Thomas von Kempen Buch 3

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    Thomas von Kempen

    Die Nachfolge Christi

    BUCH 3+4

    Drittes BuchKampf und Trost

    KAPITEL 1Christus spricht im Innern zur glubigen Seele

    1. Horche gern auf die inneren gttlichen Anregungen; sie bedeuten Seligkeit fr

    dich.2. Den irdischen Dingen gegenber sei weniger aufgeschlossen; sie verfhrenund enttuschen.

    1. "Ich will hren, was Gott, der Herr, in mir spricht" (Ps 85, 9). Selig die Seele,die Gottes Stimme in sich vernimmt und aus seinem Munde ein Wort desTrostesempfngt. Selig die Ohren, die offen sind "fr das leise gttliche Flstern" (vgl.Ijob

    4, 12), von den Geruschen dieser Welt aber nichts auffangen. Ja, selig dieOhren, diesich der Stimme von drauen nicht ffnen, dafr aber nach innen lauschen, wodieWahrheit lehrt. Selig die Augen, die, dem ueren verschlossen, ihre Blickenachinnen richten. Selig, die da eindringen in die innere Welt und tglich inwachsendem

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    Eifer bemht sind, die himmlischen Geheimnisse zu erfassen, indem sie sichdurchbungen dazu bereiten. Selig, die alles, was sie an die Welt fesselt, abschtteln,umsich dann ganz Gott hinzugeben.

    2. Bedenke das, meine Seele, und schliee die Tore deiner Sinne, damit du zuhrenvermagst, was der Herr, dein Gott, in dir spricht. Dein Geliebter spricht: "DeinHeilbin ich" (Ps 35,3), dein Friede und dein Leben. Halte dich an mich, und du wirstFrieden finden. La alles Vergngliche, suche das Ewige! Was sind allezeitlichenDinge anders als eine Verfhrung? Und was ntzen alle Geschpfe, wenn duvomSchpfer verlassen bist? Ls dich also von allem los, und schenke dich willig

    undtreu deinem Schpfer, und du wirst imstande sein, zur wahren Glckseligkeit zugelangen.

    KAPITEL 2Die Wahrheit spricht im Inneren ohne laute Worte

    1. Die rechte Einsicht in die Offenbarung gibt Gott.2. Das uere Wort der Schrift tut es allein nicht.3. Gott selber mu durch das geoffenbarte Wort gnadenhaft zum Herzen reden.

    1. (Der Knecht:) "Rede, Herr, dein Diener hrt" (1 Sam 3, 10). "Dein Knecht binich.Gib mir Einsicht, da ich deine Zeugnisse verstehe" (Ps 119,125). "Gib meinemHerzen das Verlangen zu hren, was du sprichst" (Ps 79, 1). "Wie Tau mgedeineRede trufeln" (Dtn 32, 2).2. Einst sprachen die Kinder Israels zu Moses: "Sprich du zu uns, und wir

    wollenhren. Nicht der Herr spreche zu uns, damit wir nicht etwa sterben" (Ex 20, 19).Sobitte ich nicht, nein, Herr, so nicht, vielmehr beschwre ich dich mit demProphetenSamuel in Demut und voll Sehnsucht: "Rede, Herr, dein Diener hrt." NichtMoserede zu mir oder einer der Propheten, du vielmehr sprich, Herr und Gott, der

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    Geistund das Licht aller Propheten. Du kannst mich allein und ohne sie vollkommenbelehren, sie aber vermgen ohne dich nichts. Mit Worten zwar knnen siedienen,den Geist geben sie nicht. Sie bringen das Wort zum Klingen, doch das Herz

    entznden sie nicht, solange du schweigst. Sie berliefern Buchstaben, "du aberdeutest ihren Sinn" (Lk 24, 45). Sie knden Geheimnisse, du hast den Schlsselfrdas Verstndnis der Zeichen. Gebote verknden sie, du gibst die Kraft, sie zuhalten.Sie weisen den Weg, du gibst die Kraft, ihn zu gehen. Sie wirken nur nachauen, dubelehrst und erleuchtest die Herzen. Sie begieen von auen, du gibst dieFruchtbarkeit (vgl. 1 Kor 3, 7). Sie machen laute Worte, du gibs t den Zuhrerndas

    Verstehen.3. Also nicht Moses spreche zu mir, sondern du, mein Herr und Gott, die ewigeWahrheit, damit ich nicht etwa sterbe und keine Frucht bringe, wenn ich nuruerlich ermahnt und innerlich nicht entzndet wurde. Damit mir das Wor tnicht zurVerurteilung gereiche, wenn ich es nur gehrt, aber nicht befolgt, nur gekannt,abernicht geliebt, nur geglaubt, aber nicht gehalten habe. Sprich also, Herr, deinDienerhrt. Du hast Worte des ewigen Lebens" (Joh 6,69). Sprich zu mir, damit meine

    Seele ein wenig getrstet, mein ganzes Leben gebessert, dir aber Lob und Ehreundewige Verherrlichung gezollt werde.

    KAPITEL 3Gottes Worte mu man in Demut hren

    1. ffne dich dem Wort Gottes in Demut, Stille und Verlangen.2. Folge nicht den vielen, die lieber auf die Welt als auf Gott hren.3. Gottes Worte sind dir ntig, wenn du versucht wirst, auch wenn er dichtrstet.4. Bete in Demut um Kraft und Trost.

    1. (Der Herr.:) Mein Sohn, hre auf meine Worte. Sie sind reich an kstlicherKraftund bertreffen das gesamte Wissen der Weisen und Gelehrten dieser Welt.

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    "MeineWorte sind Geist und Leben" (Joh 6,63). Man soll sie nicht an menschlichenBegriffen messen; auch drfen sie nicht der eitlen Ergtzung dienen. "Still hremansie an" (vgl. Koh 9, 17), und in aller Demut und mit groer Inbrunst nehme man

    sieentgegen.(Der Knecht:) Da sprach ich: "Selig, den du unterweisest, Herr, und den du berdeinGesetz belehrst, um ihm Trost zu bieten fr bse Tage" (Ps 94, 12), und da eraufErden nicht so verlassen sei.

    2. (Der Herr:) Ich, spricht der Herr, habe die Propheten von Anbeginn belehrtund

    spreche unablssig zu allen bis heute, doch viele sind taub fr mein Wort undhartenHerzens. Ein groer Teil hrt lieber die Welt als Gott und folgt lieber denpersnlichen Wnschen als dem Willen Gottes. Die Welt verspricht nurgeringfgigeDinge, die wieder vergehen, aber man dient ihr mit groer Gier. Ich versprecheHchstes und Ewiges, und das Herz der Sterblichen bleibt kalt. Wer dient undgehorcht mir in allem mit soviel Sorgfalt, wie man der Welt und ihren Herrendient?"Errte, Sidon, spricht das Meer" (Jes 23,4), und fragst du, warum? So hre! Fr

    einekleine Pfrnde macht man weite Wege, fr das ewige Leben heben viele kaumdenFu von der Erde. Man jagt nach kleinen Gewinnen, um einen einzigenGroschenzankt man sich in unwrdiger Weise, fr eine unbedeutende Sache und eineversprochene Kleinigkeit schreckt man vor keiner Anstrengung zurck, nicht beiTage und nicht bei Nacht. Aber, O Schande, fr das unwandelbare Gut, fr denunschtzbaren Preis, fr die hchste Ehre und endlose Herrlichkeit sich auch nurein

    wenig anzustrengen, ist man zu bequem. Errte, du fauler, mrrischer Knecht,jenesieht man bereiter zum Verderben als dich zum Leben. Sie hab en mehr Freudeaneitlen Dingen als du an der Wahrheit. Sie sehen sich fters in ihren Hoffnungenbetrogen, whrend meine Verheiung niemanden tuscht und keinen, der mirvertraut, leer ausgehen lt. Was ich versprochen, werde ich geben, was ichgesagt,werde ich erfllen, so einer nur treu bis zum Ende in meiner Liebe verharrt. Ich

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    belohne alle Guten und prfe in Strenge alle Frommen.

    3. Schreibe meine Worte in dein Herz, und berdenke sie immer wieder. InZeiten derVersuchung hast du sie sehr ntig. Was du beim Lesen nicht verstehst, wirst du

    amTage der Heimsuchung begreifen. Ich pflege meine Auserwhlten zwiefachheimzusuchen: in der Versuchung und im Trost. Und zwei Lektionen erteile ichihnenTag fr Tag: ich rge ihre Fehler und ermuntere sie zum Fortschreiten in derTugend."Wer meine Worte hat und sie miachtet, wird seinen Richter haben amJngstenTage" (vgl. Joh 12, 48).

    4.(Der Knecht:) Herr, mein Gott, all mein Gut bist du. Und wer bin ich, da ichwage,mit dir zu reden? Ich bin dein ganz armer Knecht, ein verwerflicher Wurm, vielrmer und verchtlicher, als ich es wei und zu sagen wage. Dennoch, Herr,gedenke,da ich nichts bin, nichts habe und nichts vermag. Du allein bist gut, gerecht undheilig. "Du kannst alles" (Ijob 42, 2), "du gibst alles" (vgl. 1 Tim 6, 17), duerfllstalles, nur den Snder lt du leer ausgehen. "Gedenke deiner Erbarmungen" (Ps25,

    6) und erflle mein Herz mit deiner Gnade, da du "nicht willst, da deine Werkeunbenutzt bleiben" (Weish 14,5). Wie kann ich es aushalten in diesem elendenLeben,wenn deine erbarmende Liebe und Gnade mich nicht strken? Wende deinAntlitznicht von mir, warte nicht lnger mit deinem Kommen, entziehe mir nichtdeinenTrost, damit meine Seele nicht werde "wie ein Land ohne Wasser" vor d ir (Ps143,6).Herr, "lehre mich deinen Willen tun" (Ps 143, 10), lehre mich, wrdig und

    demtigvor dir zu wandeln. Denn du bist meine Weisheit, du kennst mich in Wahrheitundkanntest mich, bevor die Welt wurde und bevor ich geboren ward auf Erden.

    KAPITEL 4Lebe in Wahrheit und Demut vor Gott

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    1. Wandle in Wahrheit; das ist Gottes Erziehungsgrundsatz.2. Die Wahrheit gibt dir Einblick in deine Schwche und Sndigkeit.3. Die ewige Wahrheit bewahrt vor berheblichkeit.4. Sie schenkt uns die Sehnsucht nach dem Himmel.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, "wandle vor mir in der Wahrheit" (1 Kn 2,4), undsuchemich stets "in der Einfalt deines Herzens" (Weish 1,1). Wer in Wahrheit vor mirwandelt, ist vor bsen Anfllen beschtzt. "Die Wahrheit wird ihn befreien" (J oh8,32) von den Versuchern und den Verleumdungen der Ungerechten. "Wenn dieWahrheit dich befreit hat, wirst du wahrhaft frei sein" (Joh 8, 36) und dich umdaseitle Gerede der Menschen nicht kmmern.(Der Knecht:) Herr, es ist wahr. Wie du sagst, so mge es, ich bitte dich, an mir

    geschehen. Deine Wahrheit belehre mich, sie beschtze und bewahre mich biszumseligen Ende. Sie befreie mich von jeder schlechten Neigung und ungeordnetenLiebe, und ich werde wandeln mit dir in groer innerer Freiheit.2. (Der Herr:) Ich will dich lehren, spricht die Wahrheit, was recht undwohlgeflligvor mir ist. Gedenke mit groem Abscheu und Schmerz deiner Snden undglaubenie, du wrest etwas wegen deiner guten Werke. In Wirklichkeit bist du einSnder,

    von vielen Leidenschaften geknechtet und umstrickt. Von dir selbst aus neigstdu nurzum Nichts. Du fllst und unterliegst schnell, und schnell bist du verwirrt undzerstreut. Nichts hast du, dessen du dich rhmen knntest, aber vieles, weshalbdudich gering schtzen solltest. Du bist weit schwcher, als du begreifen kannst.Nichtsvon allem, was du tust, erscheine dir gro. Nichts halte fr bedeutend, nichts frkostbar und bewunderungswrdig und des Lobes wert, nichts fr erhaben,lobensund

    wnschenswert auer dem Ewigen. ber alles gefalle dir die ewige Wahrheit,und stets mifalle dir deine bergroe Nichtswrdigkeit. Nichts frchte, tadleundfliehe so sehr als deine Fehler und Snden; sie sollen dir mehr mifallen alsjedwederVerlust an Gtern.3. Manche "wandeln nicht aufrichtig vor mir" (vgl. Tob 3, 5). Geleitet von einergewissen Neugier und Anmaung, wollen sie meine Geheimnisse ergrnden undGottes erhabene Tiefen begreifen, whrend sie sich und ihr Heil

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    vernachlssigen.Diese fallen oft in groe Versuchungen und Snden, weil ich ihrer Hoffahrt undNeugier widerstehe. Frchte die Gerichte Gottes, zittere vor dem Zorn desAllmchtigen. Hte dich, die Werke des Allerhchsten zu ergrnden, erforschevielmehr deine Snden und denke nach, wie sehr du gefehlt und wievi el Gutes

    duvernachlssigt hast. Manche stellen ihre Frmmigkeit nur in Bchern zur Schau,andere in Bildern, wieder andere in ueren Zeichen und Gestalten. Manchefhrenmich im Munde, in ihrem Herzen aber kaum.4. Andere gibt es, die, im Geiste erleuchtet und von ihren Leidenschaftengelutert,"stndig nach dem Ewigen trachten".! Sie hren nur ungern von irdischenDingenund unterwerfen sich nur mit Widerstreben den Bedrfnissen der Natur. Sie sind

    es,die vernehmen, was der Geist der Wahrheit in ihnen redet. Denn er lehrt sie dasIrdische gering zu werten, das Himmlische zu lieben, die Welt abzutun und nachdemHimmel Tag und Nacht zu verlangen.

    KAPITEL 5Die wunderbare Wirkung der gttlichen Liebe

    1. Ich bete um die gttliche Liebe.2. Die Liebe erleichtert alles und treibt zum Hchsten an.3. Das Wesen der Liebe ist dem Wesen Gottes hnlich, aus dem sie quillt.4. Die Liebe kennt keine Hindernisse; sie bricht sich berall Bahn.5. Ich singe das Hohelied der Liebe.6. Die Liebe ist der Inbegriff aller Tugenden.

    1. (Der Knecht:) Ich preise dich, himmlischer Vater, Vater meines Herrn JesusChristus, da du dich herabgelassen hast, an mich Armen zu denken. "Vater der

    Erbarmungen und Gott allen Trostes" (2 Kor 1, 3), ich sage dir Dank, da dumich,jeden Trostes Unwrdigen, zuweilen mit deiner Trstung erquickst. Ich preisedichimmerfort und verherrliche dich mit deinem eingeborenen Sohn und demHeiligenGeiste, dem Trster, in alle Ewigkeit. Ja, mein Herr und Gott, mein heiligerLiebhaber, wenn du in mein Herz kommst, frohlockt mein ganzes Inneres. Du

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    bistmein Ruhm, du der Jubel meines Herzens. Du meine Hoffnung, "meine ZufluchtamTage meiner Trbsal" (Ps 59, 17). Doch weil ich so arm bin an Liebe und sounvollendet in der Tugend, bentige ich deine St rkung und deinen Trost.

    Darumkehre fter bei mir ein, und unterweise mich in deinen heiligen Lehren. Befreiemichvon meinen blen Leidenschaften und heile mein Herz von allen ungeordnetenNeigungen, da ich, innerlich geheilt und ganz gelutert, fhig we rde zumLieben,stark zum Dulden, standhaft zum Beharren.2. (Der Herr:) Etwas Groes ist es um die Liebe; sie ist ein beraus groes Gut.Sieallein macht alles Schwere leicht und nimmt mit Gleichmut jedes Leiden hin.

    Sietrgt die Lasten mhelos und macht alles Bittere s und schmackhaft. Die edleLiebe Jesu treibt zu groen Taten und weckt das Verlangen nach immer grererVollkommenheit. Die Liebe drngt zur Hhe und will nicht an die niedrigenDingegefesselt sein. Liebe will frei sein, frei von allem Weltsinn, damit ihr innererAufblick nicht behindert werde, damit zeitliches Glck sie nicht gefangennehmeoderein Unglck sie zu Boden beuge.3. Nichts im Himmel und auf Erden ist lieblicher, mchtiger, erhabener, nichts

    umfassender und wohltuender, nichts vollkommener und besser; denn die Liebeistaus "Gott geboren" (1 Joh 4,7); sie kann ber allem Geschaffenen nur in Gottruhen.Der Liebende fliegt, luft und jubelt; er ist frei und lt sich nicht halten. Er gibtallesfr alles und hat alles in allem; denn er ruht in dem einen ber allem Hchsten,ausdem alles Gute quellend fliet. Er sieht nicht auf die Gaben, sondern er wendetsich

    ber alle Gaben an den Geber.4. Die Liebe kennt oft kein Ma, sondern sie gert ber alle Maen in Glut. DieLiebefhlt keine Last, scheut keine Mhe, erstrebt mehr, als sie vermag, schtzt keineUnmglichkeit vor, weil sie glaubt, ihr sei alles mglich und gestattet. Sie ist zuallem tchtig, leistet viel und hat Erfolge, wo der kraftlos versagt, der keineLiebehat. Die Liebe wacht, und auch im Schlafe schlft sie nicht. Ist sie erschpft, soerschlafft sie nicht, ist sie in Not, so fhlt sie sich nicht bedrngt, ist sie

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    erschreckt,gert sie nicht in Verwirrung. Wie eine lebendige Flamme und brennende Fackelbricht sie zur Hhe durch und nimmt sicher ihren Weg. Wer liebt, kennt denKlangdieses Wortes: "Laut vernehmbar in den Ohren Gottes ist die glhende Liebe

    einerSeele", die da betet: Mein Gott, meine Liebe! Du bist ganz mein und ich ganzdein.Gebet um die Liebe Gottes5. (Der Knecht:) La mich wachsen in der Liebe, damit ich in der Tiefe meinesHerzens verkosten lerne, wie erquickend es ist zu lieben, ganz in Liebeaufzugehenund in ihr zu schwimmen. Ich mchte ergriffen werden von der Liebe, mchtebermich selbst hinausgehen im berma glhender Bewunderung. Singen will ich

    dasLied der Liebe und dir, meinem Geliebten, zur Hhe folgen, will in deinemLobejubelnd vor Liebe vergehen. Lieben mchte ich dich mehr als mich und michnurdeinetwillen und alle, die dich wahrhaft lieben, in dir, wie das Gesetz der Liebeesgebietet, das aus dir leuchtet.6. (Der Herr:) Die Liebe ist beschwingt, aufrichtig, fromm, wohltuend, lieblich,stark,

    geduldig, treu, klug, langmtig, mannhaft und selbstlos. Sobald einer sich selbs tsucht, fllt er von der Liebe ab. Die Liebe ist umsichtig, demtig und gerade,nichtweichlich und leichtfertig, nicht auf eitle Dinge bedacht, nchtern, keusch,standhaft,ruhig, ihr Sinnesleben beherrschend. Die Liebe ist unterwrfig und denVorgesetztengehorsam; vor sich selbst wohlfeil und verchtlich, gottergeben und dankbar,stetsbauend und hoffend auf Gott, auch wenn Gott sich ihr entzieht; denn ohne

    Leidenlebt man nicht in der Liebe. Wer nicht bereit ist, alles zu leiden und zum WillendesGeliebten zu stehen, verdient es nicht, da man ihn einen Menschen der Liebenennt.Wer liebt, mu schon alles Harte und Bittere um des Geliebten willen gernannehmen; er wird sich auch bei eintretenden Schwierigkeiten nicht von ihmabwendig machen lassen.

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    KAPITEL 6Die Erprobung dessen, der wahrhaft liebt

    1. Die Liebe sucht mehr den Geber als die Gabe.2. Sie bleibt ruhig beim Kommen und Gehen der Trstung.3. Sie wird mit tiefer Sammlung und mit Zerstreuung gleich gutfertig.4. Sie kmpft sich durch gegen den Teufel, vertraut auf Gott und betet.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, deine Liebe ist noch nicht klug und stark genug.(Der Knecht:) Weshalb, Herr? (Der Herr:) Weil du schon bei einer geringenWiderwrtigkeit von dem gerade Begonnenen abstehst. Auch bist du g ierig aufdenTrost bedacht. Die starke Liebe steht in den Versuchungen fest und traut der Listundberredungskunst des Feindes nicht. Wie ich ihm in heiteren Tagen gefalle, somifalle ich ihm nicht in bsen Tagen. Wer klug ist in der Liebe, achtet wenig eraufdie Gabe dessen, der liebt, als auf die Liebe dessen, der gibt. Er sieht mehr aufdieGesinnung als auf das Geschenk und stellt den Geliebten ber alle Gaben. DieedleLiebe ruht nicht in der Gabe, sondern ber alle Gaben in mir.2. Darum ist nicht alles verloren, wenn du zuweilen weniger gut von mir odermeinenHeiligen denkst, als du mchtest. Jene gute und angenehme Empfindung aber,die dumanchmal versprst, ist eine Wirkung gegenwrtiger Gnade und ein gewisserVorgeschmack der himmlischen Heimat. Man soll sich nicht zu sehr daraufsttzen,sie kommt und geht. Der Kampf aber gegen einbrechende bseHerzensregungen unddas Zurckdrngen der Einflsterungen des Teufels ist ein Zeichen von Tugendundgroem Verdienst.3. La dich also nicht verwirren durch fremdartige Phantasiebilder, ganz gleich,woher sie kommen. Halte tapfer an deinem Vorsatz fest und an der reinen, aufGottzielenden Absicht. Es ist keine Tuschung, wenn du zuweilen pltzlich in hoheBetrachtung gehoben wirst und gleich darauf in die gewohnten Torheiten desHerzenszurckfllst; denn diese fhrst du ja nicht freiwillig herbei, du erleidest sie

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    da siebisweilen wie mit einer fast unheilbaren Blindheit geschlagen werden. DieserSturzder Stolzen, die so tricht von sich eingenommen sind, mahne dich zur Vorsichtund

    steter Demut.

    KAPITEL 7Die Gnade unter der Obhut der Demut verbergen

    1. Schweige darber, die Gnade der Hingabe ist nicht die grte, und sie bleibtauch nicht.2. Vermeide Ungeduld und Trgheit, wenn sie ausbleibt, berheblichkeit,wenn sie zu hoher Aszese drngt.3. La dir in den inneren Gnadenwegen raten.4. Die Klippen, an denen die Andacht zerschellt, sind: Sorglosigkeitund Hoffnungslosigkeit.5. Die Entziehung der Gnade liegt in Gottes weisen Plnen.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, es ist ntzlicher und sicherer fr dich, die Gnade derHingabe geheimzuhalten, statt dich zu berheben, viel davon zu reden undgroesGewicht darauf zu legen. Achte vielmehr dich selbst gering und frchte, dieGnadesei einem Unwrdigen gegeben worden. Man darf diesem Gefhl nicht zu sehrverhaftet sein, da es schnell ins Gegenteil umschlagen kann. Trgt dich dieGnade, sobedenke, wie arm und elend du gewhnlich ohne die Gnade bist. Der Fortschrittimgeistlichen Leben liegt nicht darin, da du die Gnade. der Trstung hast, sonderndarin, da du die Entziehung der Gnade demtig , entsagend und geduldigertrgst,indem du im Eifer des Gebetes nicht erlahmst und deine brigen Werke, die dir

    nachGewohnheit zu tun obliegen, nicht gnzlich aufgibst. Verrichte sie, soweit es andirliegt, nach bestem Knnen und Wissen und tue sie gern . Hast du das Empfinden,dadein Geist drre und ngstlich ist, dann gib dich nicht gnzlich auf.2. Es gibt nmlich viele, die, wenn es bei ihnen nicht gut vonstatten geht,sogleich die

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    Geduld verlieren und unttig werden. "Der Weg des Menschen liegt nic ht immerinseiner Macht" (vgl. Jer 10, 23). Es ist Gottes Sache, zu geben und zu trsten,wann erwill, wieviel er will und wem er will, so, wie es ihm gefllt, und nicht mehr.

    Manchehaben sich in ihrer Unbesonnenheit um der Gnade der Andacht willen selb stzugrunde gerichtet. Sie wollten mehr tun, als sie konnten. Ohne ihre groeSchwchein Betracht zu ziehen, folgten sie mehr dem Zuge des Herzens als dem Urteil derVernunft. Weil sie sich Greres zutrauten, als es Gott wohlgefllig war, gingensieschnell ihrer Gnade verlustig. Sie, die sich "ein Nest in den Himmelhineinbauten"(vgl. Obd 4), wurden arm und elend. Gedemtigt und verarmt sollten sie lernen,

    nichtmit eigenen Flgeln zu fliegen, sondern "unter meinen Fittichen Hoffnung zuschpfen" (Ps 91,4).3. Neulinge und Unerfahrene in den Wegen des Herrn unterliegen leicht derTuschung und dem Truge, wenn sie sich nicht von erfahrenen Ratgebern leitenlassen. Wollen diese lieber nach ihrem eigenen Gutdnken vorgehen als derErfahrung anderer Glauben schenken, so wird das fr sie ein schlimmes Endenehmen, falls sie sich von ihrer eigenen Meinung nicht abbringen lassen. Diesichselbst weise dnken, lassen sich nur selten in Demut von anderen leiten. Besser

    istein bescheidenes Wissen mit Demut und geringer Begabung, als groe SchtzevonWissen mit eitler Selbstberhebung. Besser ist es fr dich, weniger zu besitzen,alsvieles; denn das viele knnte dich zum Hochmut verleiten.4. Wer sich gnzlich der Freude berlt, handelt unbesonnen. Er vergit se inerfrheren Drftigkeit und jener keuschen Furcht des Herrn, die ihn den Verlustderverliehenen Gnade frchten lt. Auch der offenbart wenig Tugend, der zur Zeit

    derPrfung oder irgend welcher Schwierigkeit allzu mutlos wird und in seinemDenkenund Empfinden weniger Vertrauen zu mir hegt, als er sollte. Wer sich zur ZeitdesFriedens allzu sicher fhlen mchte, wird zur Zeit des Krieges oft viel zugebrochenund verngstigt befunden werden. Verstndest du es, in dir selber demtig undmavoll zu bleiben und deinen Geist recht zu beherrschen und zu zgeln, du

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    wrdestnicht so schnell in Gefahr und Snde geraten.5. Es ist ein guter Rat, darber nachzudenken, was wohl eintreten wird, wenndieGlut des Geistes, der eben Feuer gefangen hat, wieder erlischt . In diesem Falle

    bedenke, da sich das Licht wieder einstellen kann, das ich dir zur Warnung undmirzur Ehre vorbergehend entzogen habe. Eine solche Prfung ist oft ntzlicher,alswenn es immer nach deinem Wunsch und Willen ginge. Denn die Verdienstebemessen sich nicht danach, ob einer mehr Schauungen und Trstungenempfingoder ob er in den Schriften bewandert war und einen hheren Rang bekleidete,sondern danach, ob er in wahrer Demut begrndet und von gttlicher Liebe:erfllt

    ist, ob er stets lauter und rein die "Ehre Gottes sucht, sich selbst geringschtztundvon anderen lieber miachtet und gedemtigt als auf den Schild erhoben werdenmchte.

    KAPITEL 8Unter den Augen Gottes sich selbst niedrig einschtzen1. Die geringe Selbsteinschtzung ist ein Quell groer Gnaden.

    2. Gott gibt seine Gnade denen, die sich unbedeutend vorkommen und sogar denundankbaren Sndern.

    1. (Der Knecht:) "Ich will zu meinem Herrn sprechen, ob ich gleich Staub undAschebin" (Gen 18,27). Wenn ich mich hher einschtze, siehe, dann "stehst du widermich" (vgl. Num 22, 34), und auch meine Snden bezeugen den wahrenTatbestand,und ich kann nicht widersprechen. Achte ich mich aber gering und komme ichmirwie ein Nichts vor, lasse ich alle Selbstgeflligkeit fahren und ern iedrige ichmich biszum Staube, der ich ja auch bin, dann wird deine Gnade mir beistehen und deinLichtmein Innerstes treffen. Und auch der geringste Selbstdnkel wird im AbgrundmeinerNichtigkeit versinken und fr immer untergehen. Dort lt du mich se hen, wasich

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    bin, was ich war und wohin ich gekommen bin, da ich nmlich, ohne es zuwissen,ein Nichts gewesen bin. Bleibe ich mir selbst berlassen, siehe, dann bin ich einNichts und lauter Schwche. Wenn du mich aber pltzlich anschaust, strmt mirsogleich Kraft zu, und ein neuer Frohsinn erfllt mich. Es gibt zu staunen und zu

    denken, da ich so unversehens erhoben und so liebevoll von dir umfangenwerde,wo mich doch die Erdenschwere stndig in die Tiefe reit.2. Das tut deine Liebe, die mir ohne mein Verdienst zuvorkommt, die mir in sovielenNten Hilfe leistet, mich auch in schweren Gefahren beschtzt und, um dieWahrheitzu sagen, mich vor unzhligen beln bewahrt. Indem "ich mich sndhaft liebte,habeich mich selbst verloren" (vgl. Joh 12,25). Indem ich dich allein suchte und

    lauterenHerzens liebte, habe ich mich und dich zugleich gefunden und mich in Liebenochtiefer in mein Nichts versenkt. Denn du, die Gte selbst, tust weit mehr fr mich,alsich je verdiente und ich je zu hoffen und zu e rbitten wage. Gepriesen seist du,meinGott! Ich bin zwar aller Gter unwrdig, aber deine edle, unbegrenzte Gte hrtnieauf, sogar denen Wohltaten zu spenden, die keine Dankbarkeit kennen und weit

    vondir in der Ferne wandeln. Gib uns die Wende zu dir, da wir dankbar, demtigundfromm sind; denn unsere Rettung und unsere ganze Kraft bist du.

    KAPITEL 9Alles auf Gott als das letzte Ziel beziehen

    1. Gott ist Ziel und Quelle aller geschaffenen Dinge.2. Der Mensch, der diese Ordnung strt, wird freudlos, eng und gehemmt.3. Wer diese Weltordnung anerkennt, wird frei von jeglicher Enge undEigenliebe.

    1. (Der Herr.") Mein Sohn, ich mu dein hchstes und letztes Ziel sein, wenn duwahrhaft glcklich sein willst. Diese Absicht lutert deine Triebe, die sic h so oftin

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    sndhafter Weise dir selbst und den Geschpfen zuwenden. Wenn du dich selbstinirgendeinem Dinge suchst, versagst und verdorrst du. Beziehe in erster Liniealles aufmich, ich bin der Geber aller Gaben. Betrachte das hchste Gut als den Urquel l

    allerEinzelwesen, und leite deshalb alles zu mir als seinem Ursprunge zurck.2. Aus mir schpft klein und gro, arm und reich wie aus einer lebendigenQuelle"lebenspendendes Wasser" (vgl. Joh 4,10). Wer mir willig und gerne dient,empfngtGnade um Gnade. Wer aber seinen Ruhm auer mir sucht oder in irgendeinemEigengut sich erfreuen mchte, steht nicht auf dem Boden der wahren Freude.Erfhlt die Enge seines Herzens und sieht sich in vielfacher Weise behindert und

    gehemmt. Du darfst dir aber nichts Gutes zuschreiben, noch irgendeinemMenschenTugend beimessen, sondern gib alles Gott, ohne den der Mensch nichts hat.3. Ich habe alles gegeben, ich will auch alles zurckhaben, ich fordere mit allerStrenge den Dank. Dies ist die Wahrheit; sie treibt die eitle Ehrsucht in dieFlucht.Wo die Gnade des Himmels und die wahre Liebe Einkehr halten, da wohnenwederder Neid noch die Engherzigkeit; auch die Eigenliebe wird dort keinen Platzbehaupten. Die Gottesliebe besiegt alles, sie beschwingt alle Krfte der Seele.

    Wenndu klug bist, wirst du dich in mir allein erfreuen und auf mich allein hoffen."Niemand ist gut als Gott allein" (Lk 18, 19). Er verdient ber alles und in allemLobund Preis.

    KAPITEL 10Gott dienen ist angenehm

    1. Gott lieben ist angemessen und eine Quelle der Freude.2. Gott dienen ist nicht mehr als unsere Pflicht.3. Gott dienen bringt Gnade, Trstung, Freiheit und ewige Freude.

    1. (Der Knecht:) Nun mu ich wieder reden, Herr. Ich kann nicht schweigen. Ichwillreden zum Ohre meines Gottes, meines Herrn und Knigs, der in den Hhen

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    wohnt."Wie gro ist doch die Flle deiner Liebe, Herr! Du hltst sie verborgen fr jene,diedich frchten" (Ps 31,20). Was aber bist du erst fr jene, die dich lieben und dirmit

    ganzem Herzen dienen. Wahrhaf t unaussprechlich ist die Freude, dich zuschauen,wie sie denen zuteil wird, die dich lieben. Darin hast du mir am meisten deinegtigeLiebe gezeigt, da du, als ich noch nicht war, mich erschufst, und als ich fernvon dirumherirrte, mich heimholtest zu deinem Dienste und mir auftrugst, dich zulieben.Quell ewiger Liebe! Was soll ich von dir sagen? Wie knnte ich deinervergessen,

    nachdem du meiner so gndig gedacht hast, auch als ich schon ganz verdorbenundverloren war. Weit ber alles Hoffen warst du barmherzig mit deinem Diener,undber alles Verdienst hast du ihm Gnade und Freundschaft geschenkt. Was sollich dirvergelten fr diese Gnade? Jedem ist es nicht gegeben, alles zu verlassen, derWelt zuentsagen und das Leben im Kloster auf sich zu nehmen.

    2. Ist es nicht etwas Groes, da ich dir diene, dir, dem jedes Geschpf zudienengehalten ist? Nicht da ich dir diene, darf mir gro vorkommen, sondern daserscheint mir gro und wunderbar, da du mich armen, unwrdigen Menschenhuldvoll zum Knechte nimmst und mich deinen geliebten Knechten zugesellst.Siehe,dein ist alles, was ich besitze und womit ich dir diene. Ja, eigentlich dienst du inhherem Mae mir als ich dir. Siehe, Himmel und Erde sind "fr den Dienst desMenschen von dir erschaffen", sind deines Wirkens gewrtig und tun tglich,was du

    geheien. Doch nicht genug -selbst die Engel hast du in den Dienst desMenschengestellt (vgl. Hebr 1, 14) und, was weit mehr als dieses alles bedeutet: Du selbsthastdich herabgelassen, dem Menschen zu dienen, und hast versprochen, dich selbstihmhinzugeben. Was soll ich dir fr alle deine tausendfachen Wohltaten geben?Knnteich dir doch alle Tage des Lebens dienen! Knnte ich dir doch nur einen

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    einzigen Tagmeines Lebens so dienen, wie es deiner wrdig ist! Wahrhaftig, du bist jedenDienstes wrdig, jeder Ehre und ewigen Lobes. Du bist wahrhaftig mein Herrundmein Gott, und ich bin dein armer Knecht. Ich bin gehalten, dir mit allen Krften

    zudienen, und sollte niemals mde werden, dich zu loben. So will ich es, unddanachverlange ich. Ersetze gndig, was mir daran noch gebricht.

    3. Eine groe Ehre ist es, ein groer Ruhm, dir zu dienen und alles umdeinetwillenzu verschmhen. Eine groe Gnade' werden empfangen, die sich aus freienStcken

    deinem Dienste unterstellen. Den erquickenden Trost des Heiligen Geisteswerdenfinden, die aus Liebe zu dir aller sinnenhaften Lust entsagen. Groe Freiheit desGeistes werden erlangen, die um deines Namens willen die rauhe Strae gehenundsich aller weltlichen Sorgen entschlagen. Du angenehme, erquickendeKnechtschaftGottes, durch die der Mensch wahrhaft frei und heilig wird! Heiliger Stand desgeistlichen Dienstes! Er macht den Menschen den Engeln gleich, Gottwohlgefllig,

    den Teufeln furchtbar und allen Glubigen liebenswert. Willkommener, allzeitbegehrenswerter Dienst! Du erwirkst uns das hchste Gut und eine endloswhrendeFreude.

    KAPITEL 11Prfe und mige die Sehnschte deines Herzens

    1. Gottes Wille und Gottes Ehre seien das Ziel aller deiner Wnsche.

    2. Prfe darum deine Wnsche und zgele sie.3. Unterwirf das leibliche Begehren dem Geiste.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, du mut noch vieles hinzulernen, was du bisher nurungengend gelernt hast.(Der Knecht:) Was ist das, Herr? (Der Herr:) Da du dein Verlangen ganz nachmeinem Wohlgefallen richtest und nicht in Eigenliebe verfllst, sondern eifrig

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    bestrebt bist, meinen Willen zu erfllen. Oft wirst du von Wnschen ergriffenundmchtig bewegt, denke aber nach, ob meine Ehre oder mehr dein Vorteil dic htreibt.Bin ich die Ursache, dann wirst du gern mit meinen Anordnungen zufrieden

    sein,ganz gleich, wie ich sie treffe. Ist aber etwas versteckte Eigenliebe dabei, sieh,dannqult und beschwert dich das.2. Hte dich also, einem vorgefaten Wunschgedanken allzusehr nachzugeben,ohnevorher meinen Rat einzuholen. Nachher knnte es dich gereuen oder dirmifallen,was dir vorher gefiel und was du mit Eifer als das Bessere anstrebtest. Man darfnicht

    jeder Neigung, die gut zu sein scheint, sogleich folgen, wie man auch nicht jedegegenteilige Neigung von vornherein ablehnen soll. Es ist zuweilen gut, sichZgelanzulegen, auch bei guten Zielen und Wnschen, sonst fllt dein Geist infolgedesinneren ungestmen Drngens der Verwirrung anheim. Anderen knntest dudurchein unbeherrschtes Wesen rgernis geben, oder du verlrest durch denWiderstanddieser und jener den Kopf und kmst zu Falle.

    3. Manchmal aber mu man Gewalt gebrauchen, dem sinnlichen Begehrenbeherztentgegentreten und gar nicht darauf achten, was das leibliche Begehren will oderablehnt, vielmehr dahin arbeiten, da es sich dem Geiste auch wider seinenWillenunterwirft. Zchtigen soll man es und sich gefgig machen, bis es zu allembereit ist,sich mit wenigem zu begngen lernt, an schlichten Dingen Freude empfindetund beiUnbehaglichkeiten das Murren unterdrckt.

    KAPITEL 12Die Schule der Geduld und der Kampf gegen die Begierden

    1. Ohne Geduld in den Kmpfen des Lebens kein Friede.2. Die Erdenleiden sind das kleinere bel.3. Die Weltkinder kosten ihre Freuden nicht ohne Bitterkeit.

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    4. Deine Freude liegt in der Weltberwindung und im Verzicht auf niedereGelste.

    1. (Der Knecht:) Mein Herr und Gott! Geduld ist mir sehr vonnten - ich sehe esein- , denn mir begegnet in diesem Leben viel Widriges. Was immer ich auchunternehme, um Frieden zu haben -Kampf und Schmerz bleiben mir in meinemLeben nicht erspart.(Der Herr:) Ganz recht, mein Sohn. Aber es ist auch gar nicht mein Wille, dadueinen Frieden suchst, der keiner Versuchung ausgese tzt ist und keineWiderstndekennt. Gerade dann glaube den Frieden gefunden zu haben, wenn du durchvielerleiTrbsale und Prfungen gelutert und erprobt wirst.2. Wenn du sagst, du knntest nicht soviel leiden, wie willst du spter dasFegfeuerertragen? Von zwei beln soll man immer das geringere whlen. Um also demkommenden ewigen Strafgericht zu entgehen, suche das gegenwrtige Leidgleichmtig um Gottes willen zu tragen. Oder meinst du, die Menschen dieserWelthtten nichts oder nur wenig zu tragen? Das wirst du nicht finden, und wenn duauchbei den Verwhntesten Nachfrage hltst.3. (Der Knecht:) Aber, sagst du, sie genieen doch viel Freude und leben nachihremeigenen Willen; darum nehmen sie ihre Leiden nicht gar so schwer.(Der Herr:) Gesetzt, es wre so, sie htten also, was sie wnschen, wie lange,glaubstdu, wird das dauern? Siehe, "wie Rauch werden die Reichen dieser Weltvergehen"(vgl. Ps 37,20), und kein Nachempfinden der vergangenen Freuden wird ihnenbleiben. Aber auch, wenn sie noch leben, werden sie in ihren Freuden vorBitterkeit,Ekel und Angst keine Ruhe finden. Denn dieselbe Quelle, aus der sie ihreLebensgensse schpfen, wird ihnen oft zur Quelle schmerzlicher Pein. Esgeschiehtihnen recht; denn da sie wider alle Ordnung die e itlen Freuden suchen und ihnennachlaufen, knnen sie diese auch nicht ohne Unruhe und Bitterkeit auskosten.Wiekurz, wie trgerisch, wie ordnungswidrig und schndlich sind alle diese Gelste!

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    Dennoch, sie sehen es nicht ein, so berauscht sind sie und so blind. "Wieunvernnftige Tiere" (Jud 10) rennen sie fr "einige wenige Freuden desvergnglichen Lebens" (vgl. 2 Makk 6, 25) in den Tod der Seele.4. Darum, mein Sohn, "jage nicht deinen Begierden nach und wende dich ab vondeinen Gelsten" (Sir 18, 30). "Erfreue dich im Herrn, und er wird dir geben,

    wasdein Herz verlangt" (Ps 37, 4). Willst du wahre Freude finden und im bermavonmir getrstet werden, dann siehe: Aus der Geringschtzung alles Irdischen undausdem Verzicht auf alle niedrigen Gelste erwchst dir der Segen und einberreicherTrost. Je mehr du dich von allem Trost der Geschpfe zurckziehst, um soerquickender und wirksamer wird der Trost sein, den du bei mir findest. Dochim

    Anfange wirst du nicht ohne Mhsal, Trauer und Kampf dahin gel angen. Dieeingewurzelte Gewohnheit wird dir im Wege stehen, sie kann aber durch diebessereGewohnheit berwunden werden. Der Leib zeigt sich zwar rebellisch, die GlutdesGeistes aber zgelt ihn. Die "alte Schlange" (Offb 12, 9) wird dich zumerbittertenKampfe reizen, das Gebet jedoch verscheucht sie. Auch die ntzliche Arbeitwird ihrden Hauptzugang versperren.

    KAPITEL 13Gehorsam und Demut nach dem Beispiel Jesu Christi

    1. Sei gern demtig und bescheiden.2. Lerne vom Sohne Gottes; er ist das ergreifende Vorbild demtigenGehorsams.3. La die Klage gegen Anklger beiseite und danke Gott, da er deinergeschont hat.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, wer sich dem Gehorsam zu entziehen sucht, entziehtsichder Gnade, und wer nur sein Eigenes sucht, verliert das Gemeinsame. Wer nichtgernund willig seinem Oberen gehorcht, zeigt damit, da seine sinnliche Natur ihmnoch

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    nicht vollkommen gehorcht, sondern, da sie oft widerspenstig ist und murrt.Lernealso schnell deinem Oberen gehorchen, wenn du deine Eigennat ur unter dasJochbringen willst. Denn schneller wird der uere Feind berwunden, wenn der

    innereMensch in Ordnung geblieben ist. Es gibt keinen lstigeren und gefhrlicherenFeinddeiner Seele als dich selbst, wenn dein Wesen und dein Geist nicht harmon ieren.Dumut die Verachtung deiner selbst unbedingt ernst nehmen, wenn du berdeinenleiblichen Menschen die Oberhand behalten willst. Du liebst dich noch allzuunordentlich, und deshalb zgerst du, dich dem Willen eines anderenvollkommen zu

    unterwerfen.2. Aber was ist es Groes, wenn du, der du Staub und ein Nichts bist, dich umGotteswillen einem Menschen unterwirfst? Habe ich, der Allmchtige undAllerhchste, deraus dem Nichts das Weltall schuf, mich nicht um deinetwillen demtigMenschenunterworfen? Ich bin von allen der Demtigste und Niedrigste geworden, damitduimstande wrest, deinen Stolz mit meiner Demut zu besiegen. "Lerne gehorchen,

    duStaub! Lerne dich demtigen, du Erde und Lehm"2 und dich beugen unter dieFealler! Lerne deinen Willen brechen und gnzlich gehorsam sein! Entbrennewiderdich selbst, und la keinen Stolz in dir hochkommen. Zeige dich so demtig undklein, da alle ber dich hinwegschreiten und dich "wie Straenkot" (Ps 18, 43)zertreten knnen.3. Was hast du zu klagen, du eitler Mensch? Was kannst du unreiner Snderdenen

    erwidern, die dich lstern? Hast du nicht wer wei wie oft deinen Gott beleidigtundvielfach die. Hlle verdient? Doch "mein Auge hat dich verschont" (vgl. Ez 20,17),denn "deine Seele war kostbar in meinen Augen" (vgl. 1 Sam 26, 21). Dusolltesterkennen, da ich dich wirklich liebe, solltest mir dankbar sein fr meineWohltaten,dich in wahrer Demut und wahrem Gehorsam fgen und die Verachtung deiner

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    selbstgeduldig ertragen.

    KAPITEL 14

    Im Guten nicht berheblich werden, sondern Gottes verborgeneGerichte bedenken

    1. Das Gericht ber die Engel erflle dich mit heiliger Furcht;2. Die Heiligkeit ist ohne Gnade Gottes nicht von Dauer.3. Was ist dann der Mensch ohne die Hilfe von oben?

    1. (Der Knecht:) Herr, du lt deine Gerichte wie Donner ber mich dahinrollen,mein Gebein ist von Furcht und Zittern befallen, und meine Seele erschauertgewaltig. Erschttert stehe ich da und bedenke, da die "Himmel nicht rein sindvordeinem Angesichte" (Ijob 15, 15). Wenn du "an den Engeln Snde gefunden undihrer nicht geschont hast" (vgl. Ijob 4, 18), was wird mit mir geschehen? "Sternesindvom Himmel gefallen" (Offb 6, 13), und ich Staub, was nehme ich mir heraus?DerenWerke lobenswert erschienen, strzten in die Tiefe. Die "das Brot der Engel" (Ps78,25) aen, sah ich die "Treber der Schweine mit Behagen verzehren" (vgl. Lk15,16).2. Es gibt keine Heiligkeit, wenn du, Herr, deine Hand zurckziehst. KeineWeisheitntzt, wenn du aufhrst, sie zu leiten; keine Tapferkeit hilft, wenn du sie nichtmehrtrgst; keine Keuschheit ist gesichert, wenn du sie nicht behtest; keinAchthaben aufsich selbst ist von Erfolg, wenn dein heiliges Auge nicht wacht. Sind wir unsselbstberlassen, dann sinken wir und gehen wir zugrunde; suchst du uns aber heim,dann

    richten wir uns wieder auf und leben. Wir sind unbestndig, aber durch dichwerdenwir wieder stark, wir sind lau, aber in dir fangen wir Feuer.3. Wie niedrig und verchtlich mu ich von mir selber denken I Wie ni chtigmu mirvorkommen, was ich Gutes zu haben scheine I Wie tief, O Herr, mu ich michdeinen"unergrndlichen Gerichten" (Ps 36, 7) unterwerfen, da ich finde, da ich nichts

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    anderes bin als nichts, als ein reines Nichts. Unermeliche Last,undurchschwimmbares Meer, wo ich von mir nichts entdecke als nur ein Nichts.Wowre noch ein Schlupfwinkel fr Ruhm, wo noch Raum fr Vertrauen aufeigene

    Tugend? Verschlungen ist alles eitle Rhmen im Abgrund deiner Gerichte, diebermich kommen. Was ist doch der Mensch vor deinen Augen? "Rhmt sich etwaderTon gegen seinen Tpfer?" (Jes 29,16). Kann der wohl mit hohlem Geschwtzsowichtig tun, dessen Herz in Wahrheit Gott unterworfen ist? Nicht die ganzeWeltwird den zum Hochmut verleiten, den die Wahrheit berwu nden hat. Das Loballer

    Menschen gengt nicht, den zum Wanken zu bringen, der seine ganze HoffnungaufGott gegrndet hat. Denn die da reden, sind alle nichts; sie verschwinden mitdemSchalle ihrer Worte. "Die Treue des Herrn aber bleibt in Ewigkeit" (Ps 117, 2).

    KAPITEL 15Verhalten bei allen Anliegen im Handeln und Reden1. Unterwirf deine Wnsche dem Willen Gottes.

    2. Dein Bittgebet sei ein Gebet der Hingabe an den Willen Gottes.3. Gebet der bittenden Seele.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, in jeder Sache sprich: Herr, wenn es dir gefllt, danngeschehe es so, Herr; wenn es zu deiner Ehre gereicht, so geschehe es in deinemNamen, Herr; wenn du siehst, da es mir zutrglich und ntzlich ist, schenke esmir.Ich will es dann zu deiner Ehre gebrauchen. Wenn du aber erkennst, da es mirSchaden bringen und dem Heile meiner Seele nicht dienlich sein wird, so nimmdiesVerlangen von mir. Denn nicht jedes Verlangen ist vom Heiligen Geiste, auchwennes dem Menschen recht und gut erscheint. Es ist schwierig, der Wahr heit gemzubeurteilen, ob ein guter oder bser Geist dich zu diesem oder jenem Verlangentreibtoder ob dein eigener Geist die Triebfeder ist. Viele, die sich anfangs von einemguten

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    Geist geleitet glaubten, sahen sich am Ende betrogen.2. Was immer also dem Geist als wnschenswert begegnet, mu man stets ingottesfrchtiger, bescheidener Gesinnung wnschen und erbitten. Vor allemverzichteauf den eigenen Willen, stelle die ganze Sache mir anheim und sprich: Herr, du

    weit, wie es am besten ist. Es geschehe also dies und jenes, wie du willst. Gib,wasdu willst, wieviel du willst und wann du willst. Tue mit mir, wie du es fr richtighltst, wie es dir am besten gefllt und zu deiner greren Ehre gereicht. Stellemich,wohin du willst, und schalte frei mit mir in allen Dingen. Ich bin in deiner Hand,drehe und wende mich nur in jeder Richtung. Siehe, dein Knecht bin ich, bereitzuallem. Nicht mir, sondern dir zu leben ist mein ganzes Verlangen. Knnte ich esnur

    wrdig und vollkommen!3. Gebet um die Gnade, Gottes Willen zu vollbringen(Der Knecht:) Schenke mir, gtigster Jesus, deine Gnade, da sie "mit mir seiund mitmir arbeite" (Weish 9, 10) und bei mir bleibe bis ans Ende. Gib, da ich immerdasbegehre und wnsche, was dir besonders genehm und woh lgefllig ist. DeinWille seider meine, und mein Wille folge stets dem deinen und stimme ganz mit ihmberein.

    Ich mchte mit dir ein und dasselbe wollen und nicht wollen; ich mchte garnichtimstande sein, etwas anderes zu wollen oder nicht zu wollen al s eben das, wasduwillst und was du nicht willst. La mich allem Irdischen absterben und umdeinetwillen gern verachtet und unbekannt sein in dieser Welt. Gib, da ich berallesWnschen hinaus in dir ruhe und da mein Herz in dir seinen Frieden finde. D ubistder wahre Friede des Herzens, du seine einzige Ruhesttte; auer dir ist alles

    Qualund Unruhe. In diesem Frieden, das ist in dir, dem einen hchsten, ewigen Gute,werde ich ,.schlafen und ruhen". Amen (vgl. Ps 4, 9).

    KAPITEL 16Der wahre Trost ist allein in Gott zu suchen

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    1. Er liegt in Gott und in den Gtern des Himmels.2. Irdische Gter werden deinen Hunger nach Trost niemals stillen.3. Gottes Wohnen in dir, sein Wille und seine Prfungen seien dein hchsterTrost.

    1. (Der Knecht:) Was immer ich mir zu meinem Troste wnschen oder erdenkenkann, erwarte ich nicht hier, sondern knftig. Htte ich allen Trost der Weltallein frmich, knnte ich alle Freuden genieen, eines ist sicher: sie werden unmglichvonlanger Dauer sein. Darum, meine Seele:. den ganzen Trost und die vollkommeneErquickung kannst du nur in Gott finden, der die Armen trstet und sich derDemtigen annimmt. Gedulde dich ein wenig, meine Seele, harre der

    VerheiungGottes, und ein berma an allen Gtern wird dir im Himmel zuf allen.2. Wenn du den irdischen Gtern allzu begierig nachjagst, verlierst du dieewigen undhimmlischen. Die zeitlichen magst du gebrauchen, die ewigen seien das ZieldeinerSehnsucht. Kein zeitliches Gut kann dich sttigen, denn du bist nicht zum GenudesZeitlichen erschaffen. Httest du auch alle erschaffenen Gter, unmglichwrdest du

    in ihnen glcklich und zufrieden. In Gott, dem Schpfer aller Dinge, liegt deineganze Seligkeit und dein ganzes Glck. Nicht so, wie die trichten LiebhaberderWelt sie sehen und werten, sondern wie gute Christglubige sie erwarten undwiegeisterfllte und herzensreine Menschen, deren Wandel im Himmel ist, siebisweilenschon hier verkosten.3. Eitel und flchtig ist aller Menschentrost, beglckend aber und wirklichtrstendist, was wir im Innern von der Wahrheit vernehmen. Der fromme Mensch hatJesus,seinen Trster, berall bei sich und spricht zu ihm: Herr Jesus, stehe mir bei, anjedem Orte, zu jeder Zeit. "Das sei mein Trost" (Ijob 6, 10) und mein Wille, aufallenmenschlichen Trost gern zu verzichten. Und sollte deine Trstung ausbleiben,danngelte mir dein Wille und deine gerechte Prfung als hchster Trost. Denn "du

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    Trbsal schaden, mag, was immer, ber mich kommen.

    KAPITEL 18Irdisches Leid nach Christi Beispiel mit Gleichmut ertragen

    1. Jesus hat seine vielen Leiden deinetwegen mit Geduld ertragen.2. Die Nachahmung seiner Geduld wird den Menschen des Neuen Bundesleichter als denen des Alten.3. Ohne Jesu Vorbild brchten wir den Mut zur geduldigen Nachfolge nicht auf

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, ich bin um deines Heiles willen vom Himmelgestiegenund habe dein Elend angenommen, nicht etwa weil ich es mute, sondern weilichdich liebte. Du solltest lernen, geduldig zu sein und die Trbsale desErdenlebenswillig zu tragen. Denn von der Stunde meiner Geburt bis zum Tode am Kreuzehatteich immerfort Leiden zu erdulden. An zeitlichen Gtern litt ich groen Mangel.Ofthabe ich gehrt, da viele sich ber mich beklagten. Schmach und Schandeertrug ichin Gte. Fr mein Wohltun erntete ich Undank, meine Wundertaten vergalt manmirmit Lsterungen, meine Lehre wies man spottend zurck.2. (Der Knecht:) Herr, dein Leben war eine einzige Geduld, eine vollkommeneErfllung des Willens deines Vaters. Es ist darum nicht mehr als billig, da icharmerSnder deinem Willen gem in Geduld ausharre und, solange du es willst, dieBrdedes vergnglichen Lebens zu meinem Heile trage. Denn wenn auch dasgegenwrtigeLeben als Last empfunden wird, so ist es doch durch deine Gnadehochverdienstlichgeworden und dank deinem Beispiel und dem Wandel deiner Heiligen auch weitertrglicher und lichtvoller fr uns wegmde Menschen, als dies einst im AltenBunde der Fall war. Damals war das Tor des Himmels noch verschlossen. DerWegzum Himmel erschien so dunkel. Nur wenige waren bemht, das Himmelreichzusuchen. Selbst die damaligen Gerechten, die das Heil erlangen sollten, konntenvor

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    deinem Leiden und deinem heiligen Shnetod nicht in das Himmelreicheingehen.3. Wie innig mu ich dir danken, da du in deine r Liebe mir und allenGlubigen diegerade, gute Bahn zu deinem Himmelreich gewiesen hast! Dein Leben ist unser

    Weg,und mit heiliger Geduld wandern wir dir, unserer Krone, entgegen. Wrest duunsnicht vorangegangen und httest du uns nicht belehrt, wer b rchte den Mut zurNachfolge auf? Wie viele blieben leider weit zurck, wenn sie dein leuchtendesBeispiel nicht vor Augen htten! Siehe, noch jetzt stehen wir fast unbeeindrucktvordeinen vielen Wundern und Lehren. Was wrde erst geschehen, wenn wir deinstrahlend helles Licht auf dem Wege der Nachfolge entbehren mten?

    KAPITEL 19Ertragen von Unrecht und: Wer sich wahrhaft als geduldig erweist

    1. Mach nicht soviel Wesens von deinem Leiden. Andere haben mehr gelitten.Der kluge Mensch klagt nicht.2. Denke nicht an die Menschen, die dir wehe tun, sondern an Gott, derdeine Geduld krnen wird.3. Kmpfe und bete um die Krone der Geduld.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, was redest du da? Hre auf zu klagen und bedenkeeinmal,was ich und andere Heilige gelitten haben. "Noch hast du nicht bis aufs Blutwiderstanden" (Hebr 12, 4). Deine Leiden sind gering; sie knnen den Vergleichnicht aushalten mit denen, die soviel ausgestanden haben, so stark versucht, soschwer bedrngt, so vielfach geprft und erprobt wurden. Denke also an dieschwerenLeiden der anderen; es ist schon notwendig. Dann wirst du deine so kleineBrde

    leichter tragen. Erscheint sie dir aber nicht so leicht, so untersuche einmal, obnichtetwa deine Ungeduld dahinter steckt. Mgen nun deine Leiden klein oder grosein,suche alles in Geduld zu ertragen. Je besser du dich zum Leiden bereitest, um soklger handelst du und um so grer wird dein Verdienst sein. Du wirst auchleichterdamit fertig, wenn du dich zielbewut, praktisch und eifrig auf das Ziel

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    einstellst.2. Sage nicht: Ich kann das von einem solchen Menschen nicht ertragen; ichbrauchemir derartige Dinge nicht bieten zu lassen. Er hat mich schwer geschdigt undwirft

    mir Dinge vor, an die ich nie gedacht hatte. Von einem andern will ich es mirgerngefallen lassen, soweit es mir tragbar erscheint.Wer so denkt, ist ein Tor. Er beachtet nicht, welche Werte in der Geduld liegen,undbersieht den, der sie einmal krnen wird. Ihm stehen fast nur die Menschen vorAugen, die ihn beleidigt haben. Der hat nicht die wahre Geduld, der nur so vielleidenwill, wie ihn gut dnkt, und nur von dem, der ihm dafr pat. Der wahre Duldersieht

    nicht darauf, von wem ihm zugesetzt wird, ob von einem Vorgesetzten odereinemGleichgestellten oder einem Untergebenen, ob von einem guten und heiligenMenschen oder von einem gemeinen und nichtswrdigen. Das ble, das diegeschpfliche Welt ihm zufgt, nimmt er unterschiedslos und restlos mit DankausGottes Hand an, ganz gleich, ob er heftig bedrngt wird und ob e s sich oftwiederholt.Er sieht eben den ungeheuren Gewinn. Denn nichts, was fr Gott gelitten wird,sei es

    auch noch so klein, bleibt bei Gott ohne Verdienst.3. Sei also gerstet zum Kampfe, wenn du den Sieg erringen willst. Ohne Kampfkannst du die Krone der Geduld nicht gewinnen. Wer nicht leiden will, weist dieKrone zurck. Begehrst du aber gekrnt zu werden, dann kmpfe mutig undhaltegeduldig aus. Ohne Mhe keine Ruhe, ohne Kampf kein Sieg.(Der Knecht:) Herr, deine Gnade mache mir mglich, was meiner Naturunmglicherscheint. Du weit, da ich nur wenig leiden kann und schon bei geringenSchwierigkeiten schnell auer Fassung gerate. Mge mir alles Leid und Weh um

    deines Namens willen lieb und teuer sein. Denn fr dich leiden und geplagtwerdenwirkt auf meine Seele wie heilende Arznei.

    KAPITEL 20Das Eingestndnis der eigenen Schwachheit und das Elend dieses Lebens

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    1. Die Schwche des Menschen ist gro; sie fhrt zur Mutlosigkeit.2. Der Versuchungen sind so viele, da wir unsere ganze Ohnmacht zu fhlenbekommen.3. Wer die Welt mit ihren Verfhrungen kennt, liebt sie nicht, aber viele kennen

    sie nicht.4. Wer die Welt ungeordnet liebt, wei nichts von den erquickenden TrstungenGottes.

    1. (Der Knecht:) "Bekennen will ich wider mich meine Ungerechtigkeit" (Ps 32,5),bekennen will ich dir, O Herr, meine Schwche. Oft ist es nur eine Kleinigkeit,diemich umwirft und traurig macht. Ich nehme mir vor, entschlossen zu handeln,

    aberschon bei einer geringen Versuchung gerate ich in groe Verwirrung. Eine ganzunbedeutsame Sache fhrt mich bisweilen in schwere Versuchung. Kaum fhleichmich ein Weilchen sicher, da finde ich mich bisweilen unversehens wie durcheinenleisen Windhauch fast umgeworfen.2. Herr, siehe auf meine Ohnmacht und Gebrechlichkeit; sie ist dir ja keinGeheimnis.Hab' Erbarmen und "entreie mich dem Schlamm, da ich nicht versinke" (Ps

    69, 15)und nicht fr immer vollends mutlos bleibe. Das ist es, was mich hufig qultund vordir beschmt, da ich im Kampfe gegen die Leidenschaf ten so wankelmtig binundso schwach. Wenn ich auch gerade nicht einwillige, so ist es mir doch lstig undbeschwerlich, von ihnen angefochten zu werden. Tglich im Kampfe zu lebenwirdman leid; es ekelt einen an. Daran erkenne ich meine Schwche, da di eabscheulichen Phantasiebilder viel leichter eindringen als zurckweichen.StarkerGott Israels, schaue in deinem Eifer fr die Rettung der glubigen Seelen auf dieMhen und Leiden deines Knechtes herab und stehe ihm bei in allem, was erbeginnt.Strke mich mit himmlischer Kraft, da nicht der alte Mensch die Oberhandgewinne,jener elende Triebmensch, der dem Geist nicht gnzlich unterworfen ist, gegendenman zu kmpfen haben wird, solange man atmet in diesem wahrhaft armen

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    Leben.3. Welch ein Leben, wo Trbsal und Ungemach auf uns warten, wo allberalldieFallstricke und Feinde lauern! Sowie die eine Bedrngnis oder Versuchungweicht,

    tritt eine andere an ihre Stelle. Whrend der erste Kampf noch andauert, brechenschon mehrere andere unverhofft ber uns herein. Wie kann man ein Lebenlieben,das so viele Bitterkeiten in sich birgt und so vielem Leid und Elend unterworfenist?Wie kann man nur von Leben reden, wenn es immer wieder Tod und Pesterzeugt?Dennoch, es wird geliebt, und viele suchen in ihm ihre Freude. Oft wird dieWelt alstrgerisch und eitel hingestellt. Trotz allem, man lt sie nicht leicht fahren, weil

    dasBegehren des Leibes allzuviel Macht besitzt.4. Das eine ist es, was zur Weltliebe, ein anderes, was zur geringeren WertungderWelt treibt. Zur Weltliebe treiben "Fleischeslust, Augenlust und Hoffart desLebens"(1 Joh 2, 16). Die Strafen aber und das Elend, das ihnen gerechterweise folgenwird,erzeugen Ha und Ekel an der Welt. Doch leider trgt die bse Lust den Siegber

    das Weltkind davon. In Domen zu liegen scheint ihm eine Wonne, weil er dieLieblichkeit Gottes und die innere Schnheit der Tugend weder erkannt nochverkostet hat. Die aber die Welt in vollkommenem Sinne geringer werten und inheiliger Zucht nur fr Gott zu leben suchen, kennen den gttlichen Trost, derdenenverheien ist, die den ganzen Verzicht leisten. Diese sehen klarer, wie schwersichdie Welt irrt und wie vielfach sie der Tuschung verfllt.

    KAPITEL 21Mehr als alle Gter und Gaben mu man die Ruhe in Gott suchen

    1. Ruhe findest du nur in Gott, denn nur in ihm ist alles, was du suchst.2. Sehne dich nach ihm aus dem Dunkel und Leid dieser Welt.3. Komm, Herr Jesus, komme bald.4. Freue dich seiner Gegenwart in tiefer Demut.

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    1. (Der Knecht:) Meine Seele, ber alles und bei allem suche stets im HerrnRuhe;denn er ist die ewige Ruhe der Heiligen. O Jesus, du bist die Freude und dieLiebe

    selbst. Verleihe, da ich in dir ber allem Erschaffenen ruhe. Du gehst berGlckund Schnheit, Herrlichkeit und Ehre, Macht und Wrde, Wissenschaft undScharfsinn, ber alle Reichtmer und Knste, ber Freude und Frohlocken,Ruhmund Lob, Erquickung und Trost, Hoffnung und Verheiung, Verdienst undVerlangen, ber alle Gaben und Geschenke, die du mir in Flle zu gebenvermagst,ber alle Lust und Freude, die der Geist fassen und empfinden kann, endlichber alle

    Engel und Erzengel, ber das ganze Himmelsheer, ber alles Sichtbare undUnsichtbare, und ber alles, was du, mein Gott, nicht bist. Denn du, O Herr,meinGott, bist ber allem der Beste, du allein der Hchste, du allein der Mchtigste,duallein der Reichste und Begtertste. Du bist die unausschpfliche Flle vonLieblichkeit und Trost, du allein der Schnste und Liebenswrdigste, der EdelsteundHerrlichste, mehr als alles andere. In dir ist alles Gute vollkommen vereinigt. Sowar

    es immer, so wird es bleiben. Daher ist alles gering und unzureichend, was dumirauer dir selbst schenkst oder ber dein Wesen offenbarst. Was du mirverheiest, istalles gering, wenn ich dich nicht schaue und vollkommen besitze. Denn diewahreRuhe und den ganzen Frieden kann ich nur finden, wenn ich in dir ruhe undmichber alle Gaben und Geschpfe hinaus emporschwinge.2. Jesus Christus, du mein geliebtester Brutigam, in der Liebe so ganz rein, du

    Beherrscher der gesamten Schpfung, wer gibt mir die Schwingen wahrerFreiheit,da ich auffliege und "ruhe in dir?" (Ps 55,7)! Wann wird es mir gegeben sein,vlligunbehindert "zu sein und zu schauen, wie gtig du bist, Herr, mein Gott" (Ps34,9)?Wann werde ich mich ganz in dir sammeln knnen, da ich vor Liebe zu dirmichselbst gar nicht mehr fhle, sondern ber jedes Ma des Empfindens hinaus

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    nur(nochdich kenne: ein Zustand, der freilich vielen unbekannt ist. Jetzt aber bin ich oftsotraurig und trage in Schmerzen mein elendes Los. Denn es begegnen mir indiesem

    Tale der Leiden viele bel, die mich oft verwirren, betrben und umdunkeln,nichtselten auch behindern und zerstreuen, anlocken und umgarnen. So habe ich dannkeinen freien Zutritt zu dir und kann die beglckenden Umarmungen nichtgenieen,deren die seligen Geister sich allezeit erfreuen. Mchten meine Flehrufe undmeinetrostlose Verlassenheit dich rhren!3. Jesus, "du Abglanz der ewigen Herrlichkeit" (Hebr 1, 3), du Trost derpilgernden

    Seele! Vor dir verstummt mein Mund, mein Schweigen aber redet zu dir. Wielangenoch zgert mein Herr zu kommen? Komme er doch zu mir, zu seinem armenKinde,da es sich freue! Er reiche mir seine Hand und rette mich Hilflosen aus allerDrangsal! Komm! Komm! Ohne dich gibt es fr mich keinen frohen Tag, keinefroheStunde; denn du bist meine Freude, und ohne dich ist mein Tisch leer. Hilflosbin ich,wie eingekerkert und eingefesselt, bis du mich mit dem Lichte deiner Gegenwart

    erquickst, mir die Freiheit wiedergibst und dein freundliches Antlitz zeigst.Mgenandere statt deiner suchen, was immer sie wnschen, mir gefllt nichts, auch inZukunft nicht, als du, mein Gott, meine Hoffnung, mein ewiges Heil. Ich werdenichtschweigen und nicht aufhren zu flehen, bis deine Gnade zurckkehrt und duinnerlich zu mir redest.4. (Der Herr:) "Siehe, da bin ich" (Jes 58,9). ,Siehe, ich komme zu dir, du hastmichgerufen!" (1 Sam 3, 6.9) Deine Trnen und das verlangen deiner Seele, deine

    Demutund die Zerknirschung deines Herzens haben mich gewonnen und dir zugefhrt.(Der Knecht:) Da sprach ich: Herr, voll Verlangen nach dem Genu deinerGegenwart habe ich dich gerufen. Ich bin bereit, um deinetwillen alles zuverschmhen. Der mich aber zuvor anregte, d ich zu suchen, der warst du. Seidarumgepriesen, mein Herr, la du deinem Diener in dieser Weise gut warst. Soentsprichtes der Flle deiner erbarmenden Liebe. Was hat dein Diener dir sonst noch zu

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    sagen?Doch wohl nur dieses eine, da er sich tief vor dir demtigen will, eingedenk dereigenen Schuld und Unzulnglichkeit. Denn kein Wesen unter allen WunderndesHimmels und der Erde ist dir gleich. Deine Werke sind sehr gut, "deine Gerichte

    gerecht" (Ps 19, 10), und deine Vorsehung leitet die ganze Welt. L ob sei Dir undHerrlichkeit, O Weisheit des Vaters! Dich lobe und preise mein Mund, meineSeeleund alles Geschaffene insgesamt.

    KAPITEL 22Sich an die vielfachen Wohltaten Gottes erinnern

    1. Danke Gott fr seine vielen Wohltaten, aber danke in Demut.2. Alle dir geschenkten Gter sind von Gott.. darum sei weder berheblichnoch traurig.3. Wer nach der Auffassung der Welt nur krglich beschenkt ist, hat Grundzur Freude.4. Die wertvollste Wohltat: ganz eins zu sein mit dem Willen Gottes.

    1. (Der Knecht:) "Herr, ffne mein Herz deinem Gesetze" (2 Makk 1, 4) undlehremich nach deinen Geboten wandeln. Gib, da ich deinen Willen erkenne und mittiefer Ehrfurcht, eifrig und aufmerksam die Wohltaten betrachte, die du mir imallgemeinen und im besonderen erwiesen hast, damit ich dir wrdig dafrdankenkann. Ich wei allerdings und bekenne, da ich nicht imstande bin, dir auch nurfrdie geringste Wohltat gebhrend Dank zu sagen. Ich bedeute zu weniggegenber alldem Guten, das du mir geschenkt hast. Wenn ich an dein hohes, edles Wesendenke,erscheinst du mir so gro, da mein Geist vor dir versagt.

    2. Alles, was wir an Leib und Seele haben und was immer wir uerlich oderinnerlich, natrlich oder bernatrlich besitzen, sind Wohltaten, die du unsgespendethast, Gaben, die von der Gte und Liebe des Wohltters erzhlen, aus dessenHandwir alle Gter empfangen haben. Wenn auch der eine mehr, der andere wenigererhalten hat, so ist doch alles dein, und ohne dich knnen wir nicht das Mindestebesitzen. Wer mehr empfangen hat, kann sich seiner Verdienste nicht rhmen,

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    nochsich ber andere erheben oder des rmeren spotten. Der ist der Grere undBessere,der sich selbst wenig zuschreibt und mit tiefer Demut und Innigkeit dankt. Wersich

    fr geringer und unwrdiger als alle achtet, der ist auch fhiger, Greres zuempfangen. Wer weniger empfangen hat, darf darob nicht traurig oder unwilligwerden und den Reicheren beneiden. Er soll vielmehr zu dir aufblicken unddeineLiebe in hohen Weisen besingen, weil du so reichlich, freigebig und gern, ohneAnsehen der Person, deine Gaben spendest. Alles kommt von dir, deshalbgebhrt dirin allem der Lobpreis.3. Du weit, welche Gabe jedem frommt, warum dieser weniger, jener mehrbesitzt.

    Das zu bestimmen, ist nicht unsere, sondern deine Sache. Du hast den einzelnendieVerdienste zugewogen. Darum, mein Herr und Gott, halte ich es fr eine groeWohltat, wenig zu besitzen an Dingen, die uns nur uerlich und in den AugenderMenschen Lob und Ehre eintragen. Wer zu der Erkenntnis kommt, da er mitseinerPerson etwas Armes und Unansehnliches darstellt, mge er darob nichtmimutig,traurig oder mutlos werden. Vielmehr mge ihm das eine Quelle des Trostes und

    derFreude sein, weil du, O Gott, dir gerade die Armen, Erniedrigten undVerachtetendieser Welt zu Vertrauten und Hausgenossen erkoren hast. Zeugen dessen sinddeineApostel, die du "zu Frsten ber die ganze Welt gesetzt hast" (Ps 45, 17). Siewandelten ohne Klage in dieser Welt, so demtig und einfltig, so ohne alleBosheitund Arglist, da sie "sich freuten, fr den Namen Jesu Schmach zu leiden" (Apg5,

    41), und das, wovor die Welt zurckschreckt, mit groer Liebe umfingen.4. Nichts also soll den, der dich liebt und dein Wohltun kennt, so sehr erfreuen,alsda dein Wille an ihm geschieht und deine ewigen Absichten sich an ihm gemdenPlnen der Vorsehung erfllen. Darin soll er soviel an Beruhigung und Trostfinden,da er ebenso gern der Kleinste sein mchte wie ein anderer der Grte, da ersich

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    auf dem letzten Platz ebenso gelassen und zufrieden fhlt wie auf dem erstenund daer ebensogern ohne Namen und Ruf verachtet und verworfen sein mchte wievorden anderen ehrenwert und gro in der Welt. Denn dein Wille und der Eifer fr

    deineEhre mu ihm ber alles gehen, mu ihm mehr Trost bringen als alle Wohltaten,dieer bereits empfangen hat oder noch empfangen knnte.

    KAPITEL 23Vier Quellen groen Friedens

    1. Die Quellen des Friedens sind: Gehorsam, Demut, Armut,Gleichfrmigkeit mit dem Willen Gottes.2. Wer aus diesen Quellen zu wenig schpft, gert in Verwirrung.3. Zwei Gebete um den Frieden der Seele.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, nun will ich dich den Weg zum Frieden und zurwahrenFreiheit lehren.(Der Knecht:) Tu, Herr, was du sagst; ich hre es gern.(Der Herr:) Mein Sohn, sei bestrebt, lieber den Willen eines anderen zu tun alsdendeinen. Ziehe stets den geringeren Besitz dem greren vor. Setze dich immeruntenan und sei allen untertan. Dies sei allezeit dein Wunsch und dein Gebet, daGottesWille vollkommen an dir geschehe. Sieh, wer so lebt, geht in das Land desFriedensund der Ruhe ein.2. (Der Knecht:) Herr, deine Rede ist kurz, aber sie bietet viel an Vollendung. Essind

    nur wenige Worte, aber ihr Sinn ist tief und reich an Gedanken. Knnte ich s ietreubefolgen, ich wrde wohl nicht so leicht in Verwirrung geraten. Denn sooft ichmichbeunruhigt und beschwert fhle, finde ich, da ich von dieser Lehre abgewichenbin.Du aber, der du alles kennst und stets den Fortschritt der Seele liebst, spende mirein

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    greres Ma von Gnaden, da ich imstande bin, dein Wort zu erfllen undmeinHeil zu wirken.3. Gebet wider bse Gedanken(Der Knecht:) "Herr, mein Gott, entferne dich nicht von mir. Mein Gott, schaue

    herabauf mich und hilf mir" (Ps 71, 12). Denn vielerlei Gedanken und schrecklichengstehaben sich in mir erhoben und qulen mein Inneres. Wie soll ich durchkommen,ohneSchaden zu nehmen? Wie ihrer Herr werden?"Ich", so spricht der Herr, "werde vor dir hergehen und die Groen der Erdeerniedrigen. Ich werde die Kerkertren ffnen und die Tiefen der Geheimnissediroffenbaren" (Jes 45,2).

    (Der Knecht:) Herr, tu, wie du sagst. Vor deinem Angesichte sollen alle bsenGedanken fliehen. Das ist meine Hoffnung, das mein einziger Trost, da ich inallerBetrbnis zu dir meine Zuflucht nehmen, auf dich vertrauen, aus der TiefemeinesWesens zu dir rufen und in Geduld deinen Trost erwarten darf.Gebet um Erleuchtung des Geistes(Der Knecht:) Guter Jesus, "erleuchte mich durch die Klarheit" inneren Lichtes(Joh17, 5) und verscheuche alle Finsternis aus der Kammer meines Herzens. Wehre

    denvielen Zerstreuungen, und verjage die Versuchungen, die mir Gewalt antun.Kmpfedu mit Macht fr mich und bezwinge die wilden Tiere, ich meine die lsternenBegierden, "da Friede werde in deiner Kraft" (Ps 122, 7) und dein Lob lautwiderhalle im heiligen Raum des reinen Gewissens. Gebiete den Winden undStrmen, sprich zum Meer: Sei ruhig! und zum Nordwind: Schweige! Und eswirdgroe Stille sein (vgl. Mk 4, 39). "Sende aus dein Licht und deine Wahrheit" (Ps43,

    3), da sie ber der Erde leuchten, denn ich bin "Erde, wst und leer" (v. Gen 1,2),bis du mich erleuchtest. La deine Gnade strmen, netze mein Herz mithimmlischemTau, ffne die Quellen der Andacht, da sie "das Antlitz der Erde bewssern"(Gen 2,6) und gute, ja beste Frchte hervorbringen. Richte mein von der Last derSndengebeugtes Gemt wieder auf und ziehe all mein Sehnen zum Himmlischen

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    empor,da ich die Wonnen der berirdischen Seligkeit verkoste und mi r die Freudevergehe,an Irdisches zu denken. Entziehe mich, ja entreie mich allem vergnglichenTrost

    der Geschpfe; denn nichts Geschaffenes ist imstande, meinen Hunger ganz zustillenund mir zu einer Quelle des Trostes zu werden. Verbinde mich dir dur ch dasunlsliche Band der Liebe; denn du allein gengst dem, der liebt. Auer dir istallesohne Reiz.

    KAPITEL 24Nicht neugierig im Leben eines anderen herumforschen

    1. Kmmere dich nicht unntig um das Tun und Lassen anderer.2. Jage nicht nach der Gunst der Menschen, sondern sehne dich nach dem stillenKommen Gottes.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, sei nicht neugierig und mache dir keine unntigenSorgen."Was kmmert dich dieses oder jenes? Du folge mir" (Joh 21, 22). Was geht esdichan, ob dieser so oder anders ist, ob jener so oder so handelt und spricht? Du hastnichtntig, fr andere zu antworten, ber dich selbst aber wirst du Rechenschaftablegen.Weshalb also mengst du dich ein? Siehe, ich kenne sie alle, und ich sehe alles,wasunter der Sonne geschieht. Ich wei, wie es mit einem jeden steht, was er denkt,waser will und wohin seine Absicht zielt. berla darum alles mir, bewahre dirselbst

    den rechten Frieden und la den Menschen treiben, was er will. Was immer ertutoder sagt, wird ber ihn kommen. Tuschen kann er mich nicht.2. Sorge dich also nicht um den Schatten eines groen Namens, nicht um dieFreundschaft vieler Menschen noch um die besondere Liebe einzelner. Denn dasverursacht nur Zerstreuung und groe Verfinsterung des Herzens. Ich wrdegernmein Wort an dich richten und dir von meinen Geheimnissen mitteilen, wenn du

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    nursorgsam auf mein Kommen achten und mir das Tor zu deinem Herzen ffnenwolltest. Sei darum behutsam, wache, bete und "demtige dich in allem" (Sir3,20; 1Petr 4,7).

    KAPITEL 25Das Geheimnis von innerem Frieden und Fortschritt

    1. Der Geduldige, der auf Gott hrt und nichts sucht als Gott, hat den Frieden.2. Einen Frieden ohne jedes Leid gibt es auf Erden nicht.3. Achte auf Gottes Willen, sei selbstlos, leidbereit, bescheiden, und dein FriedeundFortschritt sind echt.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, ich habe gesagt: "Den Frieden hinterlasse ich euch,meinenFrieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch" (Joh 14,27).Jeder sehnt sich nach Frieden, aber nicht jeder bemht sich um das, was zumwahrenFrieden gehrt. Mein Friede wohnt bei denen, "die demtigen und sanftmtigenHerzens sind" (Mt 11, 29). Sei ganz geduldig, und der Friede ist dein. Wenn duaufmich hrst und meiner Stimme folgst, kannst du tiefen Frieden genieen.(Der Knecht:) Was soll ich denn tun? (Der Herr:) Achte in allen Dingen auf dichselbst, auf das, was du tust und was du sprichst. Richte deine Absicht nur auf daseine: da du mir allein gefllst und auer mir nichts begehrs t oder suchst. Wasanderetun oder reden, wolle nicht leichtfertig beurteilen. Misch dich auch nicht inDingeein, die dich nichts angehen. So kann die Unruhe kaum oder gar nicht an dichheran.

    2. Niemals eine Beunruhigung empfinden und keinerlei seelische oderkrperlicheBeschwerde erleiden, das gehrt nicht der gegenwrtigen Zeit an, sondern demStande der ewigen Ruhe. Glaube also nicht, du httest den wahren Friedengefunden,wenn dich nichts mehr bedrckt, oder dann sei alles gut, wenn du keinen Gegnerzuertragen hast, oder das sei schon Vollkommenheit, wenn alles nach deinen

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    Wnschengeht.3. Komme dir auch nicht gro oder besonders begnadet vor, wenn du einmalgroeAndacht und Wonne versprst. Denn daran erkennt man den wahren Freund der

    Tugend nicht. Der Fortschritt und die Vollkommenheit des Menschen bestehennichtin diesen Dingen.(Der Knecht:) Worin denn, Herr? (Der Herr:) Darin, da du dich mit ganzemHerzendem gttlichen Willen anbietest, da du nicht das Deinige suchst, weder imKleinennoch im Groen, weder in der Zeit noch in der Ewigkeit und da du im GlckundUnglck gleichmtig und dankbar ausharrst, alles mit gleicher Waage messend.

    Wenn du ein so starkes, anhaltendes Vertrauen hast, da du nach Entziehung desinneren Trostes bereit bist, noch grere Beschwerden zu ertragen, wenn dudichnicht beklagst, als htten diese groen Leiden nicht ber dich kommen drfen,wenndu mich in allen meinen Anordnungen rechtfertigst und mein heiliges Tun imLobebesingst, dann wandelst du auf dem wahren und geraden Wege zum Frieden.Danndarfst du sicher hoffen, da du wieder "mein Antlitz mit Frohlocken schauen

    wirst"(v. Ijob 33,26). Bist du zur vollen Selbstverachtung gelangt, dann wisse, da dueinenberreichen Frieden genieen wirst, soweit das bei einem Pilger dieser Erdemglichist.

    KAPITEL 26Von der berragenden Wrde des freien Geistes, die eher durch demtigesGebet als durch Lektre erreicht wird

    1. Der Geist erhebt sich frei und leicht zum Himmlischen, wenn er sich derWelt,den ngstlichen Lebenssorgen und den Folgen der Erbsnde mglichst entzieht..2. Diese innere Freiheit erwirbt man besonders durch Gebet.

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    1. (Der Knecht:) Herr, das ist wohl das vollkommene Leben des Menschen,wennsein Geist nie ermattet in der Betrachtung himmli scher Dinge und er sich mittenin

    den vielen Sorgen gleichsam sorgenlos bewegt. Nicht nach der Weise einesGleichgltigen, sondern nach einem gewissen Vorrecht, das der freie Geistbesitzt,indem dieser keinem Geschpfe in ungeordneter Zuneigung anhngt. I ch bittedich,mein guter Gott, bewahre mich vor den Sorgen dieses Lebens, da ich nichtallzusehrin sie verstrickt, vor den vielen Nten des Leibes, da ich nicht von derGenusuchterfat werde, vor all den Hemmnissen der Seele, da ich nicht unter der Last der

    Mhen erliege. Ich bitte nicht gerade um Schutz vor jenen Dingen, auf dieweltlicheEitelkeit ihr ganzes Begehren richtet. Aber vor jenem Elend schtze mich, dasdemallgemeinen Fluch der Sterblichkeit zufolge die Seele deines Dieners als Strafebeschwert und behindert. Ich bin sonst nicht imstande, mich nach Belieben zurFreiheit des Geistes aufzuschwingen.2. Mein Gott, meine Wonne, fr die es keine Worte gibt! Verwandle mir inBitterkeitallen irdischen Trost, alles, was mich von der Liebe zum Ewigen ablenkt. La

    mirbitter werden alle zeitlichen schillernden Gter, die mein Auge trgerischfesseln.Mein Gott, verhte, da Fleisch und Blut ber mich siegen, da die Welt undihrekurze Herrlichkeit mich tuscht, und da der Teufel mit seiner Argli st mich zuFallbringt. Gib mir Kraft zum Widerstehen, Geduld zum Ertragen, Festigkeit zumAusharren! Statt aller Trstungen der Welt schenke mir die wohltuende Salbungdeines Geistes, und statt aller sinnlichen Liebe giee mir die Liebe zu deinem

    Namenein. Siehe, Speise, Trank, Kleidung und was sonst zur Erhaltung des Leibesgehrt,sind dem geistentbrannten Menschen lstig. La mich dieses alles mit Magebrauchen, ohne Gier, ohne mich in ihnen zu verstricken. Alles einfach abtundarfman nicht, denn die Natur will erhalten werden: Aber den berflu suchen unddas,was mehr der Genusucht dient, verbietet ein heiliges Gesetz; denn sonst wrde

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    sichder Leib gegen den Geist erheben. Deine Hand geleite mich auf allen diesenWegenund belehre mich; das ist meine Bitte. Lehre mich rechte Mahaltung.

    KAPITEL 27Die Eigenliebe hindert den Fortschritt zum hchsten Gut hin

    1. Kennzeichen der Eigenliebe sind: Habsucht, Ehrsucht, Ruhmsucht,Ausgegossenheit.2. Ich bete um seelische Luterung und um die Weisheit des Himmels.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, du mut dich ganz fr das Ganze hingeben und innichtsdir selbst gehren. Wisse, da die Selbstliebe dir mehr schadet als irgend etwasin derWelt. Je nach der Liebe und Neigung, die du hegst, hngt dir jedes Ding mehroderweniger an. Ist deine Liebe rein, einfltig und wohlgeordnet, werden die Dingedichnicht gefangen halten. Begehre nicht, was du nicht haben darfst, und wolleniemalshaben, was dich behindern und dir die innere Freiheit rauben kann. Es ist zuwundern,da du dich mir nicht aus der ganzen Tiefe deines Herzens anvertraust samtallem,was du begehren oder besitzen kannst. Warum verzehrst du dich in nutzloserQual?Was mhst du dich ab mit unntzen Sorgen? Suche mein Wohlgefallen, und duwirstkeinen Schaden erleiden. Begehrst du dieses oder jenes und mchtest du einmalhier,einmal dort sein, um es besser und annehmlicher zu haben, so wirst du nie zur

    Ruhekommen und auch nie ohne Sorgen sein. Allen Dingen haftet irgendein Mangelan,und berall findet sich ein Widersacher. Es hat wenig Bedeutung, irgendeinenueren Wert zu erwerben oder zu vergrern. Besser ist es, ihn zu verachtenund ihnsamt seinen Wurzeln aus dem Herzen zu reien. Das gilt nicht nur von Geld undGut,

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    sondern auch von der Ehrsucht und Ruhmsucht. Alles dieses vergeht mit derWelt.Der Ort schtzt wenig, wenn es dir am Feuer des Geistes gebricht, und derFriede,den du drauen suchst, ist nicht von langer Dauer. Sein festes Fundament ist die

    innere Verfassung des Herzens. Das will sagen: Wenn du nicht in mir stehst,kannstdu dich zwar verndern, aber nicht bessern. Denn sobald sich dir einwillkommenerAnla bietet, findest du wieder, wovor du geflohen bist, ja noch mehr.2. Gebet um Reinigung des Herzens und um himmlische Weisheit(Der Knecht:) Strke mich, O Gott, durch die Gnade des Heiligen Geistes. "GibmirKraft, da ich stark werde dem inneren Menschen nach" (Eph 3, 16), da meinHerz

    alle unntze Sorge und Angst abwirft und da ich kein Spielball meiner vielenBegierden werde, die heute nach wertlosen Dingen, morgen nach Kostbarkeitenverlangen. ffne mir die Augen fr die Vergnglichkeit alles Irdischen, auchdafr,da ich selber wie alle Dinge nur ein vorbergehendes Dasein habe. Nichts ist javonDauer unter der Sonne. "Alles ist Eitelkeit und Drangsal des Geistes" (Koh 1,14).Wie weise ist, wer so denkt! Herr, schenke mir die himmlische Weisheit, da ichlerne, dich ber alles zu suchen, zu finden, zu verkosten und zu lieben, alles

    andereaber so zu werten, wie es deiner weisen Ordnung entspricht. Gib, da ich demSchmeichler ausweiche und die Widersacher geduldig ertrage. Denn das ist hoheWeisheit, sich nicht von jedem Winde der Worte bewegen zu lassen, noch dersndhaft schmeichelnden Rede das Ohr zu ffnen. Nur so schreit et man auf demeingeschlagenen Wege sicher vorwrts.

    KAPITEL 28Wider die Zungen der Verleumder

    1. Halte dich fr noch schlechter und betrachte das Geschwtz im brigen alsbedeutungslos.2. Erwidere alles mit Schweigen.3. Begehre niemandem zu gefallen.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, nimm es nicht so schwer, wenn manche schlecht von

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    dirdenken, wenn sie von dir erzhlen, was du nicht gern hrst. Du mut selber nochschlechter von dir denken und keinen fr schwcher halten als dich selbst. Wennduein innerliches Leben fhrst, wirst du den Worten, die da flchtig hingeworfen

    werden, kein Gewicht beimessen.2. Es ist keine geringe Klugheit, in bsen Tagen zu schweigen und sich nachinnen zumir zu kehren, ohne sich durch ein Menschenurteil verwirren zu lassen. DeinFriedegrnde nicht auf dem Geschwtz der Menschen. Ob sie dich gut oder schlechtbeurteilen, so bist du deshalb kein anderer Mensch. Wo ist wahrer Friede,wahrerRuhm? Sind sie nicht in mir allein zu Hause?3. Wer nicht begehrt, den Menschen zu gefal len, und nicht frchtet, ihnen zu

    mifallen, geniet einen tiefen Frieden. Aus ungeordneter Liebe undunbegrndeterFurcht entspringt alle Unruhe des Herzens und Zerstreuung der Sinne.

    KAPITEL 29Wie Gott im Leid anzurufen und zu preisen ist

    1. Die Leiden kommen von Gott und dienen zu seiner Verherrlichung.2. Halte in Geduld aus! Gott hilft dir.

    1. (Der Knecht:) "Herr, dein Name sei gepriesen in Ewigkeit!" (Tob 3,11). Duhastdiese Anfechtung und Bedrngnis gewollt; sie sollte ber mich kommen. Ichkann ihrnicht entrinnen, doch habe ich ntig, zu dir meine Zuflucht zu nehmen. Du mutmirhelfen und die Sache zum Guten wenden. Herr, ich befinde mich augenblicklichin

    Not, und meinem Herzen ist nicht wohl. Ich fhle mich vom gegenwrtigen Leidhartgetroffen. Und nun, geliebter Vater, "was soll ich sagen?" (Joh 12,27). DieAngst hatmich von allen Seiten erfat. "Errette mich aus dieser Stunde, doch eben deshalbkamich wohl in diese Stunde, da du verherrlicht wrdest (Joh 12, 27). Ich sollteeine

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    tiefe Demtigung erleiden, um dann von dir gerettet zu werden. "Mge es dirgefallen, Herr, mich zu befreien" (Ps 40, 14). Was kann ich Armer tun, undwohinsoll ich gehen ohne dich? Gib Geduld, Herr, auch dieses Mal. "Hilf mir, meinGott"

    (Ps 109, 26), und keine Kreuzeslast wird mich niederbeugen.2. Was soll ich unterdessen sagen? Herr, "dein Wille geschehe" (Mt 26, 42), ichhabedie Leiden und Plagen wohl verdient. Ich mu aushalten, ja ich soll in Gedulddurchhalten, bis sich der Sturm gelegt hat, und es besser wird. Deine allmchtigeHand ist stark genug, auch diese Versuchung von mir zu nehmen und ihreGewalt zumildem, damit ich nicht vllig erliege. Wie oft schon hast du frher so an mirgetan,"mein Gott, mein Erbarmer" (Ps 59, 18)! Und je schwerer sie mir wird, desto

    leichterist "die Wendung durch die Rechte des Allerhchsten" (Ps 77,11).

    KAPITEL 30Um Gottes Hilfe beten und darauf vertrauen, die Gnade wiederzuerlangen1. Suche die Hilfe nur bei mir.2. Setze deine Hoffnung nicht auf die ungewisse Zukunf t.3. In Widerwrtigkeiten bin ich dir nicht fern, ich prfe dich nur. Das ist meinRecht.Denke an die Apostel.

    1. (Der Herr:) Mein Sohn, ich bin der Herr, "der Kraft verleiht am Tage der Not"(Nah 1, 7). Komm nur zu mir, wenn es dir nicht gut geht. Das ist der Grund, derdieTrstungen des Himmels zumeist verhindert, da du dich so sumig zum Gebetewendest. Denn bevor du mich ernstlich anrufst, suchst du inzwischen mancherleianderen Trost und erquickst dich an ueren Dingen. Und so kommt es, daalles nurwenig ntzt, bis du erkennst, da ich es bin, der jene, die auf mich hoffen,errettet,und da es auer mir keine nennenswerte Hilfe, keinen ntzlichen Rat und frdieDauer kein Heilmittel gibt. Doch nun, da du nach dem Sturm wieder zu dirgekommen bist, fasse Mut im Blick auf meine erbarmende, groe Liebe. Dennichbin nahe, spricht der Herr, um alles wieder herzustellen, nicht nur so, wie esgewesen,sondern sogar im berflu und berma. "Fllt mir denn irgend etwas schwer?"

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    (Jer32, 27). Oder gleiche ich einem, der spricht und sein Wort doch nicht hlt"(Num 23,19)? Wo ist dein Glaube? Stehe fest und unerschtterlich! Sei langmtig, sei einHeld! Der Trost wird dir zur rechten Stunde zuteil. Harre meiner! Harre! "Ich

    werdekommen und dich heilen" (Mt 8,7).2. Eine Versuchung ist es, die dich plagt, eine leere Angst, die dich erschreckt.Wasbringt dir die Sorge um mgliche zuknftige Dinge anders ein als Trauer berTrauer? "Es genge dem Tage seine Plage" (Mt 6, 34). Tricht ist es und unntz,sichber Knftiges, das vielleicht niemals eintritt, zu ngstigen oder zubeglckwnschen. Aber es ist menschlich, sich von derartigen Einbildungentuschen

    zu lassen, und das Zeichen eines kleinen Geistes, der Einflsterung des Bsen soleicht nachzugeben. Ihm ist es ja gleich, ob er dich mit Wahrheit oder Lgehintergeht und irrefhrt, ob dich die Liebe zum Gegenwrtigen oder die Furchtvordem Knftigen zu Fall bringt.3. Dein "Herz zage also nicht und erschrecke nicht" (Joh 14, 1.27). Glaube anmichund vertraue meiner Barmherzigkeit. Wenn du meinst, du seiest fern von mir,bin ichdir oft um so nher. Whrend du fast alles fr verloren hltst, steht dir oft ein

    grerer Lohn bevor. Es ist nicht alles verloren, wenn eine Sache ins Gegenteilumschlgt. Du darfst nicht nach deinem augenblicklichen Empfinden urteilen,nochdurch eine Schwierigkeit, woher sie auch kommt, dich so bengstigen undeinschchtern lassen, als sei alle Hoffnung auf Rettung dahin. Glaube nicht, duseiestganz verlassen, wenn ich dir zeitweise ein Leiden sende oder auch denerwnschtenTrost entziehe. Denn so geht man ins Himmelreich. Es ntzt dir und meinenbrigen

    Dienern zweifellos mehr, da ihr durch Widerwrtigkeiten geprft werdet, alswennalles nach eurem Wunsche geht. Ich kenne d ie geheimen Gedanken, ich wei,da dudein Heil besser wirkst, wenn dir zuweilen die Trstung entzogen wird. Dumchtestdich sonst bei guten Erfolgen berheben und dir selbst gefallen in dem, was dunichtbist. Was ich gegeben habe, kann ich wieder nehmen und kann es wieder

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    zurckerstatten, wenn es mir gefllt. Wenn ich es gebe, bleibt es mein; wenn ichesnehme, greife ich das Deine nicht an, denn mein ist "jede gute Gabe und jedesvollkommene Geschenk" (Jak 1, 17). Schicke ich dir ein Leid oder irgendei neWiderwrtigkeit, werde nicht unwillig und mutlos. Ich kann dich schnell wieder

    aufrichten und alle Last in Freude verwandeln. Aber ich bin gerecht und allenLobeswert, wenn ich so mit dir verfahre. Wenn du die rechte Einsicht hast undwahrheitsgem urteilst, darfst du niemals wegen einer Widerwrtigkeitniedergeschlagen und traurig werden, sollst vielmehr froh sein und danken, jageradedas als deine einzige Freude ansehen, wenn ich "dich mit Schmerzen heimsuche,ohne deiner zu schonen" (Ijob 6,10). "Wie mich der Vater geliebt hat, so liebeicheuch", sprach ich zu meinen lieben Jngern (Joh 15,9). Ich habe sie nicht zum

    Genusse zeitlicher Freuden ausgesandt, sondern zu schwerem Kampfe, nicht zuEhrungen, sondern zu Schmhungen, nicht zum Miggang, son dern zur Arbeit,nicht zum Ausruhen, sondern zum "Fruchtbringen in Geduld" (Lk 8, 15). MeinSohn,bleib dieser Worte eingedenk!

    KAPITEL 31Sich vom Geschaffenen loslsen, um den Schpfer finden zu knnen

    1. Das Geschaffene hindert die Gottvereinigung; ich mu mich, soweit mglich,vonihm lsen.2. Die ganze Loslsung ist das Werk einer groen Gnade.3. Jeder hngt am uerlichen, das uere wird beachtet, das Innere kaum.

    1. (Der Knecht:) Herr, ich bedarf wohl noch grerer Gnade, wenn ich dahingelangen soll, da kein Mensch und kein Geschpf imstande ist, mir einHemmnis zu

    sein. Denn solange mich noch irgend etwas zurckhlt, kann ich mich nicht freizudir emporschwingen. "Wer gibt mir Schwingen gleich der Taube? Ich mchteentfliegen und Ruhe finden" (Ps 55, 7). Der so sprach, wollte ungehemmtempor.Was ist ruhiger als ein Auge ohne Arg? Was ist freier als ein Herz, das nichtsaufErden begehrt? Man mu also die ganze geschpfliche Welt berschreiten, sich

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    selbstvollkommen verlassen, in tiefer Geistessammlung verharren und zu der Einsichtkommen, da du, der Schpfer des Alls, mit den Geschpfen nichts gemein hast.Wernicht von allen Geschpfen lt, kann nicht in Freiheit dem Gttlichen

    zustreben.2. Darum finden sich nur wenige beschauliche Menschen, weil nur wenige esverstehen, sich von allem Vergnglichen und Geschaffenen vllig zu lsen.Dazubedarf es einer groen Gnade, welche die Seele erhebt und ber sich selbstemporreit. Ist der Mensch nicht im Geiste erhoben, hat er nicht alles Irdisch eabgetan und sich gnzlich mit Gott vereinigt, so mag er wissen und besitzen wasimmer, es ist weiter nicht von Belang. Der wird noch lange klein bleiben und anderErde kleben, der auer dem einen, unermelichen, ewigen Gut noch irgend

    etwas frgro hlt. Alles, was nicht Gott ist, ist nichts und mu fr nichts gehaltenwerden. Esist ein groer Unterschied zwischen der Weisheit eines erleuchteten, frommenMenschen und dem Wissen eines belesenen, eifrigen Klerikers. Weit edler istjeneWeisheit, die da von oben aus gttlicher Eingebung quillt, als das Wissen, dasmansich in mhsamer Geistesarbeit erwirbt. Es gibt nicht wenige, die nachBeschaulichkeit verlangen, aber sie rhren keinen Finger, um zu tun, was dazu

    erforderlich ist. Ein groes Hindernis ist, da man bei Zeichen und sinnflligenDingen stehenbleibt und viel zu unabgettet lebt.3. Ich wei nicht, was es ist, welcher Geist uns leitet, und was wir eigentlichwollen,da wir, die doch, wie es scheint, fr Geistesmenschen angesehen werden, sosehrviel Mhe und noch mehr Sorge an vergngliche und belanglose Dingeverschwenden und ber unser inneres Leben nur selten einmal ganz gesammeltnachdenken. Wie schmerzlich zu denken! Kaum haben wir uns ein weniggesammelt,

    da strzen wir uns wieder nach auen und unterlassen es, unser Tun einergewissenhaften Prfung zu unterziehen. Wir beachten nicht, wo unsereNeigungenwurzeln, und fr all das Unreine in uns haben wir keine Trne. "Alles Fleischhatseinen Weg verdorben" (Gen 6, 12), und deshalb brach die groe Sintflut herein.Istunsere innere Neigung ganz verderbt, so ist notwendig auch das Tun verderbt,das aus

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    ihr folgt; es macht deutlich, da es an innerer Kraft gebricht und verdorben ist.Ausreinem Herzen spriet die Frucht eines guten Lebens. Was einer leistet, das wirdgefragt. Welche sittliche Kraft ihn dazu an treibt, darber macht man sichweniger

    Gedanken. Ob einer tapfer, reich, schn, umgnglich, ob er ein guter Schreiber,einguter Snger, ein guter Arbeiter ist, das sucht man festzustelle n. Aber wie armimGeiste, wie geduldig, wie sanftmtig, wie fromm und innerlich er ist, darberschweigen viele. Die Natur sieht auf das uere des Menschen, die Gnadewendetsich dem Inneren zu. Jene unterliegt oft der Tuschung, diese hofft auf Gott, umnichteiner Tuschung zu verfallen.

    KAPITEL 32Selbstverleugnung und Absage an alle Begierlichkeit

    1.La ab von allem, wozu dich die Begierde drngt.2.Schrecke nicht vor dem Weg der Vollendung zurck; um ihn gehen zu knnen,erbitte dir meine Weisheit.1.(Der Herr:) Mein Sohn, du kannst keine vollkommene Freiheit besitzen, wenndu nicht gnzlich dich selbst verleugnest.