)) + E. (1.28)

Die Integrationskonstante E  ist hier nichts anderes als die Summe der poten-ziellen Energie und —richtig!!— der kinetischen Energie! Damit haben wir

ganz allgemein gezeigt, dass f ur Krafte die nur vom Ort abhangen und alsGradient eines Potentials geschrieben werden konnen, die Energieerhaltunggilt.

Losen wir die obige Gleichung nach x auf, erhalten wir

dt =dx 

2(E −U (x))m

(1.29)

und integrieren

t − t0 =  x

x0

dx 

2(E −U (x))m

. (1.30)

Mit den Anfangsbedingungen x(t0) und x(t0) haben wir die Losung t = t(x)gefunden und damit implizit x = x(t).

Nur in sehr speziellen Fallen kann man das Integral analytisch losen,wie f ur den harmonischen Oszillator U (x) = kx2/2, bzw. der Federkraft( d

dxU (x) = −F (x) = kx) oder das Potential U (r) ∼ 1

r. Der harmonische

Oszillator ist ubrigens das “Lieblingsobjekt” eines Theoretikers (warum?).

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1.6. Beispiele gegebener Kr afte  a la Newton

Der harmonische Oszillator und der Potentialbegriff 

Fur das harmonische Potential U (x) = kx2/2 wollen wir jetzt das Integral(1.30) losen (

 1/(1 − ax2) = arcsin

√ax/

√a) und nach x auflosen mit x0 =

0, t0 = 0:

x(t) =

 2E 

ksin(

 k

mt) = ω−1

 2E 

msin(ωt) . (1.31)

Dies ist naturlich die gleiche Losung wie (1.22) f ur die gegebenen Randbe-

dingungen und v0 =  2E m

, die Anfangsgeschwindigkeit bei t0 = 0.

Die Geschwindigkeit erhalten wir durch Differenzieren

v(t) = x(t) = v0 cos(ωt) (1.32)

und damit lautet die Energieerhaltung f ur alle Zeiten t

m v(t)2

2

   E kin=

p(t)2

2m

+k x(t)2

2

    U (x)

= E  = const . (1.33)

Dies legt eine andere Betrachtungsweise nahe, da die Gleichung allgemein alseine Funktion vom Ort und Impuls aufgefasst werden kann, d.h.

H (x, p) = E kin + U  =p2

2m+

k x2

2. (1.34)

Hier ist H  die beruhmte Hamilton-Funktion. Fassen wir Ort und Impuls alsKoordinaten auf, ein solcher Raum wir dann Phasenraum genannt, dann be-schreibt diese Formel f ur verschiedene Zeiten die Bahn im Phasenraum. Dadie Funktion in unserem Falle konstant ist, ergibt die Bahn eine Ellipse oder

einen Kreis, siehe Fig. 1.2 (mit geeigneter Skalierung kann man immer einenKreis erreichen). Damit kann der harmonische Oszillator auch charakteri-siert werden. Man erkennt sehr schon die formale Symmetrie, namlich eineDrehsymmetrie im Phasenraum. Allgemein wird die Bewegung damit zurGeometrie von Phasentrajektorien und f uhrt zum Verstandnis struktuellerEigenschaften der zugrundeliegenden Theorie.

Wir werden in den Ubungen auch den gedampften harmonischen Oszilla-tor berechnen und spater nochmals auf die Hamilton-Funktion zuruckkom-men, die auch der Ausgangspunkt f ur die Quantenmechanik ist.

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

Abbildung 1.1: Die Losungen des harmonischen Oszillators:x(t), x(t), E kin(x(t)), U (x(t)), E  in Abhangigkeit der Zeit t.

Wie behandelt man ortsabhangige Krafte?

Ganz allgemein f uhrt eine nur ortsabhangige Kraft zur Energieerhaltung unddamit zu der Moglichkeit einer graphischen Diskussion der Losung. Diese Vor-gehensweise ist auch bei komplizierteren Problemen eine bewahrte Methode,wie wir im Weiteren sehen werden.

1.7 Fur welche Krafte gilt die Energieerhal-

tung?

Starten wir mit der Newtonschen Bewegungsgleichung und multiplizierendiese skalar mit r, also

m r · r =  F  · r , (1.35)

so konnen wir diese Gleichung auch in der Form

d

dt

mr 2

2=  F  · r = P , (1.36)

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1.7. F ur welche Kr afte gilt die Energieerhaltung? 

Abbildung 1.2: Der so genannte Phasenraum des harmonischen Oszillators:Außerste Kurve f ur E , innere f ur E/2. Wie andert sich die Bahn eines Os-zillators, falls E  geandert wird?

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

Abbildung 1.3: Die eindimensionale Bewegung eines Teilchens, das nur ei-ner ortsabhangigen Kraft ausgesetzt ist, kann mit Hilfe des EnergiesatzesE  = mx2/2 + U (x) = const. graphisch diskutiert werden. Der vertikale Ab-stand zwischen U (x) und der Horizontalen E  ergibt die kinetische Ener-gie mx2/2. Man kann weiters die Bewegungsrichtung wahlen x > 0 oder< 0 und so die Anderung von x2 anhand des vertikalen Abstandes able-

sen. Die Schnittpunkte von E  mit U (x) werden Umkehrpunkte genannt.Warum? Verlauft die Bewegung zwischen zwei Umkehrpunkten kann dadurchdie Schwingungsdauer einer Periode bestimmt werden.

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1.8. Warum macht es Sinn sich mit Potentialen “herumzuschlagen”? 

wobei

P klarer Weise eine skalare Große ist und physikalisch nichts anderes

als die an das System ubertragene Leistung. Teilen wir jetzt die Kraft ineinen so genannten konservativen und dissipativen Anteil auf (werden gleichverstehen warum)

 F  =  F kons +  F diss , (1.37)

wobei wir den konservativen Anteil definieren durch alle Anteile der Kraft,die sich auf die folgende Form bringen lassen:

 F kons · r = −d U (r)

dt. (1.38)

Setzen wir diese Definition in die obigen Gleichungen ein, erhalten wir

d

dt

mr 2

2+ U (r)

=  F diss · r . (1.39)

Daraus sieht man, haben wir keine dissipativen Krafte, d.h. energieverlieren-den Krafte, nur konservative, energieerhaltende Krafte ergibt sich der Ener-giesatz:

Krafte konservativ −→mr 2

2 + U (r) = E  = konst. (1.40)

Dissipative Krafte f uhren also zur Umwandlung von mechanischer EnergieE kin +U  des betrachteten Teilchens in andere Energieformen, z.B. in Warme-energie.

Noch allgemeiner ist das Potential einer konservativen Kraft gegebendurch

 F kons = − U (r) + r ×  B(r, t) , (1.41)

wie wir in Ubungen nachprufen werden. Hierbei ist  B ein beliebiges Vektor-

feld, z.B. das Magnetfeld f ur ein geladenes Teilchen mit Geschwindigkeit r( q

c= 1 und damit die beruhmte .........-Kraft).

1.8 Warum macht es Sinn sich mit Potentia-len “herumzuschlagen”?

Zusammenfassend konnen wir also “nur” konservative Krafte durch ein Po-tential beschreiben, warum macht es trotzdem Sinn?

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

1. Die wichtigsten physikalische Krafte sind konservative Krafte (welche?).

Fur diese Krafte kann eigens eine andere Betrachtungsweise entwickeltwerden, beruhend auf der Potentialidee, einerseits der Hamilton– undandererseits der Lagrange–Formalismus (siehe Kapitel 2). Wir werdensehen, dass der Formalismus aber viel allgemeiner ist, man kann nichtnur mechanische Systeme damit beschreiben, er ist die Grundlage, umdie z.B. die 4 Grundkrafte zu beschreiben.

2. Wir mussen f ur eine physikalische Situation nicht mehr ein Kraftan-zatz erraten (einen Vektor!!), sondern nur einen Ansatz f ur das skalarePotential U (r), das eine skalare Große ist und damit mathematisch

einfachere Große als der Kraftvektor. Deswegen sind qualitative¨Uber-legungen f ur U  leichter durchzuf uhren als f ur  F . Kennt man U  f ur

ein System aus N  Teilchen in der Umgebung einer bestimmten Stelle(r (1), . . . , r (N )), so lasst sich der Verlauf von  F (n) sofort angeben: dieKraft zeigt in Richtung des steilsten Abfalls von U , mathematisch ge-rade gegeben durch Gradient (siehe auch Gl. (1.26))!! Naturlich ist einPreis daf ur zu bezahlen: durch die Physik ist U  nur bis auf eine Kon-stante bestimmt (= Integrationskonstante). Andert man U  um eineKonstante U + C , so andern sich die Bewegungsgleichungen nicht, weilin ihnen nur die Krafte = Gradienten des Potentials vorkommen und C beim Differenzieren wegf allt. Die Anderung von U  um eine Konstantebedeutet, das man die Energie von einem anderen Wert an zahlt. DieWahl des Energienullpunktes ist willkurlich. Sie hat keine Konsequen-zen f ur die Newtonschen Bewegungsgleichungen, wie wir gesehen habenund daher aquivalent zu den Newtonschen Bewegungsgleichungen.

3. Das “echte” skalare Potential U (r), das man vielleicht gar nicht kennt,kann man oft gut durch einen einfacheren funktionellen Zusammenhang(z.B. harmonisches Potential) ersetzen und kann dann qualitative ofterstaunlich gut die Physik des Problems beschreiben (z.B. graphischeDiskussion in Fig. (1.3)).

4. Der harmonischer Oszilator gibt f ur viele Potentiale und Probleme eineerste, oft schon sehr gute Losung.

5. In der Quantentheorie kann man ein Analogon zur Newtonkraft nichtkonstruieren, da auf Grund der Heisenbergschen Unscharferelation, wirentweder den Ort genau bestimmen, dann ist aber der Impuls unscharf,sogar noch schlimmer: unbestimmt, also nicht einmal prinzipiell durchirgendeine Messung bestimmbar! Oder man bestimmt den Impuls ge-nau, dann ist der Ort unbestimmt. Man muss also einen ganz anderen

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1.9. Noch ein wichtiger Spezialfall: Zentralpotentiale und Kepler–Gesetze 

Ansatz verfolgen, um die Bewegungsgleichung f ur Quantenteilchen auf-

stellen zu konnen, die beruhmte Schrodingergleichung:

id

dtψ = Hψ (1.42)

wobei H  die Hamiltonfunktion ist und meist durch

H  =p2

2m+ U (x) (1.43)

gegeben ist, wobei U (x) das Potential ist.

6. Aber es kommt in Zuge der Quantentheorie noch schlimmer: Schicktman Elektronen durch einen Doppelspalt, deren Spalte so weit ausein-ander liegen, dass dahinter die beiden Elektronenwellen nicht uberlap-pen konnen, also eine wellenfreie Region entsteht, und bringt man dorteine sehr lange, dicht gewickelte Spule an. Diese erzeugt im Innerenein konstantes Magnetfeld, das Streufeld außerhalb kann verschwin-dend klein angenommen werden. Nach den Gesetzen der klassischenPhysik kann dieses Magnetfeld  B, das auf das elektronenfreie Gebietbeschrankt ist, nicht die Bewegung der Elektronen beeinflussen. Quan-tenmechanisch beschreibt man das Magnetfeld durch das dazugehorigeVektorpotential  A, dass außerhalb der Spule nicht Null ist, daher dieBahn der Elektronen sehr wohl beeinflussen kann. 1959 schlugen Aha-ranov und Bohm dieses Experiment vor, das auch realisiert wurde. DasExperiment zeigte, dass die Interferenzstreifen sich verschieben falls dasMagnetfeld einschaltet ist! Damit ist einerseits die quantenmechanischeBeschreibung die Richtigere, aber mehr noch das Potential muss in derQuantenphysik als fundamentaler als das Kraftfeld  B angesehen wer-den! Es ist also nicht wie in der klassischen Physik und wie wir es hierverwenden nur eine Hilfsgroße!

1.9 Noch ein wichtiger Spezialfall: Zentralpo-tentiale und Kepler–Gesetze

Allen sind die drei Kepler–Gesetze bekannt. Wir wollen sie hier als Folge derGravitationsanziehung mit Hilfe der in den vorigen Abschnitten erarbeitetenKonzeptes des Potentials berechnen. Dabei werden wir bisweilen verallge-meinern, um erkennen zu konnen, welche spezielle Losung von der Natur inunserem Sonnensystem vorherrscht.

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

Das 1. Kepler–Gesetz lautet “Die Planeten bewegen sich auf Ellipsen mit 

der Sonne in einem Brennpunkt ”.

Wir haben es hier mit einem 2 Korperproblem (Sonne+Planet) zu tun. Wirwahlen den Koordinatenurspursprung im Massenmittelpunkt von Erde undSonne (das kann man immer tun, da die Schwerpunktbewegung und die Re-lativbewegung getrennt erhalten sind, was wir hier nicht beweisen). Somitmussen wir uns nur mit den relative Koordinaten beschaftigen und habendie reduzierte Masse µ = mM 

m+M einzusetzen, die aber bei Sonne und Planet

im Wesentlichen mM m+M 

≈ m ist, da m M .Erfolgt die Bewegung in 3 Dimensionen reicht im Allgemeinen der Ener-

giesatz f ur die analytische Losung der Newtonschen Gleichungen nicht aus.Die Integration gelingt allerdings, wenn auch der Drehimpuls

 L := r ×   p (1.44)

erhalten ist.Multiplizieren wir die Bewegungsgleichungen f ur die Bahnkurve r(t) vek-

toriell mit r(t):

m r(t) × r(t) = r(t) ×  F  (1.45)

und definieren, das auf das Teilchen wirkende Drehmoment  D durch

 D = r ×  F  (1.46)

(Achtung: Sowohl  L als auch  D andern sich bei Verschiebung des Ursprungs,

im Gegensatz zu  F ,   p) Da r×r immer Null ist, konnen wir die Gleichung (1.45)so schreiben:

d

dt L =  D . (1.47)

Die zeitliche Anderung des Drehimpulses ist also gleich dem Drehmoment.Damit gilt, falls das Drehmoment verschwindet ist der Drehimpuls erhalten:

 D =

 0 −→

d

dt L =

 0 =⇒

 L =

 

(const) . (1.48)

Fur Krafte  F  ungleich Null ist das Drehmoment nur Null, wenn die Kraft par-allel oder antiparallel zu r ist, also muss die Kraft in Richtung zum Zentrumdes Bezugssystems wirken (oder entgegengesetzt). Fur ein Teilchen unter demEinfluss einer so genannten Zentralkraft ist der Drehimpuls erhalten:

 F  ± r −→  D =  0 −→  L =  (const) (1.49)

Drehimpulserhaltung gilt daher f ur alle Potentiale die nur vom Betragvon r abhangen.

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1.9. Noch ein wichtiger Spezialfall: Zentralpotentiale und Kepler–Gesetze 

Solche Potentiale, U  = U (r), heißen Zentralpotentiale und ihre

Kraft ist gegeben durch

 F  = − U (r) = −r

r

dU (r)

dr(1.50)

und zeigt daher zum Zentrum (das wir als Ursprung unseres Koor-dinatensystems gewahlt haben).

Falls der Drehimpuls erhalten ist, dann erfolgt die Bewegung immer in einerEbene. Wir haben damit zwei Erhaltungsgroßen

d

dtE  = 0

d

dt L = 0 . (1.51)

Betrachten wir zuerst den Drehimpulssatz. Erfolgt die Bewegung in der x, y–Ebene

r =

x(t)

y(t)0

  p =

 px(t)

 py(t)0

, (1.52)

dann zeigt der Drehimpuls in die z–Richtung. Fur unser Problem werdenwir allgemein am besten die Zylinderkoordinaten bzw. Polarkoordinaten (z-

Koordinate ist ja Null) verwenden (sind dem Problem besser angepasst):

x(t) = r(t)cos(φ(t))

y(t) = r(t) sin(φ(t))

z(t) = 0 (1.53)

und damit sind die Geschwindigkeiten durch

x(t) = r(t) cos(φ(t)) − r(t) φ(t) sin(φ(t))

y(t) = r(t) sin(φ(t)) + r(t) φ(t) cos(φ(t)) (1.54)

gegeben. Dann ergibt sich der Betrag vom Drehimpuls zu (r 2 = r2 + r2φ2)

L = | L| = µ r2 φ bzw. φ =L

µ r2, (1.55)

der so genannte Zentrifugalterm (warum?) und damit haben wir die folgendeEnergieerhaltung (der Relativbewegung)

E  =µ r 2

2+ U (r) =

µ r2

2+ U eff (r) (1.56)

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

mit

U ef f (r) =L2

2µr2+ U (r) . (1.57)

Das Gravitationspotential ist mit U (r) = −αr

gegeben, wobei α = GMm,falls wir das Coulombpotential betrachten wurden, dann ware α = −q1q2

4πε0.

Weiters ist es ein 1–dimensionales Problem (Bewegung erfolgt in einerEbene), das heißt wir konnen es genauso behandeln, wie in Abschnitt 1.6. Wirerhalten also ganz analog zu Gleichung (1.29) die Losungen der NewtonschenBewegungsgleichungen durch

t − t0 =  r

r0=r(t0)

dr 

2(E −U (r))µ

, (1.58)

welches als Inverses r(t) liefert und durch Integration von φ = Lµr2

, also

dφ =L

µ

 t

t0

dt

r(t)2, φ0 = φ(t0) , (1.59)

erhalt man φ(t). Damit haben wir dann die Bahnkurve (1.53) durch r(t) undφ(t) bestimmt.

Wir interessieren uns im Folgenden nicht f ur die Zeitabhangigkeit direkt,sondern mehr f ur die Form der Bahn (Kreis, Ellipse,. . . ), daher wahlen wireine andere Parameterdarstellung und zwar wollen wir r(φ) bestimmen undhaben damit die Losung in der Form (vergleiche mit (1.53)):

x(φ) = r(φ)cos(φ)

y(φ) = r(φ) sin(φ) . (1.60)

Aus

dr

dφ =

r

φ =

√2µ

L r2 E − U ef f (r)

=⇒ φ − φ0 =L√2µ

 r

r0

dr

r2 

E − U eff (r), (1.61)

geben.Die Newtonschen Bewegungsgleichungen lassen sich sogar analytisch Losen,

allerdings gibt es eine elegantere Methode and die Bahnformen heranzukom-men, die auch einen tieferen Einblick in die Physik des Problems gibt, denwir daher hier wahlen.

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1.9. Noch ein wichtiger Spezialfall: Zentralpotentiale und Kepler–Gesetze 

Schauen wir uns eine endliche Bewegung an, d.h. eine, bei der sich das

Teilchen in einem endlichen Raumgebiet bewegt. Damit eine solche Bewegungmoglich ist, muss es (mindestens) einen oberen und einen unteren Umkehr-punkt geben, die wir r> bzw. r< nennen. Fur den unteren Umkehrpunkt r<

sorgt falls L = 0 im Allgemeinen das Zentrifugalpotential (warum?). Damites einen oberen Umkehrpunkt gibt, muss das effektive Potential f ur r > r<

(mindestens) ein Minimum haben. Eine endliche Bewegung wird auftreten,wenn E richtig liegt (und die weiteren Details ergeben sich durch die Beson-derheiten des exakten Potentialverlaufs), siehe Fig. 1.4.

Abbildung 1.4: Potential (hier U  = V ) f ur radialsymmetrische Zentralpoten-tiale.

Fur radialsymmetrische Zentralpontentiale verlauft die Bahnkurve zwi-schen zwei Kreisen mit den Radien r< (f ur Planeten heißt dieser Kreis Pe-rihel) bzw. r> (f ur Planeten heißt dieser Kreis Aphel) und hat entweder dieForm einer Rosette oder einer Maanderkurve, vgl. Fig. 1.5.

Abbildung 1.5: Eine Rosettenbahn oder eine Maanderbahn.

Wie man sieht ist eine Kreisbahn nur f ur sehr spezielle Werte von E  und

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

| L

|moglich, namlich dann wenn E  = min U eff  entspricht, dann fallen die

zwei Umkehrpunkte r< und r> zusammen.Wie kommt man jetzt zu den Keplerbahnen. Wir wissen die Bahnen sind

geschlossen. Es muss noch eine weiter Erhaltungsgroßen geben (außer E,  L),da wir wissen, dass die Bahn sich nicht dreht, d.h. wir suchen nach einerGroße, deren Zeitkonstanz eine Drehung der Rosette verhindert. Was kanndas f ur ein Vektor sein?

Er wir in der Bahnebene zu suchen sein (also in der x, y–Ebene). Als

“Kandidaten” haben wir nur r,    p, r×  L, ddt

(r ×  L) zur Verf ugung. DieZeitableitungen von Ort und Impuls kommen direkt in den NewtonschenBewegungsgleichungen vor, haben wir also schon behandelt. Bleibt also nur

der letzte Kandidat, seine Zeitableitung ergibt

d

dt  p ×  L = − U (r) ×  L = − α

r3r ×  L

r(  p − 1

r2r · (r ·   p)) . (1.62)

Betrachten wir die Zeitableitung von

µα · d

dt

r

r=

α

r(  p − 1

r2r · (r ·   p)) . (1.63)

Beide Ausdrucke sind gleich, d.h. die Differenz ist Null und damit ist derentsprechende Vektor

 A =   p ×  L − µαr

r(1.64)

zeitlich erhalten ddt

 A = 0 und wird Lenz–Runge–Vektor genannt.

Fur die Berechnung von  A ist es egal, an welchem Punkt der Bahn wirbeginnen, wahlen wir die x–Achse, dann folgt

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1.9. Noch ein wichtiger Spezialfall: Zentralpotentiale und Kepler–Gesetze 

 A · r = A r · cos φ (1.65)

und

 A · r = L2 − µαr . (1.66)

Durch Gleichsetzen beider Gleichung erhalten wir

A r · cos φ = L2 − µαr =⇒ r(φ) =

L2

µα

1 + Aµα

cos φ(1.67)

und damit die gesuchte Losung f ur (1.60).Wenn wir die Parameterdarstellungen von Kegelschnitten (Brennpunkt

im Ursprung), Fig. 1.6, betrachten, erkennen wir,—abhangig von den Wertenvon E, L— ergeben sich unterschiedliche Losungen. Ein Vergleich ergibt denfolgenden Halbparameter und die folgende Exzentrizitat

p =L2

µα

ε =A

µα(1.68)

• Betrachten wir den Fall α > 0, also eine anziehende Wechselwirkung(Gravitation oder Coulombkraft mit q1q2 < 0). Dann gilt p ≥ 0 undε ≥ 0 und wir haben (vgl. Fig. 1.6)

ε = 0 . . . Kreis

0 < ε < 1 . . . Ellipse

ε = 1 . . . Parabel

ε > 1 . . . Hyperbel

• Betrachten wir den Fall α < 0, also eine abstoßende Wechselwirkung(Coulombkraft mit q1q2 > 0), dann erhalten wir den folgenden Kegel-schnitt (vgl. Fig. 1.6)

r(φ) =|p|

−1 + |ε| cos φ. (1.69)

Naturlich muss der Radius positiv sein, daher −1 + |ε| cos φ > 0 unddas ist nur f ur |ε| > 1 der Fall. Damit haben wir eine Hyperbel Losung.

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

Abbildung 1.6: Kegelschnitte

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1.10. Weitere Erhaltungss atze 

Welche Losung gilt f ur das System Erde–Sonne?

Dazu mussen wir den Betrag vom Lenz–Runge Vektor bestimmen, dieserergibt mit

(  p ×  L)2 =   p 2 L2; r · (  p ×  L) = (r ×   p) ·  L = L2

und r 2 = r2 + L2

µ2r2

A = |  A| = 

µ2α2 + 2µEL2 . (1.70)

Damit haben wir die Exzentrizitat ε = Aµα

=  1 + 2EL2

µα2 durch die Gesamt-

energie und den Drehimpuls ausgedruckt.Fur eine gebundene Bewegung muss die Energie E  negativ sein, der Aus-

druck unter der Wurzel muss naturlich positiv sein

E ≥ −µα2

2L2= E min (1.71)

und damit gilt

E min ≤ E < 0 ⇔ 0 ≤ ε < 1 (1.72)

und unsere Losung ist eine Ellipse falls die Gesamtenergie nicht gleich E min

ist. Unter welchen Umstanden ware das der Fall?

1.10 Weitere Erhaltungssatze

Wie bereits bemerkt sind die Newtonschen Gleichungen nur in Ausnah-mef allen (Beispiele?) linear. Eine allgemeine analytische Losung ist daherin der Regel nicht moglich. Unter Umstanden, d.h. f ur bestimmte Kraftypenkann man eine Losung erhalten, wenn es gelingt aus Ort und Impuls Großenzu konstruieren, die von der Zeit unabhangig sind (so genannte Erhaltungs-

großen), wie zum Beispiel der Drehimpuls, die Energie oder der Lenz–Runge–Vektor. Hier befassen wir uns damit, welche es noch gibt?

Betrachten wir System von N  Teilchen mit konstanten Massen. Fur eineinzelnes Teilchen n ist der Impuls   p n nur erhalten, wenn die entsprechendeKraft  F  (n) verschwindet. Nicht besonders interessant, aber wenn wir alle N Teilchen betrachten, erhalten wir die folgende zweite Newtonsche Gleichung

N n=1

  p (n) =d

dt

N n=1

  p (n) =N 

n=1

 F  (n) . (1.73)

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

Wir nennen die Summe der Impulse aller Teilchen den Gesamtimpuls

 P  =N 

n=1

  p (n) =N 

n=1

m (n) v (n) (1.74)

und es gilt offenbar, falls die Krafte einander insgesamt aufheben:

N n=1

 F  (n) = 0 =⇒  P  = const. (1.75)

Man sieht hier auch gleich, warum der Begriff des Impulses eines Teilchensein besseres Konzept als die Geschwindigkeit ist: die Summe der Geschwin-

digkeiten aller Teilchen ist nur dann erhalten, falls alle Teilchen die gleicheMasse haben!

Die Erhaltung des Gesamtimpulses entspricht dem 3. Axiom: teilen wirdas System in zwei Teile, wobei das eine Teilsystem aus Teilchen Nr.1 bis Nr.kbesteht und das zweite aus den restlichen N −k Teilchen besteht, so bedeutetdas Verschwinden der Gesamtkraft, dass die Kraft auf das eine Teilsystemgenau entgegengesetzt gleich derjenigen ist, die auf das andere Teilsystemwirkt. Der Erhaltungssatz f ur den Gesamtimpuls ist also gleichbedeutendmit dem Verschwinden der Gesamtkraft und bildet ein Kriterium daf ur, dassdas betrachtete System abgeschlossen, also als isoliert von der ubrigen Welt

betrachtet werden kann.Stellt man fest, dass f ur ein konkretes System der Erhaltungssatz nichtgilt, dann kann man in der Regel darauf schließen, dass das System nichtabgeschlossen ist. In der Teilchenphysik hat es dazu gef uhrt, dass noch un-bekannte Teilchen vorausgesagt wurden, die man spater auch tatsachlich ge-funden hat.

Aus der Erhaltung des Gesamtimpulses kann ein weiter wichtiger Satzgefolgert werden. Definieren wir die Gesamtmasse unseres Systems durch

M  =N 

n=1

m (n) , (1.76)

dann kann man den Gesamtimpuls so schreiben

 P  := M   V , (1.77)

wobei der Geschwindigkeitsvektor  V  konstant ist (Gesamtimpuls ist ja kon-stant) und durch

 V  =1

N n=1

m (n) v (n) =d

dt

1

N n=1

m (n) r (n) =:d

dt R (1.78)

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1.11. Schwarze Locher 

gegeben ist. Die auf der rechten Seite auftretende Große ist der Ortsvektor

des Schwerpunktes des Systems.  V  ist die Geschwindigkeit, mit der sich derSchwerpunkt bewegt. Da  V  konstant ist, konnen wir einfach integrieren underhalten

 R =  R0 +  V t . (1.79)

Der Schwerpunkt bewegt sich daher geradlinig und gleichf ormig, das ist derSchwerpunktsatz.

1.11 Schwarze Locher

Kann man Schwarze Locher mit Hilfe von der Newtonschen Mechanik verste-hen? Betrachten wir mal die Kenngroßen unserer Sonne, sie hat eine MasseM  = 1.99 · 1030 kg und einen Radius von R = 6.96 · 108 m und ist damit vielviel großer als irgendein Planet, aber verglichen mit anderen Sonnen (Ster-nen) ist sie im guten Mittelfeld. Betrachten wir die Fluchtgeschwindigkeiteines Korpers von der Sonne (siehe auch Ubungen), dann gilt

v = 2GM 

R

und hangt damit nur von der Masse und Radius der Sonne ab. An der Ober-flache der Sonne betragt v = 6.18 · 105 m/s oder 1/500 der Lichtgeschwin-digkeit c.

Halten wir jetzt die Masse fest und variieren den Radius, so folgt f urSonnen, die einen ≈ 500 kleineren Radius haben als unsere Sonne, dass dieFluchtgeschwindigkeit gleich c ist. Das hat 1783 Rev. John Mitchell erkannt.Damit wurde die Idee eines schwarzen Loches geboren oder eines Objektes,

“das das gesamte Licht wieder einfangen w   urde”. Aus unseren Uberlegungenfolgt also, dass, wenn wir in der obigen Gleichung v = c setzen, erhalten wirden Radius RS  = 2GM 

c2, bei dem der Korper kein Licht mehr hergibt. Aber

ist das korrekt?

Die Allgemeine Relativitatstheorie ergibt den gleichen Schwarzschildra-dius, gefunden 1916 vom Herrn Karl Schwarzschild. Wie ist das moglich?Bei unserer Rechnung haben sich zwei Fehler kompensiert, einerseits ist diekinetische Energie von Licht nicht mc2/2 (sondern?) und das Gravitations-potential in der Nahe eines schwarzen Loches ist nicht U (r) = −α

r.

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

1.12 Welches Raum-Zeit Konzept steckt hin-

ter den Newtonschen Gleichungen?

Hier wollen wir uns damit befassen, welche Geometrie der “NewtonschenWelt” zu Grunde liegt, in der die Bewegungsgleichungen formuliert wurden.Zunachst haben wir mal ein vierdimensionale Welt vor uns, genauer einevierdimensionale Mannigfaltigkeit (t, r) (manche moderne Theorien gehendurchaus davon aus, das es noch extra Dimensionen gibt, aber eindeutigeBeweise daf ur gibt es noch nicht). Eine n–dimensionale Mannigfaltigkeit istein Gebilde, das sich durch ein Koordinatensystem uberdecken lasst, oder

anders ausgedruckt, sich lokal, also im Kleinen, wie der R

n

(R . . . reelleZahlen) aussehen. Entspricht also unserem aus dem Alltag und der Schu-le gepragtem Bild unserer Welt. Der Punkt ist, dass im Großen die Gestalt  jedoch beliebig kompliziert sein kann, z.B. eine Kugel (Sphare), ein Torus,ein Mobiusband, eine Brezelflache,. . . . Die Mannigfaltigkeit kann man sichalso aus lauter Punkten aufgebaut denken, wobei in jedem Punkt ein (z.B.kartesisches) Koordinatensystem mit einer Uhr angebracht ist.

Prinzipiell erhalt man Auskunft uber die Struktur von Raum und Zeit,indem man mit physikalischen Maßstaben und Uhren misst und aus denMessdaten ein Koordinatennetz errichtet. Ob die erhaltenen Mannigfaltigkeit

euklidisch ist oder nicht, hangt von den physikalischen Gegebenheiten ab(Beispiel einer nichteuklidischen Welt: z.B. beheizte Platte).

Solange man nur die Bewegung freier Teilchen betrachtet, sind die Gali-leitransformationen (siehe unten) nur Anderungen der mathematischen Be-schreibung ohne Anderung der beschriebenen Physik (verschiedene Beobach-ter benutzen nur unterschiedliche Koordinaten und beobachten das gleichePhanomen). Aber die Annahme, dass diese Eigenschaft auch dann noch gel-ten soll, wenn wir wechselwirkende Teilchen betrachten, erscheint sehr plau-sibel und entspricht auch der Struktur der Newtonschen Gleichungen, sieist aber eine nicht–triviale Hypothese und hat als Konsequenz, die Existenz

eines absoluten Raumes und einer absoluten Zeit.Wie kommt man auf die Transformationen: Eine Lehrkraft f uhrt

einen Versuch durch, bei dem die Bahn eines Teilchens aufgezeichnet wird.Bob, der Eigenbrotler, besteht darauf sich ein anderes IS auszusuchen undaußerdem ist er auch noch ein Besserwisser und behauptet, dass f ur beliebigeIS das Relativitatsprinzip von Galilei gilt: “Alle IS sind gleichwertig ”, alsodarf ich mir auch ein Eigenes aussuchen! “Na gut”, sagt Anna und nimmt dieHerausforderung an. Beide beobachten die Bahn eines kraftefreien Teilchens,Anna in ihrem KS (x , y, z, t) und Bob in seinem KS’ (x, y, z, t). Anna findet

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1.12. Welches Raum-Zeit Konzept steckt hinter den Newtonschen

Gleichungen? 

folgende Bewegungsgleichungen

m r(t) = 0 , (1.80)

und Bob diese

m r (t) = 0 , (1.81)

Beide haben sich ein IS ausgesucht (woran erkennt man das?). Um beideErgebnisse vergleichen zu konnen, muss man den Zusammenhang zwischenden ungestrichenen und gestrichenen Koordinaten bestimmen, das f uhrt dannzu den beruhmten Galileitransformationen.

Seien die beiden Koordinatensysteme wie in der folgenden Graphik gewahlt,also parallele Achsen und damit gleiche Basisvektoren und t0 = 0:

Der Ortsvektor eines bestimmten Massenpunktes P  sei r = xi ei in IS undr

= x

i ei und der Zusammenhang ist

r(t) = r

(t) +  d(t) . (1.82)

Betrachten wir ein kraftefreies Teilchen in IS, dann erhalten wir:

m r(t) = 0 = m r

(t) + m  d(t) . (1.83)

Das neue Bezugssystem ist genau dann ein IS falls m r

(t) = 0 und damitfolgt

 d(t) =  0 −→  d(t) = v t +  b , (1.84)

wobei  b ein konstanter Vektor ist. Das bedeutet, dass sich IS’ gegenuber ISmit konstanter Geschwindigkeit bewegt und um einen konstanten Vektor  b

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

verschoben sein kann. Damit haben wir die Galileitransformationen hergelei-

tet:

r

= r − v t − b (1.85)

t = t − t0 . (1.86)

Bei Verwendung dieser Transformation bleiben Newtonsbewegungsgleichun-gen forminvariant oder kovariant, bzw. andern ihre Form nicht. Galileis Re-lativitatsprinzip postuliert diese Kovarianz f ur alle grundlegenden Gesetze.

Wir haben bei der Herleitung nur eine beliebige Bewegung des Ursprungsin Betracht gezogen, naturlich kann man auch zu einander konstant verdreh-te Koordinatensysteme betrachten (zeitabhangige Rotationen wurden zu Zu-

satztermen f uhren, siehe nachster Abschnitt 1.13).Die allgemeinen Galileitransformationen lautet damit:

r

(t) = R r(t) − v t − b (1.87)

t = t − t0 . (1.88)

Sie setzt sich daher aus folgenden Transformationen zusammen:

1. Einer raumlichen Verschiebung um einen konstanten Vektor b,

2. einer raumlichen Verschiebung um v t,

3. einer Rotation, beschrieben durch die Rotationsmatrix R,R RT  = 1     ,

4. und einer konstanten zeitlichen Verschiebung um t0.

Die Galileitransformationen hangt damit von 10 Parametern ab: Die Dre-hung wird zum Beispiel durch 3 Winkeln oder der Einheitsdrehachse pluseinem Winkel 2 + 1 = 3 beschrieben; dazu kommen dann 3 Parameter vonder Relativgeschwindigkeit v, 3 Parameter vom Verschiebungsvektor  b und 1Parameter von der Verschiebung der Zeit um t0.

Zwei hintereinander durchgef uhrte Galileitransformationen IS zu IS’ undIS’ zu IS” f uhren wieder zu einen IS”, sie definieren eine neue Galileitransfor-mation von IS zu IS”. Naturlich gibt es auch die triviale Transformation vonIS zu IS. Damit bilden die Galileitransformationen ein Gruppe, sie wir auchGalileigruppe genannt. Das interessante ist meist die Relativebewegung ver-schiedener IS und die kann man praktischer Weise auch nur in eine Koordina-te legen, diese Transformationen, werden als spezielle Galileitransformationbezeichnet.

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1.13. Beschleunigte Bezugssysteme 

Wann gelten die Galileitransformationen? Dieser Frage werden wir uns

dann spater nochmals widmen.

1.13 Beschleunigte Bezugssysteme

Inertialsysteme (IS) haben wir dadurch definiert, dass in ihnen NewtonsAxiome gelten. Nicht IS sind also Systeme, die relative zu einem IS beschleu-nigt sind, es treten Zusatzterme auf, so genannte Tragheits- oder Schein-krafte.

Achtung: Der Name Scheinkraft darf hier nicht missverstanden werden.

In beschleunigten Bezugssystemen (BS) sind diese Krafte wirklich vorhanden(also wirklich spurbar!). Sie unterscheiden sich von den “echten” Kraften aberdadurch, dass sie durch den Ubergang zu einem IS wegtransformiert werdenkonnen.

Nicht-IS sind aber nicht unnotig oder gar unbrauchbar, falls sich der Be-obachter in einem beschleunigten BS befindet, mochte dieser seine Beobach-tungen naturlich von diesem System aus verstehen konnen. Wir bestimmenhier die Zusatzterme, die auftreten falls wir zu eine IS linear beschleunigtesBS oder ein rotiertes BS betrachten.

1.13.1 Linear beschleunigtes BezugssystemUnsere BS sei ein zu IS konstant in Richtung  d(t) = a

2t2; a = const.

beschleunigtes System, d.h. ein Ortsvektor in IS hat den Zusammenhang mitdem BS durch:

r (t) = r

(t) +  d(t) = r

(t) +a

2t2 . (1.89)

Aus 1. Axiom folgt f ur die Bewegungsgleichung eines kraftefreien Teilchensm r(t) =; 0 im IS und damit

m r (t) = 0 = m r

(t) + m a

=⇒ m r

(t) = −m a im BS’ . (1.90)

Der Zusatzterm auf der rechten Seite bedeutet, dass Newtons 1. Axiom imBS’ (betrachten ja ein kraftefreies Teilchen) nicht gilt und entspricht einemkonstanten Kraftfeld, wenn wir die Bewegungsgleichung im BS’ mit der Formdes 2. Axioms vergleichen und werden daher Tragheitskrafte genannt. EinBeispiel sind die Krafte, die ein Passagier im Flugzeug spurt.

Beispiel: “Beschleunigungsmesser”

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

Moderne Theorie “Allgemeine Relativitatstheorie”: Wie erwahnt

geht Einstein von der Aquivalenz von schwerer und trager Masse aus (sie-he auch Abschnitt 1.5) und damit von der Aquivalenz von Tragheits– undGravitationskraften aus. Die Grundidee ist in etwa so: In einem lokal frei–fallenden BS, also einem konstant beschleunigten BS (z.B. Satelliten–Labor)laufen alle Prozesse so ab, als gabe es keine Gravitation. Ausgehend von dengewonnenen Gesetzen ohne Gravitation kann man durch Transformation zumbetrachteten BS, z.B. einem Labor auf der Erde, die entsprechenden Gesetzemit Gravitation erhalten. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschiedzu dem hier betrachteten Beispiel, Beschleunigungen sind im realen Gravita-tionsfeld ortsabhangig und man muss naturlich die relativistischen Gesetze

betrachten.

1.13.2 Rotierende Bezugssysteme

Da unsere Erde ein solches BS ist, ist dieser Fall von besonderen Interes-se. Betrachten wir ein gegenuber einem IS mit der Winkelgeschwindigkeit  ωrotiertes BS’. Betrachten wir zunachst einen Vektor  V , der vom BS’ aus ge-sehen zeitunabhangig ist, er soll konstante Lange haben und bildet konstanteWinkeln mit den Koordinatenachsen (oder Drehachsen).

Aus der obigen Abbildung kann man sehen, dass f ur die Anderung diesesVektors aufgrund der Rotation von BS’ gilt

|d V rot| = | V | |d ϕ| sin θ, d V rot ⊥  ω, d V rot ⊥  V  (1.91)

und damit folgt

d V rot = d ϕ ×  V  = ( ω dt) ×  V . (1.92)

Nun lassen wir den Vektor  V  von der Zeit abhangen. Im BS’ andert er sichwahrend dt um d V BS  und damit ist die Anderung von diesem Vektor aus ISbetrachtet

d V IS  = d V BS  + d V rot . (1.93)

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1.13. Beschleunigte Bezugssysteme 

Mit der obigen Beziehung erhalten wir also

d V 

dt

IS 

=

d V 

dt

BS 

+  ω ×  V . (1.94)

Jeder Ortsvektor eines Massenpunktes kann nach den Basisvektoren ei

von IS entwickelt werden, aber naturlich auch in den Basisvektoren e i(t) des

rotierten BS’

r (t) =3

i=1

xi(t) ei =3

i=1

xi(t) e i(t) . (1.95)

Da wir voraussetzen, dass der Koordinatenursprung beider Systeme gleichist und wir Ortsvektoren betrachten, gilt r = r . Die Basisvektoren des ro-tierten BS’ hangen von der Zeit ab, die aus IS nicht. Berechnen wir nun dieGeschwindigkeit, erhalt man nach der Kettenregel

r =dr

dt=

3i=1

dxi(t)

dtei

(t) +3

i=1

xi(t)

de i(t)

dt

= r +  ω × r . (1.96)

Wir wollen jetzt die Bewegungsgleichung eines kraftefreien Teilchens inBS’ betrachten und beschranken uns auf eine Rotation mit konstanter Win-kelgeschwindigkeit  ω = const. Dazu wenden wir Gl. 1.94 auf den Geschwin-digkeitsvektor r an und erhalten schlussendlich

dr

dt

IS 

= r + 2  ω × r + ω × (ω × r ) . (1.97)

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Kapitel 1. Die Newtonsche Mechanik 

Damit haben wir hergeleitet, dass f ur ein kraftefreies Teilchen im

IS, also

m r =

d2r

dt2

IS 

= 0 , (1.98)

im rotierten System mit konstanter Winkelgeschwindigkeit gilt

m r = −2 m  ω × r − m ω × (ω × r ) . (1.99)

Der erste Term auf der rechten Seite wir als Corioliskraft, der zweiteals Zentrifugalkraft bezeichnet.

Die Corioliskraft steht senkrecht zur Bewegungsrichtung (es istschwierig auf einem Karussell geradeaus zu gehen) und ist propor-tional zu ω.Die Zentrifugalkraft ist proportional zu ω2 und zum Abstand zurDrehachse und zeigt von ihr weg (bei einem schnell rotierendenKarussell muss man sich gut festhalten).

Die Coriolisbeschleunigung durch die Rotation der Erde ist zwar klein vomBetrag her, hat jedoch deutliche Auswirkungen auf die Bewegung von Luft–und Wassermassen (Passatwinde, starkere Erosion des rechten Ufers auf Nord-halbkugel,. . . ).

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Kapitel 2

Lagrangesche Mechanik

Hier entwickeln wir eine elegante und einfache Betrachtungsweise der New-tontheorie, die eine Verallgemeinerung f   ur quantenmechanische und relati-vistische Systeme erm   oglicht.

2.1 Einleitung/Motivation

Wir haben bis jetzt den Zugang zur Mechanik uber die Newtontheorie gewahlt.Im Wesentlichen erfasst man die Bewegung eines zusammengesetzten Sys-tems durch die Bewegung seiner Bestandteile (meist “Teilchen”) und dererWechselwirkung, also der Krafte die zwischen ihnen wirken. Da wir wissen,dass die Materie atomistisch ist, erscheint dieser Zugang f ur eine große An-zahl an Phanomenen realistisch. Aber sehr oft sind die Ortskoordinaten undImpulse der Teilchen nicht wirklich zweckmaßig, um ein System zu analysie-ren, es gibt besser geeignete Koordinaten, um das System zu beschreiben.

Betrachten wir zum Beispiel das ebene Pendel (siehe Fig. 2.1(a)), danngibt es eine einzige Koordinate, die sich andert, der Winkel. Es ist also ei-gentlich ein 1–dimensionales Problem, die Bewegung erfolgt zwar in 2 Dimen-sionen, ist aber auf einen Kreis gezwungen. Daher ist es sicher dem Problem

besser angepasst, wenn man den Winkel als Koordinate auffasst.Bei dem Lagrange–Hamiltonschen Zugang zur Mechanik werden daher

im Allgemeinen nicht die Teilchenkoordinaten als dynamische Variable ver-wendet, sondern so genannte “generalisierte” Koordinaten qα(t), wobei α =1, 2, . . . , f  die f  verschiedenen Freiheitsgrade bezeichnet. Im obigen Beispiel“Pendel” ware q = φ. Fur ein Doppelpendel haben wir 2 Freiheitsgrade (sieheFig. 2.1(b)), q1 = φ1, q2 = φ2. Man versucht also wirklich nur die relevantenund unabhangigen Variablen f ur die Beschreibung zu verwenden.

Im Allgemeinen stellen wir uns vor, dass es prinzipiell moglich sein sollte,

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

(a) (b)

Abbildung 2.1: (a) Zeigt die generalisierte Koordinate des Pendel und (b) diegeneralisierten Koordinaten eines Doppelpendels.

die Teilchenkoordinaten aus den generalisierten Koordinaten und umgekehrtberechnen zu konnen

qα = qα(r (1), r (2), . . . , r (N ), t) α = 1, 2, . . . , f   (2.1)

r (n) = r (n)(q1, q2, . . . , qf , t) n = 1, 2, . . . , N   (f  ≤ 3N ) . (2.2)

Nun versucht man nicht die Bewegungsgleichungen der generalisiertenKoordinaten durch Einsetzen der Transformationen der Teilchenkoordinatenzu gewinnen (das haben wir ja zum Beispiel beim Pendel gemacht φ = − g

lφ),

damit wurden wir nichts Neues gewinnen, sondern man wahlt einen anderenAusgangspunkt, das Hamiltonsche Wirkungsprinzip, das Prinzip der kleins-ten Wirkung. Mathematisch ist es ein Variationsproblem. Die Bewegungs-gleichungen sind die Euler–Langrangeschen Gleichungen dieses Variations-problems. D.h. an die Stelle von Ansatzen f ur Krafte tritt ein Ansatz f ureine Funktion der generalisierten Koordinaten, d.h. wir mussen eine solcheFunktion “erraten” und nicht mehr “Krafte”. Wir werden sehen, dass diesoft viel einfacher ist.

Aber es gibt noch viel mehr Vorteile durch diese Methode. Der Formalis-mus kann weit uber die Mechanik hinaus verwendet werden, er gestattet eineallgemeine Formulierung von “Dynamik” eines Systems im Laufe der Zeit.D.h. so konnen z.B. quantenmechanische Systeme behandelt werden, aberauch Systeme mit kontinuierlich unendlich vielen Freiheitsgraden (Feldtheo-rien) und relativistische Systeme. Alle 4 fundamentalen Wechselwirkungen(schwache, starke, elektromagnetisch, gravitative) konnen mit diesem For-malismus behandelt werden!

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2.2. Generalisierte Koordinaten und deren Geschwindigkeiten

Auch die großere Einfachheit bei einer sehr großen Klasse von Problemen

ist ein Vorteil. Weiters –wie wir sehen werden– erkennt man viel besser dieZusammenhange zwischen Geometrie und Physik (Symmetrien und Erhal-tungssatze,...).

Fur manche Probleme ist aber dieser Zugang auch Newtonstheorie unter-legen. Reibungskrafte sind schwer zu behandeln.

Historisch hat sich der Hamiltonsche–Lagrangesche Formalismus durchdas Problem der Zwangskrafte ergeben. Bei einem Pendel ubt der Faden dieZwangskraft auf die Masse aus, die im Gleichgewicht mit der entsprechendenKomponente der Gravitationskraft steht. Beim ebenen Pendel ist es nochnicht schwer diese zu beschreiben, aber denkt man an das Doppelpendel,

dann ist es gar nicht mehr einfach, zu erkennen, wo welche Zwangskraft, diesich ja auch noch zeitlich andert, angreift. Also schon das Doppelpendel ista la Newton schwer zu losen, mit Lagrange ist es ganz einfach (wie wir sehenwerden). Mehr noch, es ist ganz klar, wie eine Verallgemeinerung zu einemDreifach–, Vierfach–,. . . Pendel auszuschauen hat. Zwangskrafte treten sehroft auf, man denke nur an mechanische Maschinen.

Zusammenfassend ist der Hamiltonsche–Lagrangesche Zugang das Torzur Modernen Physik und daher denke ich, sollte eine zukunftige Lehrkraftdie Grundideen verstehen, obwohl man diesen Zugang in dieser Form in derSchule nicht unterrichten kann. Und wenn man sich in die Materie ein wenig

“reingetigert” hat, wir man auch feststellen, dass es gar nicht so schwer istund vielleicht auch ihre Schonheit bewundern. :-)

2.2 Generalisierte Koordinaten und deren Ge-schwindigkeiten

Prinzipiell sollten generalisierte Koordinaten qα, die Lage eines Systems zumZeitpunkt t festlegen, stetig und mindestens 2 mal nach der Zeit t ableitbarsein. Die erste Ableitung nach der Zeit qα nennt man generalisierte Geschwin-digkeit. Wie wir von Newton wissen, braucht man zur Losung seiner Diffe-rentialgleichungen die Anfangsbedingungen r(n)(t0) und r(n)(t0). Genauso istes f ur die generalisierte Koordinate, wir mussen qα(t0) und qα(t0) kennen. DieAngabe von 2f  Zahlen qα(t0), qα(t0) soll damit ausreichen, das “Schicksal”des betrachteten Systems f ur alle t ≥ t0 vorauszusagen, d.h. auszurechnen.Das bedeutet, dass man die qα berechnen kann und die entsprechende Dif-ferentialgleichung 2. Ordnung werden wir die “Euler–Lagrangeschen” Bewe-gungsgleichungen nennen. Ihre Integration gibt dann die “Bahnkurven” desSystems, wobei hier Bahnkurve oft in einem sehr abstrakten Sinne zu ver-

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

Abbildung 2.2: Spharisches Pendel

stehen ist. Denken wir an das Pendel, erhalten wir eine Bahnkurve f ur einenWinkel.

Der Lagrangeformalismus liefert Differentialgleichungen 2. Ordnung f urdie f  Variablen qα(t). Der Hamiltonformalismus ist dazu eine Alternative,bei der man anstatt der generalisierten Geschwindigkeiten qα sich geeignetegeneralisierte Impuls pα definiert (haben normalerweise nichts mit dem kine-tischen Impuls zu tun). Die entsprechenden Hamiltonschen Bewegungsglei-chungen bilden ein System 1. Ordnung f ur die 2f  (kein Vorteil ohne Nachteil)Variablen (qα, pα) (graphisch konnen diese im Phasenraum veranschaulichtwerden, den wir beim harmonischen Oszillator kennen gelernt haben). Bei-de Formalism beruhen auf dem gleichen Prinzip, sind also das Gleich nurunterschiedlich betrachtet.

2.3 Wie erfolgt eine Bewegung?

Der Lagrange–Hamiltonsche Zugang basiert auf einem Extremalprinzip, kon-kret geht es um ein Minimum eines Integrals, das die Wirkung ist. DiesesIntegral uber eine gewisse Funktion L, die Lagrangefunktion heißt, ist derAusgangspunkt, d.h. er ist nicht zu beweisen, und es gilt diese Funktion zu“erraten”. Analog muss auch ein Kraftansatz f ur die Newtonsche Mechanikerraten werden. Um eine Formulierung des Prinzips zu erhalten, gehen wirdavon aus, dass das betrachtete System durch die folgende Lagrangefunktiongegeben ist

L(qα(t), qα(t), t) = L(q1(t), q2(t), . . . , qf (t), q1(t), q2(t), . . . , qf (t), t) . (2.3)

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2.3. Wie erfolgt eine Bewegung? 

Physiker neigen dazu sich das Leben so leicht wie moglich zu machen, daher

werden wir in Zukunft nur noch q schreiben, aber qα(t) meinen, analog q;d.h. die obige Funktion schreiben wir auch so

L(q, q, t) . (2.4)

Wir werden auch sehen, dass das Grundkonzept unabhangig von der Anzahlder Freiheitsgrade f  und damit Anzahl von den generalisierten Koordinatenist.

Das Wirkungsprinzip (Hamiltonsches Prinzip der kleinsten Wir-kung) lautet dann: Die Bewegung eines Systems verl   auft f   ur Zeiten t0 ≤ t ≤ t1 so, dass das Integral, die Wirkung,

S  =

 t2

t1

L(q, q, t) dt

ein Minimum annimmt.

Schauen wir uns mal ein konkretes Beispiel an, den senktrechten Wurf. Wiewir wissen ist die Bewegungsgleichung a la Newton gegeben durch

F  = m z = −m g (2.5)

und einmal integrieren gibt

z = −g t + v0 . (2.6)

Damit ist die Losung der Bewegungsgleichung durch die Bahnkurve

z(t) = −g

2t2 + v0t + z0 (2.7)

gegeben. Die generalisierte Koordinate ist hier also einfach die Hohe, q = z.Die graphische Bahn f ur die Bewegung sieht dann so aus:

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

Stellen wir uns folgendes vor, wir mussen die obige Bahn errechnen, kennen

aber nur den Wert von z f ur t = t0, also q(t0), und f ur t = t1, also q(t1).Wir konnen man uns viele verschiedene Bahnen vorstellen, wie wir diese zweiPunkte verbinden konnen:

Fur jeden Weg berechnen wir jetzt das Integral, also den Zahlenwert S . Ma-thematisch ist es gar nicht so schwer, das Minimum zu finden, wie es vielleichtzunachst aussieht. Wir suchen ja nicht einen Punkt (bzw. eine Zahl), sonderneine Kurve, die Funktion q(t), also eine Differentialgleichung. Nennen wir diewirkliche Bahn q(t), jede andere, “falsche” Bahn, konnen wir durch

qF (t) = q(t) + δq(t) (2.8)

bezeichnen. Klarerweise muss die Funktion δq(t) f ur t0

und t1

verschwinden,also

δq(t0) = δq(t1) = 0 , (2.9)

da wir ja wollen, dass alle betrachteten Bahnen durch den betrachtetenAnfangs- bzw. Endpunkt gehen sollen. Unser Ziel ist es also, dass δq(t) im-mer kleiner wird, hier ein Beispiel (die Werte von δq(t) sind in der unterenKurve dargestellt):

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2.3. Wie erfolgt eine Bewegung? 

und hier ein besseres Beispiel:

Wenn man qF  einigermaßen gut “erraten” hat, wird δq(t) im ganzen Intervallklein gegen q(t). Und wie sieht es mit der Ableitung aus:

qF  = q + δq =d

dtq +

d

dtδq . (2.10)

Auch δq wird klein gegen q, falls qF  nicht zu “eckig” ist. Betrachten wir jetztden Unterschied der Wirkung

δS  = t1

t0

L(q + δq, q + δq, t) dt − t1

t0

L(q, q, t) dt (2.11)

und machen eine Taylorentwicklung zur 1. Ordnung (Trick: ξ = q + δq):

δS  =

 t1

t0

L(q, q, t) +

∂L(q, q, t)

∂qδq +

∂L(q, q, t)

∂ qδq + O(2)

dt

− t1

t0

L(q, q, t) dt

=  t1

t0

∂L(q, q, t)

∂q δq +∂L(q, q, t)

∂ q

dδq

dt + O(2) dt . (2.12)

Durch partielle Integration im letzten Term erhalten wir (O[2] wir ab jetztweggelassen)

δS  =

 t1

t0

∂L(q, q, t)

∂qδq +

d

dt

∂L(q, q, t)

∂ qδq

d

dt

∂L(q, q, t)

∂ q

δq

dt

=

 t1

t0

∂L(q, q, t)

∂qδq − d

dt

∂L(q, q, t)

∂ q

δq · dt +

∂L(q, q, t)

∂ qδq

t1

t0

(2.13)

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

Der letzte Term verschwindet, da wir δq(t0) = δq(t1) vorausgesetzt haben.

Wir verlangen jetzt laut Wirkungsprinzip

δS  = 0 (2.14)

und da δq zwar klein, aber willkurlich ist, muss der Integrand verschwinden

∂L(q, q, t)

∂q− d

dt

∂L(q, q, t)

∂ q= 0 . (2.15)

Das ist die Euler–Lagrange Bewegungsgleichung f ur unser Problem! Da wiralles ganz allgemein gehalten haben, gilt diese Differentialgleichung f ur q(t)f ur beliebige Probleme.

Falls wir mehrere Freiheitsgrade f  haben, gilt f ur jeden Freiheitsgradeinzeln die obige Herleitung und damit folgt

δS  =

f α=1

 t1

t0

∂L(qα, qα, t)

∂qα

− d

dt

∂L(qα, qα, t)

∂ qα

δqα · dt + O[2] .

(2.16)

und wir sehen, dass in jedem Summanden alle q außer qα als gegeben aufge-fasst werden mussen (partielle Ableitung).

Damit haben wir das Ziel erreicht: Fur ein beliebiges Problemmit f  Freiheitsgraden gilt die folgende Bewegungsgleichung f urdie verallgemeinerten Koordinaten:

∂L(qα, qα, t)

∂qα− d

dt

∂L(qα, qα, t)

∂ qα= 0 α = 1, 2, . . . , f . (2.17)

Ihre Losungen bestimmen damit die Dynamik, also die zeitlicheEntwicklung des Systems. Aber wie “errat” man die FunktionL?

2.4 Wie “errat” man die Lagrangefunktion?Kommen wir zuruck zu unserem Beispiel, dem senktrechten Wurf. Die Be-wegungsgleichung lautet (siehe Gleichung 2.5)

m q = −m g . (2.18)

Diese soll sich ergeben durch

d

dt

∂L(q, q, t)

∂ q=

∂L(q, q, t)

∂q. (2.19)

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2.4. Wie “err at” man die Lagrangefunktion? 

Setzen wir mal die Lagrangefunktion durch L = c1q + c2q an, dann ergibt die

folgende Gleichung

0 = c1 . (2.20)

Die rechte Seite ware ja schon mal ok, falls wir die Konstant c1 = −mgsetzen. Aber die linke Seite f uhrt sicher zu keiner Bewegungsgleichung. Wirmussen also f ur L immer Potenzen in q ansetzen, die mindestens großer 1sind. Machen wir den folgenden Ansatz f ur

L = −m g q + c2 qk mit k ≥ 2 , (2.21)

Dann ergibt die Euler–Lagrangesche Bewegungsgleichung

k(k − 1) c2 qk−2 q = −m g . (2.22)

Diese Gleichung stimmt mit Gleichung (2.18) uberein, falls wir k = 2 (nurdann verschwindet q) und c2 = m/2. Damit haben wir die Euler–LagrangescheBewegungsgleichung f ur den senktrechten Wurf gefunden

L(q, q, t) =m q2

2− m g q . (2.23)

Das kommt uns aber sehr bekannt vor, zur Erinnerung q = z! Der erste Termist nichts anderes als die kinetische Energie und der zweite Term ist die po-tentielle Energie!! Also die Lagrangefunktion ist die Differenz der kinetischenEnergie und der Potentiellen Energie L = E kin − U !!

Gilt das Allgemein? Wir haben ja ein sehr spezielles Beispiel behandelt.Aber die Antwort ist ja, im Falle von konservativen Krafte (und nicht rela-tivistisch), ist die obige Aussage richtig. Fur nicht konservative oder relati-vistische Krafte kann man aber auch den Lagrangeformalismus verwenden,man muss das entsprechende U , das nicht (nur) die potentielle Energie ist,erraten.

Man sieht hier gleich einen Vorteil dieses Formalismuses, man muss nichtdie 3N  Kraftkomponenten f ur N  Teilchen erraten, sondern nur die FunktionU  f ur die f  Freiheitsgrade. Weiters ist der Formalismus so allgemein, dassman auch f ur quantenmechanische und relativistische Systeme das richtigeMittel zur Hand hat.

Bevor wir weitere allgemeine Eigenschaften von L betrachten, diskutierenwir noch weitere Bespiele a la Lagrange.

Das ebene Pendel: Wie bereits diskutiert, kann man als generalisierteKoordinate einfach den Winkel φ nehmen (siehe Abbildung 2.1 (a)). Die Be-wegungsgleichung m l2 φ = −m g l sin φ lautet (a la Newton Ruckstellkraft

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

oder uber Potential (Energieerhaltung)). Schauen wir mal, ob wir das mit der

oben erworbenen Strategie hinbekommen. Die kinetische Energie ist gegebendurch

E kin =m x2

2+

m y2

2+

m z2

2=

m l2 φ2

2, (2.24)

wobei wir f urs letzte Gleichheitszeichen die Polarkoordinaten eingesetzt ha-ben. Die potentielle Energie ist durch

U (z) = m g l + m g z = m g l(1 − cos φ) (2.25)

und damit haben wir die folgende LagrangefunktionL = m l φ2 + m g l cos φ (2.26)

und wir berechnen den zu φ kanonisch konjugierten Impuls zu

 pφ =∂L

∂ φ= m l2 φ , (2.27)

das ist naturlich der Drehimpuls!Mit ∂L

∂φ= −mg l sin φ folgt die Bewegungsgleichung

ddt

∂L∂ φ

= ∂L∂φ

−→ m l2 φ = −m g l sin φ . (2.28)

Das Doppelpendel: Diesen Fall haben wir noch nicht diskutiert under ware auch sehr schwer a la Newton. Aber mit dem Lagrangeformalismusist es ein Kinderspiel! Zunachst ist klar, wir haben jetzt 2 Freiheitsgrade,also 2 generalisierte Koordinaten haben, φ1, φ2 (siehe Abbildung 2.1 (b)).Die Polarkoordinaten f ur die zwei Massen m1, m2 lauten

x1(t) = l1 sin φ1

y1(t) = 0z1(t) = −l1 cos φ1

x2(t) = l1 sin φ1 + l2 sin φ2

y2(t) = 0

z2(t) = −l1 cos φ1 − l2 cos φ2 . (2.29)

Die kinetische Energie ist gegeben durch

E kin =m1

2(x2

1 + y21 + z2

1 ) +m2

2(x2

2 + y22 + z2

2 ) (2.30)

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2.4. Wie “err at” man die Lagrangefunktion? 

und die potentielle Energie durch

U  = m1 g z1(t) + m2 g z2(t) . (2.31)

Und damit nach Einsetzen haben wir bereits die Lagrangefunktion

L =m1 + m2

2l2

1 φ21 +

m2

2l2

2 φ22 + m2 l1 l2 φ1 φ2 cos(φ1 − φ2)

+(m1 + m2) g l1 cos φ1 + m2 g l2 cos φ2 . (2.32)

Aus dieser folgt durch simples Differenzieren die Bewegungsgleichung (sieheUbungen). Nach dem gleichen Rezept folgt die Bewegungsgleichung f ur einDreifach–, Vierfach–,. . . Pendel.

Spharisches Pendel: Dieses kann durch 2 verallgemeinerte Koordinatenφ, θ beschrieben werden (siehe Abbildung 2.2)

x = l sin θ cos φ

y = l sin θ sin φ

z = −l cos θ l = const. (2.33)

Dann ergibt sich die Lagrangefunktion zu

L =ml2

2(θ2 + sin2 θ φ2) − m g l(1 − cos θ) (2.34)

F¨ur die Bewegungsgleichung brauchen wir die verallgemeinerten Impulse

 pθ =∂L

∂ θ= m l2 θ

 pφ =∂L

∂ φ= m l2 sin2 θ φ (2.35)

und

∂L

∂θ= ml2 sin θ cos θφ2 − m g l sin θ

∂L

∂φ= 0 . (2.36)

Bei der letzen Gleichung haben wir 0 erhalten, da diese verallgemeinerteKoordinate nicht in L vorkommt, diese nennt man zyklisch und ist von phy-sikalischer Bedeutung (siehe auch nachsten Abschnitt).

Die zwei Bewegungsgleichungen lauten damit

m l2 θ = m l2 sin θ cos θ φ2 − m g l sin θd

dt(m l2 sin2 θ φ) = 0 −→ pφ = m l2 sin2 θ φ = const.

(2.37)

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

Das spharische Pendel dreht sich immer im gleichen Sinn um die z–Achse,

schneller f ur kleines θ. Der zu φ konjugierte Impuls ist also eine Erhaltungs-große. Das tritt immer auf, wenn die dazugehorige verallgemeinerte Koordi-nate nicht explizit in der Lagrangefunktion vorkommt, also eine so genanntezyklische Koordinate ist. Wir werden sehen, dass allgemein gilt, dass auseiner Symmetrie eine Erhaltungsgroße folgt (hier haben wir es mit einer Ro-tationssymmetrie bezuglich z–Achse zu tun). Ein weiter Vorteil des LagrangeFormalismuses.

Ein Massenpunkt im außeren konservativen Kraftfeld: Hier sinddie kartesischen Koordinaten die besten generalisierten Koordinaten. Die La-grangefunktion ist

L(x1, x2, x3, x1, x2, x3) =m2

(x21 + x2

2 + x23) − U (x1, x2, x3) (2.38)

gegeben. Folglich haben wir 3 Euler–Langrange Bewegungsgleichungen

d

dt

∂L

∂ xi

=∂L

∂xi

i = 1, 2, 3 . (2.39)

Und die verallgemeinerte Impulse sind

∂L

∂ xi

= m xi = pi (2.40)

und die rechte Seite der Euler–Langrange Bewegungsgleichungen ist

∂L

∂xi

= − ∂U 

∂xi

= F i , (2.41)

naturlich nichts anderes als die Kraft, damit haben wir die NewtonschenBewegungsgleichungen wie wir sie kennen

d

dt(mxi) = F i . (2.42)

Perle entlang starrem Stab: Eine Perle (Kugel mit Loch) sei reibungs-frei an einem Stab gef adelt. Der Stab rotiert um eine Achse unter dem Win-kel β . Um festzustellen wie viele Freiheitsgrade es gibt, betrachten wir dieZwangsbedingungen an die Perle. Der Winkel mit der Drehachse β  ist kon-stant, daher:

cos β  =z 

x2 + y2 + z2

−→ z −

 x2 + y2 + z2 cos β  = 0 . (2.43)

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2.5. Erhaltungss atze und Symmetrien

Die Winkelgeschwindigkeit ist auch konstant, daher lautet die 2. Zwangsbe-

dingung:

tan(ωt) =y

x

−→ y

x− tan(ωt) = 0 . (2.44)

Wir brauchen 3 Koordinaten, um die Perle zu lokalisieren, und haben 2Zwangsbedingungen, daher haben wir einen Freiheitsgrad. Als verallgemei-nerte Koordinate bietet sich der Abstand vom Ursprung an, r(t), und wirwahlen daher die folgenden Koordinaten f ur unser Problem

x = r(t) sin β cos(ωt)

y = r(t) sin β sin(ωt)

z = r(t) cos β . (2.45)

Diese Koordinaten erf ullen die zwei Zwangsbedingungen identisch (einfacheinsetzen), daher haben wir die richtigen Koordinaten f ur das Problem gewahlt.Damit errechnet sich die Lagrangefunktion zu

L =m

2(r2 + r2ω2 sin2 β ) − m g r cos β  (2.46)

und damit die Euler–Lagrange Bewegungsgleichung zu

r = r ω2 sin2 β − g cos β . (2.47)

Diese Differentialgleichung ist vom Typ q = q und uns bereits bekannt, dieLosung ist

r(t) = Aeω sin βt +g cos β 

ω2 sin2 β . (2.48)

Wer glaubt, dass dieses Beispiel a la Newton leicht ist, soll es probieren.

2.5 Erhaltungssatze und Symmetrien

Betrachten wir ein freies Teilchen in einem Inertialsystem, dessen Lagrange-funktion besteht nur aus dem kinetischen Anteil

L =m r 2

2. (2.49)

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

Wenn man nun ein Inertialsystem wahlt, dass um einen konstanten Vektor

ν n mit |n| = 1, ν ∈ R verschoben ist (Translation)

r (t) = T ν  r (t) = r (t) + ν n (2.50)

dann lautet die Lagrangefunktion in dem neuen Koordinatensystem

L =m r 2

2=

m r 2

2= L . (2.51)

Die Lagrangefunktionen L, L sind identisch, daher invariant unter der Trans-

formation T ν  und damit andern sich naturlich auch nicht die Bewegungsglei-chungen.

Die Lagrangefunktion eines freien Teilchens ist auch rotationssymme-trisch, da diese nur vom Betrag der Geschwindigkeit abhangt; die Transfor-mationsvorschrift ist in diesem Fall f ur kleine Winkeln ν , um die Drehachsen (ganz analog zu Abschnitt 1.13.2)

r

= T ν r = r + ν n × r + O(ν 2) . (2.52)

Ganz allgemein kann man einen Zusammenhang zwischen einer Invarianz derLagrangefunktion unter einer Symmetrietransformation herstellen. Nehmenwir an wir haben eine solche Invarianzeigenschaft f ur die LagrangefunktionL(q, q, t), also

L(T ν  q,d

dt(T ν  q), t) = L(q,

d

dtq, t) (2.53)

unter einer kontinuierlichen Transformation q → T ν  q; T ν =0 q = q. Nun diffe-

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2.5. Erhaltungss atze und Symmetrien

renzieren wir beide Seiten der obigen Gleichung nach ν , wir erhalten

∂ 

∂ν L(T ν  q,

d

dt(T ν  q), t)

ν =0

= 0

−→ ∂L

∂q  ddt

∂L∂q

∂ 

∂ν (T ν  q)

ν =0

+∂L

∂ q

∂ 

∂ν 

d

dt(T ν q)

ν =0

= 0

=⇒ d

dt

∂L

∂ q

∂ 

∂ν (T ν  q)

ν =0

= 0

=

∂L

∂ q

∂ 

∂ν 

(T ν  q)ν =0

= const (2.54)

Wenn wir mehrere verallgemeinerte Koordinaten haben, dann haben wir ein-fach die Summe uber alle Freiheitsgrade zu nehmen.

Kommen wir zu unserem ersten Beispiel, ein freies Teilchen unter raumli-cher Translation, Gl. (2.50), zuruck und wenden die obige Gleichung an (hiergilt q = r):

∂ 

∂ν (T ν   q)

ν =0

= n

=

∂L

∂ xi

ni = m r

·n = m v

·n = const . (2.55)

Da der Vektor n beliebig ist, folgt daraus, dass der Impuls m v zeitlich kon-stant ist. Damit haben wir aus der raumlichen Translationsinvarianz die Im-pulserhaltung (3 Parameter) hergeleitet!

Somit haben wir das Noether–Theorem gefunden, das die MathematikerinAmalie Emmy Noether (1882-1935) im Jahre 1918 (in allgemeinerer Form)gefunden hat:

Aus der Invarianz von der Lagrangefunktion L unter einer konti-nuierlichen Symmetrietransformation q → T ν  q; T ν =0 q = q folgt

=⇒f 

α=1

∂L∂ qα

∂ ∂ν 

(T ν  q)α

ν =0

= const (2.56)

und damit aus L eine Erhaltungsgroße.

Das tolle daran ist, dass dieses Theorem im Wesentlichen genauso in derQuantenmechanik, in der klassischen Feldtheorie und in der Quantenfeldtheo-rie (QFT) gilt (in der Quantentheorie gibt es zusatzlich noch diskrete Sym-metrien). Dass eine Symmetrie mit einer Erhaltungsgroße verknupftist, ist eine grundlegende Erkenntnis der Theoretischen Physik!

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

Außerdem ist es ein wesentliches Hilfsmittel bei der Formulierung der

Lagrangefunktion der fundamentalen Wechselwirkungen!Betrachten wir als weiteres Beispiel, dass L invariant unter raumlichen

Drehungen, Gl. (2.52), ist:

∂ 

∂ν (T ν  q)

ν =0

= n × r

=⇒ ∂L

∂ xi

(n × r)i =   p · (n × r) = n · (r ×   p) = n ·  L = const .

(2.57)

Wir erhalten damit die Komponente des Drehimpulses, n ·  L, in n–Richtung.Da wieder n beliebig ist, folgt, dass der Drehimpuls zeitlich konstant ist. Da-mit folgt aus der Rotationsinvarianz die Drehimpulserhaltung (3 Parameter).

Beim spharischen Pendel hatten wir gesehen, dass die Koordinate φ nichtin L vorkommt, also eine zyklische Koordinate ist. Aus ihr folgt pφ konstantist. Das sieht man, auch mit Hilfe des Noether–Theorems. Wahlen wir nin Richtung der z–Achse und variieren φ, erkennt man das L, Gl. (2.34),invariant bleibt und das Noether–Theorem ergibt Lz konstant.

Betrachten wir eine zeitliche Translation

T ν  q(t) = q(t + ν ) (2.58)

und nehmen wir den Fall an, dass L nicht explizit von der Zeit t abhangt,d.h.

∂L

∂t= 0 , (2.59)

dann gilt

∂ 

∂ν 

(T ν  q(t))ν =0

=∂ 

∂ν 

q(t + ν )ν =0

= q(t)

∂L

∂ qq = const (2.60)

und weiters

∂ 

∂ν L(q(t + ν ),

d

dtq(t + ν ))

ν =0

=

α

∂L

∂qαqα +

∂L

∂ qαqα

=d

dtL(q(t), q(t) ) = 0 , (2.61)

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2.5. Erhaltungss atze und Symmetrien

das nichts anderes bedeutet, als dass L(q(t), q(t)) konstant sein muss. Damit

kann man die folgende Konstante E  definieren

E  =

α

∂L

∂ qαqα − L(q(t), q(t)) (2.62)

Welche physikalische Große ist E ? Wir konnen zunachst mal ein Beispielbetrachten. Die Lagrangefunktion von einem Teilchen in einem Potential U ist gegeben durch

L =m r 2

2− U (|r|) . (2.63)

Damit ergibt sich E  zu

E  := mr 2 − mr 2

2+ U (|r|) =

mr 2

2+ U (|r|) (2.64)

und damit nichts anderes als die Energie!Das war naturlich ein spezielles Beispiel. Um es allgemein zeigen zu

konnen, betrachten wir die Ableitung nach der Zeit und nach einer kurz-en Rechnung sieht man (UE)

d

dtE  = −∂L

∂t. (2.65)

Damit haben wir gezeigt, dass falls die Lagrangefunktion nicht explizit vonder Zeit t abhangt, die Energieerhaltung gilt! Wir werden diese Fragestellungnoch mal im Abschnitt 2.7 aufwerfen.

Jetzt haben wir fast alle Moglichkeiten der 10 verschiedenen Galileitrans-formationen verwendet. Es fehlt noch der Galileiboost. Dazu muss das Noethertheo-rem ein wenig verallgemeinert werden. Wir haben dies bereits f ur die Zeitrans-lationssymmetrie gemacht.

Erweitertes Nother–Theorem: Falls die Lagrangefunktion unterder Transformation sich durch eine totale Funktion der Zeitandert, also:

∂ 

∂ν L(T ν q(t),

d

dt(T ν q(t)), t)

ν =0

=d

dtf (q(t), q(t), t) ,(2.66)

dann gibt es die folgende Erhaltungsgroße:

f α=1

∂L

∂ qα

∂ 

∂ν (T ν q)α

ν =0

− f (q, q, t) = const. (2.67)

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

Genau dieses haben wir bei der Zeitranslationssymmetrie benutzt bzw. her-

geleitet.Betrachten wir die folgende spezielle Galileitransformation

T ν r = r + ν n t , (2.68)

wobei n ein beliebiger Einheitsvektor ist und damit n t := v die Geschwindig-keit, mit der sich ein anderes Inertialsystem bewegt. Betrachten wir weitersN  Teilchen unter dem Einfluss einer Kraft, die nur vom Abstand der Teilchenuntereinander abhangt. Es gilt f ur den Ortsvektor des n-ten Teilchens

T ν r(n) = r (n) + ν n t . (2.69)

Die Lagrangefunktion L andert sich bei dieser Transformation

L(. . . , T  ν r(n), . . . ) =

N n=1

m(n)

r (n) + ν n2

2− 1

2

n=m

U (|r (n) − r (m)|)    

unabhangig von ν 

(2.70)

nur um eine totale Zeitableitung (es gilt also das erweiterte Nother–Theorem):

⇒ ∂L∂ν 

ν =0

=N 

n=1

m(n)(r (n) + ν n) · n

ν =0

=N 

n=1

m(n) r (n) · n

=d

dtn ·

N n=1

m(n) r (n) . (2.71)

Nun brauchen wir nur noch

∂ 

∂ν T ν r

(n)

ν =0

= n t f ur alle n = 1, . . . , N   (2.72)

zu berechnen und erhalten

−→N 

n=1

  p (n) · n t − n ·N 

n=1

m(n) r (n) = n · (  P t − M   R(t)) = const, (2.73)

wobei wir die Massenmittelpunktskoordinate  R wie zuvor definiert haben,also durch

 R(t) =1

N n=1

m(n) r (n)(t) . (2.74)

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2.6. Welche Eigenschaften erleichtern das Erraten von L noch? 

Da n beliebig war, folgt, dass aus der Geschwindigkeitstransformation die

Erhaltung des Massenmittelpunktsbewegung (3 Parameter)

 R(t) =  R0 +1

M  P t (2.75)

f uhrt.Bemerkung: Da die raumliche Translationsinvarianz der potentiellen Ener-

gie die Galileiinvarianz der potentiellen Energie impliziert, ist es nicht ver-wunderlich, dass die Massenmittelpunktsbewegung aus der Impulserhaltungfolgt.

Zusammenfassend haben wir gezeigt, dass f ur die Galileigruppe mit 10unabhangigen Parametern durch das Nother–Theorem 10 Erhaltungsgroßenfolgen:

Invarianz Erhaltungsgroße

zeitliche Translation Energieerhaltung (1 Parameter)

raumliche Translation Impulserhaltung (3 Parameter)

Drehungen Drehimpulserhaltung (3 Parameter)

Geschwindigkeittransformation Massenmittelpunktsbewegung (3 Parameter)

2.6 Welche Eigenschaften erleichtern das Er-raten von L noch?

Hier eine Zusammenfassung:

• Wir haben bereits erkannt, damit eine Bewegungsgleichung resultiert,qα in L mindestens quadratisch vorkommen muss.

• Multipliziert man L mit einer Konstanten, so andert sich die Bewe-gungsgleichung nicht. Das kann man zum Skalieren verwenden.

• Addiert man zu L eine Konstante, dann andert sich die Bewegungsglei-chung nicht.

• Addiert man zu L ein totale Zeitableitung, so andert sich die Bewe-gungsgleichung nicht (siehe UE):

L −→ L = L(q, q, t) +d

dtF (q, t) . (2.76)

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

•Besteht ein System aus zwei Teilsystemen A und B, die jeweils abge-

schlossen sind und damit in keiner Wechselwirkung stehen, dann setztsich die Lagrangefunktion des Gesamtsystems additiv aus denen derTeilsystem zusammen: LA+B = LA + LB .

• Hat man zwei Teilsystemen A und B, die miteinander wechselwirken,dann kann man folgenden Ansatz wahlen:

LA+B = LA(qA, qA, t) + LB(qB, qB, t) + LW (qA, qB, qA, qB, t) . (2.77)

Damit muss man “nur” LW  erraten.

Oft kommt es vor, dass zwar System A von System B beeinflusst wird,

dass aber die Ruckwirkung von A auf  B vernachlassigbar ist (Beispiel:Satellit/Erde). Aber Achtung, das bedeutet keinen Widerspruch zu ac-tio = reactio; naturlich sind die entsprechenden Krafte entgegengesetzt,aber die Massen der System konnen sich stark voneinander unterschei-den. Daher kann man als niedrigste Losung die Bewegung in B durchLosen von

∂LB

∂qB

=d

dt

∂LB

∂ qB

(2.78)

erhalten und die Losung qB = q(0)B (t) in LA+B einsetzen. Zur Herleitung

der Bewegungsgleichung von A kann man dann

L(0)A+B = LA(qA, qA, t) + LW (qA, q(0)

B , qA, q(0)B , t) , (2.79)

da LB nicht mehr zur Bewegungsgleichung beitragt. Das System Abewegt sich daher unter dem Einfluss der Krafte, die B “von außen”(d.h. bei vorgegebener Bewegung q

(0)B ) auf  A ausubt. Man nennt diese

Naherung eine “Bewegung im außeren Feld”, wobei man hier schonerkennt, dass das Wort “Feld” sich auf das von B erzeugt Potentialbzw. die zugehorigen Krafte bezieht (siehe auch Abschnitt 1.4).

• Wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, ist naturlich jede Symme-trietransformation, bei der die Bewegungsgleichungen ihre Form behal-ten, eine Einschrankung an L und hilft beim “Erraten” der Funktion.

2.7 Der Lagrange– und Hamiltonformalismus

Wie wir gesehen haben, sind die Lagrangegleichungen das Analogon zu denNewtongleichungen 2. Ordnung. Wir konnen uns also die Frage stellen, ob esauch ein Gegenstuck zu den Newtonschen Gleichungen 1. Ordnung gibt?

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2.7. Der Lagrange– und Hamiltonformalismus 

Dazu brauchen wir ein Gegenstuck zu der generalisierten Koordinate qα,

hier bietet sich der generalisierte Impuls an

 pα =∂L

∂ qα. (2.80)

Diese Große nennt man auch kanonischen Impuls, die Variablen qα, pα heißenzueinander kanonisch konjugiert.

Als nachsten Punkt beschaftigen wir uns nochmals mit der Frage, wel-cher Ausdruck im kanonischen Formalismus der Energie entspricht und unterwelchen Umstanden diese erhalten ist (vergleich auch mit Abschnitt 2.5). Lselbst kommt als Energie sich nicht in Frage, f ur ein konservatives System

ist sie ja L = E kin − U  und nicht L = E kin + U , ist aber doch nahe an derEnergie dran. Betrachten wir einmal die Zeitableitung von L

dL

dt=

∂L

∂t+

α

∂L

∂qαqα +

∂L

∂ qαqα

=∂L

∂t+

α

∂L

∂qαqα + pα qα

=∂L

∂t+

α

( ˙ pα qα + pα qα) , (2.81)

wobei wir bei letzten Gleichheitszeichen die Bewegungsgleichung genutzt ha-ben.

Der letzte Term ist nichts anderes als die Zeitableitung vonα pα qα, d.h wir haben

dL

dt=

∂L

∂t+

d

dt

α

 pα qα

=⇒ dH 

dt= −∂L

∂t(2.82)

mit H (qα, pα, t) = α

 pα qα − L(qα, qα, t) .

Die Große H  heißt Hamiltonian (wir haben sie bereits beim har-monischen Oszillator kennengelernt).

Wir sehen hier auch sehr schon, dass Ergebnis aus Abschnitt 2.5, falls Lnicht explizit von der Zeit abhangt, ist die rechte Seite gleich Null und damitH  erhalten und naturlich umgekehrt, falls H  zeitlich konstant ist, dann hangtL nicht explizit von der Zeit ab.

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Kapitel 2. Lagrangesche Mechanik 

Nun konnen wir auch die Bewegungsgleichungen 1. Ordnung an-

schreiben, die Hamiltonschen Gleichungen:

qα =∂H 

∂pα

(2.83)

˙ pα = −∂H 

∂qα(2.84)

Die Hamiltonschen Gleichungen erf ullen wie L auch das Wirkungsprinzip.Man erkennt sofort die Symmetrie von q und p (bis auf ein Vorzeichen)in den Bewegungsgleichungen. Sie kann formal (und das kann man auch inder Quantenmechanik) soweit getrieben werden, dass es letztlich willkurlicherscheint, was man “Impuls” oder was man “Koordinate” nennt.

Wie wir schon beim harmonischen Oszillator gesehen haben, kann manq und p in einem 2f –dimensionale Raum zusammenfassen, der so genanntePhasenraum des betrachteten Systems. Er ist zum Beispiel in der statisti-schen Mechanik ein gutes Konzept, wo der Limes von einem mikroskopischenSystem, das den Quantengesetzen gehorcht, zu einem System mit vielen Teil-chen vollzogen werden soll.

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Kapitel 3

Relativistische Mechanik

Ich habe hier eine eher formalere Zugangsweise gew   ahlt, da die so genannten Paradoxa selbst in Schulb¨ uchern sehr illustrativ und verst   andlich dargestellt werden. Mit diesem R¨ ustzeug sollte es keine großen Probleme bereiten, sich andere relativistische Effekte, Schlussfolgerungen,. . . erarbeiten zu k   onnen.

Die Maxwellsche Theorie (1864) beschreibt die elektromagnetischenVorgange in zutreffender Weise, d.h. die experimentellen Beobachtungen stim-

men mit der Theorie uberein. Das Licht ist ein elektromagnetischer Wellen-vorgang, der sich mit großer, aber endlicher Geschwindigkeit c ≈ 300000km/sausbreitet. Als Medium wurde zunachst der so genannte Ather angenommen.Alle anderen bekannten Wellen, wie Wasserwellen, Schallwellen, bewegen sich  ja auch in einem Medium, also war die Annahme eines Mediums absolutnaheliegend. In einem raffinierten Experiment haben Michelson und Morley(1887) versucht, den Atherwind nachzuweisen, der sich bei der Bewegung derErde um die Sonne (v ≈ 30km/s) ergeben musste. Obwohl die experimen-telle Genauigkeit groß genug war (≈ 5km/s), ergab sich kein Unterschied inder Geschwindigkeit des Sonnenlichtes bei Bewegung auf die Sonne zu bzw.

von dieser weg, zur Verwunderung der damaligen Physiker.Im Anschluss daran haben Fitzgerald und Lorentz (1892) erkannt, dass

sich dann auch Langenmaßstabe in Bewegungsrichtung um den Faktor 

1 − v2

c2

andern sollten. H. A. Lorentz hat 1904 (naherungsweise) die nach ihm be-nannten Transformationen f ur die Anderung von Langen- und Zeitmaßstabenbei Bewegung gefunden (W. Voigt kannte sie aber schon 1887, J. Larmor fandsie 1898). Schließlich hat Poincare (1905/06) das Relativitatsprinzip aufge-stellt: die Physik muß invariant gegen Lorentztransformationen formuliertwerden, wenn die Maxwelltheorie zutreffen soll.

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Kapitel 3. Relativistische Mechanik 

Diese Untersuchungen waren aber alle ziemlich formal und enthielten kei-

ne physikalische Interpretation, vor allem keine solche der Transformationder Zeit. Der wesentliche Schritt zur Relativitatstheorie wurde von Einstein(1905) vollzogen. Es gelang ihm, die Lorentztransformation ohne Ruckgriff auf die Elektrodynamik oder das Michelsonexperiment (und offenbar ohneKenntnis von Lorentzs Arbeiten) aus einer Analyse des Gleichzeitigkeitsbe-griffes herzuleiten und diesen physikalisch zu interpretieren: Gleichzeitigkeitist nichts Absolutes, sondern relativ, d.h. vom Bezugsystem abhangig. Ein-stein formulierte das Relativitatsprinzip und zog daraus die Konsequenz:die Mechanik muß abgeandert werden, um dem neuen Relativitatsprinzip zugenugen. Die von Einstein vorgelegte relativistische Mechanik wurde 1907

von H. Minkowski in mathematisch besonders klarer Form dargestellt (dieArbeit wurde aber erst nach Minkowskis fruhem Tod 1915 veroffentlicht).Minkowski hat in dieser Arbeit auch den entsprechend verallgemeinertenVektorkalkul f ur die relativistische Raumzeitmannigfaltigkeit entwickelt. Ein-steins beruhmte Arbeit ist außerordentlich klar geschrieben. Trotzdem wurdesie von der Universitat Bern als Habilitationsschrift wegen Unverstandlich-keit abgelehnt.

M. Planck erkannte hingegen ihre Bedeutung sofort und propagierte dieTheorie, die sich danach relativ rasch durchsetzte. Plancks damaliger Assis-tent M. v. Laue veroffentlichte bereits 1911 das erste Lehrbuch zur Relati-

vitatstheorie. Alle Aussagen der Relativitatstheorie (wie z.B. Abhangigkeitder Masse von der Geschwindigkeit, Zeitdilatation, Konstanz der Lichtge-schwindigkeit) sind experimentell mit hoher Genauigkeit bestatigt worden.

Im Gegensatz zur Quantentheorie, bei der uberraschenderweise kein gene-reller Limes von der “Quantenwelt” zur “klassischen” Welt gefunden werdenkann, folgt die Newtonsche Mechanik bei Betrachtung von Geschwindigkei-ten, die kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sind, als gute Naherung. Daherbleibt die Newtonsche Mechanik in weiten Bereichen der Physik Wahl Num-mer 1.

Die Relativitatstheorie ist heute aus vielen Bereichen nicht mehr wegzu-denken, die ohne die Kenntnis der relativistischen Mechanik unmoglich waren(Satelliten, GPS, Beschleuniger wie LHC, Myonen Zerfall,. . . ).

In der geometrischen Struktur von Raum und Zeit unterscheidet sich dierelativistische Physik wesentlich von der nichtrelativistischen. Diese Raum-zeitstruktur bildet die Grundlage f ur alle Bereiche der Physik und ist somitweit uber die Mechanik hinaus von Bedeutung. So hat die entsprechende rela-tivistische Verallgemeinerung der Newtonschen Gravitationstheorie (die all-gemeine Relativitatstheorie) zu einem neuen Verstandnis unseres Universumsund seiner Entwicklung gef uhrt, aus neueren Entwicklungen in der relativis-tischen Teilchenphysik beginnt sich ein einheitliches Bild f ur die Grundlagen

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3.1. Die Lorentztransformation

der ganzen Physik abzuzeichnen.

3.1 Die Lorentztransformation

Die Lorentztransformation tritt in der relativistischen Mechanik an die Stelleder Galileitransformation.

Das Relativitatsprinzip nach Galilei konnen wir auch so zusam-menfassen:

A Alle Inertialsystem (IS) sind gleichwertig, d.h. alle grund-legenden physikalische Gesetze haben in allen IS die gleichForm.

B Galilei: Newtons Axiome gelten in allen Inertialsystemen.

(Warum wurde Punkt B von Galilei nicht so formuliert? (Tipp:Geburtsdaten)) Aus Punkt A und B folgen die in Abschnitt 1.12besprochenen Galileitransformationen.

Aus dem Michelsonexperiment wissen wir, dass die Lichtgeschwindigkeit ckonstant ist. Diese Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist im Widerspruchzur Galileitransformation. Betrachten wir eine Zug der auf einem Zug der

wieder auf einem Zug f ahrt, auf dem wir laufen. Nach Galilei addieren sich dieGeschwindigkeiten einfach, d.h. wir konnten uns mit Uberlichtgeschwindikeitbewegen.

Also werden wir folgende Relativitatsprinzip nach Einstein for-dern:

A Alle Inertialsystem (IS) sind gleichwertig, d.h. alle grund-legenden physikalische Gesetze haben in allen IS die gleichForm.

C Licht pflanzt sich in jedem Inertialsystem mit der Ge-schwindigkeit c fort.

Die Transformationen, die Punkt A und C erf ullen, sind die Lorentztrans-formation, die auch die Maxwellgleichungen invariant lassen. Dies impliziertnaturlich, dass wir die Newtonschen Axiome abandern mussen.

Man kann verschiedenste Ansatze zur Herleitung der Lorentztransforma-tion verfolgen, wir geben hier der Kurze wegen nur das Ergebnis an unddiskutieren ihr Ergebnis:

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Kapitel 3. Relativistische Mechanik 

Die Lorentztransformation zwischen einem Inertialsystem IS’

und einem Inertialsystem IS lautet:

x

= x +(v · x) v

v2(γ − 1) − γ v t

t = γ (t − v · x

c2) (3.1)

wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist, v der Betrag von v und γ 

γ ≡ γ (v) =1

 1 − β 2(v)mit β (v) =

v

c. (3.2)

Man sieht sofort, wenn v c, dann ist γ (v) in guter Naherung 1 und wirerhalten die Galileitransformationen. Rotationen und raumliche und zeitlicheVerschiebungen sind naturlich ebenso moglich, aber diese andern zur diemathematische Beschreibung. Es kommt auf die Relativgeschwindigkeit an.

3.2 Wie schaut das Raum–Zeit Konzept derLorentztransformationen aus?

Bei Drehungen, raumlichen oder zeitlichen Verschiebungen ergeben sich kei-ne Unterschiede zwischen Galilei– und Lorentztransformationen (LT). DasRelativitatsprinzip von Galilei und Einstein implizieren gleichermaßen dieIsotropie und Homogenitat des Raumes und die Homogenitat der Zeit. ZumBeispiel die Gleichwertigkeit von Inertialsystemen mit verschieden orientier-ten Achsen. Der große Unterschied ergibt sich, wenn man Relativbewegungenzwischen zwei Inertialsystemen betrachtet. Das wollen wir uns nun genaueranschauen (vergleich mit Abschnitt 1.12).

Wir konzentrieren uns wie im Abschnitt 1.12 auf eine raumliche Dimen-sion. Fur t = 0 sollen sich die System IS und IS’ decken und die Uhrender Systeme synchronisiert sein. Das Ereignis, das durch die Koinzidenz derUrsprunge gegeben ist, hat dann die Koordinaten (ct, x , y, z) = (0, 0, 0, 0)und (c t, x, y, z) = (0, 0, 0, 0), wobei f ur alle Zeiten durch unsere Wahl derKoordinatensysteme gelten soll y = y = z = z = 0 . Wir sehen, dass wires mit vierdimensionalen “Vektoren” zu tun haben, Minkowski hat diese ineinen sehr praktischen Formalismus zusammengefasst, der neben der Kurzevor allem den Vorteil hat, falls man ein Große in diesem Formalismus hin-schreibt und einfache Regeln beachtet, dann ist diese Große invariant unterLT, das dann nicht mehr explizit zu zeigen ist.

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3.2. Wie schaut das Raum–Zeit Konzept der Lorentztransformationen aus? 

Im Allgemeinen wird ein Ereignis in der Raum–Zeit (ein Raum–

Zeit Punkt) durch die Raum–Zeit–Koordinaten

x = (xµ) = (x0, x1, x2, x3) = (c t, x) (3.3)

bezeichnet. Die Komponenten von x werden mit xµ (µ =0, 1, 2, 3) bezeichnet. Dabei gilt, verwendet man einen Griechi-schen Buchstaben, dann lauft der Index von 0 bis 3, verwendetman einen Lateinischen Buchstaben, dann lauft der Index “nur”von 1 bis 3 und bezeichnet den raumlichen Anteil. Die Mengeder Ereignisse (Punkte) wird in der speziellen Relativitatstheorieauch als Minkowskiraum bezeichnet, benannt nach dem Mathe-

matiker Hermann Minkowski (1864-1909). Das wir den Index µoben gewahlt haben ist zunachst Willkur.

Die Koordinaten der Ereignisse in den zwei IS sind durch die LT ver-knupft, Gl. (3.1). Betrachten wir ein Ereignis, das in IS’ im Ursprung ruht.Was gilt f ur dieses Ereignis im IS? Wir erhalten aus den Gl. (3.1)

(x0 = c t, x1 = 0)LT ⇐⇒ (x0 = c t , x1 = v t) (3.4)

wobei t und t noch zusammenhangen. Wir betrachten nun einen Massen-punkt in IS’, der sich in positiver x Richtung mit der Geschwindigkeit

u =dx

dt(3.5)

bewegt. Mit welcher Geschwindigkeit bewegt er sich in IS? Fur die Gali-leitransformationen hatten wir einfach u = u + v erhalten. Um diese zu fin-den, betrachten wir die Umkehrformel zur Lorentztransforamtion (die mandurch Vertauschen von IS mit IS’ und Ersetzen von v durch −v erhalt) undschreiben diese differentiell

dt = γ  (dt +v dx

c2) = γ dt(1 +

v u

c2)

dx = dx + dx (γ − 1) + γ v dt = γ dx + γ v dt . (3.6)

Durch Division erhalten wir die relativistische Geschwindigkeitsaddition

u =dx

dt=

u + v

1 + v u

c2

. (3.7)

Falls also u = c dann folgt, in Ubereinstimmung mit Einstein, u = c. Manbeachte auch, dass es keine Symmetrie zwischen u und v besteht! Der Lorentz-boost ist also eine Folge unseres adaptierter Raum–Zeit Konzepts, das wir auf 

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Kapitel 3. Relativistische Mechanik 

Grund der Experimente andern mussten! Es erscheint uns nicht intuitiv –kein

Wunder haben wir es im Alltag ja nicht mit relativistischen Geschwindigkei-ten zu tun– , aber man kann zeigen, dass es eine uberraschen einfache geo-metrische Interpretation der Geschwindigkeitsaddition gibt (siehe Feynman,Band I oder homepage.univie.ac.at/Franz.Embacher/Rel/Geschwindigkeitsaddition).

Die allgemeine relativistische Geschwindigkeitsaddition ist durch

u =dx

dt=

1

1 + v·u

c2

v + v

v · u

v2(1 − γ −1) + γ −1 u

(3.8)

gegeben (siehe auch UE).

Vertiefen wir uns weiter in die Transformationen, die Einsteins Relati-vitatsprinzip genugen. Betrachten wir zwei Ereignisse mit den Koordinatena = (aµ) = (c t1, x1, y1, z1) und (bµ) = (c t2, x2, y2, z2) in IS, dann wollen wirfolgende Große betrachten:

s2ab := c2(t2 − t1)2 − (x2 − x1)2

= c2(t2 − t1)2 − (x2 − x1)2 − (y2 − y1)2 − (z2 − z1)2 . (3.9)

Es f allt zunachst auf, dass diese Große negativ, positive oder Null sein kann.

Nun betrachten wir diese Große in einem IS’, also

s 2ab := c2(t2 − t1)2 − (x

2 − x

1 )2

= c2(t2 − t1)2 − (x2 − x

1)2 − (y2 − y1)2 − (z2 − z1)2 . (3.10)

Experimentell findet man, dass

s2ab = s 2

ab . (3.11)

Das bestatigt sich auch wenn man die LT einsetzt (so kann sie auch gefun-den werden). Physikalisch haben wir die Große gefunden, die invariant ist

unter LT, und die wir als “Quadrat des (vierdimensionalen) Abstandes” oder“Raum–Zeit–Abstand ” bezeichnen, in Anlehnung an die entsprechende Großein einem kartesischen Koordinatensystem im Rn.

Zur Vereinfachung der Schreibweise kann man zweifach indizierte Großedefinieren

g = (gµν ) = gµν ) =

1 0 0 00 −1 0 00 0 −1 00 0 0 −1

(3.12)

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3.2. Wie schaut das Raum–Zeit Konzept der Lorentztransformationen aus? 

und es gilt gµν gµν  = 1     . Dann lasst sich der Viererabstand zweier Ereignisse

a = (aµ) = (c t1, x1, y1, z1) und b = (bµ) = (c t2, x2, y2, z2) mit Hilfe desmetrischen Tensors gµν  kompakt als

s2ab = gµν  (aµ − bµ)(aν  − bν ) Summenkonvention! (3.13)

schreiben.

Allgemein bezeichnet man einen Minkowskivektor mit einem oberen Indexals kontravarianten Vektor und einen Minkowskivektor mit unteren Index alskovarianten Vektor, wobei die Umrechnung uber den metrischen Tensor der

flachen Raum–Zeit erfolgt:

(xµ) = (ct, x , y, z) kontravariant Vierervektor

(xµ) =

c t−x−y−z

kovarianter Vierervektor

mit xµ = gµν  xν , xµ = gµν  xν  (3.14)

und damit lasst sich das Lorentzinvariante Abstandsquadrat kompakt durch

s2ab = (aν  − bν )(aν  − bν ) (3.15)

schreiben.

Man kann das Abstandsquadrat s2 als eine Funktion der Koordinatens2 = F (t, x) betrachten, aber auch als eine Funktion der Koordinaten ineinem anderen IS s2 = F (t, v

). Die Gleichung

s2 = F (t, x) = (c t)2

−x 2 = 0

−→ (dxdt

)2 = c2 (3.16)

beschreibt dann eine Hyperflache im vierdimensionalen Raumzeitkontinuum,die im Ursprung eine Spitze hat. Diese Hyperflache heißt der Lichtkegel desEreignisses P  = (0, 0) und ermoglicht eine geometrisches Verstandnis derLorentztransformationen und ist in Fig. 3.1 veranschaulicht. Es beschreibtein Objekt, das sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. Allgemein kann manfolgende Klassifizierung vornehmen:

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Kapitel 3. Relativistische Mechanik 

Abbildung 3.1: Der Lichtkegel.

Fur infinitesimal benachbarte Ereignisse mit Koordinaten x =(x0, x) −→ x + dx = (x0 + dx0, x + dx) folgt dann, dass f ur denVierabstand zwischen diesen beiden Ereignissen gilt:

ds2 = c2 dt2 − dx 2 = inv. (3.17)

Der Abstand zweier Ereignisse kann in 3 Arten klassifiziert wer-den:

ds2

= c2

dt2

− dx2 = 0 lichtartig

< 0 raumartig> 0 zeitartig (3.18)

und kann geometrisch durch den einen Kegel veranschaulichtwerden, Fig. 3.1.

Wir haben unser Raum–Zeit Konzept, also auch darin zu andern, das esnicht nur eine unmittelbare punktuelle Gegenwart gibt, sondern einen ganzenBereich, den wir als Gegenwart auffassen konnen.

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3.3. Auswirkungen des ver anderten Raum–Zeit Konzepts:

Lorentzkontraktion und Zeitdilatation

Abbildung 3.2: Lorentzkontraktion

3.3 Auswirkungen des veranderten Raum–Zeit

Konzepts: Lorentzkontraktion und Zeit-dilatation

Auch die Abmessungen eines Objektes hangen vom Bewegungszustand ab.Der “graphische Fahrplan” f ur das ganze Objekt wird offenbar durch dieWeltlinien aller Atome beschrieben, aus denen das Objekt besteht. Fur einenausgedehnten Gegenstand erhalt man eine sogenannte “Weltrohre”.

Betrachten wir wieder die Lorentztransformation in der x–Richtung unduntersuchen einen Maßstab, der in IS’ ruht und die Lange l hat (vgl. Abb. 3.2).Anfangs- bzw. Endpunkt seien x1 bzw. x2. Dann ist l = x

2 − x1 (gemessenzur Zeit t = 0). Die Weltlinien des Anfangs- bzw. Endpunktes sind parallelzur c t–Achse. Der Maßstab erscheint im ursprunglichen IS kurzer.

Setzen wir in der Transformationsformel t = 0, so erhalten wir

l = x2 − x

1 = γ (x2 − x1)

−→ l = l 

1 − β 2 (3.19)

Die Lorentzkontraktion ist ein reziproker Effekt: Von IS’ aus sieht ein inIS ruhender Maßstab kurzer aus. Quer zur Bewegungsrichtung erfolgt keineKontraktion.

Wie sieht es mit Zeitmaßstaben aus? Da sich bei einem Lorentzboost auchdie Zeitkoordinate andert, gibt es kein “absolute” (d.h. vom Bezugssystem

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Kapitel 3. Relativistische Mechanik 

unabhangige) Zeit. Betrachten wir die Weltlinie eines Teilchens, dass sich

mit einer wechselnden Geschwindigkeit u in der Gegend von c bewegt, abernaturlich ist u immer kleiner c. Diese Kurve ist eine zeitartige Linie: sieverlauft so, dass in jedem ihrer Punkte die Tangente innerhalb des im Punkterrichteten Lichtkegels liegt. In einem (x, t)–Diagramm muss diese Kurve alsonach oben laufen und darf sich nirgends zu stark krummen. Zur Bestimmungder Bogenlange verwenden wir das invariante Differential

ds2 = c2 dt2 − dx 2 = c2 (dt

)2 − (dx

) 2 . (3.20)

Fur jeden Punkt der Kurve kann man ein Koordinatensystem konstruieren,dass sich im entsprechenden Zeitpunkt mit dem Teilchen mitbewegt, i. Allg.in jedem Punkt ein anderes Koordinatensystem. Dieses System heißt mo-mentanes Ruhesystem. In diesem System gilt dx

= 0 −→ ds = c dt

,das Bogenelement misst damit in jedem Punkt das c–fache des Zeitintervalls,das eine von den Teilchen mitgef uhrte Uhr anzeigt. Man nennt diese daherEigenzeit

dτ  :=ds

c. (3.21)

Diese ist klarerweise wie ds invariant.

Vergleicht man zwei Weltlinien, z.B, die f ur ein ruhendes Objekt 1 und einungleichf ormig bewegtes Objekt 2, so entspricht der scheinbar langeren Welt-linie 2 die kurzere Bogenlange

sAB =

 B

A

ds , (3.22)

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3.4. Wie sehen Impuls– und Energiebegriff f ur ein relativistisches Teilchen

aus? 

da in ds2 = c2 dt2

−dx 2 “mehr” abgezogen wird.

Fur das Eigenzeitintervall als Funktion der Geschwindigkeit u = d xdt erhaltman das Bogenelement

dτ  =1

cds = dt

 1 − u2

c2< dt Zeitdilatation . (3.23)

Die von einer bewegten Uhr angezeigten Zeitintervalle sind daher um denFaktor

 1 − β 2 kleiner als die ruhende Uhr. Daher gehen bewegte Uhren

langsamer, wenn man das von einem ruhenden System aus beurteilt.Experimente: Myonen der kosmischen Strahlung, Flugzeugexperimente,

Zwillinge,. . .

3.4 Wie sehen Impuls– und Energiebegriff f urein relativistisches Teilchen aus?

Wir untersuchen hier die Mechanik eines relativistischen Teilchens und damitden Unterschied zu Newtons Welt. Dabei ist es praktisch gleich die Vierervek-toren, also den Minkowskiraum einzuf uhren, da es dann einfacher ist, Lorent-zinvariante Großen zu definieren. Als zweites Kriterium f ur eine vernunftigeGroße wollen wir, dass im Limes v viel kleiner als c, die nichtrelativistische

Mechanik folgt. Wir werden sehen, dass es nicht immer eine eindeutige rela-tivistische Verallgemeinerung gibt.

Die Bahn eines relativistischen Teilchens wird einerseits durch x(t), an-dererseits durch x0 = ct festgelegt. Damit konnen wir einen Vierervektorkonstruieren xµ(t). Da sich t bei Lorentztransformationen andert, verwendenwir lieber die Eigenzeit τ  und erhalten die Weltlinie xµ(τ ). Die Tangente andie Weltlinie

uµ : =dxµ

ds=

dxµ

c dτ (3.24)

ist die Vierergeschwindigkeit, sie ist dimensionslos. Jedoch definiert man

v :=dx

dt(3.25)

als relativistische Geschwindigkeit, so wird mit uµuµ = dxµdxµ(ds)2

= 1:

ds = 

c2(dt)2 − (dx)2 = c dt

 1 −

dx

cdt

2

= c dt

 1 − β 2 . (3.26)

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Kapitel 3. Relativistische Mechanik 

Damit haben wir

u0 =dx0

ds= c

dt

ds= γ 

u =dx

ds=

dx

dt

dt

ds=

v

cγ , (3.27)

und damit ist die Bezeichnung von (uµ) = γ (1, v/c) als Vierergeschwindigkeitsinnvoll.

Wie sieht der nichtrelativistische Grenzfall v c aus?

Dazu entwickeln wir γ  f ur β  1

γ  = 1 +β 2

2+

3β 4

8+ . . . (3.28)

und sehen, dass die raumlichen Komponenten von der Vierergeschwindig-keit (uµ) = γ (1, v/c) in u = v/c) ubergehen, also in die nichtrelativistischeGeschwindigkeit. Weiters analog zu Newtons Theorie definieren wir einenrelativistischen Impuls durch

 pµ = m c uµ = m cdxµ

ds= m

dxµ

dτ 

( pµ) = m γ  (c, v) . (3.29)

Die raumlichen Komponenten gehen f ur den nichtrelativistischen Grenzfallin den nichtrelativistischen Impuls uber. Wie sieht es mit der zeitlichen Kom-ponente aus? Der Ausdruck c p0 hat die Dimension einer Energie. Daher

( pµ) = ( p0,   p) = (E 

c,   p) (3.30)

und haben so die relativistische Energie E  definiert. Da uµ ein Vierervektorist, ist auch pµ ein Vierervektor, den wir Energie–Impulsvektor nennen, under erf ullt die Lorentzinvarianz:

 pµ  pµ = m2 c2 , (3.31)

das wir in Worten so ausdrucken konnen; der Vektor pµ liegt auf der Massen-schale (Englisch: on shell), damit ist das durch diese Gleichung und p0 > 0charakterisierte Hyperboloid gemeint.

In Termen von der relativistischen Energie und dem relativistischen Im-puls   p lautet die obige Gleichung:

E  =

 c2   p 2 + (m c2)2 . (3.32)

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3.5. Aquivalenz von Masse und Energie 

Wie sieht die Energie–Impuls-Beziehung im nichtrelativistischen

bzw. hochrelativistische Limes aus?

Wir erhalten

E  = 

(m c2)2 + c2   p 2 ∼

m c2 +   p 2

2 m

1 − (   p 2

2 m)2 + . . .

f ur |  p| m c

c |  p| f ur |  p| m c

Wir erkennen im nichtrelativistischen Limes, dass die relativistische Energiedie Ruheenergie m c2, die kinetische Energie   p 2

2 mund relativistische Korrek-

turen enthalt. Im hochrelativistischen Limes hangt die Energie nicht mehr

quadratisch vom Impuls ab, sondern linear!

3.5 Aquivalenz von Masse und Energie

Fur Prozesse in abgeschlossenen Systemen gilt die Erhaltung der relativisti-schen Energie als Folge der Zeittranslationsinvarianz. Das hat f ur Systemeaus N  Teilchen weitreichende Bedeutung. Insbesondere gilt

E  =N 

n=1

E n =N 

n=1

E kin,n +N 

n=1

mn c2 = const, (3.33)

wobei E kin,n durch die Differenz der relativistischen Energie E n minus der

Ruheenergie mnc2 definiert ist. Die kinetische EnergieN 

n E kin,n und die

RuheenergieN 

n mn c2  jeweils f ur sich sind im Allgemeinen nicht erhalten!Daher kann sich in einem Prozess Ruheenergie in kinetische Energie oderumgekehrt umwandeln.

Beispiel: Der Anfangszustand sei durch N  Neutronen und Z  Protonengegeben, der Endzustand sei dann ein Kern, dann ergibt die Energiebilanz:

(N mn + Z m p)c2 = M Kern c2 + ∆E  , (3.34)

wobei ∆E  die kinetische Energie des Kerns und/oder die Energie, die abge-strahlt wird.

3.6 Wie behandelt man Teilchen mit Ruhe-masse 0?

Photonen besitzen bekanntlich keine Masse, sie bewegen sich mit Lichtge-schwindigkeit durch unsere Welt. Man kann die Vierergeschwindigkeit uµ

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Kapitel 3. Relativistische Mechanik 

nicht mehr wie vorher definieren, γ (v = c) =

∞. Hingegen ist der Energie–

Impulsvektor pµ ein “guter” Vektor, man erhalt aus der Energieformel ledig-lich, das er ein lichtartiger Vektor ist

m = 0 : pµ  pµ = 0, E  = c |  p| . (3.35)

Noch einmal zeigt sich der Vorteil des Impulsbegriffes gegenuber dem Begriff der Geschwindigkeit! Und er ist physikalisch dadurch zu rechtfertigen, dassman feststellt, dass Licht Impuls ubertragt (“Lichtdruck”). Eigentlich habenwir damit die Quantentheorie betreten: erst diese sagt aus, dass Licht ausPhotonen mit dem Impuls

 pµ

= kµ

, (kµ

) = (

ω

c ,  k), mit | k| =

λ (3.36)

besteht. Fur Teilchen mit Masse 0 ist also der Energie–Impulsvektor ein licht-artiger Vektor. Die Transformationseigenschaften von kµ bei Lorentztrans-formationen außeren sich im Dopplereffekt und Aberration (Richtungsande-rung) des Lichtes.

3.7 Anwendungen: Teilchenphysik

Nun sind wir gerustet, um die Kinematik von Zerf alle von Teilchen, Streu-

ungen oder Erzeugung von Teilchen zu berechnen.

Ganz allgemein haben wir am Anfang N i Teilchen und nach dem ProzessN f  Teilchen (i...initial, f . . . final). Wir wissen, dass die Energie–Impuls–Erhaltung gilt, also f ur die einlaufenden Teilchen mit dem Viererimpuls pa

und f ur die auslaufenden Teilchen mit dem Viererimpuls qa gilt:

N ia=1

 pa =

N f a=1

qa . (3.37)

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3.7. Anwendungen: Teilchenphysik 

3.7.1 Der Zerfall von einem Teilchen

Wir haben also ein Teilchen im Anfangszustand und betrachten die einfachsteMoglichkeit, zwei Teilchen im Endzustand (2–Teilchen-Zerfall). Zum Beispiel

π± −→ µ±(−)ν  µ.

Es gibt also

P  = p1 + p2

→ (E/c,  P ) = (E 1/c,  p1) + (E 2/c,  p2) (3.38)

wobei E  = c  P 

2

+ M 2

c2

und E i = c   pi

2

+ m2

i c2

mit i = 1, 2. Wir ma-chen uns das Leben leicht und setzen uns ins Ruhesystem des zerfallendenTeilchens (≡ Massenmittelpunkt), hier gilt  P  =  0:

(Mc, 0) = ( 

  p12 + m2

1 c2,   p1) + ( 

  p22 + m2

2 c2,   p2) (3.39)

bzw.

M c = 

  p12 + m2

1 c2 + 

  p22 + m2

2 c2 ≥ m1 c + m2 c

 0 =   p1 +   p2 (3.40)

Wir erkennen, dass der Zerfall nur moglich ist, falls M  ≥ m1 + m2, d.h.schwere Teilchen konnen in leichtere Zerfallen, aber nicht umgekehrt. Dasbedeutet aber auch, dass es Teilchen gibt, die stabil sind und nicht mehrin leichtere zerfallen konnen, da es keine leichteren gibt. Aus der zweitenGleichung sieht man, das der Betrag der Impulse der Zerfallsprodukte gleichsein muss und die Richtung entgegengesetzt. Umgekehrt ist falls man findet,das zwei Teilchen genau entgegengesetzten Impuls haben, dann ist sind siedurch einen Zerfall eines Teilchens entstanden.

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Kapitel 3. Relativistische Mechanik 

Das obige Gleichungssystem kann man jetzt naturlich losen, indem man  p2 =

−  p1 in die erste Gleichung, der Energieerhaltung, einsetzt, daraus erhalt

man dann |  p1|, E 1, E 2. Wir konnen die Losung aber auch ohne Zerlegung derVierervektoren in zeitliche und raumliche Komponenten erhalten (hier sehenwir auch den Vorteil der 4er Vektorschreibweise):

P  = p1 + p2 ⇒ P  − p1 = p2

⇒ (P  − p1)2 = p22 ⇒ M 2 c2 + m2

1c2 − 2 P  · p1 = m22 c2 . (3.41)

Im Ruhesystem des zerfallenden Teilchens ist P  ·  p1 = M E 1 und damithaben wir schon die Losung

⇒E 1 =

(M 2 + m21 − m2

2) c2

2M E 2 =

(M 2 + m22 − m2

1) c2

2M (3.42)

Ein weiteres Beispiel ist der Zerfall π0 −→ γγ  mit M π0 135MeV/c2.Hier gilt m1 = m2 = mγ  = 0 und damit E 1 = E 2 = M π0c2/2 67.5M eV .

3.7.2 Wie sieht die Kinematik der Teilchenerzeugungaus?

In Beschleunigerexperimenten werden in der Regel zwei Teilchen aufeinan-

der geschossen. Wir haben also zwei Teilchen im Anfangszustand und einigeTeilchen im Endzustand. Wir betrachten hier zwei Teilchen im Endzustand,zum Beispiel e− e+ −→ µ+µ−:

 p1 + p2 = q1 + q2 (3.43)

bzw.

  p12 + m2

e c2,   p1) + ( 

  p22 + m2

e c2,   p2) =

 q12 + m2

µ c2, q1) + ( 

q22 + m2

µ c2,  q2) . (3.44)

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3.8. Um den Kreis zu schließen: Wie sieht der relativistische Kraftbegriff 

aus? 

Im Massenmittelpunktsystem gilt   p1 +   p2 =  0 und daraus folgt f ur dieEndprodukte  q1 +  q2 =  0 und damit

E e± = c 

  pi2 + m2

e c2 = c 

qi2 + m2

µ c2 ≥ mµ c2 . (3.45)

Damit ist dieser Prozess nur moglich falls die Energie des Elektrons unddes Positrons großer als die Ruheenergie der Myonen. Darum werden umneue oder andere Teilchen in einem Beschleuniger zu erzeugen, die Teilchenbeschleunigt, d.h. ihre Energie erhoht.

3.8 Um den Kreis zu schließen: Wie sieht der

relativistische Kraftbegriff aus?

Wir werden hier untersuchen, wie das 2. Newtonsche Axiom relativistischverallgemeinert werden kann. Wir werden sehen, dass das nicht ganz so klarist.

Das 2. Newtonsche Axiom lautet (falls m nicht explizit von t abhangt,was wir im weiteren annehmen)

mdv

dt=  F N  , (3.46)

wobei wir den Index N  eingef uhrt haben, um zu betonen, dass wir die nicht-relativistische Kraft, die Newton Kraft, meinen. Das Inertialsystem, in demdas Teilchen die Geschwindigkeit v(t) hat, bezeichnen wir durch IS . Das mo-mentane Ruhesystem des Teilchens bezeichnen wir mit IS . Bewegt sich zumZeitpunkt t0 das IS’ relativ zu IS mit der konstanten Geschwindigkeit v(t0),dann ist die Geschwindigkeit f ur das kleine Zeitintervall (t0−dt ≤ t ≤ t0 +dt)

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Kapitel 3. Relativistische Mechanik 

im IS’ beliebig klein, es ruht in guter Naherung. Wir wissen, dass das 2. Axi-

om f ur nichtrelativistische Geschwindigkeiten gut bestatigt ist, daher gehenwir davon aus, dass das 2. Axiom im Ruhesystem IS’ exakt  gilt:

mdv

dt=  F N  relativistisch gultig in IS’ . (3.47)

Achtung: Das Teilchen ruht zwar naherungsweise im IS’, aber die zeitlicheAbleitung von der Geschwindigkeit muss nicht null sein. Wie wir bei denAxiomen besprochen haben, definiert das 2. Axiom die Masse m und dieKraft  F N  als Messgroßen. Wir werden diese Definitionen ubernehmen, abersie nur  auf das Ruhesystem, Gl.(3.47), beziehen! Als haben wir

m = Masse in IS’ = Ruhemasse F N  = Kraft in IS’ . (3.48)

Wir haben hier die Kraft und Masse nach wie vor im Newtonschen Sinne de-finiert, beziehen diese Definition jetzt aber auf das momentane Ruhesystem!

Bei Newton waren diese zwei Großen unabhangig vom Inertialsystem,f ur nichtrelativistische Geschwindigkeiten sollten daher keine messbaren Un-terschiede auftreten. Die Bewegungsgleichungen im IS folgen dann aufgrundEinsteins Relativitatsprinzips mittels der Lorentztransformation angewendet

auf die gultigen Gleichungen im Ruhesystem IS’.Wir konnen aber, da wir uns schon mit der Viererschreibweise vertraut ge-macht haben, anders vorgehen:

Wir haben die Vierergeschwindigkeit uµ analog zu Newton defi-niert, verfahren wir genauso f ur die Viererbeschleunigung

bµ :=d2xµ

dτ 2= c2 d2xµ

ds2= c

duµ

dτ (3.49)

und postulieren in Analogie zum 2. Newtonschen Axiom, die

relativistische Bewegungsgleichung durch

m bµ =dpµ

dτ = m c

duµ

dτ := f µ ,

wobei f µ die Viererkraft oder Minkowskikraft ist.

Den Vierervektor f µ werden wir jetzt so definieren, dass im momentanenRuhesystem das 2. (nichtrelativistische) Axiom gilt, wie oben besprochen.Im momentanen Ruhesystem IS’ ist die Vierergeschwindigkeit zwar durch

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3.8. Um den Kreis zu schließen: Wie sieht der relativistische Kraftbegriff 

aus? 

uµ = (c, v

=  0) gegeben, allerdings gilt nicht dv

dτ = 0. Die Kraft im IS’ legen

wir durch unsere Definition fest:

(m cduµ

dτ ) = m (0,

dv

dτ ) : = (f µ) = ( 0,  F N ) . (3.50)

Durch die Lorentztransformation mit −v, erhalten wir die Minkowiskikraftdie im IS, in dem sich das Teilchen mit v bewegt gilt.

Um die relativistische Bewegungsgleichung (3.50) zu erhalten, haben wirdie Vierer-Großen jeweils mit dem Hinweis eingef uhrt, dass diese die jeweils“naheliegendste relativisitsche Verallgemeinerung” sei. Die Gultigkeit vonGl. (3.50) folgt unabhangig von diesen Plausibilitatsargumenten:

1. Gl. (3.50) ist eine vierer Vektorgleichung, d.h. sie ist Lorentzinvariant(Einteins Relativitatsprinzip).

2. Gl. (3.50) ist im momentanen Ruhesystem gultig (Forderung).

Die hieraus gewonnene Bewegungsgleichung f uhrt zu Vorhersagen, die signi-fikant von den Newtonschen Bewegungsgleichungen abweichen und experi-mentell uberpruft werden konnen.

Betrachten wir hier ein Beispiel, um den Zusammenhang zwischen derNetwonschenkraft und der Minkowskikraft zu illustrieren. Fur eine spezielleLorentztransformation (v = v e1) erhalten wir

(f µ) = (f 0,  f ) = (γ v

cF 1N , γ F 1N , F 2N , F 3N ) . (3.51)

Teilen wir die Newtonsche Kraft in einen zur Geschwindigkeit v parallelenund senkrechten Anteil auf,  F N  =  F N  +  F N ⊥, dann haben wir

(f µ) = (f 0,  f ) = (γ v

cF N , γ  F N  +  F N ⊥) . (3.52)

Somit haben wir den Zusammenhang zwischen der im Ruhesystem spezifi-zierten Newtonschenkraft und der Minkowskikraft berechnet.

Aber ist der Zusammenhang auch eindeutig?  Man findet in der Lite-

ratur allerdings auch einen anderen Zusammenhang: Falls man uµuµ = 1 nach sdifferenziert, erhalt man uµ

ds = 0 und damit uµf µ = 0. Daher ist die Minkowski-kraft f µ orthogonal zu uµ bzw. pµ und damit ein raumartiger Vektor. Man kannf 0 durch die r aumlichen Komponenten  f  ausdr ucken und erhalt (analog zu oben)

f 0 =1

cv ·  f . (3.53)

Definieren wir uns jetzt eine relativistische Kraft, die Einsteinkraft durch

 F  =d  p

dτ (3.54)

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Kapitel 3. Relativistische Mechanik 

haben wir 

(f µ) = γ (v ·  F 

c,  F ) . (3.55)

Allerdings im Gegensatz zu f µ transformiert sich die Einsteinkraft  F  bei Lorentz-transformationen nicht sehr einfach. Die Einsteinkraft kann hier als γ  F N  aufgefasstwerden. Hier haben wir jetzt den Widerspruch zu oben f ur die r aumlichen Kom-

 ponenten:

(γF 1N , F 2N , F 3N ) = (γF 1N , γF 2N , γF 3N ) . (3.56)

Im Rahmen der Newtonschen Theorie kann der “richtige” Zusammenhang nicht

entschieden werden.

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Kapitel 4

Elektrodynamik: Ein

Paradebeispiel einerrelativistischen Theorie

Wir haben schon gesehen, dass die Coulombkraft bis auf die M   oglichkeit der Abstoßung identisch ist zur Schwerkraft. Damit gelten einige der Aussagen aus den vorangegangen Kapiteln auch f   ur Teilchen, die eine Ladung besitzen gilt. Wir setzen hier den Schwerpunkt, dass die Elektrodynamik ein Parade-

beispiel einer relativistische Theorie ist. Hier k   onnen leider all die anderen interessanten Fragestellungen nicht einmal erw   ahnt werden.

4.1 Einleitung

Die Elektrodynamik beschaftigt sich mit allen elektrischen und magnetischenErscheinungen. Sie ist eine relativistische Theorie. Viel Phanomene wurdenaber bereits lang vor der Entwicklung der relativistischen Mechanik im Rah-men der klassischen Physik beschrieben (Ampere, Faraday und Maxwell).

Die Elektrodynamik ist eine Feldtheorie (Nahwirkungstheorie, siehe Ab-

schnitt 1.4), ihre Phanomene werden durch 6 Funktionen  E (x, t) und  B(x, t)beschrieben, die nur von den Koordinaten im Raum und der Zeit abhangen(eine lokale Theorie). Das  E –Feld wir von ruhenden Ladungen erzeugt und

das  B–Feld von bewegten Ladungen hervorgerufen. Da wir immer die Freiheitbesitzen uns ein physikalischen Phanomen von einem beliebigen Bezugssys-tem anzuschauen, ist klar, das f ur einen Beobachter in einem Bezugssystemeine Ladung ruhen kann, f ur einen anderen Beobachter hingegen (der sichrelativ dazu bewegt) die Ladung nicht ruht. Daher folgt, dass elektrische Fel-der sich bei so einem Ubergang in ein anderes Bezugssystem in magnetische

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Kapitel 4. Elektrodynamik: Ein Paradebeispiel einer relativistischen

Theorie 

Felder ubergehen oder umgekehrt. Die Aufspaltung in elektrische und ma-

gnetische Phanomene ist daher vom Bezugsystem (vom Bewegungszustanddes Beobachters abhangig, der die Beschreibung vornimmt) abhangig undhat daher keine tiefere Bedeutung bzw. ist insofern willkurlich. Man kanndaher nur von elektromagnetischen Phanomenen sprechen. Es macht abertrotzdem Sinn sich in solche besonderen Bezugssystem zu setzen, da hier dieGesetze einfach werden und man gut sehen kann wie der Hase lauft.

Da die Felder uberall im Raum vorhanden sein sollen, ist die Elektro-dynamik eine Theorie eines Kontinuums. Ihre Bewegungsgleichungen, dieFeldgleichungen (Maxwellschen Gleichungen) beschreiben die Anderungen

der Feldstarken  E  und  B im Raum und Zeit und ihre Wechselwirkung mit

Ladungen und Stromen.Ebenso wie andere Naturgesetze oder Grundgleichungen der Physik sind

die Maxwellgleichungen nicht ableitbar oder beweisbar. Sie konnen entwederals Postulat, Axiom, aufgestellt oder als Verallgemeinerung von Schlusselex-perimenten (etwa der Coloumbkraft) plausibel gemacht werden.

Die Maxwellsche Theorie ist ein Standardbeispiel f ur eine vereinheitlichteTheorie. Darunter versteht man, dass zunachst getrennt behandelte Phano-mene im Rahmen einer einzigen Theorie verstanden und beschrieben werdenkonnen. Heute spricht man auch von der elektroschwachen Theorie, der Ver-einheitlichung von elektromagnetischen Wechselwirkung und der schwachen

Wechselwirkung (Radioaktivitat) von Weinberg, Salam und Glashow. Diedrei Herren sagen die Existenz von Vektorbosonen (Z 0 und W ±) voraus, diein den achtziger Jahren auch bei Beschleunigerexperimenten nachgewiesenwurden.

Es ist ein Ziel der heutigen Physik, alle Wechselwirkungen, also insbeson-dere auch die starke Wechselwirkung und die Gravitationswechselwirkung,im Rahmen einer vereinheitlichten Theorie zu verstehen, gelungen ist diesallerdings noch nicht.

4.2 Die Lagrangefunktion der Elektrodyna-mik

Wir konnen jetzt das erstmal den Lagrangeformalismus anwenden, um einnicht klassisches Phanomen zu beschreiben. Wenn wir die Lagrangefunkti-on richtig erraten, dann sollten wir zu den Bewegungsgleichungen gelangenund damit zu der Lorentzkraft. Zunachst werden wir aber ein wenig allge-meiner diskutieren, wie eine Lagrangefunktion f ur ein relativistisches Systemaussieht.

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4.2. Die Lagrangefunktion der Elektrodynamik 

4.2.1 Wie sieht die Lagrangefunktion f ur ein freies re-

lativistisches Teilchen aus?

Die Bahnkurve eines freien relativistischen Massenpunktes kann durch xi(t)oder durch xα(τ ) beschrieben werden. Der jeweilige allgemeiner Ansatz f urdie Lagrangefunktion lautet

L1(x, x, t) oder L2(x, u) . (4.1)

Im Argument von L2 steht, wie wir es f ur die relativistische Mechanik erarbei-tet haben, x f ur x0, x1, x2, x3 und die Vierergeschwindigkeit u f ur u0, u1, u2, u3.Uber x0 = c t kann die Lagrangefunktion L2 auch explizit von der Zeit

abhangen. Eine explizite τ  Abhangigkeit in L2 muss nicht angegeben wer-den, da τ  eine Funktion der anderen Argumente ist.Wie wir bereits gesehen haben, f uhren unterschiedliche Lagrangefunktio-

nen zu gleichen Bewegungsgleichungen. L1 und L2 mussen daher nicht gleichsein, die Lagrangefunktion ist ja keine physikalische Große. Damit sie zu glei-chen Bewegungsgleichungen f uhren, muss allerdings δS  = 0 gleich sein. Wirwerden uns weiter Einschranken und verlangen, dass auch die Wirkung S selbst gleich ist, also soll gelten

S  =

 t2

t1

L1(x, x, t)dt =

 t2

t1

L2(x, u)dt . (4.2)

Fur ein freies nichtrelativistischen Teilchen haben wir die Lagrangefunkti-on erraten. Hier werden wir ahnliches machen und dabei von Nothers Theo-rem zu Hilfe nehmen. Denn f ur ein freies Teilchen gelten die allgemeinenRaum–Zeit Symmetrien. Aus der Homogenitat des Raumes wissen wir, dassL1 nicht vom Ort x abhangen darf. Wegen der Homogenitat der Zeit darf L1

nicht von t abhangen und wegen der Isotropie des Raumes darf  L1 nur vonv 2 abhangen. Damit konnen wir den folgenden Ansatz machen

L1 = f (v 2) . (4.3)

Der einfachste Ansatz L1

∝v 2 f uhrt nicht zur richtigen nichtrelativistischen

Lagrangefunktion, wenn man den Limes nimmt. Die Lagrangefunktion, diewir suchen, muss naturlich Einsteins Relativitatsprinzip berucksichtigen. Al-lerdings ist nicht klar wie wir das anstellen sollen, da v kein Lorenzvektorist. Wir verfolgen daher einen anderen Weg: Wir kennen die relativistischeBewegungsgleichung f ur den Fall f µ = 0, also f ur ein freies Teilchen. Ausdem Vergleich

d

dt

∂L1

∂vi= 0 ⇐⇒ d

dt

mv(t) 1 − v2(t)

c2

= 0 (4.4)

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Kapitel 4. Elektrodynamik: Ein Paradebeispiel einer relativistischen

Theorie 

erkennen wir

L1(v) = −const

 1 − v2

c2= −m c2

 1 − v2

c2. (4.5)

Nochmals zur Erinnerung, verschiedene Lagrangefunktionen f uhren zur sel-ben Bewegungsgleichung. Wir haben hier die Konstanten so gewahlt, dasssich im nichtrelativistischen Limes die nichtrelativistische LagrangefunktionL1 = mv 2/2, also die kinetische Energie (bis auf eine additive Konstante)ergibt. Achtung: Die relativistische Lagrangefunktion L1 ist nicht einfachdie relativistische kinetische Energie! Nur f ur nichtrelativistische mechani-sche Systeme mit nur konservativen Kraften ist die Lagrangefunktion, die

kinetische Energie minus der potentiellen Energie.Nun wagen wir uns an die Lagrangefunktion, die von den Vierervektoren

x und u abhangen soll, und deren Wirkung mit der von L1 ubereinstimmt.Wieder mussen die Raum–Zeit Symmetrien gelten und wir erhalten dadurchEinschrankungen. Durch die Homogenitat des Raums darf  L2 nicht von xi

abhangen und durch die Homogenitat der Zeit nicht von x0 = ct abhangen.Die Isotropie des Raumes und die Relativitat der Raum–Zeit verlangt, dassdie Lagrangefunktion ein Lorentzskalar sein soll, also L2 soll nur von uµuµ

abhangen, d.h.

L2 = f (uµuµ) . (4.6)

Wie sieht in dieser Formulierung das Hamiltonsche Prinzip aus? Hierzumuss t durch die Eigenzeit τ  ersetzt werden, also

δ

 τ 2

τ 1

L2 dτ  = 0 (4.7)

und die Euler–Lagrangen Bewegungsgleichungen lauten

d

dτ 

∂L

∂uµ=

∂L

∂xµ. (4.8)

Setzen wir nun unsere Lagrangefunktion L2 ein, erhalten wir

d

dτ (2 f (uµuµ) uµ) = 0 . (4.9)

Jetzt hangen die vier Funktionen von uµ(τ ) von einander ab, den nach giltuµuµ = 1. D.h. das es egal ist, welche Funktion f  wir ansetzen, da ihre Va-riable eine Konstante ist. Wir erhalten damit die (vier)Bewegungsgleichung

d

dτ uµ = 0 (µ = 0, 1, 2, 3) . (4.10)

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4.2. Die Lagrangefunktion der Elektrodynamik 

Achtung: Die Bedingung uµuµ = 1 darf nicht in L2 selbst eingesetzt

werden, da bei der Variation δS  auch Bahnen uµ + δuµ zugelassen sind, diediese Bedingung nicht erf ullen. Fur alle tatsachlichen moglichen Bahnen istdiese Bedingung erf ullt! Daher konnen wir sie in jede physikalische Große,wie die Bewegungsgleichung, einsetzen, jedoch nicht in die Lagrangefunktion!

Wir wahlen jetzt f  so, dass die Wirkung von L1 und L2 gleich sind, alsoGleichung (4.2) gilt:

 L1dt = −mc2

  1 − v 2

c2dt = −mc

  d(ct)

dτ 

2

dx

dτ 

2

dτ 

= −mc2   uµuµ dτ  =  L2(u) dτ . (4.11)

Damit haben wir jetzt die Lagrangefunktion f ur L2 f ur ein freies relativisti-sches Teilchen mit den Vierervektoren gefunden:

L2 = −m c2 

uµuµ . (4.12)

Hierf ur ist die Wirkung gleich dem Wegintegral f ur die Bahn des Teilchens:

S  =  τ 2

τ 1

dτ L2 = −m c2

 τ 2

τ 1

dτ  uµuµ = −m c 

2

1  dxµdxµ

= −m c

 2

1

ds . (4.13)

Das ist der einfachst mogliche lorentzskalare Ausdruck f ur die Bahn einesMassenpunktes in der Raum–Zeit.

Bemerkung: Wie wir schon ofters gesehen haben, ist die Wahl der La-grangefunktion nicht eindeutig, verschiedene Lagrangefunktionen f uhren zurgleichen Bewegungsgleichung und beschreiben damit die gleiche Physik. DieForm (4.12) haben wir hier so gewahlt, dass die Wirkungen von L1 und L2

gleich sind (das muss ja nicht sein!) und L1 haben wir so gewahlt, dass im

nichtrelativistischen Grenzfall die vertraute kinetische Energie L1 −→ mv2

2

herauskommt. Diese Wahl f ur L2 hat jedoch einen Schonheitsfehler, der ver-allgemeinerte Impuls

∂L

∂uµ= − pµ = −mcuµ . (4.14)

Also ergibt das “falsche” Vorzeichen. Man konnte dies vermeiden indem manL2 in −L2 ubergehen lasst (ist ja erlaubt, f uhrt zur gleichen Bewegungsglei-chung), aber dann hat man L1 −→ −L1 = −mv 2

2, was man wieder nicht

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Kapitel 4. Elektrodynamik: Ein Paradebeispiel einer relativistischen

Theorie 

haben will. Moglich ware auch zu fordern, dass die Wirkungen nicht gleich

sind. Zusammenfassend erkennen wir, dass es keine eindeutige Wahl f ur dieLagrangefunktion gibt. Viele Lagrangefunktionen f uhren zu der selbenBewegungsgleichung und im Grenzfall mussen nicht die richtigenKonstanten herauskommen!

4.2.2 Wie sieht die Lagrangefunktion f ur geladene Teil-chen aus?

Nun sind wir bereit ein Teilchen im elektromagnetischen Feld relativistisch zu

betrachten. Die Lagrangefunktion wir sich aus dem kinetischen Teil zusam-mensetzen und einer Funktion, die die Krafte beschreibt. Den kinetischen Teilhaben wir im vorigen Abschnitt hergeleitet. Um die Krafte f ur die L2, (4.12),Darstellung zu berucksichtigen, benotigen wir eine relativistische Theorie derzugrunde liegenden Kraftfelder. Wir wissen, dass die elektrischen und ma-gnetische Kraft auf ein geladenes Teilchen eine konservative Kraft ist und sogeschrieben werden kann (siehe Seite 27):

 F kons = − Φ(x, t) +q

cx ×  B(x, t) , (4.15)

wobei man das elektrische Feld durch

 E (x, t) = − Φ(x, t) − 1

c

∂  A(x, t)

∂t(4.16)

geschrieben werden kann und das magnetische Feld auch durch das dreidi-mensionale Vektorpotential  A sich ergibt:

 B(x, t) =   ×  A(x, t) . (4.17)

Das skalare Potential Φ und das Vektorpotential  A konnen auch als Vierer-

vektor zusammengefasst werden:

Aµ(x) := (c Φ, Ax, Ay, Az) = (c Φ(x, t),  A(x, t)) . (4.18)

Wir wissen, dass wenn etwas unter den Lorentztransformationen invari-ant sein soll, das wir naturlich f ur die Lagrangefunktion fordern, dann musses ein Lorentzskalar sein. Aµ alleine ist kein Lorentzskalar. Wenn man einbisschen herumprobiert, dann kann man folgenden Zusatzterm zur freien La-grangefunktion aufstellen:

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4.2. Die Lagrangefunktion der Elektrodynamik 

Die Lagrangefunktion der Elektrodynamik lautet

LElektrodynamik(x, u) = L2 = −mc2 

uµuµ − qc

Aµ(x)uµ .

(4.19)

Im Argument dieser Lagrangefunktion kommen die Potenzialenicht vor, da die Aµ(x) außere gegebene Felder sind und keineGroßen, die zu variieren sind. Jedoch entspricht nicht jedes belie-be Feld, einem wirklichen elektromagnetischen Feld, wie bereitserortert.Wir konnen die Lagrangefunktion aus oben auch so hinschreiben:

LElektrodynamik(x, v, t) = L1

= −mc2

 1 − v 2

c2− q Φ(x, t) +

q

cv ·  A(x, t) . (4.20)

Mit der Lagrangefunktion konnen wir uns nach dem ublichen Rezept dieBewegungsgleichungen ausrechnen.

Beginnen wir mit L1. Der kanonisch konjugierte Impuls (3 dimensional)ist durch

( Π)i = ( p)i =∂L1

∂vi

= γmvi +q

cAi = (  p +

q

c A)i (4.21)

definiert und mit L∂xi

= . . . und ddt

∂L1

∂vierhalten wir (4.25).

Das gleich konnen wir f ur L2 machen, dazu benotigen wir

d

dτ (

∂L2

∂uν ) =

d

dτ (−m c2 uν 

 uµuµ    1

− q

cAν (x)) = −m c2 duν 

dτ − q

c

∂Aν 

∂xµ

dxµ

dτ 

= −m c2 duν 

dτ − q

c

∂Aν 

∂xµuµ , (4.22)

wobei im 2. Schritt uµuµ gleich c2 gesetzt werden durfte, da hier nicht mehrdie Abhangigkeit eingeht, und die andere Seite der Euler-Lagrange-Gleichungen

∂L2

∂xν = −q

c

∂Aµ

∂xν uµ . (4.23)

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Kapitel 4. Elektrodynamik: Ein Paradebeispiel einer relativistischen

Theorie 

Die zwei Ergebnisse konnen wir so zusammenfassen und erhal-

ten, die Bewegungsgleichungen der Elektrodynamik (in manifestkovarianter Form):

mduν 

dτ =

q

cF νµ uµ . (4.24)

Der Ausdruck F µν  ist der beruhmte Feldstarketensor, der die

Ableitungen des 4–Potenzials  A zusammenfasst:

(F µν ) = (∂Aν 

∂xµ

−∂Aµ

∂xν 

) =

0 E x E y E z−E x 0 −Bz By

−E y Bz 0 −Bx−E z −By Bx 0

.

Damit lauten die raumlichen Komponenten

d  p

dt= q (  E +

v

c×  B) :=  F L (4.25)

und zeigt das die Zeitableitung des relativistischen Impulses   p =mγv nichts anderes ist als die Lorentzkraft!

Die Lorentzinvarianz erkennt man auch gleich durch (F µν )(x) = Lµα F αβ (x)Lν 

β 

bzw. in Matrixschreibweise F  = LF L−1 (L. . . beliebige Lorentztransforma-tion).

Damit hat man die manifest kovariante (= Gleichung, in dernur Vierervektoren und/oder Vierertensoren auftreten, haben inallen Inertialsystemen gleiche Form) Bewegungsgleichungen:

c pν 

dτ = q F νµ uµ (4.26)

gefunden. Der raumliche Anteil ist die Lorentzkraft (4.25) undder zeitliche Teil beschreibt die zeitliche Anderung der Energie

E rel

dt= q

v

c·  E . (4.27)

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4.3. Die Lorentzkraft und ihr nichtrelativistischer Limes 

4.3 Die Lorentzkraft und ihr nichtrelativisti-

scher Limes

Betrachten wir die Bewegungsgleichung der Elektrodynamik, Gl.(4.24), ihrraumlicher Anteil ergibt die Lorentzkraft

 F L =d  p

dt

=d

dt

mv

 1 − v2

c2

= q (  E +v

c×  B) . (4.28)

Im nichtrelativistischen Grenzfall vc

1 erhalten wir

mdv

dt= q (  E +

v

c×  B) + O(

v2

c2) . (4.29)

Damit ist die Lorentzkraft bis auf hohere Ordnungen im nichtrelativistischenFalle gleich, daher kann sie auch in der nichtrelativistischen Mechanik ein-gesetzt werden und jetzt ist klar, warum geschichtlich gesehen, nicht gleicherkannt wurde, warum die Galileitransformation, also das Konzept eines ab-soluten Raumes und einer absoluten Zeit, nicht stimmen kann.

4.4 Die Maxwell Gleichungen

James Maxwell formulierte bereits im Jahr 1864 die nach ihm benanntenMaxwell Gleichungen, ubrigens ganz ohne Vektorrechnung! Es sind die Grund-gleichungen f ur die Elektrodynamik und konnen damit (noch nicht) aus all-gemeineren Prinzipien abgeleitet werden und damit konnen wir diese Glei-chungen als Axiome betrachten. Sie fassen sehr viele zunachst unterschiedlicherscheinende experimentelle Erfahrungen zusammen, aber —und eine der be-deutendsten Leistungen der Theoretischen Physik— gehen aber weit daruber

hinaus.Anhand dieser Gleichungen sagte Maxwell u.a. die elektromagnetischen

Wellen voraus und leitete ihre Eigenschaften ab. Insbesondere zeigte er, dasssich diese “Verknupfung” aus elektrischen und magnetischen Wellen mit einerendlichen Geschwindigkeit, der Lichtgeschwindigkeit, ausbreitet. Das standim Gegensatz zur damaligen Ansicht, dass derartige Erscheinungen unendlichschnell sind. Das Potential ist eine Funktion von den Raumkoordinaten vonu.a. sehr weit entfernten Teilchen, eine Anderung des Potential “erfahren”die Teilchen unendlich schnell.

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Kapitel 4. Elektrodynamik: Ein Paradebeispiel einer relativistischen

Theorie 

Heinrich Hertz (1887) fand dann die vorhergesagten elektromagnetischen

Wellen und Hermann Minkowski dehnte die Maxwellschen Gleichungen be-wegte Korper aus und machte sie damit allgemein gultig.

Fur sehr kleine Entfernungen, also im atomaren Bereich, sind die MaxwellGleichungen nicht anwendbar. Dort gelten die Gesetze der Quantenelektro-dynamik (QED).

Wir haben die messbaren elektrischen und magnetischen Felder durch ihrePotentiale Φ,  A ausgedruckt. Damit haben wir sechs Felder zu vier Feldernreduzieren konnen und hatten den folgenden Zusammenhang gefunden

 E  =−

 

Φ

−1

c

∂  A

∂t B =   ×  A . (4.30)

Wir wollen jetzt diese Gleichungen so umschreiben, dass nur noch elektri-schen und magnetischen Felder vorkommen. Dazu betrachten wir (wer denEpsilon Tensor nicht kennt, muss es “ausixen”, dauert zwar lang, aber mansieht alles f allt weg):

div  B :=   ·  B =   · (  ×  A) = iεijk jAk

= εijk

i

 jAk = 0 . (4.31)

Da der Epsilon Tensor antisymmetrisch die Ableitungen aber symmetrischist der obige Ausdruck null. Und wir betrachten die Große

rot  E  :=   ×  E  =   × (−  Φ − ∂  A

∂t)

= −  × ∂  A

∂t= − ∂ 

∂t  ×  A = −∂  B

∂t(4.32)

Und damit haben wir die erste Gruppe der Maxwellschen Glei-

chungen, die homogenen Maxwell Gleichungen, gefunden:

div  B(x, t) = 0

rot  E (x, t) = −1

c

∂  B(x, t)

∂t(4.33)

Die erste Gleichung sagt aus, dass es keine magnetischen La-dungen, keine magnetischen Strome und insbesondere keine ma-gnetischen Monopole gibt. Die zweite sagt aus, dass zeitlicheAnderungen des Magnetfeldes ein elektrisches Feld induziert.

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4.4. Die Maxwell Gleichungen

Bemerkung: Man erkennt, dass elektrische und magnetische Phanomene

nicht symmetrisch sind!

Uns fehlen noch die so genannten inhomogenen Maxwell Glei-chungen, sie sind gegeben durch

div  E (x, t) =1

ε0

ρ(x, t)

c2rot  B =1

ε0

  j(x, t) +∂  E (x, t)

∂t. (4.34)

Hier treten zwei neue Großen, die Quellterme ρ und  j auf. DieLadungsdichte ρ(x, t) ist die Ladung bezogen auf ein bestimmtes

Volumen und das Integral uber ein beliebiges (dreidim.) Volumenergibt die in diesem Volumen zur Zeitpunkt t enthaltene Ladung: 

dx3 ρ(x, t) = QV (t) . (4.35)

Die Stromdichte   j(x, t) (Ladung pro Zeit und Flache) integriertuber eine beliebige Flache ergibt den zum Zeitpunkt t fließendenStrom I F  (Ladung pro Zeit): 

d  f  ·  j(x, t) = I F (t) . (4.36)

Leitet man die inhomogene Maxwell Gleichung mit div  E  nach der Zeitab und bilden die Divergenz der anderen inhomogenen Gleichung, ergibtdie Kombination der beiden resultierenden Gleichungen die Kontinuitats-gleichung, also den Satz von der Erhaltung der elektrischen Ladung

∂ 

∂t ρ(x, t) + div  f (x, t) = 0 . (4.37)

Bis heute wurde in keinem Experiment eine Verletzung der Ladungszahl ge-messen, es scheint also ein Grundprinzip unserer uns umgebenden Welt zusein!

Die Kontinuitatsgleichung konnen wir auch in der vierdimensionalen Formhinschreiben:

∂ 

∂xµ jµ (4.38)

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Kapitel 4. Elektrodynamik: Ein Paradebeispiel einer relativistischen

Theorie 

mit ( jµ) = (c ρ,  j). Beispiel: Ladungsverteilung in IS, ergibt Ladungsvertei-

lung und Strom in IS’Zum Abschluss konnen wir auch noch die Maxwell Gleichungen in der

Viererschreibweise und damit in manifest kovarianter Form hinschreiben:

∂ 

∂xµF µν  =

1

c ε0 jν (x) . (4.39)

Die zeitliche Komponente ergibt die inhomogene Maxwellgleichung mit demQuellterm ρ, die raumlichen Komponenten ergeben die inhomogene Maxwell-gleichung mit dem Quellterm   j.

Die homogenen Gleichungen erhalt man mit dem dualen Feldstarketensor

F µν  :=1

2εµνst F st ·

0 Bx By Bz

−Bx 0 E z E y−By E z 0 E x−Bz −E y E x 0

, (4.40)

wobei εµνst ein total antisymmetrische Tensor ist und damit konnen die ho-mogenen Gleichungen auch so angeschrieben werden

∂ 

∂xµF µν  = 0 . (4.41)

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Literaturverzeichnis

[1] Bernhard Baumgartner, Skriptum zur Theoretischen Physik f urs Lehr-amt, 2006.

[2] Thorsten Fließbach, Mechanik, Spektrum, Heidelberg, 2003.

[3] Walter Greiner, Theoretische Physik 1, Verlag Harri Deutsch, 2003.

[4] Gerhard Ecker, Skriptum zur klassischen Mechanik, 2006.

[5] Heinrich Mitter, Mechanik, Vorlesung uber Physik 1,http://physik.kfunigraz.ac.at/ hem

[6] Helmut Neufeld, Skriptum zur Theoretischen Physik f urs Lehramt, 2007.

[7] Feynman, Leighton und Sands, Feynman Vorlesungen uber Physik,Band I, Oldenbourg, 1987.

[8] . . .

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