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    10 Thesen zur Weltwirtschaftskrise von Rudolf Witzke, Dez. 2008 [email protected]

    Zusammenfassung:Die gngige Debatte ber die Ursachen der aktuellen Wirtschaftskrise hebt vor allem auf Mngelstaatlicher Regulierung des Finanzsektors ab. Im nachfolgenden Beitrag wird argumentiert, dassdieser Aspekt zwar sehr wichtig ist, doch eine wirkliche Erklrung der Krise nur aus einerumfassenderen Perspektive heraus mglich wird. Zentrales Element einer solchen Erklrung ist derweltweite berschuss an Sparkapital im Verhltnis zu den verfgbaren guten Anlagemglichkeiten

    der global saving glut (Ben Bernanke), den konomen schon seit einigen Jahren diskutieren.Ohne berreichliches Geldkapital, das in den USA einen sicheren Hafen suchte, httenMarktmechanismen das enorme amerikanische Handelsdefizit wie auch die Immobilienblase inGrenzen gehalten.

    Die Immobilienblase ist nur eine besonders schlimme in einer ganzen Reihe von bertreibungender jngeren Vergangenheit, die alle auf einen Mangel an guten Anlagemglichkeitenzurckzufhren sind. Dieser Mangel an Anlagemglichkeiten resultiert aber aus einem Mangel anInvestitionen, der mit dem Prozess der Globalisierung in Zusammenhang gebracht werden kann.Viele Lnder wurden in die Weltwirtschaft integriert, die keine kapitalistischen Marktwirtschaftensind und sich entgegen verbreiteter Erwartungen auch nicht automatisch im Zuge derModernisierung in solche transformieren. Massenarmut und das damit einhergehendes berangebotan Arbeit verhindert in den meisten dieser Lnder Lohnsteigerungen und damit die Entwicklung derMassennachfrage fr eine Binnenmarktentwicklung, die den durch Technologietransfer erzieltenProduktivittsfortschritten entsprechen wrden. Daraus resultiert eine Konzentration aufExportstrategien, die zwar hohe Einkommen erzeugen, aber auch eine sehr ungleiche Verteilung

    und wenig Anreize, ber begrenzte Mglichkeiten im Exportsektor hinaus in die Binnenkonomiezu investieren. Stattdessen fliet ein betrchtlicher Teil dieser Einkommen in sichere Hfen, vorallem in die USA, und sucht dort gute Anlagemglichkeiten. Die Exportstrategien, zu deneninsbesondere auch unterbewertete Whrungen zhlen, setzen Lhne undBeschftigungsmglichkeiten in den etablierten Industrielndern unter Druck und begrenzen damitauch dort Binnenmarktentwicklung und Investitionsmglichkeiten. Innovationen und technischerFortschritt knnen diesen Druck nur zeitweilig lindern, da die nachholend industrialisierendenLnder, begnstigt durch Produktionsverlagerungen internationaler Unternehmen, auch bei neustenTechnologien rasch nachzuziehen vermgen.Der Markt hat bislang durch die Bildung von Blasen einen Ausweg aus seinem Dilemma gefunden

    und dabei auch immer wieder groe Investitionswellen erzeugt, die Arbeitspltze und Wohlstand

    mit sich gebracht haben. Doch da das Vertrauen, das Voraussetzung dafr war, heute nachhaltigerschttert sein drfte, stellt sich wohl auch fr Zeit nach berwinden der aktuellen Krise die Fragenach einer greren Rolle des Staates in der Wirtschaft. Bleibt die Investitionsttigkeit insgesamt zugering und scheut der Markt vor dringend erforderlichen Zukunftsinvestitionen zurck, kann derStaat in die Lcke treten oder den Markt untersttzen. Ob unter solchen BedingungenStaatsverschuldung zur nchsten Blase wird oder der Staat die drngenden Probleme erfolgreichanzugehen vermag, ist vielleicht entscheidend davon abhngig, ob es gelingt, die Anforderungen, andenen sich politische Akteure zu messen haben, auf ein neues zivilisatorisches Niveau zu heben.

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    1. Mangelnde staatliche Regulierung war eine der wesentlichen Ursachen der heutigen Krise.Dies ist gegen alle Umdeutungsversuche der Marktradikalen festzuhalten.Freie Mrkte regeln alles am besten, so lautete das Credo der wichtigsten Akteure der US-Politik. So lautete vor allem auch das Credo von Alan Greenspan, dem frherenZentralbankchef und damals mchtigsten Mann im Wirtschaftsgeschehen der Welt.Greenspan weigerte sich, Warnungen vor einer Blase im Immobiliensektor ernst zu nehmen

    und einzugreifen, wozu die Zentralbank per Gesetz ermchtigt war. Ebenso stellte er sichgegen Versuche, den Handel mit Derivaten besser zu regulieren, der sich dann alszustzlicher Treibsatz fr die Destabilisierung der Finanzmrkte erwies.Unbeirrbar Marktglubige wollen schon wieder marktverzerrende Einflsse des Staates alsdie eigentliche Ursache fr die Krise verantwortlich machen, auch wenn sie den Mangel anRegulierung nicht gnzlich bestreiten knnen. Eine zu lockere Geldpolitik der Zentralbankund die staatliche Eigentumsfrderung sollen die Mrkte in die Irre gefhrt haben.

    Niedrige Zinsen waren aber angesichts von Wirtschaftsschwche und sehr geringer Inflationin der Zeit nach dem Platzen der Internet-Blase und dem 11. 9. durchaus gerechtfertigt. DerIWF wies 2003 sogar auf ein Deflationsrisiko fr die USA hin, das allerdings aufgrund derZinspolitik begrenzt sei (vgl: IMF: United States of America, Staff Report, Juli 2003).

    Bereits ab 2004 wurden die Leitzinsen in schnellen Schritten wieder krftig angehoben.

    aus: Paul Krugman, New York Times, Blog vom 24. 1. 2008.

    Die Vergabe hochproblematischer Subprime-Kredite (an Kreditnehmer schlechter Bonitt)stieg aber erst ab dem Jahr 2004 sprunghaft an (siehe Grafik unten). Und erst zu dieser Zeitlockerten Fannie Mae und Freddie Mac, halbstaatliche Hypothekenbanken, die einengroen Teil der Hypothekenkredite aufkauften oder versicherten, auf Druck vonMarktkrften, Investoren und Politikern ihre Standards, um nicht aus dem Geschft gedrngtzu werden (vgl. etwa: C. Duhigg: Pressured to Take More Risk, Fannie Reached TippingPoint, in: The New York Times, 5. 10. 2008). Niedrige Zinsen in den USA haben zwar freinige Zeit den Immobilienboom und die berbordende Kreditvergabe begnstigt, dochdaraus den Schluss zu ziehen, die Zentralbank htte trotz schlechter Wirtschaftslage undDeflationsrisiko geldpolitisch gegensteuern sollen, ist abwegig. Dies htte derGesamtwirtschaft geschadet, die unter mangelnden Investitionen der Unternehmen litt,whrend es doch nur um bertreibungen in einem Sektor ging, die durch spezifische

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    Regulierungen und Aufsicht leicht htten unter Kontrolle gebracht werden knnen.

    Aus: Joint Center for Housing Studies of Harvard University: The State of the Nations Housing 2008.

    Diejenigen, die heute davon reden, die amerikanische Zentralbank htte die Zinsen zu sptwieder erhht, sollten sich vielleicht noch einmal mit der Wirtschaftslage im Jahr 2003

    befassen, dem letzten Jahr mit sehr niedrigen Zinsen. Der IWF-Staff Report fr die USAvom August 2003 fasst sie so zusammen: As a result of slow growth, employment hasstagnated, economic slack has continued to rise, and inflation has fallen to near postwar

    lows. Die Arbeitslosenrate, die sich nach einem Tiefststand von unter 4% im Jahr 2000 imZuge der Krisen erhht hatte und 2002 und im Frhjahr 2003 zwischen 5,5 und 6% bewegthatte, machte im Juni 2003 einen Sprung auf 6,25%.Die Zentralbank erhhte die Leitzinsen sehr nachdrcklich, sobald dies durch die Lage derGesamtwirtschaft gerechtfertigt war. Dies hatte jedoch nur wenig Einfluss auf dielangfristigen Zinsen, die von der Zentralbank nicht direkt beeinflusst werden, und konntedaher auch die Eigendynamik der Marktkrfte nur mig bremsen. Der Boom wurde dannvor allem durch gefhrliche Lockangebote mit sehr niedrigen Anfangszahlungen und auchdurch ein atemberaubendes Ma an illegalen Aktivitten verlngert. ber 50% derSubprimekredite, die jetzt erst zum groen Geschft gemacht wurden, sind ohne oder ohneausreichende Dokumentation der Kreditwrdigkeit vergeben worden; in ber 90% dieserFlle waren damit geflschte Angaben ber die Einkommen der Kreditnehmer verbunden.Eine Kombination aus der Ideologie freier Mrkte und eines starken Lobbyeinflusses derinteressieren Unternehmen blockiere Anstrengungen, dagegen einzuschreiten (vgl.:Testimony of Paul Leonhard before the California Senate Banking Commitee, March 27,2007). Niemand wollte zu dieser Zeit etwas davon wissen, dass die Immobilienpreise nichtewig steigen wrden. Gute Bewertungen durch Ratingagenturen, in deren Rechenmodellenallgemeine Markteinbrche nicht vorgesehen waren, befeuerten den schwunghaftenWeiterverkauf von Hypothekenkrediten an Investoren aus aller Welt, die auf eine sichereAnlage zu setzen glaubten. Denn schlielich stand hinter jedem Kredit als Sicherheit einHaus, und der Wert von Husern war in den USA seit vielen Jahren ohne Unterbrechung

    nach oben gegangen.Immobilienblasen bildeten sich zur selben Zeit auch in einer Reihe von Lndern mit eherrestriktiver Zinspolitik der Zentralbank, etwa in Irland, Spanien und England. Das legt nahe,nach Ursachen zu suchen, die alle diese Lnder gemeinsam betreffen.

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    Der IWF hat fr den Zeitraum von 1997 bis 2007 berechnet, wie stark der Anstieg derHauspreise in verschiedenen Lndern von den Werten abwich, die aufgrund vonFundamentaldaten (Entwicklung von Einkommen, Bevlkerung, Zinsen etc.) gem einerModellrechnung zu erwarten gewesen wren (rot gekennzeichnet ist der Spielraum, der sich

    bei Variation der in dem Modell bercksichtigten Daten ergibt). Diese Abweichung vom zuerwartenden Trend lsst sich als Indikator fr das Ausma einer Blase und die mgliche

    Grenordnung einer Korrektur verstehen:

    aus: IMF: World Economic Outlook, Okt. 2008, S. 17.Die bertreibung in den USA erscheint vergleichsweise eher mig, allerdings werden

    dabei sehr groe regionale Unterschiede statistisch eingeebnet; die Immobilienkrisekonzentriert sich stark auf wenige Bundesstaaten. Die USA sind auerdem heftiger alsandere Lnder von der Krise betroffen, da Kredite in groem Stil an fragwrdigsteKreditnehmer ausgegeben wurden, viele Haushalte sich bis zur Halskrause verschuldethatten und die Explosion von l-, Rohstoff- und Nahrungsmittelpreisen die US-Brgerinfolge einer krftigen Abwertung des Dollar (ab 2002) besonders hart traf.

    2. Die Immobilienkrise lste eine Bankenkrise aus, die verschrft wurde durch moderneFinanzinstrumente und mangelnde Regulation von Geschftsfeldern, die aus dem Bereichdes normalen Bankengeschfts ausgelagert worden waren und damit von den fr Bankengeltenden Bestimmungen ber die Absicherung durch Reserven ausgenommen blieben. So

    konnten groe Geschfte mit wenig Eigenkapital und (begnstigt durch niedrige Zinsen)enorm hohem Krediteinsatz betrieben werden, was im Falle des Scheiterns schnell zurZahlungsunfhigkeit fhrte. Angst vor der Zahlungsunfhigkeit der Geschftspartner und

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    durch lange Kreditketten bedingte Intransparenz des Marktes fhrten bei Einsetzen der Krisezu entsprechend groem Misstrauen und lieen die Bereitschaft zur Kreditvergabe zwischenFinanzinstituten einbrechen. Krisenverstrkend wirkten US-Bilanzierungsregeln, dieverlangen, dass Wertpapiere nach ihrem Marktwert bewertet werden. Infolge von

    Notverkufen brach dieser Marktwert ein, was Bilanzen und Kreditwrdigkeit rasch weiterverschlechterte. Hierzu beigetragen haben auch spekulative Wetten auf sinkende Kurse,

    ermglicht durch Derivate, die in der allgemeinen Krise die Marktausschlge nach untenwesentlich heftiger machten, realistische Bewertungen extrem schnell auer Kraft setztenund damit zu einer allgemeinen Panikstimmung beitrugen.Deregulierung der Finanzmrkte und neue Finanzierungsinstrumente, die erlaubten, vieleRisiken am Markt abzusichern (vor allem credit default swaps, auch eine Form vonDerivaten), hatten zu einer Reduktion von Sicherheitsreserven bei den einzelnen Institutengefhrt, die deren Profitabilitt erhhte. Doch die Absicherung durch Weitergabe derRisiken erwies sich fr das gesamte Finanzsystem als illusionr, einerseits, weil sich mancheRisiken doch wieder gefhrlich bei einzelnen Akteuren konzentrierten, vor allem aber, weilinsgesamt die Reserven im Verhltnis zu den eingegangenen Risiken zurckgefahrenwurden, was sich im Fall einer allgemeinen Krise als fatal erweisen musste.

    3. So wichtig das Thema der Regulierung ist, so wenig reicht es aus, dabei stehen zu bleiben.Im Jahr 2005 prgte Ben Bernanke, der heutige US-Notenbankchef, den Ausdruck globalsaving glut, um eine unkonventionelle neue Hypothese zur Erklrung wachsenderweltwirtschaftlicher Ungleichgewichte auf den Punkt zu bringen (vgl: Ben S. Bernanke: Theglobal saving glut and the US current account deficit. Remarks by Mr. Ben S. Bernanke atthe Sandridge Lecture, Virginia Association of Economics, 10. March 2005, www...). Erargumentierte, ein weltweiter berschuss an Ersparnissen, fr die sichereAnlagemglichkeiten gesucht wrden, sei die gemeinsame Ursache fr eine ganze Reihevon Erscheinungen in der US-Wirtschaft, die sonst in dieser Konstellation nicht zu erklrenseien: Das enorme Handelsdefizit, das dennoch nicht zu einer nachhaltigen Dollarabwertungfhrte; sehr niedrige langfristige Zinsen trotz schnell wachsender Verschuldung und einerSparquote der privaten Haushalte, die gegen Null tendierte. Sowohl der extreme Anstieg derAktienpreise, der im Jahr 2000 mit dem Platzen der Internet-Blase endete, wie auch derImmobilienboom seien durch den Wunsch vieler Anleger in anderen Lndern bedingt, densicheren Hafen USA mit seinen entwickelten Finanzmrkten zu nutzen.Aus einer solchen Perspektive betrachtet war es die hohe Nachfrage nach US-Vermgenstiteln, die deren Marktwert steigen lie (auch die Aktien waren bis vor kurzemnoch stark berbewertet, wenn die Aktienpreise in Relation zu den Profiten der letzten 10Jahre, statt nur des letzten Jahres, gesetzt werden; vgl: D. Leonhard in: New York Times, 15.08. 07). Ein bermiges Angebot an Sparkapital aus anderen Lndern, das nach lukrativen

    Anlagemglichkeiten in den USA suchte, drngte die Finanzbranche in immer riskantereGeschfte und trug entscheidend dazu bei, den Immobilienboom durch Kreditvergabe animmer fragwrdigere Kreditnehmer auf die Spitze zu treiben. Steigende Vermgenswerte

    bei Aktien und Immobilien, die die Amerikaner ohne eigenes Zutun immer reicher machten,erklren zum Teil auch die extrem niedrige Sparquote in den USA. Die Konsumlust derBrger und die rasch wachsende Staatsverschuldung infolge von Steuersenkungen undKriegskosten lieen das Handelsdefizit immer weiter anwachsen - bis zur Krise und einerdamit einhergehenden starken Abwertung des Dollar. Unter gewhnlichen Bedingungenhtte ein groes Handelsdefizit zu einem raschen Whrungsverfall und stark anziehendenlangfristigen Zinsen fhren mssen; eine Immobilienblase der Dimension, mit der es dieUSA heute zu tun haben, htte sich niemals entwickeln knnen. Nur weil gewaltige Mengen

    Geld in die USA strmten und spielend alle Schulden finanzierten, kam es nicht zu einersolchen Anpassung durch marktwirtschaftliche Mechanismen. Ein immer greresweltwirtschaftliches Ungleichgewicht baute sich auf.

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    Auf seinem Hhepunkt entsprach das Leistungsbilanzdefizit der USA (das wesentlich durch den Handelbestimmt wird) mehr als zwei Dritteln der berschsse aller brigen Lnder (in % des Welt-BIP; grauhinterlegt = Prognose). Aus: IMF, World Economic Outlook, Okt. 2008.

    4. Die tiefere Ursache der heutigen Krise liegt in dem weltwirtschaftlichen Ungleichgewicht,das durch einen weltweiten berschuss der Ersparnisse ber die Investitionen verursachtwurde. Denn Investitionen sind der wichtigste Mechanismus, der neue Anlagemglichkeitenin Form von Wertpapieren aller Art hervorbringt. Lnder wie Japan und Deutschland tragenerheblich zu diesem berschuss der Ersparnisse bei, wofr Bernanke demographischeFaktoren verantwortlich macht, nach meiner Auffassung aber auch vielleicht sogar in

    grerem Mae - kulturelle Faktoren eine Rolle spielen. In der jngeren Vergangenheithaben aber vor allem drei Entwicklungen zu einer geradezu explosionsartigen Vermehrungdes berschssigen Sparkapitals beigetragen:Zum einen der Anstieg des lpreises, der den lexportierenden Lndern enorme Einnahmen

    bescherte. In vielen dieser Lnder sind die Finanzmrkte nicht sehr entwickelt, bieten sichnur begrenzt attraktive Investitionsmglichkeiten, herrscht kein sehr hohes Vertrauen undflieen diese Einnahmen weitgehend in die Hnde einer kleinen Schicht der Reichen oderauch in Staatsfonds, die sie dann gerne in den sicheren Hafen USA investieren. Whrenddiese Lnder Anfang der 70er Jahre nur kurze Zeit einen Zahlungsbilanzberschusserzielten, um sich alsbald in einen Verschwendungsboom zu strzen, reagieren sie heutevllig anders und erzielen anhaltend hohe berschsse.

    Des weiteren kam es zu einer drastisch zurckgehenden Verschuldung der Schwellenlnderin Reaktion auf die Krise, die Ende der 90er Jahre die meisten der asiatischenSchwellenlnder erfasste. Einige sdostasiatische Lnder, die sich vorher fr dieModernisierung ihrer Wirtschaft in hohem Mae verschuldet hatten, verwandelten sichinzwischen von Nettoschuldner- zu Nettoglubigernationen. Hierzu haben steigendeExporteinnahmen ebenso beigetragen wie vorsichtigere, weniger verschwenderischestaatliche Haushaltspolitik und eine allgemeine Zurckhaltung bei den Investitionen.

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    Aus: IMF, World Economic Outlook, April 2007; ( in Prozent des BIP der jeweiligen Region;Ostasien = ohne China).

    Von besonderer Bedeutung aber war der wirtschaftliche Aufstieg der Volksrepublik China.China erzielte in den letzten Jahren gewaltige Leistungsbilanzberschsse unter anderem

    auch deshalb, weil Investitionen und gesamtwirtschaftliche Sparquote Werte erreichten, wiesie bei keinem anderen der rasch sich industrialisierenden Lnder je beobachtet wurden.

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    Nach IMF-Daten betrug die gesamtwirtschaftliche Sparquote Chinas 2005 ber 50% desBIP; die privaten Haushalte sparten fast 30% ihrer laufenden Einkommen; die Investitionen

    beanspruchten gut 40% des BIP. Nicht nur die privaten Haushalte, sondern auchUnternehmen und Staat erzielten eine ungewhnlich hohe Ersparnis. So konntenInvestitionen zu einem hohen Grad aus heimischen Quellen finanziert werden, Kredite und

    Investitionen aus dem Ausland spielten eine untergeordnete Rolle. Kehrseite des durch dieExportnachfrage angetriebenen Investitionsbooms war, dass sich der Konsum viellangsamer entwickelte als die Wirtschaftsleistung, obwohl er absolut gesehen durchauskrftig stieg.

    Aus: J. Aziz, S. Dunaway: Chinas Rebalancing Act, in: IMF: Finance and Development, Sept. 2007

    Die chinesische Regierung setzte auf eine Strategie schneller wirtschaftlicherModernisierung durch Exportorientierung und frderte Investitionen im Exportsektor mitallen Mitteln. Dagegen wurde das soziale Sicherheitsnetz mit dem Bedeutungsverlust desstaatlichen Wirtschaftssektors stark abgebaut. Um sich fr Alter und Krankheit abzusichernoder Mittel fr eine gute Ausbildung der Kinder aufzubringen, sahen sich die Familienimmer mehr auf eigene Ersparnisse angewiesen, was zum Teil die hohe Sparquote der

    privaten Haushalte erklrt.Durch Bindung des Renminbi an den Dollarkurs verhinderte China eine Aufwertung, die

    infolge des Handelsberschusses unter Marktbedingungen htte erfolgen mssen. So nahmder Exportberschuss immer weiter zu, das Wachstum der Investitionen koppelte sich vlligvom Binnenkonsum ab und die Zentralbank hufte gewaltige Devisenreserven an, die sie zueinem guten Teil in US-Staatspapieren anlegte.

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    Aus: IMF: Peoples Republic of China, Staff Report, Juli 2006

    Im Unterschied zu den Exporten der llnder betrifft die Exportoffensive Chinas massivauch Produktion und Arbeitsmrkte in den entwickelten Industrielndern. Ohne einewachsende Verschuldung der USA und einiger anderer Lnder htte dieser Druck dieWachstumsbedingungen in den Industrielndern erheblich verschlechtert.Ohne die anhaltende Bereitschaft der USA, gewaltige Leistungsbilanzdefizite gegenberChina hinzunehmen man drngte mit ziemlich geringem Erfolg auf eine Aufwertung derchinesischen Whrung htte die Entwicklung in China einen anderen Verlauf nehmenmssen. Ohne die Bereitschaft der Zentralbanken Chinas und Japans, mit ihrenDollarberschssen die in den letzten Jahren schnell anwachsenden amerikanischenStaatsschulden und zum Teil auch private Schulden zu finanzieren, htte die US-Wirtschaftihr krftiges Wachstum auf Pump nicht aufrecht erhalten knnen.

    5. Um so drngender stellt sich die Frage nach den Wachstumsbedingungen der Weltwirtschaft,wenn der Nachfragesog, der von den USA ausgegangen ist, auf absehbare Zeit ausfllt.Denn selbst nach berwinden der aktuellen Krise ist keineswegs mit einer Rckkehr zukraftvollem Wachstum wie in der Vergangenheit zu rechnen. Im Grunde haben sich dieWachstumsaussichten fr die USA schon seit der Jahrtausendwende deutlich verschlechtert.

    Zum einen verebbten die Impulse, die von der mit Computertechnologie und Internetverbundenen technologischen Revolution ausgegangen waren. Zum anderen entfaltete sichjetzt erst die Exportoffensive Chinas mit voller Kraft.Dennoch bewltigten die USA die Krise nach dem Platzen der Internet-Blase und dem 11. 9.sehr schnell und erzielten bald wieder relativ hohe Wachstumsraten. Steuersenkungen undMilitrausgaben, finanziert durch einen raschen Anstieg der Staatsverschuldung, wirkten alsgewaltiges staatliches Nachfrageprogramm. Und trotz langfristig stagnierender Lhne frdie groe Masse der Beschftigten wurde immer mehr konsumiert. Die Mittel dafrstammten aus einer Ausweitung privater Kreditvergabe. An erster Stelle standen dabeiHypothekenkredite, der grte Teil davon brigens vllig unproblematische, gutabgesicherte Kredite. Diese waren leicht zu bekommen und Hypothekenzinsen lieen sich

    teilweise von der Steuer abziehen. Amerikanische Haushalte verpfndeten in wachsendemUmfang den Wert ihrer Huser, um Kredite zur Finanzierung grerer Anschaffungen oderAusgaben locker zu machen, benutzten ihre Huser wie eine Art Sparbuch. Frher herrschte

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    auch in den USA die Einstellung vor, Schulden, die auf dem Haus lasteten, so schnell wiemglich abzuzahlen. Doch die Banken hatten mit groem Werbeaufwand daran gearbeitet,diese Einstellung zu ndern. Es wurde als besonders clever dargestellt, den steigenden Wertdes Hauses zu nutzen, um sich alle mglichen Wnsche zu erfllen. So konnten vieleAmerikaner mehr konsumieren, ohne mehr zu verdienen. Der stndig steigende Wert derHuser schien allen Beteiligten gengend Sicherheit zu bieten. Inzwischen haben sinkende

    Hauspreise die Relation von Kreditbelastung zum Immobilienwert erheblich verschlechtert.Viele Haushalte sitzen sogar auf Hypothekenschulden, die hher sind als der Wert ihrerHuser. Unter diesen Bedingungen werden nach berwinden der aktuellen Krise weder vom

    privaten Konsum noch von dem infolge der Krisenbekmpfung hoch verschuldeten Staatstarke Impulse fr das Wachstum der amerikanischen Wirtschaft ausgehen knnen.

    Die folgende Grafik zeigt den stark zurckgehenden Anteil an ihren Husern, den amerikanischeHauseigentmer nach Abzug des mit Kreditlasten belegten Teils tatschlich ihr eigen nennen konnten (in% des Gesamtwertes; rechte Skala). Die gestrichelten Kurven zeigen die Entwicklung des Gesamtwertesdes Hauseigentums (oben) und der Hypothekenschuld (unten), jeweils im Verhltnis zum verfgbarenJahreseinkommen der Haushalte (linke Skala). Natrlich erklrt sich der sinkende Eigentumsanteilteilweise auch aus dem Immobilienboom, der den Anteil neuer Huser mit hoher Kreditlast ansteigen

    lie. Aus: IMF: United States, Staff Report, Okt. 2008:

    Hoffnungen, die Dynamik der Schwellenlnder knnte die Wachstumslokomotive USAunmittelbar ersetzen, waren angesichts ihrer Abhngigkeit von Exportmglichkeiten schonimmer fragwrdig und drften sich angesichts aktueller Entwicklungen erledigt haben.Eine besonders spannende Frage ist, wie China auf den Einbruch seiner Exportmrktereagiert. Die Annahme, der Investitionsboom wrde nur etwas abgebremst und dieBinnennachfrage knnte rasch an die Stelle zurckgehender Exporte treten, erscheintberaus optimistisch angesichts der Grenordnung der Anpassung, die erforderlich wird.Andererseits verfgt China ber gewaltige finanzielle Reserven, mit deren Hilfe es denBinnenmarkt ankurbeln kann.In Europa geraten einige Lnder, die ihren kreditfinanzierten Immobilienboom erlebten, in

    eine akute Krise. Hohe private Verschuldung wird in Osteuropa und Russland zum Prolbem.Deutschland lsst jede Dynamik vermissen, sobald die Exportnachfrage einbricht, da wederdie schwache Lohnentwicklung noch die hohe Sparquote geeignet sind, den Binnenkonsum

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    zu befrdern. Das gilt ebenso fr Japan, wo die Sparquote zwar gesunken ist, doch wenigerstark als die Investitionen, und wo die Lhne so weit hinter der Produktivittzurckgeblieben sind, dass selbst der IWF hier ein Problem sieht (vgl.: IMF: Why areJapanese Wages so Sluggish?, in: IMF: Japan, Selected Issues, June 2008).

    berraschende technologische Durchbrche knnten natrlich jederzeit zum Auslser eines

    neuen groen Investitionsbooms werden. Doch solche Durchbrche lassen sich wedervorhersagen noch herbeizwingen. Angesichts von Exportabhngigkeit undWachstumsschwche in vielen Lndern der Welt drfte der Weltwirtschaft jedenfalls ohnesolche Durchbrche eine lange, schwierige Depressionsphase bevorstehen. HoheArbeitslosigkeit und schwache Lohnentwicklung werden die fr ein Anziehen derInvestitionen ausschlaggebende Endnachfrage ebenso begrenzen wie Vorsicht bei derKreditvergabe und noch lange lastenden Schulden infolge der gegenwrtigen Krise.

    6. Statt die Ursache der weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die zur gegenwrtigen Krisegefhrt haben, in einem weltweiten berfluss an Ersparnissen zu sehen, lsst sich diePerspektive auch wechseln und von einem Mangel der produktiven Investitionen sprechen,

    die den realen Gegenwert dieser Ersparnisse bilden sollten. R. G. Rajan argumentierte, nochals Forschungsdirektor des IWF, angesichts gegebener Kostenvorteile mssten Investitionenheute vor allem in den nachholend sich industrialisierenden Lndern erfolgen. Doch diegrere Unsicherheit, die mit Investitionen in diesen Lndern verbunden sei, verhindere,dass dies in ausreichendem Mae geschehe. Zudem wies er darauf hin, dass ein wichtigerFaktor, der zum berschuss an Ersparnissen beigetragen hat, der Rckgang derVerschuldung des Unternehmenssektors in den Industrielndern - brigens auch den USA -war. (R. G. Rajan: Investment Restraint, The Liquidity Glut, and Global Imbalances;Remarks at the Conference on Global Imbalances, Bali, Nov. 2006; IMF, www...). DieUnternehmen verdienten gut, ihre Erwartungen in Bezug auf die Entwicklung der Nachfragewaren aber offenbar nicht so, dass sie Anlass zu einer kreditfinanzierten Ausweitung derInvestitionen sahen. Lieber bauten sie massiv ihre Verschuldung ab (vgl. nachfolgendeGrafiken aus IMF: World Economic Outlook, Sept, 2006).Investitionen im Produktionssektor sind die wesentliche Quelle der realen Gegenwerte, dieWertpapieren und den mit ihnen verbundenen Ertrgen zugrunde liegen. Durch dieFinanzierung dieser Investitionen ber Kredite und Beteiligungen entsteht der grte Teilder Wertpapiere. Sptestens seit den 90er Jahren gibt es weltweit zu wenig Wertpapiere imVerhltnis zum Anlagemglichkeiten suchenden Sparkapital. Konzentriert sich zu viel Geldauf zu wenige Wertpapiere, entstehen zwangslufig spekulative Blasen (vgl: R. Caballero:On the Macroeconomics of Asset Shortages, MIT and NBER, Nov. 2006; www..). In den90er Jahren floss berschssiges Finanzkapital auf der Suche nach guten Renditen in die

    Schwellenlnder und fhrte zu einer Reihe von Krisen, insbesondere zur Ostasienkrise 1997,wo eine anfnglich gesunde Wirtschaftsentwicklung durch erst bermig zuflieendes unddann blitzartig wieder abflieendes Kapital schweren Schaden nahm (vgl.: Paul Krugman:Die groe Rezession, Campus 1999). Danach folgte die Blase um Internet und neueTechnologien, mit teilweise absurd berbewerteten Aktienkursen, die im Jahr 2000 platzte.Heute nun die Immobilienblase in den USA und einer Reihe anderer Lnder.

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    Schon die Verschuldungskrise der Dritten Welt, die sich in den 80er Jahren herausbildete,hatte einen vergleichbaren Hintergrund. Im Zuge der lkrisen waren die Einnahmen derlexportierenden Lnder sprunghaft angestiegen, die Investitionen in den Industrielnderndagegen zurckgegangen. So floss berschssiges Geld Petrodollars und Sparkapital aus

    manchen Industrielndern - an aufstrebende Lnder der Dritten Welt, wo es allerdings meistsehr schlecht investiert oder schlicht verschwendet wurde. Mit dem Fall der lpreise ab1985 und der kryptokeynesianischen Wirtschaftsankurbelung unter Reagan wurden dieTriebkrfte dieser Entwicklung beseitigt.Der konom Ricardo Caballero sieht eine allerdings nur lngerfristig zu erreichende -Lsung des Problems in der Entwicklung der Finanzmrkte der sich industrialisierendenLnder. Vielfach existieren dort profitable Produktionen, deren Wert und zuknftig zuerwartender Ertrag sich aber nicht in entsprechenden Wertpapieren widerspiegelt.Mglichkeiten fr Kreditaufnahme und Wachstum bleiben daher ebenso begrenzt wie dieAnlagemglichkeiten fr Sparer.Was Caballero bei seinem Lsungsvorschlag nicht bercksichtigt, sind die groen

    Hemmnisse fr kapitalistisches Wachstum und die dafr ntige Modernisierung derInstitutionen in vielen dieser Lnder. Solche Hemmnisse resultieren aus Strukturen einerberwiegend auf Rente statt Profit beruhenden konomie, die gekennzeichnet ist durchMonopolisierung von Rohstoff-, teilweise aber auch industriellen Produktionen, mit Hilfeoder durch den Staat, durch die Ausschaltung des Konkurrenzmechanismus, die Verteilunggesellschaftlichen Mehrwerts ber Hierarchie und klientelistische Abhngigkeiten sowie diemit solchen Strukturen verbundenen Formen der Bereicherung, Verschwendung undIneffizienz (grundlegend hierzu: H. Elsenhans: Abhngiger Kapitalismus oder brokratischeEntwicklungsgesellschaft. Versuch ber den Staat in der Dritten Welt, Campus 1981). Ineiner kapitalistischen konomie werden Extraprofite, die aus Knappheiten, Innovations-und Produktivittsvorsprngen resultieren, ber den Konkurrenzmechanismus meist raschauf einen migen Durchschnittsprofit gesenkt. Eine Rentenkonomie beruht dagegen aufder Ausschaltung von Konkurrenz, so dass Knappheiten ausgebeutet und konomischeChancen privilegiert genutzt werden knnen. Insbesondere wenn auf dem Weltmarkt hoheEinnahmen aus der Rohstoffproduktion erzielt werden, die vom Staat oder einer Oligarchievon Groeigentmern angeeignet werden knnen, wchst das Gewicht eines solchen Staates

    bzw. der privaten Monopole und damit die Mglichkeiten, auch in anderen Bereichen derWirtschaft monopolistische Strukturen durchzusetzen oder zu erhalten (siehe etwa dieneuere Entwicklung in Russland). In solch einer Rentenkonomie herrscht in der Regelextreme soziale Ungleichheit. Groe Teile des gesellschaftlichen Mehrwerts werden voneiner schmalen Schicht an der Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie abgeschpft. Seit

    exzessive Formen der Verschwendung zurckgegangen sind, bilden diese herrschendenGruppen und die Institutionen, die von ihnen kontrolliert werden, vermehrt Ersparnisse, dierentable Reinvestitionsmglichkeiten im Monopolsektor in aller Regel weit berschreiten.So betrug etwa der Anstieg der Importe der llnder in den Jahren nach 2002 nur wenigmehr als die Hlfte des mit dem starken Anziehen des lpreises verbundenen Anstiegs ihrerExporteinnahmen; in den frhen 70er Jahren hatte er noch drei Viertel betragen (IMF: WorldEconomic Outlook, April 2006, S. 73). Infolge verbreiteter Armut in der brigenGesellschaft fehlt ein hinlnglich dynamischer Markt, der darber hinaus attraktiveInvestitionsmglichkeiten bieten knnte. Der Druck groer Arbeitslosigkeit undUnterbeschftigung bewirkt, dass die Unterschichten schwach bleiben im Kampf um bessereLhne, um rechtlichen Schutz und gesellschaftliche Chancen. Hohes

    Bevlkerungswachstum, klientelistische Bindungen an die Herrschenden, von derenWohlwollen oft das Schicksal, ja nicht selten das schiere berleben abhngt, und Formendirekter Unterdrckung tun ein briges, diese Strukturen aufrecht zu erhalten. Hinzu kommt

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    die Kultur einer Rentenkonomie, in der Erfolge durch Leistung und Konkurrenz leicht zumProblem werden knnen, da sie die Statushierarchie bedrohen, die fr die Verteilung derRenten von groer Bedeutung ist. Investitionen, die nicht durch Anknpfung an dasBeziehungsgeflecht im Monopolsektor gedeckt sind, bleiben so oft unkalkulierbar.Unzureichend bleibt in vielen Lndern auch der Schutz von Eigentumsrechten gegen denZugriff durch die Mchtigen. Dies ist, wie eine IMF-Studie ergab, der wichtigste

    Einzelfaktor, der verhindert, dass Reformen des Finanzsektors, die hufig ja durchausstattgefunden haben, auch zu seiner Vertiefung, zu mehr Kreditgewhrung, gefhrt haben(vgl.: T. Tressel, E. Detragiache: Do Financial Sector Reforms Lead to FinancialDevelopment? IMF Working Paper, Dez. 2008).Immerhin war die Globalisierung in Teilen der Welt auch mit einer sehr beeindruckendenWirtschaftsentwicklung verbunden. Vor allem in Sdostasien und Indien konnten sichreformorientierte Krfte politisch durchsetzen und mehr oder weniger weitgehendemarktwirtschaftliche Reformen durchfhren, die durch Erfolge bei der exportorientiertenIndustrialisierung gesttzt wurden. Doch die Binnenmarktentwicklung ist auch in denmeisten dieser Lnder durch den Druck hoher Arbeitslosigkeit und Unterbeschftigunggefhrdet und bleibt in hohem Mae abhngig von Exporterfolgen und der Umverteilung

    von Renten, die durch Export maximiert werden knnen. Auf die gesamte Weltwirtschaftbezogen lsst sich daher mit Elsenhans argumentieren, dass der Impuls der Globalisierung bislang zu schwach bleibt, um Armut und nichtmarktwirtschaftliche Strukturen zuberwinden. In den nachholend industrialisierenden Lndern wurden zwar enormeProduktionskapazitten aufgebaut, doch da der Konsum weltweit nicht in gleichem Maewchst, leidet die Weltwirtschaft schon seit geraumer Zeit unter einer Tendenz zurUnterkonsumtion (vgl. H. Elsenhans: Globalization Between a Convoy Model and anUnderconsumptionist Threat, Lit 2006), die die Investitionsmglichkeiten begrenzt und dieTriebkrfte weiterwirken lsst, die zur aktuellen Krise gefhrt haben.

    7. Mglicherweise erleben wir gerade das Scheitern des liberalen Modells der Globalisierung.Durch eine Politik der Marktffnung wurden internationale Wirtschaftsbeziehungenetabliert, die sehr unterschiedliche Lnder in einem gemeinsamen Markt verbunden haben.Viele dieser Lnder sind berwiegend nicht nach marktwirtschaftlichen Prinzipienorganisiert (darunter etwa die meisten llnder) und bieten nur begrenzte Mglichkeiten frInvestitionen und Wachstum des Binnenmarktes. Andere verfolgen exportorientierteIndustrialisierungsstrategien mittels unterbewerteten Whrungen und Frderung desExportsektors, wobei auf Kosten anderer Lnder eigenes Wachstum maximiert wird (China,andere sdostasiatische Lnder). Vor allem aber fhrt, wie der PolitikwissenschaftlerHartmut Elsenhans schon seit langem argumentiert, der Druck auf die Arbeitsmrkte, dervon Hunderten Millionen arbeitsloser oder unterbeschftigter Menschen ausgeht, dazu, dass

    die Masseneinkommen auch bei Industrialisierungserfolgen nur unzureichend steigen undselbsttragendes kapitalistisches Wachstum des Binnenmarkts (nicht Wachstum berhaupt) invielen Lndern nicht in Gang kommt. Ein moderner Exportsektor steht dann einerrckstndigen Binnenkonomie gegenber, die sowohl billige Lohngter wie einen fastunerschpflichen Nachschub an Arbeitskrften liefert. Wenn, wie in Sdostasien, dieWhrungen an den Dollar gebunden sind und diese Bindung mit allen Mitteln verteidigtwird, fhren rasche Produktivittssteigerungen im Exportsektor infolge vonTechnologietransfer und damit verbundene Handelsbilanzberschsse nicht zuentsprechender Aufwertung der Whrungen. Damit bleiben Kostenrelationen erhalten, dieder Exportproduktion fr den Weltmarkt in diesen Lndern einen oft unschlagbarenKonkurrenzvorteil gegenber Standorten in den etablierten Industrielndern verschaffen.

    Die Verlagerung von Investitionen in die kostengnstige Peripherie (oder allein die Drohungdamit) erzeugt aber anhaltenden Druck auf die Lhne im kapitalistischen Zentrum. Dies beeintrchtigt den Wachstumsmechanismus des Kapitalismus: den Anstieg der

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    Masseneinkommen im Gleichtakt mit den Produktivittssteigerungen der Wirtschaft.Die Bedeutung der Nachfrage wird im Rahmen der vorherrschenden neoklassischen Schulekonomischen Denkens zwar nicht grundstzlich bestritten, doch wird hier, auer im Fallevorbergehender Schocks oder verfehlter Geldpolitik der Zentralbank, kein eigentlichesProblem gesehen. Denn Investitionen wrden als Quelle aller Einkommen immer auch die

    Nachfrage hervorbringen, die ihre Rentabilitt sichern. Alles hngt demnach von guten

    Bedingungen fr Investitionen ab. Die Verteilung der Einkommen spiegelt unterMarktbedingungen Knappheiten wider und trgt zu einer optimalen Allokation derRessourcen bei. Nur Strungen des Marktprozesses durch Monopole (Gewerkschaften) oderden Staat (Mindestlhne, Sozialstaat etc.) knnen die automatische Tendenz zumarktrumenden Gleichgewichtspreisen fr die Produktionsfaktoren hemmen unddauerhafte Arbeitslosigkeit verursachen.Dass Arbeitskraft heute im Weltmastab dauerhaft nicht knapp ist, kommt in diesem Denkennicht vor. So wenig wie der Gedanke, dass der marktrumende Gleichgewichtspreis frArbeit auf Weltebene auf einem Niveau liegen msste, bei dem, bliche Lohnspreizungvorausgesetzt, das Verhungern von einigen hundert Millionen Menschen die Konsequenzwre. Kein Wunder, dass die Menschen in vielen Lndern an nichtmarktwirtschaftlichen

    Strukturen festhalten, von denen sie sich wenigstens die Sicherung ihres berlebenserhoffen.Wenn Arbeit aufgrund eines dauerhaften globalen berangebots unter Druck steht und daherauch in den Industrielndern an Verhandlungsmacht einbt, stagnieren die Einkommen der

    breiten Masse der Bevlkerung oder wachsen jedenfalls nur unzureichend im Verhltnis zurProduktionskapazitt. Qualifizierung bietet keinen sicheren Ausweg, da sich alleAnstrengungen, einen Abstieg in den Billiglohnsektor zu vermeiden, ja auf Qualifizierungrichten. Der Begriff Prekariat deutet auf die Folgen fr Akademiker. Nur inWirtschaftssektoren, denen technische Vorsprnge, Innovationen, Monopolstellung,Subventionen oder staatlicher Schutz hohe Ertrge sichern, knnen in der Regel auch dieBeschftigten gute Lhne durchsetzen. Ob eine Qualifikation sich auszahlt, hngt immermehr davon ab, in einen solchen Sektor hineinzugelangen.Kehrseite der Verhandlungsschwche von Arbeit ist die Steigerung der Einkommen einerschmalen Schicht der Reichen. Bei allem Luxus wird doch nur ein Teil dieser Einkommen inKonsumnachfrage umgesetzt. Ansonsten sind gute Anlagemglichkeiten gefragt. Die gutenAnlagemglichkeiten, die durch Verschuldung der Unternehmen fr Investitionen entstehen,sind aber wegen des Mangels an Konsumnachfrage beschrnkt.Mangelnde Nachfrage macht Investitionen in die Erweiterung der Produktion unrentabel,die Unternehmen konzentrieren sich daher auf Rationalisierung und Innovation.Innovationen mindern zeitweilig den Druck, der von der Konkurrenz der Schwellenlnderausgeht und knnen krftige Neuinvestitionen auslsen. Sie erfordern hochqualifizierte,

    spezialisierte Arbeitskrfte, die knapp sind und daher gut bezahlt werden. Innovationenknnen zwar durch Investitionen in Bildung und Wissenschaft begnstigt werden, dochgroe Durchbrche bleiben selten und unvorhersehbar. Eine mikroelektronische Revolutionliegt nicht jedes Jahrzehnt um die Ecke. Zudem sind die nachholend sichindustrialisierenden Lnder immer besser in der Lage, sich neue Technologien schnellanzueignen. Die Vorstellung, diese Lnder wrden ihren komparativen Vorteil in derProduktion von einfachen Waren des Alltagskonsums finden, whrend fortgeschritteneIndustrielnder ihnen die Technologie, die Produktionsmittel liefern, erweist sichzunehmend als Illusion.Die folgende Grafik bildet den jeweiligen Beitrag ab, den verschiedene WirtschaftsbereicheChinas zur Vernderung seiner Handelsbilanz beigetragen haben. Heavy Industry ist dabei

    nicht einfach mit Schwerindustrie zu bersetzen, sondern umfasst auch Branchen wieAutoindustrie, Chemie, Maschinenbau und damit Bereiche, in denen sich westliche Lnderstrukturell im Vorteil whnen. Seit 2004 tragen aber gerade diese Branchen in hohem Mae

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    zum Handelsberschuss Chinas bei. Die Erfolge ostasiatischer Lnder bei der Produktionvon Computertechnologie und Unterhaltungselektronik, Indiens bei derSoftwareentwicklung, zeigen berdies, dass selbst im Bereich der neusten Technologien dieIndustrielnder nicht unbedingt einen groen komparativen Vorteil haben. Konnten sichUnternehmen in den USA ihren Vorsprung noch ber Patente sichern, hatte Europa beimAufbau dieser neuen Produktionen oft das Nachsehen.

    aus: J. Anderson: Solving Chinas Rebalancing Puzzle, in: IMF, Finance&Development, Sept. 2007.

    Whrend die meisten Lnder Europas jahrzehntelang mit zher Massenarbeitslosigkeitkmpften, schienen die USA ein Modell zu bieten, wie erfolgreiche Anpassung an dieBedingungen der Globalisierung mglich ist. Es lief auf eine unbeschrnkte Herrschaft desMarktes hinaus. Wirtschaftliche Flexibilitt und Innovationskraft wrden technologischeVorsprnge und damit hochqualifizierte Arbeitspltze sichern. Unvermeidlich sei es, dieEntwicklung eines groen Billiglohnsektors zuzulassen. Nur so knne gengend Arbeit imDienstleistungssektor fr die gering Qualifizierten entstehen, die Hauptopfer der neueninternationalen Arbeitsteilung. Stagnierende Reallhne bei Ausweitung der Arbeitszeitenfr die Mehrheit der Beschftigten seien der Preis dafr, Produktionen im Land zu halten,die sonst abwandern oder untergehen wrden. Die Deregulierung aller Wirtschaftsbereichegalt als politisches Patentrezept fr die Schaffung eines gnstigen Investitionsklimas.Private Initiative solle kreativ immer wieder neue Wege zum wirtschaftlichen Erfolg finden,ohne dass der Staat sie dabei hemmen wrde.

    ber die Zwnge sehr freier Mrkte wurden Strukturanpassungen an einen verndertenWeltmarkt in den USA tatschlich leichter erreicht als in Europa, Innovationen setzten sichschneller durch und Arbeitslosigkeit verschwand weitgehend. Zum krftigenWirtschaftswachstum trugen allerdings auch anhaltendes Bevlkerungswachstum und einegroe Konsumfreude entscheidend bei, Faktoren, die sich nicht ohne weiteres auf andereLnder bertragen lassen. Heute nun erweist sich selbst das amerikanische Modell denBelastungen durch die liberale Form der Globalisierung nicht gewachsen. DieExportoffensive Chinas und die wachsende Abhngigkeit vom schnell teurer werdenden lwaren dafr entscheidende Faktoren. Die Vorstellung, mit der Liberalisierung desWelthandels und der Modernisierung rckstndiger Lnder ginge automatisch dieEtablierung einer funktionierenden kapitalistischen Weltwirtschaft einher, knnte sich als

    die groe Illusion einer Epoche erweisen, die mit der aktuellen Krise zu Ende geht.

    8. Dem Staat wchst mit der Krise eine neue Rolle zu. Bankenrettungsplne, ja Verstaatlichung

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    von Banken, Regulierung der Finanzmrkte, schuldenfinanzierte staatliche Programme zurAnkurbelung der Wirtschaft, eine europische Wirtschafsregierung, gar ein neues BrettonWoods sind Stichworte in einer Diskussion, die noch vor kurzem niemand fr vorstellbargehalten htte. Im Moment herrscht die akute Notwendigkeit, Dmme gegen einen totalenZusammenbruch der Finanzmrkte wie der Realwirtschaft zu errichten. Doch auch auflngere Dauer knnten Massenarbeitslosigkeit und die anhaltende Gefahr, schnell wieder in

    eine Abwrtsspirale zu geraten, die Lage bestimmen, der sich politische Entscheidungstrgerzu stellen haben.Knftiges Wirtschaftswachstum hngt davon ab, dass es zu einer nachhaltigenInvestitionsdynamik kommt. Bleibt die Sparneigung im Verhltnis zu den produktivenInvestitionen zu hoch, weil die Massennachfrage weltweit zu schwach wchst, um einengreren Umfang an Investitionen rentabel zu machen, knnten zyklische Aufschwnge zuschwach bleiben, um die Arbeitslosigkeit, die in der aktuellen Krise entsteht, wiederabzubauen. Von dieser Massenarbeitslosigkeit wrde ein permanenter Druck auf die Lhneund damit die Nachfrage ausgehen. Im schlechtesten Fall knnte die gesamte Weltwirtschaftin einer deflationren Falle gefangen bleiben, wie sie Krugman fr das Japan der 90er Jahrediagnostiziert hat (P. Krugman: Its baaack! Japans Slump and the return of the Liquidity

    Trap, in: Brookings Papers on Economic Activitiy 1998, www...). Sinkende Preise undEinkommen lhmen dann die wirtschaftliche Aktivitt, da die Realzinsen selbst bei einemLeitzins von Null hoch bleiben und alle Wirtschaftsteilnehmer ihre Plne in Erwartunganhaltender Deflation zurckstellen. In der Wirtschaftswissenschaft wird in einer solchenSituation Abhilfe vor allem von der Zentralbank erwartet, die zu unkonventionellenManahmen greifen und dem Markt ein klares Inflationsziel signalisieren soll. Eine hhereStaatsverschuldung wre dabei nur ein kurzfristig einzusetzendes Mittel, um in einerkoordinierten Anstrengung die Wirtschaft wieder anspringen zu lassen (vgl. etwa: Krugman,s. o. ; G. Eggertsson, M. Woodford: Optimal Monetary Policy in a Liquidity Trap, Aug.2003, www....). Doch es wre gut denkbar, dass einer solchen Politik angesichts derGesamtlage der Weltwirtschaft bei hoher Arbeitslosigkeit in den Industrielndern die Kraftfehlt, mehr als nur begrenzte, vorbergehende Effekte zu erzeugen. Dann aber bleibt derStaat gefragt.berschieende Investitionen und Renditeerwartungen in Bezug auf Schwellenlnder, neueTechnologien und jngst Immobilien bildeten zeitweilige Auswege, die der Markt gefundenhat, um das weltweite Ungleichgewicht zwischen Investitionen und Ersparnissen zuberwinden. Mit dem Aufbau jeder neuen Blase waren durchaus positive realwirtschaftlicheImpulse verbunden, da Investitionen auslst wurden, die fr einige Zeit dasWirtschaftswachstum angetrieben und reale Werte hervorgebracht haben. Mit dem Platzen

    jeder Blase wurde berschssiges Sparkapital entwertet und damit besttigt, dass Sparen nurgelingen kann, wenn in entsprechendem Umfang erfolgreich investiert wird.

    Nachdem der Markt nun verschiedenste Mglichkeiten durchprobiert hat, einen Ausweg ausseinem Dilemma zu finden, wird es schwierig, das ntige Vertrauen fr den Aufbau einerneuen Blase zu bilden. Fehlt es aber an ausreichendem Vertrauen, fehlt es anRisikobereitschaft und Kreditaufnahme, wird der Ruf nach dem Staat auch nachberwinden der akuten Krise nicht verstummen. Nur dem Staat vertraut man dann noch.Staatsverschuldung knnte daher durchaus die nchste Blase darstellen, die irgendwann

    platzt, wenn dieses Vertrauen nicht gerechtfertigt ist und irgendwann verloren geht.Das Japan nach dem Brsencrash von 1990 zeigt, wie es unter Hinnahme hoherStaatsverschuldung immerhin mglich ist, das Produktionspotential der Wirtschaftaufrechtzuerhalten und Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden (vgl.: R. Koo: Balance SheetRecession, John Wiley&Sons 2003). Dabei blieb das Vertrauen erhalten, wofr sicher eine

    gnstige Voraussetzung war, dass Japan sich bei seinen eigenen Brgern und nicht imAusland verschuldete. Japan bietet allerdings ebenfalls ein Beispiel dafr, wie ineffizient dieVerwendung der Mittel durch den Staat sein kann. Dennoch blieben die exportorientierten

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    Kernsektoren der japanischen Wirtschaft, die immer unter scharfen Konkurrenzbedingungenoperierten, intakt und konnten sich technologisch an der Spitze halten. Sobald derWirtschaftsboom Chinas die Exportmglichkeiten erweiterte, zog auch die japanischeBinnenwirtschaft wieder an und das Land erzielte wieder relativ hohe Wachstumsraten. DieKrise Japans schien berwunden. Unternehmen und Banken hatten ihre einst enormenSchulden abgebaut. Das hohe Wachstum lie die Finanzierung der Staatsschuld ca. 170%

    des BIP (BRD etwas ber 60 %) -, die zu einem guten Teil zugleich die Finanzierung derAlterseinkommen der Bevlkerung darstellte, durchaus machbar erscheinen bis zurheutigen Krise.Allgemein gilt allerdings: je grer die Rolle des Staates in der Wirtschaft wird, desto mehrkann rent-seeking, der Versuch, durch Einflussnahme auf staatliches Handelnwirtschaftliche Vorteile und damit Renten zu erzielen, das konomische Verhalten

    bestimmen und marktwirtschaftliche Mechanismen verdrngen. Wenn Rente in denIndustrielndern Profit verdrngt, wird, wie Elsenhans warnt, die konomische Grundlageder freiheitlichen brgerlichen Gesellschaft gefhrdet. Gegen alle linken wie rechtenKapitalismuskritiker ist aber entschieden darauf zu bestehen, dass die Verteidigung einessozialstaatlichen Kapitalismus lohnt. Denn wo Rente die konomie bestimmt, greifen

    Privilegienwesen, persnliche Abhngigkeiten, Beschrnkung von Chancen, Desinformationund allgemeine wirtschaftliche Ineffizenz um sich. Selbst wenn noch so idealistischeMotivationen die politischen Akteure auf einen solchen Weg fhren, die Eigendynamikeiner auf Rente basierenden konomie wird sich auf Dauer durchsetzen. Um die Freiheitund wirtschaftliche Leistungsfhigkeit einer offenen Gesellschaft zu erhalten, ist es daherntig, mit groer Sorgfalt darber nachzudenken, wie eine grere Rolle des Staatesausgestaltet werden knnte, sollte diese angesichts der Lage der Weltwirtschaftunvermeidlich werden.

    Noch aus einem anderen Grund ist ber eine wichtigere Rolle des Staates nachzudenken.Bislang wurde die Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung vor allem durch einWechselspiel von Bedrfnissen der Konsumenten, Produktionsmglichkeiten undKonsumanreizen vorgegeben, also von einer weitgehend autonomen Marktdynamik, diekeiner Steuerung unterlag. Mit dramatisch sich zuspitzenden kologischen Problemen wirdunbersehbar, dass die Freirume fr eine solche Dynamik im Grunde schon berschrittenwurden. Empfindliche wirtschaftliche Rckschlge aufgrund der kologischer Folgen sindnicht mehr auszuschlieen. Die Vermeidung katastrophaler Umweltvernderungen wird zueiner zentralen Sicherheitsfrage. Der Markt vermag die dringlichen Investitionen in neue,

    besser an die Umwelt angepasste Technologien nicht oder nicht schnell genughervorzubringen. Daher ist erforderlich, dass der Staat eine entschlosseneSteuerungsfunktion wahrnimmt und dadurch tief in wirtschaftliche Interessen eingreift.Bislang ist der politische Prozess vor allem darauf ausgelegt, verschiedene Interessen zu

    reprsentieren und Kompromisse zwischen ihnen auszuhandeln. Entscheidungen setztenvoraus, dass jeweils eine Mehrheit der reprsentierten Interessen eingebunden wird.Reprsentiert werden aber vor allem gut organisierte Sonderinteressen, nicht die diffusenAllgemeininteressen einer groen Zahl von Menschen (vgl.: M. Olson: Die Logik deskollektiven Handelns, Mohr 1992). Reprsentiert werden in erster Linie auchGegenwartsinteressen, nicht Zukunftsinteressen. Je drngender Umweltprobleme werden, jestrker sie sich in der Gegenwart manifestieren, desto eher eignen sie sich allerdings, um inder politischen ffentlichkeit Unterschiede zu markieren. Entsprechende Positionierungenverpflichten dann Politiker zum Handeln, auch gegen den Druck der groen Mehrheit derInteressengruppen. Dennoch droht jeder Lsungsansatz sich in einem wuchernden Gestrppvon Sonderinteressen zu verfangen, und eine zunehmend vom Staat abhngige Wirtschaft

    knnte das Wuchern dieses Gestrpps noch befrdern.Politik verliert schnell an Legitimation, Kooperationsfhigkeit und Durchsetzungskraft,wenn sie mit Sonderinteressen identifiziert wird. Ihre Durchsetzungsfhigkeit wie auch die

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    Effizienz ihres Handelns angesichts der Herausforderungen, die vor ihr liegen, wird inhohem Mae davon abhngen, ob sie sich strker an Wissenschaft als an Interessenausrichten. Dies setzt allerdings auch eine hinlnglich autonome Wissenschaft voraus, dienicht in den Verdacht gert, Sonderinteressen zu dienen, whrend heute die Tendenzvorherrscht, die Wissenschaft in zunehmend grere Abhngigkeiten zu treiben. Im Bereichdes Staates und der politischen ffentlichkeit bedarf es wohl einer Art Zivilisationsschub im

    Sinne von Norbert Elias (vgl. ders.: ber den Prozess der Zivilisation, Frankfurt 1979),durch den sich die politischen Manieren ndern. Erst wenn Politiker sich unmglichmachen, sobald sie einen fr jeden gut informierten Beobachter offensichtlich sachlichunhaltbaren oder grob das Allgemeininteresse verletzenden Standpunkt vertreten, der nuraus ihrer Verpflichtung auf bestimmte Sonderinteressen oder einen vllig unzulnglichenInformationsstand zurckzufhren ist, sind Standards des ffentlichen Diskurses etabliert,die eine Orientierung an Wissenschaft befrdern. Wenn der Druck sehr ernstergesellschaftlicher Probleme wchst, wachsen auch die Chancen fr die Durchsetzungentsprechender Standards.Die Vorstellung, es knnte zu einer derartigen Vernderung der Verhaltensweisen im Feldder Politik kommen, mag nachgerade als naiv abgetan werden. Aus einer gewissen

    historischen Distanz betrachtet erscheint sie jedoch keineswegs naiver, als wenn in einerhoch korrupten Gesellschaft von wirksamer Eindmmung der Korruption die Rede ist, ineiner autoritren Gesellschaft von demokratischer Mitbestimmung oder in einer

    patriarchalischen Gesellschaft von Frauen in Fhrungspositionen. Der groe Ernst derheutigen Lage schafft die Voraussetzung, dass der Gruppendruck sich erhht. Es bedarfallerdings auch einer bewussten Definition neuer Standards und des Streits um ihreDurchsetzung, damit sich das Verhalten verndert. Dies ist eine zentrale Herausforderung,vor der die politische Klasse also alle, die an politischer Meinungsbildung beteiligt sind steht. Ohne die wissenschaftlich fundierte Orientierung an langfristigen Gemeininteressenwird Politik mit Sicherheit nicht in der Lage sein, die weltweit koordinierten gewaltigenAnstrengungen auf den Weg zu bringen, die ntig sind, um einen zerstrerischenKlimawandel zu verhindern, und wahrscheinlich auch nicht in der Lage sein, die Ursachenund Folgen der gegenwrtigen Weltwirtschaftskrise wirksam anzugehen, so dass eine langeanhaltende Depressionsphase mit unabsehbaren politischen Folgen vermieden werden kann.

    9. Wenn der Staat sich ber einen lngeren Zeitraum hinweg verschuldet, um gegen eineanhaltende Krise der Wirtschaft anzugehen, sollte er seine Mittel gezielt fr die Lsung derProbleme einsetzen, die diese Krise verursachen und darber hinaus in die Zukunftinvestieren. Wird die Notwendigkeit staatlicher Defizite als Freibrief fr alle mglichenInteressen verstanden, jetzt ihre Wunschvorstellungen jenseits von Budgetrestriktionen zurealisieren, sind Probleme vorprogrammiert.

    Wachsende Einnahmen der lexportierenden Lnder, die dort zu erheblichen Teilen nichtinvestiert werden, wurden oben als eine der wesentlichen Ursachen fr dieweltwirtschaftlichen Ungleichgewichte identifiziert, die zur derzeitigen Krise gefhrt haben.Die Verknappung von l macht weitere, womglich sehr viel heftigere lpreisschockswahrscheinlich und erzeugt problematische politische Abhngigkeiten. Emissionen aus derlverbrennung stellen nicht nur ein skandals unterbewertetes Gesundheitsproblem dar,sondern sind vor allem auch eine der Hauptursachen fr den Klimawandel. Ein einzigerLsungsansatz ist somit geeignet, in einer ganzen Reihe von Problembereichen gleichzeitigAbhilfe zu schaffen: groe Investitionen in die Einsparung von l.

    Natrlich ist l dabei im Zusammenhang der gesamten Energieversorgung zu sehen, die aufneue Grundlagen gestellt werden muss. Der Forschungsstand in diesem Feld ist hoch, die

    Diskussion fortgeschritten, mchtig sind allerdings auch die Beharrungskrfte undSonderinteressen. Entscheidend wird daher der politische Wille sein, in wirklich groem Stilzu investieren und sich dabei nicht vor den Wagen organisierter Interessen spannen zu

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    lassen. Es geht dabei gar nicht darum, dass der Staat selbst in groem Umfang Investitionenvornimmt, sondern er sollte vielmehr den Privaten einen klaren Rahmen setzen, der solcheInvestitionen in der ntigen Grenordnung auslst und lenkt. Dazu werden gewisseAnschubfinanzierungen und Investitionsanreize ntig sein, die der Staat bernehmen muss.Entscheidend ist darber hinaus, dass stabile Erwartungen gebildet werden, wohin die Reisegeht, so dass private Investoren eine klare Perspektive haben.

    Bildung und Wissenschaft sind in erster Linie als Staatsaufgabe anzusehen, ja fr ihreAutonomie ist es sogar sehr wichtig, dass sie nicht durch finanzielle Abhngigkeiten unterden Einfluss von Sonderinteressen geraten. Dass es in diesem Bereich um wichtigeZukunftsinvestitionen geht, die unbedingt gesteigert werden sollten, ist lngst Konsens. Nurknappe Kassen halten das Engagement des Staates bislang in engen Grenzen. Doch fr echteZukunftsinvestitionen lsst sich auch eine hhere Staatsverschuldung rechtfertigen.Die Warnung, Staatsverschuldung gehe zu Lasten knftiger Generationen, ist grundstzlichnur richtig, wenn sich der Staat im Ausland verschuldet. Tut er dies aber bei seinen eigenenBrgern, ohne dass er dabei die private Kreditnachfrage verdrngt, kann dies knftigenGenerationen durchaus ntzen. Dies gilt um so mehr, wenn die Verschuldung nicht demKonsum dient, sondern der Finanzierung sinnvoller Investitionen, die sich auf lange Sicht

    auszahlen. Ist mit einer lngeren Phase depressiver Wirtschaftsentwicklung zu rechnen, inder das wirtschaftliche Potential nicht ausgeschpft wird, kann die Bereitschaft des Staates,sich fr ein langfristig angelegtes groes Investitionsprogramm zu verschulden, dergesamten Wirtschaftsentwicklung mehr Stabilitt geben, berschssiges Sparkapitalabsorbieren und das Wachstum frdern. Knftige Konsummglichkeiten hngen von derLeistungsfhigkeit der knftigen Wirtschaft ab. Wchst die Wirtschaft nur schwach oder garnicht, wird die Entwicklung des Produktionspotentials beeintrchtigt und damit dieknftigen Konsummglichkeiten. Wirtschaftliches Wachstum hngt, verfgbaresProduktionspotential vorausgesetzt, von ausreichender Bereitschaft zur Verschuldung ab.ber Verschuldung werden Wetten auf die Zukunft abgeschlossen, wird zustzliches Geld inden Kreislauf gebracht, werden produktive Krfte mobilisiert. Gehen die Wetten imDurchschnitt auf, ist im Ergebnis mittels der realwirtschaftlichen Investitionen, die durch dieVerschuldung finanziert wurden, das Produktionspotential erweitert und der Gesamtwertder Produktion erhht worden. Die ntige Abzahlung der Schulden ist dann relevant fr dieVerteilung des Ertrags. Ist der Ertrag der Produktion gestiegen, gibt es auch mehr zuverteilen. Sind jedoch zu wenige Menschen bereit, auf eine positive Zukunft zu wetten, sichzu verschulden und zu investieren, wchst das Wirtschaftspotential nur unzureichend oderschrumpft sogar. In diesem Fall knnen der Staat wie seine Brger noch so sparsam sein,noch so viel Ansprche auf knftiges Sozialprodukt in Geldform aufgehuft haben, es hilftnichts. Die Realwirtschaft kann ihnen keinen Gegenwert fr ihre Ersparnisse bieten, ihreAnsprche werden zwangslufig entwertet werden.

    In Deutschland wird im Verhltnis zur privaten Verschuldung zu viel gespart. Damit trgtdas Land zum globalen berschuss an Ersparnissen bei. Wenn der deutsche Staat seinDefizit erhht, msste er sich (netto) nicht im Ausland verschulden, sondern knnte seinenBrgern die wachsenden Staatsschulden als niedrig verzinste (was heute wohl eherakzeptiert wrde) aber sichere Anlage angesichts des demographischen Wandels anbieten.Wenn heute die Menschen sparen, um im Alter Sicherheit zu haben und ausreichendkonsumieren zu knnen, heit dies, dass es an der Zeit wre, die Verschuldung wiederabzubauen, wenn die geburtenstarken Jahrgnge in Rente sind und ihre Ersparnisseverbrauchen wollen. Zu dieser Zeit wre mit einer zurckgehenden Sparquote zu rechnenund zugleich damit, dass staatliche Investitionen sich auszahlen etwa in Form relativniedriger Energiekosten, einer guten Infrastruktur, hoch qualifizierten Arbeitskrften und

    relativ geringe Kosten fr den Umgang mit Erscheinungen sozialer Desintegration. DieVerteilungsfrage, die sich aus einer sehr hohen Staatsschuld ergibt, verlangt unterUmstnden neue Lsungen. Wenn der demographische Wandel eine wichtige Ursache fr

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    das Sparverhalten ist, das heute wirtschaftliche Schwierigkeiten macht, knnte eine Lsungfr das resultierende Staatsschuldenproblem im Zusammenhang damit gesucht werden:Viele Menschen werden in Zukunft keine direkten Nachkommen haben. Schpft der Staatber entsprechend genderte Regeln der Erbschaftssteuer die von ihnen hinterlassenenVermgen weitgehend ab, knnte dies erheblich zum Abbau der Verschuldung in derZukunft beitragen. Konsumieren sie mehr, um mglichst keine Erbschaft zu hinterlassen,

    kurbeln sie damit die Wirtschaft an und sorgen so fr hhere Steuereinnahmen. Diepolitische Debatte ber Gerechtigkeit zwischen Menschen mit und ohne Kindern knnte mitdiesem Thema eine neue Richtung einschlagen.Wenn Deutschland sein Produktionspotential ausschpft, indem es Zukunftsinvestitionenvornimmt, statt durch aggressive Exportpolitik auf dem Weltmarkt fehlende

    binnenwirtschaftliche Dynamik zu kompensieren, knnte es zur Lsung des globalenWirtschaftsproblems beitragen, statt Teil dieses Problems zu bleiben.

    10. Wir haben es heute mit einer Weltwirtschaftskrise zu tun. Dies spricht dafr, dass politischeAnstze, die ihre Ursachen zu beheben versuchen, nicht vorrangig im nationalstaatlichenRahmen zu suchen sind, auch wenn die Nationalstaaten weiterhin die wichtigsten Akteure

    bleiben. Ntig ist koordiniertes Vorgehen statt Maximierung eigener Vorteile auf Kostenanderer. Wichtige Punkte, die auf einer internationalen Agenda stehen mssten, ergeben sichaus der bisherigen Analyse. Einerseits geht es um internationale Regeln. Neben einer

    besseren Regulierung internationaler Finanzmrkte ein sehr komplexes Thema, auf dashier nicht weiter eingegangen werden kann - muss dabei ein zentrales Ziel sein, dassrealistischere Whrungsrelationen den internationalen Handel bestimmen. DieExportberschsse Chinas und einiger anderer Lnder wrden begrenzt, wenn ihre Whrungnicht zu einem sehr niedrigen Kurs an den Dollar gebunden wre. Zeigt ein Land wie Chinain dieser Frage so wenig Kooperationsbereitschaft wie bisher, sollte die internationaleGemeinschaft entschlossen zu Handelssanktionen bergehen. Denn so wnschenswert freierWelthandel ist, wichtiger noch ist ein vernnftiger Rahmen, der verhindert, dass es zugefhrlichen Fehlentwicklungen kommt. Die bisherige Situation war eine der wesentlichenUrsachen fr die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die zur heutigen Krise fhrten. Siehatte auch sehr unerfreuliche kologischen Folgen. bermig viele Produktionen wurdennach China und in andere Lnder verlagert, wo mit viel geringerer Energieeffizienzgearbeitet wird, sowie den denkbar ungnstigsten Formen der Energieerzeugung. Hinzukommt der Energieaufwand fr das stark gestiegene Transportaufkommen. Ein Land wieDeutschland kann sich seine Energiebilanz nur schn rechnen, wenn diese Verlagerung derProduktion fr den Konsum seiner Brger sowie der damit verbundene internationaleVerkehr ausgeblendet bleiben. China hat zwar enorme Wachstumserfolge erzielt und einesprunghafte Modernisierung von Teilen seiner Wirtschaft, doch spricht viel dafr, dass ein

    etwas langsameres, dafr aber ausgewogeneres Wachstum fr das Land gnstiger gewesenwre, zumal ihm dann auch ein wirtschaftlicher Schock der Grenordnung erspartgeblieben wre, mit dem es jetzt konfrontiert ist.Sollte sich die Weltwirtschaft nach der akuten Krise in einer anhaltenden Depressionwiederfinden, so dass koordinierte Investitionen der Staaten ntig werden, geht es darum,dass Politiker wie Unternehmer handeln: einerseits scharf kalkulierend und rationell alleunntigen Kosten vermeidend, andererseits mit Mut und Blick fr die Chancen, die in derZukunft liegen, auch bereit zu Investitionen in groem Stil und in ganz neuen Feldern.Ein solches Feld von groer Bedeutung knnte der Bau solarthermischer Kraftwerke inLndern des Sdens sein. Mit Hilfe geeigneter Gleichstromnetze knnte Strom von dortauch ber weite Strecken exportiert werden. Hier knnten sich nicht nur Industrielnder

    engagieren, sondern insbesondere auch die llnder des Sdens, die soInvestitionsmglichkeiten fr ihre berschsse und eine Perspektive fr die Zeit nach deml fnden.

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    Ein weiteres groes Thema fr die internationale Diskussion muss die Frage werden, durchwelche Reformstrategien die nachholend sich industrialisierenden Lnder Unterentwicklungund Rentenkonomie berwinden und einen selbsttragenden kapitalistischenWachstumsprozess in Gang setzten knnen. Ein solches Ziel erscheint aus der hierdargestellten Perspektive nicht mehr nur als moralische Aufgabe, sondern als imunmittelbaren wirtschaftlichen Eigeninteresse der fhrenden Industrielnder liegend. Es gibt

    sicher kein Patentrezept zur berwindung der Armut, doch einige Punkte sind klar. JedeAnstrengung muss an der Entwicklung des Binnenmarkts ansetzen, an der Steigerung vonNachfrage, Beschftigung und Produktivitt der Armen. Ein florierender Exportsektor kannhelfen, indem er Beschftigungsmglichkeiten erweitert und Mittel fr eine Umverteilungzugunsten der Armen erwirtschaftet, falls vom Staat eine entsprechende Reformstrategieverfolgt wird. Ohne Begrenzung des Bevlkerungswachstums bleiben allerdings dieAussichten schlecht, die Armut zu vermindern. Deshalb muss in der Entwicklungspolitikentschieden Front gemacht werden gegen die ideologische Haltung vieler Religionen indieser Frage, die durch ihren Einfluss verhindern, dass dies zu einem erstrangigen

    politischen Ziel gemacht wird.Abschlieend noch eine Bemerkung zur Rolle der Zentralbanken. Die Kritik an allzu kruden

    keynesianischen Vorstellungen von staatlicher Wirtschaftssteuerung und einer meist wenigeffizienten Praxis entsprechenden staatlichen Handelns hat dazu gefhrt, dass in denWirtschaftswissenschaften nicht auf den Staat, sondern auf die Zentralbanken gesetzt wird,wenn es um Krisenbekmpfung geht. Fr die heutige Krise werden allerdings hufig geradedie Zentralbanken zumindest mit verantwortlich gemacht, weil sie mit einer zu lockerenGeldpolitik den Aufbau gefhrlicher Kreditblasen erst ermglicht htten. Dies, obwohl sieihr oberstes Ziel niedrige Inflationsraten weit besser erreichten als zu frheren Zeiten.Kenneth Rogoff, damals Forschungsdirektor des IMF, konnte sogar von eineratemberaubenden Senkung der Inflationsraten weltweit schreiben (Globalization andDisinflation, IMF, August 2003). Aus der Sicht einer monetaristischen Schule, wie sie wohlgerade in Deutschland stark verwurzelt ist, stellt allerdings der Versuch geldpolitischerKonjunktursteuerung eine tendenziell gefhrliche Illusion dar (vgl. etwa. J. Siebke, H. J.Thieme , Hg.: Geldpolitik, Nomos 1995). Einer falschen Geldpolitik die Schuld zu geben,

    besttigt daher wohl fr viele konomen die eigenen theoretischen Festlegungen.Am Anfang dieses Beitrags wurde bereits darauf hingewiesen, dass im Jahr 2003 sogar dieGefahr einer deflationren Entwicklung fr die USA wie einige andere Lnder diskutiertwurden; niedrige Zinsen der US-Zentralbank waren daher nicht nur als Sttze fr eineschwache Konjunktur sondern darber hinaus als Abwehr einer Abwrtsspirale gedacht. Waserwarten die heutigen Kritiker der damaligen Zinsentscheidungen von den Zentralbanken?Dass sie ihre Politik an der Stabilitt von Vermgenswerten statt an den Fundamentaldatender Wirtschaft ausrichten?

    Vielleicht fehlt ihnen aber auch nur eine konsistente Erklrung fr die Entwicklung derheutigen Krise und sie greifen daher auf das zurck, was ihnen ihre Lieblingstheoriennahezulegen scheinen, ohne genauer auf die Fakten zu sehen, und daher auch ohneVerstndnis, warum sich die Zentralbanken, insbesondere die US-Zentralbank, in einemobjektiven Dilemma befanden. Groe Mengen zuflieenden Sparkapitals wie auch dieexzessive Geldschpfung an den Finanzmrkten erhhen zwar die Geldmenge, da diesesGeld aber nur begrenzt auf den Gtermrkten nachfragewirksam wurde, bewirkte es zwarden Anstieg der Immobilienpreise und fhrte sein spekulatives Eigenleben an denFinanzpltzen, lste aber keine allgemeine Inflation aus. Die Unternehmen sahen sich aufden Gtermrkten einer Nachfrage gegenber, die trotz der erhhten Geldmenge nicht starkgenug wuchs, um zu einer wirklichen berhitzung zu fhren. Der in vielen Bereichen

    wirkende permanente Preisdruck durch die Konkurrenz sowohl aus Schwellenlndern wieaus Japan und Deutschland mit ihrer Lohnzurckhaltung hielt nicht nur die Inflation niedrig,sondern machte auch viele Investitionen unrentabel. Der Immobilienmarkt war einer der

  • 8/9/2019 Thesen zur Wirtschaftskrise

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    Bereiche, in denen sich die Situation anders darstellte. Ansonsten blieb aber das Wachstumder Investitionen begrenzt. Hohe Zinsen htten die Investitionskosten erhht, Investitionendadurch noch unattraktiver gemacht und so die gesunde Basis fr Wachstum bedroht. EineZentralbank trgt fr die gesamte Wirtschaft die Verantwortung. Ihre Zinspolitik muss sichan der Auslastung der Produktionskapazitt und der davon bestimmten Entwicklung derPreise auf den Gtermrkten orientieren. Selbst wenn hhere Zinsen die Immobilienblase

    verhindert htten, wre das Grundproblem der Weltwirtschaft nicht beseitigt gewesen.Entweder htte das berschssige Sparkapital einen Weg gefunden, eine andere Blase und inder Folge eine andere Krise zu erzeugen, oder die restriktive Geldpolitik der Zentralbankenhtte dies verhindert und dabei direkt eine Krise ausgelst, fr die sie dann dieVerantwortung htten bernehmen mssen. Man mag argumentieren, dies wre eine mildereKrise gewesen, doch letztlich wissen wir das nicht.