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theorieheft Orte und Formen - Zeit und Atmosphären Dimensionen 2007 - 2017 20170912

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t h e o r i e h e f t

Orte und Formen - Zeit und AtmosphärenDimensionen

2007 - 2017

20170912

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INHALT 07

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ARCHITEKTURWERKSTATT............................................................................

ESSAY...........................................................................................................

INTERVIEW...................................................................................................

FORSCHUNGSANSATZ.................................................................................

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“Immer wenn Dir eine Theorie als die einzig mögliche erscheint, nimm das als Zeichen, dass Du weder die Theorie noch das zu lösende Problem verstanden hast.”

Karl PopperObjektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf 1984

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Maria Casale Luongo, Angelo Luongo, Armando Nasso, Gerardina Luongo Nasso, Tiziana Nasso

Michele Lanza, Heinz Tesar, Nicola Di Battista, Dietmar Eberle

Marc Blinkenstorfer, Domenico Di Cola, Martin Doebeli, Marisa Iarrera, Marie Louise Eliopolos, Peter Eugster, Chrsitopher Lilliefelth, Christina Kennel, Andreas Kurtz, Norbert Kremmel, Luongo Giuseppe, Patrizia Luongo Oesch, Erik Maey, Adreas Sax, Gianluigi Spreafico, Daniel Schweizer, Mertens Willi, Ugur Uzdemir

Roberto Bianchi, Adrian Heusser, Carlo Missio, Michael Metzger, Emil Münger, Guy Muntwyler, Lucrezia Muti, Adrien Noirjean, Christian Palumbo, Spartaco Paris, Cornelius Rechsteiner, Mitsunori Sano, Pier Solieri, Stefano Valzer, Dominik Wenger, Dimitri Westermann

Gilberto Bellino, Sebastian Bietenhader, Gregorio Candelieri, Lucio Crignola, Roy Engel, Jann Erhard, Kevin Frei, Giulia Giardini, Tino Glimmann, Felix Good, Hubert Holewick, Joni Kacani, Tim Kils, Samuel Klingele, Erica Pasetti, Nicolo’ Krättli, Carlo Magnaguagno, Stefan Maier, Patrick Meng, Audrey Mondoux, Alba Montis, Demian Peper, Lea Prati, Luca Rösch, Jonathan Sedding, Andreas Schneller, Raphael Stähelin, Leandro de Stefani, Mario Sommer, Lena Unger, Andrea Zarn, Yuda Zheng, Tieme Zwartbol

DANK

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Caspar David Friedrich, Der Wanderer über dem Nebelmeer1818

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Marcello Nasso | Architect AAM USI SIA | Rotachstrasse 4 - CH 8003 Zürich | via Omboni 6 - IT 20129 Milano | +41 43 540 3626 | +41 79 454 3812 | [email protected] | www.marcellonasso.com

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ARCHITEKTURWERKSTATT 09

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ARCHITEKTURSYSTEMATIK...........................................................................

ORGANISATION.............................................................................................

KATEGORIEN................................................................................................

HANDWERKHEFT..........................................................................................

TECHNIKEN..................................................................................................

ZIELE............................................................................................................

WERKSTATTSTRUKTUR.................................................................................

ZEITGEIST.....................................................................................................

DICHTEN.......................................................................................................

KENNWERTE.................................................................................................

BRANDSCHUTZ.............................................................................................

SPANNWEITEN..............................................................................................

KONSTRUKTION...........................................................................................

RASTEREINHEIT............................................................................................

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“Alles was ich mache wird durch die Frottagetechnik AUTOMATISCH ein Wald. Das war der Anfang einer neuen Serie von Bilder und Themen”

Max Ernst

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In der BIOSYTEMATIK ist der Mensch in seiner Art ein HOMO SAPIENS. Seine Gattung ist der HOMO, welche der Familie der MENSCHENAFFEN (HOMIDAE) angehört. Die MENSCHENAFFEN sind in der Ordnung der PRIMATEN einzufügen. Die PRIMATE gehören in die Klasse der SÄUGETIERE (MAMMALIA). Die SÄUGETIERE gehören ins Reich der TIERE.

In diesem Sinn wurden fünf Kategorien in hyrarchischer Abfolge definiert, um die Art (die Spezie) eines LEBEWESENS eindeutig zu betimmen: Reich, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung.

Führen wir diese Methode aus der BIOLOGIE auf die ARCHITEKTUR über, sprechen wir anstatt von der Art um ein LEBEWESENS bestimmen zu können, vom Typ um eine Struktur an einem ORT eindeutig definieren zu können.

Anders als in der BIOSYSTEMATIK, welche in erster Linie dazu dient die Art zu bestimmen, geht es in unserer ARCHITEKTURSYSTEMATIK neben der Untersuchung der vorliegenden Typen, vor allem darum eine Typengrup-pe zu entwickeln.

Die Kathegorien, welche wir in dieser ARCHITEKTURSYSTEMATIK definiert haben sind folgende: VOLUMEN/GEGENVOLUMEN, GRENZFLÄCHEN, HORI-ZONTALE ÜBERGANGSSEQUENZEN, VERTIKALE ERSCHLIESSUNGSSYSTEME, VERNETZUNGEN/VERKNÜPFUNGEN.

Die Anwendungsweise dieser ARCHITEKTURSYSTEMATIK geht über die ARCHITEKTURWERKSTATT.

ARCHITEKTURSYSTEMATIK

Wachstum des Menschen

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Im Mittelpunkt dieser ARCHITEKTURWERKSTATT steht die praktische und empirische Auseinandersetzung mit der Architektur über das Machen.

ORGANISATION und antizipatorisches Denken sind die wichtigsten Fähigkei-ten für eine strukturierte herangehensweise an eine Architektur.

Richard Sennet schreibt in seinem Buch “Handwerk”, dass Motivation wichtiger ist als die Begabung und dass der Hang zum Perfektionismus nur eine extreme Form von Ambition ist.

Sennet selbst war bevor er Soziologe wurde Musiker und sagt, dass in der Musik die Handlung um einen Ton zu erzeugen, bevor der Ton erklingt stattfindet. Dies bedeutet, dass ein falscher Ton im Rahmen eines Stückes irreversiebel ist. Aus diesem Grunde muss geübt werden, bis man das Stück beherrscht.

Das kontinuierliche Scheitern ist Teil des Lernprozesses. Bei der Aufführung muss man dann immer einen Schritt voraus sein. Antizipatorisches Denken ist eine der wichtigsten Fähigkeiten um ein Projekt realisieren zu können.

ORGANISATION

Charles Joseph Minard, Grafik über Napoleons Russland Feldzug1869

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Die zur Verfügung stehende Zeit nutzen wir um Architektur über fünf KATE-GORIEN zu untersuchen und zu entwickeln.

Diese fünf KATEGORIEN nennen wir VOLUMEN / GEGENVOLUMEN, GRENZ-FLÄCHEN, HORIZONTALE ÜBERGANGSSEQUENZEN, VERTIKALE ERSCHLIES-SUNGSSYSTEME und VERNETZUNGEN / VERKNÜPFUNGEN.

An diese fünf KATEGORIEN nähern wir uns über kontinuierlich grösser werdende Modellebenen an, wie wir diese aus dem von Charles und Ray Eames im Jahre 1977 für die IBM realisierten Kurzfilm „Powers of Ten“ kennen. Mit jeder KATEGORIE wird das Ganze in seinen Teilen schärfer und präziser erarbeitet und entwickelt.

Jede KATEGORIE wird auf den entsprechenden Modellebenen durch jeweils zwei Werkstattblöcke analysiert und entwickelt. Die ganze ARCHITEK-TURWERKSTATT besteht insgesamt aus zehn Werkstattblöcken.

In den Werkstattblöcken GRUNDLAGEN UNTERSUCHUNGEN PRÄSENTATION - mit ungerader Ziffer I/III/V/VII/IX gekennzeichnet - erarbreiten wir das Basismaterial durch die notwendigen Analysen und stellen diese Inhalte auf DIN A3 Formate dar.

In den Werkstattblöcken ARCHITEKTUR ENTWURF KONSTRUKTION - mit gerader Ziffer (II/IV/VI/VIII/X) - setzten wir die jeweilige KATEGORIE auf der entsprechenden Massstabsebene in eine Architektur um.

KATEGORIEN

KATEGORIE Werkstattblock Modellebene

VOLUMEN/ I/II 1:5000 / 1:1000GEGENVOLUMEN

GRENZFLÄCHEN III/IV 1:5000 / 1:1000 1:500 HORIZONTALE V/VI 1: 5000 / 1:1000ÜBERGANGS - 1:500 / 1: 333SEQUENZEN VERTIKALE VII/VIII 1:5000 / 1:1000ERSCHLIESSUNGS - 1:500 / 1:333SYSTEME 1: 250 VERNETZUNGEN / IX/X 1: 5000 / 1:500 VERKNÜPFUNGEN 1: 500 / 1:333 1:250 / 1:100

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Mit jedem Werkstattblock fügen wir dem HANDWERKHEFT neue Projekt-blätter hinzu. Parallel dazu revidieren wir die bereits erarbeiteten DIN A3 Blätter fortlaufend, so dass zum Schluss der ARCHITEKTURWERKSTATT das HANDWERKHEFT die Entwicklung einer in sich kohärenten und logischen Architektur darstellt.

Nach der Bearbeitung jeder KATEGORIE präsentieren die Beteiligten ihre Ar-beiten im Plenum auf DIN A3 Blätter. Diese DIN A3 Blätter bilden die Inhalte eines kontinuierlich wachsenden HANDWERKHEFT.

In diesem Sinn dient das HANDWERKHEFT in einem ersten Moment als Entwurfsinstrument, um mit den Beteiligten das Projekt im offenen Diskurs zu entwickeln und zu erarbeiten. In einem zweiten Moment dient das HAND-WERKHEFT als Präsentationsgrundlage, damit die Beteiligten die jeweiligen Architekturen im Plenum an der Wand vorstellen können. In einem dritten Moment dient das HANDWERKHEFT als Dossier, welches in gedruckter und elektronischer Form verbreitet werden kann.

HANDWERKHEFT

Giovanni Battista Nolli, Nuova Topografia di Roma 1748

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Fokus

Der bewusste und genaue Umgang mit der geschriebenen Sprache über die TEXTE, die Ermittlung der ökonomischen Effizienz über die DATEN, die genaue Anwendung der zeichnerischen Darstellung anhand von PLÄNEN, die präzise Ausführung von 3D - MODELLEN und der geübte und korrekte Einsatz der Instrumente der Visualisierung zur Realisierung von BILDER, soll letztendlich sicherstellen, dass die ganz persönliche Geschichte, der eigene Charakter jedes Beteiligten in jede Modellebene einfliessen kann und so Teil der Architektur wird.

Diese TECHNIKEN (TEXTE, DATEN, PLÄNE, 3D_MODELLE, BILDER) schaffen die wesentlichen Inhalte zur Realisierung des HANDWERKHEFTES und zur Präsentation der Architekuren im Plenum.

„Der methodologische Ansatz schliesst den persönlichen Akzent nicht aus und in letzter Konsequenz nicht einmal die Frage nach dem Geschmack; andersherum betrachtet, wird vielmehr klar, dass dieser persönliche Akzent, jeder Architektur, jeder Zeit innewohnt. Ich bestehe darauf, dass unser Geschmack, die Freude an der Methode ist.“

Ernesto Nathan RogersEsperienza dell‘architettura 1958

TECHNIKEN

Giovanni Battista Piranesi, Campo Marzio, Eine Interpretation des antiken Roms 1762

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Texte

Das geschriebene Wort zwingt, im Gegensatz zum Gesprochenen, zur festen Form. Worte, Titel und Texte bilden die gedankliche Präzision des Konzep-tes und schaffen Klarheit über das Ziel des Entwurfes. Ein weiterer Vorteil der Schrift besteht darin, dass das oral gesprochene gesichert und in Büchern, Bibliotheken und Netzwerken speicherbar wird, so dass abgelegte Konzepte, Theorien und Geschichten verfügbar werden, wie uns Platon mit seinem Sokrates bereits seit mehr als 2000 Jahren beweist.

Daten

Jede Geometrie kann auch gemessen werden. Zahlen und Daten bieten eine weitere Art und Weise eine Architektur in seiner ökonomischen Effizienz mit in der Praxis bewährten Daten und Indikatoren vergleichbar zu machen.

„Für die alten Ägypter wurde Genauigkeit durch eine Feder symbolisiert, die als Gewicht auf der Seelenwaage diente. Diese leichte Feder trug den Namen Maat und war die Göttin der Waage. Die Hieroglyphe für Maat bezeichnete auch das Längenmass, die dreiundreissig Zentimeter des Einheitsziegels, sowie den Grundton der Flöte.“

Italo CalvinoSechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend 1985

Pläne

Pläne als zeichnerische Darstellungen stellen Ideen dar. Das Zeichnen ist somit die wichtigste Technik des Architekten. Wie Sprache ermöglicht plane-rische Darstellung, Ideen und Konzepte über Schnitte und Projektionen zu definieren, festzuhalten und zu kommunizieren.

Auf den verschiedenen Modellebenen werden mit horizontalen und verti-kalen Schnittzeichnungen komplexe Formen, Strukturen und Konstruktionen darstellbar. In unseren ARCHITEKTURWERKSTATT beschäftigen wir uns mit folgendem Massstabsebenen: 1:5000, 1:1000, 1:500, 1:333, 1:100

Ciittà Analoga 1976, Aldo Rossi, Bruno Reichlin, Fabio Reinhart, Eraldo Consolascio

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3D_Modelle

Die 3D_Modell setzt sich visuell mit der Architektur in all seinen Dimensio-nen auseinander. Das 3D_Modell ermöglicht, eine bestehende oder eine ge-dachte Realität zu simulieren und zu kontrollieren. Bereits 1452 spricht der florentinische Architekt und Architekturtheoretiker Leon Battista Alberti in seinem Buch über das Bauwesen “De re aedificatoria“ über den Modellbau:

„Deshalb werde ich immer den Brauch der alten tüchtigen Baumeister gutheissen, nicht nur durch Pläne und Zeichnungen, sondern auch an der Hand von Modellen aus Holz oder was auch immer, das gesamte Bauwerk und die Masse jedes Gliedes nach den Ratschlägen der gewieftesten Fachleute immer und immer wieder genau abzuwägen.“

„Wenn ich mich nicht irre, übernimmt der Architekt vom Maler Architraven, Säulen-basen, Kapitelle, Säulen, Giebel und anderes.“

„Die Modelle sollen so ausgeführt sein, dass man die Lage der Gegend, den Umfang der Grundfläche und Zahl und Anordnung der Teile, die Ansicht der Wände, die Stärke der Decken und die Art und Durchbildung alles dessen…aufs deutlichste ersehen und betrachten kann.“

„Hier kann man auch ungestraft vergrössern, verkleinern, ändern, erneuern und gänzlich umgestalten, bis alles oerdentlich zusammenstimmt und Beifall findet.“

„Dazu kommt, dass man Art und Höhe der Kosten, was man nicht im geringsten vernachlässigen soll, genauer bestimmen kann durch Breite, Höhe, Dicke, Zahl, Umfang, Gestalt, Art und Qualität der einzelnen Dinge, indem man ihren Wert und den der Handarbeit schätzt.“

Leon Battista AlbertiDe Re Aedificatoria 1452

Raffaello, Schule von Athen, Fresko Vatikan 1511

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Bilder

Renderings und 3D_Visualisierungen halten Innen- und Aussenraumsituati-onen und Stimmungen fest, wie es einst die Malerei, erst über die ikonogra-fische Darstellung und später anhand der Fluchtpunktperspektive tat, bevor Sie von der Fotografie und vom Film ersetzt wurde.

Die Techniken der statischen bildnerischen Darstellung dient als Darstel-lungsweise, um ausgehend vom 3D_Modell, die Atmosphären von noch nicht realisierten Situationen zu erfassen.

Die kinetischen bildnerischen Darstellung, ist hingegen eher auf das Thea-ter zurückzuführen und dient dazu Situationen, Sequenzen und Szenarien in Ihrer Vielschichtigkeit zu erfassen und damit Geschichten zu erzählen.

Diese Techniken, der Computersimulationen, dienen als Grundlage, um anhand von 3D_Modellen, Animationen, Montagen und Collagen, Vorstel-lungen und Fiktionen noch nicht realisierter Orte und Situationen über statische und kinetische Bilder darzustellen.

“...Es war mein Wunsch, unseren literarischen Schätzen den schönsten Rahmen zu geben. Das war der Grund, warum ich dachte, dass nichts großartiger, würdevoller, außergewöhnlicher sei und einen herrlicheren Anblick böte als ein großes, nur aus Büchern bestehendes Amphitheater. Man stelle sich vor, wie das Personal auf den verschiedenen Rängen dieses weitläufigen Amphitheaters in einer solchen Weise platziert wird, dass die Bücher von Hand zu Hand gereicht werden. Man soll nicht glauben, dass der Verfasser dieses Entwurfes bei der Beschreibung des herrlichen Bildes, das der in Frage kommende Ort bieten würde, auch vorhatte, von der Aus-schmückung dieses Monumentes zu sprechen. Er kann versichern, dass diese allein aus der gewaltigen Größe hervorgehen würde.”

Etienne - Louis BoulléeArchitecture. Essai sur l‘art 1794

Étienne-Louis Boullée, Projekt für die Nationale Bibliothek in Paris 1785

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ZIELE Handlungsfähigkeit

Durch die systematische Herangehensweise sollen die Beteiligten die Strukturen und Hierarchien der einzelnen Prozesse definieren können und lernen die einzelnen KATEGORIEN auf den verschiedenen Massstabsebenen zu erkennen, zu verstehen und in eine Architektur umzusetzten.

Teamfähigkeit

Ein wichtiger Aspekt dieser ARCHITEKTURWERKSTATT besteht darin zu lernen, Individuell zu arbeiten, aber auch in Zweierteams und in grossen Gruppen Grundlagen aufzubereiten, Strategien zu entwickeln, Lösungen vorzuschlagen und die eigenen Argumente einzubringen und rational zu verteidigen.

Selbständigkeit

Weiter besteht die Ambition darin, dass jeder Beteiligte lernt, selbständig Entscheidungen zu treffen und versteht, dass er die Verantwortung für seine Entscheidungen zu tragen hat.

Michelangelo, Giudizio Universale, Fresko sixtinische Kapelle Vatikan 1535-1541

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WERKSTATTSTRUKTUR VOLUMEN / GEGENVOLUMEN

ModellebenenMassstäbe 1:5000 / 1:1000....................................................................... 19

Werkstattblock_I Grundlagen Untersuchungen Präsentation ................................20 Werkstattblock_II Architektur Entwurf Konstruktion................................................22

GRENZFLÄCHEN

ModellebenenMassstäbe 1:5000 / 1:1000 / 1:500...........................................................24

Werkstattblock_III Grundlagen Untersuchungen Präsentation ................................25

Werkstattblock_IV Architektur Entwurf Konstruktion................................................27

HORIZONTALE ÜBERGANGSSEQUENZEN

ModellebenenMassstäbe 1:5000 / 1:1000 / 1:500 / 1:333.............................................29

Werkstattblock_V Grundlagen Untersuchungen Präsentation.................................30

Werkstattblock_VI Architektur Entwurf Konstruktion................................................32

VERTIKALE ERSCHLIESSUNGSSYSTEME

ModellebenenMassstäbe 1:5000 / 1:1000 / 1:500 / 1:333 / 1:250................................34

Werkstattblock_VII Grundlagen Untersuchungen Präsentation.................................35 Werkstattblock_VIII Architektur Entwurf Konstruktion................................................37

VERNETZUNGEN / VERKNÜPFUNGEN

ModellebenenMassstäbe 1:5000 / 1:1000 / 1:500 / 1:333 / 1:250 / 1:100...................39

Werkstattblock_IX Grundlagen Untersuchungen Präsentation.................................40 Werkstattblock_X Architektur Entwurf Konstruktion................................................42

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Piazza del Campo, Siena 1169

ModellebenenMassstäbe 1:5000 / 1:1000

Wie kann eine volumetrische Idee in möglichst kompakter Weise ein GEGEN-VOLUMEN generieren, welches sich in die Topografie integriert und damit den öffentlichen Raum generiert? Wie kann der Ort mittels volumentrischen Ergänzungen aufgewertet und gestaltet werden?

Das materiell Erfahrbare, welches aus den physisch wahrnehmbaren Phä-nomenen eines Ortes wie der Lage, der Topografie, der Materialität aber auch des Lichts, des Winds, des Wetters und der Jahreszeiten besteht, hat Christian Norberg Schulz in seinem 1979 erschienenen Buch “Genius Loci - Landschaft, Lebensraum, Baukunst” ausführlich beschrieben.

Ein Jahr vorher hatten Colin Rowe und Fred Koetter mit dem Buch “Collage City“ ihren Beitrag zur Architektur veröffentlicht. Einer der wichtigsten Aspekte von “Collage City“ ist die qualitative Gegenüberstellung von Stadtstrukturen in ihren Bebauungsdichten über den Figurplan und dem Grundplan. Während der Figurplan, welchen wir auch Schwarzplan nennen, die Körnung der VOLUMEN im Kontext in den Vordergrund stellt, veran-schaulicht der Grundplan durch die chromatische Inversion des Figurplanes den Aussenraum und bildet damit die Basis zum Verständnis des GEGENVO-LUMEN.

Eine weitere wichtige These, welche sich mit dem Ort und damit mit der physisch erfahrbaren Geschichte der Stadt beschäftigt, wurde von Aldo Ros-si in seinem Buch “Die Architektur der Stadt” formuliert. Die im Jahre 1966 erschienene Untersuchung von Aldo Rossi zur Architektur der Stadt deckt die Tatsache wieder auf, dass in der Geschichte die gebauten VOLUMEN in den Städten nie bloss auf sich selbst verwiesen haben. Diese gebauten Formen und Strukturen sind immer in Beziehung zueinander zu verstehen. In diesem Sinn interessiert uns das GEGENVOLUMEN, welches von den VO-LUMEN im Kontext gebildet wird, viel mehr als die einzelnen Objekte an sich.

Der eigentliche Pionier dieses Verständnisses der Architektur als Konstrukti-on der Stadt ist ein weiteres Jahrhundert vor Christian Norberg Schulz, Colin Rowe, Fred Koetter und Aldo Rossi zu suchen: Es handelt sich dabei um den österreichischen Architekten und Stadtplaner Camillo Sitte, welcher seine Beobachtungen in seinem im Jahre 1889 erschienen Buch “Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen” beschreibt.

VOLUMEN / GEGENVOLUMEN

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Werkstattblock_IGrundlagen Untersuchungen Präsentation

Die zu erarbeitenden Grundlagen bestehen aus der zeichnerischen Darstellung von zwei Grundrissplänen in zwei verschiedenen Massstäben (1:5000 und 1:1000) und aus der Herstellung eines Situationsmodells im Massstab 1:1000. Die zeichnerische Plandarstellung des Stadtausschnittes im Massstab 1:5000 findet in einem ersten Schritt über den Grundplan und den Figurplan (Schwarzplan) statt. Der Figurplan (Schwarzplan) stellt die Körnung des ausgewählten Stadtteils dar und bildet damit das VOLUMEN des ausgewählten Stadtviertels. Der Grundplan stellt die Zwischenräume dar und bildet damit das GEGENVOLUMEN des Quartiers. In einem zweiten Schritt wird der Quartierplan im Massstab 1:1000 gezeichnet. Der Quartier-plan zeigt die Dachaufsichten des ausgewählten Perimeters im Stadtgefüge. Neben dem Schwarzplan und dem Situationsplan ist das 3D_Modell der Bauvolumen im Massstab 1:1000 zu realisieren. Anhand der vorliegenden Katasterpläne, der Interpretation der Ortofotos und der Massaufnahme am Ort, wird das 3D_Modell der Situation im Massstab 1:1000 im DIN A3 Format geplant und erstellt.

In der zeichnerischen Darstellungen des Kontextes anhand der Grundrisse und der Erarbeitung des 3D_Modells der Situation ist es wichtig, dass sämtliche Materialien in ihrer Präzision deckungsgleich sind und in ihrem Ausdruck einander entsprechen.

„Recht sonderbar ist es, dass oft förmlich toll gewordene unregelmässige Plätze alter Städte nicht einmal schlecht aussehen, während unregelmässige Winkel moderner Anlagen immer sehr schlecht wirken. Das kommt daher, dass die Unre-gelmässigkeiten alter Anlagen fast immer von der Art sind, die man erst am Plane wahrnimmt, in Natur aber übersieht, und hievon wieder ist der Grund der, dass die alten Anlagen eben nicht am Reissbrett konzipiert wurden, sondern allmählich ‘in natura’ entstanden sind, wobei man ganz von selbst alles dasjenige berücksichtigte, was dem Auge ‘in natura’ auffällt, aber alles andere der Gleichgültigkeit behandelte, was nur am Papier sichtbar wird.“

Camillo SitteDer Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen 1889

VOLUMEN / GEGENVOLUMEN

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VOLUMEN / GEGENVOLUMEN Werkstattblock_IBegriffe Schlüsswörter Konzepte

Die BauordnungBaurechte und Verordnungen, die den Bauherren beziehungsweise den Baumeister und den Architekten verpflichten, sich bestimmten Regelungen und Vorschriften zu unterwerfen. In der Antike und im Mittelalter dienten die Bauordnungen vorrangig der Stand- und Feuersicherheit, sowie der Ordnung des Verkehrs und der Be- und Entwässerung.

Der BaukörperDer Baukörper entspricht dem oberirdischen Gesamtvolumen eines Bauwerkes und ist jeweils als Gefüge und somit ausschliesslich in Be-ziehung mit den benachbarten Baukörpern und dem daraus resultier-enden Aussenraum zu verstehen.Es besteht die Möglichkeit, den Gesamt-Baukörper in verschiedene Teil-Baukörper aufzutrennen.

Die BauweiseDie Bauweise beschreibt im Allgemeinen die festgelegte Anordnung von Konstruktions- und Bauelementen. Die Bauweise kann im Bebauungsplan als offen oder geschlossen festgesetzt werden. In der offenen Bauweise werden Gebäude mit seitlichem Grenzabstand zueinander als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. In der geschlossenen Bauweise werden die Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand errichtet, es sei denn, dass die vorhandene Bebauung eine Abweichung erfordert.

Die PhänomenologieGemäss der Grundauffassung, dass jede Art von Wirklichkeit zunächst Erscheinung für ein intentionales Bewusstsein ist, versteht sich Phänomenologie als Lehre von den im Bewusst-sein erscheinenden Gegenständen der Welt. Theoretische und historische Konstruktionen sollen unterlaufen werden, indem Erscheinungen so gefasst werden, wie sie sich zunächst im Erlebbaren geben.

Das GeländeDas Gelände, auch Relief, Terrain oder Topografie gennant, ist die natürliche Erdoberfläche mit ihren Höhen, Tiefen, Unregelmäßigkeiten und Formen in ihrer natürlichen Beschaffenheit.

Die Kompaktheit Die Kompaktheit definiert das Näheverhältis, welches die Menge einzelner Elemente, Struktu-ren und Volumen zueinander haben und zwar unabhängig von ihrer formalen Ausbildung. Die Kompaktheit eines Gebäudes übt auf seinen generellen Energieverbrauch signifikanten Einfluss aus.

Der MassstabDer Massstab definiert das Verhältnis, in welchem eine Architekturzeichnung oder ein Architek-turmodell gegenüber der Wirklichkeit verkleinert (oder vergrössert) ist. Mit der Vergrösserung (der Expansion) wird der jeweilige Informationsgehalt des kleineren Massstabes detaillierter, während mit der Verkleinerung (der Kompression) der jeweilige Informationsgehalt des grösseren Massstabes reduzierter wird, um Informationen über einen grösseren Bereich visualisieren zu können.

Der öffentliche RaumDer der Öffentlichkeit zugängliche Bereich einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (Gemein-de, Land, Staat), beispielsweise Verkehrsflächen, Parkanlagen, Plätze oder auch Gebäude, die von dieser Körperschaft unterhalten werden. Der öffentliche Raum steht dem privaten Raum gegenüber.

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Werkstattblock_IIArchitektur Entwurf Konstruktion

Mit einem Ersatz oder einer volumetrischen Ergänzung im bestehenden Stadtgefüge wird in diesem Werkstattblock_II der Bestand verdichtet und damit der öffentliche Raum verändert. Die Intervention hat sich sensibel in das städtische Gefüge zu integrieren. Der Figurplan und der Grundplan im Massstab 1:5000 und der Situationsplan und das 3D_Modell im Massstab 1:1000, dienen mit dem vorbereiteten Layout als Basis zur Überprüfung der Intervention in der Stadtmorphologie.

Dazu kommen mindestens zwei Querschnittsilhouetten und zwei bis vier für das Verständnis des Projektes notwendigen Längsschnitte durch den Stras-senraum dazu, welche die Fassadenumrisse im Massstab 1:1000 zeigen.

Die Entwicklung der VOLUMEN im Kontext, welche im Figurplan (Schwarz-plan) im Massstab 1:5000 dargestellt sind und die GEGENVOLUMEN, welche mit dem Grundplan im Massstab 1:5000 verständlich gemacht werden, sollen insbesondere über die Arbeit am 3D_Modell und der Auseinander-setzung mit dem wirklich Gebauten am Ort erfolgen.

Das 3D_Modell der Situation im Massstab 1:1000 macht es möglich, die Qualitäten der VOLUMEN und der GEGENVOLUMEN im Kontext plastisch und physischen zu entwickeln, zu überprüfen und von verschiedenen Seiten und Perspektiven beurteilbar zu machen.

Neben den Zeichnungen und dem 3D_Modell ist insbesondere auch eine qualitative Wertung, des durch VOLUMEN und GEGENVOLUMEN generierten öffentlichen Raumes in Textform zu verfassen.

„Die Fehler, in welche unsere Vorfahren dadurch verfielen, dass sie pietätslos die Werke ihrer eigenen Vorgänger unbeachtet liessen oder zerstörten, wollen wir ver-meinden und die uns überlieferten Werke wie Juwele in passende Fassung bringen, damit sie uns erhalten bleiben, als plastische Illustration der Geschichte der Kunst.

Die grandiosen Fortschritte der Kultur werden uns deutlich weisen, was wir von den Alten lernen können, was wir lassen sollen und der eingeschlagene richtige Weg kann nur ein Ziel haben, Neues, Schönes zu schaffen.”

Otto WagnerDie Baukunst unserer Zeit1896

VOLUMEN / GEGENVOLUMEN

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Werkstattblock_IIBegriffe Schlüsswörter Konzepte

Das AbstrakteDas Abstrakte ist theoretisch ohne unmittelbaren Bezug zur Realität. Es bezeichnet auch das Beiseitelassen, das von etwas absehen oder das Wesentliche vom Zufälligen zu trennen und zu verallgemeinern. Vom sinnlich Vorgestellten abgetrennt und nicht anschaulich oder begrifflich verallgemeinert. Es ist ein Denkvorgang bei der Bildung von Begriffen und Gesetzen, gekennzeichnet durch das stufenweise Heraussondern bestimmter Merkmale in der Absicht, das Gleichbleibende und Wesentliche verschiedener Gegenstände zu erkennen.

Die BebauungsdichtezahlDie Bebauungsdichtezahl, wird berechnet indem die Gebäudefläche über alle Geschosse addiert (Geschossfläche GF) und durch die Grundstücksfläche (Parzelle) dividiert wird. Die Bebauungsdichtezahl entspricht somit dem Verhältinis der bebauten Fläche zur unbebauten Fläche; nicht zu verwechseln mit der Baumassenzahle, welche angibt wieviele Kubikmeter Baumasse je Quadratmeter Grundstücksfläche realisert wurden.

Die HierarchieDie Hierarchie ist ein Ordnungsprinzip innerhalb eines Systems, bei dem es ein ausgezeichne-tes oberstes Element gibt und jedes andere Element genau ein übergeordnetes Element, aber beliebig viele untergeordnete Elemente hat. Abgeleitet ist das Wort Hierarchie aus dem Griechi-schen (hieros: heilig und archein: herrschen). Die hierarchische Strukturierung von Elementen hat den großen Vorteil, dass sie sehr intuitiv erfasst werden kann, ihr Nachteil besteht in der Vernachlässigung wechselseitiger, vernetzter Zusammenhänge

Der HofEin ganz oder grossenteils überbauter, freier Raum. Ein Innenhof (Atrium), manchmal als Lichtspender, ist von einem einzigen, zusammenhängenden Gebäudevolumen umgeben. Vorhof oder Hinterhof liegen vor beziehungsweise hinter einem Gebäude. Bei den Wohnblockbebauun-gen des 19. Jahrhunderts folgen zum Beispiel mehrere Höfe hintereinander. Man unterscheidet nach formalen Kriterien den Arkaden- oder Laubenhof, den Säulenhof, den Gartenhof oder den oft nur als Schacht ausgebildeten Lichthof.

Die Kontinuität Die Kontinuität ist als Weiterbau, als Transformation oder Verwandlung eines Hauses in ein Anderes zu verstehen, ohne dabei der direkten Beziehung mit dem Bestand zu widersprechen, aber auch ohne diesen Bestand direkt kopieren zu müssen.

Das ModulAus dem Lateinischen Modulus bedeutet “Mass” oder “Massstab”. In der antiken Formenlehre das Verhältnismass für Bauwerke und ihre Einzelteile. Seine Einheit ist der halbe untere Säu-lendurchmesser, unterteilt in 30 Partes (Minuten). Durch das Modul konnten die Verhältnisse der Teile zum Ganzen und zueinander ausgedrückt und bestimmt werden, zum Beispiel die Masse der Kapitelle, des Säulenabstands, der Höhe der Säule, Höhe und Breite des Baus. Ziel

war die Gewährleistung von Proportionen und Harmonie des Bauwerks.

Der PrototypDer Prototyp ist das Ur- oder Vorbild, beziehungsweise das erste Modell, eines Produktes oder eines Produktionsprozesses. In der griechischen Sprache bedeutet Prototyp auch das Versuchsmuster oder den ersten Abdruck. Im Prozess des Prototyping können sich neue Anforderungen herausstellen die gegebenfalls zu berücksichtigen sind. Die beste Lösung, dargestellt durch einen bestimmten Prototyp, wird implementiert. Das evolutionäre Prototyping benutzt den Prototyp dazu, so lange Verbesserungen vorzunehmen, bis eine bestimmte Produkt- oder Prozessreife erzielt ist. B1

Die TopologieTeilgebiet, das aus der Analyse des Raumbegriffs Eigenschaften allgemeiner Räume herleitet. Ursprünglich untersuchte die Topologie als Analysis situs (»Geometrie der Lage«) die Eigen-schaften geometrischer Objekte (wie Kurven, Flächen, Räume), die bei umkehrbar eindeutigen stetigen Abbildungen (topologischen Abbildungen) erhalten bleiben, d.h. topologisch invariant (homöomorph) sind. Die Topologie entwickelte sich aus geometrischen Fragestellungen, bei denen nur homöomorphieinvariante Lagebeziehungen interessierten.

VOLUMEN / GEGENVOLUMEN

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GRENZFLÄCHEN ModellebenenMassstäbe 1:5000 / 1:1000 / 1:500

Welche Art der Öffnungen und was für einen Öffnungsanteil weisen diese GRENZFLÄCHEN auf? Wie sind diese GRENZFLÄCHEN zwischen Aussen - und Innen gestaltet, materialisiert und konstruiert?

In erster Linie bilden die GRENZFLÄCHEN das GEGEGENVOLUMEN und erst in einem zweiten Moment die Voraussetzungen für das Innere der VOLUMEN.

Die Fassaden als GRENZFLÄCHEN zwischen Gegenvolumen und Volumen im Kontext sind die wichtgsten Schnittstellen eines Hauses, weil sie sowohl auf kultureller wie auch auf technischer Ebene den direkten Übergang zwischen der Öffentlichkeit und dem Nutzer schaffen.

Diese GRENZFLÄCHEN besitzen eine öffentliche und eine private Seite. Unser besonderes Interesse gilt den vielen Arten des Übergangs dieser GRENZFLÄCHE, um vor der Öffentlichkeit im Schutz der Privatheit sich verbergen zu können und umgekehrt.

Diese GRENZFLÄCHEN werden von verschiedenen Elementen wie zum Bei-spiel von Nischen, Balkone und Terrassen, aber auch von Leibungstiefen, Türen, Fenster, Verdunkelungsarten und Absturzsicherungen geformt und definiert.

Erst durch die präzise Wahl der Materialien und dem korrekten Einsatz von Technologien und Konstruktionsprinzipien können die schwierigen Anforde-rung erfüllt werden, denen diese GRENZFLÄCHEN als technische Gebäude-hüllen durch die wechselnden Bedingungen des Kontextes, wie zum Beispiel das Klimas, die Topografie, die Kultur etc., ausgesetzt sind.

Fassade eines entkernten Gebäudes von innen fotografiert

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Werkstattblock_IIIGrundlagen Untersuchungen Präsentation

Für diese Untersuchung der GRENZFLÄCHEN im Kontext stützen wir uns auf die Beobachtung und die am Ort aufgenommenen Massskizzen und Fotos. Aufbauend auf die Werkstattblöcke_I und _II untersuchen wir in diesem Werkstattblock_III die GRENZFLÄCHEN im ausgewählten Stadtausschnitt.

Gestützt auf die Fassadenumrisse, welche wir im Werkstattblock_II gezeichnet haben, realisieren wir in diesem Werkstattblock_III die Stras-senzüge im Massstab 1:500.

In die aus dem Werkstattblock_II resultierenden Fassadenumrisse im Massstab 1:1000, integrieren wir die Fotocollagen und Massaufnahmen am Ort aufgenommenen Ansichten und bilden damit die Plangrundlagen zur Entwicklung der Strassenzüge im Massstab 1:500.

Parallel dazu dienen diese zweidimensionalen Zeichnungen der Strassenzü-ge zusammen mit den Plänen der gegenüberliegenden Strassenseiten als Basis zur Realisierung eines 3D_Modells der projektrelevevanten Strassen-perspektiven (inkl. Landschaft: Gehsteige, Schienen, Beleuchtung, Gehölz, etc.).

Durch das 3D_Modell der Strassenperspektiven wird die Grundlage geschaffen um sowohl physisch, als auch im Bild, die Atmosphären der aus den GRENZFLÄCHEN generierten Strassenperspektiven verständlich zu machen.

“In allen germanischen Sprachen erinnert das Wort Wand, (mit Gewand von gleicher Grundbedeutung,) direkt an den alten Ursprung und den Typus des sichtbaren Raumabschlusses.

Eben so sind Decke, Bekleidung, Schranke, Zaun, (gleich mit Saum,) und viele andere technische Ausdrücke nicht etwa spät auf das Bauwesen angewandte Symbole der Sprache, sondern sichere Hindeutungen des textilen Ursprung dieser Bautheile.“

Gottfried SemperPraktische Aesthetik 1860

GRENZFLÄCHEN

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Werkstattblock_IIIBegriffe Schlüsswörter Konzepte

Die AkzeptanzDie tolerierende Einstellung von Personen oder Gruppen gegenüber normativen Prinzipien oder Regelungen, materiellen Entwicklungen und Verbreitungen neuer Techniken oder Kon-sumprodukte. Folgend das Verhalten und Handeln, in dem sich diese Haltung ausdrückt. Die Frage der Akzeptanz taucht dann auf, wenn ein ethisches oder rechtliches Normensystem nicht mehr der tatsächlichen normativen Einstellung eines größeren Teils der Gesellschaft entspricht. Fehlende Akzeptanz kann zu einer Änderung rechtlicher Normen oder gesellschaftspolitischen Entscheidungen führen, die auf eine Veränderung bestehender Verhältnisse zielen.

Das BewährteAls bewährte Techniken und Systeme gelten diejenigen, welche sich mit der Zeit aufgrund von Erfahrungswerten als fähig, geeignet und zuverlässig erwiesen haben und sich somit durchgesetzt haben.

Die HaustechnikGesamtheit aller im Haus installierten technischen Anlagen mit den dazugehörigen Ver- und Entsorgungsleitungen. Die Haustechnik umfasst die Einrichtungen der Sanitär- und Hausin-stallation, der Heizungs-, Lüftungs-, Klima- und Kältetechnik, der Fördertechnik, sowie des Brandschutzes. Daneben gehören zur Haustechnik auch die speziellen Wasser- und Energie-versorgungsanlagen, sowie Abfallentsorgungseinrichtungen in Küchen, Wasch- und sonstigen hauswirtschaftlichen Räumen.

Der Komfort Auf technisch ausgereiften Einrichtungen beruhende Bequemlichkeit und Ausstattung, die einen gewissen Luxus bietet. Keine exakt messbare Grösse, sondern gekennzeichnet durch individuelle Erfahrungswerte, bei denen der Mensch die Umgebungsverhältnisse als komfortabel empfindet. Das Wohlbefinden des Menschen basiert als subjektives Empfinden auf der Wahrnehmung einer Vielzahl von äusseren Einflüssen. Neben normierten, physikalisch messbaren Umgebungsbedingungen bestimmen auch individuelle, physiologische Kriterien sowie intermediäre Bedingungen den Komfort.

Die OrdnungZweckmäßig geregelter Zusammenhang von Elementen, die nicht Teilglieder eines Ganzen, sondern selbstständige Größen oder Wesen sind, deren Beziehungen zueinander aber einem bestimmten, auch gelegentlichen Änderungen überdauernden, inneren Gesetz unterstehen. Eine stabile Beziehung innerhalb eines Gebildes, die in einer Ordnung der Teile zum Ganzen, wie auch des Ganzen zu den Teilen und der Teile zueinander bestehen kann. Das Verhältnis der einzelnen Teile zum Ganzen beruht auf Loyalität, jenes des Ganzen zu den Einzelteilen auf dessen Legitimität, das der Teile zueinander auf Übereinstimmung.

Die Proportion Die Proportion ist das Gleichmaß, insbesondere des menschlichen Körpers, dessen ideale Ge-stalt in ihrer Proportion ursprünglich als richtungsweisend für Malerei, Bildhauerkunst und Ar-chitektur angesehen wurde. Die antike Proportionslehre, in der eine Analogie von Makro- und Mikrokosmos und deren harmonische Struktur nach mathematisch-musikalischen Proportionen als vorbildhaft für die idealen Proportionen in der Kunst angesehen wurde, erhielt vor allem in

der Renaissance erneut Bedeutung.

Das Stadtprofil Form, Gestalt und Ausdruck vom äußeren, materiellen Bau einer Stadt. Das Profil einer Stadt betreibt durch den Vergleich der Formenmannigfaltigkeit die Herausarbeitung der den Einzel-formen zugrunde liegenden Typen. Diese Morphologie wird bestimmt durch ein Organisations-prinzip von Konventionen, aber auch von historischen, sozialen, sprachlichen und kulturellen Erscheinungen und Gegenständen, einschließlich deren Entwicklung beziehungsweise Wandel innerhalb eines Zeithorizonts.

Die TraufhöheDie gemessene Distanz zwischen der Erdoberfläche und dem waagrechten Dachabschluss eines Gebäudes, der Traufe. Die Traufe bildet die horizontale Kante eines Dachvorsprungs an der Längsseite eines geneigten Daches, die parallel zum First verläuft. Die Traufhöhe bestimmt somit die für einen Passanten wahrnehmbare Gebäudehöhe und stellt im Stadtraum ein dominierendes Element dar. Die Addierung der lichten Raumhöhen mit den Deckenstärken generiert die Traufhöhe eines Gebäudes. In Stassenzügen und Stadtaxonometrien ist die Traufhöhe eine der wichtigsten Bezüge und Referenzen.

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Werkstattblock_IVArchitektur Entwurf Konstruktion

Die im Werkstattblock_II erarbeiteten volumetrische Ergänzungen wer-den weiterentwickelt und auf ihre GRENZFLÄCHEN reduziert.

Anhand der im Werkstattblock_III generierten Pläne der Strassenzüge und des 3_Modells der Strassenperspektive im Massstab 1:500 wird in diesem Werkstattblock_IV die Atmosphäre des öffentlichen Raumes weitergedacht.

Die GRENZFLÄCHEN des weiterentwickelten GEGENVOLUMEN hat sich in die Strasseperspektiven zu integrieren.

Die projektrelevanten Strassenzüge dienen zusammen mit dem 3D_Modell der Strasseperspektiven im Massstab 1:500 dienen zur Überprüfung der weitergedachten Atmosphären im ausgewählten Stadtausschnitt.

Die Entwicklung der GRENZFLÄCHEN soll insbesondere über die Arbeit am 3D_Modell der Strasssenperspektiven und der Auseinandersetzung mit dem wirklich Gebauten am Ort erfolgen.

Das 3D_Modell der Strassenperspektiven macht es möglich, die Qualitäten der GRENZFLÄCHEN optisch zu entwickeln und von verschiedenen Perspek-tiven zu beurteilen.

Die GRENZFLÄCHE und die Wand sind, wie uns Gottfried Semper in seiner Praktischen Ästetik erzählt als autonomes System, als Schnittstellen zwischen einem Raum und einem anderen, zu verstehen und müssen als Methapher als Allegorie zur Schaffung der Stimmung einzelner Raumsituati-onen verstanden werden; unabhängig davon, ob von einer Innenraumsitua-tion oder von einer Aussenraumsituation die Rede ist.

Parallel zur Gegenüberstellung der üblichen Kenndaten, wird auch eine kurze qualitative Wertung der Atmosphäre der Strassenperspektive in

GRENZFLÄCHEN

“Die Gerüste welche (dazu) dienen diese Rauabschlüsse zu halten, zu befestigen und zu tragen, sind Erfordernisse die mit Raum und Raumesabtheilung unmittelbar nichts zu thun haben. Sie sind der ursprünglichen architektonischen Idee fremd und zunächst keine formbestimmende Elemente.

Dasselbe gilt von der konstruierten Mauer aus ungebrannten Ziegeln, Stein oder irgend sonstigem Baustoffe, die alle ihrer Natur und Bestimmung nach durchaus keiner Beziehung zu dem räumlichen Begriffe stehen, sondern der Befestigung und Vertheidigung wegen gemacht wurden, die Dauer des Abschlusses sichern oder als Stützen und Träger für obere Raumabschlüsse, für Vorräthe und sonstige Belastungen dienen sollten, kurz deren Zweck der ursprünglichen Idee, nämlich der des Raumabschlusses fremd ist.”

Gottfried SemperPraktische Aesthetik 1860

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Werkstattblock_IVBegriffe Schlüsswörter Konzepte

Die FassadeDie Fassade, ein Begriff welcher vom lateinischen facies “Gestalt, Gesicht, Aussehen” stammt. Sie ist im engeren Sinn die Schauseite eines Bauwerks mit dem Haupteingang; im weiteren Sinn jede Ansichtsseite eines Gebäudes, die je nach Lage als Nebenfassade, Seitenfassade, Hoffassade oder Gartenfassade bezeichnet wird.

Das FensterDas aus dem althochdeutschen ”fenstar” und vom lateinischen ”fenestra” stammende Fenster wird im Bauwesen als Öffnungen in einer Wand, die zur Belichtung und Belüftung eines geschlossenen Raumes dienen und eine Sichtverbindung zwischen Innen- und Außenraum herstellen verstanden. Fenster unterscheiden sich nach Art der Fensterbegrenzung, nach der Öffnungsart, der Verglasung und dem Rahmen sowie durch Größe und Form.

Das GesimsDas Gesims oder der Sims ist ein waagrecht aus einer Mauer vortretender Streifen, der die horizontalen Abschnitte eines Gebäudes, zum Beispiel diejenigen des Sockels, des Daches oder anderer zu markierenden horizontalen Glieder gegeneinander absetzt und zusammen mit den vertikalen Architekturteilen den Bau gliedert.

Die MetapherEin sprachliches Ausdrucksmittel der uneigentlichen Rede. Das eigentlich gemeinte Wort wird ersetzt durch ein anderes, das eine sachliche oder gedankliche Ähnlichkeit oder dieselbe Bildstruktur aufweist, beispielsweise ”Quelle” für ”Ursache”. Metaphern treten in einer solchen Vielfalt auf und berühren sich bisweilen auch mit anderen Bereichen, dass eine eindeutige Klassifizierung und Abgrenzung nicht immer möglich ist.

Der RhythmusDer Rhythmus bedeutet in seiner ursprünglichen Form im griechischen rhythmós ”Gleich-maß”oder ”Fliessen”. Im Allgemeinen steht er für das Gleichmaß oder eine gleichmäßig gegliederte Bewegung. Ein periodischer Wechsel sowie eine regelmäßige Wiederkehr wie bei natürlichen Vorgängen wie den Jahreszeiten, sowie bei physikalischen, biologischen und psychischen Prozessen, können ebenfalls als Rhythmus verstanden werden.

Die SchnittstelleDer aus dem englischen Interface abgeleiteten und aus der Informatik stammende Begriff der Schnittstelle ist der Verbindungs- oder Berührungspunkt von Systemen, die miteinander kom-munizieren beziehungsweise zusammenarbeiten. Standardisierte Schnittstellen stellen sicher, dass informationsverarbeitende Systeme modular aufgebaut und gleichartige Komponenten gegeneinander ausgetauscht werden können.

Die SchichtenarchitekturDie Schichtenarchitektur ist ein häufig angewandtes Strukturierungsprinzip für die Architektur von Softwaresystemen. Dabei werden einzelne Aspekte des Softwaresystems konzeptionell einer Schicht (engl. tier oder layer) zugeordnet. Die den Schichten zugeordneten Aspekte können dabei je nach Art des Systems oder Detaillierungsgrad der Betrachtung z. B. Funktio-nalitäten, Komponenten oder Klassen sein.

Die Tektonik Die Zusammenfügung von gleichen oder unterschiedlichen Teilen zu einem Gebilde in einer Weise, die mit künstlerischen Mitteln die Funktion jedes Teils für das Ganze anschaulich macht. Aber auch bezeichnung für das architektonisch Gefügte, wie die Tektonik einer Hülle, die mit einem technischen Konstruktionsprinzip zusammen gehalten wird. Ursprünglich wurde der Begriff auf die Zimmermannsarbeit bezogen, später auf das allgemeine Bauen übertragen.

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HORIZONTALE ÜBERGANGSSEQUENZEN ModellebenenMassstäbe 1:5000 / 1:1000 / 1:500 / 1:333

Welche Geometrie wurden in den HORIZONTALEN ÜBERGANSEQUENZEN von der Strasse bis zu den Wohnungstüren ausgewählt. Welche Geometrie wurde von den GRENZFLÄCHEN bis zu den gemeinschaftlichen und privaten Ausseräumen eingesetzt.

Oder anders gefragt, wie sind die Zugänge, die Portikas, die Eingangsbe-reiche und die Foyers in ihrer Form gestaltet und wie sind die Balkone, die Terrassen, die Loggien und die Erker gemacht?

Beobachten wir die Strassenperspektiven der Altstadt und der Quartiere aus dem Industriezeitalter, aber auch Einzelbauten in den Agglomera-tionsquartieren aus der Moderne, wird sehr schnell ersichtlich, dass diese immer stark von den HORIZONTALEN ÜBERGANSSEQUENZEN geprägt sind.

Aufgrund ihrer identitätsbildenden Bedeutung sind diese HORIZONTALEN ÜBERGANSSEQUENZEN vom Aussen nach Innen und von Innen nach Aussen sorgfältig zu gestalten: Keramikplatten in den den verschiedesten Formaten und homogene Gussböden, Nischen und Wände komplex texturiert oder mit hellem Stuck verputzt, Verkleidungen, Käste, Schränke und Türen aus edlen Hölzer und sorgfältig geschmiedete Leuchten und Geländer.

Über dieses HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUENZEN gelangt man auf der Erdgeschossebene in herrkömmlichen Wohnbauten erst in als Windfang ausgebildete Schleusen, anschliessend direkt zum VERTIKALEN ERSCHLIES-SUNGSSYSTEM im Innern des jeweiligen Gebäudes. Bei Bauten von reprä-sentativer Relevanz kann hinter der Windfangschleuse eine mehrgeschossi-ge Eingangshallen folgen, bevor das VERTIKALE ERSCHLIESSUNGSSYSTEM im Innern erreicht ist.

Verlässt man auf den oberen Ebenen das VERTIKALE ERSCHLIESSUNGS-SYSTEM. welches wir in der nächsten KATEGORE vertiefen werden, folgen einzelen Eingänge zu verschiedenen Raumeinheiten, welche wiederum an die GRENZFLÄCHEN und deren HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUENZEN führen.

Adolf Loos, Einganghalle Villa Karma, Wien 1903

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Werkstattblock_VGrundlagen Untersuchungen Präsentation

In diesem Werkstattblock_V ist die Aufbereitung der Grundlagen und die Untersuchung dieser Grundlagen als Machbarkeitsprüfung im Zusammen-hang mit ausgewählten Referenzbeispielen aus der Nachbarschaft, aber auch aus der Architekturgeschichte zur Gestaltung dieser HORIZONTALE ÜBERGANSSEQUENZEN zu verstehen.

Die Analyse der ausgewählten HORIZONTALE ÜBERGANSSEQUENZEN zur Übertragung der ausgewählten Raumsequenzen ins Projekt, findet parallel zur Zuweisung der entsprechenden Materialien und Texturen statt.

Jedes Material hat seine Grenzen, welche auf seine physikalischen Eigenschaften wie Gewicht, Dichte oder Elastizität zurückzuführen ist. Die Dimensionierung, die Teilung und die Beschaffenheit eines Materials hängt von seiner Verarbeitbarkeit in der Werkstatt, in der Industrie oder am Ort in Trocken- oder Nassbauweise ab.

Die Grenzen der eingesetzten Werkzeuge und Maschinen zur Abtragung und Herstellung eines Werkstoffes sind im Einsatz genauso prägend wie das Thema der Montage und des Transportes.

Die Art und Weise wie der Materialwerkstoff verlegt, montiert, eingebaut oder gegossen aber auch wie sich ein Werkstoff während seiner Lebens-dauer verhält ist formbildend und wird damit bereits in diesem Werkstatt-block_V untersucht.

Der Schwerpunkt liegt im Verhältnis zwischen den einzelnen Baustoffe und seinen formbildenden Kräften: Verarbeitungstechniken, handelsübliche Grössen, Oberflächenbeschaffenheit, Farbigkeit, Reflexionskraft, Dichte, Härte, Gewicht und Materialstärken sind präzise zu kennen, um diese HORIZONTALE ÜBERGANSSEQUENZEN korrekt gestalten zu können und eine stimmungsbildende Raumabfolge zu schaffen.

HORIZONTALE ÜBERGANGSSEQUENZEN

Und doch ist der Granit an sich wertlos. Draussen auf dem Felde liegt er, jedermann kann ihn an sich nehmen. Oder er bildet ganze Berge, ganze Gebirge, die man nur abzugraben braucht. Man schottet mit ihm die Strassen, man Pflastert mit Ihm die

Städte. Es ist der gemeinste Stein, das gewöhnlichste Material, das uns bekannt ist. Und doch sollte es Leute geben, die ihn für unser wertvollstes Baumaterial halten?

Diese Leute sagen Material und meinen die Arbeit. Die menschliche Arbeitskraft, Kunstfertigkeit und Kunst. Denn der Granit verlangt eine grosse Arbeit, um ihn

dem Berge zu entreissen, grosse Arbeit ihm die richtige Form zu geben, Arbeit, ihm durch schleifen und polieren das gefällige Aussehen zu verleihen. Und vor der

polierten Granitwand wird unser Herz in Ehrfurchtsvollem schauer erbeben. Vor dem Material? Nein, vor der menschlichen Arbeit.

Adolf Loos,Die Baumaterialien, Neue Freie Presse 1898

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Werkstattblock_VBegriffe Schlüsswörter Konzepte

Der Archetyp Das zuerst Geprägte, das in der geistigen Welt existierende Urbild oder die Idee des Seienden als eines Abbildes, so in der spätantiken Philosophie. Die hypothetische Stammform einer Organismengruppe, die in einer systematischen Einheit zusammengefasst ist. Der Archetyp verdeutlicht in idealisierter Weise das Bauprinzip der jeweiligen Organismengruppe.

Der Ausdruck Der Ausdruck ist ein Begriff der Ästhetik und der Theorie der Kunst. Hier bezeichnet er die durch den Einsatz formaler Mittel erzeugte Wirkungsmöglichkeit eines Kunstwerks und seines gestalteten Gehalts auf den Rezipienten, die diesem eine ästhetische Erfahrung und eine Sinnerfahrung zugleich bzw. eine Sinnerfahrung als ästhetische Erfahrung gestattet.

Die Betriebsenergie Die Betriebsenergie stellt die energetischen Flüsse und Abläufe in Form von technischen Installationen innerhalb der Gebäudestruktur sicher. Der Bereich eines Hauses, welcher sich praktisch, experimentell und theoretisch mit den bauphysikalischen Eigenschaften von Baustoffen und den technischen Anforderungen von Maschinen besonders in Hinblick auf den Durchgang von Wärme, Elektrizität, Wasser und Luft sowie den dabei auftretenden Gesetzmä-ßigkeiten befasst.

Die GeometrieTeilgebiet der Mathematik, das aus der Beschäftigung mit den Eigenschaften und Sachverhal-ten des umgebenden physikalischen Raumes entstand, wie z.B. der Gestalt von räumlichen und ebenen Gebilden und der Berechnung von Längen, Flächen und Inhalten von Figuren. Die bekannteste Einteilung dieser Gebilde ist die Unterscheidung zwischen der euklidischen Geometrie und der nichteuklidischen Geometrie.

Die FormDasjenige, was jedem Ding und jedem Ereignis seine Eigenart verleiht. Gleich, um welchen Gegenstand es sich handelt, bildlich wahrnehmbar ist immer nur seine Form. Erst durch die Erfahrung, dass einem Material verschiedene Formen gegeben werden können, kommt es zu der begrifflichen Unterscheidung zwischen Form und Materie. Neben der äußeren Form, der Gestalt, gibt es eine innere Form, die Sinneinheit, denn bei jedem Gegenstand der Wahrneh-mung und des Denkens lässt sich ein charakterisierendes formales von einem tragenden stofflichen Moment unterscheiden.

Das KlimaDas aus dem griechischen Wort klíma, klímatos ”Neigung” stammende Klima ist in der Mete-orologie die statistische Beschreibung der relevanten Klimaelemente, die für einen Standort oder eine Station, eine Region oder global für eine nicht zu kleine zeitliche Größenordnung die Gegebenheiten und Variationen der Erdatmosphäre hinreichend und ausführlich charakteri-siert.

Das RasterEin Netz aus sich rechtwinklig kreuzenden Linien, deren Abstände einem Grundmaß der Baumaßordnung entsprechen, beispielsweise die Knotenpunkte einer Skelettkonstruktion. Das Raster erleichtert elementiertes Bauen.

Das TageslichtDas aufgrund der Sonnenstrahlung am Tag auf der Erdoberfläche vorhandene natürliche Licht. Je nach Sonnenstand, Bewölkung, Dunst etc. sind Farbtemperatur und Beleuchtungsstärke des Tageslichts unterschiedlich. Die horizontale globale Beleuchtungsstärke beträgt in 50° nördlicher Breite mittags bei klarem Himmel bis etwa 100’000 lx im Sommer und 20’000 lx im

Winter, bei bedecktem Himmel entsprechend bis etwa 20’000 lx beziehungsweise 5’000 lx.

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Werkstattblock_VIArchitektur Entwurf Konstruktion

Die Kunst der Bildung HORIZONTALER ÜBERGANGSSEQUENZEN ist nicht bloss in der schönen Vorstellung zu suchen, sondern genauso in der gelun-genen Planung und der entsprechenden Realisierung dieser Vorstellung.

Ähnlich wie in der Literatur, in der Fotografie und im Film ist die Stimmung einer Rausequenz massgebend. Im Gegensatz zum Film, zur Fotografie und zur Literatur, welche die Idee der Sache lediglich nachbilden, reicht in der Architektur die blosse Idee nicht aus. Kennt man die Zusammenhänge der Baustoffe nicht, kann eine Vorstellung in seiner Ausführung schnell plump und banal wirken. Aufgrund dessen müssen die materiellen Eigenschaften bereits sehr früh bestimmt werden, unabängig davon ob diese aus dem Ort resultieren oder auf eine ausgewählte Referenz oder eine eigene Idee zurück zu führen sind.

Nach der Bestimmung des architektonischen Übergangs von Aussen nach Innen über den adressbildenden Haupteingang sind in diesem Werkstatt-block_VII die inneren öffentlich zugänglichen Oberflächen des Hauses zu definieren, sowie die Verbindungen zwischen diesen Zonen in Szene zu setzen.

Diese Verbindung kann zum Beispiel über einen einfachen eingeschossigen Windfang oder über eine mehrgeschossige Eingangshalle stattfinden.

Auf der Erdgeschossebene entspricht der Eingangsbereich, der letzten GRENZFLÄCHE zwischen Öffentlichkeit und Privatheit und bildet damit den Übergang von aussen nach innen.

Auf den oberen Ebenen dreht sich die Situation um, so dass die GRENZFLÄ-CHEN die HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUENZEN von innen nach aussen bilden.

Das präzise Bewusstsein und die genaue Vorstellung des spezifischen Charakters, der mit der Definition dieser HORIZONTALEN ÜBERGANGSSE-QUENZEN erreicht werden kann, stellen wir über eine Reihe an 3D_Bilder oder Filmausschnitten dar und begleiten diese mit einem Text.

HORIZONTALE ÜBERGANGSSEQUENZEN

““Dennoch sage ich euch, dass es einen Zeitpunkt gibt, indem ihr euch dem Chromatismus der Dinge stellen müsst. Ihr werdet wohl Böden, Decken und Wände machen müssen: Wollt ihr die Alle in Weiss? Auch für den Entwurf eines einfachen kubischen Raumes muss auf kleine Überlegungen zurückgegriffen werden, ein Alphabet, vielleicht eine Grammatik der Materialien. Es ist eine seltsame Fähigkeit, welche uns erlaubt zu erahnen, dass eine präzise dimensionale Tatsache, wie der Wechsel der Materialstärke zum Beispiel, die besondere Qualität des physischen Werts der Dinge ausmacht...”

Carlo ScarpaEröffnungsrede iakademischen Studienjahres IUAV 1964-65

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Werkstattblock_VIBegriffe Schlüsswörter Konzepte

Die ApplikationIn der bildenden Kunst bedeutet der Ausdruck: ornamentierte Auflage, unter anderem aus Papier, Blei, Farbteig, besonders auf Gemälden oder gefassten Skulpturen. Zusätzliche Teile aus Ton, Elfenbein, Holz und Metall heissen Appliken. Metallene Teile werden auch als Beschlä-ge bezeichnet. Seit dem späten Mittelalter beliebte und oft virtuos eingesetzte Technik, um bildliche Darstellungen lebensnäher zu gestalten.

Die EigenschaftUnterschieden wird in mechanische Eigenschaften, wie Dichte oder Festigkeit. Ferner gibt es noch die physikalischen Eigenschaften, wie die elektrische Leitfähigkeit oder das optische Ver-halten, die chemischen Eigenschaften, die Herstellung, Bearbeitung, Ökologie und Ökonomie.

Die FertigkeitDurch Übung erworbenes Know-How sowie eine gesteigerte Fähigkeit. Fertigkeit kann als relativ verfestigte und automatisierte Tätigkeitskomponente, häufig ohne ständige Steuerung und Kontrolle durch das Bewusstsein, aufgefasst werden. Im Rahmen der Berufsausbildung in Handwerk und Industrie und beim Anlernen von ungelernten Arbeitern findet eine besondere Fertigkeitsschulung je nach der auszuübenden Tätigkeit statt.

Die graue EnergieDie graue Energie entspricht dem gesamten kumulierten Energieaufwand der benötigt wird, um einen bestimmten Baustoff herzustellen. Graue Energie bezeichnet die Energie, die vom Verbraucher nicht direkt eingekauft wird, die jedoch für die Herstellung von Gütern sowie für Transport, Lagerung und Entsorgung benötigt wird. Offenkundig ist die graue Energie relevant im Zusammenhang mit sich erschöpfenden Ressourcen und der Klimaproblematik, soweit nicht erneuerbare Energie genutzt wird.

Die OberflächeGrenze zwischen zwei Medien, beispielsweise zwischen einem festen Körper beziehungsweise einem technischen Gebilde und dem umgebenden Raum. Die Oberfläche hat entweder eine bestimmende oder eine untergeordnete Aufgabe.

Die ProduktionAus dem Latenischen “Producere“ und bedeutet “das Hervorführen”. Im Allgemeinen bedeutet der Begriff Erzeugung, Herstellung oder das Erzeugte. Die Hervorbringung von Produkten durch Einsatz von Elementarfaktoren. Die Produktion setzt eine gedankliche Vorbereitung des Produktionsprozesses voraus, deren Ergebnis in einem Produktionsplan festgehalten wird.

Der TransportDie Beförderung von Personen, Gütern, Energie und Nachrichten durch Einrichtungen der För-der- und Verkehrstechnik; allgemein die Beförderung von Stoffen in und auf anderen Medien. Die wichtigsten Transportmittel sind Schiffe, Eisenbahn, Kraftwagen und Flugzeuge. In dieser Reihenfolge steigen im Allgemeinen die Beförderungsgeschwindigkeiten, der Energieaufwand, und die Kosten des Transports, dagegen sinken die möglichen Abmessungen und Gewichte der Transportgüter.

Der TypusInnerhalb einer wissenschaftlichen Typenlehre kann die Bedeutung des Typusbegriffs vom reinen Ordnungsbegriff bis zum Idealbegriff reichen. Unterschieden wird dabei meist zwischen dem in einer Gruppe von Dingen oder Personen häufigsten Durchschnittstypus und dem Idealtypus, der die wesentlichen Eigenschaften und Beziehungen darstellt und immer nur annäherungsweise verwirklicht ist.

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VERTIKALE ERSCHLIESSUNGSSYSTEME

Erschliessungssystem Hauptbahnhof Zürich

ModellebenenMassstäbe 1: 5000 / 1:1000 / 1:500 / 1:333 / 1:250

Indem wir über die Beobachtung die VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYS-TEME im entsprechenden Stadtausschnitt untersuchen, schaffen wir die Grundlagen für die Verbindung der VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTEME über die HORIZONTALE ÜBERGANGSSEQUENZEN mit den entsprechenden GRENZFLÄCHEN und dem damit in Verbindung stehenden Kontext.

Welche VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTEME und welcher Gebäudetypen machen in diesem Kontext, aber am meisten Sinn?

Stellen wir uns die Stadt im Erdgeschoss aus einer Vielzahl an HORIZONTA-LE ÜBERGANGSSEQUENZEN und VERTIKALEN ERCHLIESSUNGSSYSTEMEN vor, welche in Beziehung zueinander stehen, liegt der Schlüssel zum Ver-ständnis eines Stadtausschnittes im Verständnis seines strukturellen Codes.

Die Tatsache, dass die VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTEME über die HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUENZEN mit der entsprechenden GRENZ-FLÄCHE immer in Beziehung zum Kontext zu lesen sind, ist eine Grunder-kenntniss zum Verständnis dieser Annäherungsweise an die Architektur.

Der Erdgeschosssituationsplan dient dazu die HORIZONTALEN ÜBER-GANGSSEQUENZEN und die VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTEME aus der städtischen Topologie herauszulesen und die Auswirkungen auf die GRENZFLÄCHEN und dem Kontext zu verstehen.

Die Idee dieser Erdgeschossgrundrisse ist auf den im 18. Jahrhundert realisierten Stadtplan von Rom von Giovanni Battista Nolli zurückzuführen. Die methodische Darstellung dieser Erdgeschossstrukturen basiert hinge-gen auf die Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Stadtmorphologie und Haustypologien, wie sie erst Saverio Muratori mit Venedig in den 60er Jahren und später Aldo Rossi mit Zürich und anderen Städte in den 70er Jahren durchgeführt haben.

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Werkstattblock_VIIGrundlagen Untersuchungen Präsentation

Aufbauend auf die Werkstattblöcken_I bis VI untersuchen wir in diesem Werkstattblock_VII die VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTEME von Men-schen und Technik. Im Werkstattblock_I haben wir einen Quartierplan der Dachaufsichten im Massstab 1:1000 realisert. Zu diesem Quartierplan kommt im Werkstattblock_III ein Erdgeschosssituationsplan im Mass-stab 1:250 hinzu, welcher die HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUENZEN (Eingänge, Treppen, Aufzüge, Funktionsschächte, etc.) des ausgewählten Stadtausschnittes hervorhebt.

Der Erdgeschosssituationsplan der HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUEN-ZEN im Massstab 1:250, wie ihn Aldo Rossi und sein Team vom ganzen Stadtkern von Zürich im Massstab 1:500 gezeichnet hatten, wird nicht nur als blosses analytische Instrumente verwendet. Wir Nutzen diesen Erdge-schosssituationsplan als direktes Werkzeug, um den Entwurf mit seinen GRENZFLÄCHEN und seinen HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUENZEN in den bestehenden Kontext zu implementieren.

Der Erdgeschosssituationsplan steht aber immer auch gleich in direkter Abhängigkeit mit der unterirdischen Anlage, welche aus den Kellerräumen, der Gebäudetechnikräume, der Fahrzeugeinstellhalle, etc. besteht.

Der Erdgeschosssituationsplan ist somit immer auch der direkte Abdruck der unterirdischen Anlage, welche die Umgebung und die Landschaft define-rit und damit parallel zum Erdgeschosssituationsplan ebefalls im Massstab 1:250 gezeichnet und gedacht werden muss.

Gestützt auf die Schnittsilhouetten, welche wir im Werkstattblock_II im Massstab 1:1000 gezeichnet hatten, realisieren wir in diesem Werkstatt-block_VII auch die Querschnitte der VERTIKALEN ERSCHLISSUNGSSYSTE-ME im Massstab 1:250.

Parallel dazu dienen diese zweidimensionalen Querschnitte der VERTIKALEN ERSCHLISSUNGSSYSTEME zusammen mit dem Erdgeschosssituationsplan und der unterirdischen Anlage der HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUEN-ZEN, als Basis zur Realisierung der 3D_Modelle der VERTIKALEN ER-SCHLIESSUNGSSYSTEME im Massstab 1:250.

“Man muss viel mehr von der Form, als von der Funktion der Form sprechen; letztendlich vom Konzept der Form, aber das hat bereits Raffaello in seinem Brief an Graf Baldassare Castiglione geschrieben.”

Ignazio GardellaIm Gespräch mit Antonio Monestiroli um 1997

VERTIKALE ERSCHLIESSUNGSSYSTEME

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Werkstattblock_VIIBegriffe Schlüsswörter Konzepte

Der BehälterWährend ein Gefäß ein Gerät mit einer steifen und starren Hülle ist, die einen Inhalt unter-schiedlicher Konsistenz fassen kann, ist ein Behälter ein Ding, welches in seinem Inneren einen Hohlraum aufweist, der insbesondere dem Zweck dient, seinen Inhalt von seiner Umwelt zu trennen.

Das ErdgeschossDas Erdgeschoss, auch Parterre (aus dem Französichen par terre, was „am Boden“ oder „zu ebener Erde “ bedeutet) genannt , ist das untere Stockwerk, dessen Fußbodenoberfläche meist höher liegt als das umliegende Gelände. Wird das Kellergeschoss über das umgebende Gelände hochgeführt, bezeichnet man das Erdgeschoss als Hochparterre. Wenn das Erdge-schoss in der Fassadengliederung als Sockel des Gebäudes ausgebildet ist, kann es auch als Sockelgeschoss bezeichnet werden.

Der GebäudekernDer Gebäudekern dient der Vertikalerschliessung verschiedener Höhenebenen auf kürzestem Weg und ist statisch tragend durch die Wände, die den Kern schliessen. Der Gebäudekern, frü-her Treppenturm, ist das Gebäudeteil, in dessen Inneren die Treppenstufen, die Aufzüge und die Gebäudetechnik positioniert sind und unterliegt den Sicherheitsregeln der Feuerpolizei.

Die IntegrationDie Integration bedeutet im Wesentlichen die Wiedererstellung einer Einheit oder eines Ganzen. Dies durch die Einbeziehung, oder die Eingliederung eines Elemetes in ein größeres Ganzes. In der Psychologie ist die Integration eine Bezeichnung für das einheitliche zusammenwirken ver-schiedener Prozesse, sowie für das zusammenfassen verschiedener physischer, psychischer und sozialer Komponenten zu einer übergreifenden Organisationsform wie etwa einem Typus.

Der KontextZusammenhang, Hintergrund, Umfeld. Allgemein Voraussetzung, ohne die etwas anderes nicht ist oder nicht gedacht werden kann. Bedingungen sind Ausdruck von Gesetzmässigkeiten. Contextere heisst in der lateinischen Sprache eng verknüpfen. Umgangssprachlich wird Kontext für Umfeld, Hintergrund und Zusammenhang verwendet. In der Architektur steht der Begriff für die Umgebung und Lage in welcher ein architektonisches Objekt situiert, wahrgenommen und verstanden wird. Kontext und Architektur können sich gegenseitig beeinflussen.

Die Referenz Ein beliebig oder spezifisch herausgegriffener, typischer Einzelfall als Erklärung und Beispiel für eine bestimmte Erscheinung oder einen bestimmten Vorgang. Eine Referenz dient als Vorbild und Inspiration für eigene Ideen. Häufig Ideale zur Nachahmung und Identifikation aus der eigenen Erinnerung und bestimmt durch den persönlichen Geschmack.

Die SpannweiteDie Spannweite bezeichnet den Abstand zweier Auflager zueinander. In der Bautechnik Teil eines Systems aus Trägern oder anderen Bauelementen, welches die Wirkungen aus ständigen Lasten und Nutzlasten aufnimmt und an die Auflager, Pfeiler oder Widerlager, überträgt. Je nach Art beziehungsweise Anordnung der Bauelemente können die Spannweiten von ent-sprechenden Flächentragwerken, Rahmentragwerken, Bogentragwerken, Balkentragwerken, Stabwerken und Seiltragwerken definiert werden.

Das TragwerkAls Tragwerk von Hoch- und Brückenbauten gilt die Gesamtheit aller zur Lastaufnahme und

Lastableitung sowie zur Stabilisierung notwendigen Bauteile und deren Verbindungen.

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Werkstattblock_VIIIArchitektur Entwurf Konstruktion

Die in den Werkstattblöcken_I bis VI entwickelte VOLUMEN/GEGENVOLU-MEN, GRENZFLÄCHEN und HORIZONTALE ÜBERGANGSSEQUENZEN werden in diesem Werkstattblock_VIII weiter bearbeitet, indem die VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTEME definiert werden.

Die Veränderungen des genetischen Codes der bestehenden Behälter im Zusammenhang mit den An- und Weiterbau - Strategien und die Ambition, die Gebäudegruppen in strukturell offene Systeme zu verwandeln, geht immer auch über die Veränderung der VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYS-TEME.

Die im Werkstattblock_VII vorbereiteten Grundlagen, welche aus den Erdgeschossgrundrissen, den Querschitten und dem 3D_Modell der Er-schliessung im Masstab 1:250 resultieren, bilden die Basis für den Entwurf.

Neben dem Schwarzplan, dem Quartierplan, dem Erdgeschosssituati-onsplan und dem Plan der unteridischen Anlage, werden die aus dem VOLUMEN/GEGENVOLUMEN und die aus diesem Werkstattblock_VIII resultierende VERTIKALE ERSCHLIESSUNGSSYSTEME anhand von Grundris-sen und Schnitten im Massstab 1:250 dargestellt.

Ein Text beschreibt das Konzept des Vorhabens und wird von Bilder beglei-tet, welche aus den 3D_Modellen der VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTE-MEN resultieren.

“Wir beginnen damit, daß wir uns fragen, was wir zu bauen haben: eine offene Halle oder einen konventionellen Konstruktionstyp - und dann arbeiten wir uns von dem gewählten Typ bis zum kleinsten Detail hindurch, bevor wir die Einzelheiten des Grundrisses zu lösen anfangen. Wenn Sie den Grundriß oder die Raumordnung zuerst lösen, so wird alles blockiert und eine klare Konstruktion ist unmöglich.”

Ludwig Mies van der RoheChristian Norberg Schulz: Ein Gespräch1958

VERTIKALE ERSCHLIESSUNGSSYSTEME

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Werkstattblock_VIIIBegriffe Schlüsswörter Konzepte

Die Bedingungen Die Bedingungen sind die Voraussetzungen die der Ort, die Wirtschaft, die Technik und die Politik bieten und es ermöglichen eine Voraussage zu machen um Prozesse und Ereignisse zu planen. In diesem Sinne sind die vorgefundene Bedingungen für das Ergebnis prägend.

Der GrundrissDer Grundriss beschreibt die zeichnerische Planung oder Erfassung einer baulichen Struktur, die in der horizontalen Achse auf einem Meter Höhe geschnitten wird. Ein Grundriss ist die Projektion und die Wiedergabe eines dreidimensionalen Gegenstandes auf einer zweidimensio-nalen, horizontalen Bildebene mittels gedachter, rechtwinkliger Schnittlinien.

Das EreignisEin Begriff der das Geschehen des Seins bedeutet, das auch die ontologische Gründung der abendländischen Geschichte bestimmt hat, aufgrund der Denkart der philosophischen Tradition. Ein Ereignis bezeichnet also keinen empirischen Vorfall, sondern die unscheinbare Permanenz des Seins in der Geschichte, die durch das technisch-naturwissenschaftlich gepräg-te Weltbild der Moderne weiter entstellt wird.

Das KonkreteAus dem lateinischen “verdichten” oder “zusammenwachsen”. Etwas sinnlich Wahrnehmbares, Fassbares, real Vorhandenes. Gegenstände und Vorstellungen, sofern sie als einzelne und besondere in sinnlicher Anschauung gegeben sind, werden als konkret bezeichnet. Für Hegel ist das Konkrete die Einheit unterschiedener Bestimmungen, die sich aus ihrer abstrakten Einseitigkeit heraus indes hinein aufheben.

Die KompositionDie Anordnung und der Formaufbau von Gegenständen. In der Architektur ergibt sich die Komposition aus Grund- und Aufriss. Von Gesamtkomposition spricht man, wenn mehrere Bauten durch Beziehung zueinander, durch Straßenzüge oder Plätze in einen Wirkungszusam-menhang gebracht werden. Die Elemente der Komposition wie Proportion, Perspektive, Fläche, Linie, Symmetrie, Reihung, Farbe oder das Licht vermitteln die Vorstellung vom Ganzen in einer erkennbaren Gesetzmäßigkeit, einem Stil als Kompositionsprinzip.

Die QuantifikationDie Quantifikation stellt eine Vorstufe der Mathematisierung dar, insofern sie Zahlenmaterial bereitstellt, das unter mathematischen Gesichtspunkten behandelt werden kann. Wissen-schaftsgeschichtlich war die Ablösung der spekulativen durch die empirische, quantifizierende Methode grundlegend für die Entwicklung der modernen Naturwissenschaften.

Die Substanz In der Philosophie ist “Substanz” der Begriff für das selbstständige Seiende, worunter spätestens seit Descartes hauptsächlich individuelle Gegenstände verstanden werden, deren Kategorie die Substanz ist. In der Umgangssprache und in den Naturwissenschaften wird Sub-stanz auch für grundlegende chemische Stoffe verwendet, in der Chemie für feste Stoffe. Beide Begriffe lassen sich gleichermaßen auf Aristoteles zurückführen, der dafür den Namen “ousia” einführte und neben den Einzeldingen auch eine materia prima als Substanz erwogen hatte.

Die Sprache Die Sprache kann als System gelesen werden. Die natürlichen Sprachen sind hierarchische Systeme, das heisst Systeme aus Einheiten, die mit anderen Einheiten zu komplexeren Einhei-ten zusammengefügt werden können. Den verschiedenen Ebenen entsprechend geht man von verschiedenen Teilsystemen aus, die jeweils aus spezifischen Einheiten sowie aus Regeln für die Kombination dieser Einheiten bestehen.

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VERKNÜPFUNGEN / VERNETZUNGEN ModellebenenMassstäbe 1:5000 / 1:1000 / 1:500 / 1:333 / 1: 250 / 1:100

In der KATEGORIE VERNETZTUNGEN/VERKNÜPFUNGEN betrachten wir den Entwurf auf allen Massstabsebenen gleichzeitig und fokusieren uns auf einzelne ausgewälte Schnittstellen im Massstab : 1:100

Wie können die GRENZFLÄCHEN, die HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUEN-ZEN und die VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTEME durch VERNETZTUN-GEN/VERKNÜPFUNGEN miteinander verbunden werden?

Wie werden die Flächen aufgeteilt, die entsprechenden Nutzungen zuge-ordnet und mit dem aus dem VOLUMEN/GEGENVOLUMEN resultierenden Behälter verknüpft?

Mit der strategisch präzisen Definition der HORIZONTALEN ÜBERGANGSSE-QUENZEN und der VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTEME wurden bereits in den Werkstattblöcken_V bis VII strukturell offene Systeme geschaf-fen, welcher die Austauschbarkeit der unterschiedlichen Nutzungen möglich machen.

Durch das zeichnen der VERKNÜPFUNGEN/VERNETZTUNGEN der einzel-nen Schnittstellen auf allen Massstabsebenen 1:5000 / 1:1000 / 1:500 / 1:333 / 1: 250 / 1:100 gleichzeitig, werden die Hierarchien der einzelnen KATEGORIEN klar zur Deckung gebracht und die Untersuchungen und der Entwürfe als Ganzes aufgezeigt.

Waclaw Sierpinski, Sierpinski Dreieck 1915

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“Diese Theorie, die sich aus der Analyse der städtebaulichen Realität ergibt, widerspricht der verbreiteten These, dass durch blosse Planung von Funktionen automatisch eine Gestalt entsteht. In Wirklichkeit sind es vielmehr die Formen (und zwar nicht nur insofern sie eine Funktion erfüllen), die eine Stadt entstehen lassen. In diesem Sinn ist der einzelne Bau ein wesentlicher Bestandteil der städtebaulichen Realität. Er erhält damit eine Bedeutung, die sich aus seiner Konzeption als abstrak-ter Behälter für wechselnde Funktionen nicht ergibt.”

Aldo RossiDie Architektur der Stadt 1973

VERKNÜPFUNGEN / VERNETZUNGEN Werkstattblock_IXGrundlagen Untersuchungen Präsentation

Aufbauend auf die Werkstattblöcken_I bis VIII untersuchen wir in diesem Werkstattblocken_IX die nutzungsbezogenen VERKNÜPF-UNGEN/VERNETZUNGEN der Behälter im bestehenden Stadtausschnitt auf allen Massstabsebenen gleichzeitig.

In den Werkstattblöcken_VII und VIII haben wir den Erdgeschosssitua-tionsplan gezeichnet, welcher die VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTEME des ausgewählten Stadtausschnittes im Massstab 1:250 zeigt.

In diesem Erdgeschosssituationsplan im Massstab 1:250, fokusieren wir uns auf die HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUENZEN und die VERTIKALEN ERSCHLIESSUNGSSYSTEME der Behälter im Stadtausschnitt.

Weiter zeichnen wir im Massstab 1:250 die relevanten Querschnitte, welchedie mehrgeschossigen Strukturen und deren HORIZONTALEN UBERGANGS-SEQUENZEN zu den GRENZFLÄCHEN zeigen.

Diese zweidimensionalen Grundrisse und Querschnitte dienen als Basis, umim nächsten und letzten Werkstattblöcken_X ein anatomisches 3D_Mo-dell im Massstab 1:100 zu realisieren und das Projekt auf allen Masstabse-benen gleichzeitig zu prüfen.

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Werkstattblock_IXBegriffe Schlüsswörter Konzepte

Die AtmosphäreDie Wahrnehmung der baulichen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten, die der einzelne Mensch oder eine soziale Gruppe an einem Ort entwickelt. Durch die materielle, gebaute Umgebung ensteht eine spezifische Stimmung und Wirkung, die den jeweiligen Ort ausmacht.

Die ArbeitssystematikOberbegriff für alle Maßnahmen der Gestaltung der betrieblich organisierten, arbeitsteilig verrichteten Arbeit zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und zur Humanisierung der Arbeit. Die Arbeitssystematik umfasst unter Anwendung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse u. a. die Bereiche Arbeitszeit, Arbeitsstrukturierung, Arbeitsmotivation, Arbeitsplatz, Entlohnung und Führungsstil.

Die Berharrlichkeit „Das Schema der Substanz“, so sagt Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft, „ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, das ist die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andere wechselt. Etwas später definiert Kant Beharrlichkeit als „ein Dasein zu aller Zeit“

Die Langlebigkeit Langlebigkeit bezeichnet den Umstand, bei dem ein Lebewesen, ein Objekt, eine Architektur deutlich länger lebt als es der Durchschnitt seiner Art vorgibt. In der Natur sind angepasste zyklische Entwicklungen im Sinne einer Metamorphose üblich. In der Architektur können wir diese Metamorphosen insbesondere in Stadtstrukturen aus der Vergangenheiten beobachten.

Das ProjektIm weiteren Sinn jede Aktivität oder Veranstaltung, der ein gewisses Risiko anhaftet, im engeren Sinn eine dauerhafte organisatorische Einheit, in der Aktivitäten und Herstellung von Sachgütern und Dienstleistungen mit einer bestimmten Zielsetzung vollzogen werden.

Die QualitätGesamtheit der charakteristischen Eigenschaften von Personen oder Sachen, Beschaffenheiten und Gütern. In der Philosophie ist die Qualität eine erkenntnistheoretische Bezeichnung für eine der formallogischen Grundformen des Denkens, Kategorien, Urteile, die für Aristoteles auch die Grundstruktur des Seins bestimmen.

Die Ressourcen Erst die Existenz von menschlichen Bedürfnissen und zusätzlich die technische Möglichkeit der Nutzung der Naturstoffe machen diese zu natürlichen Ressourcen. Diese werden eingeteilt in erschöpfbare Ressourcen und nichterschöpfbare Ressourcen. Bei den erschöpfbaren Ressourcen unterscheiden wir wiederum regenerierbare Ressourcen und nicht regenerierbare Ressourcen.

Die Schönheit Mit der Schönheit wird ein Gefallen bekundet, der eine hohe ästhetische oder damit verbunde-ne ethische Wertung zum Ausdruck bringt. In der Ästhetik ist er als höchste ästhetische Wert definiert, der durch bestimmte Eigenschaften eines Objekts oder bestimmte Modalitäten einer sinnlichen Erfahrung verkörpert wird.

Das WissenBezeichnung für ein in Individuen, Gruppen und sonstigen Kollektiven vorhandenes kognitives Schema, das, an der Erfahrung orientiert, die Handhabung von Sachverhalten, Situationen sowie den Bezug zur Umwelt auf eine zumindest angenommene zuverlässige Basis von Informationen und Regeln gründet, die sich ihrerseits anhand der Kriterien Prüfbarkeit, Nach-vollziehbarkeit und Begründbarkeit bestimmen lassen.

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Werkstattblock_XArchitektur Entwurf Konstruktion

Das in den Werkstattblöcken_I bis IX entwickelte Projekt wird in diesem Werkstattblöcken_X weiter gedacht, indem wir an der inneren vertikalen und horizontalen Teilung der Geschossflächen GF arbeiten.

Diese innere vertikale und horizontale Teilung liefert die Module, welche die Grundlage für das programmatische VERKNNÜPFEN/VERNETZEN im Kontext bildet.

Die Teilung der Behälter, welche zwischen den GRENZFLÄCHEN, den HORIZONTALEN ÜBERGANGSSEQUENZEN und den VERTIKALEN ERSCHLIES-SUNGSSYSTEMEN entstehen, bildet die Basis zur Bildung eines Raumpro-grammes.

Die Tragstruktur definiert sich einerseits durch sich repetierende Module, zur Bildung von Zimmer und Zellen, andererseits durch einige wenige mehrgeschossige Raumeinheiten mit grossen Spannweiten, welche für die programmatische Variabilität im städtebaulichen Kontext von grosser Bedeutung sind.

Die im Werkstattblock_IX vorbereiteten Grundlagen, welche aus dem programmierten Erdgeschossgrundriss, aus den vorbereiteten Querschit-ten im Massstab 1:250 und aus den 3D_Modellen der Wohnungsspiegel im Masstab 1:100 bestehen, dienen als Basis für die programmatische VERKNÜPFUNGEN / VERNETZUNGEN.

Weiter sind eine Reihe von Grundriss-, Schnitt- und Fassaden-Ausschnitt-Zeichnungen zu realisieren, welche alle Massstabsebenen tangieren.

Neben den Plänen und den Kenndaten, beschreibt ein Text das Konzept der Gesamtintervention und wird von Bildern begleitet, welche aus dem anatomischen 3D_Modell resultieren und die Folgen des VERKNNÜPFEN/VERNETZEN auf die Innen- und die Aussenräume zeigen.

Ein Gebäude im Bau befindet sich noch nicht in Dienerschaft. Es ist so besorgt zu sein, dass kein Gras unter seinen Füssen wachsen kann, so stark ist der Geist des Wartens auf das sein. Wenn es in Betrieb ist und fertig, will das Gebäude sagen: „Schau, ich möchte Dir über die Art, wie ich gemacht wurde erzählen.“ Niemand hört. Jeder geht beschäftigt von Raum zu Raum. Aber, wenn das Gebäude eine Ruine und frei von Dienerschaft ist, tritt der Geist hervor und erzählt vom Wunder, das ein Gebäude gemacht wurde.

Louis I. KahnBeginning: Louis I. Kahn‘s Philosophy of Architecture 1984

VERKNÜPFUNGEN / VERNETZUNGEN

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Marcello Nasso | Architect AAM USI SIA | Rotachstrasse 4 - CH 8003 Zürich | via Omboni 6 - IT 20129 Milano | +41 43 540 3626 | +41 79 454 3812 | [email protected] | www.marcellonasso.com

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Werkstattblock_XBegriffe Schlüsswörter Konzepte

Das BesondereDas Besondere wird als Überlagerung der natürlichen und der kulturellen Ressourcen eines Ortes mit dessen gebauten Artefakten gelesen. Mit anderen Worten: Das Besondere bilden die geografischen und klimatischen Bedingungen, verknüpft mit den Wertvorstellungen und den Konventionen einer Gesellschaft.

Das GeldDas Geld hat als Masseinheit die Funktion einer Ressource einen Wert zuzuordnen. Mit diesem Wert kann der Nutzen und der Preis eines materiellen oder eines virtuellen Gutes bestimmt werden. Mit diesem Wert kann aber auch der Verdienst einer Person oder der Preis einer Maschine definiert werden.

Die GeschichteDie Geschichte wird als Tradition gedeutet und somit als akribische Dokumentation des kultu-rellen Erbes zur bewussten Überlieferung und Erhaltung von Werten und Techniken.

Das HandwerkDas Handwerk wird als Fähigkeit des Menschen verstanden, mittels Wissen, Technik und Erfah-rung Werkzeuge handzuhaben und damit künstliche Objekte zu erzeugen. Es wurde sukzessive infolge der Mechanisierung und der darauffolgenden Digitalisierung der Herstellungsprozesse durch die Industrie ersetzt. Während die industrielle Produktion auf den Einsatz von wissen-schaftlichen Erkenntnissen und Theorien basiert, greift das Handwerk auf überliefertes Wissen zurück.

Die IndentitätDie Identität bildet sich aus den Konventionen und den Werten, welche die Bewohner eines Ortes vertreten und zu bewahren versuchen. Die Indentität ist das Regelwerk zur Anwendung der Konventionen und zur Erhaltung der Werte.

Die KonventionDie Konvention ist ein geschriebenes oder ein ungeschriebenes Gesetz, welches sich auf den Umgang mit dem vorliegenden Ort und den darin angesiedelten Menschen bezieht. Sie entsteht aus der Kultur der Bewohner dieses Ortes.

Die KulturDie Kultur wird durch die Geschichte, die Sprache, die Traditionen, die Werte und die Bräuche einer Gesellschafft geprägt und bestimmt das Wissen, die Politik und den Glauben dieser Gesellschafft.

Die MaterialitätDas Material entspricht einem durch Wissen und Technik verarbeiteten Rohstoff, welcher als Einzelstück oder als assembliertes Produkt ein Element bildet oder veredelt. Mies van der

Rohe sagt: “Jeder Stoff ist nur das Wert, was wir aus ihm machen.

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In Krisenzeiten ist es stets der einfachste Weg sich hinter anachronistischer Stilistik zu verstecken, damit der Verlust der Baukultur nicht selbstverständ-lich ins Auge sticht.

Wir sind dagegen und denken, dass wir uns dem Problem unserer Zeit stellen müssen und eine Antwort auf die Umstände der Gegenwart geben müssen und nicht mehr an den Autor in der Architektur, in der Kunst, in der Literatur glauben dürfen.

Wir Suche nach einer strengen Logik, welche den Ort und die Stadt defi-niert; eine Logik, wie wir diese aus den Ingenieurwissenschaften kennen und in die Informatikwissenschaften überführen können.

Eine Idee der Stadt als Kollektivprojekt: Damit ist aber nicht gemeint, dass jeder seine Meinung geltend machen kann. Wir meinen damit eher, dass wir einen Konsens in der Anwendungsweise der Techniken unserer Zeit finden müssen.

Wie im Mittelalter und im Industriezeitalter, aber auch im Rinascimento, als Leute wie Michelangelo in der Anwendung der Technik ihrer Zeit als beste Handwerker, nur sehr wenig vom allgemeinen Konsens abwichen.

Auf dieser Basis schlage wir vor, dass wir nicht mehr von Stil reden, son-dern von der Technik userer Zeit.

ZEITGEIST

Leon Battista Alberti, Palazzo Rucellai, Firenze 1446 - 1451

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Das Verständnis des Ortes über das abstrakt Messbare - die Dichte, die Höhe, die Fluchten, die Dimensionen - und über das sinnlich Erfahrbare - die Atmosphäre und die materielle Konsistenz des Gebauten - bilden die Basis für unsere prozessorientierte ARCHITEKTURWERKSTATT.

Beobachten wir unsere Stadtbestände in Europa, wird sehr schnell klar, dass die natürlich gewachsenen Altstadtquartiere aus dem Mittelalter und die von gleichartigen Blockrandbauten geprägte Quartiere aus dem Indust-riezeitalter, aber auch die Zeilenbauten aus der Moderne, sich viel mehr auf eine Baukultur stützen, welche aus anonymen Bauten besteht und damit auf ein kollektives Gedächtnis zurückzuführen sind. In diesem Sinn interessiert uns, wie wir dieses kollektive Gedächtnis diese kollektive Intelligenz, wieder zurück in die Architektur bringen können.

Ein Buch, welches an dieser Stelle zu erwähnen ist, ist “Architektur ohne Architekten“, welches 1964 der Architekt und Kulturphilosoph Bernhard Rudofsky als Katalog zu seiner gleichnamigen Ausstellung im MOMA in New York herausgegeben hat.

Viele anonyme Häuser und Städte, wie sie Rudofsky aufnimmt, sind zu einem grossen Teil bis in die heutigen Tagen erhalten geblieben und werden hunderte von Jahren nach deren Erstellung mit geringem Aufwand bewirt-schaftet und betrieben.

In den Agglomerationsquartieren, besteht die Architektur meist ausfreistehenden Häuser, welche vom einzelnen Punktbau, über den Zeilenbau, bis hin zum Hochhaus reichen. Diese ab der Moderne in den Peripherien der Städte entstanden Stadtteile weisen einen durchschnittlichen Dichtewert von 0.20 bis 1.50.

Der Grundtyp des Industriezeitalters ist die Blockrandbebauungen, welche im 19. Jahrhundert den Grundbaustein des Städtebaus gebildet hat. Diese ab etwa 1850 entstanden Stadteile weisen einen durchschnittlichen Dichte-wert von 1.50 bis 3.50 auf.

Die Stadtkerne aus dem Mitelalter hingegen, weisen Dichtewerte auf, welche sich sogar zwischen 3.50 und 6.00 bewegen.

DICHTEN

“Ich suchte mir so eine Hauptstadt aus, im Kerne Bürger-Nahrungs-Graus, Krummenge Gässchen, spitze Giebeln, Beschränkten Markt, Kohl, Rüben, Zwiebeln; Fleischbänke, wo die Schmeissen hausen, die fetten Braten anzuschmausen da findest Du zu jeder Zeit Gewiss Gestank und Tätigkeit.

Johann Wolfgang Goethe, Faust: Mephistopheles 1832

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KENNWERTE Geschossfläche GFDie Geschossfläche kann im Entwurf bereits sehr früh über über das Gebäu-devolumen GV ermittelt werden, indem eine durschnittliche Geschosshöhen GH definiert wird.

Bruttonutzfläche BNFSubtrahieren wir von der Geschossfläche GF die Verkehrsfläche VF, die Funktionsfläche FF und die Konstruktionsfläche KF (ohne nichttragende Innenwäde) erhalten wir die Bruttonutzfläche BNF.

Grundstückfläche GSF / Geschossfläche GFDas Verhältnis der Grundstückfläche GSF zur Geschossfläche GF bildet die Dichte.

Gebäudegrundfläche GGF / Geschossfläche GSFDas Verhältnis der Gebäudegrundfläche GGF zur Grundstückfläche GSF bildet die Bebauungsziffer.

Gebäudevolumen GV / Bruttonutzfläche BNFBewegt sich das Verhältnis des Gebaudevolumens GV zur Bruttonutzfläche BNF um den Wert 1:2, handelt es sich erfahrungsgemäss um ein ökono-misch gut finanzierbares Gebäude.

Bruttonutzfläche BNF / Geschossfläche GFBewegt sich das Verhältnis der Bruttonutzfläche BNF zur Geschossfläche GF um den Wert 2:3, handelt es sich erfahrungsgemäss um ein programma-tisch gut genutztes Gebäude.

Hüllfläche HF / Geschossfläche GFBewegt sich das Verhältnis der Hüllfläche HF zur Geschossfläche GF um den Wert 1:1, handelt es sich erfahrungsgemäss um ein Gebäude mit niedriger Betriebsenergie.

Öffnungsanteil OA / Hüllfläche HF Beträgt der Öffnungsanteils OA der Gebäudehülle rund 20% - 30% der Fassadenfläche FF, handelt es sich erfahrungsgemäss um eine ökonomisch gut tragbare Fassade, welche optimal belichtet ist.

Öffnungsanteil OA / Bruttonutzfläche BNF Mit unseren heutigen Anspruch an Tageslicht hat der Öffnungsanteil OA 25% bis 35% der Bruttonutzfläche BNF zu betragen.

Canaletto, Vedute Rialto Brücke Canal Grande Venedig, um 1730

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Canaletto, Capriccio mit palladianischen Bauten, um 1730

BRANDSCHUTZ Fluchtwege Generell 20 m Raum mit 2 Ausgänge 35 m

Übergänge Eingangstüren mind. 1.00 m

Wohnungstüren mind. 0.90 m

Fluchttreppen mind 1.20 m, dann 0.60m Schritte, Fluchttreppen im EG ins freie

Aufzug Kabine rohlstuhltaugliche 1.10 m x 1.40 m Schacht 1.65 m x 1.80 m

Hochhaus Traufe 25 m (Boden 22 m) Treppenhaus - Schleuse 2.40 m x 1.20 m Aufzugs - Schleuse 2.40 m x 2.40 m

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SPANNWEITEN Stahlbetonbau

Trapezprofi 1/30Walzprofil 1/15 bis 1/20Wabenträger (Vierendeelträger) 1/12 bis 1/18Fachwerk 1/10 bis 1/15

Stahlbetonbau

Platten 1/20 bis 1/30Rippen/Kasettendecken 1/14 bis 1/20Unterzug schlaff armiert 1/12 bis 1/16Unterzug vorgespannt 1/15 bis 1/20

Holzbau

Brettstapeldecke 1/30Vollholzbalken 1/20Brettschichtholzträger 1/12 bis 1/17Fachwerk 1/08 bis 1/12

Paul Letarouilly, Edifices de Rome Moderne, Piazza del Campidolio, um 1860

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Paul Letarouilly, Edifices de Rome Moderne, Piazza del Campidolio, um 1860

Decken 45 cm Verschleisschicht 02 cmUnterlagsboden 12 cmTrittschall- / Wärmedämmung 04 cm Betonbodenplatte 25 cmDeckenputz 01 cm

Aussenwand 65 cm Innenputz 01 cmStützen / Scheiben 25 cmWärmedammung 20 cmHinterlüftung 06 cmAussenverkleidung 12 cm

Flachdach 60 cmSchutzschicht 13 cmWärmedämmung 20 cmBetonbodenplatte 25 cmDeckenputz 01 cm

Gebäudevorsprung 65 cmVerschleisschicht 02 cmUnterlagsboden 10 cmTrittschall- / Wärmedämmung 04 cm Betonbodenplatte 25 cmWärmedämmung 18 cmSchutzschicht 05 cm

Terrassenaufbau 60 cmVerschleisschicht 02 cmBodenaufbau 11 cm Wärmedämmung 20 cmBetonbodenplatte 25 cmDeckenputz 01 cm

Schacht -/ Wohnungstrennwand 25 cmInnenputz 01 cmWandstärke 22 cmInnenputz 01 cm

KONSTRUKTION5

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“Sein Büro in Chicago ist voll von Modellen aller Grössen, sehr schönen Modellen von ganzen Bauten, aber auch von einzelnen Ecken und Verbindungen. In den Zeichenräumen seiner Abteilung im “Institute of Technology” ist es das gleiche. Die Studenten arbeiten wie berufsmäßige Metallhandwerker und konstruieren detaillierte Skelette in grossem Massstab. Alles scheint mehr aufs Bauen zu gründen als auf das Zeichnen von “Papierarchitektur”. Das Modell ist die Hauptsache und Zeichnun-gen sind nichts als Werkzeuge für die Baustelle.”

Christian Norberg Schulz,Ein Gespräch mit Mies van der Rohe1958

Horizontale Achsmasse

Rastereinheit / Fluchtweg 1.35 mModulbreite / Parkplatzbreite 2.70 mKleiner quadratische Raum 4.05 mModultiefe / Parkplatztiefe 5.40 mGrosser quadratische Raum 6.75 mStützenraster 8.10 m

Vertikale Achsmasse

Wohnbau 2.70 mGewerbe 4.05 mZweigeschossige Halle 6.75 mDreigeschossigen Halle 8.10 m

RASTEREINHEIT

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ESSAY Mit der Emanzipation der Natur beginnt der Mensch sesshaft zu werden. Martin Heidegger sagt uns diesbezüglich in seinem Vortrag “Bauen Wohnen Denken” aber noch mehr, nämlich dass bauen wohnen sei:

“Was heisst nun bauen? Das althochdeutsche Wort für bauen, “buan”, bedeu-tet wohnen. Dies besagt: bleiben, sich aufhalten. Die eigentliche Bedeutung des Zeitwortes bauen, nämlich wohnen, ist uns verlorengegangen. Eine verdeckte Spur hat sich noch im Wort “Nachbar” erhalten. Der Nachbar ist der “Nachgebur”, der “Nachbauer”, derjenige der in der Nähe wohnt. Die Zeitwörter buri, buren, büren, beuren, beuron, bedeuten alle das Wohnen, die Wohnstätte.“ Martin Heidegger Bauen Wohnen Denken 1951

Sobald darauf verzichtet wird das Gebaute weiter zu bewohnen und man den Ort verlässt, beginnen die Kräfte der Natur die gebauten Formen und Strukturen zu zersetzen, indem die Materie langsam wieder in seine natürliche Urform zurückgeführt wird. Diese langsame Art der Setzung und Zersetzung ist zweifelsohne das Gegenteil des Bauens und des Wohnens, jedoch nicht des Ortes. Die Prägung, welche einen Ort ausmacht, bleibt. Eine Ruine entsteht.

Wie wird aber ein Ort letztendlich definiert, wenn dies nicht bloss durch das Wohnen erfolgt? Mathematisch betrachtet kann ein Ort anhand eines Koor-dinatensystems geografisch definiert werden; das kartesische Koordinaten-system alleine ist aber noch nicht Grund genug um einen Ort zu bestimmen: Erst wenn ein Ort von einem Name bestimmt wird, kann von genau diesem Ort die Rede sein. Ein Name, der an die Phänomene gebunden ist, die den Ort prägen; unabhängig davon, ob wir von natürlichen Erscheinungen sprechen, wie in etwa Bergen, Wäldern, Wüsten und Gewässern oder ob es um von Menschenhand errichtete Artefakte wie Dörfer, Städte, Strassen, Brücken, Dämme oder Monumente geht.

“Wenn wir im Walde einen Hügel finden, sechs Schuh lang und drei Schuh breit, mit der Schaufel pyramidenförmig aufgerichtet, dann werden wir ernst und es sagt etwas in uns: hier liegt jemand begraben. Das ist Architektur.” Adolf Loos Trotzdem 1900 - 1930

Ambrogio Lorenzetti, Effetti del buon governo in città, Bildreihe um 1340

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Die Dualität, dass der Mensch das prägende Phänomen braucht und das Phänomen den Menschen um die gegenseitige Existenz zu begründen, bringt Friedrich Nietzsche in seinem Hauptwerk bereits in der Vorrede auf den Punkt, indem er seinen Zarathustra also sprechen lässt:

“Du grosses Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht die hättest, welchen du leuchtest!

Zehn Jahre kamst Du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich meinen Adler und meine Schlange.

Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen Dir deinen Überfluss ab und segneten dich dafür.” Friedrich Nietzsche Also Sprach Zarathustra 1885

In dieser Vorrede siedelt Nietzsche seinen Zarathustra in einer Höhle ein. Die Höhle als Zeichen für die Rückkehr zum Ursprung der Existenz. Noch bevor der Mensch Orte mit Hütten und Zelte bebaute und besiedelte, wohnte er in Höhlen.

Einen Ort zu bebauen und zu besiedeln, um diesen zu bewohnen, ist was uns letztendlich interessiert. Die Technik ist das Mittel welches uns ermög-licht zu bauen. Die Technik ist aber, wie Martin Heidegger in seinem Vortrag “Die Frage nach der Technik” sagt, nicht bloss ein Mittel:

“Die Technik ist eine Weise des Entbergens. Achten wir darauf, dann öffnet sich uns ein ganz anderer Bereich für das Wesen der Technik. Es ist der Bereich der Entbergung, d.h. der Wahrheit.

Dieses Entbergen versammelt im Voraus das Aussehen und den Stoff von Schiff und Haus auf das vollendet erschaute fertige Ding und bestimmt von da her die Art der Verfertigung. Das Entscheidende der “Téchne” liegt somit keineswegs im Machen und Hantieren, nicht im Verwenden von Mitteln, sondern in dem genannten Entber-gen. Als dieses, nicht aber als Verfertigen, ist die “Téchne” ein Her-vor-bringen.“

Martin Heidegger Die Frage nach der Technik 1953

Max Ernst, La ville entière, Bildreihe um 1930

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Woher nehmen wir aber die Technik, das Handwerk, die Kunstfertigkeit, die Ideen und die Inhalte, welche die Form und das Aussehen des Schiffes und des Hauses determiniert?

Die Antwort auf diese Frage hat uns Martin Heidegger bereits in der Anfangs zitierten Passage aus seinem Vortrag “Bauen Wohnen Denken” geliefert indem er sagt:

“Der Nachbar ist der “Nachgebur”, der “Nachbauer”, derjenige der in der Nähe wohnt.” Martin Heidegger Bauen Wohnen Denken 1951

Wir ahmen somit nach, indem wir anhand von Wissen und Instrumenten das Vorliegende interpretieren und auf eine für uns verständliche Welt zurück-führen. Nachdem wir über die Beobachtung das Vorliegende untersucht und für uns verständlich gemacht haben, haben wir die Basis geschaffen um es weiter zu entwickeln, weiter zu bauen und in etwas neues zu überführen.

Dieses Nachahmen, dieses Imitieren, dieses Rezipieren, dieses Repro-duzieren und dieses Transformieren führt immer über die Technik, das Handwerk, die Kunstfertigkeit, welche das kollektive Gedächtnis in seiner komplexesten Art und Weise in sich trägt.

In seiner “Wissenschaftlichen Selbstbiografie” bringt Aldo Rossi diese ganz persönliche Beziehung mit der Technik und dem architektonischen Körper auf eine komplexe Weise über das Innen und das Aussen zusammen:

„Zweifellos hatte ich ein Interesse für die Gegenstände, für Werkzeuge, Apparate, Utensilien. So stand ich in der grossen Küche in S. am Lago di Como und zeichnete stundenlang Kaffeekannen, Pfannen, Flaschen. Besonders liebte ich die blau, grün und rot emailierten Kaffekannen, weil sie ein bizarres Volumen hatten; es war die Reduktion phantastischer Architekturen, denen ich später begegnet bin.“

Aldo Rossi Wissenschaftliche Selbstbiografie 1981

Giorgio de Chirico, Piazza Italia, Bildreihe um 1930

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„Auf dieses Innen und Aussen war ich zweifellos durch den San Carlone in Arona gestossen, einem Werk, das ich wiederholt gezeichnet und studiert habe und das ich heute nur schwer auf die figurative Bildung meiner Kindheit zurückzuführen vermag. Ich erkannte dann, dass es mir gefiel, weil hier die Grenzen von Architektur, Maschine und Werkzeug zu einer wundersamen Erfindung verschmelzen. Wie in der Beschreibung des homerischen Pferdes tritt der Pilger in den Körper des Heiligen ein wie in einen Turm oder in einen Prozessionswagen - gelenkt von einer klugen Technik.“ Aldo Rossi Wissenschaftliche Selbstbiografie 1981

Der San Carlone, das homerische Pferd und das Innere des Walfischbau-ches, in dem sich der kleine Hampelmann Pinocchio in der Fabel Collodis verirrt, beschreiben ein kontinuierliches allegorisches Durchdringen in neue mysteriöse Innenwelten, welche der Aussenwelt von innen gesehen eine andere Bedeutung geben.

Über Massstäbe und Dimensionen dieser antropomorphen und zoomorphen Behälter hinaus gedacht, bringt uns dieses Gedankenspiel direkt in Giorgio de Chiricos Welt der “Pittura Metafisca”. Auf den Leinwänden De Chiricos scheinen die Bilder nicht mit der blossen Setzung elementarer stereomet-rischer Körper zu enden. Beziehungen zwischen den gemalten Körper im kartesischen Raum entstehen, welche automatisch mysteriöse Welten zu schaffen vermögen.

Die Formen, welche in diesem dechirichianischen System Zwischenräume schaffen, erscheinen wie leere Behälter. Die Öffnungen sind fast immer dun-kel; dahinter entsteht eine andere, innere Welt, die uns einnimmt und wieder herauswirft, wie die Geburt und der Tod, der Tag und die Nacht, das Aussen und das Innen. Wir sind Schauspieler, aber auch Zuschauer im Theater, in der Stadt, im Leben.

Aldo Rossi, Architettura assassinata, um 1974

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34 BÜCHER

1452 Leon Battista Alberti De re aedificatoria1570 Andrea Palladio Quattro libri dell’architettura1840 Paul Letarouilly Edifices de Rome moderne1878 Gottfried Semper Praktische Ästhetik 1885 Friedrich Nietzsche Also sprach Zarathustra1900 Adolf Loos Ins Leere gesprochen1924 Le Corbusier Vers une architecture1930 Adolf Loos Trotzdem1946 Max Planck Wissenschaftliche Selbstbiografie1954 Martin Heidegger Vorträge und Aufsätze1957 Kees Boeke Cosmic View The Universe in 40 Jumps1957 Konrad Wachsmann Wendepunkt im Bauen 1964 Bernhard Rudofsky Architektur ohne Architekten 1966 Aldo Rossi l’architettura della città1967 Giorgio Grassi la costruzione logica dell‘architettura1976 Leonardo Benevolo La casa dell’uomo1976 Colin Rowe, Fred Koetter Collage City1979 Christopher Alexander A Pattern Language1979 Christian Norberg Schulz Genius Loci Landschaft Lebensraum1981 Aldo Rossi Autobiografia Scientifica1985 Italo Calvino Sei proposte per il prossimo millennio1986 Firtz Neumeyer Mies van der Rohe Das kunstlose Wort1989 Fritz Haller System Design Landschaft Lebensraum1990 Carlo Marti Aris le variazioni dell‘identità il tipo in architettura 1994 György Doczi The Power of Limits1997 Jan Turnovsky Die Poetik eines Mauervorsprungs 2001 Nicola Di Battista Verso una architettura d’oggi 2005 Peter Carter Mies van der Rohe bei der Arbeit 2006 Giorgio Grassi L. B. Alberti e l‘architettura romana2008 Richard Sennet The Craftsman2012 Nassim Nicolas Taleb Antifragilität2014 Jeremy Rifkin Die Null Grenzkosten Gesellschaft 2015 Dietmar Eberle, Eberhard Tröger Dichte Atmosphäre2015 Peter Eisenman Palladio Virtuel

BIBLIOGRAFIE

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“Ich hätte dieses Buch genausogut - Die Architektur vergessen - nennen können. Denn ich kann von einer Schule, von einem Friedhof, von einem Theater sprechen; zutreffender ist es, zu sagen: das Leben, der Tod, die Vorstellungskraft.”

Aldo RossiWissenschaftliche Selbstbiografie1981

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Architektur und Informatik, Informatik und ArchitekturMichele Lanza, Marcello Nasso

MN: Gibt es Parallelen zwischen Software Engineering und Architektur?

ML: Genauso wie in der Architektur setzen wir uns im Software Engineering mit der Frage auseinander, wie man große Systeme baut, unterhält und evolviert.

Im Unterschied zur Architektur gibt es bei Software keinen Ort, kein oben und unten, kein links und rechts. Alles ist überall und nirgends. Es gibt keine Dis-tanzen, es ist nicht relevant, wo irgendetwas gemacht oder geschrie-ben wird. Zur Laufzeit, wenn das System ausgeführt wird, kollabieren alle Distanzen zu praktisch nichts.

Es gibt aber sehr wohl eine Struktur. Das heißt, das Ganze muss organisiert und strukturiert werden. Dann spricht man von Software-Architektur.

MN: Demnach definiert in der Informatik die Struktur die Software-Architek-tur. Wo-mit beschäftigt sich die Software-Architektur?

ML: Mit der Strukturierung von Systemen: Wie man Systeme in Subsysteme und wiederum in Sub-Subsysteme teilt und wie diese Systeme und Subsys-teme mit-einander kommunizieren. Das ist Software-Architektur. Man schafft Ordnung.

MN: Das macht Architektur ebenfalls. Eine Stadt oder ein Gebäude wird auch so gedacht – die Stadt mittels Masterplänen und Bautypen; Gebäude mittels Bausystemen und Bauteilen. Was unterscheidet Software Engineering außer ihrer Ortlosigkeit von Architektur?

ML: Der andere Unterschied, den ich sehe, ist: In der Architektur gibt es im-mer einen Gedankenprozess, der am Schluss zu einem konkreten Resultat führt. Für den Ingenieur und für den Baumeister, der das System baut, sind es die Pläne. Das heißt, es gibt zum Schluss ein Modell und eine Implemen-tierung des Modells. Im Software Engineering gibt es diesen Unterschied nicht.

Niemand entwirft ein System, das jemand anders implementiert. Das wird zwar versucht, aber in Wirklichkeit ist die Implementation das Modell. Der Source Code ist das, was effektiv physisch am Schluss geschrieben wird. Es ist in dem Sinn ein Modell des Systems.

MN: Welche Form hat dieses Modell des Systems?

ML: Das ist zurzeit die Schrift.

MN: Heißt das: die Sprache?

ML: Genau. Das, was zum Schluss präsentiert wird, also das, was der Programmier-er sieht, sind viele Zeilen Text, in einer bestimmten Program-miersprache, wel-che die Maschine verstehen kann. Genau darin besteht auch die intellektuelle Komplexität des Programmierens. Das, was der Pro-grammierer in der Wirk-lichkeit macht, ist, auf komplexe Weise strukturierte Systeme zu schreiben.

Das, was er wirklich sieht, sind viele Zeilen Source Code, die in Files gepackt sind. Das Problem ist nur, dass es Millionen von Zeilen in Tausenden von Files braucht, um diese Komplexität zu meistern. Abstraktion ist somit der Bereich, dessen Beherrschung zum Schluss wirklich gute Programmierer ausmacht. Programmieren ist Abstraktion auf dem höchsten Level.

INTERVIEW

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Fred Brooks sagt im Buch The Mythical Man-Month, dass Programmierer wie Dichter nicht weit weg vom reinen Gedanken sind. Sie bauen Schlösser in der Luft, bestehend aus Luft, indem sie einfach die Vorstellungskraft walten lassen. Das hat er schon 1975 geschrieben.

MN: Das ist eine sehr individualistische Vision des Ganzen. Um ein großes System zu bauen, braucht man doch ein Kollektiv: viele verschiedene Akteu-re mit ge-meinsamen Visionen und dem Ziel, ein großes Ganzes gemeinsam realisieren zu wollen. Von dem Standpunkt aus scheint doch die Metapher des roman-tischen Poeten nicht zu funktionieren.

ML: Zwei Drittel und somit die große Mehrheit der komplexen Software-Pro-jekte mit vielen Akteuren misslingen. Sie misslingen aber nicht aus techni-schen Gründen – sie misslingen aus menschlichen Gründen.

MN: Weil die Akteure sich nicht verständlich machen können?

ML: Ja, aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten – von Mensch zu Mensch, nicht von Mensch zu Maschine. Die Themen, die man untereinan-der kommu-niziert, sind einfach zu abstrakt.

Dann kommt noch die menschliche Natur dazu. Das sogenannte Gesetz von Conway besagt, dass Systeme, die von Organisationen geschrieben werden, am Schluss ähnlich strukturiert sind wie die Organisation, die sie geschrie-ben hat. Wer drinnen ist, versteht; wer draußen ist, nicht.

Es gibt eine Organisation, die Sachen organisiert – welche Teile wo sind. Das ist Software-Architektur. Ein weiteres Problem kommt hinzu: der un-glaublich hohe Turnover in der Software-Industrie. Programmierer wechseln sehr oft den Job und hinterlassen Artefakte, die dann andere verstehen müssen, die sie nicht selbst geschrieben haben. Das ist so, wie wenn der Architekt während des Hausbaus fünf Mal wechselt.

MN: Die Frage ist, ob eine „gute“ Organisation das bewältigt oder ob es in gängigen Institutionen eine Super-Organisation gibt.

ML: Normalerweise gibt es das nicht.

MN: Die müsste es aber geben – eine Überstruktur, die sozusagen als Netz da ist, in dem das ganze Wissen hängen bleibt.

ML: Das gibt es nur in Organisationen, die sich das leisten können. Das Schlagwort hier ist Mission-Critical-Software. Die NASA macht zum Beispiel solche Sachen. Eine Rakete zu starten kostet Milliarden. Wer das macht, hat genug Geld, um die Systeme wirklich fast perfekt hinzunageln. Aber das braucht mehr Zeit und erfordert hohe Summen.

In der modernen Software-Industrie, wo alles auf Vermarktung hin definiert worden ist, können sich die Leute das nicht leisten. Es ist nicht von Vorteil, gute oder schöne Software zu schreiben oder Software schön zu schreiben. Von größerer Bedeutung ist die Tatsache, dass die Software überhaupt geschrieben wird.

1968 hat in Garmisch die erste Software-Konferenz, gesponsert von der NATO, stattgefunden. Da ist der Begriff Software Crisis gekürt worden. Es wurde erkannt, dass die Software-Industrie in einer Krise war, in einer Komplexi-tätskrise. Die Krise ging nie vorbei. Sie ist jetzt noch da und wurde noch viel stärker. Es ist ein Teufelskreis: Je besser die Mittel sind, um Software zu schreiben, desto länger leben die Systeme.

MN: Nicht, wie etwas getan wird, interessiert, sondern dass etwas getan wird. Es geht nicht um die inhärente Schönheit eines Systems, sondern dass das System überhaupt einmal steht. Das kennt Architektur auch – leider.Doch: was heißt da schön?

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ML: Software zu entwerfen, heißt für mich: das Nötigste behalten, alles andere fort-werfen. Einfachheit ist schön. Einfacher Code ist schön. Es gibt das Buch Patterns of Software von Richard Gabriel, in welchem er in einem ähnlichen Kontext von Habitability spricht – Bewohnbarkeit von Software. Er sagt in diesem Buch, dass es Systeme gibt, in denen es schön ist, zu programmieren – die schön an-zuschauen sind und in denen man sich wohlfühlt.

Es geht um die Frage, wie einfach es ist, Änderungen zu machen. Ände-rungen muss man kontinuierlich machen. Hässliche Systeme sind Systeme, wo alle Änderungen, auch wenn sie klein sind, viel Energie verschleißen. Bei schönen Systemen ist klar, was man machen muss, wann man es machen muss und wie man es machen muss. Es gibt Schönheit auch auf der sprachlichen Ebene. Es gibt schöne Zeilen Code, da verwendet jemand die korrekten Variablen und benennt die Sachen, wie sie benannt werden sollten. Man kann auch hässlich schreiben, indem man Variablen verwendet, die in Wirklichkeit etwas anderes sind, oder den Sachen einfach die falschen Namen zuordnet. Das führt dazu, dass diese Systeme viel schwieriger zu verstehen sind.

Beim Extreme Programming gibt es das Konzept Egoless Programming. Es bedeutet, dass man nicht für sich selbst schreibt, sondern für jemand andersanderen. Dementsprechend sollte man versuchen, so zu schreiben, dass jemand anderer es möglichst einfach versteht.

MN: Als Laie kriege ich aber das, was der Programmierer geschrieben hat, nie mit. Mir wird das Ganze immer über ein Interface und somit in einer komplett an-deren Art kommuniziert.

ML: Genau, da reden wir schon von der Hülle. Die kann man auf das sogenannte User Interface reduzieren. Das ist das, was der Benutzer zum Schluss von einem System sieht. Damit meine ich, wenn zum Beispiel Windows Vista 80 Millionen Source Codes groß ist, sind das, was der User zum Schluss zu sehen kriegt, Fens-ter, Knöpfe, Grafiken – das ist nur die Hülle des Systems.

MN: Ist dieses User Interface zur Bedienung des Systems nicht relativ neu?

ML: Richtig. Die allerersten Computer waren nicht User Interface-basiert. Die ersten User Interfaces sind in den 1960ern und vor allem in den 1970er-Jahren aufge-taucht. Das hat auch damit zu tun, dass es davor keine User gab. Die wenigen Leute, die damals Computer brauchten, hatten im Job-Titel den Begriff Compu-ter. Die konnten damit umgehen und brauch-ten kein User Interface. Erst als In-formatik in den 1980ern/1990ern zum Mainstream wurde, waren zum ersten Mal User Interfaces nötig – und zwar für Leute, die nichts mit Programmieren zu tun haben wollten: die User.

MN: Interface entspricht dem, was in der Architektur Hülle ist. Eine andere Analogie wäre das Theater – dort wäre es die Bühne, wo sich alles abspielt.

ML: Ich verstehe, worauf du hinaus möchtest. Dein Sinnbild beschreibt das perfek-te Interface. Das wäre das, was du nicht siehst. Ideal wäre, die Alltagssprache zu verwenden ohne die Krücke des Interface. Dafür ist die Maschine aber einfach noch zu dumm. Um so ein Verständnis zu bekom-men, müsste die Maschine intelligent sein – und das ist sie eben nicht.

MN: Was ist Intelligenz?

ML: Selbstbewusstsein. Das hat sie nicht. Die Maschine ist sich selbst nicht bewusst.

MN: HAL 9000, der fiktive Computer des Raumschiffs Discovery in Stanley Ku-bricks Film „2001: Odyssee im Weltraum“ aus dem Jahr 1968, hat ein Be-wusstsein. Die Dramaturgie des Films ist so aufgebaut, dass die Maschi-ne zu Beginn als abstraktes technisches Konstrukt besteht und im Verlauf immer deutlicher ein eigenes Selbstbewusstsein entwickelt.

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ML: Das ist zurzeit schlicht und einfach unmöglich. Es gibt Leute, die an die soge-nannte Singularität glauben, das heißt, dass die Maschinen ein eige-nes Bewusst-sein aufbauen. Es gibt Leute, die sagen, dass das ca. in 15 bis 20 Jahren passie-ren kann. Aber es gab Leute, die das Gleiche im Jahre 1965 gesagt haben; seit-dem sind mehr als 15 Jahre vergangen. Zurzeit schaut es aus meiner Sicht nicht danach aus.

MN: Soweit Einsichten zum Stand der Informatik. Parallelen zur Entwicklung der Architektur liegen auf der Hand, doch auch Unterschiede der beiden Diszipli-nen werden sichtbar. Bleiben wir bei diesen.

ML: Ein weiterer Unterschied zur Architektur ist, da es eben keine Grenzen, keine physischen Grenzen, gibt, dass es dementsprechend auch keine aner-kannten Regeln gibt, die festlegen, wie man Software-Systeme strukturiert. Es gibt kein Regelbuch, das man befolgen kann oder sollte. Es gibt sozusa-gen keinen Un-terschied zwischen Gut und Böse. Denn am Schluss ist alles, was der User zu sehen kriegt, in jedem Fall etwas vollkommen anderes. Man kann Systeme un-glaublich schlecht entwerfen; wenn das User Interface aber überzeugend ist, dann ist es ein überzeugendes System.

MN: Verstanden: Regeln und Gesetze gibt es nicht. Gibt es Schulen, Metho-den und Theorien?

ML: Es gibt Prozesstheorien. Die handeln davon, wie man methodisch vor-geht, um Systeme zu entwerfen. In dem Bereich gibt es sehr wohl Schulen. Es gibt zum Beispiel die Wasserfallschule. Da wird eins nach dem anderen gemacht.

Gemeint ist die Methodologie: Waterfall. Software Engineering wird ja oft mit klas-sischem Engineering oder auch mit Civil Engineering verglichen. Es wird die Me-tapher vom Bau einer Brücke gebraucht. Man muss viele Menschen koordinie-ren. Am Schluss hat man ein Resultat, welches den Menschen irgendetwas bringt.

Aber der Unterschied, an dem die Metapher zerfällt, ist folgender: Wenn man anfängt, ein System zu bauen, dann ändert sich innerhalb kürzester Zeit der Kontext. Dies passiert ständig. Das heißt, wenn wir den Entwurf eines Soft-ware-Systems mit der Metapher des Baus einer Brücke beschrei-ben, wäre zu ergänzen: Während die Brücke gebaut wird, verschieben sich die Landmassen, welche die Brücke verbinden soll. Wenn man rigide den Plan verfolgt, riskiert man, am Schluss eine Brücke gebaut zu haben, die nichts verbindet.

Die Metapher funktioniert nur, wenn von vornherein klar ist, dass sich der Kontext nicht ändern wird und wenn von Anfang an alle Requirements, also alle Bedürfnisse, klar sind. Man hat aber in den letzten fünfzig Jahren dieser Dis-ziplin gesehen, dass es unmöglich ist, den Kontext komplett vorauszu-sehen. Man hat gemerkt: Der Kontext ändert sich kontinuierlich.

Es ist jedoch eine andere Annäherungsweise möglich. Diese hat sich in den 1990ern entwickelt. Sie heißt Agile Methodology und hat verschiedene Ver-treter, zum Beispiel Extreme Programming. Da wird anerkannt, dass Change der wich-tigste Faktor ist und dass man nicht versuchen sollte, Systeme zu bauen, die Änderungswiderstand leisten. Man akzeptiert die Änderung als Tatsache.

Seitdem existieren verschiedene Arten, wie man Systeme baut. Die meisten folgen dem Zwiebelmodell – man kreiert Schale um Schale und auf diese Wei-se iterative Schritte oder Arten, die stark prototypbasiert sind.Ein Unterschied zur Architektur? Prototypisieren in der Informatik ist billig, weil es keine Physizität gibt. Man kann einen Prototypen nehmen und weiter-entwickeln. In der Architektur hieße das: Man baut ein Gebäude nur ansatz-weise, um zu verstehen, wie man es nicht machen sollte, und reißt es hinterher ab, um es erneut, aber nun richtig zu bauen.

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MN: In der Architektur sind Modell und System nicht dasselbe. Es besteht die Mög-lichkeit, über das Modell die Prototypen zu kontextspezifischen Bautypen wei-terzuentwickeln. Die zwei- und die dreidimensionale zeichneri-sche Darstellung sowie der Bau von physischen Modellen in verschiedenen Maßstäben sind un-sere Formen der Simulation, um möglichst viele Fehler und Missverständnisse in der Realisierung zu vermeiden. Dazu kommt, dass je nach Ort und Handwerk oder der Wahl der industriellen Produktionsweise einige Dinge unterschiedlich gemacht werden.

Ein Haus an einem Ort sollte dem Nachbarhaus ähnlich sein. Ein jedes Haus hat seine eigene Identität, ist aber dem Nachbarn verwandt und Teil eines grö-ßeren Ganzen; dasselbe gilt für die Teile, aus denen einzelne Bauten bestehen.

ML: Da liegt ein Unterschied zur Informatik. Ich zitiere wieder Fred Brooks: In ei-nem Software-System gibt es nicht zwei gleiche Teile.In der Architektur gibt es sehr wohl gleiche Teile. Gebäude basieren, wie du soeben beschrieben hast, auf konzeptuell gleichen Teilen. In der Informatik und im Software Engineering wird jede Zeile von Hand geschrieben.

MN: Gibt es in der Informatik keine Maschinen respektive Programme, die den Programmierer unterstützen können, ganze Passagen zu schreiben?

ML: Doch, das gibt es. Man nennt es Model-Driven Engineering. Man versucht Mo-delle zu konzipieren. Eine Maschine generiert dann auf Knopfdruck einen Source Code. Das Ganze ist aber nur eine Vision, die leider aus zwei Gründen nicht richtig klappt. Der erste Grund ist, dass das, was man damit generieren kann, per Definition nicht komplett ist. Es muss immer von Hand nachgebes-sert werden. Man kann zwar Skelettprogramme erzeugen, aber die fehlenden Teile müssen von Hand eingefügt werden. Das andere sind die Modellierspra-chen. Diese sind sehr komplex – so komplex, dass teilweise die Modelle kom-plexer sind als das, was diese Modelle zu modellieren versuchen.

MN: Worin besteht der Unterschied zwischen Modell und Programm in der Infor-matik?

ML: Ein Programm besteht aus Source Code. Source Code ist eine High-Level-Repräsentation, eine menschlich lesbare Repräsentation von dem, was schluss-endlich der Computer auf ein tieferes Level drückt, um es überhaupt ausführen zu können. Ein Modell ist eine mentale Repräsentation eines Programms. Es ist nicht das Programm selbst. Aber manche sagen, das Programm ist das Mo-dell. Und wieder andere sagen, das Modell kann gebraucht werden, um das Programm zu generieren.

MN: Für die Architektur kann man analog zwei vergleichbare Haltungen ausmachen. Einerseits gibt es den Funktionalismus, der mit der Moderne seit Ende des 19. Jahrhunderts verbunden wird. Dessen Argumente lauten: Die gegenwärtige Nutzung des Gebäudes, welche wir in der Architektur ebenfalls Programm nennen, generiert die Form. Dagegen argumentiert der Rationalismus, dass das Programm eine Konsequenz der Form und damit der Struktur ist.

Gebäude mit fester Destination werden mit einem Mal anders besetzt. Ich denke an die Basilika – einen von den Römern entwickelten Bautyp. Man nutz-te ihn ursprünglich für große öffentliche Verhandlungen, insbesondere Ge-richtsverhandlungen. Dann wurde er für die Christen zum Haus Gottes, da dieser Bautyp erlaubte, eine große Anzahl von Menschen unter einem Dach zu versammeln. Die strukturelle Kapazität definiert den Bautyp, nicht seine Funktion.

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ML: In der Informatik taucht dieses Problem so nicht auf, weil sie keine Physizität kennt – es gibt in der Software keine dem Bauen vergleichbare Kosten, etwas zu bauen. Und es geht theoretisch nichts verloren.In der Informatik zwischen den 1920ern und den 1960ern war die Hardware viel wichtiger als die Software. Nixon soll einmal gefragt haben, wie schwer die Software sei, die Apollo 11 zum Mond geflogen hat. Seither hat die Hardware immer größere Fortschritte gemacht und wurde im physischen Sinn immer weniger wichtig. Viel wichtiger dagegen, und zwar unendlich viel wichtiger, ist heute die Software. Man hat praktisch endlos Platz, einen endlosen Space, um Systeme zu entwickeln.

MN: Über die Absenz des Ortes, die Bedeutung von Strukturen und Systemen, die Notwendigkeit der Hülle als Interface und die Ambivalenz zwischen Modell und Programm haben wir geredet. Wie verhält es sich mit Materialität?

ML: Der entscheidende Unterschied in diesem Bereich ist schlicht, dass es, wie er-wähnt, keinen Verschleiß gibt. Material verbraucht sich: Wenn Leute über hunderte von Jahren hinweg über einen Boden laufen, wird der Boden verän-dert, eine Zeile Code hat in dem Sinn kein Alter, sie wird nie alt. Architektur ist der Schwerkraft ausgesetzt, Software nicht.

Dennoch zerfällt ein System. Das liegt nicht am System, sondern an der Wirk-lichkeit, die sich außerhalb des Systems verändert. Ein System, das per Defini-tion unsterblich und endlos ist, leidet daran, dass die Wirklichkeit nicht still-steht. Ein System, das so ist, wie es ist, und so bleibt, macht sich innert kürzes-ter Zeit obsolet. Es entspricht nicht mehr den Bedürfnissen der Wirklichkeit.

Es muss angepasst werden. Es findet eine Erosion statt, die aber von außen kommt, nicht von innen. Die Elemente sind intrinsisch nicht deformierbar. Das ganze System macht sich mit der Zeit selbst obsolet.

MN: Welches ist denn das älteste System, das es gibt?

ML: Was ist ein System? Wenn ich an moderne Software denke, gibt es heute noch Systeme, die 50 Jahre alt sind und immer noch überleben.Große Bankensysteme sind teilweise 30 bis 40 Jahre alt. In der Informatik ist das eine Ewigkeit. Das sind dutzende Programmierer-Generationen. Hinzu kommt die Sprache. Software-Systeme werden in Programmierspra-chen geschrieben. Das sind Sprachen, die entwickelt wurden, um leichter mit der Maschine kommunizieren zu können. Diese Sprachen werden stän-dig neu er-funden, viele sterben schlicht und einfach weg. Es gibt geschätzt zurzeit ca. 9.000 Programmiersprachen. Davon werden vielleicht zwanzig, dreißig wirklich verwendet – die restlichen sind bedeutungslos. Es werden neue Programmier-sprachen entstehen, welche die heute geläufigen erset-zen. Die Systeme werden weiterhin da sein. Das ist auch ein menschliches Problem: Die Systeme, die teilweise 30 bis 40 Jahre alt sind, können nur noch sehr wenige Menschen er-kennen.

Ein weiterer Unterschied zur Architektur, ihrer Materialität, hängt mit dem Aspekt der Haftung zusammen. Im modernen Software Engineering gibt es keine Haftung bei fehlerhafter Anwendung. In der Architektur haftet jemand für Schäden. Wenn ein Software-System einen Fehler hat und deshalb etwa ein Flug-zeug abstürzt, haftet kein Programmierer dafür. Das ist nämlich nie geregelt worden.

MN: Ist das gut?

ML: Das ist eine gute Frage. Ich denke, es ist eher schlecht. Die Informatik hat ge-nerell versagt, wenn es darum geht, sich als professionelle Figur darzustellen. Heutzutage kann jeder von sich selbst behaupten, er sei Informatiker. Ich glaube nicht, dass jeder sagen kann, er sei Architekt, und gesetzlich gesehen bauen darf.

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MN: Würde es nicht ausreichen, Leute mit hohem Know-how von solchen mit niedrigem zu unterscheiden?

ML: Wenn eine Disziplin keine Grenzen hat, die definieren, was in der Dis-ziplin ist und was außerhalb, dann ist es schwierig, sie weiterzuentwickeln. Wenn man heute beispielsweise fordert, man müsse die Umwelt nachhaltig entwickeln, dann weiß man beim Bauen, an wen man sich richten kann.Wenn man in der Informatik versucht, die Disziplin professioneller zu machen, dann weiß man nicht, an wen man sich wenden kann. Es gibt nur wenige, die wirklich professionell ausgebildet sind. Ich denke, ein Großteil des Source Codes auf diesem Planeten ist von Amateuren geschrieben worden.

MN: Das ist in der Architektur genauso. Die wenigsten Architekturen und Städte wurden von Architekten gebaut.

ML: Es gibt viele Parallelen zwischen Architektur und Software Engineering. Man hat es mit komplexen Strukturen zu tun. Komplexe Strukturen, die sich über die Zeit wandeln, wandeln müssen, umgewandelt werden. Es sind Strukturen, die am Ende für Menschen bestimmt sind. Ich glaube, zurzeit ist es so, dass die Architektur vom Software Engineering sehr wenig Nützliches übernommen hat, wie umgekehrt Software Engineering von der Architektur sehr wenig Nützliches übernommen hat. Ich glaube, das ganze Feld liegt noch brach.

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FORSCHUNGSANSATZ ABSTRACT.....................................................................................................

VISION..........................................................................................................

FOKUS..........................................................................................................

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PI -Sphäre 1996Marcello Nasso und Michele Lanza

Von der kollektiven Intelligenz zur künstlichen Intelligenz

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ABSTRACT Der Erste welcher die empirischen Resultate von Lewis Fry Richardson mit den theoretischen Ergebnissen von Felix Hausdorff in Verbindung gebracht hat, war Benoit Mandelbrot im Jahre 1967 mit einem Artikel welcher den Titel trug: Wie lange ist die Küste von England?

Betrachten wir den Grundplan des Mittelmeerraumes, wird die These Man-delbrots sehr klar: Der Grundplan bringt die Grenzen des Territoriums zu Deckung und zeigt, dass je mehr wir uns der Küste nähern, desto länger die Abwicklung seiner immer konkaver und konvexer werdenden Struktur wird. In diesem Sinn ist die Auseinandersetzung mit der Abwicklung einer Küste mit seinen Spitzen und Buchten die Auseinandersetzung mit einer unendlich langen und damit fraktalen Struktur.

Dimension Mittelmeer

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Die Auseinandersetzung mit dieser fraktalen Struktur findet über eine „Bottom Up Annäherung“ statt, welche wir „Von der individuellen Intelligenz zur kollektiven Intelligenz“ nennen und über eine „Top Down Annäherung“, welche wir „Von der kollektiven Intelligenz zur künstlichen Intelligenz“ oder „Von der kollektiven Intelligenz zur automatischen Architektur“ nennen.

„Fast alle normale Muster der Natur sind rau. Sie besitzen äußerst irreguläre und fragmentierte Merkmale nicht nur weit komplizierter als die wunderbare antike Geometrie Euklids; sie sind zumeist von einer ungeheuer viel größeren Komplexität. Während Jahrhunderte war die bloße Vorstellung, Rauheit zu messen, ein müssiger Traum. Dies ist einer der Träume, denen ich mein ganzes Leben als Wissen- schaft-ler gewidmet habe.“ Benoit Mandelbrot The Fractalist: Memoir of a Scientific Maverick 2010

Mediterranean Vision Lab

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12.5m0

Individuelle Intelligenz

Unter individueller Intelligenz verstehen wir die Auseinandersetzung und die Erfahrung eines Einzelnen mit einem Ort und seiner Kultur.

Kollektive Intelligenz

Unter kollektiver Intelligenz verstehen wir die Auseinandersetzung einer Kultur mit einem Ort und seinen Ressourcen. Denken wir zum Beispiel an Landschaften und Städte, welche in ihrer kulturellen Vielschichtigkeit den Mittelmeerraum besiedeln, wird sehr schnell klar, dass wir es mit einer kollektiven Intelligenz zu tun haben, welche die Kultur des Ortes und damit den Ort selbst seit Jahrhunderte generiert.

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Automatische Architektur

Unter automatischer Architektur, verstehen wir Strukturen, welche im Stan-de sind, sich selbst zu generieren und damit komplexe Systeme zu schaffen vermögen; in diesem Sinn können wie auch von künstlicher Intelligenz reden.

“Der Architekt untersucht mit seiner Arbeit die strukturellen Ähnlichkeiten, welche zwischen den Archetypen des menschlichen Verhaltens und den Formen der materi-ellen Welt entstehen können.“

Carlos Martì ArìsLe Variazioni dell’indentità, Il tipo in architettura 1990

25m0

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75m0

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500m0

72115

71.5 m66 m

1800 m3600 m

1072.5 m2145 m

345 m15 m

KugelnRasterringe

RingrasterradiusKugeldurchmesser

Radius virtuelle ÜberkugelDurchmesser virtuelle Überkugel

Radius letzter RingrasterDurchmesser letzter Ringraster

Segmenttiefe virtuelle ÜberkugelRohrdurchmesser

VISION

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1500m0

Ein Kraftwerk als Stadt. Eine Stadt als Kraftwerk. Ein autarkes System. Ein Modell für die Zukunft.

721 Kugeln, Gefässe, Behälter, Speichereinheiten, Batterien umschreiben ein Segment einer virtuellen Überkugel und bilden damit die Stadt, das System, das Modell.

721 verspiegelte Kugeloberflächen machen aus der Stadt ein Kraftwerk, welches Energie vervielfältigt und verstärkt.

721 verschieden lange Rohre distanzieren die 721 Kugeln von der Grund-fläche. Ein gewölbter Raum entsteht. Mediterranean Vision Lab kann gebaut werden.

FOKUS

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4500m0

Ein nächster Schritt im Prozess könnte den Titel „Von der künstlichen Intelli-genz zur Architekturmaschine“ tragen und folgende drei Fragen aufwerfen:

1.Ist es möglich durch die künstliche Intelligenz und die automatische Archi-tektur den kollektiven Prozess zu entschlüsseln, welcher die Städte und Landschaften im Mittelmeerraum über Jahrhunderte und über Generationen generiert hat?

2.Die Informatikwissenschaften haben sich die Methoden und die Annähe-rungsweisen der strukturalistischen Denker, Wissenschaftler und Architek-turtheoretiker angeeignet um Codes zu visualisieren und damit die Leseart von komplexen Systemen zu vereinfachen. Ist es möglich dieses Wissen auf die Architektur von bestehenden Städten und zur Generierung neuer Orte anzuwenden?

3.Ist es möglich den Entschlüssellungsprozess von bestehenden Städten oder neu zu generierenden Orten durch dem Einsatz der künstlichen Intelligenz zu automatisieren und anhand der ermittelten Regeln den Bau der Stadt und seiner Häuser mittels automatischer Architektur zu beschleunigen?

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“Der beste Weg die Zukunft vorherzusagen, ist sie zu erfinden.”Richard Buckminster Fuller

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