Thüringer Landtag Plenarprotokoll 3 3. Wahlperiode 23. Mai ... · Ich bin allen dankbar, den...

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Thüringer Landtag Plenarprotokoll 3/63 3. Wahlperiode 23. Mai 2002 63. Sitzung Donnerstag, den 23. Mai 2002 Erfurt, Plenarsaal Regierungserklärung des Ministerpräsidenten 5288 "Der 26. April 2002 und die Konsequenzen" Die Regierungserklärung wird durch den Ministerpräsidenten Dr. Vogel abgegeben. Nach der Aussprache zur Regierungserklärung wird der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU, PDS und SPD - Drucksache 3/2451 - einstimmig angenommen. a) Erstes Gesetz zur Änderung des 5304 Thüringer Sparkassengesetzes Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/2423 - ERSTE BERATUNG b) Thüringer Gesetz zu dem Staats- 5304 vertrag zur Änderung des Staatsver- trages über die Bildung einer gemein- samen Sparkassenorganisation Hessen-Thüringen Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/2425 - ERSTE BERATUNG Nach Begründungen und gemeinsamer Aussprache werden die Gesetzentwürfe der Landesregierung - Drucksachen 3/2423 und 3/2425 jeweils an den Haushalts- und Finanzausschuss - federführend - und den Innenausschuss überwiesen. Thüringer Gesetz zur Änderung forst- 5309 und naturschutzrechtlicher Regelungen Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/2434 - ERSTE BERATUNG Nach Begründung und Aussprache wird der Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/2434 - an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen. Eine beantragte Überweisung an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt und den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik wird jeweils mit Mehrheit abgelehnt.

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Thüringer Landtag Plenarprotokoll 3/63 3. Wahlperiode 23. Mai 2002

63. Sitzung

Donnerstag, den 23. Mai 2002

Erfurt, Plenarsaal

Regierungserklärung des Ministerpräsidenten 5288"Der 26. April 2002 und die Konsequenzen"

Die Regierungserklärung wird durch den Ministerpräsidenten Dr. Vogel abgegeben.Nach der Aussprache zur Regierungserklärung wird der Entschließungsantrag derFraktionen der CDU, PDS und SPD - Drucksache 3/2451 - einstimmig angenommen.

a) Erstes Gesetz zur Änderung des 5304Thüringer SparkassengesetzesGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2423 -ERSTE BERATUNG

b) Thüringer Gesetz zu dem Staats- 5304vertrag zur Änderung des Staatsver-trages über die Bildung einer gemein-samen SparkassenorganisationHessen-ThüringenGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2425 -ERSTE BERATUNG

Nach Begründungen und gemeinsamer Aussprache werden die Gesetzentwürfe derLandesregierung - Drucksachen 3/2423 und 3/2425 jeweils an den Haushalts- undFinanzausschuss - federführend - und den Innenausschuss überwiesen.

Thüringer Gesetz zur Änderung forst- 5309und naturschutzrechtlicher RegelungenGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2434 -ERSTE BERATUNG

Nach Begründung und Aussprache wird der Gesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2434 - an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undForsten überwiesen.

Eine beantragte Überweisung an den Ausschuss für Naturschutz und Umwelt undden Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik wird jeweils mit Mehrheitabgelehnt.

5282 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Drittes Gesetz zur Änderung des 5320Thüringer SpielbankgesetzesGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2424 -ERSTE BERATUNG

Nach Begründung und Aussprache wird der Gesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2424 - an den Innenausschuss - federführend - und an den Haus-halts- und Finanzausschuss überwiesen.

Eine beantragte Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheitwird mit Mehrheit abgelehnt.

Drittes Gesetz zur Änderung des 5324Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-ausführungsgesetzesGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2450 -ERSTE BERATUNG

Nach Begründung und Aussprache wird der Gesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2450 - an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit- federführend - und an den Haushalts- und Finanzausschuss überwiesen.

Fragestunde 5330

a) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Klaus (SPD) 5330 Zecken in Thüringen - Drucksache 3/2361 -

wird von Minister Dr. Pietzsch beantwortet.

b) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Müller (SPD) 5330 Ortsumfahrung Ringleben-Artern (L 1172) - Drucksache 3/2391 -

wird von Minister Schuster beantwortet. Zusatzfrage.

c) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Klaubert (PDS) 5331 Bearbeitung eines Fördermittelantrags der Städtischen Wohnungsgesellschaft Altenburg mbH (SWG) durch das Thüringer Landesverwaltungsamt - Drucksache 3/2392 -

wird von der Abgeordneten Sedlacik vorgetragen undvon Minister Köckert beantwortet.

d) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Heß (SPD) 5332 Betreutes Wohnen - Drucksache 3/2414 -

wird von Minister Dr. Pietzsch beantwortet.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5283

e) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Wildauer (PDS) 5333 Erhöhung der Gebühren bei der Wasserver- und Abwasser- entsorgung durch den Wechsel von der aufwands- zur kostendeckenden Rechnung - Drucksache 3/2415 -

wird von Minister Köckert beantwortet. Zusatzfragen.

f) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Sedlacik (PDS) 5334 Ausgleich für Grundsteuermindereinnahmen der Gemeinde Mülverstedt durch die Einbringung von Grundstücken in den Nationalpark Hainich - Drucksache 3/2416 -

wird von Minister Dr. Sklenar beantwortet.

g) Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Seela (CDU) 5335 Hausbesuche des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) und Schreiben der Hauptabteilung Finanzen der Ab- teilung Rundfunkgebühren des MDR - Drucksache 3/2437 -

wird von Staatssekretär Ströbel beantwortet.

h) Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Heß (SPD) 5335 Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) im Bereich des Sports - Drucksache 3/2433 -

wird von Minister Schuster beantwortet. Zusatzfragen.

Aktuelle Stunde 5337

a) auf Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: 5337"Haltung der Landesregierung im Bundesratzum Gesetz zur tariflichen Entlohnung beiöffentlichen Aufträgen und zur Einrichtungeines Registers über unzuverlässige Unternehmen"Unterrichtung durch die Präsidentindes Landtags- Drucksache 3/2407 -

b) auf Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: 5342"Aufmarsch extremer Gruppen in Thüringen -gesetzgeberischer Handlungsbedarf im Ver-sammlungsrecht"Unterrichtung durch die Präsidentindes Landtags- Drucksache 3/2436 -

Aussprache

Umsetzung des Wanderfischprogramms 5348Antrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/2349 -

Ohne Begründung durch den Antragsteller erstattet Minister Dr. Sklenar einenSofortbericht zu dem Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 3/2349 -.

5284 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Auf Verlangen der Fraktion der SPD findet gemäß § 106 Abs. 1 GO eine Aussprachezu dem Bericht der Landesregierung statt.

Die Erfüllung des Berichtsersuchens zu dem Antrag der Fraktion der SPD - Druck-sache 3/2349 - wird gemäß § 106 Abs. 2 GO festgestellt.

Maßnahmen gegen die Abwanderung 5354junger Menschen aus ThüringenAntrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/2350 -

Nach Begründung und Aussprache werden die beantragten Überweisungen an denAusschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik, an den Ausschuss für Soziales,Familie und Gesundheit und an den Gleichstellungsausschuss jeweils mit Mehrheitabgelehnt.

Der Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 3/2350 - wird mit Mehrheit abgelehnt.

Unterstützung der Bewerbung Leipzigs als 5367Austragungsort der Olympischen Spiele 2012Antrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/2351 -

Nach Begründung und Aussprache wird der Antrag der Fraktion der SPD - Druck-sache 3/2351 - mit Mehrheit abgelehnt.

Unruhe im Katasterwesen 5371Antrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/2352 -

Nach Begründung und Aussprache wird der Antrag der Fraktion der SPD - Druck-sache 3/2352 - einstimmig angenommen.

Medienstandort Thüringen 5377Antrag der Fraktion der PDS- Drucksache 3/2426 -

Ohne Begründung durch den Antragsteller erstattet Staatssekretär Ströbel einenSofortbericht zu dem Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/2426 -. Auf Ver-langen der Fraktion der PDS findet gemäß § 106 Abs. 1 GO eine Aussprache zudem Bericht der Landesregierung statt.

Der Antrag der Fraktion der PDS auf Fortsetzung der Beratung zu dem Bericht derLandesregierung im Ausschuss für Bildung und Medien wird mit Mehrheit abgelehnt.

Die Erfüllung des Berichtsersuchens zu dem Antrag der Fraktion der PDS - Druck-sache 3/2426 - wird gemäß § 106 Abs. 2 GO festgestellt.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5285

Am Regierungstisch:

Ministerpräsident Dr. Vogel, die Minister Gnauck, Köckert, Dr. Krapp, Dr. Pietzsch,Schuster, Dr. Sklenar, Trautvetter

Rednerliste:

Präsidentin Lieberknecht 5287, 5288, 5293, 5297, 5298, 5300, 5343, 5344, 5345, 5347, 5348, 5350, 5352, 5353, 5354, 5355, 5357, 5360Vizepräsidentin Ellenberger 5323, 5325, 5326, 5328, 5329, 5330, 5331, 5332, 5333, 5334, 5335, 5336, 5337, 5338, 5339, 5340, 5341, 5342, 5383, 5385, 5386, 5387Vizepräsidentin Dr. Klaubert 5303, 5305, 5307, 5308, 5309, 5310, 5312, 5314, 5317, 5318, 5319, 5320, 5321, 5322, 5361, 5362, 5364, 5365, 5366, 5367, 5368, 5369, 5370, 5371, 5372, 5373, 5375, 5376, 5377, 5380, 5381Althaus (CDU) 5300Bechthum (SPD) 5360Bergemann (CDU) 5339Dr. Botz (SPD) 5313, 5352Dittes (PDS) 5347, 5376Doht (SPD) 5319Fiedler (CDU) 5323, 5372Gentzel (SPD) 5297, 5298Gerstenberger (PDS) 5336Grob (CDU) 5367Dr. Hahnemann (PDS) 5344, 5373Heß (SPD) 5332, 5335, 5336Huster (PDS) 5363Kallenbach (CDU) 5337Dr. Kaschuba (PDS) 5383, 5386Dr. Klaus (SPD) 5330T. Kretschmer (CDU) 5357, 5366Kummer (PDS) 5317, 5319, 5350, 5351Lippmann (SPD) 5341, 5342Mohring (CDU) 5308Dr. Müller (SPD) 5307, 5330, 5331, 5337Nitzpon (PDS) 5310, 5367, 5368, 5385Nothnagel (PDS) 5355Panse (CDU) 5326Pelke (SPD) 5328, 5354, 5361, 5366, 5367, 5369Dr. Pidde (SPD) 5380Pohl (SPD) 5322, 5371, 5375Ramelow (PDS) 5293, 5338Schemmel (SPD) 5345, 5347Sedlacik (PDS) 5331, 5334Seela (CDU) 5335, 5381, 5386Sonntag (CDU) 5350, 5370Stauch (CDU) 5288Thierbach (PDS) 5321, 5325Dr. Wildauer (PDS) 5305, 5333, 5334B. Wolf (CDU) 5342, 5343, 5344Wunderlich (CDU) 5314, 5317, 5318, 5319, 5353

5286 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Diezel, Staatssekretärin 5304Köckert, Innenminister 5320, 5331, 5333, 5334, 5376Koeppen, Staatssekretär 5345Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie und Gesundheit 5324, 5330, 5332, 5370Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur 5330, 5331, 5336, 5337, 5340, 5342, 5364Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt 5309, 5334, 5348, 5353Ströbel, Staatssekretär 5335, 5377Dr. Vogel, Ministerpräsident 5288

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5287

Die Sitzung wird um 9.04 Uhr von der Präsidentin desLandtags eröffnet.

Präsidentin Lieberknecht:

Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, meine sehrgeehrten Damen und Herren der Landesregierung, sehr ge-ehrte Vertreter der Medien, verehrte Gäste, meine sehrgeehrten Damen und Herren, ich darf Sie am heutigen23. Mai 2002 hier im Plenarsaal des Thüringer Landtagssehr herzlich begrüßen und damit die 63. Plenarsitzungeröffnen.

Es ist das erste Mal, dass wir hier in diesem Saal desPlenums des Thüringer Landtags nach der mörderischenBluttat in dieser Stadt am Erfurter Gutenberg-Gymnasiumzusammentreten. Ich bin dankbar dafür, dass aus diesemAnlass auch Angehörige von unmittelbar Betroffenen, An-gehörige von Opfern dieses für uns noch immer unfass-baren Verbrechens den Weg zu uns gefunden haben. Ihnengelten zu Beginn dieser Plenarsitzung an erster Stelle unserMitgefühl und unsere Anteilnahme. Ich möchte Sie herz-lich grüßen und heiße Sie im Namen aller Abgeordneteneinschließlich der Landesregierung besonders willkom-men. Das Gleiche gilt für den Oberbürgermeister dieserStadt, Herrn Ruge, und seine Frau, die ebenfalls gekom-men sind und denen wir als Parlament ausdrücklich für ihrebenso umsichtiges wie couragiertes Handeln in den dun-kelsten Stunden dieser Stadt zu danken haben. Dabei den-ken wir an alle, die geholfen haben, Lehrerinnen und Leh-rer, Eltern und Schüler, Polizisten und Rettungskräfte,Betreuer und Seelsorger, ihnen allen gilt unser Dank.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als uns gegen Mittagdes 26. April 2002 die ersten Meldungen über Schüsse amGutenberg-Gymnasium erreichten und bange Ungewiss-heit sich immer mehr zur schrecklichen Nachricht verdich-tete und zunächst von zwei Toten, dann von drei Toten -zwei Lehrern und einem Polizisten - die Rede war, war esuns unmöglich, in der normalen Tagesordnung fortzufah-ren. Wir brachen die Sitzung ab. Das ganze Ausmaß diesesfürchterlichen, bis zu diesem Zeitpunkt nie für möglich ge-haltenen Verbrechens mit insgesamt 12 getöteten Lehrerin-nen und Lehrern, einem getöteten Polizisten, einer getötetenSekretärin, zwei getöteten Schülern sowie dem Tod des Tä-ters selbst, sollte uns noch im Verlauf des Nachmittags inerschreckender Weise einholen. Viele von uns sahen sicham Abend des 26. April 2002 und an den darauf folgendenTagen in den Kirchen dieser Stadt, an den Gedenkorten vorder Schule, im Rathaus, auf den Domstufen wieder bis hinzu den beeindruckenden Trauerfeierlichkeiten am 3. Mai2002 mit über 100.000 Menschen auf dem Erfurter Dom-platz. Von einer Stunde zur anderen hat sich Erfurt ver-ändert, ist diese Stadt zusammengerückt in Schmerz undTrauer, aber auch in dem Empfinden, in dem Gespür, dassbei dem, was da passiert ist, auf einmal ganz grundlegendeFragen unseres Menschseins, unseres Zusammenlebens, un-serer Gesellschaft angesprochen sind. Fragen, die uns über

alle sonstigen Kontroversen der Politik, über die Verschie-denheit unserer religiösen oder weltanschaulichen Be-kenntnisse hinweg zusammenführen. Sie führen uns zu-sammen, weil sie uns elementar, ganz gleich, wo wir an-sonsten stehen, was wir ansonsten denken oder tun, getrof-fen haben. Wir sind uns über alle Fraktionen dieses Hausesdarin einig, dass es uns auch heute, fast vier Wochen nachdem entsetzlichen Geschehen, nicht möglich ist, die am26. April 2002 abgebrochene Tagesordnung einfach wiederaufzunehmen. Wir alle halten es für notwendig, vor einerRückkehr zur Tagespolitik - und das heißt auch vor einerRückkehr zur parlamentarischen Auseinandersetzung zwi-schen den Fraktionen, den Fraktionen und der Regierung,vor einer Rückkehr zum Wettbewerb der verschiedenenVorstellungen und Konzepte im politischen Alltag - ge-meinsam innezuhalten und gemeinsam danach zu fragen,was es eigentlich ist, was uns in dieser Gesellschaft zu-sammenhält, was trägt, was Zukunft gibt, Sinn und Orien-tierung. Was ist der Grundbestand gemeinsamer Werte undNormen, ohne die kein Gemeinwesen auf Dauer auskom-men kann? Was ist der Grundbestand gemeinsamer Werteund Normen, für die wir auch bereit sind, gemeinsam alsAbgeordnete dieses Landtags einzustehen und nicht nureinzustehen, sondern auch Vorbild zu sein im Umgangmiteinander und auch vor der Öffentlichkeit dieses Landes.Ich bin allen dankbar, den Fraktionen wie der Landesregie-rung, die sich in den vergangenen Tagen und Wochen dafüreingesetzt haben, dass wir als Thüringer Landtag mit demheutigen Tag ein Zeichen dieses Bemühens setzen wollen.Wir werden dazu eine Regierungserklärung von HerrnMinisterpräsidenten Dr. Vogel hören. Die Vorsitzenden derFraktionen werden dazu sprechen. In einer gemeinsamenEntschließung soll uns dieses Bemühen auch über den Taghinaus begleiten, sozusagen als Fundament, als gemein-samer Bezugspunkt, auch dann, wenn wir in konkretenSachfragen unterschiedliche Positionen beziehen werden.Dieser gemeinsame Schritt des gemeinsamen Innehaltensund Nachdenkens ist uns wichtig, auch als Ausdruck unse-rer stillen Verneigung vor den Opfern, als Ausdruck un-serer Solidarität mit den Angehörigen und als Zeicheneiner Botschaft, die stärker ist als alle Gewalt, die stärker istals dieses unsagbare Verbrechen und aller Tod. In diesemSinne erheben wir uns am Beginn dieser Sitzung von denPlätzen und widmen den Opfern des Gewaltverbrechensam 26. April am Erfurter Gutenberg-Gymnasium ein stillesGedenken.

Ich bitte um diese Minute des Schweigens. Ich dankeIhnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit komme ich nun zueinigen notwendigen Regularien für die heutige und mor-gige Sitzung. Zunächst als Schriftführer haben Platz ge-nommen neben mir Frau Abgeordnete Dr. Wildauer undHerr Abgeordneter Braasch. Frau Abgeordnete Dr. Wil-dauer wird die Rednerliste führen. Für die heutige Sitzunghaben sich entschuldigt Frau Ministerin Prof. Dr. Schi-panski, Herr Minister Dr. Birkmann, Herr Minister Traut-

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vetter, der im Übrigen den Freistaat Thüringen, die Thü-ringer Landesregierung heute im Deutschen Bundestag beider Rede des amerikanischen Präsidenten Bush vertretenwird, Herr Abgeordneter Buse, Frau Abgeordnete Aren-hövel, Herr Abgeordneter Schröter.

Noch ein Hinweis: Im Vorraum haben Sie eine Präsentationder Thüringer Staatskanzlei zur Raumordnung und Landes-planung im Freistaat Thüringen gesehen.

Zur Änderung der Tagesordnung habe ich einiges be-kannt zu geben: Die SPD-Fraktion hat mir signalisiert,dass sie die Punkte 11 und 12 der Tagesordnung in derPlenarsitzung im Juni aufgerufen wissen möchte, wir siealso heute von der Tagesordnung absetzen können.

TOP 15 - Fragestunde: Es kommt eine Mündliche An-frage in Drucksache 3/2437 hinzu.

Die Landesregierung hat angekündigt, dass sie zu TOP 5sowie zu TOP 9 und 10 von der Möglichkeit eines Sofort-berichts gemäß § 106 Abs. 2 unserer GeschäftsordnungGebrauch machen wird.

Dann ist mir signalisiert, es gibt noch Ergänzungen zurTagesordnung. Herr Abgeordneter Stauch, bitte.

Abgeordneter Stauch, CDU:

Frau Präsidentin, wir beantragen zur Aufnahme in dieTagesordnung das "Dritte Gesetz zur Änderung des Thü-ringer Kinder- und Jugendhilfeausführungsgesetzes", Ge-setzentwurf der Landesregierung in Drucksache 3/2450, so-wie den Antrag der CDU-Fraktion in Drucksache 3/2443"Kontakte eines Polizeibeamten zum Rotlichtmilieu".

Präsidentin Lieberknecht:

Gut, für beide Aufnahmen sind Zweidrittelmehrheitenerforderlich aufgrund der Fristen. Es ist mir signalisiertworden, sie seien vorhanden. Ist das der Fall? Einver-ständnis. Dann setzen wir die Punkte auf, den Gesetz-entwurf der Landesregierung am Ende der bereits einge-brachten Gesetzentwürfe, also nach TOP 4, und den An-trag der Fraktion der CDU nach den bereits eingereichtenAnträgen, das heißt, nach dem TOP 10 würden wir danndiese Aufsetzung vornehmen. Weitere Hinweise sehe ichnicht, dann kann ich die Tagesordnung so als festgestelltbetrachten. Es gibt keinen Widerspruch, dann ist diesder Fall und wir können so verfahren.

Ich komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 1

Regierungserklärung des Ministerpräsi-denten "Der 26. April 2002 und dieKonsequenzen"

Der gemeinsame Entschließungsantrag aller Fraktionenwird jetzt in den nächsten Minuten, so hoffe ich, noch

verteilt. Herr Ministerpräsident Dr. Vogel, Sie habendas Wort.

Dr. Vogel, Ministerpräsident:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und HerrenAbgeordneten, am 26. April dieses Jahres wurde am Er-furter Gutenberg-Gymnasium das schrecklichste Ver-brechen seit Wiedergründung des Freistaats Thüringenverübt. Es ist die schlimmste Tat dieser Art, die seit demZweiten Weltkrieg in Deutschland geschehen ist. DasEntsetzen, aber auch unser Mitgefühl und unsere Solida-rität mit den Angehörigen der Opfer und allen anderenBetroffenen halten bis auf den heutigen Tag an.

Ich halte es für meine selbstverständliche Pflicht, in derersten Sitzung nach dieser Bluttat im Namen der Lan-desregierung Ihnen und der Öffentlichkeit zusammen-fassend zu berichten und erste Konsequenzen zu ziehen.

Was geschehen ist, bleibt auch nach den bisherigen Er-mittlungen unfassbar. Ein 19-jähriger Täter hat 12 Lehrer,zwei Schüler, die Schulsekretärin und einen Polizisten er-mordet. Danach hat er sich selbst gerichtet. Weil zahlreicheZeugen von einem weiteren Täter sprachen, eine Geisel-nahme nicht auszuschließen war und sich noch vieleSchüler und Lehrer im Gebäude befanden, mussten Poli-zei- und Rettungskräfte äußerst umsichtig und behutsamvorgehen. Um jede weitere Gefährdung von Menschen-leben zu vermeiden, mussten sie sich von Raum zu Raumvorarbeiten. Den Spezialkräften, die das Gebäude nachmöglichen Mittätern und Geiseln durchsuchten, bot sichein unvorstellbares Bild. Der Täter hatte ein Blutbad an-gerichtet. Notärzte und Rechtsmedizin haben bestätigt, alleOpfer erlitten so schwere Verletzungen, dass sie keineÜberlebenschance hatten.

Über die Motive des Täters wird wahrscheinlich auchnach Abschluss der Ermittlungen keine endgültigeKlarheit herrschen. Fest steht, dass der Täter am Endeder 10. Klasse einen externen Realschulabschluss ange-strebt, die Prüfungen aber vorzeitig abgebrochen hat. Feststeht, dass er die 11. Klasse wegen schwacher schulischerLeistungen auf Bitten seiner Eltern hin freiwillig wieder-holt hat und fest steht, dass er am 5. Oktober 2001 alsSchüler der 12. Klasse das Gutenberg-Gymnasium ver-lassen hat. Er ist wegen unentschuldigten Fehlens undFälschung eines ärztlichen Attestes dem Vorschlag seinerSchule gefolgt, an ein anderes Gymnasium zu wechseln.Sicher ist auch, dass er danach ein Beratungsgespräch mitdem Schulamt geführt hat und zunächst dem ErfurterKönigin-Luise-Gymnasium zugewiesen worden ist. Weiles an dieser Schule in diesem Schuljahr keinen GrundkursPhysik gab, wurde dem Täter ein anderes Gymnasium ge-nannt, dort hat er sich nicht gemeldet. Der Täter wolltenicht, dass seine Eltern informiert werden, er wollte dasselbst tun. Da er volljährig war, hatten Schule und Schul-amt dies zu akzeptieren.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5289

Der Täter war Mitglied eines Erfurter Schützenvereins undhat die Waffen und die Munition für dieses Verbrechen- man muss es leider sagen - offenbar legal erworben.Allerdings ist er seiner Verpflichtung, den Kauf der Waffendem Ordnungsamt anzuzeigen, nicht nachgekommen. Feststeht auch, dass der Täter in großer Zahl Gewaltvideos undGewalt verherrlichende Computerspiele besessen und kon-sumiert hat.

Dieses Verbrechen, der Mord an 16 Menschen, hat inDeutschland, europa- und weltweit tiefe Betroffenheit aus-gelöst. Es hat aber auch in ungewöhnlichem Ausmaß Hilfs-bereitschaft, Zusammengehörigkeitsgefühl und Mit-menschlichkeit deutlich werden lassen. Die Trauerndenin Erfurt und in ganz Thüringen haben eine Welle derSolidarität erfahren.

Wir danken der Polizei, den Rettungskräften, den Ärzten,den Sanitätern, die mutig und engagiert mehr als nur ihrePflicht getan haben. Wir danken den Psychologen undSeelsorgern und jedem, der den Angehörigen, den Schü-lern, den Lehrern und den Eltern über die ersten Stundenhinweg geholfen hat. Wir danken dem Oberbürgermeistervon Erfurt und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Ein nicht abreißender Strom von Mittrauernden hat dieErfurter in den dunklen Tagen nach der Tat nicht alleingelassen. Viele Tausende von Beileidsbekundungen undKondolenzbriefen sind in der Schule, bei der Stadt und beider Landesregierung eingegangen. Über 100.000 Men-schen haben an der Trauerfreier auf dem Erfurter Dom-platz teilgenommen. Das Partnergymnasium in Mainz undSchulen aus ganz Thüringen haben Lehrer nach Erfurtgeschickt, damit der Schulbetrieb wieder aufgenommenwerden konnte. Aus unseren Nachbarländern und vomBund kamen Polizisten, Psychologen, Seelsorger, Be-treuer und Helfer, um nur einige Beispiele zu nennen.

Von einer auf die andere Sekunde war sichtbar, dass es vielmehr Gemeinsamkeit und Gemeinsinn in unserem Volkgibt, als wir das zuvor für möglich gehalten haben. Er-furt ist nicht zum Synonym für eine schreckliche Bluttatgeworden, sondern von dieser Stadt geht auch Hoffnungaus. Ich wiederhole, was ich auf dem Domplatz gesagthabe, die Botschaft von Erfurt heißt: Mitmenschlichkeitist in Deutschland keine verloren gegangene Tugend.

Über Nacht ist aller Tagesstreit hinter dem Verlangen zu-rückgetreten zusammenzustehen, Solidarität zu zeigen undvoller Betroffenheit mitzutrauern. Ich danke den Frak-tionen des Thüringer Landtags, ich danke Frau Landtags-präsidentin Lieberknecht, dass sie vom ersten Augenblickan diese Gemeinsamkeit zu Ihrer Sache gemacht haben undich danke den Repräsentanten der ganzen Bundesrepublik,dass sie nahezu ausnahmslos nach Erfurt gekommen sind.

Unsere Solidarität und unser Mitgefühl galt selbstver-ständlich zuerst den Opfern, den Angehörigen der Opferdieser schrecklichen Tat. Wir haben versucht zu helfen,

wo wir helfen konnten. Ich danke Herrn Dr. Schultz, demehemaligen Präsidenten der Oberfinanzdirektion, dass ersich zur Verfügung gestellt hat, ich danke aber auch vielenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesregierungfür ihren selbstlosen Einsatz.

Inzwischen wurden die Angehörigen, soweit sie eswünschten, über die bisher vorliegenden Erkenntnisse zumTathergang unterrichtet. Für die Betreuung Betroffener undHilfe Suchender wurde eine Hotline eingerichtet, die in denersten Tagen nach der Tat rund 250 Anrufe täglich ver-zeichnet hat. Betreuungsmaßnahmen für traumatisierteSchüler, Lehrer, Polizisten und Helfer wurden sofort durchdas Innenministerium ergriffen. Inzwischen hat das Sozial-ministerium die Hotline und die Betreuung übernommen.

Die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrerund die Eltern haben den Wunsch, möglichst bald wiederin ihr Schulgebäude zurückzukehren. Es soll versucht wer-den, dies nach den Sommerferien zu ermöglichen. In einemErsatzgebäudekomplex, der dem Gutenberg-Gymnasiumzur Verfügung gestellt wurde, ist der Unterricht inzwi-schen, so gut das eben geht, wieder aufgenommen worden.Das Kultusministerium hat eine Anlaufstelle für psycho-logische Beratung von Lehrern und Schülern und für schul-organisatorische Fragen eingerichtet. Für die Abiturientender Schule dieses Jahrgangs hat der Kultusminister indi-viduelle Regelungen vorgesehen und die Abschlüsse wer-den bundesweit anerkannt.

Über den Tathergang, meine Damen und Herren, und dieergriffenen Maßnahmen sind dem Kabinett bisher vomInnen- und vom Justizminister zwei Berichte vorgelegtworden. Die Berichte sind wegen der notwendigen Vorläu-figkeit aller Feststellungen den Fraktionsvorsitzenden ver-traulich zur Kenntnis gegeben worden. Ein dritter Berichtsoll Ende des Monats vorliegen. Wir streben einen vor-läufigen Abschlussbericht, wenn möglich bis zur Sommer-pause, an; er soll veröffentlicht werden.

Der Kultusminister hat Angaben zur Schullaufbahn desTäters veröffentlicht und die so genannten Profiler vonLKA und BKA bereiten ein detailliertes Täterprofil vor.Wir regen einen bundesweiten Erfahrungsaustausch an,weil sich daraus Anregungen für die Tatprävention und dieGewalt- und Kriminalitätsbekämpfung ergeben können.

Noch einmal: Die Tat übersteigt unser Fassungsvermögen.Die Tat ist unbegreiflich, so unbegreiflich wie das Ver-brechen des Amokschützen von Zug in der Schweiz, derdrei Mitglieder der Kantonsregierung und elf Mitgliederdes Kantonsrats tötete, so unbegreiflich wie die Tat inNanterre bei Paris, bei der fast der gesamte Stadtrat er-mordet wurde. Es muss alles Menschenmögliche getanwerden, um ähnliche Taten für die Zukunft auszuschließen.Und doch wissen wir, dass uns Grenzen gesetzt sind;etwas anderes zu sagen, wäre eine Illusion. Das Lebenmuss weitergehen, aber zum Alltag zurückkehren dürfenwir nicht. Die Botschaft von Erfurt, von der ich sprach,

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verpflichtet uns und sie verpflichtet uns mehr zu tun, als nurGesetze zu ändern. Notwendig ist jetzt eine sehr grundsätz-liche und umfassende Debatte: Wie kommt es zu wachsen-der Gewaltbereitschaft? Wie kann Gewalt geächtet wer-den? Warum schwindet der Respekt vor der Würde desmenschlichen Lebens? Wie kann die Achtung vor demLeben des anderen und vor dem eigenen Leben Mord undSelbstmord verhindern? Jährlich begehen in Deutschland1.200 junge Menschen Selbstmord. Wie wehren wir unsgegen Vereinsamung und Entwurzelung? Was sind dieRechte und was sind die Pflichten der Eltern und derFamilie? Was ist die Aufgabe der Schule? Welche Stel-lung haben die Lehrer in unserer Gesellschaft? Gibt esÜbereinstimmung in den Erziehungszielen unserer Schu-len? Welche Werte werden von uns allen anerkannt? Waserwarten wir von den Medien? Die Dimension des Ver-brechens ist ungeheuerlich. Schnelle und darum notwen-digerweise oft oberflächliche Antworten werden ihm nichtgerecht. Die Schülersprecherin des Gutenberg-Gymna-siums hat sehr eindrucksvoll und sehr früh und sehr richtiggesagt, die Ereignisse dürfen nicht zu Aktionismus führen,sie dürfen aber auch keine Lähmung verursachen.

Ich habe, wie Sie wissen, die Fraktionsvorsitzenden ge-beten, im Deutschen Bundestag eine Grundsatzdebatte zuführen. Eine Debatte, die auch den Bundesrat mit ein-bezieht und von der ich mir wünsche, dass sie geführt wirdwie vor einigen Monaten die Debatte über den Import vonStammzellen mit Ernsthaftigkeit, mit Einfühlungsvermö-gen, ohne Polemik und über Fraktionsgrenzen hinweg.Inzwischen ist diese Debatte wohl für Anfang Juli vor-gesehen. Ich bin dankbar, dass der gemeinsame Wille be-steht, eine solche Debatte heute Morgen in diesem Haus zubeginnen. Wir haben erfahren, der Mensch hat die Fähig-keit Gutes zu tun und Gutes zu bewirken, aber der Menschist auch fähig Böses zu tun. Wir haben alles Menschenmög-liche zu tun, um ihn daran zu hindern. Johannes Rau hatauf dem Domplatz gesagt: "Was immer ein Mensch getanhat, er bleibt ein Mensch." Und weil das so ist, gilt un-ser Mitgefühl auch den Angehörigen des Täters.

Ein Ziel steht über allem: Wir verachten Gewalt undTerror. Wir wollen nicht, dass Gewalt und Terror er-folgreich sind, auch nicht im Spiel und auch nicht in vir-tuellen Scheinwelten. Wir wenden uns gegen jede Ver-herrlichung und gegen jede Verharmlosung von Gewalt.Gewalt will den Willen eines anderen Menschen gewalt-sam brechen. Gewalt will in den Lebensbereich des an-deren verletzend, störend oder gar zerstörend eingreifen.Darum widersetzen wir uns und darum widersagen wirjeder Form von Gewalt und Terror. Wenn wir über dieUrsachen von Hass, Gewalt und Terror sprechen, müssenwir darüber sprechen, welches Bild wir vom Menschenhaben, wie wir Werte definieren, welche Werte für unserZusammenleben vorrangig sind. Zu häufig erwarten wirvon den Lehrern und Erziehern, dass sie der nächstenGeneration ein Welt- und Wertebild vermitteln, und sinduns doch selbst im Unklaren darüber, was das für einWeltbild sein soll. Für uns steht die Unverwechselbarkeit,

die Einzigartigkeit eines jeden Menschen im Mittelpunkt.Aus ihr ergibt sich seine persönliche Würde; der Menschist Mittelpunkt aller politischen, wirtschaftlichen undwissenschaftlichen Entscheidungen und allen gesellschaft-lichen Handelns. Unser Grundgesetz, das heute auf denTag vor 53 Jahren vom Parlamentarischen Rat verabschie-det worden ist, hat die Folgerungen aus der Entpersona-lisierung des Menschen, aus seiner Unterdrückung undEntrechtlichung und aus seiner Unterordnung unter einemenschenfeindliche Ideologie durch die nationalsozia-listische Unrechtsherrschaft gezogen. Mit der Unantast-barkeit der Menschenwürde in Artikel 1 und mit der Ver-pflichtung des Staates sie zu achten und zu schützen undmit der Aufnahme der Grundrechte in die Verfassung hatdas Grundgesetz eindeutig Stellung bezogen gegen Be-liebigkeit, gegen Wertneutralität, gegen einen totalitärenKollektivismus und gegen die Abwertung des Menschenzu einem Objekt des Staates. Weil der Mensch und nichtder Staat an erster Stelle steht, schafft unser GrundgesetzVoraussetzungen dafür, dass sich unter seinem Dach ver-schiedene Meinungen, Haltungen und Weltanschauungenentfalten können. Das Grundgesetz setzt den Rahmen,den wir füllen müssen, und das Grundgesetz ermöglichtToleranz, weil es der persönlichen Freiheit dort eine Gren-ze setzt, wo die Freiheit und die Würde des Nächstenbeginnt. Es fordert die Verantwortung jedes Einzelnen fürden anderen Menschen, für das Gemeinwesen, für die De-mokratie, weil Freiheit ohne Verantwortung in die Unfrei-heit führt. Das erfordert vor allem, dass wir Übereinstim-mung über das erzielen, was sich aus der Unantastbarkeitder Menschenwürde ergibt - eine Verachtung und Verhin-derung von Gewalt gegen andere und anders Denkende,menschliches Miteinander, soziale Gerechtigkeit und fairenAusgleich von Interessen.

Helmut Schmidt hat das einmal sehr klar ausgedrückt. Ichzitiere ihn: "Wenn die Übereinstimmung in elementarenGrundwerten und Grundauffassungen fehlt, dann sind Frei-heit und Würde des Menschen gefährdet. Eine Gesell-schaft, in welcher der Konsens über elementare Grund-werte verloren gegangen ist, treibt auf Anarchie zu." SoHelmut Schmidt.

Meine Damen und Herren, Toleranz und Verantwortungsind die Voraussetzungen der Freiheit, Werte, die sichgegenseitig bedingen und die wir mit Inhalt füllen müs-sen. Toleranz darf nicht mit Desinteresse gleichgesetztwerden. Toleranz heißt nicht Duldung, sondern Anerken-nung des Anderen. Verantwortung ist nicht in erster Liniedie Verantwortung der Allgemeinheit für mein Wohl,sondern zunächst meine Verantwortung für das Gemein-wohl. Unsere Landesverfassung, auf die wir - wie ich finde- zu selten Bezug nehmen, spiegelt den Grundwertekon-sens wider, auf den sich die Thüringerinnen und Thüringernach der friedlichen Revolution verständigt haben. Sie gibtdie Erziehungsziele vor, die sich aus der Notwendigkeitvon Toleranz und Verantwortung konkret ergeben undan denen wir uns orientieren können.

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In Artikel 22 der Landesverfassung heißt es: "Erziehungund Bildung haben die Aufgabe, selbständiges Denken undHandeln, Achtung vor der Würde des Menschen und Tole-ranz gegenüber der Überzeugung anderer, Anerkennungder Demokratie und Freiheit, den Willen zu sozialer Ge-rechtigkeit, die Friedfertigkeit im Zusammenleben der Kul-turen und Völker und die Verantwortung für die natür-lichen Lebensgrundlagen des Menschen und die Um-welt zu fördern." Soweit der Artikel.

Ich glaube, meine Damen und Herren, es kommt vor allemdarauf an, wie diese Werte, wie Grund- und Menschen-rechte vermittelt werden, wie sie mit Leben erfüllt wer-den. Werden Menschenrechte nur aus Zwang anerkannt,werden Werte nicht vorgelebt, bleibt Toleranz oft nichtmehr als eine desinteressierte und missachtete Duldung desanders Denkenden und des anders Lebenden. Eine Dul-dung, die schnell in Gewalt, in Verächtlichmachung und inHass umschlagen kann. Roman Herzog sagt: "Toleranzheißt nicht Standpunktlosigkeit." Man kann auf Dauer nichtmiteinander leben, wenn man nichts voneinander weiß undnicht miteinander redet. Ohne gegenseitiges Wissen gibt eskein gegenseitiges Verständnis, ohne Verständnis gibt eskeinen gegenseitigen Respekt und kein Vertrauen und ohneVertrauen gibt es keinen Frieden, sondern wirklich nurdie Gefahr des Zusammenpralls.

Wir sprechen in Deutschland gern von einer neuen Kulturder Bildung und einer neuen Kultur der Werte. MeineÜberzeugung ist, bevor wir das tun, müssen wir vor allemvon einer neuen Kultur des Zuhörens sprechen, einer Kulturdes gegenseitigen Kennenlernens. Wir müssen Sprach-losigkeit überwinden, wo Sprachlosigkeit herrscht. Wirmüssen die drohende Kluft zwischen den Generationenüberbrücken, wir brauchen eine Kultur des Miteinander-sprechens. Sie schafft Verständnis, Respekt, Vertrauen undsie mindert die Gefahr eines Zusammenpralls. Dass wirvielfach nicht wissen, was junge Menschen bewegt, dassviele nicht wissen, womit sie ihre Freizeit verbringen, dasssie sich hinter verschlossenen Türen mit Gewalt verherr-lichenden Computerspielen beschäftigen, das, meine Da-men und Herren, muss uns beunruhigen. Das fordert unsalle heraus, und zwar Eltern, Familien, Lehrer, Erzieher,Mitschüler und uns Politiker. Erziehung, das wissen wiralle, beginnt in der Familie. Darum muss über die Pflichten,die die Eltern bei der Vermittlung und Weitergabe vonGrundwerten wahrzunehmen haben, gesprochen werden.Im Elternhaus wird der Grundstein für die Bildung jederPersönlichkeit gelegt, der Grundstein für das Bewusstseinseines Selbstwertes und das Bewusstsein für den Wert unddie Würde jedes anderen Menschen. Familie ist der Ort, andem Liebe, Vertrauen, Offenheit, Geborgenheit, Verläss-lichkeit vorgelebt, erlebt, gefördert, eingefordert undweitergegeben werden. Familie ist der Ort, der Rückhaltbei Niederlagen und Demütigungen durch andere gebenmuss und Familie ist der Ort, der unabhängig von Leis-tungen und Fähigkeit Kindern Selbstwertgefühl, Selbstbe-wusstsein und Verantwortungsbewusstsein vermittelnmuss. Bei den Eltern liegt die erste und wichtigste Ver-

antwortung, weil der Mensch in seinen ersten Lebens-jahren entscheidend geprägt wird, weil in der Familie Ver-zicht, Rücksicht und Ordnung eingeübt werden können,weil dort die Spielregeln vermittelt werden, die einmenschliches Miteinander möglich machen.

Kinder merken es, wenn sie als lästig empfunden werden.Wer die Prioritäten falsch setzt, wer beispielsweise unge-störten Fernsehkonsum mehr schätzt als die Beschäftigungmit seinen Kindern, der darf sich über Lieblosigkeit undGewaltbereitschaft, über extremes Denken nicht wundern.Kinder können nur Orientierung finden, wenn sich ihre El-tern zu ihnen bekennen, wenn sie sich ihnen widmen, wennsie ihnen Aufmerksamkeit schenken. Eltern müssen Zeithaben, müssen sich Zeit nehmen, sich mit ihren Kindern zubeschäftigen. Deswegen bekennen wir uns ausdrücklich zueiner Politik, die die Familie unterstützt und ihnen einestabile materielle Grundlage bietet.

Aber in der Diskussion darum sollten wir nicht über-sehen, das ist nur die eine Seite. Wir haben erlebt, dass esnicht nur materielle Grundlagen sind, die die Zukunftjunger Menschen sichern, sondern dass es darauf an-kommt, dass sich die Familie ihrer Verantwortung be-wusst ist. Natürlich dürfen wir die Eltern dabei nicht alleinlassen. Wir müssen sie unterstützen. Wir müssen Familien-beratungs- und Betreuungseinrichtungen stärken und ihreAngebote bekannter machen. Kindergärten, Kinderhorte,Schulen, außerschulische Betreuung müssen ergänzenddafür da sein, die Erziehung in der Familie zu unter-stützen; ersetzen können wir aber durch diese Einrich-tungen die Familie nicht. Weil Bildung ohne Erziehungebenso unmöglich ist wie Erziehung ohne Bildung, greifendie Erziehungsarbeit der Eltern und der Schule ineinander."Die Schulen sind Werkstätten der Humanität, indem sieohne Zweifel bewirken, dass die Menschen wirklich Men-schen werden." Dies hat Johann Comenius schon amEnde des 16. Jahrhunderts gesagt und das stimmt zu Be-ginn des 21. Jahrhunderts genauso.

Schule muss mehr sein als eine Anstalt zur Stoffvermitt-lung. Sie ist auch dazu da, Werte zu vermitteln. Mut zurErziehung - es ist Zeit, diesen Mut aufzubringen. Erzie-hung gedeiht mit Zuwendung, aber auch mit Regeln undGrenzen, mit Liebe, aber nicht mit Beliebigkeit. Erzie-hung lebt vom Vorbild. Das gilt selbstverständlich fürEltern wie für Lehrer. Wir haben es erlebt, wie sehr sichLehrerinnen und Lehrer dieser Vorbildfunktion bewusstsind. Das Wohl und die Unversehrtheit ihrer Schüler habendie Lehrer des Gutenberg-Gymnasiums so wichtig genom-men, dass sie dafür ihr eigenes Leben eingesetzt haben.Bessere Vorbilder für Mitmenschlichkeit kann es nichtgeben. Allzu oft wird in der Öffentlichkeit ein Bild derLehrer gezeichnet, das ihnen und ihrer Aufgabe nicht ge-recht wird. Der Beruf des Lehrers ist seit alters ein hervor-gehobener, ein herausragender Beruf, der Anerkennungverdient. Zu selten erfahren Lehrerinnen und Lehrer dieöffentliche Anerkennung, die sie erwarten dürfen. Dastrifft ähnlich auch auf Kindergärtnerinnen und Hortne-

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rinnen und auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unsererSchulen und Erziehungseinrichtungen zu.

Wir müssen gerade nach den hinter uns liegenden Tatenund Tagen Lehrerinnen und Lehrern Mut machen, Wis-sen zu vermitteln und Erzieher zu sein. Wir müssen siedazu besser in die Lage versetzen und ihnen dazu dasnotwendige Handwerkszeug geben. Die Debatte über dieLehreraus- und -weiterbildung, die verstärkt wieder einge-setzt hat, halte ich z.B. deswegen für überaus wichtig. DieAnforderungen an Lehrer sind heute andere als noch vorvier oder fünf Jahrzehnten. Oft stehen Lehrer vor der schierunlösbaren Aufgabe, Sozialarbeiter, Erzieher, Bildungs-vermittler, Vorbild, Autoritätsperson und Vertrauenspersonin einem sein zu sollen. Bei dieser Diskussion sollten wiruns nicht von pädagogischen Mythen beeinträchtigen las-sen. Das Bild eines angeblich begeistert selbst lernendenSchülers, dem nur ein Lernmoderator zur Seite gestellt wer-den müsse, entspricht vielleicht den Vorstellungen einerSpaßgesellschaft, aber es entspricht nicht den Realitäten.Der Lehrer bleibt die entscheidende Person im Unterricht.Der Unterricht, der gelenkte Erwerb von Wissen, Könnenund Urteilsfähigkeit ist zentrale Aufgabe der Schule. Auf-gabe von Erziehung und Schule ist es, auf das Leben alsErwachsene vorzubereiten.

Nach der Veröffentlichung der PISA-Studie hieß es, dieSchulen müssten leistungsorientierter werden. Jetzt nachdem Geschehnis in Erfurt warnen manche, man dürfe nichtlänger von Wettbewerb und Leistung an unseren Schulensprechen. Johannes Rau hat die richtige Antwort gefunden -ich zitiere ihn: "Ohne Leistung, ohne Leistungsbereitschaftwäre jede Schule wirklichkeitsfremd." Vor Wettbewerbund Konkurrenz dürfen wir unsere Kinder nicht schützen,sie müssen vielmehr lernen, damit umzugehen. Ein Ver-zicht auf Förderung von Talenten, von individuellenAnlagen und Fähigkeiten bedeutet nicht nur, dass wirdiese Gaben der Schüler nicht ernst nehmen, es bedeutetauch, dass wir diesen Schülern nicht gerecht werden, weilwir sie unterfordern, vernachlässigen, langweilen undschließlich entmutigen. Bildung heißt, Benachteiligungvermeiden, heißt aber auch, Begabung, ja auch Höchst-begabung rechtzeitig zu erkennen und zu fördern. Fördernund fordern, aber nicht überfordern. Wir werden nichtsdaran ändern können, dass es begabte und weniger be-gabte Menschen gibt. Jeder muss seine Chance bekom-men. Eltern müssen einsehen, dass ihr Kind die Schulebesuchen soll, die seinen Fähigkeiten gerecht wird undnicht ihren Wunschvorstellungen und dass sie zur rich-tigen Entscheidung den Rat und die Hilfe des Lehrersbrauchen. Eltern tun Kindern nichts Gutes, wenn sie sieauf eine Schule schicken, auf der sie permanent über-fordert werden.

Roman Herzog hat die Befürchtung geäußert, dass Ent-täuschungen zu der Tat in Erfurt mit beigetragen habenkönnten, "die", so schreibt Herzog wörtlich, "daraus ent-stehen, dass die Eltern aus blindem Ehrgeiz für sich undihr Kind dieses auf eine Schule schicken, für die es nicht

geeignet ist". Und er fügt hinzu: " ... denn nach meinerErfahrung entspringt daraus das größte Unglück für dieKinder".

Lehrerinnen und Lehrer tragen gemeinsam mit den Elterneine besondere Verantwortung für die Schüler. Es darfnicht darum gehen, den Kindern einen fest vorgezeich-neten Lebensweg vorzuschreiben, sondern es muss darumgehen, ihnen Möglichkeiten zur Entwicklung eigener, in-dividueller Lebenswege zu geben, sie dabei zu beraten undzu fördern. Es geht darum, ihnen das Bewusstsein zu ver-mitteln, dass sich das Selbstwertgefühl eines Menschennicht auf Noten und schulische Leistungen reduzieren lässt,sondern dass es aus dem erwächst, was Schüler an Fähig-keiten und Neigungen entwickeln in der Schule und auchaußerhalb der Schule.

Selbstverständlich, meine Damen und Herren, ist es not-wendig, auch über konkrete Änderungen von Gesetzen undVerordnungen zu sprechen. Dabei wird natürlich der Streitnicht ausbleiben, wenn es etwa um Prioritätensetzungen imHaushalt geht. Der Streit kann gar nicht ausbleiben, dennzu unterschiedlich sind unsere Vorstellungen. Aber wir tundas, was wir da jetzt tun müssen, um eine bittere Erfah-rung reicher. Deswegen hoffe ich, dass wir es in eineranderen Geisteshaltung tun und in einem anderen Ton.

Die Landesregierung ist für alle Themenfelder, die sich ausder Tat von Erfurt ergeben, selbstverständlich diskussions-bereit; die Diskussion hat ja längst begonnen. Die Landes-regierung wird - nicht heute, aber zu gegebener Zeit -natürlich ausgearbeitete Vorschläge vorlegen.

Weil in ein paar Tagen der Bundesrat die Gesetzesnovellezum Waffengesetz zu beraten hat, hat die Landesregie-rung die Anrufung des Vermittlungsausschusses beschlos-sen. Es ist doch schlicht selbstverständlich, dass wir unsnach dem, was vorgefallen ist, den Text dieses Gesetzesnoch einmal sehr genau ansehen müssen. Eine Arbeits-gruppe von Bund und Ländern, an der wir natürlich betei-ligt sind, hat mit den Vorarbeiten begonnen. Ich meine,wir müssten z.B. über die Heraufsetzung der Altersgrenzefür den Waffenbesitz sprechen. Wir können der vorgeseh-enen Herabsetzung der Altersgrenze von 12 auf 10 Jahrefür das Schießen mit Luftdruckwaffen natürlich nicht zu-stimmen und nicht nur der Käufer, sondern auch der ge-werbliche Verkäufer, soll den Eigentumswechsel einerWaffe in Zukunft anzeigen müssen. Nur ein paar Punkte,auf die ich hinweisen will. Dass wir nach der Bluttat dieSchützenvereine und die rund 2 Millionen rechtstreuerSportschützen nicht unter Generalverdacht stellen, istselbstverständlich.

Die Debatte über eine Novelle des Jugendschutzgesetzeshat mit der Vorlage des Gesetzentwurfs der Bundesre-gierung bereits begonnen. Weil es uns darum geht, dass derVerleih von Gewalt verherrlichenden Videos und Com-puterspielen nicht nur an Minderjährige, wie in demJugendschutzgesetz vorgesehen, sondern eben auch an

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Erwachsene verboten wird, muss auch über eine Änderungdes Strafrechts gesprochen werden. Die Entscheidung derBundesprüfstelle über das Computerspiel "Counter-Strike"kann ich, will ich Ihnen ganz offen sagen, nicht nach-vollziehen.

(Beifall Abg. Gentzel, SPD)

Wir wollen die Kontrollmechanismen gegen die Dar-stellung von extremer Gewalt im Rundfunk, auf Videosund im Internet verbessern. Die Rundfunkkommission derMinisterpräsidenten hat die Bildung eines Präventionsrats"Gewalt in den Medien" angeregt. Dieser soll Vorschlägefür eine dauerhafte Einschränkung von Gewaltdarstellungenin den Medien machen. Wir unterstützen diesen Vorschlagund möchten dabei auch den Eltern in diesem Gremiumeine Stimme geben. Filme und Spiele, deren zentrale Bot-schaft Gewalt ist, müssen von den Bildschirmen ver-schwinden.

Wir werden bei uns in Thüringen eine breit angelegte De-batte über unser Schulgesetz führen. Wir haben, wie Siewissen, bereits vor Monaten eine Novelle vorgelegt. Mitder Einbringung der Novelle in den Landtag wollen wir,wie angekündigt, warten, bis im Juni die regionalisiertenErgebnisse der PISA-Studie vorliegen und natürlich mussberücksichtigt werden, was nach dem Verbrechen am Gu-tenberg-Gymnasium überall im Lande an Diskussionenbegonnen hat. Das versteht sich ganz von selbst.

An den Grundlagen unseres differenzierten und geglie-derten Schulsystems, das den Menschen mit seiner indi-viduellen Begabung, seinen Neigungen und Fähigkeitenin den Mittelpunkt stellt, wollen wir allerdings festhalten.Der Grundsatz des geltenden Schulgesetzes, kein Real-schulabschluss und kein Abitur ohne zentrale Prüfung,ist wohl überlegt, weil wir die Regelschule neben demGymnasium als eine starke Alternative erhalten wollen undsie nicht zur Restschule werden lassen wollen. Aber überdie Art und Weise der Prüfungen und wie und wo sie inZukunft abgelegt werden, muss gesprochen werden. Wirwollen erreichen, dass auch die Eltern von volljährigenSchülern über die Schullaufbahn ihrer Kinder unterrichtetwerden. Das erfordert offenbar, dass zunächst bundes-rechtlich die entsprechenden Voraussetzungen geschaffenwerden, damit wir unser Landesrecht entsprechend än-dern können. Natürlich müssen wir auch überlegen, wiewir die Sicherheit an den Schulen erhöhen können. Aber40.000 Schulen in Deutschland kann man nicht zu Festun-gen ausbauen und auch wenn man das könnte, wir wol-len das nicht. Schulen müssen offene Orte der Begegnungbleiben. Eine eingemauerte Gesellschaft wollen wir nicht.

Meine Damen und Herren, "Wir müssen einander ach-ten, wir müssen aber auch aufeinander achten.", hatJohannes Rau auf dem Domplatz gesagt. Lassen Sie unsbitte alles tun, damit uns das gelingt, und zwar nicht nurhier, sondern in der ganzen Bundesrepublik, zunächst aberhier bei uns. Natürlich bleiben die Aufgaben und Funk-

tionen, bleiben Exekutive und Legislative, Mehrheit undMinderheit, Regierung und Opposition, natürlich bleibenunterschiedliche Ansichten und Absichten, aber geht dasnicht auch in Respekt, vielleicht sogar in Hochachtungvoreinander? Der verabscheuungswürdige Anschlag auf dieErfurter Synagoge im April 2000, der Terroranschlag vonNew York und Washington am 11. September 2001, dieBluttat am Erfurter Gymnasium haben uns in diesem Haushier einig gesehen in der Aussage, Thüringen sagt Neinzu Gewalt und Terror und einig gesehen in der Aussage,wir ziehen Konsequenzen. Ich glaube, dass eine gemein-same Erschließung aller Fraktionen des Thüringer Land-tags am heutigen Tag für diese Gemeinsamkeit ein neuerBeweis ist. Sie haben das Zitat eines unbekannten Mit-bürgers inmitten der Blumen vor dem Rathaus vielleichtnoch in Erinnerung: "Lasst uns unser Entsetzen in Kraft,unser Leiden in Erkennen und unseren Schmerz in Liebeverwandeln." Es ist ein sehr hoher Anspruch, der dort vor-gegeben wurde, aber ich meine, es sei ein Anspruch, deneinzulösen sich lohne. Ich meine, wir sollten versuchen,diesem Anspruch hier und in ganz Deutschland gerechtzu werden. Danke.

(Beifall im Hause)

Präsidentin Lieberknecht:

Ich danke Herrn Ministerpräsidenten Dr. Vogel für seineRegierungserklärung. Wir kommen zur Aussprache. AlsErster hat das Wort der Vorsitzende der PDS-Fraktion,Herr Ramelow. Herr Ramelow, ich bitte Sie mit dem Be-ginn der Rede vielleicht einen kleinen Moment zu warten,damit wir den Entschließungsantrag, über den wir dannabstimmen, noch austeilen und Sie in Ihrer Rede dadurchnicht gestört werden.

Ich sehe, es geht doch ruhig vonstatten. Herr Ramelow,dann können Sie mit Ihrer Rede beginnen.

Abgeordneter Ramelow, PDS:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Angehörige, werteFrau und werter Herr Ruge, meine sehr verehrten Damenund Herren Abgeordneten, die Ereignisse in Erfurt am26. April erzwangen den Abbruch der Plenarsitzung desThüringer Landtags. Wie viele Menschen, ob Polizisten,Mediziner, Psychologen, Beamte und Angestellte imöffentlichen Dienst, haben sich auch die Abgeordneten desLandtags eingesetzt, um zu helfen und um Solidarität zuüben. Der Thüringer Landtag ist nicht mehr der alte. Erdurchlebte mit den Opfern, ihren Angehörigen und vielenBetroffenen schlimme Tage. Er erlebte gegenseitige Unter-stützung und Gemeinsinn über die Parteigrenzen hinweg.Das sollte nicht hastig vergessen werden. Es wurden Mög-lichkeiten sichtbar und eine wertvolle Erfahrung gemacht,bei der die Wahrnehmung unserer Verantwortung alsVolksvertreter hilfreich sein kann und es sein sollte. DerSchutz der Menschenwürde und das Wohl der mensch-lichen Gemeinschaft haben Vorrang vor dem parteipoli-

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tischen Gerangel. Wir alle wurden durch das Geschehenüberrascht und es fällt uns heute noch schwer, das ganzeAusmaß des Schrecklichen zu erfassen. Wir trauern um dieToten, ihren Angehörigen gehören unser Mitgefühl undBeistand. Unser Trost und unsere Unterstützung für dieSchülerinnen und Schüler des Gutenberg-Gymnasiumshören nicht auf. Es fand aber nicht nur ein entsetzlichesVerbrechen statt, fast zeitgleich unterbrachen die Menschenin Erfurt, im Land Thüringen und weit darüber hinausihren Alltag, um sich zu besinnen, um zu helfen, aber auchum zu fragen, warum konnte das geschehen und was kanngetan werden, damit sich so etwas nicht erneut wieder-holt? Auch wir danken allen Helfern, die spontan undohne Aufforderung sofort tätig wurden. Wir danken denLehrern des Gutenberg-Gymnasiums, die sich schützendfür ihre Schüler einsetzten, wobei einige ihr Leben lassenmussten. Wir danken den Schülern für ihre gegenseitigeHilfe und Unterstützung. Sie haben vorher kaum gekannteGefahren durchlebt und ihre Verantwortung für das Lebengewann an Ernsthaftigkeit und Reife. Unser Dank giltallen Menschen, die als Nachbarn oder als Mitbürger Anteilnahmen, Pflichten übernahmen und erfüllten. BesondererDank gilt denen, die als Sicherheitskräfte, Psychologen,Seelsorger und Verantwortliche in der Verwaltung uner-müdlich das Erforderliche leisteten. Während bis zu derentsetzlichen Untat der Einzelne meist allein den Pro-blemen des Lebens gegenüberstand und allein versuchte,die Probleme zu meistern, erwuchs in Reaktion auf dieEreignisse ein Zusammengehörigkeitsgefühl, welches eingemeinsames Handeln zu tragen vermochte. Dieses Erleb-nis ist in einer Welt, in der der Mensch dem anderen inder Regel fremd und isoliert gegenübersteht, eine ernsteMahnung, über das Zusammenleben der Menschen nachzu-denken und eine Aufforderung, dieses Zusammenlebenmitzugestalten.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, liebe Kollegen,wir haben zeitlichen Abstand gewonnen in den Wochennach dem Geschehen bis heute. Aber das bedeutet nicht,wir hätten bereits die schreckliche Wirklichkeit voll er-kannt. Sicherlich kennen wir inzwischen viele Einzelheiten,Hergänge, auch einige Zusammenhänge, Missstände undÄnderungsnotwendigkeiten. Aber selbst die Fassungslo-sigkeit ist nicht ganz überwunden und vieles, sehr vielesbleibt noch zu klären. Von uns werden noch große An-strengungen verlangt, um die Ursachen der Ereignisse zuergründen, um die Umstände und Bedingungen zu be-greifen. Das Thema "Gewalt" bleibt auf der Tagesordnung.Welche Wurzeln hat die Gewalt in der Gesellschaft?Welche Anstöße lösen die Gewalt aus? Warum findet Ge-walt Ausdruck in solch extremen grausamen Handlungen?Wie kann Gewalt gebannt werden? Wer trägt neben demTäter Verantwortung? Was heißt hier Verantwortung? Wiekann und muss diese Verantwortung wahrgenommen wer-den? In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich, diesolche Untaten gebärt? Wie ist das mit den Zielen imLeben? Geht es da - wie oft zu beobachten - vordringlichum Geld, Wohlstand, Spaß und damit um Leistungen, umEllenbogenmentalität, um Egoismus, um Rücksichtslo-

sigkeit? Welche Bedeutung hat heute der Mensch für denanderen Menschen, die Bildung und die Erziehung desMenschen, die Familie, die Gemeinschaft in der Schuleoder bei der Arbeit? Allgemeiner gefragt: Welche Wert-vorstellungen bilden das Fundament unseres Lebens unddamit auch der Politik? Wir haben Grund, tiefer als üblichdie Gesellschaft und ihre Grundsätze zu erkunden, obwohlpolitisches Handeln zwingend erforderlich ist, sollte keinAktionismus Lösungen vortäuschen. Schnelle Verschär-fungen von Gesetzen lösen keine gesellschaftlichen Pro-bleme.

Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Regierungs-erklärung eine persönliche Anmerkung gemacht, auf dieich persönlich eingehen möchte, und zwar nicht als Frak-tionsvorsitzender, nicht als Parteipolitiker, sondern alsVater. Sie haben das Thema "Counter-Strike" angespro-chen und es macht mich ratlos. Meine Söhne spielenCounter-Strike und wir haben immer die Diskussion zuHause, weil, wenn ich auf den Bildschirm schaue, sageich, ich kann das nicht leiden. Meine Söhne erklären mir,das verstehst du nicht. Dieses ist kein Gewaltspiel. Ihr habtals Kinder Räuber und Gendarm gespielt. Wir spielen inder Gruppe elektronisch Räuber und Gendarm. Ich bin aneiner Stelle, wo ich mit meinen Söhnen darüber diskutiereund diskutieren muss und nicht einfach nur sagen kann,das will ich dir verbieten, weil sie am Wochenende ihreComputer einpacken und ich stolz darauf bin, dass meinSohn eine IT-Fachausbildung macht und im Moment ge-rade in der Prüfung ist. Er wird IT-Fachmann, er wird das,was wir vor Wochen noch so gelobt haben, die elektro-nische Gesellschaft der E-Commerce, alles das, was amneuen Markt die Börsenkurse so haben hoch spielenlassen. Er bewegt sich in dieser elektronischen Welt under sieht mich an und sagt: "Vater, das verstehst du nicht."Ich glaube, da gibt es etwas zum Nachdenken. Als dieerste Dampfeisenbahn von Nürnberg nach Fürth gefahrenist, gab es auch viele, die diskutiert haben, so eine Dampf-eisenbahn muss man verbieten. Als es dann die Welt verän-dert hat, würde man heute darüber lachen. Die Elektronikverändert auch die Welt. Die Wissensgesellschaft verän-dert auch die Welt. Wir müssen, glaube ich, genauer undmehr miteinander reden und Medienkompetenz zur Ver-fügung stellen, dass wir diejenigen, nämlich Lehrer, Eltern,in die Lage versetzen, damit umzugehen. Ich gestehe andieser Stelle, ich will und kann meinem Sohn das Spielnicht verbieten, weil er mir klar gemacht hat, das Blutige indem System haben sie abgestellt, weil es sie stört. Aber amWochenende spielen sie drei Tage mit 150 Jugendlichenein Gruppenspiel. Und er sagt mir, das entspricht dem,als ihr früher mit dem Streifen an der Seite als Pfadfin-der rumgelaufen seid, die eine Gruppe musste der anderenGruppe den Streifen abnehmen. Ihr habt dann auch gesagt,der, der keinen Streifen mehr hat, der ist tot. Und nichtsanderes ist das Spiel Counter-Strike. Ich weiß es nicht.Ich bin kein Wissenschaftler, ich bin kein Fachmann, ichwill als Elternteil nur meine Not hier schildern und sagen,ich glaube, wir müssen uns mehr Wissen darüber ver-schaffen, um zu wissen, ob es denn verbietbar ist, ob es

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überhaupt sinnvoll ist, es zu verbieten. Mein Sohn hat mirgesagt, er kann die Diskussion nicht mehr hören. Er nimmtuns als Politiker nicht ernst, wenn man so über das redet,über die Welt, in der er sich bewegt. Deswegen habe ichmir erlaubt, als persönliche Anmerkung das hier zu sagen,weil ich nicht glaube, die Weisheit mit Löffeln gefressenzu haben, aber weil ich auch weiß, das Spiel auf demBildschirm bei meinem Sohn gefällt mir nicht. Trotzdemliebe ich meinen Sohn und mein Sohn liebt mich.

Meine Damen und Herren, deswegen sage ich, schnelleVerschärfung von Gesetzen löst keine gesellschaftlichenProbleme, schon gar nicht, wenn sich die Welt so rasantändert wie sie sich zurzeit ändert.

Erörterungen politischer und moralischer Grundsätzestehen an. Wahlkämpfe erlauben keine Tiefe der Gesell-schaftsanalyse und keine prinzipiellen Reformen. MeineDamen und Herren Abgeordneten, wir können hier imLandtag nur den Anstoß zu einer Wertediskussion geben.Diese selbst muss breit zwischen den Menschen in Thü-ringen und darüber hinaus geführt werden. Die Themensind weit gefächert. Die Formen mannigfaltig und die An-sichten sicherlich verschieden. Unverzichtbar wird sein,tolerant miteinander zu kommunizieren. Wir werden demanderen zuhören müssen, den anderen verstehen lernen,uns Zeit zum Nachdenken lassen, die Bereitschaft auf-bringen, die eigene Meinung in Frage zu stellen, Verbin-dendes und Übereinstimmendes zu suchen, einen Kom-promiss nicht als Niederlage empfinden. Ich glaube zuwissen, dass die Wertvorstellungen in unserer Gesell-schaft unterschiedlich sind. Auch die weltanschaulicheGrundlage der Wertvorstellungen ist verschieden. Es gibtaus dem christlichen Menschenbild abgeleitete Wertvor-stellungen, aber es gibt auch aus dem demokratischenSozialismus verbundene Wertvorstellungen. Da gibt esUnterschiede. Die Vielfalt der Weltanschauung und dieWertvorstellung ist konkret gesehen so groß wie die Zahlder Menschen. Wir müssen den Wertepluralismus sehenund akzeptieren. Wer nur die Existenzberechtigung dereigenen Wertvorstellung verficht, landet bei einem Fun-damentalismus. In dieser Welt ist es weder möglich allenMenschen christliche Wertvorstellungen, die übrigens insich auch verschieden ausfallen und nur in einigen Punktenübereinstimmen, aufzuzwingen, noch sozialistische auf-zuzwingen, noch beliebig andere aufzuzwingen. MitZwang geht gar nichts. Gemeinsames Handeln ist aberhäufig erforderlich. Handlungszwänge aus der Diskussiongibt es. Deshalb muss man sich auch über gemeinsameWerte verständigen. Diese gemeinsamen Wertevorstellun-gen könnte man als die humanistischen Werte bezeichnen.Da bleibt genügend Raum für weltanschauliche, religiöseoder individuelle Unterschiede. Auch sollte bei der Ge-staltung, Diskussion und Einbringung von Wertevorstel-lungen die jeweiligen örtlichen, lokalen, regionalen oderlandesspezifischen Gegebenheiten berücksichtigt werden.Wenig hilfreich und meist durch Konflikte gekennzeichnetsind jene Situationen, wenn aufgrund von gesellschaft-lichen Stellungen eine Ethik als die zwingend richtige

dargestellt wird und das in einer Umgebung, welche vor-rangig mit Menschen geprägt ist, die diese nicht vertreten.

Meine Damen und Herren, wenn man sich das Verhaltender Menschen nach dem 26. April anschaut, kann manzugleich neben einer starken Werteorientierung eine großeVerschiedenheit des Wertebewusstseins feststellen. KeineSicht der Werte kann aus den Erfurter Ereignissen für sichallein Ansehensgewinne verbuchen. Vielleicht kann man -und ich sage das mit Vorsicht - behaupten, sichtbar wurdenicht nur das eine, nicht an humanistischen wertorien-tiertes Handeln ein schreckliches Verbrechen nachweist,sondern auch, dass Wertebewusstsein häufig im Wider-spruch zur Realität steht. In unserer Gesellschaft existierenRäume, die ohne ethische Werte funktionieren und funk-tionieren können, zum Beispiel die Wirtschaft. Es liegt anuns, ob es Marktwirtschaft pur oder soziale Marktwirtschaftgibt. Diese Differenz kann sich nicht nur in Thüringen, son-dern auch weltweit auftun, das Stichwort lautet Globali-sierung.

Der Bundespräsident hat in der Trauerveranstaltung aufdem Domplatz in Erfurt diese Fragen nicht ausgeklammert,wie Sie sich erinnern werden. Wie sich reines ökono-misches Denken in allen gesellschaftlichen Bereichen aus-prägt, kann man beobachten. Die Kategorie Gemeinwohlverliert an Bedeutung. Wettbewerb, Effizienz sind die anEinfluss gewinnenden Orientierungen. Nicht der Mensch,der Standort ist scheinbar der höchste Wert vieler Ökono-men und Politiker. Dem wollen und müssen wir entgegen-treten. Bei dem hier dargestellten Befund ist es nicht ver-wunderlich, dass immer stärker Gesellschaftskritik auf-kommt und über das richtige Zusammenleben in unsererGesellschaft nachgedacht werden wird und werden muss.Der Bundespräsident fordert am oben schon genanntenOrt, ich zitiere: "Wir brauchen zweierlei: Wir müssen ein-ander achten und wir müssen aufeinander achten." Dasist sehr schön und sehr richtig zugleich. Aber wir leben ineiner Gesellschaft, in der die Lebenschancen der Menschenmiteinander konkurrieren. Wir nähern uns wieder frühka-pitalistischen Strukturen und Verhaltensweisen, von denenschon Thomas Hobbes feststellte: "Der Mensch ist desMenschen Wolf." In diesem Zusammenhang war es fürmich erfreulich, gestern in der FAZ lesen zu können, dieCDU-Vorsitzende sagt, Gesellschaft und Politik seien nichtohnmächtig gegen die ökonomischen Zwänge der Globali-sierung. Ein richtiger Satz. Nun muss den Worten prak-tische Politik folgen. Die PDS will mit ihrem Politikan-gebot auf eine menschenfreundlichere Gesellschaft zu-steuern. Das ist unser Angebot, das muss man nicht akzep-tieren, das muss man nicht annehmen, darüber müssenwir sozusagen parteipolitisch streiten. Aber meine Aus-gangsposition als Vertreter der PDS heißt, Angebote zuunterbreiten, Programme vorzulegen, die Gewährleistungvon Chancengleichheit sichern, insbesondere hinsichtlichvon Bildung und Erziehung für junge Menschen und inAblehnung von Studiengebühren und Bildungsprivilegien.Soziale Gerechtigkeit ist ein Grundwert in unserem Pro-gramm, der Defizite der heutigen Gesellschaft ausdrückt

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und Orientierung für eine Reform der Gesellschaft auf-zeigen soll. Johannes Rau hat in seiner Erfurter Trauerredezutreffend gesagt, niemand darf abgedrängt werden, darf aneinen Punkt kommen, dass er glaubt, sein Leben sei nichtswert, weil er in einem bestimmten Bereich nur wenig leis-ten kann. Wir müssen aber aufeinander achten. Sehr gut.Reformieren wir die Gesellschaft im Sinne humanis-tischer Werte.

Meine Damen und Herren, die vom Ministerpräsidentengeforderte grundsätzliche und umfassende Debatte wird,wie meine bisherigen Darlegungen gezeigt haben, vonuns nachdrücklich unterstützt, wobei sich in der DebatteMeinungsunterschiede und andere oder weiter gehendeLösungsansätze zeigen werden. Wir begrüßen ein Forum"Bildung" oder einen runden Tisch "Bildung" oder ein"Bündnis für Bildung". Beim Namen und hinsichtlich derForm sind wir offen. Hauptsache ist, in der gewählten Formkann, ja muss die Kommunikation zwischen Politik undÖffentlichkeit stattfinden. Unter Öffentlichkeit verstehenwir vor allem Lehrer, Schüler, Eltern, aber auch Repräsen-tanten der Wirtschaft, des Handwerks sowie der Hoch-schulen und natürlich der Kirchen. Für diesen öffent-lichen Dialog zur Bildung in Thüringen sollte, ja darf eskeine Tabus geben. Wie die PISA-Studie zeigte und ihreauf die Bundesländer bezogene Ergänzung erwarten lässt,gibt es nicht wenige Schieflagen im Bildungswesen derBundesrepublik, aber auch in Thüringen. Das ganze Thü-ringer Schulgesetz gehört auf den Prüfstand, ohne sicher-lich alles ändern zu müssen. Bewährtes ist eben Bewährtesund sollte es bleiben. Ob zum Bewährten auch das diffe-renzierte und gegliederte Schulsystem gehört, wird sichzeigen. Die vorliegende PISA-Studie erweckt Zweifel. Sieerwachsen besonders aus der Kritik an der sozialen Se-lektion des deutschen Bildungssystems. Wir vermuten, dassdas existierende Schulsystem und die Gewährleistunggleicher Bildungschancen nicht besonders gut zueinanderpassen. Sollte sich das bestätigen, müsste man unseresErachtens Reformschritte erwägen.

Denken wir, meine Damen und Herren, an die ErfurterSchülerdemonstration, dann bezog sich deren Schrei nachVeränderung vor allem auf die Abschlüsse. Der Zustand,dass 13,3 Prozent der Schüler ohne Hauptschulabschlussdie Schule verlassen in Thüringen, kann nicht weiter hin-genommen werden und wir bitten in diesem Zusammen-hang auch tabulos über vorhandene und neue Möglich-keiten von Abschlüssen von Schülerinnen und Schülernnachzudenken und nicht womöglich heute schon wiederals einzige Chance eine Prüfung in der 10. Klasse zu präfe-rieren. Was wir ändern, müssen wir gründlich prüfen. Zielmuss es sein, mehr Schüler mit einem Schulabschluss vonden Thüringer Schulen verabschieden zu können.

Bei dieser Frage zeigt sich auch, dass der Vorschlagmeiner Fraktion vom 4. Dezember des vorherigen Jahres- Drucksache 3/2041 -, eine Enquetekommission zu denSchulleistungen einzusetzen, sehr sinnvoll war, da mittelsdieser Methode Expertenanalysen und Expertenvorschläge

für die Gesetzgebung genutzt werden können. Inzwischenunterstützt ja nach einem Meinungswandel sogar die SPDdiese Enquetekommission. Während der runde Tisch diePolitik mit der Öffentlichkeit verbindet, schafft die En-quetekommission die Verbindung zwischen Politik undWissenschaft. Beides ergänzt sich und beides ist unver-zichtbar. Wie mit dem Erfurter Ereignis klar wurde, habenSchüler Probleme mit Leistungsdruck fertig zu werden.Richtig ist, Leistung muss verlangt werden. Wir werdendeshalb zu erörtern haben, wann und wie werden Schülerauf Leistung orientiert. Sicherlich muss da schon etwasin der Vorbereitung auf die Schule geschehen - natürlichangemessen. Es ist sicherlich auch der Frage nachzugehen:Wurde bisher der Leistungsforderung entsprechend ge-nügend gefördert? Wird der Leistungsdruck nur über-mächtig, weil es an Förderung fehlt? Die PISA-Studiezeigt, die Differenz zwischen schlechten und guten Schul-leistungen ist zu groß, wobei die guten im internatio-nalen Vergleich nicht gut sind. Die Politik wird sich inVerbindung mit Öffentlichkeit und Experten damit be-fassen müssen, wie mehr Zeit der Lehrer für die Schülerzu erreichen ist. Was Schulsozialarbeit an günstigen Be-dingungen für Lernen und Erziehung beitragen kann, wäreauch ein Thema.

Meine Damen und Herren, zum Waffenrecht und seinerÄnderung will ich ebenfalls kurz Stellung nehmen. Wirunterstützen, Herr Ministerpräsident, Ihre Initiative zumWaffengesetz im Bundesrat, den Vermittlungsausschussanzurufen. Auch wir halten z.B. eine Heraufsetzung derAltersgrenze für Waffenbesitz für nötig. Aber insgesamtmuss es nach unserer Auffassung um eine generelle Ver-schärfung des Waffenrechts in unserer Gesellschaft gehen.Es geht weniger darum, ob man 10 oder 12 Luftdruck-waffen benutzen darf, denn das sportliche Schießen ist inkeiner Altersgruppe das eigentliche Problem. Es gehteigentlich darum, Besitz von Waffen, Gebrauch vonWaffen und auch das Sammeln von Waffen zu erschwerenund zu kontrollieren. Es muss nicht hinzunehmen sein, dassder Besitz oder das Führen eines Kraftfahrzeuges schwie-riger ist als der Umgang mit Waffen. So schlagen wir dieSchaffung eines bundesweiten Waffenzentralregisters vorund ein dichtes Kontrollnetz für Waffen, das jeden Besitz,Erwerb oder Verkauf einer Waffe verzeichnet. Wer eineWaffe besitzen oder benutzen will, sollte eine Eignungs-prüfung ablegen müssen und einen Berechtigungsscheindafür erwerben, der regelmäßig erneuert werden muss.Weil es uns nicht um die Diskriminierung von Sport-schützenvereinen und sportlichem Schießen geht, sollte dieVerschärfung des Waffenrechts auch darauf zielen, z.B.Kampfschießen oder auch das Schießen auf Personenschei-ben oder ähnliche unsportliche Anwendungen von Waffenper Gesetz zu verbieten, genauso aber auch Waffen-typen, die nicht dem sportlichen Gebrauch dienen. Nichtzuletzt sollte der illegale Besitz von Waffen schärfer be-straft werden als bisher. Über Freiheitsstrafen ohne Bewäh-rung muss hier nachgedacht werden. Es handelt sich beiWaffen schließlich genetisch gesehen um Erfindungen derMenschheit, die zum Töten dienen, und dem illegalen Be-

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sitz solcher Instrumente muss mit allen Möglichkeiten,auch denen der Abschreckung, vorgebeugt werden. Dasdürfen und wollen wir in Anbetracht der Ereignisse vom26. April am Gutenberg-Gymnasium nicht vergessen. Diesalles, und das wissen Sie so gut wie ich, leistet noch nichtsoder nur sehr wenig gegen die in unserer Gesellschaftverhängnisvolle Verehrung von Waffen und den ebensoverhängnisvollen und weit verbreiteten Drang, sich mittelsWaffen anderen gegenüber Respekt zu verschaffen. Dazubedarf es noch viel weiter gehender Veränderungen in dem,was in unserer Gesellschaft als erstrebenswertes, sozialesVerhalten Anerkennung findet.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am Schlusssagen, der Gegenstand von Bildung und Erziehung - und esist nicht falsch, dass dieser Gegenstand beim gegebenenAnlass der Schwerpunkt meiner Rede war - umfasst stetsdie Entwicklung von Personen, also von Persönlichkeitenund Psyche. Der Vorgang ist verknüpft mit der Entwick-lung von Staatsbürgern. Unsere Zukunft hängt von dem de-mokratischen Selbstbewusstsein ab, den Fähigkeiten unddem Handeln seiner Staatsbürger, von Staatsbürgern mitaufrechtem Gang, die auf die gesellschaftliche und politi-sche Ordnung zurückwirken, in der sie Bildung und Er-ziehung genossen haben. Demokratie ist Selbstformungder Gesellschaft durch seine Bürgerinnen und Bürger,das ist auch Zivilisation und Kultur. Wir, die PDS, sindbereit, Verantwortung zu tragen und bei den notwendi-gen Veränderungen mitzuwirken. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Präsidentin Lieberknecht:

Es hat jetzt das Wort der Vorsitzende der SPD-Fraktion,Herr Gentzel.

Abgeordneter Gentzel, SPD:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,vor dem Erfurter Rathaus hat eine Schülerin mitten imBlumenmeer ein Plakat aufgestellt mit der Überschrift: "Sielernen ja doch nichts dazu!" Der Schlüsselsatz lautet:"Bald langweilt das Thema 'die Blutspur in der Schule',weil eben alle Spuren weggewischt sind, doch was wirdmit den Spuren in unseren Seelen?"

Meine Damen und Herren, wir dürfen und wir werdennicht vergessen. Wir trauern um 17 sinnlos getötete Men-schen, einen Polizisten, eine Sekretärin, zwei Schüler und12 Lehrer. Wir sind in Gedanken immer noch bei denen,die so Schreckliches erlebt haben, bei den Opfern und beiden Hinterbliebenen der Opfer, deren Väter, deren Mütter,deren Ehe- und Lebenspartnern, ihren Kindern, ihren Ver-wandten, ihren Freunden. Wir haben uns bei vielen muti-gen Menschen zu bedanken. Wir danken den mutigen Po-lizisten, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens andereretteten, ebenso wie den Rettungsdiensten und der Feuer-wehr. Wir danken den mutigen Lehrern und Mitarbeitern

des Gutenberg-Gymnasiums in Erfurt, die trotz eigenerLebensgefahr Leben schützten und somit retteten. Wirdanken den Kirchen für die Begleitung in dieser schwe-ren Stunde und wir danken denjenigen Journalisten, diesensibel über die Geschehnisse aus Erfurt berichteten, diedie Opfer und nicht die Sensation in den Vordergrund derBerichterstattung stellten.

Meine Damen und Herren, die Stunden, die Tage, dieWochen nach diesem furchtbaren Geschehnis waren nichtdie Zeit für politische Auseinandersetzungen. Ihnen, HerrMinisterpräsident Dr. Vogel, möchte ich im Namen derSPD-Landtagsfraktion danken. Sie haben in dieser schwe-ren Zeit die richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt ge-funden. Ihre ersten Hilfsmaßnahmen für die Angehörigender Opfer waren und sind richtig und angemessen. Sie ha-ben zu jedem Zeitpunkt dieses Haus umfassend informiertund Sie haben zugehört, als wir Ratschläge formulierten.Sie, Frau Landtagspräsidentin, haben den Kontakt zwi-schen den Fraktionen nicht abbrechen lassen, auch dafürgebührt Ihnen Dank, genauso wie dem Oberbürgermeisterder Stadt Erfurt, Herrn Manfred Ruge, der wohl in derschwärzesten Stunde der Stadt Erfurt in der NachkriegszeitHaltung zeigte und sich seiner Emotionen nicht schämte.

Meine Damen und Herren, in diesen schlimmen Stundensind die Erfurter, die Thüringer, die Deutschen ein Stückzusammengerückt und es war gut und richtig, dass die Re-präsentanten aller großen Parteien nach Erfurt kamen. Die100.000 auf dem Erfurter Domplatz und nicht zu vergessendie vielen Menschen in den Kirchen, auf den Plätzen, inden Schulen haben nicht nur getröstet, sondern auch Mutgemacht, Mut gemacht zu einer Diskussion und Mut ge-macht zum Handeln. Es ist nur folgerichtig, dass wir jetztdas diskutieren, was dieser schrecklichen Bluttat folgenmuss, aber es wird kein Gesetz geben, keine Verordnung,keinen Erlass und keine noch so intensive Diskussion, diegarantiert, dass so etwas wie in Erfurt nicht wieder passiert.Wir können dieses Puzzle von Ursachen, die zu dieser Tatgeführt haben, versuchen zu verstehen und wir könneneinzelne Puzzlesteine herauslösen und es wahrscheinlichermachen, dass eine solche Untat nie wieder geschieht. Aberich warne auch vor einer zu aufgesetzten Diskussion; ichhalte es da wie der Bundeskanzler. Ich brauche keinenunmittelbaren wissenschaftlichen Beweis für den direktenZusammenhang zwischen der Tat und der Darstellung vonGewalt in Medien. Ich weigere mich zu verstehen, dass esrichtig sein soll, dass unsere Jugend heute in den elektro-nischen Medien mit so viel Gewalt konfrontiert wird. Soetwas hat immer Einfluss auf junge Menschen und geradeauf ihre Seelen.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Ich bin erschüttert, dass nur drei Wochen nach der schreck-lichen Tat am Erfurter Gutenberg-Gymnasium sich 60 Ju-gendliche in Erfurt treffen dürfen, ihre Computer vernetzenund auf einer so genannten "LANE-Party" sich über dasVideospiel Counter-Strike bekämpfen. Nach Aussage des

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Organisators haben viele Spieler ihre Spielmodi "Blut" und"Waffen" ausgeblendet. Die Grafik, so sagte er, irritiertbeim Spielen. Meine Damen und Herren, dieser vielleichtungewollte Zynismus ist doch kaum noch zu ertragen. Ha-ben wir so wenig dazugelernt? Im Übrigen gibt es nachdem Strafgesetzbuch die Möglichkeit, diejenigen Produ-zenten zu verfolgen, die Gewalt verherrlichende Medienherstellen oder zugänglich machen. Ich weiß keinen Grund,warum Videos existieren, hergestellt und vertrieben wer-den, in denen Menschen auf brutalste Art und Weise zer-stückelt werden. Die strafgesetzlichen Möglichkeiten zuderen Verbot und Ahndung werden meines Erachtens insträflicher Weise nicht genutzt.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns über die Puzzle-steine reden, für die wir Verantwortung tragen. Der heutigeTag, mit dem Versuch eine gesellschaftliche Wertedebatteanzustoßen, ist ein wichtiger Tag dabei. Sie, Herr Mi-nisterpräsident, haben unsere Unterstützung bei Ihremgemeinsamen Bemühen mit den Fraktionsvorsitzenden imBundestag diese Debatte auf Bundesebene fortzusetzen. ImMittelpunkt dieser Debatte muss die Familie stehen. SolcheDinge wie Werte und Normen werden immer und zualler-erst in der Familie vermittelt. Die Familie muss auch derOrt sein, wo zuallererst Kommunikation gelernt wird oderanders gesagt, wo man lernt zuzuhören, mitzureden, nach-zudenken, sich einzumischen. Dort müssen die Grundsteinegelegt werden, um aus Kindern Erwachsene zu machen,die, wie es Johannes Rau sagt, einander achten, aber auchaufeinander achten. Gewalt darf von Anfang an keinenPlatz in der Familie haben. Gewaltfreie Erziehung ist undbleibt ein wesentliches Ziel unserer Familienpolitik. Na-türlich ist es neben dem Erwähnten auch wichtig, in derFamilie solche Dinge wie Respekt voreinander und ge-genseitiges Rückenstärken einzuüben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vieles von dem,was ich formuliert habe, ist sicherlich in vielen ThüringerFamilien gang und gäbe, doch wir alle kennen auch Fa-milien, wo das eben nicht funktioniert, aus Gesprächen mitEltern, die verzweifelt sind, weil sie keinen Zugang zuihren Kindern mehr bekommen, aus Gesprächen mit Leh-rern, die uns teilweise ihre Hilflosigkeit schildern, weil sievom Elternhaus keine Unterstützung bekommen und auchaus Gesprächen mit der Polizei, die uns schildert, dass ge-waltfreie Erziehung in so mancher Familie ein Wunsch-traum ist. Wir haben ein System aufgebaut von Familien-beratungen über Erziehungsberatungen bis hin zum Ju-gendamt. Das funktioniert aber nur, wenn Eltern oderKinder sich an diese Einrichtungen wenden. Ohne Anlassgreifen diese Institutionen nur in Extremfällen ein. Was wirerreichen müssen, ist an dieser Stelle ein Stück mehr Mit-einander. Schulfreunde, Nachbarn, Arbeitskollegen müssenhinhören, müssen offen sein, wenn Probleme angesprochenwerden, und sie müssen Hilfe anbieten. Viele Menschentrauen sich aus Scham oder aus Sorge als Versager ab-gestempelt zu werden, nicht, Hilfsangebote, zum Beispielvon Beratungsstellen, anzunehmen. Diese Ängste müssenwir ihnen nehmen durch bessere Informationen und durch

mehr Verständnis.

Meine Damen und Herren, ich halte es für wichtig, dass wirin der Familiendebatte den so oft gebrauchten nostal-gischen Unterton vermeiden. Erstens stimmt dies generellnicht - "früher war alles besser" -, zweitens ist das Umfeldeiner Familie ein anderes geworden und so bringen solcheAntworten wie: "Früher musste ich auch um 20.00 Uhr insBett", keine Hilfe. Wir sind direkt dafür verantwortlich,dass die Familien wieder Vertrauen auch in die Politik be-kommen. Ich halte das in der jetzigen Situation für beinaheunerträglich, was teilweise für unverantwortliche Ver-sprechen im Bundestagswahlkampf an die Familien ge-macht werden. In ihrer Zielstellung sicherlich wünschens-wert, zur finanziellen Umsetzung wird wohlweislich nichtsgesagt. Es wäre richtiger an dieser Stelle eher zu schwei-gen, als vollmundige Versprechen in die Welt zu setzen,von denen man heute noch nicht weiß, wie man sie mor-gen einlösen kann.

Meine Damen und Herren, der Traum vom bildungspo-litischen Musterland Thüringen ist ausgeträumt. DasThema "Bildung" hat durch PISA und die schmerzlichenEreignisse am Gutenberg-Gymnasium an dringender unduns drängender Aktualität gewonnen. Die Bildungsdebattein Thüringen hat längst begonnen. Der Empfänger der bil-dungspolitischen Forderungen sind wir, ist der ThüringerLandtag, denn, hier müssen wir handeln, entschlossen undzeitnah handeln, wo der Auftrag klar und unumstrittenist, nach offener Diskussion handeln, wenn bestehendeFragen und Zweifel noch nicht ausgeräumt sind.

(Klingeln eines Handys)

(Unruhe im Hause)

Präsidentin Lieberknecht:

Ich bitte doch alle Vertreter der Medien, auch ihre Handysabzustellen - es ist hier im Raum nicht üblich - oderzumindest den Saal zu verlassen. Bitte.

Abgeordneter Gentzel, SPD:

Sofort sollten wir zwei Dinge angehen, die im Übrigenauch nichts kosten: Erstens, eine Zwischenprüfung amEnde der 10. Klasse am Gymnasium mit dem Ziel einesRealschulabschlusses und zweitens, den Informationsflusszwischen Schülern, Eltern und Schule zu verbessern. Wirhalten die kurze Prüfung im Justizministerium und dieAblehnung mit dem Verweis auf das Grundgesetz in dieserAngelegenheit für zu halbherzig und wenig konstruktiv.Weshalb kann nicht in Thüringen ebenso, wie in Bremenvorgesehen, jedem volljährigen Schüler und dessen Elterndurch die Schule ein freiwilliger Kontrakt über wechsel-seitige Informationen angeboten werden? Gewiss mussman über den Inhalt einer solchen Vereinbarung nochnachdenken, doch hier muss schnell etwas geschehen. Ichhabe formuliert: Die Bildungsdebatte in Thüringen hat

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längst begonnen. Denen, die dieses anzweifeln wollen, unddenen, die der Meinung sind, nur PISA kann uns zumHandeln zwingen, sei aus einigen Briefen zitiert. Voneiner Erfurter Schule in einem Brief an alle Landtags-fraktionen: "Das Alte funktioniert so nicht mehr. Wirkennen die Realität und fragen daher, warum gilt auchin der Bildung das Gesetz 'Was sich nicht rentiert, wirdnicht gemacht.' oder 'Warum legen nicht alle Schüler amGymnasium die Prüfung für den Realschulabschluss ab?'oder 'Warum gibt es keine Klassenleiterstunden mehr?'oder 'Warum arbeitet man nicht mit den Lehrerinnen undLehrern sowie mit den Eltern und uns Schülern gemein-sam?'" Auszüge aus einem Brief eines Geraer Gymna-siums an die Landtagsfraktionen: "Im Verlauf von Ge-sprächen über Ursachen und Folgen kamen Lehrer undSchüler und Eltern zu der Erkenntnis, dass es höchste Zeitist, einiges am Thüringer Bildungssystem und auch darüberhinaus zu ändern. Ein Sparkurs darf nicht zum Bildungs-notstand führen. Wir halten es für notwendig, die Klassen-stärken zu reduzieren. Es fehlen Stunden für Arbeitsge-meinschaften und für die Klassenleiter. Wir halten es fürdringend erforderlich, den Schülern des Gymnasiums amEnde der 10. KIasse ein abschlussgültiges Zeugnis durchPrüfung am Gymnasium in die Hand zu geben." Das Kolle-gium einer Grundschule in Gera: "Das Finanzministeriumspart, gespart wird vor allem im Sozial- und Bildungs-bereich. Lehrer sind im Überhang - laut Statistik desKultusministeriums also raus. Warum setzt man gut aus-gebildete Fachkräfte nicht anderweitig im Schulbereich ein,beispielsweise für Arbeiten am Nachmittag?" Und weiterheißt es in diesem Brief: "Ein sinnvolles Personalkonzeptund leistungsorientierte Bezahlung fehlen. Bei uns machtsich der Gedanke breit, es ist gar nicht gewollt, Kontinuität,die so wichtig ist, soll es nicht geben. Hieran muss manarbeiten, hier ist die Politik gefragt." Eine Grundschule ausBad Berka: "Die Politik kann nicht alles richten, sollteaber unbedingt schnelle Konsequenzen aus dieser Tat zie-hen. Das Kultusministerium muss umgehend für eine demRealschulabschluss gleichende Prüfung in der 10. Klasseam Gymnasium sorgen. Die Klassenlehrertätigkeit anSchulen muss mehr unterstützt werden." und "Es kannnicht sein, dass sich Schulleitung und betreffende Elternals Gesetzesbrecher fühlen müssen, weil die Schule un-erlaubte Informationen auf Wunsch der Eltern über denvolljährigen Schüler erteilt." Abschließend Zitate aus einemBrief eines Eisenacher Gymnasiums: "Nicht Gleichgül-tigkeit gegenüber bestehenden Problemen, vielmehr ak-tives Handeln sollte unser Leben bestimmen. Da wir die-jenigen sind, die es betrifft, fordern wir Zwischenprü-fungen am Ende der 10. Klasse, Änderung der Noten-gebung im Kurssystem." An einem konkreten Beispielwird dann erläutert, wie die Thüringer Stundentafel mitdem Ziel manipuliert wird, Lehrerstellen einzusparen. ZuDenken geben sollte Ihnen, Herr Krapp, was die Lehrer,die Eltern und die Schüler über Ihr Auftreten formulierthaben - ich zitiere: "Das Bild, das unser KultusministerHerr Krapp im Erfurter Gespräch vermittelte und seineErklärungen erzeugen Wut und Scham."

Meine sehr verehrten Damen und Herren, genug der Aus-züge aus den Briefen. Sie wissen genauso gut wie ich,ich könnte noch ein Dutzend anderer Auszüge daneben-stellen. Halten wir fest: Die bildungspolitische Debatte inThüringen läuft und wir sollten jetzt handeln, wo Hand-lungsbedarf besteht. Der Brief des Eisenacher Gymnasiumsendet mit dem Satz: "Wir sind nicht nur verantwortlich fürdas, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun."Dem ist an Deutlichkeit nichts hinzuzufügen. Es gibt denAuftrag der Jugendlichen, der Eltern und der Lehrer an unszu handeln, genau jetzt und nicht irgendwann. Beim Auf-bau einer so verstandenen Bildungskultur wünsche und er-warte ich ausdrücklich, dass über den Tellerrand hinaus-geschaut wird. Das permanente Verteidigen der jeweilseigenen Position, das wir hier alltäglich erleben, dieseVerteidigung, die ein Infragestellen gerade in der Politikund der Pädagogik kaum noch zulässt, ist doch im wahrstenSinne zerstörerisch. Deshalb sind wir bereit, in eineroffenen Diskussion und ohne dogmatische Position einederartige Bildungskultur gemeinsam mit allen Interessier-ten, vor allem aber mit den Schülern und den Eltern neuzu entwickeln.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war richtig,dass, was die Novellierung des Waffengesetzes betrifft,Thüringen den Vermittlungsausschuss im Bundesrat an-ruft bzw. anrufen wird. Wir müssen klar formulieren: Wirhaben in Deutschland nicht nur ein Problem mit ille-galen Waffen, wir haben auch ein Problem mit legalenWaffen. Was die illegalen Waffen betrifft, begrüße ich denVorschlag aus Niedersachsen: Man sollte eine Monats-frist einräumen, in der ohne Strafe die Möglichkeit be-steht, die Waffen abzugeben. Danach muss der Besitz einerillegalen Waffe als Verbrechen gelten und unweigerlichzu einer Anklage führen. Ich sage an dieser Stelle auch:Es war richtig, die verdachtsunabhängigen Kontrollen inThüringen einzuführen. Jede einzelne illegale Waffe, diedort eingezogen worden ist, ist richtigerweise aus privaterHand verschwunden. Was den Besitz von legalen Waffenbetrifft, eine klare und deutliche Aussage: Waffen wieeine Pumpgun gehören prinzipiell nicht in den privaten Be-sitz, so wie grundsätzlich der private Besitz von Waffennicht zur Regel, sondern zur Ausnahme gehören sollte. Ichverstehe an dieser Stelle den Widerspruch der Schützen-und Schießsportvereine, weil man sie nicht für das ver-antwortlich machen kann, was in Erfurt geschehen ist. Aberich bin davon überzeugt, Erfurt muss Folgen haben unddiese Folgen werden auch die Schützen- und Schießsport-vereine treffen. Es muss zukünftig schwerer sein, privatzum Waffenbesitz zu kommen - und das Gleiche gilt zu-mindest für großkalibrige Munition - und wir dürfen denMenschen erst später als mit dem 18. Lebensjahr die Mög-lichkeit einräumen, Waffen zu erwerben. Das ist weder dasEnde für die Thüringer Schützenvereine noch das Ende fürden Thüringer Schießsport. Es wird, das ist richtig, kom-plizierter, den Schießsport auszuüben, aber dazu stehen wirausdrücklich. Die öffentliche Sicherheit ist das eindeutighöhere Gut.

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Meine Damen und Herren, Nachdenkliches und viel Klu-ges ist nach dem schrecklichen Ereignis am Erfurter Gu-tenberg-Gymnasium gesagt worden. Wir Politiker habendie Möglichkeit, in vielen Veranstaltungen auch außer-halb des Thüringer Landtags für die Einhaltung vonWerten und Normen zu werben. Wir können denjenigenHilfsangebote machen, die sie brauchen. Insbesondere imBildungsbereich sollten wir klare und deutliche Zeichensetzen, auch in die Richtung der Jugendlichen, die sich zuTausenden zu einer Demonstration unter der Überschrift"Schrei nach Veränderung" zusammengefunden haben.Viele von ihnen sind das erste Mal auf die Straße gegan-gen, um für politische Ziele zu werben. Haben wir dasnicht immer hier im Landtag gewollt? Natürlich friedlichund gewaltfrei. Und genau das haben die Jugendlichengetan. Es wäre ein nicht wieder gut zu machender Fehler,den Jugendlichen jetzt nicht klar und deutlich zu signali-sieren: Ja, es gibt Dinge, da habt ihr Recht; ja und dahandeln wir, und zwar unverzüglich.

Meine Damen und Herren, Pestalozzi hat einmal gesagt,wenn man einem Menschen den Weg verbaut, auf dem ergut sein wollte, dann wird er böse. Die Pestalozzistraße,meine Damen und Herren, führt unmittelbar am Guten-berg-Gymnasium vorbei. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der CDU-Fraktion,Herr Abgeordneter Althaus.

Abgeordneter Althaus, CDU:

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Da-men und Herren, das entsetzliche Verbrechen vor einemMonat am Erfurter Gutenberg-Gymnasium hat ganzDeutschland und weit darüber hinaus die Welt erschüttert.Ich möchte heute an diesem Tag erneut unsere tiefe Be-troffenheit, die Betroffenheit der CDU-Fraktion, zum Aus-druck bringen. Wir trauern auch heute um die Toten undunser Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer. UnserMitgefühl gilt auch den Schülerinnen und Schülern sowieden Lehrerinnen und Lehrern des Gutenberg-Gymnasiums,den Polizisten und allen, die die entsetzliche Tat erlebt, dieFreund und Freundin, Ehepartner, Ehepartnerin, Kinder,Lehrer und Kollegen verloren haben. Der Schmerz überdiese entsetzliche Tat ist unermesslich und umso wertvollerist der große Zusammenhalt zwischen Schülern, Lehrernund Eltern des Gutenberg-Gymnasiums, die Anteilnahmeund die Unterstützung, die sie so zahlreich erfahren.

Die Lehrer des Gutenberg-Gymnasiums kümmern sichtrotz eigener Betroffenheit und auch eigener Verunsiche-rung mit aller Kraft um die Schülerinnen und Schüler. Ichdenke, dafür gilt ihnen unser besonderer Dank. Dank giltauch den zahlreichen Helfern, den Sicherheitskräften vonPolizei und Feuerwehr und Krankensicherungsdienst, den

Seelsorgern, den Psychologen und den Verantwortlichenaus Politik und Verwaltung, die seither auf vielfältige Artden Betroffenen in ihrer schwierigen Situation helfen.

Die Stadt Erfurt, allen voran Oberbürgermeister Man-fred Ruge, hat mit Engagement und großer Sensibilität ge-handelt. Das Rathaus als Ort der Begegnung für Schüler,Lehrer, Psychologen und Seelsorger ist zum Symbol fürden besonderen Zusammenhalt in dieser Stadt geworden.Der Thüringer Landesregierung, im Besonderen Minister-präsident Dr. Bernhard Vogel, danken wir ebenfalls für diegroße Umsicht, mit der gehandelt wurde. Es ist gut, dassden Angehörigen der Opfer unmittelbar und unbürokratischHilfen, auch finanzieller Art, zuteil wurden und werden.

Nach der Fassungslosigkeit, nach dem Entsetzen, nachder Trauer kommt verständlicherweise der Versuch, dasUnerklärbare zu erklären, der Versuch, Irrationales rationalnachzuvollziehen. Und zuweilen erleben wir auch denVersuch, die Schuldfrage zu klären. Die zum Teil klein-karierte Debatte um Schulrecht und schulorganisatorischeFragen ist nach meiner Auffassung ein solcher Versuch.Diesen Weg werden wir, das will ich auch am heutigenTag deutlich sagen, so nicht gehen, weil nach dieser Tatunangemessen wäre, den Eindruck zu vermitteln, als wärenSchulrecht und Schulorganisationsfragen Ursache für einesolche Tat.

Warum bleiben wir nicht, so wie in den Reden der letztenTage und Wochen, auch am heutigen Tag dabei, dass wireinmal eine grundsätzliche Debatte zu der Wertorientie-rung in dieser Gesellschaft führen und nicht gleich kleinlichablenken auf die eine oder andere vielleicht auch bedeuten-dere rechtliche Konstruktion? Warum hören wir nicht zu,was die sagen, die als geistige Unterstützer in dieser Ge-sellschaft tätig sind? Und doch, so formulierte BischofWanke vor wenigen Tagen am Himmelfahrtstag: "DasHerz des Menschen ist ein Abgrund." Der Mensch de-finiert sich durch seine Freiheit als Mensch, diese Freiheitaber ist immer eine "Freiheit zum Guten", aber auch eine"Freiheit zum Bösen". Der Täter hat sich für Mord ent-schieden. Dies war keine Tat im Affekt, sondern die Folgeeiner bewussten Entscheidung und die Frage muss stehen,warum diese Entscheidung? Bischof Kähler hat beimTrauergottesdienst auf dem Domplatz ausgesprochen, wasallzu wahr ist und uns Angst macht: "Mord beginnt imHerzen, unsichtbar, dann setzt er sich im Kopf fest. DerMord beginnt in meinem und in deinem Herzen. Er be-ginnt mit der Wut, der Enttäuschung." Aber, müssen wirfragen, Wut und Enttäuschung verspüren doch tagtäglichMillionen von Menschen in Deutschland und weit darüberhinaus. Also bleibt die quälende Frage nach dem Warum.Sicher, diese Frage ist berechtigt und notwendig, aber siedarf uns weder lähmen noch zu allzu einfachen, scheinbarschlüssigen Antworten verleiten. Denn die Folge wäre unsvorzugaukeln, wir könnten nach Klärung der Verantwor-tungsfrage solche Taten gänzlich verhindern. Wir werdennie verhindern, dass jemand versagt, egal welche gesetz-lichen Regelungen, wofür auch immer, wir haben.

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Versagen und Enttäuschung sind zudem ein zutiefst sub-jektives Empfinden, das bei objektiv gleicher Lage vonzwei Menschen unterschiedlich empfunden werden kann.Die entscheidende Frage, die sich uns stellt, lautet doch:Wie schaffen wir es, dass bei aller Enttäuschung, bei allemFrust, bei allem Schmerz, die ein Mensch empfindet, dasLeben an sich unantastbar zu belassen? "Die Würde desMenschen ist unantastbar.", diese Formulierung wurde sehrbewusst als erster Satz in Artikel 1 des Grundgesetzes auf-genommen und hat Konsequenzen für die Handlungs-freiheit des Staates, aber, ich denke, auch für die Hand-lungsfreiheit jedes einzelnen Bürgers. Es ist eine Frage derEhrfurcht vor dem Leben und damit auch der Ehrfurchtvor dem anderen Leben und dem eigenen Leben, wie wirmit dieser Würde im Einzelnen umgehen. Ich meine, diesist die Dimension der Fragestellung, mit der wir uns be-fassen müssen. Dies sind wir auch den Opfern und ihrenAngehörigen schuldig.

Noch einmal Bischof Kähler: "Prüfe sich jeder selbst underspare sich nichts. Nur wer die Augen nicht vor sich selbstverschließt, kann anders handeln und mit anderen zu-sammen Leben gewinnen." Nicht von Rechtsfragen, son-dern von einer sehr personalen Frage ist hier die Rede.Wie weit führt Freiheit und Individualität, die wir alle wert-schätzen, zur Isolation? Es geht nach meiner Überzeu-gung deshalb um wirkliche Impulse für eine Kultur derGemeinsamkeit und eine Bildungskultur. Dafür müssenwir die Wurzeln stärken und die Verantwortlichkeit dafürfordern und fördern.

In den letzten Tagen habe ich angeregt, die Kirchen könn-ten ein Forum für diese Reflexion und den notwendigenDialog bieten. Mir ist bewusst, dass diese Diskussiongrundsätzlich in der Demokratie und auch in ihren viel-fältigen Institutionen geführt werden muss. Aber helfennicht Räume und Gesprächspartner, die für einen Geist derMitmenschlichkeit auch symbolhaft stehen? Ganz offen-sichtlich brauchen wir eine ernsthaftere gesellschaftlicheDiskussion darüber, wie wir miteinander leben, welcheWerte unsere Gesellschaft tragen und deshalb für uns per-sönlich wesentlich sein müssen. Der Verweis auf die all-gemeine Diskussion bedeutet nicht, dass sich Politik aus derVerantwortung zieht, im Gegenteil, jeder muss in seinemVerantwortungsbereich Konsequenzen ziehen, auch diePolitik, aber sie nicht allein. Wo entstehen Gewalt undAggressivität, wo und wie entfalten sie sich scheinbar oderauch angeblich unerkannt? Wie werden wir aufmerksam,was tun wir? Fragen über Fragen; wir sollten uns vorschnellen bzw. allzu einfachen Antworten hüten. Für michist das Gespräch in den Familien, in den Schulen, am Ar-beitsplatz, in den Vereinen und Verbänden, in der Politikdas Entscheidende. Denn überall geht es darum, eine Kulturder Werteorientierung, der Achtung der Menschenwürde,der Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft, der Toleranzund des Respekts sowie der Aufmerksamkeit zu stärken.Übrigens, Bildungs- und Erziehungsziele, die als Heraus-forderung für die ganze Gesellschaft und nicht nur fürdie Schule stehen.

Wir brauchen ein Bündnis gegen Gewalt, das ist deutlichzu hören. Was meinen wir damit? Ein zu unterschrei-bendes Programm oder eine Aktion? Von mir aus, aberwichtiger ist für mich die Frage, dass jeder seine Verant-wortung wahrnimmt. Wir müssen uns insbesondere mit denUrsachen von Gewaltentwicklung befassen und dort an-setzen. Noch einmal: Minderwertigkeitsgefühl, Frust undAggression werden auch durch Gewalt kompensiert und sielassen sich nie ganz vermeiden, aber wir müssen aufmerk-samer werden und besser damit umgehen. Wir müssen unsauch fragen, warum davon vorrangig Jungen bzw. Männerin unserer Gesellschaft betroffen sind. Wichtig ist, dass wirKindern und Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit widmen,sie annehmen mit ihren Stärken und Schwächen, mit ihrerganzen Persönlichkeit und ihren persönlichen Problemen.Jeder Mensch will im Grunde geliebt werden, will Wert-schätzung erfahren und Achtung genießen. Das heißt, wirmüssen die Chancen für erfolgreiche Entwicklung beijedem erkennen und fördern, statt durch eine ständigeZeigefingererziehung positive Entwicklungschancen zubeeinträchtigen und Probleme ständig zu verstärken.

Gerade junge Menschen brauchen einerseits Verständnisund Rücksicht, aber auch klare Grenzen. Sie müssen lernen,ihre Stärken und Schwächen zu akzeptieren und Verant-wortung für sich selbst und für andere, für Jüngere, fürGleichaltrige und Ältere zu übernehmen. Dazu muss einfamiliäres, schulisches und gesellschaftliches Umfeld vor-handen sein, das dem Einzelnen hilft, wenn sich Problemeabzeichnen, das Warnsignale, die oft genug zugleich derSchrei nach Hilfe sind, wahrnimmt und sensibel darauf rea-giert. Dies sind nach meiner Überzeugung wesentlicheVoraussetzungen für eine Kultur der Gemeinsamkeit.

Zu unserer Kultur gehört auch ein gesundes Leistungs-verständnis, nachdem jeder seine Fähigkeiten und Bega-bungen entfaltet und diese für sich und die Gemeinschafteinsetzen kann. Leistung hat in unserer Gesellschaft zuRecht einen hohen Wert und ich verstehe die Tendenz,Leistung und die Forderung nach ihr zu diskreditieren,nicht. Die Ergebnisse der PISA-Studie mahnen uns dochgerade zu mehr Konsequenz im Blick auf Leistung. Einpositives Leistungsverständnis und eine positive Leistungs-erfahrung stärken doch das Selbstwertgefühl junger Men-schen. Zum Zweiten: Nur wenn wir Begabungen und Ta-lente auch erkennen und gesondert fördern, sichern wirdoch die Zukunftsfähigkeit unserer freiheitlichen, aufWohlstand und Solidarität ausgerichteten Gesellschaft.Kinder und Jugendliche müssen aber auch lernen, mitMisserfolgen human umzugehen. Es ist wesentlich, dassJugendliche für sich eine Zukunftsperspektive finden undeine positive Einstellung zu sich, zu ihrem unmittelbarenUmfeld und zu unserer Gesellschaft insgesamt entwickeln.

Vielfältige gesellschaftliche Sphären sind in diesem Zu-sammenhang zu besprechen. Aber es wäre fatal, wenn wirallzu schnell versuchen, das Prinzip des Schwarzen-Peter-Spiels anzuwenden. Das Klima im Elternhaus ist, das istschon deutlich angesprochen worden, entscheidend für

5302 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

die kindliche Entwicklung. Eltern haben das Erziehungs-recht, sie haben aber auch die Erziehungspflicht. Sie tragenVerantwortung für das Kind und haben gerade in den prä-gendsten Jahren die entscheidende Vorbildfunktion, die sieselbst nicht unterschätzen dürfen. Wir müssen sie ermu-tigen und unterstützen, ihren Erziehungsauftrag umfassendwahrzunehmen. Bei der Kooperation mit Kindergärtenbzw. Schulen muss es deshalb immer auch darum gehen,das Bewusstsein der Eltern für ihre Erziehungsaufgabe zufördern und ihre Erziehungskompetenz zu stärken helfen.Eltern, die sich überfordert fühlen, müssen ausreichendHilfe finden, wie sie schon im heutigen Kinder- und Ju-gendhilfegesetz verankert ist. Wir sollten ihnen aber denWeg zu entsprechenden Beratungseinrichtungen erleich-tern. Kinder, die Gewalt in der Familie erleben - Gewaltgegen Ehepartner, Gewalt gegen Kinder -, greifen späterhäufig auf Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung zurück.Das heißt, Gewalt darf in Familien und auch in über-trieben medialem Sinn keinen Platz haben.

Die Schule ist sich ihres Bildungs- und Erziehungsauftragsbewusst. Bildung und Erziehung fallen im Übrigen beieinem Lehrer, der seine Profession versteht, nicht ausein-ander. Personale und soziale Fähigkeiten bedingen fach-licher und methodischer Fähigkeiten und Kenntnisse undumgekehrt. Diese unsägliche Diskussion der letzten Jahr-zehnte - einmal Bildung, einmal Werteerziehung - hat auchdazu beigetragen, Missverständnisse entwickeln zu helfen.Bildung und Erziehung sind zwei Seiten ein und dersel-ben Medaille. Jeder, der bildet erzieht auch, auch wenner sich dessen nicht bewusst ist. Jeder, der erzieht, mussbilden, weil sonst Erziehung keine Substanz hat.

Lehrkräfte müssen Schülerinnen und Schüler insbesonderegegen Gewalt und Mobbing sensibilisieren, sie aufmerksammachen und Konfliktlösungsstrategien aufzeigen und diesegemeinsam an den Schulen umsetzen. Dazu brauchensie die Unterstützung der Gesellschaft, und zwar mehr alsbisher, denn auch die Verunsicherung der Lehrerschaft hatzugenommen. Viele Lehrer fragen sich nach außen ge-richtet doch sehr ernsthaft, was bin ich persönlich dieserGesellschaft wert? Da geht es nicht um finanzielle Fragen,sondern um die vielfältigen Biertisch- und anderen Ge-spräche, die den Wert der Schule und den Wert der Pä-dagogen negativ beeinflussen. Wird mir vertraut? Wirdmeine Arbeit unterstützt? Wird mir etwas zugetraut oderWoche für Woche immer mehr zugemutet? Nach innen:Kann ich meinen Schülern noch vertrauen? Das hängt sehreng mit der Frage Eltern und Schüler zusammen. WelcheRisiken gehe ich in der Auseinandersetzung mit Schü-lern ein oder sollte ich diese lieber meiden? Schule lebtnach innen und nach außen, deshalb von einem Vertrau-ensverhältnis für das wir alle Verantwortung tragen.

Wir müssen die Arbeit der Lehrer wertschätzen und dasheißt ausdrücklich nicht Kritiklosigkeit. Aber wenn wir- wir alle, Eltern und Lehrkräfte - die Erziehung als gemein-samen Auftrag verstehen, dann müssen wir uns über pä-dagogische Leitlinien und konkrete Lösungen für Probleme

verständigen und wir müssen - was genauso wichtig ist -uns achten und dies auch den Schülern gegenüber ver-mitteln.

Die Kooperation mit Schulpsychologen, Sozialpädagogen,Mitarbeitern der Jugendhilfe kann in Problemsituationensicher hilfreich sein. Schüler, Lehrer und Eltern müssensich kennen und sich auch besser erkennen. Sie müssensich gegenseitig informieren, wenn sich ein Mitschülerisoliert. Sackgassenentwicklungen müssen rechtzeitig er-kannt werden, sonst können innere Verzweiflung in Ag-gressionen umschlagen oder es können - was allzu häufigfestzustellen ist - Miterzieher mit erheblich negativerAusstrahlung an Einfluss gewinnen.

In diesen Tagen ist eine Diskussion auch über die Thü-ringer Schulabschlüsse entbrannt. Sie hat mit dem Ver-brechen am Gutenberg-Gymnasium originär nichts zu tun.Die Frage nach Schulabschlüssen und Qualitätssicherungbzw. -verbesserung, auch der Bezug beider zueinander,erfordern eine grundlegende und vorurteilsfreie Dis-kussion. Das ist kein aktueller Auftrag, das gilt in einersich dynamisch entwickelnden Gesellschaft immer. Dabeimüssen wir die Stärken und Schwächen unseres Bildungs-systems analysieren und die notwendigen Konsequenzenziehen. Dazu sind wir bereit, aber nicht in der Kurz-schlüssigkeit schnell gefundener Antworten. Das StichwortMedien ist vielfach in den letzten Tagen und Wochendiskutiert worden. Natürlich, ein besonderes Problem istdie Darstellung von Gewalt in den Medien, im Fernsehen,in Videos, im Internet und in vielen Musiktexten. Ge-waltdarstellungen sind leider viel zu selbstverständlichgeworden, wobei für mich das eigentliche Problem nichtdie Darstellungen sind, sondern die Verfügbarkeitsplu-ralisierung und die Dynamik, die wir erschreckend fest-stellen. Gewalt wird häufig verherrlicht, als faszinierenddargestellt. Kinder und Jugendliche können aber zwischenFiktion und Realität oft nur schwer unterscheiden. DieHemmschwelle gegenüber Gewalt sinkt. Genau dies isteine Gefahr vor allem für labile Kinder. Ich kenne dievielfältigen psychologischen Kompensationstheorien imBlick auf die Wirkung solcher Filme und Spiele. Ver-kennen wir aber nicht, die psychologische Forschung ist andieser Stelle Jahrzehnte alt. Die Realität hat sich aber inden letzten acht Jahren erheblich verändert. Das WorldWide Web mit all den Folgeentwicklungen ist eben erst seitwenigen Jahren so umfassend nutzbar. Die Eltern, ichwürde sagen, alle Erwachsenen wissen häufig gar nicht,mit was sich die Kinder beschäftigen, und uns ist dieseWelt weitgehend, auch sehr bewusst, verschlossen. Damitgehen die Kinder als Kommunikationspartner verloren. Sieleben zum Teil in einer anderen, einer virtuellen Welt. MitKillerspielen reagieren sie sich nicht nur ab, sondernerlangen in so einer virtuellen Welt natürlich auch Fähig-keiten. Solche Fähigkeiten können auch gefährlich wer-den. Frank Schirrmacher, ein Mitherausgeber der FAZ, hatvor wenigen Tagen in Erfurt beim Dialog von der"Hass-Industrie" gesprochen, die sich bereits etabliert habeund erheblich profitiere.

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"Hass-Industrie" und "Spaßgesellschaft", beides - nachmeiner Überzeugung - pervertiert im Grunde unseren An-spruch auf Kultur. Die Bildungskultur und die Kultur derGemeinsamkeit legt die Fundamente für eine verant-wortliche Individualität, die nicht nur etwas mit Spaß zutun hat, und eine verantwortliche Gemeinschaft. Deshalbfordern wir auch ein Verbot der Verbreitung Gewalt ver-herrlichender Videofilme, Killerspiele und Texte, auchwenn ich sofort die kritischen Stimmen - sehr zu Recht -höre, dass doch Internationalität und Verfügbarkeit einsolches Verbot von vornherein ad absurdum führen.

Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, rechtlicheNormen haben, und das ist guter Brauch, immer auch einewesentliche erzieherische Aufgabe. Genau deshalb müssenwir gerade wegen der Globalisierung und der Internatio-nalität dafür sorgen, dass auch zukünftig rechtliche Normenneben der konkreten juristischen Wirkung erzieherischeAufträge bewirken. Im Grundsatz geht es darum, den Be-griff der Kultur, der auch Lesen und Reden umfasst, nichtauszuhöhlen, indem wir einer individuell ausgerichtetenSpaßkultur das Wort reden und das Bild geben. Diese Ten-denz, das Bild geben, dann noch Tag für Tag, tausend-fach medialisiert, orientiert nach meiner Auffassung aufein falsches Menschen- und Weltbild, ein Bild der Be-liebigkeit, der Bindungslosigkeit und der individuellenGrenzenlosigkeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein kurzes Wortzum Waffenrecht: Mehrfach angesprochen, das Waffen-recht muss mit Blick auf den Waffen- und Munitions-erwerb sowie deren Lagerung verschärft werden. Auch hierneben der konkreten rechtlichen Frage eine erzieherischeFrage, es darf nicht sein, dass sich junge Menschen mitgefährlichen Waffen ausstatten und die dafür notwendigeMunition horten können. Auch ist sicherzustellen, dassSchützen nicht im kampfmäßigen Schießen ausgebildetwerden. Die Schützen- und Jagdvereine, da bin ich sicher,auch für Thüringen, handeln sehr verantwortlich, gerade imUmgang mit Kindern und Jugendlichen, und sie müssenin ihrer besonderen Verantwortung für ihre jungen Mit-glieder auch weiter gestärkt und gefordert werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist gut, dasswir als Fraktionen im Thüringer Landtag heute diese grund-sätzliche Debatte führen und dadurch deutlich machen, dasswir bei allen Differenzen in der Tagespolitik in existen-ziellen Fragen unserer freiheitlichen Gesellschaft zu-sammenstehen und in der Lage sind, gemeinsame Po-sitionen zu vertreten. Aber Politik muss auch kontroversdiskutieren. Man darf sich nicht aus der Verantwortungziehen. Wir dürfen aber auch, und das sind die Tage undWochen, die hinter uns liegen, betroffen sein, Entsetzenzeigen und auch einmal in solchen Situationen sprachlossein. Wir werden unseren politischen Auftrag zum Handelnerfüllen, aber - ich hoffe sehr - uns dabei nicht überfordernund nicht aktionistisch handeln. Die Schülersprecherin hatam Sonntag nach der Bluttat sehr deutlich gesagt, sie hofft,dass jetzt nicht Profilierung und Aktionismus folgen.

Die Art und Weise der politischen Auseinandersetzung,die sollte aber nach diesen Tagen eine andere Prägunghaben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, einige Äuße-rungen am heutigen Tag veranlassen mich auch, noch einessehr deutlich zu sagen, von dem ich persönlich zutiefstüberzeugt bin. Zerreden wir doch die Gott sei Dank er-reichten Fortschritte der Freiheit nicht. Nach meinerfesten Überzeugung war zu keiner Zeit der europäischenund deutschen Geschichte im Blick auf Freiheit, Gerech-tigkeit und Menschenwürde ein so positiver Stand erreicht.Die Aufklärung, die Entwicklung der Gleichberechtigung,die Bildungsoffensiven über die letzten Jahrhunderte, ins-besondere die letzten Jahrzehnte, und nicht zuletzt dieÜberwindung ideologisch orientierter und damit menschen-verachtender Gesellschaftssysteme haben doch hervorra-gende personale und gesellschaftliche Ergebnisse gebracht.Eine ganz andere Frage drängt sich doch auf: Sind wir inder Lage, mit der Freiheit und dem Wohlstand so umzu-gehen, dass er für die Zukunft gesichert bleibt? Hierstellt sich die Frage für uns als in der Freiheit geboreneund in der Freiheit lebende Gesellschaft. Das heißt, letztlichgeht es um die Werte, die diese Gesellschaft tragen. Siemüssen gelebt werden und sie müssen erlebbar sein. DieChancen der neuen Medien, der Internationalität, der Glo-balisierung müssen genutzt werden, um solche Werteauch stärker erlebbar zu machen. Gerade hier ist auchPolitik gefragt, aber die vielen Miterzieher, die sich auchpluralisieren, ebenfalls. Die Kultur des fürsorglichen Mit-einanders, die Kultur der Gemeinsamkeit und die Bildungs-kultur müssen gestärkt werden. Das ist das Entscheidendefür die Weiterentwicklung unserer freiheitlichen und de-mokratischen Gesellschaft und ich meine, auch dafürsteht Erfurt. Denn das Maß an Solidarität und Hilfsbe-reitschaft untereinander, das Zusammenrücken der Bevöl-kerung hat dafür beeindruckende Zeichen gesetzt. DiesenWeg müssen wir weitergehen.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich schließe die Aussprache zur Regierungserklärung desMinisterpräsidenten "Der 26. April 2002 und die Kon-sequenzen". Inzwischen ist der Entschließungsantragder Fraktionen von CDU, PDS und SPD in der Druck-sache 3/2451 verteilt worden. Wir kommen zur Abstim-mung über diesen Entschließungsantrag. Wer diesem zu-stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön.Die Gegenstimmen bitte. Stimmenthaltungen? Es ist beidesnicht der Fall und der Entschließungsantrag ist damiteinstimmig angenommen.

(Beifall im Hause)

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 1.

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Ich komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 2

a) Erstes Gesetz zur Änderung desThüringer SparkassengesetzesGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2423 -ERSTE BERATUNG

b) Thüringer Gesetz zu dem Staats-vertrag zur Änderung des Staatsver-trages über die Bildung einer gemein-samen SparkassenorganisationHessen-ThüringenGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2425 -ERSTE BERATUNG

Frau Staatssekretärin Diezel nimmt die Begründung vor.

Diezel, Staatssekretärin:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und HerrenAbgeordneten, Ihnen liegen die Gesetzentwürfe zum Staats-vertrag Hessen-Thüringen und zum Thüringer Sparkassen-gesetz vor. Sie sind das Ergebnis schwieriger Verhand-lungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland mitder Europäischen Wettbewerbskommission.

Folgendes möchte ich Ihnen noch einmal in Erinnerungrufen: Die privaten europäischen Bankenvereinigungenhatten Ende 1999 bei der Europäischen Kommission gegendie Bundesrepublik Deutschland Beschwerde erhoben.Inhalt der Beschwerde waren Anstaltslast und Gewähr-trägerhaftung. Die privaten Banken waren der Auffassung,dass dadurch den öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten,den Landesbanken und Sparkassen gegenüber den privatenMitwettbewerbern unberechtigte Wettbewerbsvorteile ent-stehen. Anstaltslast und Gewährträgerhaftung sind be-kanntlich seit Jahrzehnten tragende Wesensmerkmale derSparkassen und Landesbanken. Gegenstand dieser beidenRegelungen sind Verpflichtungen für die Aufgabener-füllung bzw. für die eventuelle Haftung der Träger deröffentlich-rechtlichen Kreditinstitute. Die EuropäischeKommission hat sich bei der beihilferechtlichen Bewer-tung des Vorgangs den Argumenten der Europäischen Ban-kenvereinigung angeschlossen. Die Bundesregierung, dieMinisterpräsidentenkonferenz, die Verbände der öffent-lichen Kreditwirtschaft, insbesondere die Sparkassen-organisation und die kommunalen Spitzenverbände sindjedoch weiterhin der Auffassung, dass diese Sichtweise,die der Beschwerde zugrunde liegt, nicht zutrifft.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten,die Wettbewerbshüter sehen das deutsche Haftungssystemder öffentlich-rechtlichen Kreditwirtschaft als eine Bei-hilfe, die nicht mit dem EG-Vertrag vereinbar ist, denn,so die Kommission, die Haftung der Träger erhöhe dieKreditwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Institute. Damitverbessern sich auch ihre Finanzierungsbedingungen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, esist uns gelungen, eine langjährige Auseinandersetzung mitder EU, die letztlich vor dem Europäischen Gerichtshof ge-landet wäre, zu vermeiden. Auch und gerade durch den per-sönlichen Einsatz des Ministerpräsidenten Vogel in den Ge-sprächen mit dem Wettbewerbskommissar Monti, durchdas Mitwirken von Minister Trautvetter in der so genanntenKoch-Weser-Kommission und der Arbeitsgruppe ist es ge-lungen, einen Kompromiss herbeizuführen. Am 17. Juli2001 wurde die Verständigung über Anstaltslasten undGewährträgerhaftung zwischen der EU-Kommission undder Bundesregierung erzielt, selbstverständlich unter Be-teiligung der Länderregierung sowie von Vertretern undVerbänden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten,Ihnen liegen die Gesetzentwürfe vor. Sie geben den Inhaltund die aus der Brüsseler Verständigung vom 28. Fe-bruar 2002 gezogenen Schlussfolgerungen wieder. In derBrüsseler Verständigung wurden wesentliche Grundsätzevereinbart. Sie haben im Wesentlichen die finanziellen Be-ziehungen zwischen den Trägern, den Landkreisen, kreis-freien Städten, für die Sparkassen, den Sparkassengiro-verband sowie den Ländern Hessen und Thüringen für dieHelaba zum Ausdruck gebracht. Diese Beziehungen dürfensich künftig nicht mehr von denen der normalen privat-wirtschaftlich gestalteten Beziehungen unterscheiden. Siemüssen sich am Leitbild des Unternehmens in Gesell-schaftsform mit beschränkter Haftung orientieren. Jeglicheautomatische Verpflichtung des Trägers zur wirtschaft-lichen Unterstützung des öffentlich-rechtlichen Kredit-instituts ist auszuschließen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten,heute ist der Entwurf zum Staatsvertrag zur Änderung desStaatsvertrags über die Bildung der gemeinsamen Spar-kassenorganisation Hessen-Thüringen zu beraten. Darinund im Gesetzentwurf zur Änderung des Thüringer Spar-kassengesetzes vom 19. Juli 1994 schlagen sich alle vor-gesehenen Einzelheiten zur Umsetzung der Brüsseler Ver-ständigung nieder. Nach einer Übergangsfrist ist die Haf-tung für die Verbindlichkeiten der Sparkassen und Landes-banken auf die Institute selbst mit ihrem gesamten Ver-mögen zu beschränken. Die Übergangsfrist läuft bis zum18. Juli 2005. Der Staatsvertrag stellt ebenso wie das Thü-ringer Sparkassengesetz den mit der Brüsseler Kommissionvereinbarten Vertrauensschutz für die Kreditinstitute sicher,das so genannte Grandfathering. Beide Gesetzentwürfetragen sowohl hinsichtlich der Texte als auch hinsicht-lich der Begründung den in Brüssel vereinbarten For-mulierungen Rechnung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die kommunalenSpitzenverbände Thüringens und auch der Sparkassengiro-verband Hessen-Thüringen haben im Wege der durchge-führten Beteiligung keine Einwände gegen diese Bestim-mung erhoben, die die Brüsseler Verständigung umsetzen.Lassen Sie mich aber auf zwei nicht durch Brüssel be-dingte Änderungen im Änderungsstaatsvertrag hinweisen:

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Erstens, wir haben in dem Änderungsvertrag eine Optionaufgenommen, die es künftig der Landesbank ermöglicht,die Trägerschaft des Unternehmens neu zu ordnen. Dazuhaben wir entsprechende Vereinbarungen mit dem Spar-kassengiroverband Hessen-Thüringen und der LandesbankHessen-Thüringen getroffen. Damit kann die Trägerschaftauf eine Aktiengesellschaft als Beliehene übertragen wer-den. Eine solche Option würde auf der Ebene der Aktien-gesellschaft auch ein Engagement privater Investoren zu-lassen. Wir glauben, dass dies eine Vorsorge für zu-künftige Herausforderungen sein kann. Dieses Modell istangelehnt an das Modell der Bayerischen Landesbank. Ichbetone aber an dieser Stelle, es besteht momentan keineAbsicht, dieses Modell kurzfristig umzusetzen. Die Er-mächtigung im Staatsvertrag ist aber die mögliche Ant-wort auf noch offene Fragen der Zukunft der Helaba.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zweitens möchteich auf eine neue Bestimmung verweisen. Danach könnendie Träger der Banken allein- oder gesamtschuldnerisch mitanderen Trägern oder Dritten gegen eine marktgerechteGebühr zeitlich befristet oder betragsmäßig festgelegteGarantien übernehmen. Diese Bestimmung ist nur de-klaratorisch. Damit wird keine Finanzverantwortlichkeitdes Trägers festgelegt. Diese Ermächtigung, sie wirdauch das kleine AMAL-Modell genannt, ist dort fest-gelegt. Es ist lediglich klar, dass es dem Träger der Bankebenso wie Dritten unbenommen bleibt, eine Verein-barung, Haftung gegen Entgelt zu treffen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten,der Entwurf zur Änderung des Thüringer Sparkassenge-setzes dient ebenfalls vorrangig der Umsetzung derBrüsseler Verständigung für den Bereich der ThüringerSparkassen. Die Landesregierung hat darin Anregungen derThüringer Sparkassen aufgenommen, soweit es darumgeht, das Entlastungsverfahren der Sparkassenvorständezu vereinfachen und die Bestellung im Verhinderungsfallbeim Sparkassenvorstand zu ermöglichen. Diese Verän-derungen werden von den Verbänden ausdrücklich be-grüßt. Ihre Aufnahme erfolgte unabhängig von denBrüsseler Verständigungen. Die Landesregierung ist aller-dings nicht der Empfehlung des Gemeinde- und Städte-bunds Thüringens gefolgt. Dieser hat angeregt, im Spar-kassengesetz beschriebenen öffentlichen Auftrag detail-lierter zu formulieren. Nach unserer Auffassung ist derhinreichend präzise beschrieben. Mit der Auslegung desöffentlichen Auftrags hat es in der Vergangenheit keineProbleme gegeben. Angesichts dieser Tatsache sehen wirkeine Notwendigkeit, die kommunale Bindung über dengegenwärtigen Gesetzeswortlaut hinaus noch einmal zuunterstreichen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten,im Einklang mit dem Verhandlungsergebnis in Brüsselstellen wir die Gesetzentwürfe, die Ihnen vorliegen, diewesentlichen identitätsstiftenden Grundelemente deröffentlich-rechtlichen Kreditinstitute nicht infrage. Ichnenne diese Elemente noch einmal:

1. die öffentliche Rechtsform,2. die kommunale Bindung,3. die Gemeinwohlorientierung.

Schon bisher hat sich die Landesregierung zu den Spar-kassen und zu den Landesbanken bekannt. Dieses Be-kenntnis findet in der novellierten Regelung seinen deut-lichen Niederschlag. Sparkassen sollen auch künftig undvorrangig dem Mittelstand zur Seite stehen, wenn es umdie Bereitstellung von Finanzierungen geht, dies auch,wenn private Banken dies ausschließen. Kleinere und mitt-lere Unternehmen, Handwerksbetriebe ebenso wie Exis-tenzgründer sollen nicht etwa als Folge der neuen Rechts-gestaltung unterversorgt werden.

Erlauben Sie mir, meine sehr verehrten Damen und HerrenAbgeordneten, dass ich abschließend noch die Gelegen-heit nutze, Sie auf einen Sachzusammenhang und einneues Gesetzesvorhaben hinzuweisen. Am 1. März 2002ist zwischen Bund und EU-Kommission eine Verständi-gung über die Ausrichtung der Förderinstitute in Deutsch-land erzielt worden. Vor diesem Hintergrund wird es not-wendig sein, dass wir das jüngst novellierte TAF-Gesetzerneut ändern. Die EU verlangt, dass bei allen Förderin-stituten in Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechtsklargestellt wird, dass die Refinanzierungsvorteile, die sichaus der Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung ergeben,auf Aufgaben neu beschränkt werden. Diese Aufgaben sindin jeweiligen Errichtungsgesetzen zu spezifizieren. Auf derGrundlage dieser Verständigung müssen Bund und Länderneue Errichtungsgesetze für ihre jeweiligen Förderin-stitute spätestens bis zum 31. März 2004 geändert haben.Die Landesregierung wird Ihnen zügig in Abstimmungmit der Brüsseler Kommission diesen Gesetzentwurfvorlegen. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich eröffne die Aussprache. Es hat sich Frau Abgeord-nete Dr. Wildauer, PDS-Fraktion, zu Wort gemeldet.

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der vorlie-gende Gesetzentwurf der Landesregierung ist eine Re-aktion auf die Verständigung der Europäischen Kommis-sion und der Bundesregierung vom 17. Juli 2001 be-züglich der Anstaltslast und Gewährträgerhaftung beikommunalen Sparkassen und öffentlich-rechtlichen Lan-desbanken. Ohne die so genannte Brüsseler Verständigunghätte die Landesregierung eine Novelle des ThüringerSparkassengesetzes zum gegenwärtigen Zeitpunkt für nichtnotwendig erachtet. Wir als PDS-Fraktion bedauern dies.Während die Landesregierung nur die Vorgaben derBrüsseler Verständigung im Sparkassengesetz umsetzenwill, sehen wir als Fraktion einen weiter gehenden No-vellierungsbedarf, einen Novellierungsbedarf, der sich

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aus den veränderten Rahmenbedingungen und den Er-fahrungen aus der kommunalen Praxis ergibt. Erste Über-legungen dazu haben wir bereits im Sommer 2000, alsovor zwei Jahren, öffentlich zur Diskussion gestellt und auchin der Aktuellen Stunde am 23. Februar des vergangenenJahres im Landtag erörtert.

Für die Landtagssitzung am 15. März 2001 brachten wireinen Antrag zum Erhalt der kommunalen Gewährträger-schaft für die Sparkassen ein. Dieser Antrag wurde aus-führlich im Haushaltsausschuss beraten. Es gab auch eineöffentliche Anhörung dazu. Durch die Brüsseler Verstän-digung hatte sich aber das Anliegen unseres Antrags dannauch erledigt.

Eines haben die Diskussionen vor gut einem Jahr ver-deutlicht: Weder die Landesregierung noch die im Landtagvertretenen Fraktionen haben die kommunale Trägerschaftder Sparkassen in Frage gestellt. Diese Erkenntnis warwichtig. Es war eines der seltenen Ereignisse im ThüringerLandtag, wo wirklich völlige Einmütigkeit herrschte.

Der vorliegende Gesetzentwurf geht ebenfalls -

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Alsdas Sparkassengesetz verabschiedet wurde,hatten wir die Einmütigkeit!)

da war ich noch nicht hier - von der kommunalen Trä-gerschaft für die Sparkassen aus. Dies wird von unsererFraktion ausdrücklich begrüßt. Das Gesetz und der Staats-vertrag mit Hessen sichern, dass Elemente der kommunalenDaseinsvorsorge in Thüringen erhalten bleiben. Die kom-munale Selbstverwaltung wird in diesem Bereich somitnicht weiter eingeschränkt.

Meine Damen und Herren, über den Inhalt der BrüsselerVerständigung an dieser Stelle nochmals zu sprechenmacht wenig Sinn, da der Landtag dazu eine Selbstver-pflichtung eingegangen ist und wir nicht dagegen waren.Dass unsere Fraktion die Bedenken der Privatbanken be-züglich der Anstaltslasten und der Gewährträgerhaftungnicht teilt, haben wir bereits des Öfteren dargestellt.Deshalb kann ich an dieser Stelle auf eine nochmaligeErörterung unserer Position verzichten.

Unser Bekenntnis zu den Sparkassen schließt jedoch nichtaus, dass wir durchaus Notwendigkeiten zur Fortschrei-bung des Sparkassenrechts in Thüringen sehen. Eine Fort-schreibung, die über das hinausgeht, was die Landesregie-rung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ändern will.

Meine Damen und Herren, der öffentliche Auftrag derSparkassen muss sich an den Entwicklungen in der Ge-sellschaft orientieren und deshalb fortgeschrieben werden.Es geht meines Erachtens um mehr als nur um den Erhaltder kommunalen Trägerschaft für die Sparkassen. Es gehtum ein modernes Sparkassenrecht. Nur öffentlich-recht-liche Sparkassen sind in der Lage, die so genannte Ge-

währleistungsfunktion auszuüben, das heißt, für alle Be-völkerungskreise möglichst flächendeckend ein ausrei-chendes Angebot bankwirtschaftlicher Dienstleistungenbereitzustellen. Das kostet Geld, Geld, das andere Bankenhierfür nicht ausgeben wollen oder auch nicht können,wenn sie am Markt bestehen bleiben wollen. Aus be-triebswirtschaftlichen Erwägungen konzentrieren sich diePrivatbanken zunehmend auf größere Städte und Standorte.Die Möglichkeiten der neuen Medien und der Kommu-nikation werden an die Gewährleistungsfunktion derSparkassen, insbesondere im ländlichen Raum, neue An-forderungen und Herausforderungen stellen.

Die PDS-Fraktion stellt die Mindestforderung, dass inallen selbständigen Gemeinden und in jeder Verwaltungs-gemeinschaft zumindest eine mit Personal besetzte Fi-liale der Sparkassen erhalten bleibt. Auch der so genanntenFörderungsfunktion, also Pflege des Sparsinns und derVermögensbildung, Beratung und Unterstützung der Bür-ger in geld- und kreditwirtschaftlichen Fragen, können dieSparkassen nur gerecht werden, wenn ihr Rechtsstatuserhalten bleibt und der öffentliche Auftrag modifiziertwird. Gerade sozial schwache Bevölkerungskreise sindauf die Sparkasse angewiesen, um am bargeldlosen Zah-lungsverkehr teilnehmen zu können. Nach der Privatisie-rung der Postbank gewinnt diese Aufgabe für die Spar-kasse noch mehr an Bedeutung. Immer wieder erhalten wirInformationen, dass gerade große Privatbanken sozialschwache Bürger als Kunden zurückweisen.

Meine Damen und Herren, die Sparkassen sind vonherausragender Bedeutung für die klein- und mittelstän-dische Wirtschaft in Thüringen. Junge Klein- und mit-telständische Unternehmen brauchen ihre Bank vor Ort,die die besonderen Bedingungen kennt und nicht nur amgrünen Tisch Finanzentscheidungen fällt. Hier gibt essicherlich auch immer noch Entwicklungsbedarf. DieStruktursicherungsfunktion der Sparkassen darf unseresErachtens nicht weiter eingeschränkt werden. Die Be-friedigung des Kreditbedarfs Klein- und mittelständischerUnternehmen ist für diese mit immer mehr Kosten ver-bunden, wenn ich hier nur auf das zunehmend geforderteRating-Verfahren in der Folge von Basel II verweise.Kommunale Sparkassen sind hier für die klein- undmittelständische Wirtschaft ein viel kompetenterer undzuverlässigerer Partner als große Privatbanken. Die Wett-bewerbskorrekturfunktion der Sparkassen wird auch künf-tig unerlässlich sein. Schließlich sind die Sparkassen imnicht unerheblichen Umfang nach wie vor als kommunaleHausbank von Bedeutung, auch wenn es manchmal dieSparkassen unverständlich finden, dass die Kommunenihre Kredite bei anderen Banken aufnehmen. Das aberist eben Wettbewerb.

Die von mir hier nur kurz skizzierten Aufgaben derSparkassen müssen aus Sicht unserer Fraktion möglichstkonkret im Sparkassengesetz formuliert werden. Hier weistdas bisherige Gesetz doch noch Regelungslücken auf. Ausder kommunalen Ebene wird zunehmend der Wunsch laut,

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dass der Träger auch am wirtschaftlichen Erfolg der Spar-kassen mit beteiligt wird. Dieser Wunsch ist aus vielerleiGründen durchaus verständlich. Muss doch schließlich dieKommune auch für eventuelle Verluste haften. Aufgrundder bisherigen Regelungen im Thüringer Sparkassengesetzerfolgten bisher noch keine Abführungen aus den Jahres-überschüssen der Sparkassen an die Träger, also die Land-kreise und kreisfreien Städte. Dies wird sich nach Mei-nung von Experten auch mittelfristig nicht ändern. Wirsehen hier Änderungsbedarf, den wir bereits mehrfachthematisiert haben. Selbst der finanzpolitische Sprecherder CDU-Fraktion, Herr Mohring, hat sich einmal indiese Richtung für Änderungen ausgesprochen.

Die Bestimmungen in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein könnten auch fürThüringen Vorbild sein. Die betriebswirtschaftlichen In-teressen der Sparkassen würden dabei bewahrt und dieLandkreise und kreisfreien Städte hätten etwas größerefinanzielle Gestaltungsräume, die aufgrund der angespann-ten finanziellen Situation der Kommunen bitter nötig sind.Ich weiß, dass die Sparkassen sehr unterschiedlich mitÜberschüssen umgehen. Mancherorts, wie beispielsweise inGotha, gibt es Sparkassenstiftungen, die Preise zur Kultur-förderung verleihen, aufwändige Einrichtungen in Kom-munen, vorwiegend museale Einrichtungen, mit finan-zieren und auch anderes. Es gibt aber auch Sparkassen, diewillkürlich nach Gutdünken Gelder zur Unterstützung ge-ben. Man sollte jedoch darüber beraten, ob dann, wenndie Kommunen in einem angemessenen Rahmen an einemwirtschaftlichen Erfolg der Sparkassen beteiligt würden,dies nicht letztlich eine zusätzliche Motivation wäre, sichunbedingt für den Erhalt auch weiterhin der kommunalenTrägerschaft einzusetzen.

Unserer Fraktion ist bewusst, dass in diesem Punkt dieSparkassen eine andere Auffassung vertreten. Sie be-fürchten durch eine Beteiligung der Kommunen amSparkassengewinn eine Schwächung der Eigenkapital-bildung. Diese Befürchtung teilen wir nicht, weil nachunserer Auffassung die kommunale Beteiligung am Spar-kassengewinn in einem sehr moderaten, sagen wir ineinem vertretbaren, Rahmen bleibt.

Meine Damen und Herren, unsere Fraktion wird zumvorliegenden Gesetzentwurf der Landesregierung einigeÄnderungsanträge einbringen. Dabei geht es uns u.a. umdie Modifizierung des öffentlichen Auftrags, die Neuaus-richtung der Verhältnisse zwischen den Organen der Spar-kasse und den Organen der kommunalen Träger sowie umeine angemessene Beteiligung der Träger am wirtschaft-lichen Erfolg der Sparkassen. Die Grundzüge des Thü-ringer Sparkassenrechts werden durch unsere Änderungs-anträge keineswegs infrage gestellt.

Meine Damen und Herren, da die Änderungen im Spar-kassengesetz unmittelbar Auswirkungen auf die gemein-same Sparkassenorganisation Hessen-Thüringen haben,muss ich auf den Staatsvertrag an dieser Stelle nicht

noch einmal eingehen. Ich danke.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Dr. Müllerzu Wort gemeldet.

Abgeordneter Dr. Müller, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, gestattenSie mir ein paar kurze Bemerkungen zur ersten Lesung. Dieheute zur ersten Lesung vorliegenden Gesetze sind der vor-läufige Schlusspunkt einer mehrjährigen unerfreulichenDebatte. Auslöser der ganzen Diskussion war die Be-schwerde des Europäischen Bankenverbands bei derEuropäischen Kommission. Nach Auffassung des Banken-verbands sind die beiden staatlichen Haftungssysteme,Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, nicht vereinbar mitdem europäischen Wettbewerbsrecht. Letztlich hat sich derBankenverband mit dieser Auffassung leider durchge-setzt. Die Folge, eine hochrangige Delegation aus Vertre-tern des Bundesministeriums der Finanzen, der Länder-finanzministerien, der kommunalen Spitzenverbände unddes Deutschen Sparkassen- und Giroverbands suchte inVerhandlungen einen Kompromiss außerhalb eines offi-ziellen Beihilfeverfahrens, um zu retten, was zu rettenist. Im Sommer vergangenen Jahres gelang dieser vomFinanzstaatssekretär Cajo Koch-Weser angeführten Ver-handlungsdelegation die Vereinbarung eines viel beach-teten Kompromisses mit der Europäischen Kommission.Danach wird die Gewährträgerhaftung abgeschafft unddie Anstaltslast modifiziert. Maßgebend bei den neuenRegelungen zur Anstaltslast ist der Wegfall jeder Ver-pflichtung und jedes Automatismus wirtschaftlicher Un-terstützung durch den Eigentümer. Die öffentlichen Kre-ditinstitute werden dabei für den Insolvenzfall den gleichenRegeln unterworfen wie private Kreditinstitute. Da nachden geschlossenen Vereinbarungen alle gesetzgeberischenMaßnahmen bis zum 31.12.2002 abgeschlossen seinmüssen, ist die Vorlage der genannten Gesetze hier imThüringer Landtag erforderlich geworden. Es ist müßig, inerster Lesung bereits über Details dieser beiden Gesetze zudebattieren. Die SPD-Landtagsfraktion geht davon aus, dassdie enthaltenen Regelungen und Formulierungen zur Ab-schaffung der Gewährträgerhaftung und Neuregelung derAnstaltslast mit dem Bundesfinanzministerium und der EUabgestimmt sind. Insofern gibt es an dieser Stelle nureinen sehr geringen Spielraum für Änderungsvorschläge.Größeren Beratungsbedarf sehen wir bei allen nicht mitdem Brüsseler Kompromiss zusammenhängenden Ände-rungen beider Gesetze. Da eine sehr umfangreiche Ände-rung insbesondere des Thüringer Sparkassengesetzes ge-plant ist, sehen wir die Notwendigkeit einer ausführlichenBeratung unter Anhörung der kommunalen Spitzenver-bände und des Sparkassen- und Giroverbands im Haus-halts- und Finanzausschuss. Entsprechende Änderungs-vorschläge dieser Organisationen zum Sparkassengesetz

5308 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

liegen bereits seit längerer Zeit vor und sollten genaugeprüft werden.

Noch einen Hinweis zu dem, was Frau Dr. Wildauergesagt hat: Wir müssen natürlich aufpassen, dass wirbeim Sparkassengesetz nicht in Detailregelungen hin-eingehen, etwa Strukturen der Sparkassen oder Geschäfts-aufbau. Erstens bekommen wir dann wieder Problememit dem Wettbewerbsrecht und zum anderen muss mansehen, Sparkassen sind Wirtschaftsbetriebe und müssennatürlich in ihrem Unternehmen den Wettbewerb gestal-ten und nicht über Landesgesetz, sonst gefährden wir dieSparkassen gerade.

Ich beantrage die Überweisung der Gesetze an den In-nenausschuss mitberatend und an den Haushalts- undFinanzausschuss federführend. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Mohringzu Wort gemeldet.

Abgeordneter Mohring, CDU:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Vor-redner haben es angesprochen, das Jahr 2001 war für dieöffentlich-rechtlichen Kreditinstitute kein gutes Jahr.Zunächst ging die Europäische Kommission gegen dieWest-LB vor wegen einer unzulässigen Eigenkapitalsub-vention durch die nordrhein-westfälische Wohnungsbau-förderungsanstalt und später - das war ausschlaggebendfür den Brüsseler Kompromiss, der im Jahr 2001 erzieltwurde - haben die Privatbanken vor der EU-Kommissiongegen die angestammten Privilegien der öffentlich-recht-lichen Institute in Deutschland geklagt. Sie wissen, imWesentlichen ging es um die Stichworte Anstaltslast undGewährträgerhaftung und geklagt haben die Privatbankengegen die fortwährende Funktionsfähigkeit eines öffent-lich-rechtlichen Finanzinstituts, das dadurch gesichertwird, dass der öffentliche Träger sich verpflichtet, etwaigefinanzielle Lücken durch Zuschüsse oder andere Maß-nahmen auszugleichen. Diese Verpflichtung wird alsAnstaltslast bezeichnet. Für die Träger der Sparkassenund Landesbanken, also die Bundesländer, besteht dahereine allgemeine unbeschränkte Nachschusspflicht. ZumZweiten sind die Privatbanken gegen die Gewährträ-gerhaftung vorgegangen, die sich ausschließlich auf dasRechtsverhältnis zwischen Anstalt und ihren Gläubigernbezieht. Die Klage - das ist bekannt - der Privatbankenwar erfolgreich. Seit Mitte 2001 steht daher fest, dassdas Ende des deutschen Systems der öffentlich-rechtli-chen Sparkassen in ihrer bisherigen Form, wenn auchmit Übergangsfrist, eingeläutet worden ist. Gewährträger-haftung soll bis zum Jahr 2005 entfallen und die An-staltslast modifiziert werden. Der Landtag war aufgrundeines Antrags der PDS-Fraktion vom 5. März 2001 recht-

zeitig in die Diskussion zur Änderung des Sparkassen-gesetzes und die vorbereitenden Beratungen eingebunden.Der Haushalts- und Finanzausschuss hat in mehreren Be-ratungen abschließend getagt und eine Anhörung durch-geführt und den Antrag der PDS-Fraktion im letztenJahr für erledigt erklärt, mit dem Blick darauf, dass eineerneute Beratung im Haushalts- und Finanzausschussdann stattfindet, wenn der Staatsvertrag als auch dieNovelle des Sparkassengesetzes, wie jetzt geschehen, vor-gelegt werden.

Dennoch, meine Damen und Herren, und das steht jetztauch schon in Vorbereitung und im Vorfeld der Bera-tungen im Haushalts- und Finanzausschuss fest, im Er-gebnis wird die Stärke der Sparkassen weiter in der Flächeliegen. Das Sparkassenwesen in Deutschland ist seitseinen Anfängen im 18. Jahrhundert ein wichtiger Teil derkommunalen Daseinsvorsorge und daran wird sich auchnach der Brüsseler Kompromissregelung nichts ändern.Auch im Recht der Europäischen Gemeinschaft wird dasErbringen von Leistungen der Daseinsvorsorge aus-drücklich anerkannt. Das hat auch letztlich dazu geführt,dass sich sowohl der Wettbewerbskommissar Monti alsauch die Bundesrepublik auf diesen Kompromiss eini-gen konnten.

Meine Damen und Herren, ein dauerhafter und zuver-lässiger Rechtsrahmen wird damit für die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Deutschland geschaffen.Dennoch wird für uns in den Beratungen im Haushalts-und Finanzausschuss - wir beantragen die alleinige Über-weisung dorthin - noch einmal das Thema darüber auf-gemacht werden, welche Zukunft die öffentlich-rechtlichenKreditinstitute in Deutschland aber auch vor allem inThüringen haben, mit Blick darauf, ob möglicherweiseauch horizontale Fusionen angedacht werden können. DieStaatssekretärin hat ja darauf verwiesen, dass im Staats-vertrag eine Öffnungsklausel eingefügt wurde, die mög-licherweise auf eine langfristige Sicht vertikale Fusionenvorsieht. In den Anhörungen, die seitens der Landesregie-rung mit den zuständigen Verbänden und dem Spar-kassen- und Giroverband, dem Gemeinde- und Städtebundund dem Landkreistag stattgefunden haben, ist zunächsteine Lösung von vertikalen Fusionen deutlich abgelehntworden. Dennoch findet sich im Staatsvertrag die Öff-nungsklausel wieder. Wir sollten deshalb die Öffnungs-klausel in den Beratungen des Haushalts- und Finanzaus-schusses zum Anlass nehmen, noch einmal auch überhorizontale Fusionen der Sparkassen und damit eineStärkung der Finanzkraft der einzelnen Institute nachzu-denken. Wir meinen auch, dass mit Blick auf § 21 Abs. 3 inder dort im Sparkassengesetz geregelten Frage der Un-terbilanzierung möglicherweise noch einmal darübergeredet werden sollte, ob für den speziell dort genanntenFall der Unterbilanzierung möglicherweise noch ein wei-terer Novellierungsbedarf besteht. Ich will aber ausdrück-lich darauf hinweisen, dass angesichts des Instituts Spar-kasse im Unstrut-Hainich-Kreis möglicherweise Diskus-sionen entstehen können, dass eine Lex Unstrut-Hainich

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5309

geschaffen würde. Deshalb will ich hier ausdrücklichsagen, dass die Diskussion und der Novellierungsbedarf zu§ 21 Abs. 3 unter dem Vorbehalt steht, möglicherweiseeine langfristige Lösung außerhalb des Unstrut-Hainich-Kreises zu suchen und eventuell zu finden.

Ich will noch einmal darauf hinweisen, meine Damen undHerren, dass wir bis zum Abschluss dieses Jahres, alsobis zum 31.12.2002, abschließend im Plenum sowohl zumStaatsvertrag als auch zum Sparkassengesetz hier ent-scheiden sollten, um rechtzeitig Rechtskraft zu erzielen.Ich wünsche uns angenehme Beratungen im Haushalts-und Finanzausschuss. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Mir liegen keine weiteren Redewünsche vor. Es ist dieÜberweisung beider Gesetzentwürfe beantragt worden; ein-mal an den Innenausschuss und dann an den Haushalts-und Finanzausschuss. Ich lasse zunächst über den Gesetz-entwurf der Landesregierung in der Drucksache 3/2423 anden Innenausschuss abstimmen. Wer dem zustimmt, denbitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstim-men? Diese müssten wir einmal zählen. Es sind 19 Ge-genstimmen. Stimmenthaltungen? Keine. Die Jastimmennoch einmal bitte. Mit 21 Jastimmen gegen 19 Neinstim-men ist diese Überweisung an den Innenausschuss ange-nommen.

(Beifall bei der PDS)

Wer der Überweisung an den Haushalts- und Finanz-ausschuss zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.Danke schön. Gibt es hier Gegenstimmen? Das ist nicht derFall. Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist auch nicht derFall. Dann ist diese Überweisung geschehen.

Wer der Federführung beim Haushalts- und Finanzaus-schuss zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen.Danke schön. Gibt es hier Gegenstimmen? Das ist nicht derFall. Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist auch nicht derFall. Damit liegt die Federführung beim Haushalts- undFinanzausschuss und mitberatend ist der Innenausschuss.

Ich komme zur Abstimmung über die Überweisung des Ge-setzentwurfs der Landesregierung in Drucksache 3/2425an den Innenausschuss. Wer dem zustimmt, den bitte ichjetzt um das Handzeichen. Danke schön. Wir lassen bitteeinmal gleich zählen. Danke schön, das sind 22 Jastimmen.Gegenstimmen?

(Zwischenruf Abg. Dr. Zeh, CDU: Frage,worüber wir abstimmen.)

Wir sind, normalerweise habe ich das laut und deutlichangesagt, bei der Überweisung des Gesetzentwurfs derLandesregierung in Drucksache 3/2425 an den Innen-

ausschuss. Da hatten wir jetzt die Jastimmen mit 22 er-mittelt und die Gegenstimmen jetzt. Bitte zählen.

(Beifall und Heiterkeit bei der PDS, SPD)

Das sind 21 Neinstimmen. Mit 22 Jastimmen und 21 Ge-genstimmen ist auch diese Überweisung an den Innen-ausschuss angenommen.

Wer der Überweisung des Gesetzentwurfs der Landes-regierung in Drucksache 3/2425 an den Haushalts- undFinanzausschuss zustimmt, den bitte ich jetzt um dasHandzeichen. Danke schön. Gibt es hier Gegenstimmen?Das ist nicht der Fall. Stimmenthaltungen? Das ist auchnicht der Fall.

Nun stimmen wir noch über die Federführung beimHaushalts- und Finanzausschuss ab. Wer dieser Feder-führung beim Haushalts- und Finanzausschuss zustimmt,den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön.Gibt es hier Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Gibtes Stimmenthaltungen? Das ist auch nicht der Fall.Demzufolge liegt die Federführung beim Haushalts- undFinanzausschuss.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 2 in seinen Be-standteilen a und b.

Ich komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 3

Thüringer Gesetz zur Änderung forst-und naturschutzrechtlicher RegelungenGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2434 -ERSTE BERATUNG

Herr Minister Sklenar übernimmt die Begründung.

Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Natur-schutz und Umwelt:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damenund Herren Abgeordneten, am 15. Mai dieses Jahres hatdas Kabinett über den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfabschließend beraten. Ich will Ihnen heute anlässlich derersten Lesung im Thüringer Landtag dazu die Auffassungder Landesregierung vortragen. Das Thema des Änderungs-gesetzes, das sich mit dem Reiten im Wald befasst, isteines der Themen, über das seit In-Kraft-Treten des Thü-ringer Waldgesetzes Mitte 1993 öfter und teilweise auchemotional diskutiert worden ist. Für viele Bürgerinnen undBürger ist nach wie vor nicht klar, auf welchen Wald-wegen geritten werden kann und wo nicht. Die immerwährenden Auseinandersetzungen haben gezeigt, dassdie ursprünglichen Regelungen aus dem Jahre 1993, dasReiten auf allen festen Wegen ohne Berücksichtigungder Interessen der Waldeigentümer zuzulassen, nicht dieoptimale Lösung für Thüringen ist.

5310 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Das Reiten, das in unserem waldreichen Thüringen haupt-sächlich auf Waldgrundstücken ausgeübt wird, hat sich inden letzten Jahren erfreulicherweise zu einer erschwing-lichen Freizeitgestaltung in der Natur entwickelt, was vorfast 10 Jahren so noch nicht abzusehen war. Damit sindeine Reihe positiver Aspekte verbunden. Es muss aberauch deutlich gesagt werden, dass die Ansprüche an denWald, der als wesentlicher Bestandteil der thüringischenLandschaftsregionen von mehr als 200.000 Waldbesitzernerhalten und gepflegt wird, in den letzten Jahren quali-tativ wie auch quantitativ deutlich zugenommen haben. Siesind aus mancherlei Gesichtspunkten heraus - ich erinnerenur an die Anforderungen im Rahmen der FFH-Richt-linie oder an die Auswirkungen des novellierten Bundes-naturschutzgesetzes - vielfältiger geworden und nehmenvon Jahr zu Jahr ständig zu. Daher gilt es für die Politikzukunftsfähige Lösungen zu finden, um diese wachsendengesellschaftlichen Anforderungen mit den berechtigtenAnsprüchen der Waldeigentümer bestmöglich zu vereinba-ren. Dabei ist das Reiten als Nutzung auch aufgrund derdeutlich höheren Beanspruchung der Waldwege vom sogenannten freien Betreten des Waldes zum Zwecke derErholung klar zu unterscheiden. Ich sage ganz deutlich,meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten,die Landesregierung will das Reiten nicht einschränken undwird es nicht einschränken, aber allen Beteiligten ist einMitspracherecht einzuräumen und am Ende muss jederNutzer eindeutig wissen, wo und wie er was unternehmendarf.

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, bis zum 1. Januar2004 thüringenweit ein Reitwegenetz durch die untereForstbehörde auszuweisen und zu markieren. Durch eineenge Einbeziehung der Gemeinden, der Landkreise und derkreisfreien Städte wird dafür Sorge getragen, dass dieseReitwege nicht am Waldrand enden. Vielmehr bietet sichdie Chance, ein auch für den Reittouristen klar erkenn-bares Netz gut bereitbarer Wege anzubieten, auf das diesesich jederzeit verlassen können. Ich bin überzeugt, dassdie neue Regelung für die in Thüringen gewollte Touris-musentwicklung förderlich sein wird.

Das vorgesehene Verfahren erlaubt es allen Beteiligten, unddabei wird niemand ausgeschlossen, seine Ansprüche an-zumelden und in der gemeinsamen Diskussion zu begrün-den. Das verlangt natürlich ein Maß an Kompromissbe-reitschaft, wie es bisher nicht immer von allen Beteiligtenerkennbar war. Wir haben bereits in sieben ThüringerForstämtern erprobt, auf welche Art und Weise einegleichberechtigte Beteiligung aller Interessengruppen mög-lich ist. Dieses Verfahren hat sich bewährt und wird inden Regionen anerkannt. Es wird deshalb beispielhaft fürdie landesweite Reitwegausweisung herangezogen. Denndie Ausweisung von Reitwegen ist auch nicht möglich,ohne zugleich die Wanderwege, die Skiwanderwege unddie Radwanderwege, in die Koordinierung einzubeziehen.Weiterhin wird in der vorliegenden Änderung klar her-ausgestellt, welche Nutzung des Waldes der Zustimmungdes Waldeigentümers bedarf. Auf das Erfordernis einer zu-

sätzlichen Genehmigung durch das Forstamt wurde indiesen Fällen verzichtet. Das erspart Verwaltungsaufwand,der für die Beratung der Waldeigentümer wichtiger undfruchtbringender ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten,der vorliegende Entwurf ist in den letzten Wochen über-arbeitet worden, wozu nicht zuletzt die in der Anhörungeinbezogenen Verbände beigetragen haben. Die vorge-sehene Kennzeichnungspflicht der Pferde ist erhalten ge-blieben. Erst sie wird es ermöglichen, die undiszipliniertenReiter durch die unteren Forstbehörden zu sanktionieren.Außerdem wurde erstmals eine Halterhaftung, wie für dieHalter von Kraftfahrzeugen, auch für Pferdehalter in dasGesetz aufgenommen. Dies soll dazu führen, dass die ent-sprechenden Halter auf die Nutzer einwirken und die Re-gelungen des Thüringer Waldgesetzes besser als bishereingehalten werden.

Eine über die Gebühr von lediglich 15 ��für den Erwerbdes Kennzeichens hinausgehende finanzielle Belastung derReiter wird es nicht geben. Das heißt aber wiederum, dassauf die berechtigten Anliegen der Waldeigentümer bei derAusweisung der Reitwege besondere Rücksicht zu nehmenist. Schließlich sind in Thüringen seit 1991 insgesamt ca.43,2 Mio. �������zieller Zuschüsse für Wegeneu- und -aus-bau sowie Wegeinstandsetzungen an private und körper-schaftliche Waldbesitzer geflossen. Vergessen Sie bittenicht, dass dabei jedes Mal ein Eigenanteil von 10 bis30 Prozent zu erbringen war.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten,ich bitte Sie daher, den jetzt vorliegenden Entwurf einesGesetzes zur Änderung forst- und naturschutzrechtlicherRegelungen, welches für das Reiten im Wald lang er-wartete Korrekturen mit sich bringt, zu diskutieren undletztlich zu einem guten Ende zu führen.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

In der Aussprache hat sich zu Wort gemeldet Frau Ab-geordnete Nitzpon, PDS-Fraktion.

Abgeordnete Nitzpon, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Vorgehender Landesregierung im Gesetzentwurf zur Änderung na-turschutzrechtlicher Regelungen ist, gelinde gesagt, etwasungewöhnlich, weniger diskret ausgedrückt, hinterhältig.Und genauer gesagt, abweichend von der sonst üblichenPraxis, soll im Rahmen des vorliegenden Gesetzentwurfsauch gleich noch die Erste Durchführungsverordnung zumWaldgesetz verändert werden und das, obwohl in den ent-sprechenden Verordnungsermächtigungen im Waldgesetzdas Fachministerium für den Erlass der Ersten Durch-führungsverordnung zuständig ist. Nun, ich habe es jaschon aus den Reihen der CDU gehört, Sie entgegnen

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5311

natürlich, und sicherlich auch die Regierung, formal-rechtlich ist doch alles in Ordnung. Das stimmt sogar,meine Damen und Herren, denn Artikel 84 Landesver-fassung erlaubt es dem Landtag, auch bei Verordnungs-ermächtigungen die Änderungen von Durchführungs-verordnungen wieder an sich zu ziehen. Das, was hieraber hinterhältig ist, ist der politische Umgang, nämlichdass formalrechtliche Argumente nur als Vorwand be-nutzt werden. Es gibt einen eindeutig politischen Grund,warum jetzt das Ministerium so bescheiden seine Ord-nungsbefugnisse an das Landesparlament zurücküber-weisen will. Das Thema "Reiten im Wald" ist schon seitlängerer Zeit hoch emotional zwischen verschiedenstenInteressengruppen umstritten. Politisch gesehen ist dasalso eine ganz heiße Kartoffel. In den 12 Jahren meinerZugehörigkeit zu diesem Landtag hat meine Fraktionimmer und immer wieder gefordert, dass Verordnungen,die wichtig sind in verschiedenen Bereichen, so z.B. dieSchulordnung, hier im Landtag beschlossen werden soll,damit diese auch öffentlich diskutiert werden kann. Indiesen Bereichen allerdings gab es nie ein Einlenken,weder der Regierungsfraktionen noch der Regierungselbst. Und in diesem heute umstrittenen Fall schiebt dieLandesregierung die Verantwortung ganz einfach demLandtag zu. Das ist im höchsten Maße unehrlich.

Meine Damen und Herren, als 1999 die Diskussion um dasThüringer Waldgesetz verschiedene Betroffene und unsAbgeordnete in Atem hielt, hat meine Fraktion versucht, imStreit, den es damals schon gab, zu vermitteln. Entstandenist dann der derzeitig gültige Kompromiss. Und seltsamer-weise bedankten sich bei meiner Fraktion nach Verab-schiedung des Gesetzes sowohl der Waldbesitzerverbandals auch der Landessportbund, dass dieser Kompromisseben so wie er war zustande gekommen ist. Heute nachnur 3 Jahren soll das damals im wahrsten Sinne des Worteserstrittene Papier nichts mehr wert sein.

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Wieso denn?)

Seltsamerweise gibt es aber keine konkrete Begründung,warum dieses Gesetz nun wieder geändert werden soll.Ich hatte eigentlich gehofft, dass Herr Sklenar das heutenoch mal darlegt. Es wird nur immer allgemein aufKlagen über Schäden durch die Waldbesitzer hingewiesen.In der Begründung zum Gesetzentwurf gibt es auch keinekonkreten Angaben, auch nicht auf die Anfrage des Ab-geordneten Scheringer Ende 2001, auch nicht auf meineMündliche Anfrage vom Januar 2002 und auch auf dieversprochene Aufschlüsselung der Schäden im Wald nachArt und Höhe durch den Waldbesitzerverband; daraufwarte ich nun schon seit Monaten.

Was will also die Landesregierung nun mit den Ände-rungen konkret erreichen? Ich und meine Fraktion könnenes nur vermuten: Der Wald soll für die Allgemeinheitdichtgemacht werden oder den Waldbesitzern mit dengroßen Waldflächen, vielleicht den Adelshäusern, sollfreies Feld für ihre Jagdinteressen gegeben werden. Ich

habe mit Waldbesitzern kleinerer Flächen gesprochen, wirhaben ja selbst in unserer Fraktion einige, ich habe nichtnur mit diesen, sondern auch mit anderen gesprochen, siealle sehen die derzeitige Regelung nicht als problematischan. Also, Thüringer Wälder sollen weitestgehend reiterfreigehalten werden, so sieht es die Landesregierung.

Lassen Sie mich deshalb zu einigen konkreten Regelungenkommen: Die Kennzeichnung der Tiere könnte ich ja nochverstehen, wenn sie etwas bringen würde. Dem entgegenstehen aber zurzeit Reiter aus den anderen Bundeslän-dern, die noch keine Kennzeichnungspflicht haben. Müssendiese erst einen Antrag auf Kennzeichnung ihrer Pferdestellen, wenn sie in Thüringens Wälder reiten wollen undwie soll das praktisch aussehen?

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Das istfalsch.)

Stehen die Behörden, meine Damen und Herren, amWochenende am Eingang eines Waldes, natürlich nur anden gekennzeichneten Wegen und haben gleich Dutzendevon Pferdeplaketten mit? Oder müssen diese Reiter sichWochen vorher entscheiden, wann sie denn Thüringen maleinen Besuch abstatten wollen. Und wie soll das Ord-nungsrecht überhaupt durchgesetzt werden? Muss derSünder mit seinem gekennzeichneten Pferd fotografiertwerden oder reicht hier Aussage gegen Aussage? Dasgrößte Problem, meine Damen und Herren, und damit dieheiße Kartoffel, ist das Verfahren zur Kennzeichnung derfesten Wege. Reiter und andere Benutzer werden nicht nurbenachteiligt, das Ganze ist auch alles andere als prakti-kabel. Circa 60 Prozent der derzeitigen Reitwege sind festeWege. Um diese weiter für das Reiten, Radwandern, Wan-dern und Skilaufen freizugeben, sollen sie nun gekenn-zeichnet werden. Dazu sollen alle örtlichen von mir ge-nannten Interessengruppen angehört werden. Nein, dasstimmt nicht ganz, dort steht nicht "Interessengruppen",sondern "Betroffene" allgemein, ob alle einzelnen Be-troffenen oder Vereine und Verbände, die es vielleichtwiederum an diesem Ort gar nicht gibt, ist im Gesetz nichtgeklärt. Geklärt ist aber: Eine Freigabe der Wege und damitKennzeichnung wird es nur geben, wenn der Waldbe-sitzer einverstanden ist und er braucht seine Entscheidungnicht einmal mehr zu begründen. Dies, meine Damenund Herren, führt nicht zu einem Interessenausgleich,sondern eindeutig auf Konfrontation hinaus.

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: BöswilligeUnterstellung.)

Es ist irrsinnig zu glauben, Herr Primas, dass es zur gegen-wärtigen Lage keine Einschränkung geben wird. Selbstdas Spuren von Loipen mit Loipenfahrzeugen, das Anlegenvon Skiwanderwegen, das Fahren von Hundegespannenusw. soll künftig von der Genehmigung, also dem Wohl-wollen des Waldbesitzers abhängen. Damit wird demnaturgemäßen und sportlichen Anliegen nicht entsprochen.Nur aus einer überzeugenden naturrechtlichen Begründung

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heraus könnte eine Kennzeichnung des Weges versagt wer-den, ich denke da an den Schutz seltener Pflanzen undTiere, doch das ist nicht vorgesehen.

Meine Damen und Herren, viele Waldbesitzer habendurchschnittlich nur 2 Hektar Wald. Wie lange soll dasVerfahren zur Kennzeichnung und Ausweisung derReitwege überhaupt dauern? Bis jeder gefragt wurde undwas ist mit den Waldstücken, die zurzeit gar keinen Eigen-tümer aufweisen, die gibt es doch auch? Damit würde dasReiten aber gänzlich unmöglich gemacht werden. Nochdazu, wo in der Durchführungsverordnung § 2 nur die alsReitwege ausgewiesen sein sollen, die mit Wegen außer-halb des Waldes verbunden oder mit anderen Reitwegenverbunden sind. Zwischendurch, muss ich mir vorstellen,werden die Pferde halt mal schnell getragen oder derWald wird eben geschlossen.

Das, meine Damen und Herren, kann doch mit Blick aufdas grüne Herz Deutschlands, das den Tourismus nachvorn bringen will, nicht Anliegen der Landesregierung sein.Schon das zweite Jahr sind Übernachtungen in Thüringenrückläufig, ein Indikator für einen touristischen Entwick-lungsstand. Warum will also die Landesregierung dasReiten zurückfahren? Herr Sklenar, mit dem Gesetzentwurfwird es Einschränkungen geben, anstatt Reittouristik ingeordnete Bahnen zu bringen und zu verstärken,

(Unruhe bei der CDU)

sozusagen als kleinen Baustein in einem nachhaltigenTourismuskonzept. Nein, hier wird es von dem Wohl-wollen der Waldbesitzer abhängen und mehr nicht.

Am Tourismus, aber auch der Reittouristik, meine Damenund Herren, und dem Reitsport hängen Arbeitsplätze.Damit, meine Damen und Herren, ist Thüringen nicht ge-rade reich gesegnet und mit Pferden übrigens auch nicht.Zu den 15.000 Pferden in Thüringen gehören 3.000 Ar-beitsplätze. Es geht hier nicht um den teuren wettkampf-betriebenen Reitsport, es geht um Freizeitsportler. Siereden doch immer davon, dass die Thüringer Landesre-gierung sich stark macht für den Sport. Gilt das nur fürausgewählte Sportarten? Denn von Ihrer Anhörung, dieSie in Ihrem Ministerium zum Referentenentwurf geführthaben, Herr Sklenar, im Dezember vergangenen Jahres istnichts eingeflossen in eine Veränderung dieses Referen-tenentwurfs. Und dazu kommt, dass über die Hälfte derReitsportler in Thüringen Kinder und Jugendliche sind.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf würden Sie denKindern und Jugendlichen eine ausgefüllte, sinnvolle undregelmäßig betriebene Freizeitgestaltung nehmen, dieauch noch teurer werden würde.

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Sie wissennicht, wovon Sie reden.)

Natürlich, wenn vor Ort vielleicht Reitwege eingeschränktsind, muss man natürlich fahren und das kostet natürlichauch und nicht nur die Kennzeichnung der Pferde. Zu denKosten kann man sich ja dann generell noch mal im Aus-schuss verständigen und entscheiden. Wir wollen eine Aus-schussüberweisung an den Umweltausschuss und wirmöchten natürlich dann auch eine Anhörung von Betroffe-nen beantragen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf eines hinweisen:Im vergangenen Jahr hat das Land Rheinland-Pfalzunser jetziges Waldgesetz fast in Gänze übernommen.Rheinland-Pfalz hat nach einem Jahr eine Analyse der Um-setzung dieses Gesetzes erstellt und siehe da, die Er-gebnisse werden als positiv eingeschätzt. Der Schadenim Wald ist nicht höher als vor dem Waldgesetz.

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU: Ganzgenau.)

Ja, ich habe die Studie gelesen. Positiver Nebeneffekt:Dort auf der Basis des Gesetzes wurde ein Reitwegenetzfür die touristische Nutzung erstellt. Von einer Analysedieses jetzt gültigen Waldgesetzes in Thüringen ist mirallerdings nichts bekannt.

(Unruhe bei der CDU)

Oder, Herr Sklenar, ist die Analyse geheim oder vertrau-lich? Dann kann ich allerdings nur mutmaßen, dass dieErgebnisse ähnlich gut sind wie in Rheinland-Pfalz, undauf solch einer Grundlage kann ein Gesetz natürlich nichtin die jetzt vorgeschlagene Richtung novelliert werden,deswegen wird es uns vielleicht, wenn es solch eineAnalyse gibt, ganz verschwiegen. Die Umsetzung diesesumstrittenen Gesetzes soll unter anderem im Detail in derersten Durchführungsverordnung geregelt werden. KeinWunder also, dass das Ministerium diese heiße Kartoffeldem Landtag zurückgeben will. Aber auf ein so großzügigbescheidenes Geschenk des Ministeriums können wir ganzgern verzichten, denn dieses Parlament muss die Änderungdieser Durchführungsverordnung nicht wieder an sichziehen. Sollte aber dieses Gesetz so durchgehen mit derÄnderung der Durchführungsverordnung, dann kann ichIhnen schon jetzt garantieren, dass wir immer und immerwieder beantragen werden, dass die wichtigsten Verord-nungen, wie zum Beispiel die Schulordnung, vom Land-tag beschlossen werden. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Dr. Botzzu Wort gemeldet.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5313

Abgeordneter Dr. Botz, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren,es ist jetzt auch schon wieder erinnert worden an die zumTeil in der zurückliegenden Legislatur emotional geführ-ten Debatten zu diesem Thema. Ich konnte damals nichtteilnehmen, ich möchte deswegen einmal den Versuchmachen, das so sachlich wie möglich hier zu bewerten,muss aber auch vorausschicken anknüpfend an meine Vor-rednerin: Auch die SPD-Landtagsfraktion steht überwie-gend in fast allen Punkten aus sachlicher Überzeugungdiesem Gesetzentwurf nicht nur skeptisch, sondern ab-lehnend gegenüber. Ich möchte das auch begründen. Inerster Linie deshalb, weil wir, anders als auch in anderenneuen Bundesländern, wenn wir diesen Weg beschreiten,unserer Auffassung nach einen Schritt zurückgehen, näm-lich hin zu einer stärkeren Regulierung und geringerenVerfügbarkeit für unsere Bürger, Mitbürger hinsichtlichdes generellen Zutrittsrechts, speziell hier für Reiter, inunsere Wälder.

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Wieimmer!)

Da möchte ich gleich den Bogen schlagen. Wir hattenletzte Woche hier in diesem Saal eine Anhörung zur Zu-kunft der ländlichen Räume. Die Kollegen, die anwesendwaren, waren überwiegend die aus dem Agrarausschuss.Leider waren da auch andere Ministerien nicht anwe-send, obwohl es ursprünglich um eine Große Anfrage andie Landesregierung zur Zukunft der ländlichen Räumeging. Auch das wird hier wieder klar im Zusammenhangmit der Gesetzesvorlage, dass der Gesamtzusammenhangnicht gesehen wird. Wenn wir das so durch dieses Hauslassen, Herr Minister Sklenar, was Sie jetzt hier vorlegen,widersprechen wir grundsätzlichen Anliegen, die wir ge-rade in dieser Woche von den vielen beteiligten Anzuhören-den aus dem ländlichen Raum vernommen haben, nämlichden grundsätzlichen Wunsch, neben der ursprünglichenreinen landwirtschaftlichen Tätigkeit auch andere Neben-erwerbsmöglichkeiten,

(Zwischenruf Abg. Wackernagel, CDU: Dakönnen Sie doch reiten.)

Möglichkeiten des Zusatzerwerbs von Einkommen imländlichen Raum mit zu erschließen. Auf diesem Wegdorthin werden wir einige Türen zuschlagen. Ich will Ihnendas auch begründen. Schauen Sie sich doch die Zahlen an.Noch in der Fassung von Ende des Jahres 2001 - so weitwaren Sie ja schon einmal gekommen - hatten Sie zumBeispiel 1,3 Mio. DM damals vorgesehen. Auch viele Ab-geordnete aus Ihrer Fraktion haben draußen in den Bürger-versammlungen usw., wo dieses Thema besprochen wurde,immer wieder darauf hingewiesen und dem Ministerden Rücken gestärkt mit der Aussage, mindestens die9.000 Kilometer, die bisher mit der jetzigen Gesetzes-lage abgesichert sind, werden erhalten bleiben. Davonhabe ich nun heute in dem kurzen Einführungsbeitrag

des Ministers nichts gehört, dass er mit diesem verblie-benen Betrag von 334.000 ���������������� ��������Hälfte dessen, was Ende 2001 noch angedacht war - nunam Schluss in der Wirkung, wenn es am 01.01.2004 dannsoweit sein sollte, auch 9.000 Kilometer ausgeschilderteReitwanderwege in Thüringen zur Verfügung hat. WissenSie was, mal unabhängig von dem, was haushaltsmäßigin den nächsten Wochen und Monaten noch vor uns liegt,ist das wirklich - und Sie haben es wahrscheinlich auchganz bewusst deshalb nicht angesprochen - kaum denkbar.

Neben dieser einen Änderung, auf die Sie im Wesentlichennicht eingegangen sind, gibt es eine weitere geringfügigeÄnderung gegenüber dem Stand Dezember 2001. Sie sind -und das begrüßen wir natürlich - runtergegangen bei dieserVerwaltungsgebühr für die Pferdebeschilderung. Das istübrigens auch der Punkt, wo wir glauben, dass wir mit-einander im Ausschuss sicher mit etwas Zähneknirschen,aber doch mit einer anwachsenden Zustimmung aus denReiterverbänden, klarkommen könnten, wenn diese Ge-bühr in eine solche Relation abgesenkt wird. Dann kannman darüber reden, ob eine Kennzeichnung von Pferdennicht sinnvoll ist usw. Das ist der Punkt. Aber das grund-sätzliche Problem, das wir mit der jetzigen Fassung un-seres Waldgesetzes bei allen Problemen, die punktuell -und das muss man doch einmal betonen - aufgetreten sind,einen besseren Interessenausgleich bisher haben, als wirihn insgesamt haben werden, wenn das kommt, was Sieuns hier vorgelegt haben.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man aber punktuell Probleme hat, greift man nichtklugerweise - weder als Regierung, noch als Mehrheits-fraktion - derartig gravierend pauschal in ein solches In-teressengefüge ein, nämlich zugunsten überwiegend - undda sprechen wir es doch einmal aus - wegen der Wahr-nehmung eigentumsrechlicher Sachverhalte, um die stärkerzu betonen, derart in eine vernünftige gesetzliche Rege-lung, wie sie zurzeit vorliegt, ein.

Ich möchte auch einmal kurz darauf eingehen, auch wennder Ausgangspunkt in Rheinland-Pfalz ein anderer war,natürlich sind die aus einer anderen Situation gekommen,aber, Herr Minister, in Rheinland-Pfalz - und ich gehedavon aus, Sie sollten das beobachten - ist etwas Modernes,Zukunftsträchtiges geschehen, was wir in Thüringen ver-missen und beklagen. Es ist nämlich auch Folgendes ge-schehen, dass man gemerkt hat, hier muss etwas geändertwerden, wir waren in einer anderen Art und Weise zustrikt und jetzt wollen wir doch einmal versuchen und dasist diesem Jahrtausend und dieser Art und Weise, eineZivilgesellschaft auszusteuern und Interessenausgleich zusuchen, doch vielmehr angemessen, über einen befristetenZeitraum von drei Jahren - ein Jahr ist schon gelaufen -miteinander so liberal wie möglich die Dinge zu regeln, umTourismus und Fremdenverkehr auch wirklich dauerhafteine Chance zu geben, auch hier im grünen HerzenDeutschlands, und dann sagen wir nach zwei, drei Jah-

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ren, die wir uns mit den Reitern und den Waldbesitzern dieChance des Interessenausgleichs vor Ort gegeben haben,nach einer gewissen Befristung - in Rheinland Pfalz hatman da drei Jahre insgesamt gewählt -, jetzt ziehen wirnoch einmal die Schlussfolgerung und sagen, das gehtund das geht nicht, ihr habt eure Interessen überzogenoder ihr habt euch an die Spielregeln gehalten.

Meine Damen und Herren, wir können, so wie jetzt hierdiese Novellierung vorliegt, als SPD-Landtagsfraktionnicht zustimmen und kündigen das hiermit an und bitten- damit möchte ich abschließen - wegen des engen Zu-sammenhangs, den wir nicht negieren sollten angesichtsder Abwanderungs- und Beschäftigungsproblematik inländlichen Räumen Thüringens, diese Angelegenheit auchan den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Struktur-politik dieses Landtags mit zu überweisen. Diese Bittemöchte ich hier abschließend von der SPD-Fraktion nochmit äußern.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Wun-derlich zu Wort gemeldet.

Abgeordneter Wunderlich, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,der Minister und auch die Vorredner haben es angespro-chen, während der letzten Monate, ja über Jahre ist wie-der emotional über Reiten im Wald diskutiert worden.

Frau Nitzpon, nun zur Ersten Durchführungsverordnung:Wir wissen genau, dass das wirklich eine emotionale Pro-blematik ist und darüber in der Öffentlichkeit diskutiertwird. Jetzt geht die Landesregierung den Weg, um auchdiese Durchführungsverordnung, die ja sehr oft in derKritik der Verbände stand und gesagt wurde, das machtihr in der Landesregierung so heimlich nebenher, öffent-lich zu diskutieren, jetzt passt Ihnen das auch wiedernicht, was eigentlich immer Ihre Forderung ist.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Nein -wenn, dann alle.)

Ja bitte, es ist Ihr Recht, das zu fordern. Aber wir redenjetzt über die Durchführungsverordnung zum Waldgesetz.Das Nächste - Kompromiss: Es gab in der großen Koa-lition einen Kompromiss zwischen den Waldbesitzern undden Reitern, dem Thüringer Reit- und Fahrverband, aberden hat leider die SPD in der letzten Minute wieder zurück-gezogen und es kam zu keinem Kompromiss, Frau Nitz-pon. Nein, es ist falsch, es gab keinen Kompromiss.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Ich liefereIhnen die Dankschreiben mit.)

Ja, die Dankschreiben, aber es konnte im Gesetz nicht um-gesetzt werden, das ist ja das Problem.

Jetzt zu Rheinland-Pfalz: Rheinland-Pfalz hat voriges Jahrim Waldgesetz das umgesetzt, was Thüringen seit 1974hat. Ich sage es ganz ehrlich.

(Zwischenruf Abg. Scheringer, PDS: 1994.)

Seit 1994 hat - richtig, Herr Kollege Scheringer - und ichsage Ihnen das eine, das hat ja heute wahrscheinlich jedervorgelegt bekommen und wer die Analyse macht, da wirdsich herausstellen, dass sich dort allein mit der Definitiondes so genannten forstfesten Weges ein gewaltiges Kon-fliktpotenzial aufbaut. Wir haben das in Thüringen in derDurchführungsverordnung definiert. Als es zum Streit mitden Reiterverbänden kam, gab es ja auch eine Gerichts-verhandlung usw., wo die dann wieder umgeschrieben wer-den musste. Ich sage, das rheinland-pfälzische Gesetz kannfür uns so nicht Vorbild sein, weil die sich den Konfliktin der Zwischenzeit wieder selbst produzieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ziel dieses Ge-setzes ist die gesteigerte Freizeitnutzung durch die Zu-nahme des Reitens, aber auch durch andere ErholungSuchende. Das Interesse der Thüringer Landesregierungund unserer Fraktion ist es, diese Interessen zu ordnen undzu entflechten. Es wird heute über den Wald gesprochen,als wenn der Wald irgendeine Sportstätte wäre.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Dann wärees kostenfrei.)

Ich glaube, wenn es nach manchem ginge, wäre es wahr-scheinlich nicht kostenfrei, werte Frau Nitzpon. Bei derÄnderung des Waldgesetzes und bei der Nutzung desWaldes müssen wir die Waldfunktionen, die Eigentums-rechte und die sonstigen Nutzungen berücksichtigen. DasThüringer Waldgesetz hat die Nutz-, Schutz- und Erho-lungsfunktion zu sichern. Ich sage es hier noch einmal:Der Thüringer Wald ist keine Sportstätte. Der Wald isthier, um den nachwachsenden Rohstoff nachhaltig zuproduzieren. Das ist seine Hauptfunktion und so ist es auchim Thüringer Waldgesetz nachzulesen, ob in den §§ 1, 2oder in § 19 über die ordnungsgemäße Waldwirtschaft.Aber ich möchte hier noch einmal ausdrücklich betonen,das Betreten des Waldes ist nach § 14 Bundeswaldgesetzgrundsätzlich jedermann gestattet. Dem trägt das ThüringerWaldgesetz in § 1 Punkt 6 und in § 2 Abs. 1 Punkt 4 klarRechnung. Ich sage auch in Richtung der Waldbesitzerganz klar und deutlich, für die Waldbesitzer bedeutet dies,dass sie verpflichtet sind - das unterstreiche ich sogar noch- das Reiten auf ihren privaten Waldwegen und Straßenzu dulden. Allerdings - und jetzt fangen wir mal an, imDetail zu diskutieren, meine sehr verehrten Damen undHerren - steht das Betretensrecht des § 14 Bundeswald-gesetz unter dem Vorbehalt, dass der Zutritt zum Wald zumZwecke der Erholung erfolgt. Darüber hinausgehendeNutzungen sind nicht allgemein gestattet, sie bedürfen

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5315

vielmehr einer Genehmigung durch den Waldbesitzer bzw.die zuständigen Behörden. Das ist zurzeit bundesdeutschesRecht und das sollte man auch langsam einmal akzep-tieren. Das Bundesverfassungsgericht stellt nämlich ein-deutig fest - und das sollte sich jeder, der jetzt hier dis-kutiert, und da appelliere ich auch an den Sportbund oderan die Reiterhöfe -, dass organisierte und gewerblicheNutzungen hingegen nicht erfasst werden. Es wird fest-gestellt, dass Reitschulen, die für ihre Schüler Ausritte imWald organisieren oder Reiterhöfe, die organisierte Reit-ausflüge gegen Entgelt anbieten, sich für die Nutzungfremder Grundstücke deshalb nicht auf das Betretungsrechtberufen können. Das sollten endlich einmal alle die re-gistrieren, meine Damen und Herren, die über das Be-tretungsrecht oder über das Reiten im Wald diskutieren. Dabeziehe ich alle ein, sowohl die Waldbesitzer als auch dieReiter. Dieses ist auch einigen gerade großen kommer-ziellen Reiterhöfen aus ihren Erfahrungen aus den Alt-bundesländern bekannt, denn mit denen kann man näm-lich auf dem Gebiet wesentlich konstruktiver diskutieren,als das mit anderen möglich ist, z.B. mit den Freizeit-reitern. Deswegen verstehe ich auch den Standpunkt desThüringer Sportbunds nicht, speziell des Thüringer Reit-und Fahrverbands; das ist für mich unverständlich, das istkontraproduktiv. Allein aus dieser Verfassungslage herausmüssten Reiterhöfe und Landessportbund an einer ein-vernehmlichen Regelung für ein gutes, zusammenhän-gendes, gekennzeichnetes Reitwegenetz interessiert sein.Das sage ich auch aus touristischen Gründen, denn nachder derzeitigen Thüringer Gesetzeslage ist das Reiten auffesten und befestigten Wegen gestattet. Was glauben Siedenn, wie viel touristische Zielpunkte wir in Thüringenhaben, die nach der derzeitigen Gesetzeslage gar nichterreicht werden können? Aber das alles wird ja igno-riert. Ich erinnere nur an den enormen Aufwand anläss-lich des in Deutschland ersten deutschen Trekkingclubs,wo man fast sechs Wochen mit Abstimmungs- und Pla-nungsarbeiten beschäftigt war. Meine sehr verehrtenDamen und Herren, das kann doch nicht im Interesse derReitsportler sein. Nach der jetzigen Thüringer Rechtslagemüsste diese enorme Arbeit für alle organisierten Reitver-anstaltungen, wenn sie gesetzestreu ablaufen sollen - unddavon muss ich wohl ausgehen und das will doch wahr-scheinlich jeder Abgeordnete hier in diesem Haus -, durch-geführt werden. Da verweise ich noch einmal auf dieZusammenhänge mit dem Betretungsrecht. Alles, was imWald organisiert geritten und kommerziell benutzt wird,müsste für jeden Einzelnen genehmigt werden. Ich habemanches Mal den Eindruck, man will das nicht regis-trieren bzw. man kennt die Gesetzeslage nicht. MeineDamen und Herren, das kann nicht im Interesse desThüringer Reit- und Fahrverbands sein und das kannauch nicht im Interesse der Reiterhöfe sein.

Nun wird uns vorgeworfen, dass wir, wenn wir diesesGesetz so durchsetzen, die mit Abstand restriktivstenVorschriften in Deutschland hätten. Aber nun schauenwir uns doch einmal die Rechtslage in den verschiedenenBundesländern an. Zunächst einmal, der Gesetzgeber hat

das Reiten im Wald auf unterschiedlichste Art und Weisebeschränkt, so ist die Rechtslage in Deutschland und dasauch bei dem novellierten Waldgesetz von Rheinland-Pfalz, das sollten wir eindeutig zur Kenntnis nehmen. Daswar ja vorher auch schon beim Thüringer Waldgesetz so.Diese Beschränkungen erfolgen in der Regel im Inte-resse des Waldes - da verweise ich noch einmal auf den§ 19 Thüringer Waldgesetz, ordungsgemäße Forstwirt-schaft. Dann erinnere ich an den Naturschutz - Frau Nitz-pon, Sie haben es ja auch selbst angesprochen -, wenn ichan die FFH-Gebiete, die Naturdenkmale, die Naturschutz-gebiete usw. denke, was ebenfalls berücksichtigt werdenmuss, aber auch an die Interessen der anderen ErholungSuchenden. Vielleicht sollten wir uns auch einmal daranerinnern, wie der Thüringer Wander- und Gebirgsvereindarüber denkt, wie viele Wanderer darüber denken, vondenen haben wir doch auch Briefe erhalten, wie sie sichmit der Frage auseinander setzen.

(Beifall bei der CDU)

Oder gehören die nicht zum Tourismus in Thüringen -gerade das Wandern und das Reiten? Genau um diese Kon-flikte zwischen den Reitern und den anderen Nutzern undErholung Suchenden zu entflechten, um dieses Konfliktpo-tenzial zu beseitigen, müssen wir die Initiative ergreifenund deshalb ändern wir das Thüringer Waldgesetz. Zudemist das noch in vielen Ländern von vornherein nur auf offi-ziell ausgewiesenen Reitwegen erlaubt. Das sind die Stadt-staaten Berlin, Hamburg, Bremen und die Länder Branden-burg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen,Schleswig-Holstein, Sachsen. Da käme jetzt Thüringendazu. Ich sage Ihnen, wir werden nicht die Letzten sein,die in dieser Richtung das Gesetz ändern. Wir werden inder Zukunft, und das ist mein Appell an den Landkreis-tag, mit dem Thüringer Waldgesetz mit Stichtag01.01.2004 ein sehr stark zusammenhängendes, vernünfti-ges Waldwegenetz haben. Aber dann sollen mal diejenigen,die für die freie Flur verantwortlich sind, sagen, wie man daetwas Vernünftiges zustande bringen kann, dass dieVerbindungsmöglichkeiten der freien Flur zum Wald an-ständig zustande gebracht werden können. Das ist nämlichzurzeit überhaupt noch nicht gelöst.

Diesbezüglich hat das Bundesverfassungsgericht höchst-richterlich anerkannt, dass eine solche Beschränkung desReitens mit § 14 Bundeswaldgesetz vereinbar ist und auchden verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesonderedem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gleich-heitssatz genügt. Soweit das Reiten in den übrigen Län-dern zunächst allgemein auf allen Straßen und Wegengestattet ist, werden bestimmte Wege oder Gebiete vondieser Befugnis in einem zweiten Schritt weitgehend aus-genommen. Und es war besonders in Rheinland-Pfalzzugespitzt, da bestand der Wald nur noch aus Verbots-schildern usw. Da mussten die auch eingreifen, das ist jadann schon peinlich geworden.

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So ist das Reiten auf gekennzeichneten Wanderwegen undFußwegen zuweilen ausdrücklich, und ich sage es nocheinmal, ausdrücklich verboten, wie z.B. im Saarland, inBaden-Württemberg oder in Rheinland-Pfalz. ÜberlegenSie mal, ich komme aus dem Schwarzatal, aus der Berg-bauregion, aus dem Thüringer Wald, welche Möglich-keiten hätten denn dann die Reiter dort noch, wenn mandas mit denen nicht regeln würde, meine sehr verehrtenDamen und Herren? Dafür müssen Sie sich aber auchdann herstellen und sagen, das interessiert uns nicht. Das istdort nicht so.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Die sollenFahrrad fahren.)

(Unruhe bei der CDU)

Ja, mein lieber Herr Pohl, die Fahrradfahrer trifft es jagenauso, da müssen wir die Regelung genauso treffen. Ichhabe darauf hingewiesen, wenn ich an die Dichte der Wan-derwege in Thüringen denke, dann wäre das Reiten inbesonderem Maße eingeschränkt. Dann gibt es noch dieMöglichkeiten in Ballungsgebieten. Ich sage Ihnen, dawird in einigen Bundesländern auch gestritten. Ich hattejetzt einen Streit mit jemandem, der sagte, Erfurt/Weimarist kein Ballungsgebiet, das sind eventuell Stuttgart,Frankfurt am Main oder München usw. Wie gesagt, auchdas ist allein schon ein kritischer Punkt, der diskutiertwerden muss. Weiter gehende Beschränkungen könnensich auch auf Ballungsgebiete, Erholungswald, Naturparkeoder Landschaftsschutzgebiete beziehen, wie z.B. in Ba-den-Württemberg oder auch in Rheinland-Pfalz. Wir habenden Naturpark Thüringer Wald, das Schiefergebirge, dieRhön, da werden in den Ländern bei solchen Dingen dieReitwege gekennzeichnet. Und dann wird oft auf Bayernund auf Hessen verwiesen. Da vergisst man sehr schnell,dass z.B. in Bayern durch die untere oder höhere Natur-schutzbehörde durch Rechts- oder Einzelanordnungen dieErholung in Teilen der freien Natur in erforderlichemUmfang aus Gründen des Naturschutzes zur Durchführungvon landschaftspflegerischen Vorhaben, zur Regelung desErholungsverkehrs oder aus anderen zwingenden Gründendes Gemeinwohls untersagt oder beschränkt wird. Gleichesgilt für Hessen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Botz, SPD: Hört, hört.)

Ich darf Ihnen noch einmal das Urteil des BayerischenVerfassungsgerichtshofs zitieren, dann werden Sie sehen,welches Konfliktpotenzial entstehen kann, wenn nichteindeutige Regelungen getroffen werden. Und genau mitden Problemen werden sich die Rheinland-Pfälzer in dennächsten Jahren auseinander zu setzen haben. Der Baye-rische Verfassungsgerichtshof erklärt: Der Eigentümereines privaten Anliegerwegs, der nicht dem öffentlichenVerkehr dient, ist berechtigt, andere Verkehrsteilnehmer,aber auch Reiter, von der Benutzung dieses Weges aus-zuschließen, denn Beschädigungen des Weges durchPferdehufe muss der Eigentümer nicht hinnehmen. Da-

durch wird der Reiter weder in seiner Handlungsfreiheitnoch in seinem Grundrecht auf Reiten verletzt. Dennjedes Grundrecht findet dort seine Schranke, wo durchAusübung Rechte anderer beeinträchtigt werden. Die ein-zelnen Grundeigentümer brauchen trotz der Sozialbindungihres Eigentums als Auswirkung des Rechts auf Er-holung in der freien Natur und der hierfür eingeräumtenBetretungsbefugnisse nicht Schäden hinzunehmen, dieüber ein zumutbares Maß hinausgehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchtenoch auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom31.05.1985 verweisen, in dem es um die Vereinbarkeiteiner landesrechtlichen Beschränkung in Nordrhein-West-falen geht. Dort ist das Reiten, wie gesagt, auf gekenn-zeichneten Reitwegen gestattet. Ich darf einmal zitieren:"Der Bundesgesetzgeber hat in § 14 Abs. 1 Satz 2 Bun-deswaldgesetz des Weiteren die Nutzung des Waldes zuReitzwecken räumlich begrenzt. Er will das Reiten imWalde nur auf Wegen und Straßen gestattet wissen. Da-mit hat er gegenüber der in § 14 Abs. 1 Satz 1 Bundes-waldgesetz vorgesehenen Betretungsbefugnisse eine grund-sätzliche Einschränkung ausgesprochen. Auch dies hat dernordrhein-westfälische Gesetzgeber beachtet" - so wie esuns jetzt geht. "Er erlaubt ein Reiten im Walde ebenfallsnur auf Straßen und Wegen. Allerdings begrenzt er dieseBefugnis auf private Straßen und Wege, die als Reitwegegekennzeichnet sind. Er war bundesrechtlich nicht gehal-ten, das Reiten im Walde auf jeder privaten Straße oderauf jedem privatem Weg zu gestatten. Eine derartigePflicht lässt sich § 14 Bundeswaldgesetz nicht entnehmen.Die Erlaubnis, fremde private Straßen oder private Wegezu Erholungszwecken zu nutzen, stellt eine Inhaltsbe-stimmung des Privateigentums im Sinne des Artikel 14Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz dar. Der Gesetzgeber hat hierbeiunterschiedliche, teilweise gegenläufige Interessen zu be-rücksichtigen. Der insoweit erforderliche Interessenaus-gleich kann durch gesetzliche Regelung allgemein vor-genommen werden." Genau das, meine sehr verehrtenDamen und Herren, machen wir jetzt in Thüringen,genau diesen Interessenausgleich zwischen den Nutzern,den Eigentümern und den verschiedenen Erholung Su-chenden im Thüringer Wald. Ziel soll es sein, das Kon-fliktpotenzial, das ich ausführlich an den verschiedenenLandeswaldgesetzen und den Urteilen beschrieben habe,zu minimieren und möglichst auszuschließen. Mit einerverhältnismäßig langen Übergangszeit mit Stichtag01.01.2004 ist meines Erachtens ausreichend Zeit vor-handen, die verschiedenen Interessen zusammenzuführen.Um in Thüringen eine Lösung zu erreichen, die sowohldie Interessen der Eigentümer, anderer Nutzer des Waldessowie die zahlreichen Erholung Suchenden, ob Reiter,Wanderer, Ski- oder Radfahrer ausreichend berücksichtigt.Wir werden in Thüringen ein ausreichendes, zusammen-hängendes Reitwegenetz schaffen. Mit der Kennzeichnungder Pferde wollen wir versuchen, die Ordnungswidrig-keiten einzuschränken, verhindern kann man dies selbst-verständlich nicht. Aber das soll im Interesse aller sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dafür zu streiten

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5317

und sich auseinander zu setzen, lohnt sich. Aber ich sagedas hier auch mit aller Deutlichkeit, was wir in den letztenWochen und auch ich persönlich in den letzten Tagen er-lebt haben, eine Auseinandersetzung mit Beschimpfung,Verunglimpfung, nicht innerhalb der Abgeordneten, son-dern außerhalb. Keiner der 88 Abgeordneten hat sich aneiner dermaßenen Verunglimpfung oder unsachlichen De-batte beteiligt, das möchte ich hier noch einmal aus-drücklich betonen. Frau Nitzpon, ich gebe Ihnen Recht,nicht dass da ein falscher Zungenschlag herüberkommt.Aber was in der letzten Zeit an Beschimpfungen, Verun-glimpfungen, Verleumdungen und Lügen verbreitet wird,auch hinsichtlich persönlicher Verunglimpfung, das kannso einfach nicht mehr hingenommen werden. Ich appellierean alle, vor allem an die Funktionäre, zu einer inhaltli-chen, sachlichen Auseinandersetzung zurückzufinden.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben uns heute früh - und ich muss ganz ehrlich sagenin diesem Zusammenhang - über die Vorkommnisse amGutenberg-Gymnasium unterhalten. Dazu möchte ich kei-nen Kommentar abgeben, aber ich glaube, es gehört auchder entsprechende Respekt dazu, dass wir einigermaßen dieWürde noch behalten, vor allem auch gegenüber denen, mitdenen ich mich auseinander setze. Ich sage Ihnen ganz ehr-lich, manche Briefe, manche Internetseiten waren mit einersolchen Boshaftigkeit und mit solchen Lügen bestückt,die moralisch niederträchtig und abgrundtief polemischgewesen sind, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Das ist kein fairer Beitrag zur demokratischen Auseinan-dersetzung, wenn es auch um keine so weltbewegendeAuseinandersetzung wie das Reitwegenetz geht. Ich appel-liere deswegen an alle, bei aller unterschiedlichen Auf-fassung, dass wir respektvoll auch in dieser Frage mit-einander umgehen und ein für Thüringen vernünftigesWaldgesetz novellieren, das für alle Interessen einenentsprechenden Ausgleich bringt. Ich bitte um die Über-weisung an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaftund Forsten. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Mir liegen keine weiteren ... doch, Herr AbgeordneterKummer, PDS-Fraktion.

Abgeordneter Kummer, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Tourismusist ein zartes Pflänzchen, hat mir neulich jemand gesagt,und nachdem, was wir in der letzten Zeit der ThüringerPresse über die Entwicklung im Thüringer Tourismus ent-nehmen konnten, scheint es zurzeit ziemlich zu mickern.Dieser Gesetzentwurf, der uns hier vorliegt, ist meiner

Ansicht nach noch ein weiterer kräftiger Fußtritt aufdieses Pflänzchen.

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Das Ge-genteil ist der Fall.)

Meine Damen und Herren, ich werde es Ihnen erläutern,wie ich das meine.

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Land-wirtschaft, Naturschutz und Umwelt: ...macht alles schlechter.)

Ich muss auch am Anfang gleich noch eins dazu sagen.Herr Wunderlich, Sie waren auch in der Anhörung zurEntwicklung ländlicher Räume. Allerdings sind Sie öfterdraußen gewesen. Vielleicht ist das der Grund, warum Sieheute hier so gesprochen haben. Aber ich denke, die Mög-lichkeit, weitere Standbeine im ländlichen Raum zu schaf-fen, weitere Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu schaffen,sollten wir uns erhalten, auch im Bereich des Tourismus.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Kummer, einen kleinen Moment, ge-statten Sie eine Anfrage durch den Abgeordneten Wun-derlich?

Abgeordneter Kummer, PDS:

Bitte.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Bitte, Herr Wunderlich.

Abgeordneter Wunderlich, CDU:

Herr Kummer, ich gehe davon aus, Ihr Angriff mir gegen-über, dass ich nicht immer bei der Anhörung anwesendsein konnte, ist nicht unterschwellig gemeint, sondern Sienehmen bestimmt zur Kenntnis, dass ich zu bestimmtenanderen wichtigen Terminen auch dabei sein konnte undich aktiv an der Entwicklung des ländlichen Raums dabeigewesen bin und meinen Beitrag dazu geleistet habe.

Abgeordneter Kummer, PDS:

Herr Wunderlich, ich habe mich nicht zu den Gründen ge-äußert, warum Sie anwesend waren oder nicht, ich habenur die Vermutung angestellt, dass einiges an Ihnen vor-beigegangen sein könnte, weil Sie nicht anwesend waren.Aber Sie können ja sicherlich auch das Protokoll zu deneinzelnen Fragen nachlesen.

Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, ein Reitwegenetzin Thüringen ist sicherlich eine sehr positive Sache undes wird keinen geben, der sich dagegenstellt. Aber, meineDamen und Herren, ein Reitwegenetz, so wie es laut die-

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sem Gesetzentwurf geschaffen werden soll, wo die Waldbe-sitzer zustimmen müssen, die Genehmigung geben müssen,dass auf dem Waldweg geritten werden darf, das ist einfachnicht durchführbar.

(Zwischenruf Abg. Primas, CDU: Da dürftensie jetzt gar nicht reiten.)

Ich habe das Gesetz gelesen.

Meine Damen und Herren, wir haben bei uns im Dorfeinen Hotelier, der hat sich jetzt ein Pferd zugelegt. Erwill sicherlich seine Gäste darauf auch einmal im Waldreiten lassen. Bei uns ist der Wald durch ein sehr kleintei-liges Eigentum geprägt. Einige Stücke gehören z.B. auchnoch Leuten, die schon gestorben sind. Meine Urgroß-mutter hat z.B. ein Einachtundsiebzigstel an - HerrMinister, ich weiß nicht, wo Sie hier hingeraten sind,wahrscheinlich scheinen Sie woanders zu sein, als ich -

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Land-wirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Siehaben nichts kapiert, bis jetzt, gar nichts ka-piert. Das kann doch wohl nicht wahr sein.)

einem Stück Wald. Wenn an diesem Stück Wald vorbeiein Weg für das Reiten im Wald gekennzeichnet werdensoll, dann müsste hier eine Genehmigung eingeholt wer-den. Da frage ich Sie, meine Damen und Herren, wollenSie das übers Flurneuordnungsamt machen lassen? Wahr-scheinlich sind die Pferde schon lange gestorben, ehe wirdie Genehmigung haben.

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Land-wirtschaft, Naturschutz und Umwelt: So einBlödsinn.)

(Unruhe im Hause)

Ein weiteres Problem: Die Frage, Herr Minister, Sie habenvorhin noch gesagt, hier werden noch nicht einmal dieForstbehörden...

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Land-wirtschaft, Naturschutz und Umwelt: MeinGuter hat nicht zugehört.)

Darf ich ausreden? Weil Sie Geld sparen wollen, werdenhier noch nicht einmal die Forstbehörden entsprechend zurGenehmigung herangezogen. Das sind nämlich die wei-teren Nutzungen gewesen, die weiteren Nutzungen im Be-reich Hunderennen z.B. oder Anlegen von Loipen für Ski-fahrer.

(Zwischenruf Abg. Wunderlich, CDU)

Ja, Herr Wunderlich, sicherlich sind das Sportveranstal-tungen, aber, Entschuldigung, es gibt Gemeinden, die lebenunter anderem von diesen Sportveranstaltungen und ge-

rade im Thüringer Wald.

(Beifall bei der SPD)

Und wenn ich an die Gemeinde Heubach z.B. denke, diezu einem großen Teil von kleinteiligem Privatwaldbesitzeingerahmt ist, dann frage ich mich, wie die in Zukunftihre Loipen ausweisen sollen. Es hat in der GemeindeMasserberg schon einen Fall gegeben, dass ein Weg nichtmehr genutzt werden konnte, weil der Waldbesitzer dasRecht dazu verweigert hat. Hier musste also ein Umweggebaut werden, weil ich einem Touristen nun auch schlechterklären kann, dass der Wald jetzt hier für zehn Meter ge-sperrt ist. Das ist über Maßnahmen des zweiten Arbeits-markts erfolgt, das hat ja auch einen hohen Aufwand ge-geben.

Meine Damen und Herren, ich denke, ein Gesetz, das unssolche Sachen beschert, können wir in Thüringen nichtbrauchen, um den Tourismus weiterzuentwickeln. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Wunderlich, Sie wollten eine Fragestellen. Ich nehme an, jetzt haben Sie aber eine Rede-meldung signalisiert. Bitte schön, Herr AbgeordneterWunderlich, CDU-Fraktion.

Abgeordneter Wunderlich, CDU:

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach dem Bei-trag muss ich wirklich versuchen, ruhig zu bleiben; ichmuss es ganz ehrlich sagen. Also, Herr Kummer, das hätteich Ihnen nicht zugetraut, dass man so irgendwie argumen-tieren kann. Ich frage Sie, haben Sie das Gesetz gelesen?

(Zuruf Abg. Kummer, PDS: Ja, na sicher.)

Sie haben das Gesetz gelesen. Das heißt, der erste Punkt,dass der Waldbesitzer grundsätzlich gefragt werden muss,nein, das stimmt so nicht, auf den befestigten Wegenbraucht der Waldbesitzer nicht gefragt zu werden. Es istdie Anhörung aller Beteiligten durchzuführen. Wenn sichdie untere Behörde, in dem Moment das Forstamt, füreinen Weg entscheidet, dann ist das so durchzuführen.

Der Waldbesitzer ist dann zu fragen, wenn es um die so ge-nannten unbefestigten Wege geht. Das ist ja gerade derVorteil, den wir hier noch mit einbringen wollen, damitentsprechend mehr Wege ausgeschrieben werden können,um eventuell auch den Forderungen der Reiter nachzu-kommen, nicht nur auf befestigten oder naturfesten Wegenzu reiten, um eben auch andere Naturwege mit einzube-ziehen.

Jetzt zu den Sportveranstaltungen: Ich habe es Ihnen vorhinerläutert, das gehört nicht zum Betretungsrecht, Herr Kum-

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mer. Die Rechtslage ist so in Deutschland, die ist in Thü-ringen bei einer organisierten Sportveranstaltung genauso.Wenn eine kommerzielle Reitveranstaltung durchgeführtwerden musste, dann musste die entsprechende Genehmi-gung der Behörde bzw. der Eigentümer, ob Kommune, Pri-vater oder Land, dazu eingeholt werden. Das ist schonimmer so.

(Unruhe im Hause)

Wie kann man - auf Deutsch gesagt - solches Zeug er-zählen? Einfach eine falsche Argumentation haben Siehier gemacht, Herr Kummer.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Abgeordneter Wunderlich, es gibt zwei Fragesteller.Gestatten Sie die Anfragen von Herrn Abgeordneten Kum-mer und Frau Abgeordneten Doht?

Abgeordneter Wunderlich, CDU:

Ja.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Dann bitte in der Reihenfolge, Herr Abgeordneter Kum-mer und dann Frau Abgeordnete Doht.

Abgeordneter Kummer, PDS:

Herr Wunderlich, wie würden Sie das Zitat aus dem Ge-setzentwurf, das ich Ihnen jetzt vorlesen möchte, deuten?

Abgeordneter Wunderlich, CDU:

Paragraph 6 Abs. 3, bitte.

Abgeordneter Kummer, PDS:

Die Kennzeichnung fester Wege und Straßen oder anderergeeigneter Wege bedarf zusätzlich der Zustimmung desjeweiligen Waldbesitzers.

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU:Kennzeichnung!)

Abgeordneter Wunderlich, CDU:

Wenn neben den gekennzeichneten Wegen zusätzlicheWege eingebracht werden müssen, bedarf es der Zu-stimmung des Waldbesitzers. Nein, ich habe es so nichtverstanden.

(Unruhe im Hause)

Es ist auch von Ihrer Seite falsch.

Abgeordnete Doht, SPD:

Herr Wunderlich, wenn Sie hier auf Sportveranstaltungenabstellen, ist Ihnen bekannt, dass die Mehrheit der Ski-fahrer, die durch Thüringer Wälder fahren, das nicht imRahmen von organisierten Sportveranstaltungen tut, son-dern individuell als Touristen, als Wanderer? Wollen Siedie künftig alle durch den Tiefschnee schicken?

Abgeordneter Wunderlich, CDU:

Frau Doht, normalerweise dürfte ich auf diese Frage keineernst gemeinte Antwort geben. Das sage ich Ihnen ganzehrlich, das ist eine Selbstverständlichkeit, dass jeder Ski-fahrer in Thüringen auf den ausgewiesenen Loipen fährtund das wird auch in der Zukunft so sein, vielleicht auchnoch verstärkt, weil es ja bisher zwischen den Kommunen,den Eigentümern und Skiläufern entsprechende Verein-barungen gegeben hat.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es gibt keine weiteren Redemeldungen mehr. Es sind ver-schiedene Ausschussüberweisungen beantragt worden. Ichschließe zunächst die Aussprache in der ersten Beratung.Ich würde das jetzt gern der Reihe nach vortragen, dassSie dann nicht wieder zurückfragen müssen, welcheÜberweisung denn jetzt dran ist.

Als Erstes ist beantragt worden, den Gesetzentwurf an denAusschuss für Naturschutz und Umwelt zu überweisen.Wer dieser Überweisung zustimmt, den bitte ich jetzt umdas Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen? Dasist eine Mehrheit von Gegenstimmen. Gibt es hier nochStimmenthaltungen? Das ist nicht der Fall. Die Über-weisung ist abgelehnt worden.

Als Nächstes ist beantragt worden, den Antrag an denAusschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik zuüberweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich jetzt um dasHandzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte.Danke schön. Das ist eine Mehrheit. Gibt es hier Stimm-enthaltungen? Es gibt zwei Stimmenthaltungen und eineMehrheit von Gegenstimmen, so dass der Antrag nicht anden Wirtschaftsausschuss überwiesen worden ist.

Dann gibt es den Überweisungsantrag an den Ausschussfür Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Wer dem zu-stimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Dankeschön. Gibt es hier Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall.Gibt es Stimmenthaltungen? Das ist auch nicht der Fall.Damit ist der Antrag einstimmig an den Ausschuss fürErnährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen wor-den.

(Unruhe im Hause)

5320 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Es ist doch immer wieder beachtlich, wie dieses Thema zugroßer Bewegung im Saal führt. Ich schließe den Tages-ordnungspunkt 3.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 4

Drittes Gesetz zur Änderung desThüringer SpielbankgesetzesGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2424 -ERSTE BERATUNG

Herr Innenminister nimmt die Begründung vor.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Landes-regierung legt heute den Entwurf eines Dritten Gesetzeszur Änderung des Thüringer Spielbankgesetzes vor.

Seit der letzten Novellierung dieses Gesetzes im Jahre 1997hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2000 neueMaßstäbe für die Errichtung einer Spielbank gesetzt.

(Unruhe im Hause)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich möchte darauf hinweisen, dass wir uns noch in laufen-der Plenardebatte befinden und dass man sein Verhaltenim Plenarsaal eigentlich diesem Anlass anpassen sollte.

(Beifall im Hause)

Köckert, Innenminister:

Auch wenn es bei dieser Entscheidung des Bundesver-fassungsgerichts um das Spielbankgesetz von Baden-Württemberg ging, sind die Kernaussagen, die das Bun-desverfassungsgericht trifft, auch im Thüringer Spielbank-gesetz zu berücksichtigen, meine Damen und Herren.

Der Gesetzgeber hat die Konzession privater Betreibernicht auszuschließen und klare Bestimmungen für dasVerfahren zur Vergabe einer Spielbankkonzession festzu-legen. Der vorliegende Entwurf orientiert sich an diesenvom Bundesverfassungsgericht gegebenen Vorgaben. Zu-gleich wollen wir die bislang hemmend wirkende Stand-ortfrage offensiv angehen; mit anderen Worten, die Ent-scheidung über den Standort soll der Gesetzgeber treffen.

Noch ein ganz wesentlicher Punkt: Wir wollen festlegen,dass die Spielbankabgabe gezielt für gemeinnützigeZwecke verwendet wird. Auch dafür ist eine Gesetzes-änderung notwendig.

Diese Novellierung betrifft neben einigen Detailrege-lungen vor allem drei Kernbereiche. In Artikel 1 Num-mer 1 soll das mittelbare staatliche Monopol aufgehoben

und die Möglichkeit eines privaten Konzessionsinhabersgeschaffen werden. Ebenfalls wird in Artikel 1 Erfurt alsSitz der ersten Spielbank gesetzlich festgelegt. Über even-tuelle weitere Standorte entscheidet die Landesregierung.

Die Nummer 2 enthält eher technische Einzelheiten. Ins-besondere wird hier die Erlaubnispflicht ausdrücklich be-tont. Damit soll deutlicher als bisher klargestellt werden,dass es sich bei der Spielbankmaterie um einen Kern-bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung han-delt. Die Konzession soll auf zehn Jahre befristet sein.

Die umfangreichste Neuerung in Nummer 3 trägt den Vor-gaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung. Da wirprivate Betreibergesellschaften zulassen wollen, ist eineöffentliche Ausschreibung zur Vergabe der Spielbankkon-zession notwendig. Dabei werden zum einen umfang-reiche Vorgaben für den Ausschreibungstext aufgeführt,zum anderen die Kriterien für die Auswahl unter meh-reren geeigneten Bewerbern bestimmt aufgestellt.

Noch eine Bemerkung zur Spielbankabgabe: Sie ist vomCharakter her als Steuer zu verstehen und macht einenRegelsatz von 60 Prozent des Bruttospielertrags aus. Sieist von der so genannten weiteren Leistung in Höhe vonregelmäßig 20 Prozent des Bruttospielertrags zu unter-scheiden. Die schon bisher bestehende Möglichkeit, dieSpielbankabgabe abzusenken, soll erweitert werden. Dieflexible Neuregelung der Absenkungsmöglichkeit von60 auf 30 Prozent des Bruttospielertrags stellt dabei aufdie zu erwartende Kosten- und Ertragslage ab, aber auchauf Erklärungen im Erlaubnisantrag sowie auf die steu-erliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Dies soll derGesellschaft Investitions- und Bestandssicherheit ver-schaffen. Die Absenkungsdauer entspricht dabei der Kon-zessionsdauer. Nach Ablauf dieser Zeitspanne erfolgt eineÜberprüfung, ob der Regelabgabesatz von 60 Prozentnicht neu zu bestimmen sein wird.

Eine weitere wichtige Neuerung dieser Novelle bringt dieNummer 7. Abgaben sollen nicht, wie bisher im Gesetzfestgelegt, als allgemeine Deckungsmasse dem Haushaltzufließen, sondern gezielt gemeinnützigen Zwecken. Hier-für haben wir als Thüringer Spezifikum im Januar dieThüringer Ehrenamtsstiftung errichtet, die besondere Be-rücksichtigung finden soll. Die weiteren im Novellie-rungstext enthaltenen Neuerungen sind technischer Natur.

Nun noch einige Bemerkungen zum Schluss. Thüringenist bislang das einzige Land der Bundesrepublik, in demkeine Spielbank betrieben wird. Mit dieser Novellierungwollen wir - bildlich gesprochen - Steine aus dem Wegräumen, um nicht nur ein Spielbankgesetz, sondern umnun auch eine Spielbank zu haben.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Sie haben dasdoch verstanden.)

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5321

Die Meinungen, Herr Pohl, wandeln sich im Laufe derZeit. Ich kann mich erinnern, dass ein Innenausschussvergangener Legislatur sich in dieser Frage emsig bemühthat, um eine Spielbank zu ermöglichen. Dem gehörten Sie,glaube ich, auch schon an.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Da war erFraktionsvorsitzender.)

Deshalb wollen wir die Möglichkeit eines privaten Betrei-bers schaffen und deshalb wollen wir exakte Ausschrei-bungs- und Vergabeverfahren festlegen, um die Zuver-lässigkeit des Betreibers und die Sicherheit des Spiel-bankbetriebs zu gewährleisten. Wir wollen eine Spielbankund wir wollen die äußeren Spielregeln, die Rahmen-bedingungen für einen ordentlichen Betrieb festlegen.

Meine Damen und Herren, ich bitte den Novellierungs-entwurf an die entsprechenden Ausschüsse zu überweisen.Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich komme zur Aussprache und als erste Rednerin hat sichFrau Abgeordnete Thierbach, PDS-Fraktion, zu Wort ge-meldet.

Abgeordnete Thierbach, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Spie-lerinnen und Spieler im Lande Thüringen, seit nunmehracht Jahren hat Thüringen ein Spielbankgesetz. DiesesGesetz war einer der Höhepunkte der 1. Legislatur des Thü-ringer Landtags. Die spannende Frage hier im hohen Hauswar nämlich damals, ob das Kasino nun in Erfurt er-richtet wird oder in Altenburg oder in einer der Resi-denzstädte oder wo auch immer.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Oder BadKlosterlausnitz.)

Glücklicherweise wurde dann gar keine Spielbank er-öffnet. Drei Jahre später, im Jahr 1997, hat der Landtag dasGesetz wieder geändert. Das hat auch nicht geholfen.Fünf Jahre später gibt es immer noch keine Spielbank inThüringen und an der Stelle sage ich persönlich, das istgut so.

Acht Jahre, nachdem es dieses Gesetz gibt, soll es wiedergeändert werden, zum einen, um dem Bundesverfassungs-gerichtsurteil vom 19.07.2000 gerecht zu werden, und zumanderen können Glücksspieler in Thüringen nun offenbarwieder hoffen, sie sind also wieder einmal guter Hoff-nung. Es war zu lesen, dass ein Kasino in einem ErfurterFünfsternehotel geplant ist, entgegen den Gerüchten, dieman in Erfurt auch hören kann, dass dafür das Ab-geordnetenhaus genutzt werden solle.

(Zwischenruf Abg. Kölbel, CDU: Niemals.)

Ein Fünfsternehotel im Brühl - sicher, ein Hotel ist einegute Touristenattraktion und sicher, ein Fünfsternehotelholt andere Betuchte nach Erfurt. Ob es aber tatsächlichmit einer Spielbank sein muss, ich bezweifle es.

Meine Damen und Herren, ich habe die Hoffnung, dasswir auch in zwei Jahren wieder hier stehen und sagen, es istnichts geworden. Ich will Ihnen das auch begründen. Inder Spielordnung, die der für das Spielbankwesen zustän-dige Minister Köckert - später sicher kurz Kasinoministergenannt - sicher schon in der Schublade hat, wird es einePassage geben, in der stehen wird, dass nur derjenigespielen darf, dessen wirtschaftliche Verhältnisse erkennbarangemessen erscheinen. Der Grund ist klar. Die Einsätzesollen möglichst hoch sein, um auch einen hohen Brutto-spielertrag zu erreichen. Er ist fest eingeplant und es istfest eingeplant, dass ein paar Millionen Euro im Jahroffensichtlich mehr verloren als gewonnen werden, sonstkönnte es dann nämlich nicht diese Abgabe geben. Dannsoll das Geld von Menschen kommen, deren wirtschaft-liche Verhältnisse angemessen erscheinen. Hinterher, wenndie genug verloren haben, ist es ja fraglich, wie die wirt-schaftlichen Verhältnisse dann offensichtlich nur nochscheinbar angemessen sind.

Liebe Glücksspielfreunde, haben Sie bei Ihren Bestre-bungen, eine Spielbank in Erfurt zu haben, wirklich auchbedacht, dass Glücksspiel Suchtgefahren birgt? Spiel-sucht kann dazu führen, dass gesunde wirtschaftliche Ver-hältnisse zerstört werden, und es kann dazu führen, dassnicht nur Suchtberatung, Spielsuchtberatung und Insol-venzberatung im Lande Thüringen noch entschieden mehrnotwendig sind.

Meine Damen und Herren, ich bin wirklich gegen dieErrichtung einer Spielbank in Erfurt und auch anderswo.Nicht jeder in diesem Landtag muss dieser Meinung sein,wie es auch nicht in meiner Fraktion so ist. Ich möchteSie nur auf den Brief des Fachverbands Glücksspieler-sucht e.V. aufmerksam machen, der natürlich aus einerrenommierten Stadt der alten Länder mit Erfahrung umGlücksspiele kommt. Ich möchte aber auf die Folgenimmer wieder hinweisen können. Wenn Sie wirklich eineSpielbank im Land Thüringen möchten, dann geben SieIhrem Herzen einen Stoß und geben Sie die Bruttoge-winnabgaben nicht nur allgemeinen öffentlichen Interessenzur Verfügung, sondern auch oder gerade Sucht- und Insol-venzberatungsstellen. Schreiben wir dieses in diesem Ge-setz mit fest. Natürlich spreche ich hier auch als ErfurterAbgeordnete, natürlich weiß auch ich, dass die StadtErfurt an den Geldern partizipieren soll, über die dannöffentlich verfügt werden kann. Das rettet aber auch dieErfurter Kommunalfinanzen nicht. Ich bin schon der Mei-nung, hier wäre die immer wieder angekündigte grund-sätzliche Kommunalfinanzreform der bessere Weg alsdie Gewinnbeteiligung der Stadt Erfurt an Spielbanken.Natürlich bin ich auch für jeden Euro für das Ehrenamt

5322 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

zu haben, daran besteht kein Zweifel. Wenn aber genugLeute hier im Haus wie ich der Meinung wären, dasswir keine Spielbank brauchen, dann müssen wir uns na-türlich überlegen, wo bekommen wir das Geld für dasEhrenamt her, was dann aus den Spielbankabgaben kom-men soll. Da wird Ihnen meine Fraktion erneut wie schonzweimal in diesem hohen Haus Vorschläge unterbreiten,was es für Möglichkeiten aus dem so genannten Lotto-gesetz gibt, um das Ehrenamt zu unterstützen, damit nichtder einzelne Minister irgendwo seine Lottomittel ver-geben muss.

Man kann sehr unterschiedlicher Meinung zur Spielbanksein. Manche sagen mir, bei dem allgemeinen Trend, dassdie Spielbank letztendlich das große Spiel kaum habenwird, was willst du denn, die Spielhallen, die ja oft Spiel-höllen heißen, die gibt es überall. Die sind einfach durchdas Genehmigungsverfahren über die Kommunen einge-richtet. Die sind kein bisschen besser in Bezug auf dieTatsachen, dass sie die Gefahren in sich bergen, dassÜberschuldung, dass Spielsüchte tatsächlich bedient wer-den. Wenn ich könnte, würde ich auch auf Spielhöllenverzichten wollen. Da man aber nicht blind durch dasLeben laufen kann, sondern weiß, wie die Verhältnisse sindund dass solche Dinge in dieser Gesellschaft existieren,bin ich der Meinung, sollten wir in den Ausschüssen, imInnenausschuss, aber auch im Ausschuss für Soziales,Familie und Gesundheit über diesen dritten Gesetzent-wurf noch einmal diskutieren. Wir werden Änderungs-anträge einbringen, um zu ermöglichen, genau diese vonmir bezeichnete Verwendung der Mittel für die Insolvenz-und Suchtberatung auch mit festzuschreiben. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die SPD-Fraktion hat sich Abgeordneter Pohl zuWort gemeldet.

Abgeordneter Pohl, SPD:

Meine Damen und Herren, jetzt kann ich das Wort we-nigstens aussprechen, rien ne va plus,

(Beifall bei der PDS)

ich denke daran, nichts geht mehr, also auf zum drittenAnlauf, nach 1994 und 1996 der nächste Gang. Nicht, weilwir in Thüringen die Spielbanken so nötig haben undobwohl das Spielbankengesetz aus der 1. Legislatur-periode stammt, gibt es in Thüringen keine Spielbank. Dashat natürlich auch ganz bestimmte gute Gründe, denn ausden Erfahrungen anderer Bundesländer wurde ganz schnellklar, dass sich Spielbanken in den neuen Bundesländernnur sehr schwer lohnen. So mussten ja bekanntlich Spiel-banken in Dresden und in Leipzig ihre Pforten schließen.Ging man gerade beim ersten Spielbankengesetz davonaus, dass man drei Spielbanken in Thüringen brauchte,

wollte man bei der nächsten Änderung nur noch bis zudrei, jetzt will man nur noch eine. Damals schossen jadie Erwartungen der Kommunen ganz groß in die Höhewie ein Wahnsinnspoker. Ich glaube, ca. 45 Kommunenbewarben sich mit glänzenden Augen und hatten alleschon große Pläne. Den größten hatte wohl damals derErfurter OB, der sich aus den Spielbankgewinnen auch eineneue Oper bauen wollte. Ob sich diese eine Spielbank inThüringen rechnet, ist höchst zweifelhaft. Das wissen zu-mindest alle, die wie ich in der letzten Legislaturperiodedie umfänglichen Beratungen des Innenausschusses mitge-macht haben. Die einzige auswärtige Exkursion des Innen-ausschusses war damals nach Mainz, also nicht nachSchweden oder nach Brüssel, so bescheiden sind wirInnenleute. Aber dieser Exkursion folgte dann die entspre-chende Ernüchterung. Nicht, dass sich nur die drei Stand-orte als unrealistisch darstellten, darüber hinaus wollteauch keiner der damals Befragten in Thüringen investieren.Ergebnis der Beratung war, dass man das Projekt "Thü-ringer Spielbanken" auf die lange Bank schob - mit gutemGrund, wie ich meine. Dass jetzt dieses Projekt wiederaus der Schublade geholt wurde, hat natürlich Gründe.Die Thüringer Landesregierung will aus den Erlösen derSpielbank eine Stiftung "Ehrenamt" bedienen, also: Zockenfür das Ehrenamt. Das halte ich für nicht sehr seriös.

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister für So-ziales, Familie und Gesundheit)

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Ra-sen für die Rente.)

Wie schon zuvor ausgeführt, wurden ja gerade dieSpielbanken in Sachsen geschlossen. Ich frage mich, wennsich schon an einem Messestandort eine Spielbank nichtlohnt, wie würde sich dann eine Spielbank in Erfurt tragen?In Auswertung der Anhörung in der 2. Legislaturperiodesehe ich da schwarz, aber keine schwarzen Zahlen. Das3. Änderungsgesetz beweist, glaube ich, dass selbst dieLandesregierung nicht so recht an den Erfolg glaubt. Sokann der Finanzminister die mit 60 Prozent schon niedrigerals vorher angesetzte Spielbankabgabe unter gewissenVoraussetzungen auch auf 30 Prozent senken. So mussauch die Troncabgabe nicht mehr zwingend erhoben wer-den. Ich frage mich, mit welchen Einnahmen rechnet denndie Landesregierung, um diese Stiftung Ehrenamt damitauszugestalten.

Die Landesregierung will durch dieses Projekt in Erfurt,Am Brühl, die Landeshauptstadt mit aufwerten. Dass diebestimmt interessanten Angebote der neuen Oper Kund-schaft für die Spielbank bedeuten, mag ich einfach be-zweifeln. Im Gegenteil, eine Spielbank mit historischemAmbiente, wie im "Erfurter Hof" könnte wenigstens dieLaufkundschaft der Bahn mit anlocken. So würde dannauch ein brach liegendes historisches Gebäude wieder zumLeben erweckt und den Vorplatz des Bahnhofs aufwerten.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5323

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU:Wollen wir ... machen.)

Meine Damen und Herren, auf jeden Fall werden wir esauch, wie in den vergangenen zwei Legislaturperioden, imInnenausschuss beraten, ob in auswärtiger Sitzung, aberauf jeden Fall mit auswärtigem Sachverstand. Ich dankeIhnen.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Abgeordneter Fiedler, Sie haben das Wort. Bitte.

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,ich will mich bemühen, dass es nicht ganz zu spaßig wird.Wahrscheinlich gibt es zurzeit außer Wanderfischpro-gramm und Spielbankengesetz nichts Wichtigeres. Wasich an dem Gesetz schätze, nachdem uns schon die dritteÄnderung vorliegt, der verehrte Herr Kollege Köckert hatschon darauf hingewiesen, was in der letzten Legislaturdort passiert ist oder auch nicht. Fakt war jedenfalls eines,die große Koalition konnte sich nicht einig werden, wodenn der Standort sein wird. Das war der einzige Grund unddeswegen ist das ganze Ding liegen geblieben. Mittlerweilesind Erkenntnisse weit und breit gefunden worden, wie diefinanziellen Dinge sich rechnen oder auch nicht. Ich denke,hier muss insbesondere im Gesetzentwurf darauf geschautwerden, dass am Ende nicht etwa ein Minus herauskommt.Hier möchte ich besonders in Richtung Finanzen schauen,die dort federführend auch mit beteiligt sind, dass das nichtam Ende ein Rohrkrepierer wird, sondern dass wir untermStrich auch wirklich das Positive herausheben, wenn mandenn schon eine Spielbank im Freistaat Thüringen schafft.Dass man dort bestimmte Gelder dazu für die Ehrenamts-stiftung nutzt, finde ich, ist etwas ungewöhnlich. FrauThierbach, Sie wissen, dass z.B. auch die Lottomittel ausSpielgewinnen kommen, die Menschen sind so, wie siesind, die meinen, wenn sie solchen Dingen nachgehen, dasses etwas schneller geht, dass man zu Geld kommt. DieseLottoüberschussmittel kommen im Lande sehr vielen Ver-einen und anderen sehr zugute und ihnen kann damit ge-holfen werden.

Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass es hier nur in die eineRichtung geht, eine Verwendung für gemeinnützigeZwecke. Da muss man sicher hinschauen, ob dort ge-gebenenfalls auch noch andere Dinge möglich sind. Wasich natürlich auch wichtig finde, bei allem Vertrauen indie Landesregierungen, die sich dann entsprechend dafürverantwortlich fühlen, muss man auch mit darauf achten,z.B. Artikel 1 Nr. 1, dass die weitere Entscheidung in dieVerantwortung der Landesregierung gelegt wird. Ichdenke, auch das sollte man kritisch in den weiteren Be-ratungen betrachten, dass man sich hier auch das Ganzeeinmal anschaut.

Ich will jetzt nicht auf die einzelnen Standorte eingehen,sonst brauchen wir keine Beratung mehr zu dem Gesetz-entwurf. Wenn überhaupt, sage ich einmal vollkommenwertfrei - es waren viele Standorte im Gespräch - kannwahrscheinlich nur Erfurt in Frage kommen. Man musssich dann genau anschauen, wie, wo, wann? Ich gehedavon aus, Herr Minister, vielleicht müssen wir uns auchgemeinsam nach den neuen Kriterien noch einmal mit denDingen beschäftigen, vielleicht zusammen mit dem Innen-minister und dem Finanzminister die entsprechenden An-gebote noch einmal ansehen, ohne dass der Eindruck ent-steht, wir bereisen jetzt sämtliche Spielbanken. Das habenwir nicht vor. Die, die dann vielleicht in Frage kommenkönnten, sollte man genau betrachten. Ich empfehle, dassman in Ruhe und Bedachtsamkeit das Ganze berät und dasErgebnis hier wieder vorträgt.

(Beifall bei der CDU, PDS)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Ich habe die Ausschussüberweisung vergessen, federfüh-rend Innenausschuss und Haushalts- und Finanzausschussbegleitend.

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Und So-ziales, Herr Fiedler.)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Nein, dashalte ich nicht für erforderlich.)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Wir können damit die Aussprache schließen und kommenzur Abstimmung. Beantragt wurde die Überweisung desGesetzentwurfs an den Innenausschuss, den Ausschuss fürSoziales, Familie und Gesundheit und an den Haushalts-und Finanzausschuss. Wir werden das nacheinander ab-stimmen.

Wer für die Überweisung an den Innenausschuss stimmenwill, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen?Stimmenthaltungen? Das ist einstimmig.

Wer für die Überweisung an den Ausschuss für Soziales,Familie und Gesundheit votieren will, den bitte ich umdas Handzeichen. Gegenstimmen? Stimmenthaltungen?Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.

Dann stimmen wir noch über die Überweisung an denHaushalts- und Finanzausschuss ab. Wer dieser Überwei-sung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.Das sieht auch einmütig aus. Gegenstimmen? Stimm-enthaltungen? Gibt es keine.

5324 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

So, dann legen wir noch die Federführung fest. Wer dieFederführung dem Innenausschuss zuweisen will, den bitteich um das Handzeichen. Das sieht auch ganz einmütig aus.Damit ist die Federführung festgelegt für den Innenaus-schuss. Wir können den Tagesordnungspunkt 4 beenden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 a auf

Drittes Gesetz zur Änderung desThüringer Kinder- und Jugendhilfe-ausführungsgesetzesGesetzentwurf der Landesregierung- Drucksache 3/2450 -ERSTE BERATUNG

Herr Minister Pietzsch, Sie bringen das Gesetz ein. Bitteschön.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie und Ge-sundheit:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,die Überschrift klingt erst einmal sehr kühl und nichtssagend "Drittes Gesetz zur Änderung des ThüringerKinder- und Jugendhilfeausführungsgesetzes". Es gehtaber dabei - und das ist wichtig, der Inhalt - um eineStärkung des Ehrenamts, um eine Freistellung für Jugend-leiter in ehrenamtlicher Tätigkeit. Ich darf darauf ver-weisen, dass wir uns gerade zu dem Thema "Ehrenamt",aber auch zu diesem Thema "Freistellung" hier im Landtagschon mehrfach unterhalten haben. Es ist mir ein Hauptan-liegen, in dieser Legislaturperiode eine Stärkung des Ehren-amts zu erreichen. Der vorige Tagesordnungspunkt, denwir beraten haben - dabei meine ich nicht die Fahrt desInnenausschusses, um festzustellen, denn das war ja nichtehrenamtlich, das war im Hauptamt sozusagen -

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Keine Be-leidigung.)

die Spielbank einzurichten und das Geld dafür zu nutzen,hat auch etwas mit dem Ehrenamt zu tun. Deswegen binich ausdrücklich daran interessiert, dass die Novellie-rung möglichst schnell umgesetzt und dann auch möglichstschnell die Spielbank eingerichtet wird.

Wir haben u.a. in dieser Legislatur im vergangenen Jahr, indem Jahr des Ehrenamts, dafür gesorgt, dass die Grund-lagen gelegt wurden, dass die Ehrenamtsstiftung errichtetwerden konnte, an der ja auch Mitglieder dieses hohenHauses im Stiftungsrat beteiligt sind. Wir fördern dieehrenamtliche Tätigkeit im Lande finanziell und ideell.Wir haben in diesem Jahr erstmals einen ThüringerEhrenamtspreis verliehen. Wir haben drei Ehrenamts-konferenzen durchgeführt, die nicht den Abschluss desEhrenamts oder der Diskussion um das Ehrenamt dar-stellen sollten, und wir haben eine Studie in Auftrag ge-geben zur Situation des Ehrenamts hier in Thüringen. Ichdenke, das ist eine große Zahl von Aktivitäten. Unmittelbar

verbunden ist damit nun auch die angestrebte Stärkung desEhrenamts gerade in der Jugendarbeit, dort spielt es einebesondere Rolle.

Meine Damen und Herren, wie viele Briefe ich in denletzten Wochen bekommen habe, immer wieder mit demBezug auf den 26.04.2002, auf die Situation, über die wiruns heute Morgen unterhalten haben; ich will nicht unmit-telbar den Bezug herstellen, aber ich meine doch, dassehrenamtliches Engagement gerade ein tragender Pfeilerder Jugendarbeit ist und dass wir diese ehrenamtliche Ar-beit gerade in der Jugendarbeit unterstützen müssen. DennJugendarbeit soll an die Interessen junger Menschen an-knüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet wer-den. Außerdem soll Jugendarbeit junge Menschen zurSelbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlichem En-gagement anregen und hinführen. Freiwilliges Engagementbesitzt für die Charakterbildung und auch für die gesell-schaftliche Integration junger Menschen eine zentrale Be-deutung. Angesichts dieser Bedeutung ehrenamtlichen En-gagements für die Sozialarbeit und Sozialisation jungerMenschen sollen die entsprechenden Rahmenbedingungenin der Jugendarbeit verbessert werden und deshalb will dieLandesregierung eine Freistellungsregelung einführen.Über mögliche Eckpunkte einer solchen Regelung hatte ichIhnen auch im Landtag bereits berichtet. Es gibt eine Land-tagsdrucksache. Es gab im Mai des vergangenen Jahresden Auftrag an die Landesregierung zu erforschen, wie eineUmsetzung durchgeführt werden könnte. All diese Eck-punkte haben nun abschließend, insbesondere mit denVertretern der Wirtschaft und dem Landesjugendring,zu der vorliegenden Gesetzesnovelle geführt.

Meine Damen und Herren, wir haben hier einen ähnlichlautenden Antrag der SPD diskutiert. Ich habe in der Zeitimmer großen Wert darauf gelegt, dass dieses Gesetz imEinvernehmen mit allen daran Beteiligten eingebracht, be-raten und anschließend umgesetzt wird, alle Beteiligten, dasheißt Landesjugendring, aber auch Arbeitgeber. Es bestehtzwischenzeitlich ein grundsätzliches Einvernehmen - inDetails ist man noch unterschiedlicher Meinung - auch mitder Wirtschaft. Ich sage noch einmal, auf deren Zustim-mung habe ich von Anfang an großen Wert gelegt, dennein Gesetz oder eine Bestimmung nach den Buchstaben desGesetzes ist alles gut und schön, wenn es nicht umge-setzt wird, weil die Arbeitgeber versuchen, es vielleichtnicht umsetzen zu müssen und weil gleichzeitig die Ar-beitnehmer eventuell Angst haben müssen, ihr Recht zu be-antragen, weil sie dann Sorge um ihren Arbeitsplatz habenmüssen. Die Thüringer Unternehmer wissen, dass ehren-amtlich engagierte Mitarbeiter sich auch im Beruf enga-gieren. Dies ist mir immer wieder deutlich gemacht wordenund ich möchte an dieser Stelle auch den Vertretern derWirtschaft für ihre Kooperationsbereitschaft ausdrücklichdanken. Die Freistellungsregelung für ehrenamtlich Tätigein der Jugendarbeit sieht nach dem heute eingebrachtenRegierungsentwurf im Wesentlichen Folgendes vor: Esbesteht erstens ein Anspruch auf Freistellung von derArbeit für die Durchführung von Maßnahmen im Bereich

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5325

der Kinder- und Jugenderholung und der internationalenJugendbegegnung sowie für die Durchführung und Teil-nahme an Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen sowieFachtagungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mitder Jugendleitertätigkeit stehen. Zum Zweiten muss derMaßnahmeträger ein anerkannter Träger der freien oderein Träger der öffentlichen Jugendhilfe sein. Drittens mussder Jugendleiter Inhaber einer gültigen Jugendleiter-Cardsein. Viertens dürfen der Freistellung keine berechtigtenbetrieblichen Interessen entgegenstehen. Fünftens, es kannjährlich an bis zu 10 Arbeitstagen freigestellt werden.Sechstens ist der Arbeitgeber für die Zeit der Freistellungnicht zur Lohn- oder Gehaltsfortzahlung verpflichtet undsiebentens erhält der freigestellte Jugendleiter aus demLandeshaushalt als Ersatz für seinen tatsächlich einge-tretenen Vergütungsausfall bis zu 35 �� ���� ������stelltemArbeitstag. So viel zu dieser Freistellungsregelung.

Über diese Freistellungsregelung hinaus enthält der vor-gelegte Entwurf der Novellierung vor allem noch eineweitere Änderung. Es soll der Fortschreibungszeitraum beiJugendförderplänen und beim Landesjugendförderplanverändert werden. Statt der bisherigen jährlichen Fort-schreibungsverpflichtung soll der Fortschreibungszeitraumnunmehr von den Planungsverantwortlichen bestimmt wer-den, also von den Landkreisen bzw. kreisfreien Städtenund vom Land. Insofern geht auch dieses Gesetz überdie ursprüngliche Regelung des SPD-Entwurfs hinaus.Wir haben uns in der letzten Sitzung des Ausschusses fürSoziales, Familie und Gesundheit darüber verständigt, dassbeide Vorlagen gemeinsam beraten werden sollen. Dasheißt, wir haben uns schon vorher darüber verständigt, ichhabe aber in der letzten Ausschuss-Sitzung noch einmaldarüber berichtet, wie weit der Stand des Regierungs-entwurfs ist. Ich denke, dass wir diesen Gesetzentwurf,nachdem so intensive Gespräche mit den Betroffenen aufbeiden Seiten geführt worden sind, zügig im Ausschussfür Soziales, Familie und Gesundheit beraten können undich bitte Sie um Überweisung an den Sozialausschuss,damit wir es beraten können.

Gestatten Sie mir, noch eine kleine Anmerkung zu machen.Es hat sich ein Tippfehler in der Begründung zum Ge-setzentwurf eingeschlichen, im Bereich der Begründung zuArtikel 1 Nr. 1. Dort muss es heißen in § 71 Abs. 2 usw.statt "Satz 2 SGB VIII" richtigerweise "Satz 3 SGB VIII".Das ist ein Fehler, der sich eingeschlichen hat. Ich denke,das ist kein Thema, das werden wir sowieso ändern.Danke.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Ich eröffne die Aussprache und Frau Abgeordnete Thier-bach, Sie haben als Erste das Wort.

Abgeordnete Thierbach, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, vorab HerrMinister, eins muss ich Ihnen bestätigen, Ihr Ministe-rium kann, wenn es will, sehr schnell sein

(Beifall bei der CDU)

im Bekennen von notwendigen Korrekturen. Das finde ichin Ordnung. Manches dauert lange, da erinnere ich Siean die Mündliche Anfrage. Ich hoffe aber genau diesesPhänomen, abzuwägen zwischen lang dauern und kurz undschnell, brauchen wir bei diesem Gesetzentwurf nichtvornehmen. Vor einem Jahr hatte der Minister schon be-richtet über die Eckpunkte, die einer rechtlichen Regelungfür die Freistellung ehrenamtlich Tätiger im Jugendbe-reich letztendlich notwendig sind. Der Gesetzentwurfwurde leider mehrfach angekündigt, nun ist er aber endlichda, wenn auch sehr kurzfristig, so sind wir trotzdem zu-mindest im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesund-heit übereingekommen, dass es am Ausschuss und an derBeratung im Ausschuss nicht liegen soll, wenn das Gesetzvor dem Sommer nicht mehr verabschiedet werden sollte.Also so eine Bürde wollen wir uns nicht auflasten. Nun isttatsächlich der Gesetzentwurf der Landesregierung nichtausschließlich für die Freistellung ehrenamtlicher Tätigkeitund zu dem zweiten Bereich, nämlich ob man Jugendför-derpläne jährlich oder regelmäßig schreibt, ich glaube, auchwenn diese Änderung in Artikel 1 des Gesetzes tatsächlichnur ein Wort bedeutet, ist da mehr Problematik dahinter.Ich habe noch keinen Ausweg gefunden, wie wir das ver-fahrensmäßig machen sollen, weil ich glaube, an der Stellewird der Ausschuss einiges zu diskutieren haben. Zu demersten Teil des Gesetzes, nämlich die Anbindung möglicherFreistellung für Maßnahmen der Jugendbetreuung oder derQualifizierung von Inhabern der Jugendleiter-Card an dasAusführungsgesetz zum KJHG, dieses empfinden ich undmeine Fraktion als sinnvoll. Noch dazu, wo es gegenwärtigca. 2.000 Personen gibt, die bereits im Besitz dieser Jugend-leiter-Card sind, 3.000 sollen es werden. Sicher werdennicht alle von denen eine Freistellung als Arbeitnehmerbis zu 10 Tagen in Anspruch nehmen können oder brau-chen. Zum Beispiel Jugendliche über 16 Jahre oder Ar-beitslose, die natürlich auch ehrenamtlich tätig sind, werdendurch dieses Gesetz in keiner Art und Weise tangiert. Da-raus lässt sich aber ableiten, dass tatsächlich das Volumender eingestellten Mittel relativ hoch ist. Ich glaube, wennca. 500 Leute noch in diesem Jahr bei einem Mittelein-satz von 175.000 ����������������� �� Anspruch nehmenkönnen, ist das in diesem Jahr ein guter Schritt in dierichtige Richtung.

Allein die Tatsache, dass wir nun die Freistellungsregelunghaben, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eseine Kannbestimmung ist. Auch ich bin mir bewusst,dass eine zwingende Freistellung mit der Wirtschaft sehrproblematisch gewesen wäre. Wenn die Wirtschaft sichan dieses "kann" in ihrem Rahmen tatsächlich so hält, wiesie es angekündigt hat, dann muss man sagen, ist auch

5326 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

dieses "kann" in dem Gesetzentwurf der richtige Schrittin die richtige Richtung. Wenn es tatsächlich die Frei-stellung bis zu 10 Arbeitstagen gibt und 35 ��pro Tag fürdenjenigen, der Arbeits- oder Lohnausfall tatsächlich hat,als Unterstützung geben wird, dann ist es auch in Ordnung.

Schade ist es, dass dieser Gesetzentwurf der Landesre-gierung einen Monat zu spät kommt, obwohl er nochrechtzeitig kommt, denn die gemeinsame Behandlung mitdem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion im Ausschuss fürSoziales, Familie und Gesundheit schon in diesem Monatund vielleicht heute die Verabschiedung einer Regelung zurFreistellung zur Förderung im Jugendbereich ehrenamtlichTätiger hätte zur Folge gehabt bei dem Modus, der imGesetzentwurf enthalten ist, dass vier Wochen Antrags-frist 14 Tage vor Maßnahmebeginn der Entscheidungs-raum des Arbeitgebers diese Maßnahmen möglicherweisenoch in dieser Sommerpause mehr hätten greifen könnenals es so nun auf Goodwillbasis schon im Vorverfahrendurch das Kennen dieser möglichen Gesetzesregelung vonBetrieben gestattet wird. Ich glaube, der Ausschuss solltesich zusammenreißen und trotzdem das Gesetz im nächstenPlenum noch verabschieden.

Nun komme ich aber zu einem zweiten Schwerpunkt.Der Minister sprach an, dass die Erstellung der Jugend-förderpläne bzw. des Landesjugendförderplans nicht mehrjährlich fortgeschrieben werden soll, sondern dass dafür"regelmäßig" eingesetzt werden soll im Gesetz. Regel-mäßig ist alle fünf Jahre, regelmäßig ist nach dem Bedarf,regelmäßig kann kontinuierlich, kann sein diskontinuier-lich, alles ist regelmäßig. Das Problem an dem Begriff liegttatsächlich an der Anwendung, wie er hier formuliert ist.Wenn man nachsieht im SGB VIII, also im Kinder- undJugendhilfegesetz, in § 71, dann findet man zwar die Ver-bindlichkeit der Fortschreibung von Jugendförderplänenund des Landesjugendförderplans, aber, ich glaube, dieLandesregierung, ich unterstelle ihr das zumindest, hat hieretwas Positiveres gewollt als es im Gesetz jetzt als Vor-schlag steht. Ich unterstelle Ihnen, dass Sie auf derGrundlage des KJHG die Selbstverwaltung im Sinne derJugendhilfeausschüsse und des Landesjugendhilfeausschus-ses als beschließende Ausschüsse tatsächlich wollten undnicht, Herr Minister, wie Sie eben den Schlenker vor derKorrektor dieser Zeile gemacht haben, dass die Landkreiseund die kreisfreien Städte die Beschließenden wären. Letzt-endlich ist die Regelung, die jetzt im Gesetz steht geradedurch den Bezug zu § 71, die tatsächliche Selbstbeschlie-ßung durch den Jugendhilfeausschuss bzw. durch den Lan-desjugendhilfeausschuss, wann er bereit ist, Fortschreibun-gen fortzuführen. Dies ist gegenwärtig Ihr Gesetzes-vorschlag. Dass sich letztendlich eine Kommune darüberhinwegsetzen kann, wenn ihr die Arbeit des Jugendhilfe-ausschusses bzw. des Landesjugendhilfeausschusses, daswäre dann der Landtag, nicht gefällt, das ist formalrecht-lich möglich. Ich glaube aber, diesen Fall sollte man nieprovozieren, weil ich glaube, das modernste am KJHG,an diesem Stück, ist die tatsächliche Selbstverantwortung,die die in dem Gremium sitzenden Leute haben und die

dann auch die Konsequenz dieser Beschließung tragen. Wirhaben noch nicht einen Jugendförderplan in dem Umfanghier beschließen müssen. Genau dieses wollen wir meinerMeinung nach auch nicht. Deswegen müssen wir über die-sen Paragraphen, den Sie dort mit diesem einfachen Wort"jährlich" oder "regelmäßig" ändern, meiner Meinung nachnoch einmal diskutieren.

Ein weiteres Problem: Wenn wir ungeprüft einfach "re-gelmäßig" in das Gesetz schreiben, ist ein Widerspruchda. Wir waren alle froh und glücklich, wie die Jugend-pauschale im Lande Thüringen Einzug hielt.

(Beifall bei der PDS)

Die Jugendpauschale ist aber in ihrer Richtlinie eine jähr-liche Fortschreibung. Die Jugendhilfepauschale haben allehier im Landtag gewollt unter dem positiven Element,dass wir irgendeinen Sicherungsmechanismus, einen fest-geschriebenen Sicherungsmechanismus, in den Jugend-förderplänen haben. Also, die Richtlinie zur Jugendpau-schale verlangt die jährliche Planung, damit ein Elementaus dem Jugendförderplan jährlich und auf der anderenSeite beschließt dann ein Jugendhilfeausschuss eben dieanderen Dinge später zu machen. Ich möchte auf diesesProblem aufmerksam machen. Natürlich kann man eineRichtlinie auch wieder ändern, aber, ich glaube, einswollen wir alle nicht, dass die Jugendförderung, die Ju-gendförderpläne dann nach Maßgabe des Haushaltsausschließlich bestimmt werden bei aller Abhängigkeit derHaushalte. Die bisher jährlich geschriebenen Jugendför-derpläne, die hatten natürlich auch den Haushalt zu be-rücksichtigen. Aber stellen Sie sich das Regelwerk vor, re-gelmäßig heißt, ein Jugendhilfeausschuss einer Kommunebeschließt, nur noch alle drei Jahre den Jugendförderplanfortzuschreiben. Was ist dann mit der Abhängigkeit nachMaßgabe des Haushalts? Purzeln uns dann ohne Jugendför-derpläne möglicherweise durch den Widerspruch zur Ju-gendpauschalrichtlinie dann diese Stellen weg, wo wir jetztschon das Phänomen haben, dass es Kommunen gibt, die ander Jugendpauschale sparen, weil sie die Eigenmittel nichtaufbringen können. Hier ist ein Teufelskreis meiner Mei-nung nach, den wir auflösen sollten, auch auflösen können.Deswegen beantrage ich auch die Weiterführung dieserDiskussion und beantrage die Überweisung an den Aus-schuss für Soziales, Familie und Gesundheit. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Als nächster Redner wird Herr Abgeordneter Panse reden.Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Abgeordneter Panse, CDU:

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Ab-geordnete, ich möchte gleich auf den von Ihnen zuletztgenannten Punkt eingehen, Frau Thierbach, die Fort-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5327

schreibung der Landesjugendförderpläne und der örtlichenJugendförderpläne. Ich halte es schon für vernünftig, dassman eine solche Regelung findet, dass man dieses "regel-mäßig" einfügt und dass man es der Zuständigkeit derjeweiligen Jugendhilfeausschüsse anheim stellt zu be-schließen, in welcher Regelmäßigkeit das geschehen soll.Denn wir erleben insbesondere auf kommunaler Ebene,dass ein erheblicher Arbeitsaufwand damit verbunden ist.Es gehören Anhörungen dazu, es gehören ehrenamtlicheBeratung von Gremien dazu. Da möchte ich den Kollegeneinfach ein Stückchen Spiel verschaffen. Nach meinemDafürhalten ist, glaube ich, in der Begründung zu dem Ge-setzentwurf auch beschrieben, dass genau die Jugend-hilfeausschüsse vor Ort und der Landesjugendhilfeaus-schuss letztendlich selbst entscheiden sollen, wie sie diesesregelmäßig gestalten wollen. So viel zu Ihrem Argument,dass Sie gesagt haben, wir wollten es dem örtlichen kom-munalen Träger oder dem Land anheim stellen, in welcherRegelmäßigkeit das letztendlich in der Beschlussfassunggeschehen soll. Ich denke, wir werden im Ausschuss da-rüber reden können, dass wir ggf. auch eine Formulierungfinden, die das im Gesetzestext entsprechend deutlichausdrückt.

Wir haben vor fast genau einem Jahr, am 17. Mai 2001,den Antrag der CDU-Fraktion "Neue Initiativen zur För-derung des Ehrenamts" beschlossen und damals bestandallgemeines Einverständnis, dass das internationale Jahr derFreiwilligen mehr als nur ein öffentlich wahrnehmbaresSignal zur Stärkung des Ehrenamts setzen muss. Wir kön-nen heute feststellen, dass die Stärkung des Ehrenamts unsweiter im positiven Sinne beschäftigt und dieses ist, denkeich, auch das wichtigste Signal für die rund 625.000Ehrenamtlichen in Thüringen.

Es gibt auch jetzt weiterhin Initiativen zur UnterstützungEhrenamtlicher. Es gibt zunehmend diese Initiativen aufkommunaler Ebene. Es gibt Würdigungsveranstaltungenund es gibt weitere Handlungsaufträge für die Gesellschaft,aber vor allem für uns auch als Politik. Herr Pietzsch istvorhin darauf eingegangen, dass von den sechs Forde-rungspunkten, die in dem erwähnten Antrag im vergan-genen Jahr beschlossen wurden, vier und damit die Mehr-heit zunächst erst mal umgesetzt wurden. Es sind immernoch zwei, die offen sind, und darauf möchte ich ganzkurz eingehen. Zum einen haben wir im vergangenen Jahrdie Frage der steuerfreien Aufwandsentschädigung ange-sprochen. Am 3. Juni wird nun der ursprünglich schonfür Februar angekündigte Abschlussbericht der Enquete-kommission des Deutschen Bundestages unterzeichnet unddann dem Bundestag übergeben. Ich denke, wir sind allegespannt auf die Ergebnisse und die Empfehlungen der En-quetekommission. Verbände wie der Deutsche Sportbund,der vorab schon mal um eine Stellungnahme gebetenwurde, bezeichnen die Vorschläge bzw. Handlungsemp-fehlungen der Enquetekommission als in die richtige Rich-tung weisend, aber nicht weit reichend genug und er-warten in der nächsten Wahlperiode des Deutschen Bun-destages konkrete gesetzgeberische Maßnahmen zur För-

derung des freiwilligen bürgerschaftlichen Engagements.Auch darüber, denke ich, werden wir zu gegebener Zeithier im Landtag noch einmal diskutieren müssen. Derweitere Punkt, der von dem Beschluss im vergangenenJahr noch offen war, ist die Frage der Freistellungsrege-lung für die Inhaber der Jugendleiter-Card. Dazu kommenwir heute, endlich, sage ich auch, denn auch ich hätte es mirgewünscht, dass wir es schon zu einem früheren Zeit-punkt hätten beraten und beschließen können. Wir habenden Gesetzentwurf heute in erster Lesung zur Beratung, derGesetzentwurf sieht kein eigenständiges Gesetz vor, son-dern er versteht sich als eine Ergänzung des ThüringerKinder- und Jugendhilfeausführungsgesetzes. Ich denke,die Verortung im Ausführungsgesetz ist richtig und andieser Stelle auch passend. Frau Thierbach, Sie habenvorhin auch schon darauf hingewiesen. Wir haben alsZielgruppe für diesen Gesetzentwurf laut Großer Anfrage,wenn man diese Zielgruppe insgesamt beschreiben möchte,423.000 Mitglieder in Jugendverbänden in Thüringen,davon 24.340 laut Zählung vom Landesjugendring nichtnur als konsumierende Mitglieder, sondern als Mitglieder,die ehrenamtlich für sich und für andere aktiv sind. Vondiesen wiederum haben sich nach dem jetzigen Standetwa knapp 3.000 zusätzlich qualifiziert und nach einemoder mehreren Lehrgängen die Jugendleiter-Card erwor-ben. Damit weisen sie ihre besondere Qualifikation undihr spezifisches Wissen im Bereich der Jugendhilfe aus.Genau diese Aktiven sind die Zielgruppe dieses Gesetzent-wurfs und auch im Antrag "Neue Initiativen zur För-derung des Ehrenamtes" im vergangenen Jahr wurdensie schon als Zielgruppe beschrieben.

Zum Inhalt des Gesetzes brauche ich nicht mehr allzuviel auszuführen, der Herr Minister hat vorhin ausführ-lich beschrieben, um was es geht. Ich möchte nur nochauf einen Punkt eingehen. Es ist im Gesetzentwurf keinebindende volle Vergütung der Arbeitgeber vorgeschrieben.Sie wissen, dass es in drei Bundesländern diese Regelunggibt, in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhaltund in Nordrhein-Westfalen, Sie wissen aber auch, dassdies rechtlich umstritten ist, denn es gibt in Bezug aufArtikel 12 des Grundgesetzes in Verbindung mit einerEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch dieAussage, dass dieses nicht so zwingend dem Arbeitgeberauferlegt werden kann. Deswegen halte ich es für ver-nünftig, dass wir eine Kombination gefunden haben, dassauf Antrag das Land einen Zuschuss von 35 �� �������dem Antragsteller gewähren und dadurch einen Ausgleichschaffen kann.

Es gibt zwei, sage ich, geringe Unterschiede noch zumGesetzentwurf der SPD-Fraktion, den wir im Dezemberhier im Landtag beraten haben, der SPD-Gesetzentwurf,der ja inhaltlich sich sehr stark an dem beschlossenenGesetz in Rheinland-Pfalz orientiert hat, sah zwei Sachenvor, das war zum einen, dass als Begünstigte dieses Ge-setzentwurfs dort nach §§ 11 und 12 des Kinder- undJugendhilfegesetzes Jugendleiter benannt wurden, Jugend-leiter im Sinne, die zwar durchaus in ihren Vereinen und

5328 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Verbänden als Jugendleiter tätig sind, aber es wurde nichtzwingend die Jugendleiter-Card als eine Voraussetzungbenannt und zum Zweiten, das ist der zweite wesentlicheUnterschied, der noch besteht, das ist die Höhe der Ent-schädigung. Im SPD-Gesetzentwurf standen 60 ����schä-digung, jetzt sind es 35 ���������� �������������� Unter-schiede sind nicht so gravierend, als dass wir da nichtauch noch zu einer Verständigung finden können unddass wir letztendlich dieses Gesetz dann hier auch miteiner breiten Mehrheit beschließen können.

Ein weiterer Unterschied, der auch damals noch in denEmpfehlungen bestand, war, dass die Landesregierungdamals vorgeschlagen hatte, den Freistellungszeitraum mit5 bis 10 Tagen zu benennen, hat sich jetzt, für meineBegriffe erfreulicherweise, auf 10 Tage ausgedehnt. Dennwir wissen, dass die Vielzahl gerade von Jugendfreizeit-und Kinderfreizeitmaßnahmen sich auch über einen Zeit-raum von 14 Tagen erstrecken, deswegen ist es sinnvoll,da auch bis zu 10 Freistellungstagen einzuräumen.

Es ist schon gesagt worden, der Gesetzentwurf der SPDbefindet sich derzeit zur Beratung im Ausschuss fürSoziales, Familie und Gesundheit, wohin er federführendüberwiesen wurde. Ich beantrage, dass der jetzt vorliegendeGesetzentwurf ebenfalls an den Ausschuss für Soziales,Familie und Gesundheit und ebenfalls auch an den Haus-halts- und Finanzausschuss überwiesen wird. Ich bitteSie alle mit dafür zu sorgen, dass wir dort zügig beratenkönnen, so dass wir schnell zu einer zweiten Lesung undggf., wenn wir es wirklich so schnell schaffen, auch zueiner Verabschiedung im nächsten Plenum kommen. Ichbitte um Ihre Zustimmung. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Frau Abgeordnete Pelke, Sie haben das Wort. Bitte.

Abgeordnete Pelke, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir sind jagern bereit, denke ich mal, für die Mitglieder des Aus-schusses für Soziales, Familie und Gesundheit zu reden,dass wir schnell diskutieren und schnell zu Rande kommenwollen und insofern hätten wir es uns auch gewünscht,dass wir nicht selber erst wieder den Gesetzentwurf derSPD-Fraktion auf die Tagesordnung setzen mussten, umeinen Bericht des Ministers zu bekommen, damit dann jetztso schnell gehandelt werden konnte, dass heute dieser Re-gierungsentwurf auf der Tagesordnung steht. Das mussman der Ehrlichkeit halber auch mal sagen, also wirhaben da entsprechend gedrückt. Nichtsdestotrotz ist esein schöner Tag, der Gesetzentwurf der Landesregierungliegt nach entsprechenden Vorgesprächen vor, wie derMinister ausgeführt hat. Lassen Sie mich bei dieser Ge-legenheit noch einmal darauf hinweisen, dass auch der nunschon seit Monaten auf dem Tisch liegende Gesetzent-

wurf der SPD-Fraktion natürlich zu Stande gekommen ist,weil vorher mit Betroffenen gesprochen worden ist. Auchwir haben mit Vertretern der Wirtschaft gesprochen, auchwir haben mit Vereinen und Verbänden gesprochen, nichtzuletzt war ja die Forderung an uns alle, an die Mit-glieder des Thüringer Landtags, herangetragen worden,die Frage, ehrenamtlich Tätige mehr zu unterstützen bishin zur Frage eines Ehrenamtsgesetzes. Herr Minister,und auch die Kollegen der CDU-Fraktion, ich bitte Sieganz herzlich, das Thema "Ehrenamt" nicht parteipolitischzu vereinnahmen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Denn zum Thema "Ehrenamt" haben wir uns hier allegeäußert und es ist auch an dieser Stelle notwendig, nochmal den ehrenamtlich Tätigen in aller Deutlichkeit zudanken, die bislang ohne Freistellung,

(Beifall Abg. Thierbach, PDS)

ohne Absicherung ihre ehrenamtliche Tätigkeit in Grö-ßenordnungen getan haben.

Lassen Sie mich noch mal einiges aus unserem Gesetz-entwurf kurz zitieren, nur um deutlich zu machen, dasswir uns in der Intention nicht an vielen, aber doch anwesentlichen Punkten unterscheiden: Was den Anwen-dungsbereich angeht, so wollen wir die Freistellung für dieMitarbeit in Jugendbildungs- und Jugendbegegnungs-stätten bei den Kinder-, Jugenderholungs- und Freizeit-maßnahmen sowie bei sonstigen Veranstaltungen deröffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe, in denenJugendliche betreut werden oder zum Besuch von Ta-gungen, Lehrgängen und Seminaren der Jugendhilfe sowieim Rahmen des Jugendsports, sofern sie der Förderungder ehrenamtlichen Tätigkeit dienen. Im Bereich derFreistellung haben wir gewollt, dass die Freistellung biszu 10 Arbeitstagen im Kalenderjahr beträgt, wir freuenuns, dass dieses auch im Gesetzentwurf der Landesre-gierung enthalten ist. Und selbstverständlich haben auchwir in unserem Gesetzentwurf festgehalten, dass ein An-spruch auf Lohn-, Gehalt- oder Ausbildungsvergütungwährend der Zeit der Freistellung nicht besteht. Insofernhat der Kollege Panse Recht, wenn er sagt, vieles gehtnicht weit genug hinsichtlich der Arbeit der Enquete-kommission im Bundestag. Auch dieses, was wir hiertun im Lande Thüringen geht möglicherweise nicht weitgenug. Aber, ich denke, es ist ein Schritt in die richtigeRichtung.

Lassen Sie mich bitte noch mal zurückkommen auf dieFrage der parteipolitischen Inanspruchnahme von eh-renamtlicher Tätigkeit in diesem Land. Mittlerweile hatja auch die Ehrenamtsstiftung ihre Arbeit aufgenommenund der Stiftungsrat ist entsprechend besetzt. Und lassenSie mich bei dieser Gelegenheit noch mal hier an dieserStelle auch deutlich Kritik äußern. Der Stiftungsrat bestehtzum einen aus dem Sozialminister, zum anderen aus zwei

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5329

von der Landesregierung zu bestimmenden Mitgliedern,aus Vertretern des Thüringer Landtags und, man höre undstaune, nicht je ein Vertreter jeder Fraktion, sondern aus-gewählt nach Parteienproporz, d.h. zwei Vertreter der CDUund ein Vertreter der PDS, die kleinste Oppositions-partei ist nicht mit einbezogen, und der Stiftungsrat be-steht noch aus dem Vorsitzenden des Kuratoriums.

Meine Damen und Herren, die Berücksichtigung der Mehr-heitsverhältnisse in diesem Landtag ist korrekt, das istgar keine Frage, man muss sich an Mehrheitsverhält-nissen orientieren. Wenn man sich aber an bestehendenMehrheitsverhältnissen orientiert, meine Damen undHerren, dann wählt man einen Stiftungsrat auch nur fürdie Dauer der Legislaturperiode, nämlich bis 2004 undnicht auf 5 Jahre, wie in diesem Fall erfolgt, und damitweit über die Legislatur hinausgehend. Ich halte das fürnicht angemessen und ich hätte mir gewünscht, dass manhier auf parteipolitische Aspekte verzichtet und zu einervernünftigen Zusammenarbeit gekommen wäre.

(Beifall Abg. Bechthum, SPD)

Lassen Sie mich abschließend noch zwei Sätze sagen zuder Frage "Fortschreibung Jugendförderpläne" und demdamit in Verbindung stehenden Zeitraum. Ich kann michder Kollegin Thierbach nur anschließen,

(Beifall bei der PDS)

auch ich halte sehr viel von der jährlichen Fortschreibung.Wir waren alle stolz und glücklich darüber - und so ehrlichmuss man ja auch mal sein -, dass erst mit dieser Festle-gung und der Festlegung der Auszahlung der Jugend-pauschale dieser Zusammenhang hergestellt werden konnteund seitdem auch jährlich Jugendförderpläne erstellt wer-den. Jugendförderpläne sind ein absolut wichtiger Be-standteil für die Planbarkeit und Planungssicherheit derJugendarbeit vor Ort und an dieser will ich nicht rüttelnlassen. Ich sage das in aller Deutlichkeit. Wenn man will,dass auch in den Kommunen, bei den Jugendhilfeträgernvor Ort Planungssicherheit erhalten bleibt, dann ist einejährliche Fortschreibung notwendig, eine jährliche Dis-kussion über die Notwendigkeit von Jugendhilfe in diesemLand. Lassen Sie mich das mit einem Satz verknüpfen zudem, was wir heute Morgen diskutiert haben. Ich denke,es ist deutlich geworden, dass nicht nur die Bildungs-politik, sondern auch die Jugendarbeit und Jugendhilfe imBesonderen ein Schwerpunkt für uns bedeuten muss unddass wir darüber nachdenken müssen, ob wir weiterhinbereit sind, gerade in diesem sensiblen Bereich, Gelderzu kürzen oder ob wir nicht eher dort Prioritäten setzenund dazu brauchen wir die Fortschreibung von Jugend-förderplänen und das jährlich.

(Beifall Abg. Thierbach, PDS)

Wenn Sie das nicht wollen, Herr Minister, und lassen Siemich diese Vermutung anstellen, dann könnte man ge-

gebenenfalls darauf kommen, dass Sie etwas verändernwollen auch bei der Auszahlung der Jugendpauschale.Möglicherweise wollen Sie die Gelder der Jugendpau-schale nutzen zur Finanzierung des FreistellungsgesetzesEhrenamt und bei aller Wertschätzung der Freistellungs-frage Ehrenamt, ich halte nichts davon, wenn man Gel-der aus einem wichtigen Bereich wegnimmt, um es inden anderen wichtigen Bereich zu tun, denn, so lange,wie Sie gebraucht haben für Ihren Gesetzentwurf, stehtbei dem Bereich unter D. Kosten, ich zitiere: "Die not-wendigen Entschädigungen für die Freistellung von In-habern der Jugendleiter-Card werden auf etwa 175.000 �pro Jahr geschätzt. Die Mittel werden durch Umschich-tungen im Einzelplan 08 aufgebracht." Über diesen Be-reich, denke ich mal, werden wir sehr intensiv diskutierenmüssen, denn wir können nicht eine Notwendigkeit unter-stützen, indem wir anderen Notwendigkeiten Geld ent-ziehen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie vielleicht andiesem Punkt, weil das schon einmal pressemäßig ver-kündet worden ist, uns, den Abgeordneten, deutlich sagenwürden, dass Sie nicht vorhaben, Gelder in der Jugendpau-schale zu kürzen und sie für andere Zwecke vorhalten zuwollen.

In diesem Sinne glaube ich, wir brauchen eine intensiveBeratung beider Gesetzentwürfe und, ich denke, dass diesesauch im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheitsehr intensiv vonstatten gehen wird. Wir freuen uns je-denfalls, dass mittlerweile der Entwurf vorliegt, wollenschnell und intensiv diskutieren, dass im Interesse ehren-amtlich Tätiger so schnell wie möglich eine Freistellungs-regelung umgesetzt wird. Deshalb bitte ich um die Über-weisung an den zuständigen Ausschuss. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Gibt es weitere Redewünsche? Das ist nicht der Fall.Dann beende ich die Aussprache und wir kommen zurAbstimmung über die beantragten Ausschussüberwei-sungen. Beantragt wurde, den Gesetzentwurf an denAusschuss für Soziales, Familie und Gesundheit undmitberatend an den Haushalts- und Finanzausschuss zuüberweisen. Wir stimmen zuerst über den Ausschuss fürSoziales, Familie und Gesundheit ab. Wer der Überweisungan den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheitzustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen.Ja, das sieht einstimmig aus. Gegenstimmen? Stimment-haltungen? Also, in der Tat einstimmig ist dieser Ge-setzentwurf an den Ausschuss für Soziales, Familie undGesundheit überwiesen.

Wer der Überweisung an den Haushalts- und Finanzaus-schuss zustimmen will, den bitte ich ebenfalls um dasHandzeichen. Auch das sieht einmütig aus. Wir legenjetzt noch die Federführung fest. Wer, wie beantragt, denAusschuss für Soziales, Familie und Gesundheit als feder-führenden Ausschuss bestimmen will, den bitte ich um

5330 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

das Handzeichen. Auch das ist einmütig, so dass die Über-weisungen alle getätigt sind. Wir können den Tages-ordnungspunkt 4 a beenden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15

Fragestunde

auf. Die erste Frage hat Frau Abgeordnete Klaus. Bitteschön, Frau Abgeordnete.

Abgeordnete Dr. Klaus, SPD:

Zecken in Thüringen

In der Presse am 18. April 2002 und im Übrigen auch heutein der TLZ warnt der Thüringer Gesundheitsminister vordurch Zeckenstiche übertragene Krankheiten. Die beidenwichtigsten Erkrankungen sind die Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME) und die Borreliose. Nach einerEmpfehlung des Robert-Koch-Instituts wurde der Saale-Holzland-Kreis aufgrund von zwei Erkrankungen zumFSME-Risikogebiet erklärt. Der Minister empfiehlt Men-schen, die in Risikogebieten wohnen oder Urlaub machen,sich rechtzeitig impfen zu lassen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Für welches Gebiet genau gilt die Impfempfehlung inThüringen?

2. Übernehmen nach Kenntnis der Landesregierung diegesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Impfungoder nur für die der Einwohner in den Risikogebieten?

3. Wenn die Impfkosten nur für die Einwohner der Risi-kogebiete übernommen werden, welche wissenschaft-lich-medizinische Begründung liegt dieser Entscheidungzugrunde?

4. Wird sich die Landesregierung für eine Kostenüber-nahme durch die gesetzlichen Krankenkassen insgesamteinsetzen?

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Minister Pietzsch, bitte schön. Sie haben das Wort.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie und Ge-sundheit:

Frau Präsidentin, Frau Abgeordnete Klaus, meine Damenund Herren, die Frühsommer-Meningo-Enzephalitis-Impf-empfehlung gilt für den Saale-Holzland-Kreis in seinenpolitischen Kreisgrenzen. Sie werden mir vielleicht ent-gegenhalten, dass sich Zecken nicht immer an Kreis-grenzen halten und sich der Kreisgrenzenkontrolle ent-ziehen, aber man muss gewisse Kriterien haben, also, esbezieht sich auf die politischen Kreisgrenzen.

Zum 2.: Mit der Erklärung des Saale-Holzland-Kreiseszum FSME-Risikogebiet ist die Indikation zur Schutz-impfung gegeben, und zwar für Einwohner und für Be-sucher, die sich in diesem Kreisgebiet aufhalten und esgibt eine Impfvereinbarung zwischen gesetzlicher Kran-kenversicherung und der Kassenärztlichen Vereinigungvon Thüringen, wonach die Krankenkassen die Kostenübernehmen. Damit entfällt die Beantwortung derFragen 3 und 4.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Vielen Dank. Ich sehe auch keine Zusatzfragen. Wirkommen zur nächsten Frage in Drucksache 3/2391. HerrAbgeordneter Müller, bitte schön.

Abgeordneter Dr. Müller, SPD:

Ortsumfahrung Ringleben-Artern (L 1172)

Zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in Nordthü-ringen trägt unter anderem die schnelle Umsetzung derOrtsumfahrung Ringleben-Artern bei. Hierfür stehen der-zeit mehrere Planungsvarianten zur Auswahl.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie ist der derzeitige Stand der Planung?

2. Welche Variante der Ortsumfahrung wird seitens desLandes bevorzugt?

3. Wann wird voraussichtlich mit dem Beginn und derFertigstellung der Ortsumfahrung L 1172 zu rechnen sein,und wie hoch werden die voraussichtlichen Kosten fürdiese Ortsumfahrung geschätzt?

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Minister Schuster, bitte.

Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infra-struktur:

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, namensder Landesregierung beantworte ich die Fragen vonHerrn Dr. Müller wie folgt:

Zu Frage 1: Die Straßenbauverwaltung bereitet die Um-gehung von Ringleben und Artern in zwei getrennten Ab-schnitten vor. Für den östlichen Teilabschnitt, der mitder A 71 verknüpft wird, soll das Baurecht in einem ge-meinsamen Planfeststellungsverfahren mit der Autobahngeschaffen werden. Dieses Verfahren wird derzeit vor-bereitet und soll noch in diesem Jahr eingeleitet werden.Für die westliche Weiterführung der Landesstraße mit Um-gehung von Ringleben und Artern ist die Durchführungeines Zielabweichungsverfahrens gemäß Landesplanungs-gesetz erforderlich, da der regionale Raumordnungsplan

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5331

Nordthüringen in diesem Bereich landwirtschaftliche Vor-rangflächen ausweist. Dieses Verfahren soll ebenfalls indiesem Jahr eingeleitet werden.

Zu Frage 2: Eine Entscheidung über die weiter zu ver-folgenden Varianten erfolgt in dem genannten Planfest-stellungsverfahren. Vor Abschluss dieses Verfahrens isthierzu keine Aussage möglich.

Zu Frage 3: Bei problemlosem Verlauf des Planfest-stellungsverfahrens ist mit Vorliegen des Baurechts fürden Ostabschnitt der Umgehung Artern im Jahre 2004 zurechnen. Es wird davon ausgegangen, dass der Bau zeit-gleich zu der A 71 begonnen werden kann, sofern dieerforderlichen Haushaltsmittel im Landeshaushalt hierfürzur Verfügung stehen. Die Kosten für diesen Abschnittwerden auf ca. 3,64 Mio. ��������������������ab-schnitt können aufgrund des derzeitigen Planungsstandsnoch keine Aussagen zum Zeitpunkt des möglichenBaubeginns getroffen werden. Die Kosten werden hierauf ca. 6 Mio. ���������

Vizepräsidentin Ellenberger:

Es gibt eine Zusatzfrage. Bitte, Herr Abgeordneter.

Abgeordneter Dr. Müller, SPD:

Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, dass dieHaushaltsmittel demzufolge noch nicht eingeordnet sind?

Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infra-struktur:

Für diese Jahre noch nicht, das geht ja nicht.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Weitere Nachfragen sehe ich nicht. Danke, Herr Mi-nister. Wir kommen zur Frage 3/2392 der AbgeordnetenFrau Klaubert und Frau Abgeordnete Sedlacik wird sievortragen.

Abgeordnete Sedlacik, PDS:

Bearbeitung eines Fördermittelantrags der StädtischenWohnungsgesellschaft Altenburg mbH (SWG) durch dasThüringer Landesverwaltungsamt

Die SWG hat für die Sanierung des Grundstücks "Nord-platz 16, Altenburg" am 26. April 2001 einenFördermittelantrag an das Thüringer Landesverwaltungs-amt (ThürLVwA) gestellt (AZ: Nr. 01777053). Die SWGbeabsichtigt das Objekt barrierefrei, alters- und behin-dertengerecht umzubauen. Bisher wurde über diesenFördermittelantrag nicht entschieden.

Die SWG hat deshalb am 22. Januar 2002 einen Antrag aufvorzeitigen Baubeginn beim ThürLVwA eingereicht. Für

die Entscheidung über diesen Antrag ist nach Aussage desThürLVwA eine vorherige Bonitätsprüfung der ThüringerAufbaubank (TAB) notwendig. Die SWG hat die hierfürerforderlichen Unterlagen am 26. Februar 2002 der TABzur Verfügung gestellt. Am 16. April 2002 hat die TABmitgeteilt, dass dem Antrag auf vorzeitigen Baubeginnnicht zugestimmt wird. Begründet wurde diese Nichtzu-stimmung u.a. mit der allgemeinen Strukturschwächeder Region Altenburg und dem zu hohen Wohnungs-leerstand der SWG.

Nach Aussage des ThürLVwA muss nunmehr der Förder-mittelantrag dem Fördermittelausschuss zur Entscheidungvorgelegt werden. Wann dieser Ausschuss über den Antragentscheidet ist ungewiss.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Gründe liegen dafür vor, dass über den För-dermittelantrag vom 26. April 2001 durch das ThürLVwAbisher nicht entschieden wurde?

2. Welche Auswirkungen auf die Entscheidung überFördermittelanträge im Bereich Wohnungsbau haben dieStellungnahmen der TAB?

3. Unter welchen Voraussetzungen genehmigt dasThürLVwA Anträge auf vorzeitigen Baubeginn im Be-reich der Wohnungsbauförderung?

4. Wann kann die SWG mit einer Entscheidung zumFördermittelantrag vom 26. April 2001 rechnen?

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Innenminister, bitte schön.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, die Mündliche Anfrage der Abgeord-neten Dr. Klaubert beantworte ich für die ThüringerLandesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Der am 5. Mai 2001 beim Landesverwal-tungsamt eingegangene Förderantrag war insbesonderein Bezug auf die sich errechnenden Mieten von über13,80 DM/m² Wohnfläche nicht förderfähig. Dieser An-trag hätte somit durch das Landesverwaltungsamt abge-lehnt werden müssen. Dem Wohnungsunternehmen wurdeaber gestattet, seinen Antrag auf die verbesserten Kondi-tionen der neuen Förderrichtlinie des Jahres 2002 hin zuüberarbeiten und neu einzureichen. Der modifizierte Neu-antrag ging am 29. Januar dieses Jahres im Landesver-waltungsamt ein. Die Bearbeitung konnte wegen nochfehlender Unterlagen bis heute aber nicht abgeschlossenwerden.

Zu Frage 2: Im zweistufigen Bewilligungsverfahren derWohnungsbauförderung wird im ersten Schritt durch das

5332 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Landesverwaltungsamt die technische und die wirtschaft-liche Förderfähigkeit des Modernisierungsvorhabens ge-prüft, das heißt, es wird die Objektrentabilität untersucht.Die Thüringer Aufbaubank prüft die Zuverlässigkeit derZuwendungsempfänger als Darlehensnehmer. Durch dieThüringer Aufbaubank erfolgt somit eine Bonitätsprüfungdes gesamten Wohnungsunternehmens. Diese Prüfung derThüringer Aufbaubank gewinnt immer mehr an Bedeu-tung, insbesondere unter dem Aspekt, dass die Förder-darlehen teilweise durch den Freistaat verbürgt sind unddamit für das Land immer höhere Risiken entstehen.Über die derzeitige Situation der Wohnungsunternehmenwerden wir ja im Zuge der heutigen oder morgigenPlenarsitzung sicher noch einmal sprechen.

Zu Frage 3: Um in kritischen Entscheidungsfällen zurDarlehensgewährung keine Vorbindungen zu schaffen,erteilt das Landesverwaltungsamt Genehmigungen zumvorzeitigen Baubeginn nur dann, wenn im Rahmen einerVorprüfung bei der TAB festgestellt wurde, dass dieZuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Antragstel-lers mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werdenkann. Nur dann wird das Landesverwaltungsamt die Ge-nehmigung zum vorzeitigen Baubeginn geben.

Zu Frage 4: Der Fördermittelantrag vom 26. April 2001mündete - das habe ich ja schon in der Antwort zu Frage 1dargestellt - in Abstimmung mit dem Wohnungsunter-nehmen in einen Neuantrag. Dieser kann umgehend undabschließend durch das Landesverwaltungsamt erst ent-schieden werden, wenn vom antragstellenden Unterneh-men die fehlenden Unterlagen bei der Bewilligungsstellebearbeitungsfähig nachgereicht worden sind.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Ich sehe keine Zusatzfragen. Danke, Herr Minister. Wirkommen zur nächsten Frage in Drucksache 3/2414. FrauAbgeordnete Heß, bitte schön.

Abgeordnete Heß, SPD:

Betreutes Wohnen

Seit 1. Januar 2002 wird durch den Freistaat Thüringenfür das betreute Wohnen beim Fachpersonal nur nochein Anteil von 50 Prozent gefördert.

Ich frage die Landesregierung:

1. Gibt es zum 1. Januar 2002 eine signifikante Verän-derung in der Anzahl der Personen im betreuten Wohnen?

2. Hat sich die Trägerlandschaft seit In-Kraft-Treten derFörderrichtlinie zum betreuten Wohnen vom 12. März2001 (ThürStAnz. Nr. 14/2001) wesentlich verändert?

3. Wie wird in den Fällen verfahren, wo Menschen mitentsprechendem Hilfebedarf sich zwar im Einzugsbe-

reich des Sozialhilfeträgers längerfristig aufhalten, nichtaber ihren Hauptwohnsitz dort haben?

4. Welche Kosten wurden durch die oben genannte Richt-linie eingespart und wie hat sich dabei der Verwaltungs-aufwand verändert?

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Minister Pietzsch, bitte schön.

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie und Ge-sundheit:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,ich beantworte die Fragen für die Landesregierung wiefolgt:

Zu Frage 1: Nach Mitteilung des Landesamts für So-ziales und Familie - das ist die Bewilligungsbehörde - wareine signifikante Veränderung der Anzahl der im FreistaatThüringen geförderten Plätze des betreuten Wohnens nachIn-Kraft-Treten der geänderten Richtlinie nicht zu ver-zeichnen. Es ist praktisch die gleiche Anzahl der geför-derten Plätze für 2002. Dazu muss ich sagen, erst ein-mal der beantragten Plätze, da ja noch nicht alles be-willigt ist.

Zu Frage 2, ob sich die Trägerlandschaft geändert hat:Dazu ein klares Nein. Das hängt ja auch etwas mit derFrage 1 zusammen, was die Plätze insgesamt angeht.

Zu Frage 3: Hier bestimmt sich die Zuständigkeit desörtlich zuständigen Sozialhilfeträgers nach § 97 Abs. 1Bundessozialhilfegesetz. Danach ist der Sozialhilfeträgerfür die Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereichsich der Hilfe Suchende tatsächlich aufhält. Das hat alsonichts mit dem Hauptwohnsitz oder Nebenwohnsitz zu tun,sondern wo er sich tatsächlich als Person aufhält. Eskommt also auf die körperliche Anwesenheit an und nichtdarauf, wo der Hilfeempfänger mit Wohnsitz gemeldetist. Insofern - und das hat nun wieder mit dem Nächstendann auch zu tun - bedarf es einer Abstimmung zwischendem Träger der Einrichtung und dem örtlichen Sozialhilfe-träger, wie die Finanzierung erfolgt.

Zu Frage 4: Seit dem 01.01.2002 ist der maximale För-derbetrag des Freistaats auf 50 Prozent der zuwendungs-fähigen Gesamtkosten festgelegt - nun ist zu beachten -,ohne dass die Gesamtsumme der Fördermittel im Haus-halt wesentlich reduziert worden ist. Gewisse Einsparun-gen, Sie wissen, hat es im Haushalt in allen Bereichengegeben, aber dieses hat damit überhaupt nichts zu tun.Dadurch, dass wir nicht mehr zu 100 Prozent, sondernzu 50 Prozent fördern, sind wir in der Lage, letzten Endesmehr Plätze zu fördern. Der Finanzierungsanteil der Kom-munen darf also nicht durch die Landesförderung über-schritten werden oder die Landesförderung darf nicht höhersein als der kommunale Anteil. Die Kommunen sind somit

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5333

gehalten, sich ihrem gesetzlichen Auftrag entsprechendebenfalls auf der Grundlage einer Leistungsvereinba-rung nach § 93 BSHG mit 50 Prozent an den Kosten zubeteiligen. Die Verteilung der finanziellen Lasten aufmehrere Schultern soll erstens die Gewähr dafür bieten,bestehende Projekte langfristig zu erhalten und darüberhinaus auch den Ausbau der Betreuungsform besser vo-ranbringen. Die Unterfrage, was den Verwaltungsaufwandangeht: Ja, nach In-Kraft-Treten der Richtlinie wurde einerhöhter Verwaltungsaufwand zum Ausdruck gebracht.Wir sind gegenwärtig dabei, eine Überprüfung der Richt-linie mit dem Blick auf eine Reduzierung des derzeit ge-gebenen Verwaltungsaufwands vorzunehmen.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Ich sehe keine Nachfragen. Danke schön, Herr Minister.Wir kommen zur nächsten Frage in Drucksache 3/2415,Frau Abgeordnete Wildauer, bitte schön.

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Erhöhung der Gebühren bei der Wasserver- und Abwas-serentsorgung durch den Wechsel von der aufwands- zurkostendeckenden Rechnung

Der Zweckverband Wasser/Abwasser "Mittleres Elstertal"begründet die Erhöhung der Trinkwassergebühr u.a. mitdem von der Rechtsaufsichtsbehörde geforderten Wechselvon der aufwands- zur kostendeckenden Rechnung.

Ich frage die Landesregierung:

1. Unter welchen Voraussetzungen fordern die Rechts-aufsichtsbehörden von den kommunalen Aufgabenträgernder Wasserver- und Abwasserentsorgung den Wechsel vonder aufwands- zur kostendeckenden Rechnung bei derGebührenkalkulation?

2. Welche Unterschiede gibt es zwischen der aufwands-und kostendeckenden Rechnung bei der Gebührenkal-kulation im Wasser- und Abwasserbereich?

3. Welche Auswirkungen haben die Bestimmungen des§ 12 Abs. 3 des Thüringer Kommunalabgabengesetzes(ThürKAG) auf die aufwands- bzw. kostendeckendeRechnung bei der Gebührenkalkulation?

4. Inwieweit beeinflussen die Regelungen der Richtlinieüber die Gewährung von Finanzhilfen für kommunaleAufgabenträger der Wasserver- und Abwasserentsor-gung in Thüringen vom 21. Oktober 1996 die aufwands-bzw. kostendeckende Rechnung bei der Gebührenkal-kulation?

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Minister Köckert, bitte schön.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Fragevon Frau Dr. Wildauer beantworte ich für die Landesre-gierung wie folgt:

Zu Frage 1: Die Erhebung kostendeckender Gebührenergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut des § 12Abs. 2 des Thüringer Kommunalabgabengesetzes. Insoweitsind alle Aufgabenträger zur Erhebung kostendeckenderGebühren verpflichtet.

Zu Frage 2: Bei der Kalkulation der aufwandsdeckendenGebühr werden alle Ausgaben und Aufwendungen desAufgabenträgers berücksichtigt. Demgegenüber fließenin die kostendeckende Gebühr neben den Ausgaben undAufwendungen auch die kalkulatorischen Kosten des Auf-gabenträgers in Form der Eigenkapitalverzinsung ein.

Zu Frage 3: Der § 12 Abs. 3 Kommunalabgabengesetzdefiniert, was Kosten im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 sind.

Zu Frage 4: Die Finanzhilferichtlinie geht grundsätzlichvon einer kostendeckenden Entgelterhebung der Aufga-benträger aus. Unter bestimmten Voraussetzungen kanninnerhalb des Sanierungszeitraums die erhobene Gebührdes Aufgabenträgers unter der ermittelten kostendeckendenGebühr liegen. Am Ende des Sanierungszeitraums abermuss der Aufgabenträger in der Lage sein, selbständigwirtschaftlich und kostendeckend zu arbeiten.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Gibt es Nachfragen? Ja, ganz offensichtlich gibt es eineNachfrage.

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Herr Minister, das können Sie mir sicher jetzt so nichtbeantworten, aber es gibt doch sicher eine Übersicht,welche Aufgabenträger nach aufwandsdeckendem Prin-zip arbeiten und welche nach dem kostendeckendenPrinzip. Lässt sich das nachweisen oder herausfinden undden Abgeordneten zuleiten?

Köckert, Innenminister:

Durch die Überprüfung aller Aufgabenträger, die wir jetztgerade zum Abschluss bringen, haben wir eine ziemlichgute Übersicht, wie die einzelnen Aufgabenträger ihreGebühren kalkuliert haben, so dass wir das schon vor-liegen haben. Wir können auch sagen, welchen Verbändenwir in der Sanierungskonzeption zum jetzigen Zeitpunktnoch eine aufwandsdeckende Kalkulation zugestehen,die aber im Sanierungsplan dann entsprechend zu einerkostendeckenden Kalkulation übergeleitet wird. Das sindDinge, die wir durchaus im Innenausschuss besprechenkönnen.

5334 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS:

Noch eine Nachfrage: Also lässt sich aus dem Abschluss-bericht über die Tiefenprüfung dann erkennen, wer auf-wands- und wer kostendeckend arbeitet?

Köckert, Innenminister:

Wir können es in jedem Abschlussbericht lesen, beieinem jeden Aufgabenträger ist das mit Bestandteil, dortwird das gesagt. In dem Abschlussbericht, den wir demAusschuss zur Verfügung stellen werden, in dem wir denGesamtüberblick über die Situation im Lande geben, kön-nen wir es zumindest anzahlmäßig sagen.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Weitere Nachfragen sehe ich nicht. Danke, Herr Minister.Wir kommen zur Frage in Drucksache 3/2416, bitte,Frau Abgeordnete Sedlacik.

Abgeordnete Sedlacik, PDS:

Ausgleich für Grundsteuermindereinnahmen der GemeindeMülverstedt durch die Einbringung von Grundstückenin den Nationalpark Hainich

Durch den Nationalpark Hainich werden ca. zwei Drittelder Gemarkungsflächen der Gemeinde Mülverstedt, dassind ca. 1.600 Hektar, in Anspruch genommen. Dadurchentstehen der Gemeinde erhebliche Einnahmeausfälle beider Grundsteuer A. Bis 1996 wurden diese Flächen durchdie Bundeswehr genutzt. Auch hierdurch traten bereitsGrundsteuermindereinnahmen auf, die jedoch durch dieBundeswehr weitestgehend in Form von Ausgleichs-zahlungen kompensiert wurden. Während die Gemeindein den Jahren 1991 bis 1996 Ausgleichszahlungen derBundeswehr von rund 268.000 DM erhielt, muss dieGemeinde, seitdem die Flächen zum Nationalpark ge-hören, auf einen derartigen Ausgleich verzichten. DieGemeinde sieht sich durch diese Situation gegenüberanderen Gemeinden benachteiligt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Inwieweit hat die Gemeinde Mülverstedt einen Rechts-anspruch auf Ausgleichszahlungen des Landes für Grund-steuermindereinnahmen infolge der Zuordnung von Grund-stücksflächen zum Nationalpark Hainich und wie wirddiese Auffassung begründet?

2. Wird Frage 1 verneint, welche gesetzlichen Regelungensind notwendig, um der Gemeinde den in Frage 1 formu-lierten Rechtsanspruch auf Ausgleichszahlungen zu ge-währen?

3. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung zurfinanziellen Unterstützung der Gemeinde Mülverstedt,um dieser besonderen Situation der Grundsteuerminder-

einnahmen zu begegnen?

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Minister Sklenar, bitte schön, Sie haben das Wort.

Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Natur-schutz und Umwelt:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Her-ren Abgeordneten, die Mündliche Anfrage der Abge-ordneten Sedlacik beantworte ich für die Landesregie-rung wie folgt:

Vorbemerkung: Der in der Gemarkung Mülverstedt lie-gende Teil des Nationalparks Hainich umfasst eine Flächevon 1.633,65 Hektar, so wie Sie es bereits sagten. Davonsteht weniger als ein Viertel, nämlich 391,58 Hektar, imEigentum des Freistaats Thüringen. Drei Viertel derFläche, also 1.242,07 Hektar, sind Bundeseigentum. Dienachfolgenden Ausführungen beziehen sich infolgedessennur auf die Landesfläche. Es war uns in der Kürze derZeit nicht möglich, eine Stellungnahme der zuständigenBundesbehörde zu bekommen.

Zu Frage 1: Der Freistaat Thüringen zahlt für seinenFlächenanteil nach wie vor Grundsteuer an die GemeindeMülverstedt. Sollten dennoch Grundsteuermindereinnah-men infolge der Einbeziehung von Flächen in den Natio-nalpark Hainich entstehen, so gibt es keinen Rechts-anspruch auf Ausgleichszahlungen des Landes. Die Re-gelungen über naturschutzrechtliche Entschädigungs-und Ausgleichszahlungsansprüche in den §§ 48 bis 52Thüringer Naturschutzgesetz greifen hier nicht. All dieseAnspruchsnormen beruhen auf der verfassungsmäßigenEigentumsgarantie des Artikels 14 Grundgesetz und er-fassen öffentliche Einnahmen, wie z.B. Steuereinnahmen,nicht.

Zu Frage 2: Ein Ausgleich für Steuermindereinnahmenvon Kommunen kann nur im Rahmen des aus Artikel 28Abs. 2 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 93 Abs. 3Thüringer Verfassung resultierenden Anspruchs von Ge-bietskörperschaften auf einen Gemeindefinanzausgleicherfolgen. Die Neuschaffung einer speziell gesetzlichenAusgleichszahlungsnorm vom Land an die Kommunenkommt als Ausgestaltung von Artikel 14 Grundgesetzdeshalb nicht in Frage, weil der Schutzbereich desArtikels 14 Grundgesetz sich nach einheitlicher Rechts-auffassung nicht auf Personen des öffentlichen Rechtsbezieht. Folglich können sich Kommunen nicht auf dieseVerfassungsnorm oder auf die darauf beruhenden Ent-schädigungs- oder Ausgleichsansprüche berufen. DieSchaffung eines dahin gehenden Ausgleichsanspruchsist nach Auffassung der Landesregierung rechtlich nichtmöglich.

Zu Frage 3: Eine verringerte Steuerkraft könnte zu er-höhten Zuweisungen im Rahmen des Kommunalen Fi-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5335

nanzausgleichs führen. Eine andere Möglichkeit wirdderzeit nicht gesehen.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Danke schön. Ich sehe keine Zusatzfragen.

Wir kommen zur Frage des Abgeordneten Seela inDrucksache 3/2437. Herr Abgeordneter Seela.

Abgeordneter Seela, CDU:

Hausbesuche des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR)und Schreiben der Hauptabteilung Finanzen der Abtei-lung Rundfunkgebühren des MDR

Der MDR entsendet derzeit Rundfunkgebühren-Beauftrag-te zu Einwohnerinnen und Einwohnern des Freistaats Thü-ringen, um Auskunft über ihre Rundfunkempfangsgeräte,wie es in einem Schreiben des MDR heißt, zu erhalten.

Ich frage die Landesregierung:

1. Auf welchen Rechtsgrundlagen erfolgen diese Maß-nahmen?

2. In welchem Umfang sind die Rundfunkgebühren-Be-auftragten berechtigt zu agieren (z.B. Haustürgespräche,Betreten oder Besichtigung der Wohnung), um festzu-stellen, ob alle gebührenpflichtigen Rundfunkgeräte (Zitataus dem Schreiben des MDR) angemeldet sind?

3. Auf welche Weise wirken Gebühreneinzugszentrale(GEZ) und Rundfunkgebühren-Beauftragte zusammen?

4. Welche Vorkehrungen wurden bzw. werden getroffen,um zum Beispiel zu vermeiden, dass Verzogene oderVerstorbene zu Adressaten der Maßnahmen werden?

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Staatssekretär Ströbel, bitte schön.

Ströbel, Staatssekretär:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damenund Herren Abgeordneten, die Mündliche Anfrage desAbgeordneten Seela beantworte ich namens der Landes-regierung wie folgt:

Zu Frage 1: Die Maßnahmen erfolgen auf der Grundlageder nach § 4 Abs. 7 Rundfunkgebührenstaatsvertrag vomRundfunkrat des MDR mit Genehmigung der Landes-regierungen von Sachsen-Anhalt und Thüringen sowieder Sächsischen Staatsregierung erlassenen Rundfunk-gebührensatzung des MDR.

Zu Frage 2: Die Rundfunkgebühren-Beauftragten sindgemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag

berechtigt, von Rundfunkteilnehmern oder von Personen,bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass sieRundfunkempfangsgeräte zum Empfang bereithalten unddies nicht oder nicht umfassend angezeigt haben, Aus-künfte über diejenigen Tatsachen zu verlangen, die Grund,Höhe und Zeitraum ihrer Gebührenpflicht betreffen. DieAuskunft kann auch von Personen verlangt werden, diemit den gebührenpflichtigen Personen in häuslicher Ge-meinschaft leben. Sofern die angetroffene Person ein-willigt, ist es dem Rundfunkgebührenbeauftragten ge-stattet, die Wohnung zu betreten und gegebenenfalls fest-zustellen, ob eine zusätzliche Anmeldepflicht besteht. Trifftder Rundfunkgebühren-Beauftragte hingegen niemandenan, hinterlässt er einen Auskunftsbogen mit Briefum-schlag für die Rücksendung.

Zu Frage 3: An- und Zumeldungen durch die Rundfunk-gebührenbeauftragten werden an die Gebühreneinzugs-zentrale (GEZ) weitergeleitet, die dann entweder ein Rund-funkteilnehmerkonto neu erstellt oder die Zumeldungeines Rundfunkgeräts auf dem entsprechenden Teilnehmer-konto vornimmt. Die An- oder Zumeldungen werden demRundfunkteilnehmer durch die GEZ schriftlich bestätigt.

Zu Frage 4: Nach Artikel 3 des Thüringer Gesetzes zumVierten Rundfunkänderungsstaatsvertag und zur Verbesse-rung des Rundfunkgebühreneinzugs vom 3. März 2000sollen die Meldebehörden dem MDR bzw. der GEZ imFalle der Anmeldung, Abmeldung oder des Todes die imGesetz aufgeführten Daten volljähriger Einwohner über-mitteln. Aus Effizienzgründen übermitteln die Einwohner-meldeämter die Änderungsdaten nicht einzeln, sondern inregelmäßigen Abständen in gesammelter Form. Daherkann es vorkommen, dass die Rundfunkgebühren-Be-auftragten Rundfunkteilnehmer aufsuchen, bevor derenAdressenänderungen vom Einwohnermeldeamt an dieGEZ weitergeleitet werden konnte.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Ich sehe keine weiteren Nachfragen. Vielen Dank, HerrStaatssekretär.

Wir kommen zur letzten Frage in Drucksache 3/2433.Bitte, Frau Abgeordnete Heß.

Abgeordnete Heß, SPD:

Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) im Bereich desSports

Trotz positiver Bewertung und erklärter Förderabsichtder Arbeitsverwaltung verzögert sich die Durchführungneuer SAM im Bereich des Sports seit Monaten, da derGesellschaft für Arbeits- und Wirtschaftsförderung(GfAW) offenbar weder rechtzeitige noch ausreichendeMittel zur Verfügung stehen. Die Träger werden trotz be-willigungsreifer Anträge völlig im Ungewissen gelassen.Leid Tragende sind insbesondere ältere Arbeitslose.

5336 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Finanzmittel stellt die Landesregierung zur er-gänzenden Förderung von SAM im Haushaltsjahr 2002im Bereich des Sports, insbesondere des Breitensportszur Verfügung, und welche Veränderung ergibt sich ge-genüber dem Haushaltsjahr 2001?

2. Wie hoch ist der für den Sport vorgesehene prozen-tuale Anteil der Landesmittel für SAM im laufendenHaushaltsjahr und welche Veränderung ergibt sich ge-genüber dem Haushaltsjahr 2001?

3. Wie hoch ist das Antragsvolumen der bewilligungs-fähigen SAM im Bereich des Sports gegenüber dentatsächlich zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln?

4. Warum werden SAM-Träger im Bereich des Breiten-sports trotz bewilligungsfähiger Anträge und entspre-chender Prioritätensetzung durch den Landessportbunddurch die GFAW seit Monaten im Ungewissen gelassen,und welche Maßnahmen beabsichtigt die Landesregie-rung, um diesen Zustand für Träger und vorgesehene Ar-beitnehmer zu verbessern?

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Minister Schuster, bitte schön.

Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infra-struktur:

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, namensder Landesregierung beantworte ich die Fragen von FrauHeß wie folgt. Zunächst muss ich darauf hinweisen, dassIhre einleitenden Bemerkungen schlicht falsch sind.

Ich komme nun zu Frage 1: Die Mittel für die Kofinan-zierung von Strukturanpassungsmaßnahmen werden ausdem Titel "Arbeitsförderung Ost" bereitgestellt. Von denfür SAM vorgesehenen Mitteln des Haushaltsansatzes ent-fällt auf das Thüringer Ministerium für Soziales, Familieund Gesundheit ein Anteil von 28 Prozent. Dieser Anteilwird auf die Förderbereiche Soziale Dienste, Jugendhilfeund Breitensport aufgeteilt. Eine nochmalige Unterteilungzwischen dem Breitensport und dem Sport gibt es nicht.Dem TMSFG steht ein Neubewilligungsspielraum fürdas Jahr 2002 in Höhe von 3,2 Mio. �� ���� ���������Hiervon entfällt auf den Bereich Breitensport ein Anteilin Höhe von 10,34 Prozent, das sind rund 333.000 ����!Jahr 2001 betrug der Anteil des Breitensports 9,2 Prozent.Dies hätte eine Inanspruchnahme in Höhe von 543.000 �bedeutet. Tatsächlich wurden aber 608.000 �� ���� ���Bereich Breitensport belegt.

Zu Frage 2: Das TMSFG hat zur Mittelaufteilung für dieFachbereiche Soziale Dienste, Jugendhilfe und Breiten-sport entschieden, dass sich der prozentuale Anteil zurAufteilung auf die Förderbereiche am Neubewilligungs-

rahmen des jeweiligen Vorjahres orientiert. Wie unterAntwort 1 bereits ausgeführt, ergibt sich hieraus für dasJahr 2002 ein Anteil an Neubewilligungsrahmen für denBereich Breitensport in Höhe von 10,34 Prozent. ImJahr 2001 betrug dieser Anteil 9,2 Prozent.

Zu Frage 3: Zurzeit liegen Anträge im Bereich Breiten-sport in Höhe von ca. 477.000 �� ���� ���"�����#���2002 vor. Dem stehen mit Stand vom 13.05.2002 fürdas laufende Haushaltsjahr noch 159.000 �� $���������Haushaltsmittel gegenüber.

Zu Frage 4: Mit Schreiben vom 27.12.2001 wurde durchdas Thüringer Finanzministerium eine Bewirtschaftungs-befugnis in Höhe von 80 Prozent des Haushaltsansatzeserteilt. Mit Schreiben vom 08.05.2002 erklärte der Finanz-minister die 20-prozentige Sperre aufgrund der Verab-schiedung des Zweiten Nachtragshaushalts durch denLandtag für gegenstandslos. Der Haushaltsansatz fürKapitel 07 08, Titel 686 74 "Arbeitsförderung Ost" wurdejedoch im Rahmen des Zweiten Nachtragshaushalts um7,4 Mio. �� �� �����%����������� ��������� ���� jetztnicht mehr. Mit der Verabschiedung des Zweiten Nach-tragshaushalts sind wieder Bewilligungen möglich, wobeiallerdings der insgesamt geringere Neubewilligungsspiel-raum zu beachten ist.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Es gibt eine Nachfrage. Bitte, Frau Abgeordnete Heß.

Abgeordnete Heß, SPD:

Stimmt es, dass Neubewilligungen nur noch erfolgen,wenn es im Landesinteresse steht bzw. die Mitarbeiteroder die Beschäftigten 55 und älter sind?

Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infra-struktur:

Es bleibt bei den Kriterien, die wir bei der Neuordnungder Arbeitsmarktpolitik aufgestellt haben und dabei istdas Kriterium im Interesse des Landes ein ganz Wichtiges.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Es gibt eine weitere Nachfrage, Herr Abgeordneter Ger-stenberger.

Abgeordneter Gerstenberger, PDS:

Herr Minister Schuster, gab es neben der Haushaltssperrevor der Verabschiedung des Zweiten Nachtragshaushaltsfür die Arbeitsförderung Ost auch für die anderen Haus-haltstitel Arbeitsmarktpolitik solche Haushaltssperren?

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5337

Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infra-struktur:

Ja.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Weitere Nachfragen sehe ich nicht. Danke, Herr Minister.Wir können den Tagesordnungspunkt 15 damit ab-schließen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf

Aktuelle Stunde

a) auf Antrag der Fraktion der SPDzum Thema:"Haltung der Landesregierung imBundesrat zum Gesetz zur tariflichenEntlohnung bei öffentlichen Aufträgenund zur Einrichtung eines Registersüber unzuverlässige Unternehmen"Unterrichtung durch die Präsidentindes Landtags- Drucksache 3/2407 -

Ich bitte als ersten Redner Herrn Abgeordneten Müllerans Rednerpult.

Abgeordneter Dr. Müller, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, das Tarif-treuegesetz der Bundesregierung, das Ende April denDeutschen Bundestag passiert hat, trägt dazu bei,deutschlandweit Lohndumping zu unterbinden, einen fairenWettbewerb zu schaffen und Qualitätskriterien bei derAuftragsvergabe in den Vordergrund zu stellen. Um ins-besondere den Bedenken der neuen Bundesländer be-züglich der Bauwirtschaft Rechnung zu tragen, wurde einStufenplan eingebaut, der den Unternehmen bis zumJahr 2005 einen gewissen zeitlichen Freiraum eröffnet.Zunächst gilt das Gesetz ab einem Auftragswert von über100.000 ����!�&����� �������'����(������)��*++,gelten 75.000 ���������*++-�.+�+++������%����������Dies bietet den Kleinunternehmen in Thüringen, unddiese machen über 80 Prozent der Thüringer Unternehmenaus, einen entsprechenden Übergang.

Die CDU betont permanent die Bedeutung kleiner undmittlerer Unternehmen. Wir sehen ebenso deren Be-deutung, sehen aber auch die Belange und die Interessender Arbeitnehmer einerseits und andererseits die Be-deutung von leistungsfähigen Unternehmen mit entspre-chend qualifizierten und motivierten Arbeitnehmern fürdie Entwicklung Thüringens. So kommt dieses Gesetzbeiden Gruppen - Arbeitnehmern und Arbeitgebern -gleichermaßen entgegen und leistet einen nicht zu un-terschätzenden Beitrag zur Angleichung der Lebensver-hältnisse in Ost und West sowie zur Stabilisierung ost-

deutscher Unternehmen, auch unter dem Aspekt derEU-Osterweiterung.

Auf die Aktivitäten der SPD-Fraktion bei der Behandlungunseres Gesetzentwurfs zur Vergabe öffentlicher Aufträgeim Hochbau und Dienstleistungssektor und die ableh-nende Haltung der CDU-Landesregierung sei an dieserStelle nochmals hingewiesen. Bedauern Vertreter der CDUseit neuestem die Tatsache, dass Thüringer Unternehmenoftmals nicht tarifgerecht entlohnen, dass ruinöse Kon-kurrenz herrscht, dass junge qualifizierte und ungebundeneMenschen aus Thüringen abwandern und in manchenBranchen trotz hoher Arbeitslosigkeit keine qualifiziertenFachkräfte gefunden werden, so sind es die gleichen Ak-teure in der Landespolitik, die über Jahre hinweg denNiedriglohnstandort Thüringen gepriesen haben. "Wirwollen übereinstimmend verhindern, dass es auf unserenBaustellen zu Sozialdumping kommt. Wir wollen über-einstimmend verhindern, dass bei Vergaben ruinöserWettbewerb stattfindet." Recht hat da Thüringens Wirt-schaftsminister mit dem, was er in der 32. Plenarsitzung imDezember 2000 sagte: "Unser Ziel ist es, bereits exis-tierende Bauvergabegesetze der Länder, die eine Treue-erklärung der Bieter fordern, bundesrechtlich abzusichern.Die Zurückhaltung mancher Länder gegenüber eigenenLandesgesetzen mit Tariftreueerklärung sollte überwundenwerden." Recht hatte Bayerns Ministerpräsident Stoibermit dem, was er in der Zeitschrift der IG Bau "Grund-stein" im April 2001 sagte. Es ist gerade jener Minister-präsident, der jetzt als Kanzlerkandidat der CDU seineeigenen Regelungen im Rahmen plumper Wahlkampf-äußerungen zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer im Land konterkariert. Was stört mich mein Ge-schwätz von gestern, mag er denken.

Ich fordere den Ministerpräsidenten des Freistaats Thü-ringen auf, am 31. Mai dem Gesetzentwurf der Bundes-regierung im Bundesrat zur Tariftreue und zur Einrich-tung eines Registers über unzuverlässige Unternehmenseine Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Abgeordneter Kallenbach, Sie haben das Wort.

Abgeordneter Kallenbach, CDU:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damenund Herren, es ist bei diesem Gesetz so wie mit vielenanderen Gesetzen der rotgrünen Mehrheit. Man hört nichtauf die Fachverbände, man hört nicht auf die Kammern,auch nicht auf die Wissenschaftler, gegebenenfalls, dasgebe ich zu, auf die Gewerkschaften und die Folge ist dann,man wundert sich über die steigende Arbeitslosigkeit,über die drastisch ansteigende Zahl der Insolvenzen, übersinkendes Wirtschaftswachstum und über sinkende Steuer-einnahmen. Das sind dann nämlich die Folgen. Ich ver-

5338 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

weise auf den kürzlich stattgefundenen parlamenta-rischen Abend des Thüringer Handwerks. Dort hat derPräsident des Handwerkstags wörtlich gesagt: "Das Ta-riftreuegesetz eignet sich besonders gut, den Charakterder Chefsache Ost zu erläutern". Das waren seine Wortein Bezug auf den vorliegenden Gesetzentwurf.

Ich möchte es ganz deutlich sagen, wir sind überhauptnicht gegen Tariftreue. Aber wir sind für eine realistischeTariftreue, das heißt für die Tariftreue am Ort desUnternehmens und nicht am Ort der Leistung. MeineDamen und Herren, das ist der entscheidende Unterschied.Unser Ziel ist es auch nicht, auf Dauer unterschiedliche,also wesentlich niedrigere Löhne in den neuen Bundes-ländern gegenüber den alten Bundesländern zu haben. Wirwollen auf gar keinen Fall auf Dauer ein Niedrig-lohnland sein. Aber wir wollen realistische Lohnansätzeund wir wollen nicht, dass weitere Arbeitsplätze ver-nichtet werden. Es müssten aus unserer Sicht auch wenig-stens die Mindestlöhne eingehalten werden. Aber ichmöchte auf die Dimension dessen, worüber wir reden,hinweisen. Circa 40 Prozent des Auftragsvolumens derThüringer Handwerksbetriebe und Bauunternehmen kom-men aus den alten Bundesländern. Meine Damen und Her-ren, machen wir uns nichts vor, die können wegbrechen,wenn dieses Gesetz in Kraft treten wird. Die von Ihnen,Herr Dr. Müller angesprochenen Übergangsregelungenlösen das Problem auch nicht. Es wird hier von 92,5Prozent gesprochen, auf die vorübergehend abgesenktwerden kann, da aber die Personalkosten im Momentungefähr bei 80 Prozent liegen, sehen wir also immernoch eine deutliche Diskrepanz.

Wir wollen diese deutlichen Lohnunterschiede auf Dauernicht. Aber in dieser Übergangszeit, in der wir uns ge-genwärtig noch befinden, muss dieser Wettbewerbsvor-teil, der in den günstigeren Personalkosten für uns hier, fürunsere Unternehmen liegt, eben schon ausgenutzt wer-den. Ich möchte an der Stelle ganz deutlich auf dieTarifautonomie, zu der Sie sich ja auch bekennen, hin-weisen. Es ist nach wie vor das Sinnvollste, dass be-rechtigte Forderungen der Arbeitnehmer ausgehandelt wer-den mit dem, was aus Sicht der Arbeitgeber möglich ist.

Meine Damen und Herren, es kommt hinzu, dass nachdiesem Gesetz die Bürokratie noch deutlich weiter steigenwird. So steht in dem Gesetz in § 6, es sind Nachweise zuführen und Kontrollen werden durchgeführt durch dieBundesanstalt für Arbeit und durch die Zollbehörden undes sind entsprechende Unterlagen in den Geschäftsstellender Unternehmen bereitzuhalten. Dann kommt gleich § 7,da werden im Detail die Sanktionen festgelegt. Es isthier auch ein scharfes Schwert zu sehen.

Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass wirsehenden Auges diesen Konflikt auf uns zukommen sehenund sagen, wir lassen das mal laufen. Ich habe ja ein ge-wisses Verständnis dafür, wenn westdeutsche Kammernund westdeutsche Landespolitiker sagen, na gut, es ist viel-

leicht der richtige Weg. Wenn das Bundespolitiker sagen,dann habe ich schon große Zweifel, denn die haben einePflicht sich für eine gute wirtschaftliche Entwicklung fürGesamtdeutschland zu engagieren. Wenn ganz und garLandespolitiker aus den neuen Bundesländern sagen, wirsind für das Tariftreuegesetz, dann kommen sie ihrerPflicht für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklungbei uns nicht nach.

(Beifall bei der CDU)

Dann kann man nur mit dem Kopf schütteln. Wir könnendie Landesregierung nur darin bestärken, diesen Ge-setzentwurf im Bundesrat abzulehnen.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Abgeordneter Ramelow, Sie haben das Wort. Bitteschön.

Abgeordneter Ramelow, PDS:

Kollege Kallenbach, in der Bundesrepublik Deutschlandgilt das Tarifvertragsgesetz. Das regelt, dass der Tarif-vertrag am Ort des Geschehens anzuwenden ist. Wennder Sitz des Unternehmens darüber entscheiden würde,dann wären alle die, die ihre Firmensitze ins Auslandverlegt haben, in die Steuerparadiese Kaiman-Island oderanderes, die müssten dann den Tarifvertrag der Kaiman-Island bezahlen. Ich glaube, Sie kennen sich im Tarif-vertragsrecht nicht aus.

Meine Damen und Herren, Lohndumping schadet Un-ternehmen, gleich, ob sie tarifgebunden oder ohne Tarif-bindung sind, und schadet den Arbeitnehmern. Lohn-dumping schädigt aber wegen der fehlenden Einnahmenauch den Fiskus, schmälert die Kaufkraft und hat damitvolkswirtschaftliche Dimensionen, eingeschlossen natür-lich der Entwicklung von Schwarzarbeit. Die öffentlicheHand mit ihrem bundesweiten Auftragsvolumen von etwa250 Mrd. DM hat deshalb nach Auffassung unsererFraktion die Verpflichtung, die Abwärtsspirale in der Ein-haltung von Tariftreue, im Lohndumping und in derenFolge, in der Vernichtung von Arbeitsplätzen und dieabsehbare weitere negative Entwicklung in allen Auf-gabenbereichen, also auch im Bauwesen und im Ver-kehrswesen zu stoppen. Es kann doch von uns allen unddamit auch von der Landesregierung nicht getragenwerden, was der Hauptgeschäftsführer des Zentralver-bands des deutschen Baugewerbes, Herr Karl Robe,festgestellt hat. Frau Präsidentin, ich zitiere: "Die lega-len Kapazitäten werden abgebaut und im gleichen Um-fang werden illegale Leistungen erbracht."

Meine Damen und Herren, es gilt zu handeln. Die Bun-desregierung hat gehandelt. Nachdem die Landesregie-rung unter Ihrer Führung, Herr Ministerpräsident, im

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5339

Gegensatz zu allen anderen oder zu vielen anderenCDU/CSU-geführten Landesregierungen ein Vergabe-gesetz - Kollege Müller hat darauf hingewiesen - abge-lehnt hat, will ich auf die Mitteilung der Kommission vom15. Oktober 2001 über die Auslegung des gemeinschaft-lichen Vergaberechts und die Möglichkeiten zur Berück-sichtigung sozialer Belange bei der Vergabe öffentlicherAufträge hinweisen, also die EU-Kommission gibt es unssogar ausdrücklich vor.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Na,na, na.)

Hier wird explizit festgestellt, dass die Auftraggeber ver-pflichtet sind, Angebote abzulehnen, wenn der niedrigePreis beispielsweise auf Verstöße gegen Beschäftigungs-vorschriften oder Verstöße im Arbeitsrecht zurückzuführenist. Das Arbeits- und Tarifrecht bildet eine Einheit. Ichmuss das hier nicht referieren. Ich will Ihnen am Beispieldes Bauwesens darstellen, dass es jetzt schon Voraus-setzungen gibt, die offenkundig, Herr Kallenbach, Ihnennicht bekannt sind, die aber wegen der fehlenden Durch-setzungsverpflichtung der öffentlichen Hand nicht greifen.Im Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe sindbereits die Lohngruppen 7.1 und 7.2 als allgemeinverbind-lich bestätigt. Der § 5 Ziffer 6 dieses Rahmentarifvertragsschreibt bereits jetzt fest - ich zitiere, Frau Präsidentin:"Es gilt der Lohn der Baustelle. Auswärts beschäftigte Ar-beitnehmer behalten jedoch den Anspruch auf den Gesamt-tarifstundenlohn ihres Einstellungsortes. Ist der Lohn derauswärtigen Arbeitsstelle höher, so haben sie Anspruch aufdiesen Gesamttarifstundenlohn, solange sie auf dieser Bau-stelle tätig sind." Das ist ein Zitat aus dem gültigen Tarif-vertrag. Dies sollte bei all denen, die sich mit der Materiedes verkürzt genannten Tariftreuegesetzes befassen, be-kannt sein oder sie sollten einfach schweigen. Aus fol-genden Gründen also:

1. In Kenntnis der bereits jetzt zwischen den Tarifpartnerngeltenden Vereinbarung zur Entlohnung gemäß Arbeitsort,oder sie möchten eigentlich, dass die alle aus dem Arbeit-geberverband austreten und den Tarifvertrag nicht mehranwenden. Das widerspricht aber den Beschlüssen derCDU, die in Eisenach beschlossen worden sind, im öffent-lichen Dienst bis 2007 gleichen Lohn für gleiche Arbeitumzusetzen.

Für den öffentlichen Dienst besprechen, aber auf Bau-stellen nicht haben wollen, ich sage einmal, da liegenzwischen dem einen und dem anderen Welten.

2. Unter Würdigung der Verpflichtung der öffentlichenHand zur Bekämpfung von Lohndumping und Schwarz-arbeit.

3. Als Bestandteil von Maßnahmen zur Konsolidierung vonwirtschaftlicher Entwicklung und Finanzeinnahmen geheich davon aus, dass die Landesregierung im Bundesrateigentlich zustimmen muss.

Herr Ministerpräsident, Sie wollen bayerische Verhältnisse.Eben Ihr CSU-Amtskollege und designierter Kanzlerkan-didat Edmund Stoiber hat im April 2001 erklärt - FrauPräsidentin, ich zitiere Edmund Stoiber: "Unser Ziel ist es,bereits existierende Bauvergabegesetze der Länder, die eineTariftreueerklärung der Bieter fordern, bundesrechtlichabzusichern." Sichern Sie, Herr Ministerpräsident, sichernSie bitte bundesrechtlich ab, was Ihr Kanzlerkandidat alsMinisterpräsident von Bayern vorgegeben und vorge-schlagen hat oder machen Sie bessere Vorschläge, wie derWildwuchs in den Baustellen, auf den Baustellen oder demWildwuchs, der droht, wenn die ÖPNV-Lizenzen europa-weit ausgeschrieben werden, gestoppt werden kann.

Meine Damen und Herren, nur Nein sagen, reicht nicht.Nein ist keine Alternative, denn diejenigen, von denenich rede, den Arbeitnehmern, die hier arbeiten und Lohnerhalten, von diesem Lohn erhalten wir die Einkommen-und die Lohnsteuer, also die Steuereinnahmen, die wirdringend brauchen. Nein sagen, reicht nicht.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Abgeordneter Bergemann. Bitte schön, Sie habendas Wort.

Abgeordneter Bergemann, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren!Herr Kollege Ramelow, in dem Punkt Tariftreuegesetzwerden wir mit Sicherheit nicht übereinkommen. Das istvöllig klar, weil Sie jetzt hier auch Positionen als Ge-werkschafter deutlich vertreten haben, die für mich erkenn-bar, auch aus der Spitze des Dachverbandes heraus-kommen. Ich darf an der Stelle, weil Sie es zitiert habenund Herr Kollege Müller das gleiche Zitat gebracht hat,ja ruhig einmal zeigen, was hier beim Dachverband derGewerkschaft und bei der IG Bau-Agrar-Umwelt zudem Punkt geschrieben steht, woraus zitiert worden ist,dass die CDU-regierten Bundesländer das Gesetz am31. Mai im Bundesrat stoppen werden. Ich erinnere nureinmal ganz nebenbei, ich komme dann noch einmal kurzdarauf zurück, es trifft nicht nur die CDU-regierten Länder,sondern, ich glaube schon, dass auch ein Stück Unwahheitgenau in diesem Punkt hier drinsteht. Deshalb bin ich froh,dass wir auf Antrag der CDU-Fraktion im Januar diesesJahres zu dem Thema "Arbeitsplätze statt Tariftreue"gesprochen und einen Beschluss gefasst haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin auch der Landesregierung in dem Punkt dankbar,dass sie dafür sorgen muss, dass dieses Gesetz, was derWirtschaft und dem Handwerk in Thüringen schadet, zuverhindern ist. Es ist noch gar nicht lange her, da haben23 - das stand in der "Leipziger Volkszeitung" - Bundes-tagsabgeordnete gegen das Tarifvertragsgesetz Front ge-

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macht, wohl gemerkt SPD-Bundestagsabgeordnete, meineDamen und Herren, weil nämlich die Baubranche in denneuen Ländern durch dieses Gesetz zurückgeworfen wirdund weil es auch eine Diskriminierung ostdeutscher Arbeit-nehmer darstellt. Deshalb darf man auch ein Stück ver-wundert sein, dass gerade die Bundesregierung aufgrunddes noch ausstehenden Bundesverfassungsgerichtsurteilsüberhaupt dieses Gesetz in die parlamentarische Behand-lung gegeben hat. Das verwundert mich schon ein kleinesStückchen dabei.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Problema-tik, die Herr Müller angesprochen hat, dass durch die -mein Kollege Jörg Kallenbach hat es ja gesagt - Ände-rungsanträge zum Gesetz eine andere Situation entstehenwürde, weit, weit gefehlt. Ich darf an der Stelle auch einmalzur Kenntnis geben, wie es denn im Bundesratsverfahrenzurzeit aussieht. Dort befindet sich die Beratung in denAusschüssen und der Wirtschaftsausschuss des Bundesratshat mit deutlicher Mehrheit die Ablehnung des Gesetzesempfohlen, der Arbeits- und Sozialausschuss hat sich zukeinem Votum durchringen können, ebenso nicht der Woh-nungsbauausschuss. In diesem Ausschuss, wohl bemerkt,befinden sich auch Länder wie Mecklenburg-Vorpom-mern. Das darf man an der Stelle vielleicht auch einmal er-wähnen. Es ist klar, weil vom Kollegen Ramelow auchnoch einmal die Kommission angesprochen worden ist, dabitte ich aber auch zu berücksichtigen, dass gerade an demPunkt der Europäische Gerichtshof ein Urteil gesprochenhat, das zum gesetzlichen Mindestlohn verpflichtet. Genaudas ist der Punkt, das wird in Thüringen auch in der Min-destlohnverordnung in unserer Auftragsvergabe realisiert.Da gibt es eine Richtlinie zur Mindestlohnerklärung vomMai letzten Jahres, die kann sich jeder zu Gemüte führen.Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch einmalauf die Richtlinie des öffentlichen Auftragswesens hin-weisen. Thüringen hat hier in vorbildlicher Weise eineReihe von Richtlinien, gerade zur Bekämpfung von Lohn-dumping, von ruinösem Wettbewerb, von Schwarzarbeiterlassen.

(Beifall bei der CDU)

Wer sich die zwölf Richtlinien einmal anschaut, der weißganz genau, dass wir in der Diskussion zum Vergabe-gesetz eigentlich ganz komplett ausgerüstet und ausge-stattet sind, um genau diese Punkte, die angesprochen wur-den, zu verhindern. Ich kann hier von der Stelle aus nurappellieren, dass natürlich auch die Positionen des Zweck-verbunds ostdeutscher Bauverbände zu berücksichtigensind, dass die Länder in der Abstimmung am 31. Mai 2002im Bundesrat diesem Gesetz keine Mehrheit verschaffen.Denn der angesprochene wirtschaftliche Schaden, der ent-stehen würde - 5 Prozent Verteuerung der Aufträge auchnach der Änderung für die Bundesrepublik Deutschland.Wir rechnen damit, dass es in den neuen Ländern, bei denStrukturen, die wir haben, etwa 10 Prozent sein werden, umdie sich die Aufträge verteuern würden. Ich glaube,Kollege Kallenbach hat die Auftragslage angesprochen,

wie viel Unternehmen, Handwerksbetriebe, kleine undmittelständische Unternehmen am Auftragsvolumen hän-gen, um zu diesen kostengünstigen Konditionen ihre exis-tenzsichernden Aufträge in diesen Ländern zu erhalten.Deshalb glaube ich, dass dieses Gesetz mit seinen büro-kratischen, fiskalischen und auch arbeitsmarktpolitischenFolgen keine Realität werden darf. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Minister Schuster, bitte schön.

Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infra-struktur:

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, lassenSie mich vorweg anmerken, das konkrete Abstimmungs-verhalten Thüringens zu dem fraglichen Gesetzentwurfwird erst kurz vor der Bundesratssitzung festgelegt. DieLandesregierung hat aber in den bisherigen Diskussionenkeinen Zweifel daran gelassen, was sie von diesem Gesetzhält. Die Bindungen an den Tarif am Ort der Leistungs-erbringung ist für ostdeutsche Unternehmen nicht zumut-bar.

(Beifall bei der CDU)

Es werden damit neue Mauern zum Westen errichtet.

Auch das beschlossene Stufenmodell ist willkürlich undverlagert das Problem auch nur um wenige Jahre. Es wirdden Thüringer Handwerkern nicht ein Wettbewerbsvorteilgenommen, sondern ein Wettbewerbsnachteil zemen-tiert. Um keinen Zweifel daran zu lassen, auch die Landes-regierung ist für Lohnangleichung und gegen Lohndum-ping. Dies haben wir bei vielen Diskussionen immerwieder klar gemacht. Es geht aber um die Frage, ob mandies erreichen kann, indem man hier alle Unternehmen übereinen Leisten zieht.

Das Tariftreuegesetz, meine Damen und Herren, darin sindsich viele Unternehmen einig, ist der falsche Weg. Selbsttariftreue Unternehmen im Lande werden nach diesem Ge-setz in einen Topf geworfen mit so genannten Billiganbie-tern. Sie werden des Lohndumpings und der Lohndrückereibezichtigt und kriminalisiert, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Unternehmen, die hier in Thüringen Tarif zahlen, denenwird der Vorwurf gemacht, Lohndrückerei zu betreiben,wenn sie auf einer Baustelle in den alten Ländern arbeiten.Das darf doch wohl nicht wahr sein. Wenn das so wäre,würde man doch die Frage stellen, wozu brauchen wir dannnoch Regionaltarife, wozu brauchen wir überhaupt Tarife,wenn das die Konsequenzen wären?

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5341

(Beifall bei der CDU)

"Die Welt" hat in einem Artikel geschrieben, dass die Bun-desregierung mit diesem Gesetz einen Marktbereinigungs-prozess einleiten will, und zwar mit der gesetzlichen Keule.Tatsache ist, dass ein solches Gesetz dazu führen wird, dassviele unserer kleinen und mittleren Unternehmen praktischvom Markt verdrängt werden, weil sie eben diese Bedin-gungen nicht erfüllen können. Wir wissen alle, dass dieTarifbindung abhängig ist von der Größe der Unternehmen.Da wir in unserem Land aber nicht typischerweise diegroßen Bauunternehmen haben, werden viele kleine Unter-nehmen von diesem Gesetz vom Markt verdrängt. Abgese-hen davon erfasst dieses Gesetz etwa 10 bis 20 Prozent desBauvolumens. Im privaten Bau wird sich diese Regelungohnehin nicht durchsetzen lassen. Zu diesem Zweck so vielbürokratischer Aufwand, so viel Verzögerung, so viel Ver-teuerung von öffentlichen Investitionsvorhaben? Ich binsicher, dass dieser Aufwand, der damit verbunden ist, un-vertretbar höher ist.

Meine Damen und Herren, man muss sich dann auchfragen, was die Konsequenzen für ein Unternehmen sind,käme dieses Gesetz. Jedes Bauunternehmen in unseremLand, das ein Angebot abgeben will in einem benachbartenLand, müsste zunächst die Tarifstrukturen ermitteln, z.B. inCoburg oder an jedem anderen Ort, um dann die Tarife vondort kalkulieren zu können. Man stelle sich einmal vor,welcher Aufwand es wäre, wenn der einzelne Handwerks-betrieb immer erst den jeweils gültigen Tariflohn ermittelnmüsste.

Meine Damen und Herren, es ist doch klar, was mit soeinem Gesetz passieren würde, es würde nicht realisiert. Eswürde im Dickicht der Bürokratie stecken bleiben. Es hätteallerdings kontraproduktive Wirkung der Art, dass vieleArbeitsplätze im Bausektor bei uns verloren gingen. VielenDank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Es gibt eine weitere Wortmeldung. Herr AbgeordneterLippmann, bitte schön.

Abgeordneter Lippmann, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,nur noch einige Anmerkungen zu dieser Problematik, überdie wir uns ja schon bei dem Gesetzentwurf der SPD-Frak-tion - Thüringer Vergabegesetz - unterhalten haben, aucheine Anhörung dazu hatten, die einige, der Ausschuss fürWirtschaft, Arbeit und Sturkturpolitik zumindest, auch an-dere Kolleginnen und Kollegen besucht hatten und auf derdrei Dinge, ich sage es völlig unpolemisch, für alle sichtbarwaren.

Selbstverständlich haben wir die bestehenden Befürchtun-gen der ostdeutschen Bauwirtschaft zur Kenntnis nehmenmüssen, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen in denalten Bundesländern zu kurz zu kommen, weil man ja deseinzigen Wettbewerbsvorteils verlustig geht und das sinddie noch deutlich niedrigeren Lohnkosten, die wir hierhaben.

Zweitens haben wir aber auch zur Kenntnis genommen,dass im ÖPNV ein deutliches Interesse an einer derartigengesetzlichen Regelung besteht. Dort sind die Probleme an-dere, weil drei Tarifgruppen bestehen, zumindest hier inThüringen. Das ist in NRW auch so gewesen, dort hat manes allerdings gerichtet. Weil für den Bereich der öffent-lichen Verkehrsdienstleistungen angesichts der bevor-stehenden Liberalisierung in Europa eine ähnliche Situationzu erwarten ist. Auch hier droht ein rigoroser Preiswett-bewerb über Dumpinglöhne, die die Qualität und die Quan-tität der Verkehrsdienstleistungen gefährden werden. Nun,so weit sind wir noch nicht, aber es wird kommen mit die-ser angedrohten Liberalisierung, von der wir alle nicht vielhalten

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt-schaft, Arbeit und Infrastruktur: Aber wann?)

und die uns auch bewogen hat, unsere Verkehrsunterneh-men gut auszustatten, auch finanziell gut auszustatten.

Selbstverständlich haben wir drittens bei der Anhörung einnicht zu überhörendes Unbehagen über die Situation imBaugewerbe zur Kenntnis nehmen müssen. Das habeneigentlich alle Kammern und Verbände deutlich zum Aus-druck gebracht. In keiner Branche sind Recht und Ordnungso stark gefährdet, ausgedünnt, ja mit Füßen getreten wiegerade hier. Da ist die Nichtzahlung ortsüblicher Tarife andie Arbeitnehmer noch das geringste Übel, wenn man sichdie Situation in der Bauwirtschaft betrachtet: Schwarz-arbeit, Schmiergelder, jeder von uns kennt aus eigenerKenntnis und aus den Medien die entsprechenden Bei-spiele. Sie entstehen immer dann, wenn Angebot undNachfrage in einem derartig eklatanten Missverhältnis wiegerade in der Bauindustrie, sei es Bauhauptgewerbe aberauch das Ausbaugewerbe, stehen. Wir haben bei unseremVergabegesetz angesichts des Vorlagebeschlusses des Bun-desgerichtshofs vom 18.01. die Wirksamkeit nur auf Hoch-bauleistung beschränkt. Wir haben also den ganzen Ballastaller anderen noch anstehenden Möglichkeiten abgeworfen.Damit wir überhaupt wissen, um welches Volumen es sichmöglicherweise handelt, zuverlässige Angaben gibt es danicht, Herr Minister Schuster hat vorhin von 20 Prozent ge-redet, im öffentlichen Hochbau, das sind aber nun sta-tistische gesicherte Zahlen, werden in Deutschland 8 Pro-zent des gesamten Hochbauvolumens erbracht. Von dengesamten 100 Prozent Hochbauvolumen in Deutschlandsind 8 Prozent staatlicher Hochbau, also Aufträge deröffentlichen Hand. Das waren im Vorjahr immerhin noch34 Mrd. DM. Die restlichen 92 Prozent, von denen vorallen Dingen unsere Unternehmen partizipieren, in Bayern,

5342 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Baden-Württemberg, Hessen oder sonst wo, die geschehenim völlig privatwirtschaftlichen Rechtsverkehr und sind da-von überhaupt nicht betroffen. Das ist völlig klar, damitwir nur die Geringfügigkeit sehen. Ich wäre Ihnen ver-bunden, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich binselbst nicht an die Zahlen gekommen, wenn ich auch nurein Beispiel hätte, wo eine Thüringer Firma einen Hoch-bauauftrag der öffentlichen Hand aus Bayern, Baden-Würt-temberg oder Hessen bekommen hätte. Sagen Sie mir einBeispiel der öffentlichen Hand. Ich kann mir nicht vor-stellen, dass das Rathaus in Neckarsulm oder Ingolstadt voneiner Thüringer Firma ..., also die öffentliche Hand in denalten Bundesländern ist bei der Vergabe ihrer Aufträgedeutlich restriktiver als wir mit unserer Großzügigkeit hierin Thüringen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, dassdieses Gesetz im Bundesrat nicht durchgehen wird oderim Vermittlungsausschuss, dass es seine Zeit braucht, dafürnoch Regelungen zu schaffen. Ich könnte mir z.B. vor-stellen, dass ...

Vizepräsidentin Ellenberger:

Bitte, Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluss.

Abgeordneter Lippmann, SPD:

Ja, Frau Präsidentin macht die Zäsur. Gut, ich gebe derHoffnung Ausdruck, dass wir es vielleicht nicht gleichhaben, aber dass wir es irgendwann einmal haben werden,ein derartiges Gesetz. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Minister Schuster, Sie haben noch einmal das Wort,bitte.

Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infra-struktur:

Herr Lippmann, ich will Ihnen das geforderte Beispielgern liefern. Die Firma Hochtief hier in Erfurt führt derzeitAufträge nicht nur in Thüringen aus, sondern im Inte-resse der Erhaltung der Arbeitsplätze von Thüringer Ar-beitnehmern auch in den alten Ländern.

(Zwischenruf Abg. Lippmann, SPD: HerrSchuster, das ist sowieso ein Tarifunterneh-men ... der öffentlichen Hand.)

Die Firma zahlt Tariflöhne hier in Thüringen.

(Zwischenruf Abg. Lippmann, SPD: KeinenPfennig.)

Würde sie in Baden-Württemberg, Bayern oder wo immersie tätig ist, eben die dortigen Tarife bezahlen müssen, dannhätte sie ein Problem, wie sie die Mehrkosten noch ab-decken könnte. Die Folge wäre, man behandelt sie in Ba-den-Württemberg oder Bayern so wie die Billigstanbieter,obwohl dieses Unternehmen hier den Tariflohn bezahlt,Herr Lippmann, das kann doch wahrhaft nicht gewollt sein.Man kann sich genau vorstellen, welche Wirkungen diesfür solche Unternehmen hat in unserem Lande.

(Beifall bei der CDU)

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Das warder typische kleine bzw. mittlere Unterneh-mer, der bodenständig in Thüringen wirkt.)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Ich sehe jetzt keine weiteren Wortmeldungen. Wir schlie-ßen Tagesordnungspunkt 16 a.

Ich rufe den zweiten Teil der Aktuellen Stunde

b) auf Antrag der Fraktion der CDUzum Thema:"Aufmarsch extremer Gruppen inThüringen - gesetzgeberischer Hand-lungsbedarf im Versammlungsrecht"Unterrichtung durch die Präsidentindes Landtags- Drucksache 3/2436 -

auf. Als Erster hat Herr Abgeordneter Wolf das Wort.

Abgeordneter B. Wolf, CDU:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich darf Sienoch einmal an die Regierungserklärung des Justizmi-nisters Dr. Andreas Birkmann erinnern. Es ging umWeimar, um den 20. April und um das Urteil des OVG. Ichdarf zitieren, mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin: "Diezum Teil sehr unsachliche Kritik an dem Gericht und anden Richtern ist nicht berechtigt. Gerichte haben das gel-tende Recht anzuwenden, und zwar in richterlicher Unab-hängigkeit. Dies ist ein zentraler Bestandteil jedes demo-kratischen Rechtsstaates, der nicht angetastet werden darf.Nein, nicht die Richterin ist das Problem, die Rechtslageist das Problem." Die Rechtslage ist das Problem, meineDamen und Herren, es geht um die Konkretisierung derRechtsgrundlage. Die Bilder von extremistischen Aufzü-gen gehen um die ganze Welt. Solche Situationen, wiez.B. am 20. April dieses Jahres in Weimar, blamieren unddiskreditieren nicht nur die Stadt Weimar, nein, unserganzes Land, die ganze Bundesrepublik.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Für Sie istalso das Ansehen das einzige Problem, rechts-extreme Ideologien interessieren Sie nicht.)

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5343

Sie sind eine Zumutung für unsere Bürger, vor allenDingen sind sie eine Zumutung für unsere Mitbürgerjüdischen Glaubens.

Meine Damen und Herren, sie sind gleichzeitig auch eineHerausforderung für eine wirklich wehrhafte Demokratie,eine Herausforderung für alle, denen das Ansehen unseresLandes nicht gleichgültig ist. Gelegentlich ist zu hören, einein sich gefestigte Demokratie muss auch solche Provo-kationen aushalten können. Eines muss uns allen klar sein:Es geht den Initiatoren solcher Aufzüge eben nicht mehrum das Recht der freien Meinungsäußerung, das Versamm-lungsrecht, nein, man will ganz bewusst durch die Orts-und durch die Terminwahl provozieren.

Meine Damen und Herren, das Grundgesetz lässt keinesubstanziellen Eingriffe in das Versammlungsrecht zu. Wir,meine Fraktion, die CDU, wollen auch keine substanziellenEingriffe in das Versammlungsrecht. Das Grundrecht derfreien Meinungsäußerung soll nicht eingeschränkt werden,aber sein Missbrauch soll eingeschränkt werden. Es gehtdarum, eine rechtliche Möglichkeit zu schaffen, die provo-kative Demonstrationen in geschützten Bereichen oder angeschützten Terminen untersagt. Es gibt sensible Orte undsensible Termine, die ihren besonderen Charakter aus derGeschichte bekommen haben.

Ein anderes Bild: Wir alle haben die Bilder vom 1. Maidieses Jahres in Berlin noch ganz aktuell vor Augen oderganz aktuell das, was letzte Nacht und auch im Moment,sicherlich zur gleichen Stunde dort passiert, ich meine nichtdie Tausenden, die in Berlin friedlich demonstrieren unddort ihre Meinung damit zum Ausdruck bringen, die teileich nicht, aber ich achte sie. Es gehört dazu, dass es in einerDemokratie möglich sein muss, dass jeder seine politischeMeinung auch durch eine politische Demonstration nachaußen zeigen kann. Aber unter dem Vorwand der politi-schen Meinungsäußerung begehen auch gewaltbereite undextremistische Berufsdemonstranten immer wieder Gewalt-handlungen, die weder mit Demonstrationsfreiheit noch mitfreier politischer Meinungsäußerung irgendetwas zu tun ha-ben. Das ist blanke Gewalt, Chaos und Anarchie.

(Beifall Abg. Carius, CDU)

Wenn Autos angezündet oder zertrümmert, Schaufenstereingeschlagen, Läden geplündert werden, hat das allesnichts mit mehr freier politischer Meinungsäußerung zutun.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Aberauch nicht mit der Anmeldung und Genehmi-gung einer Versammlung.)

Wir fordern Auflagen zur Gewaltvermeidung für die Or-ganisatoren der Versammlungen und Demonstrationen.Das Versammlungsrecht ist das Recht der freien Meinungs-äußerung, hat aber nichts mit diesen gewalttätigen Demon-strationen, wie wir sie jetzt erlebt haben, zu tun. Das Ver-

sammlungsrecht soll nicht dazu missbraucht werden, dasssich gewaltbereite Chaoten unter friedlichen Demonstran-ten verstecken und somit der Strafverfolgung entziehenkönnen. Das Versammlungsrecht ist das Recht der freienMeinungsäußerung. Diese soll uneingeschränkt erhaltenbleiben.

Meine Damen und Herren, Versammlungsrecht ist Bundes-recht. Die Innenministerkonferenz hat bereits am 24. No-vember 2000 den Bundesinnenminister aufgefordert, einenGesetzentwurf zur Änderung des Versammlungsrechts vor-zulegen. Dies ist bis zur Stunde nicht geschehen. Immerwenn ein aktueller Anlass da ist, immer dann kündigt dieBundesregierung vollmundig entsprechende Initiativen an.Nur leider bleibt es meist bei den Worten. Ich hoffe, dieWähler werden bei ihrer Wahlentscheidung darauf achten.An den Taten soll man sie erkennen.

Es geht, um konkret zu werden, um die Konkretisierung derVerbotsnorm des § 15 des Versammlungsgesetzes und dieerweiterte Möglichkeit zur Schaffung so genannter be-friedeter Bereiche nach § 16 des Versammlungsgesetzes.Nach geltender Rechtslage kann eine Versammlung grund-sätzlich nur dann verboten werden, wenn die Durchführungder Versammlung zur Gefährdung der öffentlichen Ord-nung und Sicherheit erkennbar führt. Aktuelle Rechtspre-chung dazu ist, dass nur das vorhersehbare Begehen vonStraftaten aus der Demonstration heraus, nicht aber schondie Äußerung verfassungsfeindlicher Inhalte eine unmittel-bare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnungdarstellt.

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Abgeordneter Wolf, Ihre Zeit ist abgelaufen, einenletzten Satz.

(Beifall bei der SPD)

Abgeordneter B. Wolf, CDU:

Ich versuche kurz zum Schluss zu kommen. Es geht darum,dass - entsprechend der Rechtsprechung besonders für Ge-denkstätten und Denkmäler für die Opfer von Krieg undVerfolgung, für ehemalige Konzentrationslager sowie fürFriedhöfe - durch ein Gesetz befriedete Bezirke bestimmtwerden können. In diesen befriedeten Bezirken sind Ver-sammlungen nur dann zulässig, wenn sie den Schutzzwecknicht beeinträchtigen.

Präsidentin Lieberknecht:

Jetzt ist aber Schluss.

Abgeordneter B. Wolf, CDU:

Ich erwarte von der Thüringer Landesregierung,

(Beifall bei der PDS, SPD)

5344 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

im Bundesrat entsprechende Initiativen zu ergreifen.

Präsidentin Lieberknecht:

Sie können nicht unbegrenzt überziehen. Ich denke, dasAnliegen des Antrags der Aktuellen Stunde ist erkannt.

Abgeordneter B. Wolf, CDU:

Ich gehe davon aus, dass wir sicherlich dem Konsens ent-sprechend die Landesregierung beauftragen.

Präsidentin Lieberknecht:

Ich muss Ihnen jetzt das Wort entziehen. Herr Abgeord-neter Dr. Hahnemann, PDS-Fraktion, hat das Wort.

Abgeordneter Dr. Hahnemann, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Justiz-minister hat angekündigt, sich für eine Verschärfung desVersammlungsrechts stark zu machen; Herr Wolf hat ver-sucht, etwas hilflos versucht, zu begründen weshalb. DieAnlässe: Rechtsextreme Versammlungen an geschichts-trächtigen Orten und Daten, z.B. die Neonazidemo inWeimar oder die Demonstrationsanmeldung von Rechts-extremen in Weimar für den 9. November. Eines ist richtig,solche Veranstaltungen dürfen in einer Demokratie nichtunwidersprochen hingenommen werden. Rechtsextre-misten sollen nicht unwidersprochen rassistische und men-schenverachtende Ansichten propagieren dürfen.

(Beifall bei der PDS)

Bleibt aber die Frage nach dem Wie, nach der Form desWiderspruchs gegen undemokratisches und menschenver-achtendes Denken und Tun. Die Landesregierung schlägteine administrative Lösung vor. Staatliche Behörden sollendurch strenge Auflagen vor und während der Versamm-lungen Gewalt verhindern und durch Demonstrations-verbote verhindern, dass bestimmte Meinungen unterbestimmten Umständen in der Öffentlichkeit geäußertwerden. Solche Verbote sollen generell für "sensible", alsowohl historisch und politisch bedeutsame Orte und Daten,möglich werden. Dagegen gibt es mindestens drei schwerwiegende Einwände.

1. Die Wahrung des Verfassungsrechts auf Versammlungs-freiheit, das spätestens seit dem Brockdorf-Urteil von1985 einen Minderheitenschutz sichern soll und ein"Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeit und Art und Inhaltder Veranstaltung" garantiert. Somit gerät mit Ihren Vor-schlägen, meine Damen und Herren, ein gehöriges StückGrundrecht auf Versammlungsfreiheit unter die Räder.

(Beifall bei der PDS)

Ein solcher Vorschlag der CDU/CSU-Bundestagsfraktionhat im Innenausschuss durch Rechtswissenschaftler und

Experten aus der Praxis schon eine Abfuhr erlitten.

2. Wenn der Ministerpräsident Recht hat, dass Toleranzund Verantwortung die Voraussetzungen für Freiheit sind,dann ist es unlogisch, den "Aufstand der Anständigen" zupropagieren und gleichzeitig diesen Anständigen das pro-bate Mittel des Widerspruchs gegen die Vereinnahmungder Straße durch den Rechtsextremismus zu entziehen odereinzuschränken.

(Beifall bei der PDS)

Außerdem ist das Problem nun einmal nicht mit Verbotenzu beheben. Wer undemokratische, menschenverachtendeoder rassistische Parolen schreiend die Straßen unsichermacht, der sollte auf die drei-, vier- oder zehnfache Mengevon friedliebenden und mündigen Bürgern stoßen, die sichdem in den Weg stellen und damit demonstrieren: Daswollen wir nicht und euch wollen wir so nicht!

(Beifall bei der PDS)

Demokratie ist nicht durch Restriktion, sondern nur durchEntfaltung zu sichern. Das Engagement für die Köpfe, fürein demokratisches Fühlen und Denken der Menschen istdie eine Aufgabe. Die Sicherung demokratischer Verhält-nisse im öffentlichen Raum bedarf aber auch der Mög-lichkeiten, sich ggf. auch demonstrativ dafür einsetzen zukönnen. Die angemessene und wirksamste Antwort aufrechtsextreme Aufmärsche ist also nicht der administrativeund prohibitive Eingriff in das Versammlungsrecht, son-dern die öffentliche Auseinandersetzung, der demokra-tische Widerspruch aller. Das hat man in Weimar ge-sehen und zuletzt auch in Frankreich.

3. Jede administrative Antwort auf die gegenwärtigen undzukünftigen Probleme behindert nicht nur die aktiven undengagierten Bürger, sie unterstützt auch bei vielen Bürgerndie weit verbreitete Vorstellung, es sei Angelegenheit desStaats, solche Gefährdungen der Demokratie zu beheben.Sie ist die Verlockung zur "Entantwortung" des Einzelnenvon der Notwendigkeit ganz eigenen Engagements fürDemokratie, für Humanismus, für ein friedliches Mitein-ander. Die Vorschläge der Landesregierung würden denIrrglauben nähren, die Ordnungsämter und die Polizei-einheiten könnten letztlich die Demokratie sichern und mankönnte sich gemütlich beim "Mutantenstadl" zurück-lehnen, wenn auf der Straße propagiert wird, schwarzeHautfarbe sei schlimmer als braune Gesinnung.

Auf die Vorschläge der Landesregierung haben wir nurzwei Antworten: Es braucht keine Verschärfung des Ver-sammlungsrechts. Was im Versammlungsrecht im vorge-gebenen Rahmen möglich ist, lässt sich mit dem geltendenVersammlungsgesetz erreichen. Zum anderen muss dieAntwort auf rechtsextreme Aufmärsche ganz vorrangigeine öffentliche bürgerschaftliche, eine politische und einedemokratische sein. Wenn dafür dann noch administrativeUnterstützung nötig sein sollte, dann sollten Sie, meine

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5345

Damen und Herren, diejenigen ermutigen und unterstützen,die den Anfängen wehren wollen, statt die Katastrophezu verbieten. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat Herr Abgeordneter Schemmel, SPD-Fraktion.

Abgeordneter Schemmel, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,zur Notwendigkeit der Gewährleistung der Grundrechtebrauche ich heute nichts mehr zu sagen, das ist ausgeführtworden, erst einmal heute früh vom Ministerpräsidenten,da war ich ihm sehr dankbar. Er hat zwar nicht zur Ver-sammlungsfreiheit gesprochen, aber Grundrechte sind sonicht teilbar. Zudem ist von Herrn Dr. Hahnemann jetztetwas dazu gesprochen worden, da bin ich auch immersehr dankbar, wenn diese Worte "Gewährleistung vonGrundrechten" von der PDS kommen, weil da doch hinund wieder einmal Nachholbedarf besteht.

(Zwischenruf Abg. Dr. Hahnemann, PDS: Ichhabe das meine getan.)

Meine Damen und Herren, es gibt bereits heute ausrei-chend, natürlich gesetzlich normierte Einschränkungendieses Grundrechts. Ich will jetzt nicht die ganzen Be-stimmungen des Versammlungsgesetzes, was im StGBsteht, Propagandadelikte, welche Organisationen überhauptgar nicht anmelden dürfen und wer praktisch ausgeschlos-sen werden kann, bei welchem Verhalten aufgelöst werdenkann. Das kann ich jetzt in den fünf Minuten nicht allesbringen.

Ich will bloß darauf hinweisen, dass letztlich die Ver-sammlungsbehörden, das sind in Thüringen die Land-kreisämter oder die kreisfreien Städte, wenn die öffentlicheSicherheit und die öffentliche Ordnung unmittelbar ge-fährdet ist, Verbote aussprechen und Auflagen anordnenkönnen. Da gibt es sehr gute Beispiele, bloß, die müssenwirklich verhältnismäßig sein und gut begründet. Ich er-innere an die Verbotsverfügung der Stadtverwaltung Wei-mar für die am 1. Mai 2000 geplante NPD-Demonstration.Eine ausgesprochen saubere Verbotsverfügung, wie gesagt,gut begründet und damit auch, wie man so schön sagt,gerichtsfest, denn sie hat einer gerichtlichen Überprüfungin zwei Instanzen standgehalten. Das heißt, wenn man denNachweis führt, dass die öffentliche Sicherheit unmittel-bar gefährdet ist, dann steht auch so eine Verbotsverfügungund dann ist sie auch gerichtsfest. Ich will weiterhin, wennich einmal bei Weimar bin, an die Bevölkerung Weimarserinnern, die bei einer letztlich nicht zu verbietenden De-monstration, nämlich am 20. April, ihren Bürgerwillenentgegengestellt und gezeigt hat und Weimar repräsen-tiert hat nach außen als bunt und farbenfroh und nicht als

braun. Da will ich ein Wort zum 20. April sagen. Wennich am 20. April Demonstrationsverbote aus dem Tagdes 20. April heraus verhängen wollte, dann wäre mir daseine große Ehre für einen gemeinen Verbrecher. Es gibtalso ausreichende Instrumente zum Verbieten, zum Ein-schränken und zum Bekunden seines Willens. Sie wollenjetzt eine Möglichkeit schaffen, das Versammlungsrechtstärker einzuschränken. Der Wunsch ist verständlich, aberlassen Sie uns das mal an einigen Beispielen durchdekli-nieren. Es gibt Bannkreise, die sind im Versammlungs-gesetz niedergeschrieben, zum Schutz der Parlamente undzum Schutz des Bundesverfassungsgerichts. Wenn Sie jetztnoch weitere Bannkreise fordern wollten, sagen wir malBuchenwald, mein Gott, wer will denn dann den ehemali-gen Häftlingen in Buchenwald verbieten zu demonstrieren,wer will denn verbieten, dass die dort Aufmärsche machen.Oder etwas anderes, Burschenschaftsdenkmal, habe ichgerade gelesen in der Zeitung aktuell, ja, wer soll denn danicht mehr demonstrieren können am Burschenschaftsdenk-mal, die Burschenschaften etwa oder die Gegendemonstran-ten, die unbeliebten Gegendemonstranten in diesem Fall.Verbot von Versammlungen an bestimmten Gedenktagen- Holocaust-Gedenktag, na ja, wer will denn dann aber andem Holocaust-Gedenktag Demonstrationen verbieten, eskönnen sich ja auch Leute dort versammeln wollen, die derOpfer des Holocaust gedenken wollen. Es hat eine Ver-botsverfügung zum Holocaust-Gedenktag in Berlin ge-geben, aber natürlich nicht, weil es der Gedenktag war,sondern weil die öffentliche Sicherheit und Ordnung andiesem Gedenktag gefährdet worden wäre. Sie merken alsomit mir sofort, um die jeweils unliebsamen Demonstrantenausschalten zu müssen - und da gibt es eine größere Anzahlvon Konstellationen, Linksextremisten, Rechtsextremistenusw. -, müsste man politisch ausgerichtete Gesetze schaf-fen. Das können wir ja eigentlich alle gar nicht wollen,denn ein das Grundrecht einschränkendes Gesetz mussfür alle gleich sein, da das Grundrecht natürlich auch füralle gleich ist. Der Wunsch, nicht genehme Veranstaltungenüber das bisher Mögliche hinaus von vornherein präventivzu verbieten, der muss ins Leere gehen meine Damen undHerren. Dieser Wunsch, wenn ihm einmal nachgegebenwird, könnte ja auch für manche unter bestimmten Be-dingungen dann übermächtig werden und das wollen wirdoch eigentlich nicht in die Wege leiten.

(Beifall bei der SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Weitere Redemeldungen aus dem Plenum gibt es nicht,aber Herr Staatssekretär. Herr Koeppen, Sie haben dasWort.

Koeppen, Staatssekretär:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, am 20. Aprilfand in Weimar eine rechtsextremistische Demonstrationstatt. Es hat in der Öffentlichkeit große Empörung aus-gelöst, dass an diesem Tag Rechtsextremisten demonstrie-

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ren konnten und durften. Deshalb ist es zu begrüßen, dasswir in dieser Aktuellen Stunde erörtern können, welcheMöglichkeiten bestehen, den Versammlungsbehörden einegerichtsfeste Handhabe zu geben, solche rechtsextremisti-schen Versammlungen im größeren Umfang zu verbietenals dies bislang nur möglich war.

Vorweg, meine Damen und Herren, noch ein Wort zurDemonstration am 20. April selbst. Unsere Sympathienhaben natürlich die Bürger, die mit ihrer Teilnahme an denfriedlichen Gegenveranstaltungen ein Zeichen dafür gesetzthaben, dass Thüringen ein weltoffenes Land ist und denbraunen Spuk nachdrücklich ablehnt.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Hochachtung gebührt den jungen Schülerinnen und Schü-lern, die in Weimar den Rechtsradikalen ihren friedlichenProtest auf selbst gefertigten Plakaten entgegengehalten ha-ben. Der Mut dieser Jugendlichen, demonstriert in denBildern dieses 20. April, hat sicher viele Menschen sehrbeeindruckt.

Was ist zu tun? Zunächst, es wäre falsch zu sagen, wirbräuchten keine Gesetzesänderung, wie es eben geschehenist, es genüge, wenn die Versammlungsbehörden und Ge-richte die bestehenden Gesetze konsequent anwendeten.Nein, meine Damen und Herren, mit dem bestehendenRecht kann solchen extremistischen Versammlungen nursehr unzulänglich begegnet werden. Was wir brauchen,sind Änderungen des Versammlungsgesetzes, die den Ver-sammlungsbehörden eine gerichtsfeste Handhabe geben,solche rechtsextremistischen Versammlungen im größerenUmfang zu verbieten als dies bislang nur möglich war.

Ich darf Sie erinnern an die Entscheidung des ThüringerOberverwaltungsgerichts vom 17. April dieses Jahres, dasdemonstriert hat, dass es schwer ist, gerichtsfeste Entschei-dungen zu treffen. Richtig ist allerdings auch, dass unserGrundgesetz keine substanziellen Eingriffe in das Ver-sammlungsrecht zulässt.

Meine Damen und Herren, wir wollen daher auch keinesubstanziellen Eingriffe in das Versammlungsrecht, wederin seinem Randbereich noch in seinem Kernbereich. Wirwollen dieses wichtige Grundrecht nicht einschränken,sondern es vor Missbrauch schützen. Nur so kann diesesGrundrecht selbst geschützt werden und die erforderlicheAkzeptanz in der Bevölkerung erfahren. Versammlungs-recht ist Bundesrecht. Die Rechte und Pflichten der Ver-anstalter und Teilnehmer von Demonstrationen können wirin Thüringen - und hier müssen wir leider sagen - leider,nicht allein regeln. Es ist deshalb außerordentlich zu be-dauern, dass Bundesinnenminister Schily seinen seit an-derthalb Jahren angekündigten Gesetzentwurf zur Ver-schärfung des Versammlungsrechts immer noch nicht vor-gelegt hat. Aber damit nicht genug, die rotgrüne Mehrheitim Bundestag lehnte entsprechende Vorschläge der CDU/-CSU-Bundestagsfraktion strikt ab. Dies führte in der ver-

gangenen Woche im Bundestag zum endgültigen Scheiternder Gesetzesinitiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.Aber, meine Damen und Herren, Sie können sicher sein,was die Landesregierung tun kann, um die notwendigenÄnderungen des Versammlungsrechts auf den Weg zubringen, das tut sie.

Thüringen bereitet eine Bundesratsinitiative zur Änderungdes Versammlungsgesetzes vor. Dies ist nach der Blockadeder Initiative auf Bundesebene durch die rotgrüne Mehr-heit notwendiger denn je.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir daher dieKernpunkte der vorgesehenen Bundesratsinitiative zur Än-derung des Versammlungsrechts, so wie sie sich nach der-zeitigem Stand darstellen, kurz zu erläutern.

1. Der Bund und die Länder sollten die Möglichkeit er-halten, durch Gesetz befriedete Bezirke für Örtlichkeiten zubestimmen, an denen extremistische Versammlungen aufdie Bevölkerung in besonderer Weise provokativ wirken.Wir prüfen die Möglichkeit der Einrichtung von befrie-deten Bezirken, insbesondere bei Gedenkstätten und Denk-mälern für die Opfer von Krieg und Verfolgung bei ehe-maligen Konzentrationslagern und bei Friedhöfen.

2. Geprüft wird der Schutz besonderer Gedenktage durchdas Versammlungsgesetz. Als ein weiterer Gedenktag ne-ben dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar kommt etwader 9. November in Betracht. Zugleich sollte aber auch denVersuchen zur Etablierung negativer Gedenktage durch denMissbrauch des Versammlungsrechts entgegengetretenwerden. Als solche negativen Gedenktage kommen etwadie seit Jahren immer wieder angestrebten Heß-Gedenk-tage zum Jahrestag des Todes des Hitlerstellvertreters am17. August oder auch rechtsextremistische Versammlungenwie am 20. April 2002 in Weimar in Betracht. Die konkreteFestlegung dieser negativen Gedenktage bliebe der ver-sammlungsbehördlichen Praxis und der dazu ergehendenRechtsprechung vorbehalten.

3. Man muss prüfen, ob es eine Pflicht von Veranstalterund Versammlungsleiter zur Gewährleistung der Friedlich-keit der Versammlung gegenüber dem eigenen Anhang ge-ben muss. Bei der vor dem Verbot einer Versammlung an-zustellenden Gefahrenprognose wäre in der Folge zwin-gend zu berücksichtigen, ob der Veranstalter im Vorfeldder Versammlung dieser Pflicht nachgekommen ist. Ist erdieser Pflicht nicht nachgekommen, könnte die Demons-tration verboten werden.

4. Versammlungen, die darauf abzielen oder geeignet sind,das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, solltenunzulässig sein. Dies trüge dem Verfassungsgebot des Ar-tikels 26 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes Rechnung. Da-nach sind Handlungen verfassungswidrig, die geeignet sindund in der Absicht vorgenommen werden, das friedlicheZusammenleben der Völker - wie es heißt - zu stören.Dieser Verfassungsbestimmung, die sich nicht nur an den

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Staat, sondern auch an Private richtet, kann unmittelbarim Versammlungsgesetz Rechnung getragen werden. Stö-rung im Sinne dieser Bestimmung ist jedes Propagiereneines nationalistischen, rassistischen oder religiösen Hasses.Hierzu gehört natürlich auch der Versuch, zu Diskriminie-rung, Feindseligkeit oder Gewalt aufzustacheln.

Meine Damen und Herren, die NPD hat bereits wiedereine Demonstration für den 9. November dieses Jahres inWeimar angemeldet. Auch dies zeigt, dass dringenderHandlungsbedarf für den Bundesgesetzgeber besteht. Esgeht darum, den Missbrauch des Versammlungsrechtsdurch Einzelne zu verhindern, ohne das Versammlungs-recht für alle einzuschränken. Die Landesregierung for-dert daher die Unterstützung für Änderungen des Ver-sammlungsrechts durch alle Demokraten, meine Damenund Herren. Dabei sind wir offen für inhaltliche Ände-rungen und Anregungen und Verbesserungsvorschläge beiden einzelnen Bestandteilen der beabsichtigten Bundes-ratsinitiative. Die Notwendigkeit, für die Änderung desVersammlungsgesetzes eine parlamentarische Mehrheit zubekommen, erfordert ein hohes Maß an Kompromissbe-reitschaft. Allerdings - und darauf müssen wir bestehen,meine Damen und Herren -, es muss zu Änderungen desVersammlungsgesetzes kommen, die in die beschriebeneRichtung gehen. Wer sich dem verweigert, trägt unseresErachtens sicher die Mitverantwortung dafür, wenn wiederam 20. April oder - wie bereits von der NPD angekündigt -am 9. November in Weimar Rechtsextremisten aufmar-schieren. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Einen kleinen Moment. Anfragen in der Aktuellen Stundesind nicht gestattet.

(Zuruf Abg. Schemmel, SPD: Ich möchtesprechen.)

Ach, Sie möchten noch einmal das Wort ergreifen. Das istmöglich. Bitte. Herr Dittes auch, ja? Gut. Also, dann HerrSchemmel und Herr Dittes. Zeit ist noch vorhanden, auchdurch die längere Rede des Herrn Staatssekretärs.

Abgeordneter Schemmel, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,hier kann man natürlich einiges nicht stehen lassen. ZumBeispiel kann man schon den letzten Satz nicht stehenlassen, der sinngemäß heißt: Wer nicht mit uns das Ver-sammlungsrecht ändert, stellt sich auf die Seite derjenigen,die dann am 9. November demonstrieren werden. Das istjetzt kein Zitat, ich habe es nicht mehr so genau im Kopf,ich weiß nicht, ob es richtig dargestellt ist, aber so sinnge-mäß doch wohl. Ich glaube, das kann nicht sein. Das Ver-sammlungsrecht basiert auf der Versammlungsfreiheit, daswissen wir nun alle, es ist genug betont worden. Es hat

in der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland - ichmeine jetzt den westlichen Teil - sicherlich eine lange Ent-wicklung, eine lange Rechtsprechung, eine lange Ausfor-mung dieses Gesetzes, des Umgangs mit dem Gesetz ge-geben. Bei allen anderen Fragen, die wir hier behandeln,wird darauf abgehoben, dass dieses Grundgesetz mit seinenEigenschaften - wenn ich zum Beispiel an direkte Demo-kratie denke oder so etwas - eigentlich das Nonplusultra seiin seiner Ausformung und seiner Gestaltung. Wenn es aberdann einmal nicht so richtig in den Streifen passt und wennvielleicht dann auch noch Wahlkampfzeiten bevorstehen,dann möchte Herr Dr. Birkmann mit einer solchenBundesratsinitiative sicherlich auch politische Akzentesetzen. Ich denke, in dieses Boot können wir uns nicht mithinein begeben und ich denke, dass es eigentlich unkorrektist, diese letzte Bemerkung dann anzubringen und dass esunserem Freistaat Thüringen nicht einmal gut zu Gesichtsteht, eine solche Bundesratsinitiative zu starten, weil dieAblehnung jetzt im Bundesrat sicherlich nicht aus ledig-lich politischen Motiven erfolgt ist, sondern sicherlich auchaus Gründen einer Prüfung der Rechtsmaterie. Ich glaubenicht, dass es in § 15 Versammlungsgesetz weitere Ein-schränkungen geben kann, die dort tief greifender wirkenkönnen. Deswegen weise ich erst einmal diese letzte Äuße-rung zurück und unterstelle der Landesregierung unglück-liches politisches Agieren, in dieser Vorwahlkampfzeiteine politische Initiative zu einem solchen sensiblen Punktan dieser Stelle einzubringen. Ich hatte in der Entgegnungzur Regierungserklärung ja schon andere sensible Punkteaufgegriffen, wo sich die Landesregierung bemüht, auf Fel-dern, wo man wirklich weiß, dass es ein öffentliches Pro-blem ist und wo man die Aufmerksamkeit der gesamtenBürgerinnen und Bürger auf seiner Seite hat, noch einmalBundesratsinitiativen zu starten. Ich denke aber, wenn manweiß, dass diese Initiative nicht laufen kann und dass sieletztlich nur eine Wahlkampfaktion startet, ist dies un-redlich.

(Beifall bei der SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat der Abgeordnete Dittes, PDS-Fraktion.

Abgeordneter Dittes, PDS:

Meine Damen und Herren, Herr Wolf, Ihre Ausführungenhaben mir gezeigt, dass Sie das Versammlungsrecht derBundesrepublik Deutschland nicht verstanden haben, wennSie mit Verweis auf den 1. Mai dieses Jahres in Berlin derMeinung sind, eine Verschlechterung der Versammlungs-freiheit würde Gewalttaten verhindern können und damitauch der Straftatbekämpfung dienen. Gewalttaten, HerrWolf, unterliegen nicht dem Versammlungsrecht, sie sindnicht anmeldepflichtig, sie sind und bleiben Straftaten, woeben die Möglichkeiten im Polizeirecht gegeben sind,dagegen vorzugehen und diese Straftaten entsprechend zuahnden. Allein eine Unterstellung, sofern sie sich nicht auftatsächliche Belege stützen kann, rechtfertigt keinerlei

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Einschränkung und keinerlei Vorverurteilung von ange-meldeten, auch politischen Demonstrationen. Ich will ganzkurz auf eine Folge auch Ihrer hier wieder im Titel derAktuellen Stunde fortgesetzten Gleichsetzung von Linksund Rechts eingehen, indem Sie dort schreiben: "Auf-marsch extremer Gruppen", das sind eben nicht mehr diepolitisch extremistischen Gruppen, sondern Sie meinen, dasProblem bereits beschreiben zu können, wenn Sie sagen, eshandelt sich hierbei um extreme Gruppen, die das Problemdarstellen. Das Problem, was für Sie offensichtlich steht- und das ist eben auch die Folge, die in dieser Gleich-setzung eintritt -, ist letztendlich nichts anderes als dieVerharmlosung von rechtsextremistischer Ideologie, vonrechten Ideologieansätzen, wenn Sie meinen, das ersteProblem, welches sich für den Freistaat Thüringen aussolchen rechtsextremistischen Demonstrationen ergibt, isteine Schädigung des Ansehens in der Öffentlichkeit auchüber Thüringen hinaus, auch über die BundesrepublikDeutschland hinaus. Sie entpolitisieren auch das Problemdes vorhandenen Rechtsextremismus, wenn Sie meinen,derartige Demonstrationen an solchen Tagen und an sol-chen Orten stellen lediglich provokantes Handeln dieserpolitisch rechtsextremistischen Gruppen dar. Wenn mander Meinung ist, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, dass tatsächlich Ansehen das eigentliche Problemfür den Freistaat Thüringen ist, dann ist in der Tat dieRechtslage das eigentliche gesellschaftliche Problem. Aberich möchte Ihnen sagen, nicht die Rechtslage ist das Pro-blem, sondern das Vorhandensein einer extremen Rechten.

Meine Damen und Herren, so unangenehm Demonstra-tionen rechtsextremistischer Gruppierungen in Thüringen,ganz gleich an welchem Ort und ganz gleich an welchemDatum, auch sein mögen - und da mache ich zum Bei-spiel natürlich an besonders sensiblen Orten auch einenUnterschied für mich, aber für mich sind sie, Herr Wolf,gleichfalls auch an anderen Orten und an anderen alsdiesen sensiblen Daten sehr unangenehm -, desto wenigersind sie aber auch, allein betrachtet, eine Gefahr für dieDemokratie, sondern die eigentliche Gefährdung der De-mokratie sind die darin vertretenen Inhalte, die auf De-monstrationen propagiert werden und die eigentliche Ge-fahr für die Demokratie sind die vorhandenen rechten Ideo-logieansätze, die eben nicht auf Demonstrationen vertreten,propagiert werden, sondern die oftmals auch in gesell-schaftlichen Auseinandersetzungen und darüber hinaus imsozialen Nahraum eine Rolle spielen und Gegenstand ge-sellschaftlicher Auseinandersetzungen sind. Aber dort sindsie eben für uns nicht sichtbar und deswegen, meine Da-men und Herren, können wir Ihre Forderung nach einemVerbot der öffentlich wahrnehmbaren Symptome nichtnachvollziehen, wenn dadurch die Wurzeln des eigent-lichen Problems, nämlich die rechten Idiologieansätze ausdem Blickfeld der Auseinandersetzung verschwinden unddamit auch aus dem Blickfeld der politischen Auseinander-setzung im Streit um Gegenkonzepte gegen rechtsextre-mistische Ideologie- und Politikansätze.

Herr Koeppen, abschließend möchte ich Ihnen ähnlich wiemein Kollege Schemmel von der SPD sagen: Wir werdennicht Ihrem Aufruf folgen, ohne uns aber als PDS-Frak-tion von Ihnen daraufhin zurufen zu lassen, wir würdendamit den Kreis der Demokraten in Thüringen verlassen.Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Präsidentin Lieberknecht:

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Damit schließeich auch diesen zweiten Teil der Aktuellen Stunde.

Wir kehren zurück zur laufenden Tagesordnung und ichrufe auf den Tagesordnungspunkt 5

Umsetzung des Wanderfisch-programmsAntrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/2349 -

Die Landesregierung hat die Erstattung eines Sofortberichtsangekündigt. Ich gehe davon aus, dass der Einreicher nichtgesondert begründet oder möchte er begründen? Nein, ermöchte nicht. Dann kann ich unmittelbar der Landesre-gierung, Ihnen, Herr Minister Dr. Sklenar, das Wort zumSofortbericht erteilen. Bitte.

Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Natur-schutz und Umwelt:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und HerrenAbgeordneten, durch Beschluss des Landtags vom 8. Juni2000 war der Antrag zum Wanderfischprogramm Thü-ringen an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaftund Forsten federführend überwiesen und sodann beidiesem sowie dem Ausschuss für Naturschutz und Umweltin insgesamt acht Sitzungen behandelt worden.

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenhat in seiner 15. Sitzung am 28. September 2000 vom In-strument der öffentlichen Anhörung Gebrauch gemacht.Dabei wurden sowohl die Interessenlage der Anzuhörendenwie z.B. durch die Naturschutzverbände, Wasserkraftbetrei-ber, aber auch anerkannter Sachverständiger wie die Bau-haus-Universität Weimar angesprochen als auch Chanceneines gemeinsamen Vorgehens erörtert. Die dabei an dieLandesregierung gerichteten Empfehlungen, ein Fließge-wässerschutzkonzept zu erstellen, die in vielen Punkten un-ter Berücksichtigung der Anhörung vom 28. September2000 über den ursprünglichen Antrag hinausgehen, spre-chen nicht nur finanzielle Aspekte für die Herstellung derDurchgängigkeit, sondern darüber hinaus auch eine Viel-zahl an fachlichen Belangen. Als Kernaussage wurde for-muliert: Auf der Basis der Strukturgütekartierung sollein ressortübergreifendes Konzept zum Fließgewässer-schutz in Thüringen, in dem die Wiederherstellung derPassierbarkeit eingebettet ist, erarbeitet werden. Nachdem

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5349

im Jahr 2001 sowohl die Broschüren "Durchgängigkeit"als auch "Strukturkartierung in Thüringen" mit Kartenerschienen sind, wurde ein die Inhalte des Wanderfisch-programms berücksichtigendes Konzept zum Fließge-wässerschutz konzipiert. Dieses Fließgewässerschutzkon-zept wird in dem Rahmen der zwischenzeitlich verab-schiedeten Europäischen Wasserrahmenrichtlinie wegenseiner unmittelbaren Integration in deren Zielstellung undUmsetzung gestellt werden. Das Konzept besteht aus vierEinzelprogrammteilen: a) Gewässergüte, b) Gewässer-struktur, c) Durchgängigkeit/Wanderfisch, d) Hochwasser-schutz. Jeder Programmteil ist hinsichtlich seiner Inhalteeigenständig konzipiert. Die vorgesehenen Maßnahme-umsetzungen ergänzen und bedingen sich. Als verbinden-des Element zwischen den Programmteilen sind Gewässer-entwicklungspläne vorgesehen, die unter Berücksichtigungder Ergebnisse der Bestandsaufnahmen nach der Euro-päischen Wasserrahmenrichtlinie einschließlich der Ge-wässergüte und Gewässerstrukturkarten Thüringens dieSchwerpunkte sowie Zeit- und Reihenfolge der Maßnah-men bis zum In-Kraft-Treten des 1. Bewirtschaftungsplansgemäß Europäischer Wasserrahmenrichtlinie im Jahr 2009festsetzt. Nachdem in den vergangenen zwölf Jahren durcheine Vielzahl von Maßnahmen der Abwasserreinigung eineerhebliche Verbesserung der Wassergüte als Teil einer sehrerfolgreichen und effizienten Umweltpolitik eingetreten ist,sollen mit der Durchgängigkeit der Gewässer der Erhalt,Ausbreitung bzw. Wiederansiedlung einer artenreichen undstandortgerechten Gewässerflora und -fauna ermöglichtwerden. Im Rahmen der Gewässerunterhaltung wurden inden Jahren 1991 bis 2000 51 Sohlgleiten, Sohlrampensowie 12 Fischaufstiege im Zuge der Sanierung wasser-wirtschaftlicher Anlagen errichtet. Weitere 10 Anlagenwurden im Jahr 2001 durch das Land an Gewässern ersterOrdnung realisiert; 14 weitere Maßnahmen sind für dasJahr 2002 vorgesehen. Es verbleiben weitere 228 Umge-staltungen. Hierin nicht inbegriffen sind die Anlagen undFließstrecken an den zahlreichen kleineren und mittel-großen Gewässern zweiter Ordnung.

Kernproblem, meine sehr verehrten Damen und Herren,bleibt natürlich die Finanzierung. Der notwendige Finanz-bedarf für diese Maßnahmen vor dem Hintergrund weitererMaßnahmen in Gewässer und Erhaltung, Gewässeröko-logie, Fischerei, Natur- und Artenschutz, möglichst unterEinbeziehung von Kofinanzierung aus europäischen Pro-grammen, wird für die Haushaltsplanung aufgearbeitet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Jahr 2001wurde ein Gutachten zur Erstellung der aktuellen Fisch-population und Schlussfolgerungen zur Wiederansiedlungheimischer Fischarten in Auftrag gegeben, welches Ende2002 vorgelegt werden soll. Im ersten Zwischenberichtwird auf die Auswertung von 360 Elektrobefischungen undca. 5.000 Einzeldaten bis zum Ende des Jahres 2001 ver-wiesen; sie wird gegenwärtig fortgesetzt. Erste und damitvorläufige Einschätzungen bis zu diesem Zeitpunkt stellenauf einige Neubefunde von Fischarten in Gewässern ab, indenen sie bis 1996 als verschollen galten. Die Verbesserung

in der Bestandsentwicklung kann auf die Verbesserung derWasserqualität, Maßnahmen zum Bestandsaufbau sowiein bestimmten Gewässerabschnitten auf gewässerbaulicheMaßnahmen zurückgeführt werden. Das trifft auch den Aalals so genannten Langdistanzwanderfisch, der in allen dreiFlussgebieten an vielen Standorten wieder gefunden wurde.Die beiden anderen heimischen und typischen Langdis-tanzwanderfischarten Meerforelle und atlantischer Lachswurden bisher noch nicht nachgewiesen. Bei der Schaffungder Durchgängigkeit der historisch nachweisbaren Laichge-wässer werden die besonderen Ansprüche dieser Art zuberücksichtigen sein. Die anderen heimischen Fischarten,die zwischen ihren Laich- und Aufwuchsgebieten wandern,wie Bachforelle, Bachneunauge, Aland, Barbe, Döbel,Moderlieschen, Erlitze, Hasel und Nase konnten zuneh-mend ihre ehemals angestammten Lebensräume wiederbesiedeln. Bitterlinge und Nase sind als echte Neufundewieder nachgewiesen und gelten dementsprechend nichtmehr als verschollen. Die gesamte Datenbank für die Thü-ringer Fischfauna wird bis zum Ende des Jahres 2002 aufder Grundlage des Gutachtens aktualisiert und als neu über-arbeitete Auflage der Broschüre "Fische in Thüringen" zuBeginn des kommenden Jahres vom Ministerium ver-öffentlicht. Fischereiverbände und Fischereiverwaltungenerstellen derzeit für ausgewählte Fließgewässer bzw. Fließ-gewässerbereiche Teilprogramme, die späterhin mit demFortschreiten der Gewässerdurchgängigkeit im ThüringerWanderfischprogramm verknüpft werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie michabschließend noch kurz etwas zu einem aktuellen Problemsagen: In den letzten Monaten hat es von Seiten der Fische-reiverbände vermehrt Klagen über Kormoranschäden anFischbeständen gegeben und es wird befürchtet, dass die imZusammenhang mit dem Wanderfischprogramm getroffe-nen Maßnahmen durch den Einfluss der in Thüringen über-winterten Kormorane wirkungslos bleibt. Hierzu ist zusagen, dass in Thüringen das Kormoranproblem nicht ge-löst werden kann. Es bedarf eines europaweiten Manage-ments der Kormoranbestände, denn wenn ich hier wirk-lich eingreifen will in die Bestände, dann muss ich in dieBrutgebiete gehen und nur dort kann ich etwas verän-dern. Für unsere Bemühungen um Renaturierung der Ge-wässer gibt es aber keine Alternativen. So erschwert einvielfältig strukturiertes Gewässer auch die Jagdmöglich-keiten für den Kormoran. Wegen der Kormoranproble-matik sind wir im Gespräch mit den Präsidenten der Thü-ringer Fischereiverbände. Wenn wir auch insgesamt keinallumfassendes Konzept haben, wie wir das Kormoran-problem lösen können, so sind wir uns doch einig, dass alleMaßnahmen, die zur Vertreibung, zur Vergrämung desKormorans führen, effektiver zu gestalten sind. Wir werdendeshalb eine so genannte Positivliste von Gewässern er-stellen, an denen zukünftig ohne weiteren Schadensnach-weis mehrjährige Genehmigungen für Kormoranabschüsseerteilt werden können. Ich denke, dass wir auf diesem Wegschnell zu einer Regelung kommen können und somit auchhier dazu beitragen können, die Ausbreitung des Kormo-rans zu regulieren. Natürlich müssen alle Maßnahmen, die

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im Zusammenhang mit der Kormoranbekämpfung stehen,eingebettet sein in die Artenschutzregelung der Euro-päischen Union. Meine sehr verehrten Damen und Herren,ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Ich frage die Fraktionen, ob jemand die Aussprache be-antragt. Der Herr Botz für die SPD-Fraktion, ja? Gut, dannkommen wir zur Aussprache und ich gebe das Wort demAbgeordneten Kummer, PDS-Fraktion.

Abgeordneter Kummer, PDS:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,es ist eigentlich ganz schön, dass wir uns heute mal wiederzum Thema Fische unterhalten, denn ich habe feststellenmüssen, gerade nach der Kormorandebatte vor zwei Mo-naten in diesem Haus, dass es doch noch einige Wissens-lücken zu dem Gebiet gibt. Unter anderem hat eine Thü-ringer Zeitung aus den Fischarten Elritze und Barbe, diein Thüringen bedroht sind, die Fischarten Felchen undBrachse gemacht. Die Felchen kommen in Thüringen garnicht vor und die Brachse ist ein Massenfisch, der sich injedem Gewässer herumtreibt.

(Heiterkeit bei der PDS)

Ich denke, wir müssen in dieser Hinsicht noch einiges tunan Aufklärung, auch Fischarten ein wenig bekannt machen,denn Spatz und Specht würde z.B. niemand verwechseln.

(Zwischenruf Abg. Wackernagel, CDU: Dawäre ich nicht so sicher, Herr Kummer.)

Es ist mir zumindest noch nicht untergekommen, dassjemand diese Schwierigkeit bei Vögeln hätte. Am 18. Aprilberichtete "Die Zeit" in einem umfangreicheren Artikel zurBedeutung von Landesparlamenten u.a. auch über die Kor-morandebatte im Thüringer Landtag und stellte sie als eineDebatte hin, die sich eben mit den Kleinigkeiten undLächerlichkeiten beschäftigt, mit denen sich Landespar-lamente allgemein beschäftigen würden. Ich denke, meineDamen und Herren, fischereiliche Fragen sind reine Lan-despolitik und auch gesellschaftlich eher kleine Problemekönnen für die Betroffenen große Folgen haben. Von derSeite her sollten wir uns dem Problem wirklich mit all un-serer Kraft widmen und deshalb auch hier eine ernsthafteDebatte zum Wanderfischprogramm betreiben.

Der Herr Minister hat in seinen Ausführungen vorhin schoneiniges gesagt. Das Wanderfischprogramm ist im Februar2001 in Auftrag gegeben worden und ist ein Bestandteil derMaßnahmen zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie.Von der Warte her kann es auch nicht aus dem Gesamt-zusammenhang herausgerissen werden. Die Wasserrah-menrichtlinie fordert bekanntlich bis zum Jahr 2015 einen

guten ökologischen Zustand unserer Gewässer. Maßstabfür das Erreichen dieses guten ökologischen Zustands istdie Bewertung der Gesamtheit der im Gewässer vorkom-menden Organismen. Hier ist die Betrachtung der Wander-fische allein nicht ausreichend, hier spielt wirklich die Ge-samtheit der Organismen im Gewässer die wesentlicheRolle.

Die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser erarbeitet zurzeiteine gewässertypbezogene und reproduzierbare Bewer-tung dieses guten ökologischen Zustands, so dass wir dannauch eine vernünftige Grundlage für die Einschätzung un-serer Gewässer haben. Wenn dann die vom Minister an-gekündigte neue Liste der bedrohten Fische in Thüringenherausgekommen sein sollte, werden wir die entsprechendeinordnen können. Wesentlich für Fließgewässerorganis-men ist eine gute Gewässerstruktur. Da ist einzuschätzen,dass wir in Deutschland zurzeit zwar eine gute Gewässer-güte haben in 80 Prozent der Gewässer, bei der Strukturhapert es aber noch und da können wir nur mit 20 Pro-zent der Gewässer zufrieden sein.

Ein wesentliches Kennzeichen für eine gute Struktur ist dieDurchgängigkeit, die das Wanderfischprogramm verlangt.Und da kommen wir zu einem weiteren Problem. DieWasserrahmenrichtlinie sagt, dass auch für stark veränderteGewässer die Durchgängigkeit ein wesentliches Krite-rium ist. Stark veränderte Gewässer, da gibt es nur eineAusnahmeregelung vom guten ökologischen Zustand,wenn die Nutzung nicht anders zu klären ist oder aber dieÄnderung der starken Veränderung negative Auswirkun-gen auf den Umweltschutz hätte. Wir werden hier großeProbleme bekommen, z.B. im Bereich der alten Rechte,was die Fragen Wasserentnahme und Kleinwasserkraftan-lagen angeht. Ich gehe davon aus, dass hier nachträglicheAuflagen oder aber auch die Stilllegung von Anlagennotwendig sein werden. Diese Fragen müssen rechtlich inAngriff genommen werden und ich denke, das sollte auchBestandteil des Wanderfischprogramms sein.

Präsidentin Lieberknecht:

Herr Abgeordneter Kummer, Sie sehen den Abgeord-neten Sonntag, er will Ihnen vermutlich eine Fragestellen. Ist das möglich?

Abgeordneter Kummer, PDS:

Bitte.

Abgeordneter Sonntag, CDU:

Herr Kollege, ich habe mit Aufmerksamkeit Ihren Diskursüber die Kleinwasserkraftwerke jetzt eben gehört. Aberwürden Sie mir Recht geben, bevor wir uns über die Dingestreiten, dass es dann eigentlich viel wichtiger wäre, die indem, wenn Sie so wollen, Sammelbecken fast aller Thü-ringer Flüsse, über 80 Prozent sind es, die in RichtungSaale/Elbe in Sachsen-Anhalt entwässern, dort liegenden

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5351

großen Wehranlagen zu beseitigen? Solange die nicht be-seitigt sind, kommen wir in dem Wanderfischprogrammin 80 Prozent aller Thüringer Flüsse nicht weiter.

Abgeordneter Kummer, PDS:

Herr Sonntag, wesentliches Anliegen des Thüringer Wan-derfischprogramms ist es nicht, die Langdistanzwander-fische aus dem Elbegebiet oder aus dem Wesergebiethereinzuholen, sondern erst einmal für unsere Kurzdis-tanzwanderer, die wir hier haben, vernünftige Bedingungenzu schaffen. Die Langdistanzwanderer sind uns natürlichherzlich willkommen, wenn sie dann irgendwann einmalkommen. Aber vernünftige Bedingungen für unsere hei-mischen Fische, das ist das oberste Gebot gewesen für dasThüringer Wanderfischprogramm. Da zählt eben alles mithinein, was auch bei uns wandert, das ist die Forelle, das istdie Äsche, das ist die Barbe, die Quappe, eigentlich kannman sagen, es sind alle Fischarten, weil es gibt eigentlichkeinen Fisch, der immer nur an einer Stelle bleibt. Von derWarte her, denke ich, sollte uns das Problem in Sachsen-Anhalt natürlich interessieren. Ich weiß auch, dassSachsen-Anhalt dort auf einem guten Weg ist. LetztenEndes haben wir aber in Thüringen für unsere GewässerVerantwortung und die sollten wir schon übernehmen.

Ich wollte jetzt aber konkret auf die Frage der Gewässer-struktur in Thüringen eingehen. Hier ist einiges getan wor-den in letzter Zeit. Vom Minister ist darauf auch schoneingegangen worden. Wir haben seit Juli 2001 eine Ge-wässerstrukturkarte, die ist in Jena vorgestellt worden.Diese Gewässerstrukturkarte wurde nach dem Übersichts-verfahren erstellt und ist ein Beitrag zur Bundesgewässer-strukturkarte.

Ich sehe bei der Erstellung dieser Gewässerstrukturkartejedoch zwei Probleme. Das eine Problem: aus nachvoll-ziehbaren haushalterischen Gründen konnte nur diesesÜbersichtsverfahren angewendet werden. Es ist jedoch miteiner Einschränkung verbunden. Wir haben weniger Kri-terien, die entsprechend ausgewertet werden können, als beidem Vor-Ort-Verfahren, das es noch gibt. Und es hat dasProblem, dass man natürlich auch andere Bundesländer hat,wir brauchen ja auch eine bundesweite Vergleichbarkeit. Inanderen Bundesländern ist u.a. das Vor-Ort-Verfahren prä-feriert worden, so dass jetzt die Vergleichbarkeit beiderVerfahren fragwürdig ist. Optimal wäre gewesen, wennbeide Verfahren zusammen durchgeführt worden wären,weil die Reproduzierbarkeit beim Übersichtsverfahren nunwieder ein positiver Aspekt ist. Ein weiteres Problem beider Gewässerstrukturkarte ist, dass nur große Fließge-wässer bewertet werden konnten. Es sind nur ca. 10 Pro-zent der Thüringer Fließgewässer entsprechend bewertetworden. Wir haben also immer noch keine Übersicht odereine relativ schlechte Übersicht über den Zustand der Ge-wässer zweiter Ordnung. Hier muss meiner Ansicht nachnoch sehr viel getan werden, um diesen Überblick zuschaffen.

Wie stellt sich nun die Situation bei den Fließgewässernvon der Struktur her dar? Ich möchte aus dem Begleitheftzur Gewässerstrukturkarte von der TLUG zitieren: "Nach-dem in den Fließgewässern über weitere Strecken einemäßige Belastung der Gewässerqualität nicht mehr über-schritten wird, kommt nun der Verbesserung der Ge-wässerstrukturen eine besondere Bedeutung zu. Zu Maß-nahmen zur Verbesserung der Gewässerstruktur gehörenz.B. der Rückbau oder die Umgestaltung von Wehren imInteresse der Durchgängigkeit der Fließgewässer. Diesermöglicht unter anderem den Geschiebetransport und dieWanderung der Tiere zu ihren Reproduktions- und Nah-rungsplätzen oder einen Austausch zwischen den Popu-lationen im Verlauf der Gewässer." Die Schwerpunkte sindhier also sehr deutlich genannt und wir sollten uns ihrerannehmen. 27 Prozent der Gewässer in Thüringen, die un-tersucht wurden, entsprechen schon dem Leitbild. DieHälfte der Gewässer ist mäßig beeinträchtigt und 21 Pro-zent sind merklich geschädigt. Die Frage der Durchgän-gigkeit stellt sich jedoch viel dramatischer dar. In rundeinem Viertel der 1.500 einen Kilometer langen Abschnitteist die Durchgängigkeit noch durch hohe Abstürze unter-brochen. Zusätzlich sind noch die Talsperren und Hoch-wasserrückhaltebecken aufzuführen.

Meine Damen und Herren, hier ist es dringend notwendig,etwas zu tun. Die Konzepte sind bereits vorhanden. DieAnhörung im Landwirtschaftsausschuss zum Wanderfisch-programm hat Kosten in Höhe von etwa 40 Mio. DM er-geben. Wir haben nur noch 13 Jahre Zeit, bis 2015, um dieEU-Wasserrahmenrichtlinie durchzusetzen und die Durch-gängigkeit unserer Fließgewässer zu erfüllen. Das bedeutet,dass wir bereits im kommenden Doppelhaushalt, wenn wirdas Problem langfristig angehen wollten, etwa anderthalbMillionen Euro pro Jahr einstellen müssten, um die Fließ-gewässer Thüringens passierbar zu gestalten. Ich denke,das sind wir uns, dem Wanderfischprogramm und auchallen, die die Thüringer Fließgewässer nutzen, schuldig.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, es ist aber auch nicht nur alleinunsere Aufgabe, das Wanderfischprogramm umzusetzen,deshalb möchte ich noch kurz etwas zu der Frage der Ge-wässernutzung sagen. Wir hatten erfreulicherweise dieBildung einer sogar länderübergreifenden Hegegemein-schaft an der Ulster zu verzeichnen, die zwischen verschie-denen Angelverbänden zu Stande gekommen ist. DieseHegegemeinschaft an einem der ersten auch für Lang-distanzwanderfische erreichbaren Flussgebiet, das noch ineinem sehr guten Zustand ist, sollte Beispiel sein, dass anallen Thüringer Fließgewässern Hegegemeinschaften ge-bildet werden, die fließgewässersystemübergreifend funk-tionieren. Nur dann können wir auch mit Maßnahmen desBesatzes und der Pflege der Gewässer einen Einklang mitden anderen Anforderungen an das Wanderfischprogrammerzielen. Wir sollten die Verbände also dringend auf-fordern, die Hegegemeinschaften zu bilden. Es gibt da nochein großes Defizit und wir sollten darüber nachdenken, ob

5352 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

eine solche Forderung von Hegegemeinschaften in Thü-ringer Flussgebieten nicht auch in der Fischereiverordnungverankert werden kann. Vielen Dank, meine Damen undHerren.

(Beifall bei der PDS)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Botz, SPD-Fraktion.

Abgeordneter Dr. Botz, SPD:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren,wir danken auch dem Minister für den Sofortbericht. Ichmöchte dazu sagen, dass wir uns auch gewundert hätten,wenn er einen derartigen Bericht nicht gegeben hätte, weiluns allen gut in Erinnerung ist, dass wir vor ca. 15 Mo-naten dieses so genannte Wanderfischprogramm sowohl imAusschuss als auch hier im Plenum in einer großen Über-einstimmung beschlossen haben. Sie haben sich damals,Herr Minister, aus gutem Grund auch bei uns als Abge-ordnete für die konstruktive Zusammenarbeit und diesenBeschluss bedankt und auch zugesagt, dass Sie so schnellwie möglich an die Umsetzung gehen. Nun war es aber so,dass die Drucksache 3/717, um die es hier geht, eben keinGesetz, sondern ein Beschluss war und naturgemäß mitwenig konkreten Vorgaben aber einer Reihe von Empfeh-lungen, die das Parlament übereinstimmend gegeben hat,verbunden war. Ich kann mich erinnern, Frau Wackernagelwar damals Berichterstatterin und ich kann - wer dasmöchte, es war nicht sehr lang, aber sehr sehr inhaltsreich -,das, was Sie im Auftrag des Ausschusses hier in den so ge-nannten begleitenden Empfehlungen damals mitgeteilthaben, Frau Kollegin, nur empfehlen. Ich möchte eigentlichnichts weiter tun, als nochmals darauf hinweisen und dannmit dem vergleichen, was uns der Herr Minister als So-fortbericht bisher dazu sagen konnte. Uns schien esnach 15 Monaten einfach an der Zeit, hier einmal nach-zufragen - ich betone -, wie weit schwerpunktmäßig diekonzeptionelle Arbeit, Herr Minister - nicht anders kanndas gemeint sein -, und nicht, das liegt in der Natur derSache, schon die Masse der technischen Umsetzung ge-schehen sein kann.

Weder wir als Abgeordnete noch die betroffenen Fach-verbände im Lande waren allerdings bis heute informiert,wie es mit einigen dieser Punkte, die wir im Wander-fischprogramm vorgeschlagen hatten, weitergeht. Aus die-ser begleitenden Empfehlung, wie wir das genannt haben,gibt es einige Eckpunkte. Die Herstellung der Passier-barkeit der Fließgewässer und die in diesem Rahmen not-wendige Renaturierung derselben ist angesprochen wor-den. Das heißt, im Zuge der Umsetzung der EU-Wasser-rahmenrichtlinie - das hat der Herr Minister angesprochen -soll die Durchgängigkeit der thüringischen Fließgewässergesichert werden. Das Wanderfischprogramm ist natur-gemäß, und so haben Sie das hier auch aufgezählt, alseins der vier Teilprogramme aufgenommen worden. So

weit, so gut.

Nun hatten wir in dieser begleitenden Empfehlung aller-dings auch die Basis der Strukturgütekartierung ange-sprochen. Hier sollte - und da kommt meine erste Nach-frage, Herr Minister - ein ressortübergreifendes Konzeptzum Fließgewässerschutz erarbeitet werden. Die Beto-nung liegt jetzt auf ressortübergreifend, weil hier das, wasdie Arbeit einer Landesregierung auch auszeichnen muss,dieses ressortübergreifend, sich nach 15 Monaten in einemZwischenbericht natürlich auch irgendwo niederschlagenmuss.

Die weitere Frage ist, wann könnte man damit rechnen,Herr Minister, dass die Einzugsgebiete - und zu jedemEinzugsgebiet sollte ein Gewässerentwicklungskonzeptgeschaffen werden - mit diesem Gewässerentwicklungs-konzept ausgestattet sein werden? Sie sind darauf nichteingegangen, aber wir wissen das auch aus anderen Be-richterstattungen, dass für das Werra-Weser-Fließsystemmit der Umsetzung begonnen wurde mit einem Vorrang,wofür großes Verständnis auch bei uns vorliegt, nicht zu-letzt, weil es dort auch eine ganze Reihe von vernünftiger,auch grenzüberschreitender Zusammenarbeit der Akteurevor Ort schon gegeben hat. Wichtig sind aber für uns alsAbgeordnete, weil wir als Legislative sehr stark von denInteressenverbänden kontaktiert werden, weitere Anliegen,wo wir aber in diesem Konzept als Ausschuss Vorschlägegemacht hatten. Es sollten fischereibiologische Stellung-nahmen für neu zu errichtende und zu genehmigende Was-serbauwerke gegeben werden, und zwar unter Zuhilfe-nahme eines zu schaffenden Landesfischereibeirats, in dennatürlich die Verbände mit einbezogen werden sollten.Falls Sie jetzt etwas stutzen, ich kann wirklich nur noch malbitten, den damaligen Redebeitrag von Frau Wackernagelim Auftrag des Ausschusses noch einmal nachzulesen,den Sie nachher auch ausdrücklich begrüßt haben. Wobleibt dieser Landesfischereibeirat und gibt es schon ersteFälle, dass fischereibiologische Stellungnahmen zu Einzel-bauwerken geleistet werden konnten, also zur Passierbarkeitzum Hochwasserschutz bzw. zur Sicherung ökologisch not-wendiger Mindestabflüsse etc.? Ich will das hier nichtweiter vertiefen.

Zur Finanzierung haben Sie kurz etwas gesagt, HerrMinister, dass dies schwierig wird, das ist vollkommenklar. Ich schließe mich den Wünschen des Kollegen Kum-mer hier natürlich an, der mal kurz eine Hochrechnung ge-macht hat, was wir hoffentlich in den nächsten Jahrenhaushaltsmäßig erübrigen können. Aber es gab auch denVorschlag, auf den möchte ich hier noch einmal zurück-kommen, verbunden mit einer Frage, eventuell Mittel ausder Landesstiftung Naturschutz hier mit einzusetzen undabschließend noch mal, auch wenn es im Werra-Weser-System wahrscheinlich praktisch zu Gange gekommen ist,wie sieht es mit den anderen grenzüberschreitenden Ab-stimmungen mit Anreinerländern aus, denn das müsste jaeigentlich einfacher zu realisieren sein, als zwischen EU-Mitgliedstaaten? Ich glaube, auf der Ebene zwischen den

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Bundesländern müsste es bei all den Kontakten, die esohnehin immer zwischen den Landesregierungen gibt,inzwischen angedachte Konzepte geben.

Ich habe mir also erlaubt und möchte damit zum Abschlusskommen, hier noch einmal auf diese begleitende Empfeh-lung freundschaftlich hinzuweisen und Sie zu bitten, ent-weder können Sie das unmittelbar tun oder aber auch zueiner anderen Gelegenheit, uns, dem Ausschuss und hof-fentlich auch diejenigen draußen, denen wir mit diesemWanderfischprogramm sehr große Hoffnungen gemachthaben, den Verbänden und auch den betroffenen Unter-nehmen noch klarer zu sagen, wann welcher Teil welcherkonzeptionellen Arbeit abgeschlossen werden kann undnicht nur bei den Aussagen zu bleiben, die die EU-Was-serrahmenrichtlinie uns selbstverständlich ohnehin ge-setzt hat. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat Abgeordneter Wunderlich, CDU-Fraktion.

Abgeordneter Wunderlich, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,ich glaube, wir brauchen die Debatte um das Wander-fischprogramm jetzt nicht besonders zu erweitern. DerMinister hat den Standpunkt der Landesregierung klar undeindeutig dargelegt und zu den Inhalten ist sowohl vonKollegen Kummer als auch vom Kollegen Dr. Botz etwasgesagt worden. Herr Kummer, Sie haben vollkommenRecht. Ich glaube, das Wanderfischprogramm ist nachunserer Ansicht ein ganz herausragendes, hervorragendesNaturschutzprogramm. Ich sage das auch so und weil dasfür uns so ernst ist, deswegen hat die CDU-Fraktion imMai 2000 das Wanderfischprogramm auf den Weg und inden Landtag eingebracht. Das waren die Ergebnisse ausden Gesprächen mit den Anglern und den Fischereiver-bänden. Die Ernsthaftigkeit lag schon darin und ich binauch dankbar, dass die Abgeordneten aller Fraktionen dasProgramm dann mit der Ernsthaftigkeit fortgeführt haben.Wir haben damals wirklich darüber nachgedacht, sollen wires Lachsprogramm oder Wanderfischprogramm nennen?Wir haben ausdrücklich das Wanderfischprogramm ge-macht, weil wir die gesamte Breite der Wanderfische ein-beziehen wollten. Das Lachsprogramm hätte zwar etwaselitärer ausgesehen, wie es die Niedersachsen und, ichglaube, die Hessen noch gemacht haben, nein, wir sindausdrücklich beim Wanderfischprogramm geblieben und,ich glaube, das war auch richtig so.

Wir saßen zuletzt am 13. März mit den Fischerei- undAnglerverbänden zusammen und haben dieses Programmdurchdiskutiert, da war der Gemeinde- und Städtebunddabei. Es gibt bei den Gewässern zweiter Ordnung Schwie-rigkeiten hinsichtlich der Finanzierung, weil die Gemein-den dafür verantwortlich sind. Aber der Gemeinde- und

Städtebund hat sowohl gegenüber der Fraktion, als auchgegenüber der Landesregierung noch einmal eindeutigdas Abwasserförderprogramm des Freistaats gewürdigtals eigentliche Grundvoraussetzung dafür, dass sich dieFlora und Fauna dementsprechend entwickelt hat, aberdie 13.800 km Gewässer zweiter Ordnung sind für dieKommunen ein Problem. Das ist noch einmal gesagtworden und sie waren uns auch dankbar dafür, dass beiden Gewässern zweiter Ordnung trotz angespannter Haus-haltslage nicht gekürzt worden ist. Das sollten wir dochauch in der Frage erwähnen.

Hinsichtlich der Finanzierung müssen wir neben denEU-Mitteln auch ernsthaft über die Zahlungen aus denAusgleichs- und Ersatzmaßnahmen diskutieren, die solltendoch mit einbezogen werden. Vom Kollegen Sonntag istdie Saale angesprochen worden. Das ist in den Gesprächenmit den Anglerverbänden auch dargelegt worden, dass wirPrioritäten setzen mussten und die Priorität liegt eindeutigzurzeit im Flussgebiet der Werra mit Ulster, Felda undSchleuse. Ich glaube, das ist auch richtig so, dass wir hierwirklich schrittweise das Programm abarbeiten. Das besteFließgewässerschutzprogramm bzw. das Wanderfischpro-gramm wird bedeutungslos, wenn die Kormorane nicht ent-sprechend bekämpft werden; der Minister hat es angespro-chen. Wir von der Fraktion unterstützen ausdrücklich - unddas möchte ich hier noch einmal betonen - jetzt die kurz-fristigen Maßnahmen, die von Seiten des Ministeriums inVerbindung mit den Angler- und Fischereiverbänden ein-geleitet worden sind. Wir hoffen auch, dass sie so kon-sequent und konkret umgesetzt werden. Wenn das nichtgreift, dann sollten wir uns im Frühjahr oder mittelfristigeinmal Gedanken machen, was könnte weiter angegangenwerden, vielleicht auch über die Novellierung der Kormo-ranverordnung. Wir wissen, wie schwierig das ist, das hättejetzt sowieso nichts geholfen, weil wir wissen, wie dieRechtslage ist. Das braucht dann seine Zeit. Wie gesagt,wir unterstützen die kurzfristigen Maßnahmen durch dieLandesregierung und durch das Ministerium.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kummer,wir werden das Wanderfischprogramm weiterhin mit allerErnsthaftigkeit begleiten und, ich glaube, wir werden nichtzum letzten Mal hier in diesem Kreise zu diesem Problemsprechen. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Um das Wort hat noch einmal Herr Minister gebeten.Bitte, Herr Minister Dr. Sklenar.

Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Natur-schutz und Umwelt:

Schönen Dank, Frau Präsidentin, meine sehr verehrtenDamen und Herren Abgeordneten, erst einmal herzlichenDank Herrn Kummer, Herrn Botz und auch Herrn Wun-

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derlich für die Beiträge hier.

(Beifall bei der PDS)

Dr. Botz, ich bin gern bereit, am Rande der nächsten Aus-schuss-Sitzung noch einmal auf die Fragen, die Sie jetzthier im Einzelnen aufgeworfen haben und nachdem ichmir den Redebeitrag von Frau Wackernagel noch mal exaktangeschaut habe, konkret zu antworten. Der Landes-fischereibeirat existiert doch schon länger, wenn ich michrecht erinnere, denn ich weiß, dass ich immer einmal Ur-kunden oder Schreiben bekomme, dass wieder jemandneues berufen worden ist oder dass jemand zurückge-treten ist oder darum gebeten hat, ausscheiden zu dürfen,um jemand anderem Platz zu machen. Aber ich bin gernbereit, Ihnen einmal eine aktuelle Liste der Mitglieder zu-kommen zu lassen.

Ich hatte bereits erwähnt, dass wir noch in diesem Jahrvorhaben, 14 Maßnahmen an den Gewässern erster Ord-nung durchzuführen. Das geht natürlich nicht, ohne dassvorweg genau geschaut wird, welche Aufstiegsmöglich-keit gibt es dort. Ich habe mich belehren lassen müssen,dass das gar nicht so einfach ist, eine Fischaufstiegstreppeden Gegebenheiten an die natürlichen Bedingungen, vorallen Dingen auch den Fischen, die darin sind, dementspre-chend anzupassen, dass sie tatsächlich auch aufsteigen.Man kann da auch sehr viele Fehler machen und sehr vielGeld im wahrsten Sinne des Wortes nicht in den Sand, son-dern ins Wasser setzen, so dass hier schon von vornhereinin enger Zusammenarbeit mit den Fachleuten, mit denFischern und den Anglern, vor Ort überlegt wird, welcheTreppe ist richtig, welche Treppe ist notwendig, damit dieFische auch aufsteigen.

Ich denke, was die Gutachten betrifft, sind wir in der gan-zen Geschichte auf einem guten Weg. Was aber ein biss-chen Probleme, und das haben auch alle drei gesagt, ichsage es hier noch einmal, macht, betrifft die finanziellenMittel. Es ist richtig, wir haben nicht mehr allzu viel Zeit,Herr Kummer, und 40 oder 20 Mio. ����������������13 Jahre, das wird schwierig, vor allen Dingen bei derHaushaltslage, bei den Steuereinnahmen, die wir gegen-wärtig nicht haben. Es gibt eine ganze Reihe von weiterenProjekten, die wir auch nebenbei noch mit angehen müssen,und wir haben nicht nur dieses Programm. Wobei uns na-türlich sehr daran liegt, hier die notwendigen Mittel zurVerfügung zu stellen. Dr. Botz, Mittel aus der StiftungNaturschutz - liebend gern, muss ich Ihnen sagen -, und wirwerden jedenfalls versuchen, den Stiftungsfonds beimNaturschutz aufzustocken. Ich möchte so viel dazu sagen:Der Rechnungshof hat gerade diesen Stiftungsfonds über-prüft und uns ein paar Hinweise gegeben, was wir machensollen und was wir nicht machen sollen, auch was die Auf-stockung der Mittel betrifft. Aber, ich denke, wir werdenuns da noch einigen und einen vernünftigen Weg in dieserRichtung finden. Ich möchte noch einmal unterstreichen,was Herr Wunderlich gesagt hat. Wir sind schon daraninteressiert, eine Durchgängigkeit der Gewässer zu erlan-

gen. Wir sind auch daran interessiert, eine Renaturierungunserer Gewässer durchzuführen, das ist ganz einfachnotwendig, alles im großen Rahmen natürlich unter dergroßen Überschrift "Europäische Wasserrahmenrichtlinie",alles, was da zu tun ist. Sie kennen auch unsere Be-mühungen, die Überschwemmungsräume an den einzel-nen Flussläufen dementsprechend zu gestalten, dass unsda nichts passiert. Meine Bitte wäre nur an Sie alle eigent-lich, in dieser Hinsicht mit dafür Sorge zu tragen, dassman nun nicht gerade in ein Überschwemmungsgebiet, einGewerbegebiet errichten will oder Wohnbebauung hinbrin-gen will, weil es ja so schön ist und weil dort in denletzten zehn, fünfzehn Jahren keine Überschwemmunggewesen ist, aber wir doch aus unseren Berechnungen undaus den Erkenntnissen wissen, dass es in den nächstenJahren passieren kann. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe dieAussprache. Weiterführende Anträge wurden auch nichtgestellt. Damit kann ich das Berichtsersuchen gemäß § 106Abs. 2 als erfüllt betrachten - Widerspruch dagegen erhebtsich nicht - und den Tagesordnungspunkt schließen.

Ich komme damit zum Aufruf des Tagesordnungs-punkts 6

Maßnahmen gegen die Abwan-derung junger Menschen ausThüringenAntrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/2350 -

Die SPD-Fraktion hat signalisiert, dass Frau Abgeord-nete Pelke für die einreichende Fraktion die Begründunggibt. Bitte.

Abgeordnete Pelke, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion hat einen Antrag zum Thema "Maßnahmen gegendie Abwanderung junger Menschen aus Thüringen" vor-gelegt, nicht, weil wir uns jetzt des Themas bewusst ge-worden sind oder weil wir meinten, es wäre einmal wiederan der Zeit darüber zu reden, nein, meine Damen undHerren, die Abwanderung insbesondere leistungsstarkerjunger Menschen aus Thüringen nimmt mittlerweile dra-matische Ausmaße an. Das Thüringer Landesamt fürStatistik hat Zahlen vorgelegt und festgestellt, dass imJahre 2001 über 10.000 Personen Thüringen verlassen ha-ben, insbesondere und ungefähr die Hälfte davon sindjunge Menschen. Damit wird das wesentliche Zukunfts-potenzial an Fachkräften - und hier gerade im Bereich derstrukturschwachen Regionen Thüringens - entzogen. DieAbwanderung wiederum, meine Damen und Herren, er-folgt in die ohnehin prosperierenden Wirtschaftsräume des

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5355

Westens. Diese Entwicklung ist aus unserer Sicht nichtweiter hinzunehmen, da kaum davon auszugehen ist, dassdie jungen Menschen nach erfolgter Ausbildung oder Be-rufstätigkeit in nennenswerten Größenordnungen wiederzurückkehren.

Das besondere Problem, meine Damen und Herren, sindauch gerade die jungen Frauen, die Thüringen verlassen.Deswegen ist aus unserer Sicht Handlungsbedarf angesagt.Wir haben in unserem Antrag eine Reihe von Maßnahmenbeschrieben, über die wir gern mit Ihnen diskutieren woll-ten. Wir würden gern diesen Antrag weiter verweisen unddie einzelnen Maßnahmen diskutieren. Wir wollen aufkeinen Fall vermitteln, dass wir hier einen Anspruch aufVollständigkeit vorlegen wollten, sondern wir wollen die-ses als Grundlage für eine Diskussion nehmen, die mög-licherweise zu einem Programm gegen die Abwanderungjunger Menschen in Thüringen verhilft. Man muss diesemTrend entgegenwirken. Dabei ist zu beachten, meineDamen und Herren, dass vorliegende Untersuchungen auchdeutlich zum Ausdruck bringen, dass Jugendliche bzw.junge Menschen sehr gern hier in der Region verbleibenwollen, sehr heimatgebunden sind, ihnen aber die notwen-dige berufliche Perspektive - und das gerade in einer Le-bensphase von Verselbständigung und Familiengründung -fehlt. Sie gehen nicht, weil sie Erfahrungen sammelnwollen und mit diesen Erfahrungen wieder zurückkehrenwollen, sie gehen deshalb, weil es hier an Ausbildungs-und Arbeitsplätzen mangelt. Insofern bitten wir um einesachliche Diskussion dieses Antrags. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

Damit kommen wir zur Aussprache. Als Erster hat Ab-geordneter Nothnagel, PDS-Fraktion, das Wort.

Abgeordneter Nothnagel, PDS:

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren,die Ergebnisse des Thüringer Monitors 2001 "Jugend undPolitik" besagen, dass die Beurteilungen über die Pers-pektive Thüringens und die persönlichen beruflichen Chan-cen im Freistaat auseinander fallen. Thüringen - ein Landmit Zukunft, das befürworten 2001 ca. 60 Prozent derBefragten, 33 Prozent sind unentschieden, lediglich 8 Pro-zent gehören bei dieser Fragestellung zu den Pessimisten.Ähnliche Werte gab es ein Jahr zuvor bei der Frage nachder Identifizierung mit Thüringen. Wird die Fragestellungaber auf die persönlichen beruflichen Chancen im Freistaatverengt, teilen sich die Befragten in 39 Prozent Opti-misten, 26 Prozent Unentschiedene und 18 Prozent Pessi-misten auf. Auffällig ist, dass bei Jugendlichen dieseGruppen etwa gleich groß sind: 30 Prozent Befürworter,35 Prozent Unentschiedene und 35 Prozent Ablehner. Da-mit zeigen sich die Jugendlichen, die diese Frage im be-sonderen Maße betrifft, als sehr viel skeptischer im Ver-gleich zu den Erwachsenen. Dieser Unterschied dürfte

jedoch ebenso ein Effekt der Bewertung der aktuellen be-ruflichen Stellung wie auch der geschlechtsspezifischenSchlechterstellung von Frauen sein. Gerade weibliche Ju-gendliche - meine Vorrednerin hat das ja bereits schon er-wähnt - bewerten die Frage nach der persönlichen beruf-lichen Chance im Freistaat skeptischer als die Jungen.

(Zwischenruf Abg. K. Wolf, PDS: Zu Recht.)

Für eine bessere Arbeitsstelle aus Thüringen fortzuziehen,können sich knapp zwei Drittel der unter 30-Jährigen vor-stellen. Das sind doppelt so viele wie bei den Erwachsenen.Natürlich muss man in Rechnung stellen, dass dieser Zu-sammenhang mit dem Alter signalisiert, dass die Jünge-ren, die noch keine Familie, keine gefestigte Beziehung zueiner Arbeitsstelle bzw. sogar noch keine feste Arbeitsstellehaben, bzw. auch eine geringe regionale Verwurzelung be-sitzen, deutlich mobiler sind. Diese Feststellung darf abernicht die Tatsache verdecken, dass unter den Jugendlichendie Anzahl derer, die aus Thüringen für eine bessereArbeitsstelle fortziehen würden, vom Jahr 2000 zumJahr 2001 zugenommen hat. Im Jahr 2000 brachten in derMonitorbefragung 62 Prozent der 18- bis 24-Jährigen zumAusdruck, für einen besseren Arbeitsplatz aus Thüringenfortzuziehen. Im Jahr 2001 waren dies 68 Prozent.

Man könnte jetzt einwerfen, das sind lediglich Absichts-erklärungen, aber die Tatsachen belegen, dass nicht nur dasMotiv zunimmt, sondern auch die Abwanderungszahlenvon Jahr zu Jahr wachsen. Die Zahlen werden es bele-gen. Im Jahr 2001 kam es in Thüringen seit 1992 zu dengrößten Abwanderungsverlusten. Im bisherigen Spitzen-jahr 2000 betrug der Abwanderungsverlust Thüringensca. 10.000 Personen. Diese Größe wurde zum Ende desIII. Quartals des Jahres 2001 mit 10.111 Personen erreicht.Es bestätigt sich der Trend der ersten drei Quartale. Auchim IV. Quartal - bisher sind die Jahresergebnisse leidernoch nicht verfügbar - werden dann die Abwanderungs-verluste mit ca. 12.000 Personen - im November 2001betrug die Zahl 11.325 - einen neuen traurigen Höchststanderreichen. Die Zahlen belegen also einen Zusammen-hang von Befragungsergebnissen und dem tatsächlichenHandeln.

Man kann jetzt natürlich darüber philosophieren, ob dieseAbwanderung von Fachkräften und jungen Leuten be-drohlich ist, wie der Ministerpräsident es hier im Landtagam 15. März 2001 bezeichnete, aber es acht Monate später,am 8. November letzten Jahres, bereits relativierte, indemer ausführte - Frau Präsidentin, ich zitiere: "Ich wende michdagegen, das Thema 'Abwanderung' zu dramatisieren. Ichwende mich aber auch dagegen, es zu bagatellisieren."Ja, Herr Ministerpräsident, auch wenn Sie jetzt nicht hiersind, die Abwanderung ist bedrohlich und man darf sieauch nicht bagatellisieren.

(Beifall bei der PDS)

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Es ist ja in Ordnung, Herr Seela. In Ihrer Argumentation am8. November letzten Jahres sprechen Sie mit dem Hinweis,dass Thüringen seit 1990 pro Jahr etwa 0,4 Prozent seinerEinwohner durch Abwanderung verloren hat und damit imVergleich mit anderen jungen Ländern einen Platz imMittelfeld belegt. Die Situationseinschätzung taten Sie da-mals gegenüber denen, die die Lage anders einschätzten,mit dem Hinweis ab, dass sich die Leute ja die Zahlensuchen, die ihnen in die Aussage, die sie treffen möchten,passen und somit auch nicht stimmen. Ich kann Ihnen,Herr Ministerpräsident, versichern, die bisher von mirverwendeten Zahlen stimmen. Ich kann Ihnen weitereZahlen zum überlegen und auch Ihnen, Herr Seela, nochnachreichen.

Ausgehend von der Wanderungsaltersstruktur musste per31.12.2000, bekanntlich gibt es leider noch keine Jahres-zahlen von 2001, festgestellt werden, dass 37.300 Frauenund Mädchen seit Ende 1990 per Saldo Thüringen ver-ließen, die am 31.12.2000, zwischen 15 und 45 Jahre altwaren, ca. 5.100 von ihnen zwischen 18 und 30 Jahre altwaren. Legt man die wahrscheinlich niedrigeren ThüringerGeburtenziffern der Jahre 1991 bis 2000 zugrunde, der Ein-fachheit halber unter Vernachlässigung der Sterbefälle, sotrat in nachhaltiger Auswirkung der Abwanderung vom31.12.1990 bis zum 31.12.2000 ein Verlust von mindes-tens 12.600 nicht in Thüringen geborenen Kindern ein,welcher nach derzeitiger Kenntnis Ende 2001 die Größevon 15.000 erreichten. In den nächsten Jahren ist noch voneinem verstärkten Anwachsen dieser Größe auszugehen.Die Relationen werden deutlich, wenn man bedenkt, dassim Jahr 2000 in Thüringen insgesamt 17.600 Babys zurWelt kamen. Deshalb kann man die zunehmende Tendenzder weiblichen Abwanderungsverluste in den letzten Jahrenbesonders kritisch vermerken, wobei sich für das Jahr 2001wieder eine Steigerung gegenüber 2000 abzeichnet. Einekontinuierlich leicht steigende Geburtenrate kann zukünftigunmöglich im überschaubaren Zeitraum Folgendes gleich-zeitig kompensieren.

(Beifall bei der PDS)

Den schon genannten jährlich wachsenden Aderlass auf-grund der fehlenden Frauen aus dem Wanderungsverlustals zusätzliche Schwächung der ohnehin geringer wer-denden Mütterjahrgänge und den Einbruch aufgrund dessehr geringen Geburtenniveaus in den Nachwendejahren.Dazu bedarf es vielfältiger dauerhafter und entscheidendergesellschaftspolitischer Anregungen, die allen negativenFaktoren der unerfreulichen Bevölkerungsentwicklunggleichzeitig entgegensteuern. Nur dann können eventuellpositive Auswirkungen in den Folgejahren messbar sein.Bei wohlwollender Betrachtung kann man dieses An-liegen des Antrags der SPD entnehmen, wir wollen einmalnicht unterstellen, dass dieser Antrag publikumswirksam,wie es der Herr Abgeordnete Schemmel in einer derletzten Plenarsitzungen beliebte zu formulieren, erarbeitetund in die Debatte im Thüringer Landtag eingebrachtwurde, obwohl es dafür vereinzelte Anzeichen gibt. Wir

meinen, die Problematik muss ernsthaft im Landtag be-redet werden und dies unabhängig davon, ob wir kurz vorden Wahlen stehen oder zu gegenseitigen Schuldzuwei-sungen, insbesondere zwischen Landes- und Bundespo-litik, greifen.

Daher möchte ich zu den genannten Vorschlägen der SPDStellung nehmen. Um es vorweg zu sagen, halten wir dasThema für die Thüringer Zukunft für zu wichtig, als dasshier nur ein wirkungsloser Schnellschuss fabriziert wird. Esist richtig, wie es im Titel des vorliegenden Antrags heißt,dass Maßnahmen gegen die Abwanderung junger Men-schen aus Thüringen ergriffen werden sollen. Die heute hierim Zusammenhang mit diesem Antrag beginnende Dis-kussion - denn als PDS-Fraktion sind wir der Auffassung,die Diskussion unbedingt in den Ausschüssen fortzuführen- hätte eingeleitet werden können mit Überlegungen aus derArbeit der Managementgruppe zur Sicherung des Fach-kräftebedarfs. Aber vielleicht erfolgt dies ja auch noch.

Für diejenigen, die mit dieser Managementgruppe nichtsanfangen können, möchte ich Folgendes zur Erhellungbeitragen. Auf dem Hauptjahresempfang der Industrie- undHandelskammer am 8. Februar dieses Jahres schlug derMinisterpräsident die Bildung der schon genannten Ma-nagementgruppe aus Vertretern von Regierung, Kammern,Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften vor, um ge-meinsam Lösungsvorschläge für die verschiedenen Pro-blemfelder zu erarbeiten. Der Herr Ministerpräsidentnannte damals stichworthaft das Lohngefälle als Abwan-derungsgrund, langfristige Prognosen für die Fachkräfte-entwicklung, Zurückführung arbeitsloser Fachkräfte in denArbeitsmarkt. Die Darstellung der Überlegungen dieserExpertenrunde wäre für unsere weitere Diskussion sehrhilfreich, sofern sie kein Herrschaftswissen für die Lan-desregierung darstellen.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Aufder Internetseite, soll ich Ihnen die sagen? Ihrseid doch sonst dauernd im Internet.)

Aber, was heute nicht erfolgte, kann ja noch in der An-schlussdiskussion geschehen.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Ja, ja -erst ein bisschen dumm stellen.)

Ich muss mich hier nicht dumm stellen.

(Heiterkeit bei der CDU)

Es freut mich ja, dass Sie das so erfreut.

Lassen Sie mich zu dem Antrag zurückkommen. An ersterStelle möchte ich hervorheben, dass wir der Fraktion derSPD einen Komplex von Maßnahmen für notwendig er-achten, die dem Vergleich zu anderen Bundesländern über-proportional einer Abwanderung entgegenwirken. Ausbil-dungs- und Arbeitsplätze sowie die Angleichung der Tarif-

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löhne sind und bleiben die entscheidenden Faktoren. Eineweitere Förderung betriebsnaher Ausbildungsplätze, wie inPunkt 4 des Antrags formuliert, ist zur Deckung der Nach-frage zwar nötig, ändert jedoch nichts grundlegend an denAbwanderungstendenzen junger Menschen. Wichtiger wärees, die geforderten Mittel zur Verbesserung des Praxisbe-zuges von Hoch- und Fachschulstudierenden zu verwen-den. Arbeitgebern muss ein Anreiz gegeben werden, Prak-tikanten aufzunehmen und somit einen engen Kontakt zwi-schen potenziellen Arbeitskräften und Unternehmern her-zustellen. Der persönliche Kontakt ist der wichtigste Schrittdazu, jungen Menschen die Chancen und Möglichkeitendes Freistaats aufzuzeigen. Doch dazu muss dem eigen-kapitalschwachen Mittelstand hierzulande die Chance inForm von Finanzmitteln gegeben werden. Die SPD fordertweiterhin, dass die Mobilitätsbeihilfen der Arbeitsverwal-tung nur denjenigen gewährt werden, die innerhalb Thü-ringens umziehen oder neu in das Land kommen wollen.Dieser Vorschlag ist zugegebenermaßen nicht schlecht.Problematisch wird es aber an der Stelle, an der man be-denkt, dass die Mobilitätshilfen vom Bundesamt für Arbeitgewährt werden und der Zugriff auf diese Gelder daher sehrbeschränkt ist. Unser gemeinsames Ziel sollte es daher sein,ein entsprechendes eigenes Förderprogramm aufzusetzen.

Auch der Punkt 6 des Antrags lädt zur Diskussion ein.Unter Berücksichtigung des Strukturwandels sollte es ebennicht vorrangig um Industrieansiedlungspolitik gehen, viel-mehr sollte eine zukunftsorientierte Ansiedlungspolitik imBereich der Hochschultechnologien und Dienstleistungenbetrieben werden. Heutzutage besteht an anderer Stelle einBedarf, wie beispielsweise auch die Gespräche mit Unter-nehmen auf der Hannover-Messe gezeigt haben.

Es gibt noch weitere Punkte der SPD-Forderungen, überdie eingehender diskutiert werden sollte. Ich habe hiernur zwei exemplarisch herausgegriffen und benannt, andenen eine grundlegende Veränderung der Strategie not-wendig ist und bei weitem sind das nicht alle. Ich beantragedaher namens unserer Fraktion die Überweisung an die ent-sprechenden Fachausschüsse unter der Federführung desAusschusses für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik,damit dieses Strategiepapier der SPD-Fraktion weiterqualifiziert werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Präsidentin Lieberknecht:

So, das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kretschmer,CDU-Fraktion.

Abgeordneter T. Kretschmer, CDU:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Antrag derSPD-Fraktion, Abwanderung junger Menschen, spricht einwichtiges Thema an. Es geht um die Zukunft, ein Zu-kunftsthema. So wie Frau Kollegin Pelke vorhin erst zueiner sachlichen Diskussion einlud, möchte ich auch sagen,

dieses Thema ist nicht für einen oberflächlichen tages-politischen Schlagabtausch geeignet. Wenn ich nun denInhalt dieses Antrags sehe, befällt mich eine gewisseHilflosigkeit oder auch ein Unverständnis, denn selbst beiwohlwollender Betrachtung ist mir nicht klar, was will manmit diesem Antrag erreichen, was soll das? Frau Kolle-gin Pelke, wenn ich zu einer sachlichen und ordentlichenArbeit einlade, dann darf ich Sie zunächst daran erinnern,und Herr Kollege Höhn hat ja in dieser Enquetekom-mission "Wirtschaftsförderung" mitgearbeitet, dort wurdediese Arbeit geleistet, insbesondere die Fragen des Fach-kräftebedarfs, insbesondere auch die soziale Infrastruktur,die zum Verbleiben in Thüringen notwendig ist, die Frageder Lohndiskussion, die Fachkräftebindung und Fach-kräftebeteiligung ist dort auch mit externem Sachver-stand beredet worden und man ist auch zu Handlungs-empfehlungen gekommen - der erste Punkt.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen will: Schon als derAntrag auf dem ursprünglichen Termin war, lag die Ein-ladung der Friedrich-Ebert-Stiftung auf meinem Tisch, dieleider heute, so dass wir daran nicht teilnehmen können, zueiner Veranstaltung einlädt, die da heißt: Stirbt der Ostenaus? Meine Damen und Herren, warum haben Sie nichtwenigstens auf diese Veranstaltung gewartet, weil selbst indieser Veranstaltung doch zu einer sorgfältigen Analyseder Ursachen und Wirkungen eingeladen wird.

Meine Damen und Herren, das geht nicht mit einemschnellen Katalog eins bis sieben, um dann zu sagen, damitist das Thema besetzt und wir können einmal darüberdiskutieren. Ich habe in dieser Situation im Internet einmalnicht nur nach der Managementgruppe geschaut, sonderndanach, was man in anderen Parlamenten dazu macht.Meine Kollegen der CDU-Fraktion in Mecklenburg-Vor-pommern hatten beispielsweise im November letztenJahres im dortigen Landtag eine Enquetekommission ein-setzen wollen. Sie merken, ich habe für Enquetekommis-sionen eine gewisse Sympathie, wenngleich ich hier be-fürchte, dass wir uns in Thüringen damit ein wenig über-nehmen. Aber dort war die Enquetekommission mit demZiel einzusetzen "Bevölkerungsentwicklung und Perspekti-ven zum Leben, Arbeiten und Wohnen in Mecklenburg-Vorpommern". Das ist dort abgelehnt worden durch dieregierungstragenden Fraktionen, weil man sich mit diesemThema auf die Art und Weise nicht beschäftigen wollte.Das ist also für mich auch eine Schieflage. Wie soll ich dasjetzt sehen, wenn wir hier mit so einem Thema kommen,während man die ordentliche Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern ablehnt. Ich will als Einstieg sagen ...

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Weil ich inMecklenburg-Vorpommern nicht im Parla-ment sitze.)

Wissen Sie, Frau Kollegin Pelke, das ist auch kein Thü-ringer Problem. Das wollte ich jetzt gleich sagen, wennman sich damit beschäftigt, kann man das nicht partiellauf einer Landesparlamentsebene tun.

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Meine Damen und Herren, man kann nicht einfach nur überAbwanderung reden, denn das ist nur ein Aspekt imRahmen der Debatte über die demografische Entwicklung.Da ist die Frage der Geburten, da ist die Frage der Sterbe-fälle, da ist die Frage der Abwanderung, aber auch die Fra-ge der Zuwanderung und man muss sehr wohl differenzie-ren, meine Damen und Herren. Wenn ich in diese Debatteeintrete, dann ist es ein bundesdeutsches Problem, natürlichauch mit dem Blick auf europäische Dimensionen. Alsonoch einmal ganz deutlich, wir können hier nur sorgfäl-tige Analysen der Ursachen und Wirkungen vornehmen,es ist kein Platz für einen kurzfristigen Aktionismus undschon gar nicht auf Landesebene.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Nein, mitGesetzgebung.)

Meine Damen und Herren, es ist auch kein Feld für Po-lemik und schlechte Stimmung machen. Als wir das Themazum ersten Mal auf der Tagesordnung hatten, war am Tagzuvor erst der Bundespräsident durch alle Gazetten ge-laufen. Er hatte schon eine Diskussion mit der Frage, stehtder Osten auf der Kippe, initiiert. Dort war er nun nochinitiiert worden, indem er die Ostdeutschen aufforderte,aufzuhören zu jammern.

Meine Damen und Herren, wenn ein Thüringer sich inMünchen besser steht als in Thüringen, dann wird er erstrecht nicht nach Thüringen kommen, wenn er in Thüringennoch als Jammerlappen beschimpft wird. Das muss manauch einmal so deutlich sagen. Wir müssen dort umschal-ten. Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommernhatte zu einer Diskussion, die da hieß "Der menschen-leere Osten - reale Zukunftsvision?" geantwortet: EinSchreckensbild von Schwarzmalern. Ich denke, wir sollteneinen Perspektivwechsel führen, der in die Richtung geht:Die Menschen in Ost- und Mitteldeutschland haben einengigantischen Strukturwechsel mit beachtlichem Erfolgbewältigt und die starke Flexibilität der gut ausgebildetenFachkräfte, die sich auf diese neue Situation gut einge-stellt haben, ist eben ein Standortvorteil. Deshalb dieserPerspektivwechsel, weil die Zukunft des Freistaats nichtunter der Leitfrage diskutiert wird, wann kippt der Ostenoder kippt der Osten oder die andere Frage, wann wird erendlich recht oder schlecht zum Osten aufschließen, son-dern man muss doch einmal deutlich sagen, zu allen Zeitenund auch in allen Teilen der Welt hat es Regionen ge-geben, in denen es Abwanderungen gegeben hat. Das kannman auch im Thüringer Landstrich von 1990 und davorvielleicht feststellen. Es hat auch in allen Zeiten Indika-toren gegeben, sei es das Bruttoinlandsprodukt, das Pro-Kopf-Einkommen oder die Zahl der Arbeitslosen, die imVergleich zu anderen eher schlecht abschneiden. Dennochkönnen die Menschen in diesen Regionen ganz gut lebenund kann die Politik dabei helfen, dass dies bleibt undihre Chancen sich sogar verbessern. Das heißt also, mankann der Region weder mit einem Niedergangsszenario,wie das Wort Altenheim, was dort in der BegründungIhres Antrags steht, helfen, noch kann man hier mit einem

Aufholjagdszenario helfen, weil das die Kräfte lähmt undden Niedergang beschleunigt. Es setzt unrealistische Zieleund führt zu Traumata des Scheiterns sowie am Ende zumgleichen Ergebnis. Die Alternative dazu wäre ein Entwick-lungsszenario, das heißt, welche politischen Schritte kön-nen dazu beitragen, die Chancen der Menschen, beispiels-weise in Thüringen, aber auch in Ost- und Mitteldeutsch-land zu verbessern, also so eine Arbeit, wie sie auch die En-quetekommission "Wirtschaftsförderung" in Thüringen ge-leistet hat. Nun zu den Zahlen, weil sowohl von Frau Pelkeals auch von Herrn Nothnagel die 2001-Zahl für Thüringenbenannt wurde. Ich hatte sie mir schon herausgesucht fürSachsen-Anhalt. Da war das noch vor der Landtagswahl.Das waren im Übrigen im Jahr 2000 34.000, die dort ab-gewandert sind, was bei der Abwanderung im Saldo Sta-tistik Zugänge und Abgänge ganz interessant ist. Das sollteman der guten Ordnung halber auch sagen, das wuchs seit1991 und nahm bemerkenswerterweise bis 1997 ab undstieg von 1998 jetzt kontinuierlich wieder an, meine Damenund Herren. Ich gebe nur einmal den leichten Hinweis. Dashat offensichtlich auch etwas mit wirtschaftspolitischenEntwicklungen zu tun.

(Beifall bei der CDU)

Das hat offensichtlich auch mit einem Trend zu tun. Ich be-lege das noch, Frau Kollegin. Interessanterweise, ich weiß,dass das wehtut, wenn ich immer wieder aus anderen Bun-desländern, wo Sie regieren, die entsprechenden Belegebringe, das hat etwas damit zu tun, wie Bundespolitik ins-besondere die Situation in Ost- und Mitteldeutschlandmissachtet und schlecht tut, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Bevor ich diesen Passus zur Bundespolitik sage, möchte ichIhnen, weil er für die Arbeit in Thüringen nicht uninte-ressant ist, zumindest den Einblick, Herr Nothnagel, ge-währen, den Sie dort als Herrschaftswissen möglicher-weise benannt haben, also die Managementgruppe zurSicherung des Fachkräftebedarfs der Thüringer Wirtschaft.Ich habe es mir deshalb herausgesucht, weil deren ArbeitHilfestellung leisten kann für unsere weitere Überlegung,wenn Sie es mit notieren lassen wollen. Also die Thürin-genseite, die wir haben, www.thueringen.de, die Homepageaktuell Management, also sehr einfach zu finden, da kön-nen Sie das nachlesen, was dort steht. Dort wurde insbe-sondere auch der Hinweis gegeben, es gibt eine ganze An-zahl von Studien und Prognosen, insbesondere zu der Be-schäftigtenstruktur und zum Fachkräftebedarf, aber wasman dort festgestellt hat, dass dort wertvolle Auswertungenbereitstehen, aber dass in den Gesprächen mit den Autorendieser Studien die Managementgruppe zu dem Schlusskommt, dass man keine ausreichenden Signale und damitkeine signifikanten Aussagen für Thüringen treffen kann.Also, Sachverständigenmeinung gegen Schnellschuss SPD-Antrag, hätte ich daneben geschrieben. Deshalb ist mandort zu der Meinung gekommen, dass man eine neueStudie in Auftrag gibt. Die Managementgruppe hat das ge-

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sagt, und zwar die die konkreten Informationen zu dem Be-darf, also hier insbesondere zum Fachkräftebedarf in demBereich, in den Jahren 2005 bis 2010 bringen soll. Dannstehen dort auch entsprechende Handlungsempfehlungen,die jetzt schon vorliegen. Die Handlungsempfehlungen, daswundert mich ein wenig, zum Fachkräftebedarf, weil derDGB, der ja in der Managementgruppe drin ist und auchver.di ist in der Managementgruppe drin und hat dortunterschrieben zum Fachkräftebedarf und nun in der aktuel-len Position sagt, er wäre in erster Linie hausgemacht. Damuss man sich dann schon einmal verständigen, auf wel-cher Seite des Flusses man steht, wenn man solche Ar-beiten mit leistet.

Aber nun noch einmal zu der Frage, warum sich denn seit1998 möglicherweise die Geschichte so verschlechtert hat.Ich habe das vorhin mit dem Entwicklungsszenario auchgesagt. Ich habe den Eindruck und habe das aus einemDiskussionsbeitrag der "Denkwerkstatt 2002" aus Meck-lenburg-Vorpommern herausgenommen, der Diskussions-beitrag heißt "Abschied vom Aufholprozess Ost"; einkritischer Diskussionsbeitrag von den Herren May undSteinitz. Da ist dieser Verweis - wenn der von mir kommt,könnte ja jeder denken, ich mache hier irgendwelchenWahlkampf oder so etwas, nein, nein, aber dort steht es,man muss die realistische Sichtweise für Ost- undMitteldeutschland sehen. Es fehlen die neuen Impulse fürein mögliches Wachstum in Ost. Die Autoren schreibendort also wirklich, dass man sich in Deutschland gesamt-staatlich entscheiden soll, wie es in Ostdeutschland weiter-gehen soll mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Und dieAutoren schreiben eben, dass sich um diese Zukunftsent-scheidung die Bundesregierung, jetzt ist die Bundesre-gierung von Gerhard Schröder angesprochen, in ihrer ge-samten Legislaturperiode bereits erfolgreich herumge-mogelt hat. Die Chefsache Ost stellt sich gesamtstrate-gisch als leere Hülle heraus. "Der Chefadjutant", Sie wis-sen, wer damit gemeint ist, ich zitiere hier "fungiert als Ab-wickler und die ostdeutschen Bundestagsabgeordneten fin-den nicht unter einem Hut ihre wirklichen Wählerinte-ressen", meine Damen und Herren. Dieses Zitat ist damitzu Ende und belegt eigentlich auch den Blick auf die Zah-len, dass wir, auch aus dem Bericht der Enquetekom-mission "Wirtschaftsförderung", hier vor Ort schon sehrversuchen gute Wirtschaftspolitik zu machen, aber sie ge-gen den Trend der Bundespolitik und der Konjunktur-entwicklung nicht ständig gegenhalten können. Sie merkenalso auch in Thüringen natürlich die entsprechenden Aus-wirkungen.

Nun ein paar Worte noch zu dem Antrag selbst. Ich habees, glaube ich, schon versucht deutlich zu machen, wegender inhaltlichen Dürftigkeit des Antrags. Da hilft auch nichtdas Rückrudern, Frau Kollegin Pelke, dass man sagt, wirwollten ja nur den Impuls geben, um in den Ausschüssendarüber zu beraten. Nein, nein, wegen der inhaltlichenDürftigkeit des Antrags wollen wir mit diesem Antragkeine weitere Behandlung. Und Sie werden von uns auchdie Zustimmung nicht bekommen können. Sehen Sie ein-

mal, wenn man die Punkte schnell durchgeht. Der Punkt 1 -die Wohnungsbauförderung so auszurichten usw.; habenSie einmal mit den Vertretern der Wohnungsbauwirtschaftgesprochen? Bei dem Leerstand, den wir an Wohnungenhaben, kann ich nur sagen, das läuft ja wie ein aufeinan-derfahrender Zug aufeinander. Das mit den Tarifvertrags-parteien, da haben Sie schon die richtige Adresse benanntin dem Antrag, wir haben auch in der Union die Beschluss-lage sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene, dassman versuchen muss, die Angleichung in einem abseh-baren Korridor herbeizuführen und insbesondere auch dieAufforderung an die private Wirtschaft, zumindest bei denFachkräften mit einer Differenzierung in Lohn und Gehaltauch Haltemöglichkeiten zu bringen. Nicht in jedem Fallist da der Flächentarifvertrag besonders hilfreich.

Zu den Mobilitätshilfen hat Kollege Nothnagel gesagt, dasist Bundesangelegenheit. Wenn Sie das weghaben wollen,sollten Sie die entsprechenden Möglichkeiten doch er-greifen. Ich will aber nicht verhehlen, dass es auch beidieser Mobilitätshilfe eine Diskussion im Bereich Pro undKontra gibt, denn die Bundesregierung hat das ja sichernicht aus Jux und Tollerei gemacht. Junge Menschen, dievon der Straße weg sind, sind auf alle Fälle besser unter-gebracht als dass sie zu Hause rumgammeln, deutlich ge-sagt. Die entscheidende Frage ist: Wie schaffen wir Be-dingungen, dass die Leute wieder zurückkommen. Dasagen alle Untersuchungen ganz deutlich, entscheidend istdie Frage des Arbeitsplatzes und die Bezahlung. Alles an-dere, was danach kommt, ist doch zweitrangig. Das sindauch Untersuchungen, die vorliegen.

Bei Punkt 5 sage ich Anreize für die Rückkehr von Arbeit-nehmern und deren Familien. Warum nur die und nicht dieanderen oder noch mehr? Zur Förderung des Mittelstandsist ein umfangreiches Paket in der Enquetekommissionfestgestellt worden an Handlungsempfehlungen und das,was die Landesregierung leisten kann, das tut sie, denHochschulstandort auch für Spitzenkräfte attraktiv zu ma-chen. Da würde ich ketzerisch die Frage an die Wissen-schaftspolitiker stellen: Ist er nicht attraktiv für Spitzen-kräfte? Ich hoffe, dass da gleich der Aufschrei der Em-pörung kommt. Denn ich glaube, gerade in dem Bereichin der Hochschullandschaft haben wir Spitzenergebnissezu verzeichnen, so dass ich diesen Punkt 7 eher als wenighilfreich empfinde, meine Damen und Herren.

Ich denke, wir haben die wirtschaftliche Entwicklung fürThüringen voranzubringen und dort insbesondere natürlichauch die Handlungsempfehlungen der Enquetekommission"Wirtschaftsförderung" in die Arbeit weiterhin mit einzu-beziehen. Wir haben darauf zu drängen, dass es ein Um-schwenken in der Politik für Ost- und Mitteldeutschlandgibt in der Bundesregierung. Ich habe nicht das Vertrauen,dass die bisherige Bundesregierung, die an dieser Stelleversagt hat, es nach einer weiteren Legislatur besser ma-chen würde. Deshalb brauche ich, glaube ich, nicht weiterzu sagen, was ich mir an dieser Stelle erhoffe. Ich glaube,wir müssen alles tun, dass die Menschen hier bleiben,

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hierher kommen und hierher zurückkehren. Das kann nurgeschehen, indem man ein attraktives Thüringen ent-wickelt, das lebens- und liebenswert ist und damit dieBindungskräfte hat, um nicht nur junge Menschen, sonderninsbesondere Menschen hier in Thüringen auch arbeitenund leben zu lassen. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Präsidentin Lieberknecht:

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Bechthum, SPD-Fraktion.

Abgeordnete Bechthum, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich werde zurAbwanderung von Frauen aus Thüringen sprechen. Ineiner Studie des DGB, die ich im Plenum im März be-reits erwähnt hatte, wurde ermittelt, dass 3.000 bis 4.000junge Frauen jedes Jahr Thüringen verlassen. Frauen zwi-schen 18 und 40 Jahren gehen vor allem nach Bayern,Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.Selbst der MDR machte sich im März, nachdem dieseStudie in die Öffentlichkeit kam, ziemlich große Sorgen umdiese Abwanderung, nannte diese Zahlen in verschiedenenBeiträgen dramatisch, vor allem diese Altersgruppe Frauenbetreffend. Fast die Hälfte der Frauen nämlich ist zwischen18 und 25 Jahren und jede zweite Frau, die Thüringen ver-lässt, hat Abitur. Die durch ein abgeschlossenes Studiumhöher Qualifizierten machen ein Viertel aller weiblichenAbwanderer Thüringens aus. Als dramatisch ist vor allemangesichts der Geburtenentwicklung der Wegzug der jun-gen Frauen zu bewerten. Es sind genau die Frauen in denJahrgängen, die im gebärfähigen Alter sind. Von den Fol-gen der Geburtenausfälle der 90er-Jahre wird sich Thü-ringen nun noch langsamer erholen als bisher angenom-men. Eine Ursache der Abwanderung junger Frauen inwestliche Bundesländer liegt auch in den fehlenden oderungenügenden Ausbildungsangeboten. In den letzten Jah-ren standen in Thüringen nur für die Hälfte der Bewer-berinnen betriebliche Ausbildungsplätze bereit. Die Direk-toren von Erfurter Berufsschulen, von der einen Berufs-schule waren sie auch bei Herrn Minister Krapp und habenüber ihre Misere sehr, sehr deutlich berichtet, haben mir dasauch bestätigt. Thüringer Firmen begründen ihre mangeln-de Ausbildungsbereitschaft mit der geringen Unterstützungvon den Kammern, mit schlechten Rahmenbedingungen.Vielleicht muss man darüber auch reden. Trotz anzuer-kennender Bemühungen wurde das Angebot an Berufs-fachschulen nicht im erforderlichen Maße ausgebaut, uminsbesondere Frauen eine qualifizierte Ausbildung anstelledes dualen Systems in beruflichen Vollzeitschulen im er-forderlichen Umfang zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, für Thüringer Abiturientinnen,die eine duale Ausbildung anstreben, gibt es zu wenig adä-quate Ausbildungsberufe oder auch später Berufschancen.Die Berufsschulen haben auf eine duale Ausbildung keinen

Einfluss. Das wiederholen sie immer wieder. Die Rahmen-bedingungen sind dafür schlecht. So werden sie wenigunterstützt von den Kammern, also auch die Berufs-schulen. Irgendwie stimmt so manches nicht. Das ist mirbei der Vorbereitung hier auch klar geworden. Die Be-reitschaft junger Frauen in einem alten Bundesland zubeginnen, beträgt nach jährlichen Erhebungen des Bundes-instituts für Berufsbildung mehr als 70 Prozent. Das sollteuns doch sehr, sehr hellhörig werden lassen. Nochmals, eshandelt sich dabei vor allem um junge Frauen, die gern einehöhere und hoch qualifizierte Tätigkeit erlernen und aus-üben möchten. Es sind Frauen mit Abitur, die Ausbil-dungsplätze insbesondere im höherwertigen Dienstleis-tungsbereich suchen und deshalb abwandern. Ein wei-teres Problem ist, dass am Ende der Berufsausbildung nurwenige Auszubildende von den Ausbildungsbetriebenübernommen werden, vor allem Frauen werden arbeitslos.

Es liegt uns noch eine zweite Studie vor, und zwar zurAbwanderung von jungen Menschen insgesamt aus denneuen Bundesländern, aber speziell auch auf Thüringeneingehend, und zwar die Studie der Universität Erfurt.Auch diese Studie der Universität Erfurt sieht im Gebur-tenrückgang als Folge der Abwanderung junger FrauenProbleme auf Thüringen und somit auch auf ThüringensSchulen zukommen. Das Schul- und Hochschulsystem seiunmittelbar von diesem Prozess betroffen.

Meine Damen und Herren, wie sieht das mit den jungenFrauen aus, die nur einen Hauptschulabschluss haben unddadurch noch weniger gut in eine Ausbildung vermittel-bar sind? Eine weitere Ursache, weshalb vor allem jungeFrauen Thüringen verlassen, liegt darin, dass sich die ver-fügbaren Ausbildungsberufe schwerpunktmäßig nicht inden expandierenden Branchen des Dienstleistungssektorsoder im Bereich informationstechnischer Berufe finden. Siesind überwiegend in traditionell gewerblichen Berufen, indenen Frauen nur geringe Ausbildungschancen haben. Hierstimmt doch irgendetwas nicht. Bei einer verantwortlichenMitarbeiterin des Landesarbeitsamts Thüringen/Sachsen-Anhalt habe ich mich da auch extra noch mal erkundigt undsie hat diese Aussage gestützt. Es gibt wirklich zu wenigAusbildungsberufe speziell auch für Frauen in den IT-Branchen. Ich habe das gar nicht glauben wollen, aber siehat es bestätigt. Ich frage mich, wie werden die Erfah-rungen, die wir durch diese Koordinierungsstelle Natur-wissenschaften/Technik für Schülerinnen gesammelt ha-ben, die wir ja alle wollten und auch weiterführen, hiergenutzt, um junge Frauen wirklich auch für diese Berufezu interessieren, sie zu gewinnen. Ich hoffe, wir haben jadas Programm "Fritzi", Herr Minister, hier eröffnet inEisenach, das vor allem Schülerinnen und junge Frauenfür solche zukunftsträchtigen Berufegewinnen soll. Aberwenn sie nicht angeboten werden, dann machen wir unsja lächerlich. Das ist mir auch klar geworden.

Ein weiterer Grund, das wurde auch in der Studie derUniversität festgestellt, für Abwanderung sind wie all-gemein bekannt, dass in Thüringen die deutschlandweit

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niedrigsten Löhne gezahlt werden. Es ist also überhauptkein Standortvorteil, hier von einem Niedriglohnland zusprechen oder sie mit niedrigen Löhnen zu locken.

Meine Damen und Herren, aus den privaten Entschei-dungen, die aus reinen Existenzgründen getroffen werden,den Freistaat zu verlassen, wird auf Dauer ein Problem desLandes. Die Flexibilität von jungen Frauen wird so nüch-tern von ihnen selbst gesehen, sie sagen, ich verlasse denFreistaat, wenn ich hier nichts finde. Das finde ich eigent-lich dramatisch. Ich habe das miterlebt in der eigenen Fa-milie, als 1992 unsere eigene Tochter wegging, da hat manden jungen Leuten gesagt: Gehen Sie doch in die altenBundesländer. Sie ist gegangen und das war für uns dra-matisch. Sie ist aber nach zwei Jahren zurückgekommen,weil wir auch als Familie dafür geworben haben, und daswar ein richtiger Schritt. Sie hatte gute Erfahrungen ge-sammelt und hat diese hier auch sehr gut einbringen kön-nen, aber so gelingt es ja nicht sehr häufig, dass sie wiederzurückkommen. Es wäre schön, wenn es uns gelingen wür-de. Und in Ihrem Ministerium, Herr Minister Schuster,wird eben leider diese Entwicklung bisweilen bagatellisiert.Man sagt, das sind private Entscheidungen. Ich denke, dassollte man doch sehr, sehr ernst nehmen.

Junge Frauen wollen beides, sie wollen Beruf und Familie.Unser dichtes Netz von Kindertagesstätten, mit dem wir bisjetzt immer noch wuchern konnten, ist auch bald aufge-braucht. In Erfurt gibt es z.B. noch sechs Kinderkrippenund der Bedarf ist so gewachsen, wir können ja froh da-rüber sein. Diese reichen im Grunde schon nicht mehr ausund Erfurt plant auch hier auszubauen. Das tun aber nichtalle Kommunen. In anderen Regionen sieht es hier schonwesentlich dramatischer aus. Es wird höchste Zeit, dasswirklich alles unternommen wird, um diese Abwande-rungsbewegung zu stoppen und lieber mit vielen kleinenSchritten ans Ziel zu kommen, als gar nichts zu tun. Undnoch mal abschließend: Der Präsident der Erfurter Hand-werkskammer hebt ja zu jedem Anlass hervor die guteUnterstützung der Landesregierung für die Handwerkerund für den Mittelstand. Dann fordern Sie doch auch eineGegenleistung, Anstrengungen zu unternehmen und mehrAusbildungsplätze zu schaffen und nicht das Angebot zu-rückzufahren, damit junge Frauen hier in Thüringen auchbleiben. Die Jugendberufshilfe hat zu Recht ungewöhn-lich scharf eine mangelnde Ausbildungsbereitschaft vonThüringer Unternehmen kritisiert zum ersten Mal, dass sieso hart und so scharf mit Namen an die Presse gegangensind. Ich zitiere hier den Geschäftsführer der Jugendbe-rufshilfe Thüringens, Herrn Backhaus, er sagte ganz ein-deutig - ich zitiere, Frau Präsidentin: "Notwendig seien inerster Linie nicht mehr Fördergelder", da ist ja sehr vielgeflossen und fließt, "sondern neue politische Lösungen"sagte Backhaus, "und oft werde an der Jugendarbeitslo-sigkeit nur herumgewerkelt." Ich denke, das sollte unsschon zu denken geben, wir sollten das sehr ernst nehmenund gemeinsam auch dafür sorgen und gemeinsam etwastun und nicht, Herr Kretschmer, so tun als würden wirnur das politisch verkaufen wollen oder alles schlecht-

reden, so ist es echt nicht gemeint. Ich bedanke mich fürdie Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Pelke zuWort gemeldet.

Abgeordnete Pelke, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, lassen Siemich im Nachgang zu der kurzen Antragsbegründung, wiees sich auch bei einer Begründung gehört, noch einiges zuunserem Antrag sagen. Herr Kretschmer, ich finde eseigentlich schade, dass Sie sich auf so ein Diskussions-niveau begeben, Sie selber haben am Ende Ihrer Rede ge-sagt, es ist im Prinzip relativ einfach, wir müssen nur Thü-ringen liebens- und lebenswert machen, dann bleiben dieLeute schon hier. Wenn das Ihre Einstellung ist, dann ist esja noch weniger als das, was nach Ihrer Einschätzung inunserem Antrag steht. Herr Kretschmer, uns zu unterstellen,dass wir hier Wahlkampf oder uns eines Themas po-pulistisch bemächtigt haben, das ist einfach unfair, weil wiroft an dem Punkt, wenn es um Jugendpolitik ging, wenn esum die Frage der Ausbildungsplätze ging, wenn es um dieFrage der Arbeitsmarktpolitik ging, immer das Thema "Ab-wanderung" zum Thema gemacht haben. Ich dachte eigent-lich, wir wären uns an dem Punkt einig, dass hier Hand-lungsbedarf besteht. Genau deshalb haben wir diesen An-trag gestellt. Wir haben uns doch nicht hingestellt undhaben gesagt, der Wirtschaftsminister macht überhauptnichts. Wir haben doch nicht gesagt, hier passiert überhauptnichts. Wir haben gesagt, die Zahlen, die im Moment aufdem Tisch liegen, nicht von irgendwem, sondern vom Lan-desamt für Statistik, legen mittlerweile ja im Prinzip dra-matische Aspekte dar. Und es muss doch in unser aller In-teresse sein, dafür Sorge zu tragen, dass junge Menschennicht weggehen von Thüringen. Wie Sie das bezeichnen,ob man das als dramatisch ansieht oder mittlerweile auf-merksamer sein muss, oder wie auch immer, das ist dochnicht die Frage. Wir haben uns bemüht, einige Aspekte zu-sammenzutragen, die Möglichkeiten oder Grundlagen wä-ren, über die man reden kann, um jungen Leuten hier, wieSie gesagt haben, eine Lebensmöglichkeit zu geben. Undda wäre es vielleicht mal vernünftig darüber nachzudenken,wie können wir denn im Bereich der Wohnungsbauför-derung attraktiven Wohnraum zur Verfügung stellen, ge-rade für junge Menschen in der Familiengründungsphase.Das hat jetzt nicht allein unter dem Aspekt mit demWohnungsleerstand etwas zu tun, attraktiver Wohnraumhat etwas mit Umfeld zu tun, hat etwas mit Umfeldbe-dingungen zu tun, hat etwas mit der Lage des Wohnraumszu tun und, und, und. Das wird der Wirtschaftsministersicherlich auch sehr viel besser einschätzen können. Erkönnte auch dazu etwas sagen. Lassen Sie doch mal überden Punkt nachdenken, dass junge Menschen, die aus zweiGründen weggehen, um nur einmal zwei Gründe zu nen-

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nen, einmal, weil sie hier entweder keine Ausbildung oderkeinen Arbeitsplatz finden oder aber, weil sie sagen, wirbekommen für unsere Arbeit in den Altbundesländerneben die entsprechende Entlohnung. Reden Sie doch mitIhrer Kollegin Frau Arenhövel, die weiß doch auch, dassgerade im Bereich der Altenpflege junge Menschen weg-gehen. Gerade im Bereich der Krankenpflegeberufe gehenjunge Menschen weg, insbesondere auch junge Frauen unddas hat etwas mit der Entlohnung zu tun und das hat etwasmit den Bedingungen hier zu tun.

Wenn junge Menschen beispielsweise in Ballungsgebieteder Altbundesländer weggehen und dann dort aber höhereLebenshaltungskosten haben, wäre möglicherweise - wirsagen nicht, dass wir das Gelbe vom Ei erfunden haben- das Angebot von preiswertem attraktiven Wohnraum hierein Aspekt, weshalb man noch mal darüber nachdenkenkönnte, Thüringen zu verlassen, und wenn Sie unsWahlkampf unterstellen. Ich gebe Ihnen sehr Recht,Herr Kretschmer, dass die Mobilitätshilfe sehr unterschied-lich diskutiert wird. Aber, ich denke, es ist ein Aspekt, dassman darüber reden muss und nicht mehr und nicht we-niger wollten wir hier zum Ausdruck bringen. Die Mobi-litätshilfe, die sich im Prinzip darauf beschränkt, jungenLeuten die Mobilität von Ost nach West noch attraktiver zumachen, ist angesichts solcher Zahlen aus unserer Sichtproblematisch und darüber müssen wir reden, wenngleich,auch das weiß ich, die Mobilitätshilfe auch gar nicht in derGrößenordnung angenommen wird, wie das vielfach hier inder Thematik rüberkommt, aber genau deswegen lassen Sieuns doch über diesen Punkt sprechen. Also, Wahlkampf istes nicht, weil wir damit natürlich auch in Richtung derBundesregierung schauen, also so einfach, dass Sie sichhier herstellen und sagen, alles, was schlecht läuft ist dieBundesregierung und alles, was irgendwie positiv läuft,selbst dann war es die Landesregierung und wenn esdann nicht funktioniert, war es wieder der Schröder - das istein bisschen einfach.

Wir haben auch das heikle Thema "Bund-Länder-Pro-gramm", "Bund-Länder-Sonderprogramm für zusätzlichebetriebsnahe Ausbildungsplätze", angesprochen. Auch dasist ein Punkt, wo wir uns selber in die Kritik nehmen unddas gehört sich auch so. Gerade bei so einem heiklenThema muss man dann auch einmal gegenüber der eigenenRegierung sagen, dass hier Handlungsbedarf besteht. Estut mir Leid, wir haben nicht verstanden, weshalb diesesProgramm von 16.000 geförderten Ausbildungsplätzen auf14.000 reduziert worden ist in Absprache mit den Ländern,weil von den Ländern gesagt worden ist, der Bedarf istsinkend aufgrund sinkender Geburtenzahlen. Das stimmtnicht, meine Damen und Herren, das wissen Sie selber, dasist angesprochen worden. Diese sinkenden Geburtenzahlen,dieser Geburtenknick ist bei weitem erst im Jahre 2006/2007 zu erwarten. Insofern kann man jetzt nicht von einerVerbesserung der Situation reden. Unser Anliegen ist es,dass mindestens die alte Zahl von 16.000 gefördertenAusbildungsplätzen vorhanden ist und darüber muss mandoch reden, auch wenn man möglicherweise Kritik in die

eigene Richtung deutlich machen muss. Das heißt, diesesieben Punkte, die wir in diesem Antrag aufgeschriebenhaben, sind Punkte, die wir als Diskussionsbedarf be-nennen wollten und das heißt nicht, dass wir zurückrudern.Wir hätten in diesem Antrag noch über Enquetekommis-sion reden können, wir hätten noch über andere Variantenreden können. Aber, sind Sie doch einmal ganz ehrlich, Siein der Mitte dieses Hauses sind doch sowieso von vorn-herein wieder in die Diskussion gegangen, diesen Antragabzulehnen, ob wir nun noch 20 Punkte mehr aufgelistethätten oder 20 Punkte weniger. Das können Sie doch dannauch so ehrlich sagen, dass es - egal, was von dieser Seitedes Hauses an Anträgen kommt - ohnehin nicht Ihre Zu-stimmung finden wird. Leider Gottes nicht einmal in soeinem sensiblen Thema die Zustimmung für eine Aus-schussüberweisung, wo wir uns alle zusammensetzen könn-ten und die Ergebnisse von anderen Kommissionen mit ein-beziehen würden, um zu einem Handlungspaket zu kom-men, weil eben mittlerweile die Situation der Abwanderungdramatisch ist.

Noch einen Satz zu den Zahlen, die Sie immer mit anderenLändern vergleichen. Es mag ja sein, dass das immer sehrwichtig ist, aber es ist nun mal so, dass wir hier Abgeord-nete im Thüringer Landtag sind. Vergleiche mit Meck-lenburg-Vorpommern oder mit Sachsen-Anhalt, das kannalles ganz interessant sein, helfen uns in unserer spe-ziellen Situation aber nicht weiter. Wenn Sie dann dieZahlen vergleichen, dann müssten Sie ehrlicherweise auchauf die Pendlerzahlen verweisen. Die sind natürlich in Thü-ringen besonders hoch und das hat auch etwas mit denAbwanderungszahlen zu tun. Deswegen stellt sich dieSituation unterschiedlich dar. Ich dachte, Herr Kretschmer,das hätten Sie der Ehrlichkeit halber auch mit ansprechenkönnen. Es ging uns hier überhaupt nicht darum zu be-haupten, es sei nichts getan und es würde nichts getan,sondern wir haben einen Handlungsbedarf gesehen, denwir hier niedergeschrieben haben. Wir hätten uns eigent-lich gewünscht, dass es zumindest an diesem Punkt eineEinigkeit in diesem Hause gibt, zu diskutieren, zu über-legen, wie man ein Handlungsprogramm, das relativ schnellgreift, um jungen Leuten, wie Sie gesagt haben, um Sie zuzitieren: "ein lebenswertes Thüringen zu erhalten", wie die-ses funktionieren kann. Das hätte ich ganz gern gemeinsamgemacht, aber ich sehe, dass Sie das nicht wollen. Nichts-destotrotz beantrage ich auch noch einmal namens meinerFraktion die Überweisung dieses Antrags an den Ausschussfür Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik und an den Aus-schuss für Soziales, Familie und Gesundheit. HerzlichenDank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die PDS-Fraktion hat sich der Abgeordnete Husterzu Wort gemeldet.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5363

Abgeordneter Huster, PDS:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,Herr Kretschmer, wenn ich jedem Antrag hier im Thü-ringer Landtag Wahlkampf unterstellen möchte, der inzeitlicher Nähe zu irgendwelchen Wahlen ist, dann be-fürchte ich, wir würden Monate vor Wahlen überhauptkeinen Antrag mehr vernünftig beraten können.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Er hatdas Gegenteil gesagt.)

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Ihrhabt das gesagt.)

Sie sind ein Hitzkopf. Ich würde in unserem föderativenSystem wahrscheinlich überhaupt keine Anträge sinnvollberaten können. Also, ich unterstelle dem Antag der SPDdieses nicht, sondern ich sehe bei allen Unzulänglich-keiten den sachlichen Gegenstand und die Komplexität desThemas, über das man dringend reden muss. Jeder Antrag,der sich mit Abwanderung und Bevölkerungsentwicklungim weitesten Sinne befasst, muss eigentlich unzulänglichbleiben, unvollständig bleiben, weil eigentlich das Themadas komplexeste überhaupt ist. Meine These ist, dass Ab-wanderung und Geburtenentwicklung so zentral sind, auchals Leitbild für einen Freistaat wie Thüringen geeignet sind.Es ist schlichtweg der Indikator, ob ein Standort, also einFreistaat Thüringen oder Ostdeutschland insgesamt, zu-kunftsfähig ist oder nicht und das muss uns, glaube ich, inder Dimension, in der Tiefe des Problems klar werden. Aufdie Frage, ob der Osten ausstirbt, das ist sicherlich auch ersteinmal eine provokative Frage, aber, von den Prognosenausgehend, bis zum Jahr 2020 wird der Bevölkerungsrück-gang im Osten Deutschlands noch einmal mit einer MillionMenschen beziffert. Neben der Überalterung, die damit ver-bunden ist oder die parallel dazu läuft, ist das noch einmalein Riesenproblem. Nicht umsonst beschäftigen sich jetztauch die Wirtschaftsverbände sehr ausführlich damit,was ihren künftigen Fachkräftebedarf betrifft.

Um das Problem der Abwanderung noch einmal zu ver-deutlichen, möchte ich Sie auf ein kleines Gedankenspieleinladen. Allein die Vorstellung, dass wir in diesen JahrenGeburtenzahlen hätten, wie zum Ende der DDR, die Folgedieser hohen Geburtenzahlen wäre tatsächlich eine extremhohe Jugendarbeitslosigkeit, die an Entwicklungsländer-zahlen wie in Algerien anknüpft oder die eine Ausreiseaus Ostdeutschland in die alten Bundesländer zur Folgehätte, die mindestens so hoch wäre wie zu Endzeiten derDDR oder die eine massive Verdrängung älterer Arbeit-nehmer aus dem Arbeitsleben hier im Osten zur Folgehätte. Also, entweder die Probleme einzeln oder alle zu-sammen; wenn wir eine vergleichbare Geburtenquote wiezu DDR-Zeiten hätten, hätten wir diese Probleme. Dasheißt im Umkehrschluss, dass auch, wenn ich über die-ses Problem diskutiere, über andere Organisationen in derArbeitswelt nachgedacht werden muss, auch deshalb, weildie jetzige - jetzt verwende ich einen Begriff, der nicht be-

sonders schön ist - Reproduktionsquote im Osten gerademal 52 Prozent beträgt und diese Reproduktionsquote darfvon uns nicht so interpretiert werden, als dass es sich hierum einen zeitweiligen Glücksfall handelt, so nach demMotto, wir wüssten ja gar nicht, wo wir mehr Kinder unter-bringen, sondern wir müssen schon sagen, dass diese ge-ringe Reproduktionsquote Ausdruck auch von gesell-schaftlicher Krise und vielleicht auch eine Folge dieserUmbruchsituation ist.

(Beifall bei der PDS)

Ich will nicht so weit gehen zu sagen, dass sich hier einGesellschaftsmodell überlebt hat, aber Ostdeutschland ist janicht das einzige Problemkind in diesem Fall, sondern esbetrifft eigentlich alle westlichen Gesellschaften, Ost-deutschland im Moment ganz besonders hart. Das zeigt,denke ich, auch in der Argumentation die eigentliche Tiefedes Problems, über die wir reden müssten. Damit Sie mirnicht vorwerfen, dass ich nur über höhere Dinge rede, umdie Ausschussüberweisung dieses Antrags zu befürworten,will ich ein Beispiel aus meiner kommunalen Praxis nen-nen. Wir machen in Gera seit 2 Jahren als PDS-Jugendunter dem Stichwort "Zukunftskampagne - Abwande-rungskampagne" eine Reihe von Gesprächen mit Unter-nehmen, mit Vertretern aus Politik, aus Kultur, es sind allewirklich am Start und wir reden darüber, wie wir in un-serer Region in Gera Vorschläge entwickeln können, diedort helfen, dass junge Leute dableiben. Natürlich kommtin den meisten Gesprächen im Ergebnis immer heraus, jawir brauchen Arbeitsplätze, Ausbildungsplätze, hoheLöhne, aber es kommt auch darüber hinaus heraus, dass dassehr viel mit Image zu tun hat. In diesem Zusammenhangmacht mir ein Fakt besonders große Sorgen, den wir allesehr ernst nehmen sollten, weil ich denke, der trifft nichtnur für Gera zu, sondern den kann man auch auf denFreistaat übertragen. Oftmals wissen 14-Jährige schon vorihrem ersten direkten Kontakt mit der Arbeitswelt, dass siedieses Land verlassen wollen. Das steht bei denen schonfest und da können wir hier über vieles reden, wennJugendliche, wenn Heranwachsende, schon - wo auchimmer her, sicher auch aus der Erfahrung ihrer Freunde,ihrer Eltern usw. wird das genährt - innerlich abge-schlossen haben mit dieser Region, dann wird es für unsganz schwer, die Leute hier zu lassen bzw. sie wiederzu-bekommen. Es geht also auch viel um Image und bei allerKritik, ich denke, auch eine Imagekampagne des Frei-staats Thüringen kann ja gar keinen anderen Anspruchhaben, als auch ein Signal an die Leute zu geben, sich aktivmit ihrer Region auseinander zu setzen. Über Details habenwir hier in dem Landtag ja hinlänglich gestritten, das willich an dieser Stelle nicht tun.

Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang: Mir scheintdringend notwendig, dass wir über die Form unserer Kom-munikation mit den Menschen nachdenken. So, wie wir esbisher handhaben über Zeitungen und mit Ansprachen überdie Medien wird es nicht gelingen, weil diese Probleme, dievor uns stehen, ich sage nur Thema "Stadtumbau", darüber

5364 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

kann man nur 1 : 1 mit den Leuten reden, um auch begreif-lich zu machen, dass wir bei dem bevorstehenden Stadtum-bau auch Chancen haben, Chancen für eine nachhaltigeRegion. Dass die Städte kleiner werden, das wissen wir alle,aber dass damit auch Chancen verbunden sind, ich glaube,da müssen wir über Kommunikation dringend nachdenken.Wenn eine Stadt wie Gera mit ca. 115.000 Einwohnernhoch geschätzt nach den Prognosen im Jahr 2020 noch80.000 Einwohner hat und wir beginnen jetzt mit demStadtumbau, dann hinterlässt das, wenn dieser Prozessnicht vernünftig kommuniziert wird, tiefe Spuren bei allden Leuten, die das beobachten. Das sind nicht nur ihreHäuser, aus denen sie vielleicht herausziehen müssen, son-dern das sind dann die Straßen, die nicht mehr belebt sind,das sind die Cafés, die nicht mehr belebt sind, das ist dieDisco, die nicht mehr läuft, weil nicht genügend Nutzer dasind. Ich meine, dass wir bei aller Offenheit des Prozessesdie Chancen betonen sollten, aber hier im Landtag darübernachdenken müssen, wie wir diesen Prozess vor Ort un-terstützen können.

(Beifall bei der PDS)

Ich wage hier die These: Es ist auch ein Kommunikations-problem und das sollten wir parteiübergreifend, wo esmöglich ist, wirklich angehen. Ich meine, dass wir als Ab-geordnete die Pflicht haben, Initiativen wie in Gera vorOrt wirklich zu unterstützen, mit den jungen Leuten insGespräch zu kommen. Das ersetzt zwar nicht fehlende Ar-beitsplätze, aber eine Identifikation mit der Region undVerständnis der Probleme hilft schon viel. Ich brauche jaauch einen bestimmten Gründer- und Aufbaugeist, wennich etwas bewegen will. In diesem Sinne meine ich, kannder Antrag der SPD-Fraktion wirklich qualifiziert werden.Ich glaube nicht, dass man damit in wenigen Tagen wirk-lich zu greifbaren Ergebnissen kommen könnte, aber ineinem längeren Diskussionsprozess, der vielleicht zumZiel hat, Abwanderungen und Geburtenentwicklung wirk-lich auch als ein Leitbild darzustellen, im positiven SinneZukunftsfähigkeit des Freistaats Thüringen, sehe ich ge-nügend Chancen. Und, meine Damen und Herren derCDU-Fraktion, es dürfte dann wirklich nicht so schwersein, diesem Antrag auch zuzustimmen; er ist für Sietatsächlich unschädlich.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die Landesregierung hat sich der Wirtschaftsministerzu Wort gemeldet.

Schuster, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Infra-struktur:

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ichdenke, bei dieser Diskussion geht es nicht um die Frage, obman eine bestimmte Entwicklung dramatisiert oder baga-tellisiert, sondern es geht zunächst um die Frage, ob man

sie überhaupt richtig analysiert hat. Wenn ich mir dieverschiedenen Beiträge so vor Augen führe, habe ich nichtden Eindruck, dass dies allseits der Fall ist. Mich er-innert diese Diskussion, nicht hier, sondern generell, anjenen Mediziner, der zwar nicht in der Lage ist, eine Diag-nose zu erstellen, aber sich als guter Chirurg empfiehlt.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns zunächst einmalim Klaren darüber sein, dass dieses Thema - wie gesagt,von erheblicher Bedeutung - kein spezifisches Ostthema ist,es ist ein deutsches Thema insgesamt. Die Spitzenreiter beidem negativen Wanderungssaldo sind Länder im Westen:Niedersachsen hat den höchsten negativen Wanderungs-saldo deutschlandweit; Saarland, Bremen sind dabei. Undbei den neuen Ländern haben wir weder den positiven nochden negativen Spitzenwert. Brandenburg hat einen posi-tiven Saldo, weil dort die Randwanderung in Berlin natür-lich dazu führt, dass eine starke Zuwanderung erfolgte. Wirhaben den zweiten Platz nach Brandenburg. Das heißt, esist auch kein typisch thüringenspezifisches Problem. Es istein gesamtdeutsches Problem überhaupt. Wenn man dieAbwanderungszahlen reduzieren will, dann muss man dieGründe für Abwanderungen ermitteln. Die Ursachen vonWanderungsbewegungen sind eindeutig das Wachstums-und Wohlstandsgefälle zwischen den Regionen. Immerdann, wenn die Konjunktur lahmt, steigt die Wanderungs-quote. Die Zahlen steigen jetzt, weil die Konjunktur soschwach ist.

Wenn man also die Wanderung einschränken will, mussman im Umkehrschluss dafür sorgen, dass die konjunk-turelle Entwicklung wieder besser wird. Da bin ich beieinem Thema, das wir sattsam hier diskutiert haben. Wennman über die Abwanderungen im Osten spricht, sollte mandie Diskussion nicht so führen, dass sie dem Osten schadet.

(Beifall bei der CDU)

Es wird der Eindruck erweckt, dass man hier nur nochwartet, wer als Letzter den Lichtschalter umlegt. Wenn dasdurch die Gazetten geht, dürfen wir uns nicht wundern,wenn die Investoren sich für die neuen Länder erst garnicht mehr interessieren.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt viele Meldungen mit dem Tenor, dem Osten laufendie Menschen davon. In Wirklichkeit haben wir interes-sante Angebote zu machen. Wir können Fachkräftepo-tenziale anbieten, die es in den alten Ländern nicht mehrgibt. Wir haben ein interessantes Fachkräftepotenzial zubieten, das muss doch auch gesagt werden. Wir solltennicht von einer sterbenden Region sprechen, das trifftdoch einfach nicht zu.

Jetzt noch einmal zu den Ursachen: Sicher kommen beiAbwanderungsmotiven viele infrage. Es wurden die Wohn-verhältnisse genannt. Frau Pelke, wenn ein Bereich weithingeregelt ist, dann ist es der Bereich der Wohnversorgung,

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5365

des Wohnumfelds, der städtebaulichen Entwicklung. Sogarim Eigentumsbereich ist viel geschehen, um Wohn-eigentum bilden zu können, und zwar sehr viel preis-günstiger als zum Beispiel im mittleren Neckarraum oderim Rhein-Main-Gebiet oder im Raum München.

(Beifall bei der CDU)

Da haben wir keinen Rückstand aufzuarbeiten. Das zen-trale Problem sind die Lohnstrukturen, die Tarifstrukturenund die Aufstiegsmöglichkeiten, die Qualifizierungsmög-lichkeiten, also allesamt Probleme, die im Bereich derWirtschaft zu klären sind, für die die Politik nicht, je-denfalls nicht primär, zuständig ist. Hierüber muss ge-sprochen werden.

Die Landesregierung betont seit Monaten und Jahren, dasswir eine differenzierte Lohnpolitik brauchen, dass wireinen differenzierten Flächentarif brauchen, um dringendbenötigte Fachkräfte hier auch binden zu können. Wenn dieEinkommensunterschiede so groß sind wie sie sind, danndürfen wir uns nicht wundern, wenn es zu Abwanderungenkommt.

Was ist zu tun? Die Landesregierung hat im Rahmen desTarifpartnergesprächs eine Arbeitsgruppe eingesetzt, derVertreter der Gewerkschaften, Vertreter der Wirtschaft undder Landesregierung angehören. Sie soll die Zukunft derFlächentarife erörtern. Wir müssen uns im Klaren darübersein, dass man hier nur etwas tun kann, wenn gleich-zeitig die Produktivität der Wirtschaft steigt. Wenn manumverteilt, ohne, dass etwas zu verteilen ist, ist dies vongroßem Schaden. Aber, wie kann man die Produktivi-tätsentwicklung steigern? Diese Frage richtet sich zunächstan die Wirtschaft, aber auch an die Politik, an das Landoder den Bund oder die Kommunen. Zu nennen ist etwader Bereich Ausbildung, Studienplätze, Forschung usw. Beider Ausbildung haben wir viel erreicht, noch nicht alles,beileibe nicht, darüber reden wir ja schon längere Zeit.Über die Entwicklung der Hochschulen ist auch viel ge-sprochen worden, auch über die Erfolge unserer Hoch-schulen beim Ranking. Trotzdem bleiben hier auch weitereAufgaben zu lösen. Angesichts der Abwanderungszahlensollte man auch dafür sorgen, dass interessante Arbeits-plätze, die es gibt, auch besetzt werden. Das ist jakeineswegs der Fall. Wir haben Abwanderungen undgleichzeitig werden interessante Arbeitsplätze im Land an-geboten, die keine Nachfrage finden. Deshalb führen wireine Informationskampagne durch, um das tatsächlicheAngebot an Ausbildungsplätzen und Arbeitsplätzen denjungen Leuten nahe zu bringen. Dafür haben wir "Thü-ringen perspektiv" gestartet. Zum Zweiten ist es dann wich-tig, den tatsächlichen Bedarf an Fachkräften zu ermitteln,damit man passgenau vermitteln und ausbilden kann. Dafürhat der Ministerpräsident die Managementgruppe ge-gründet, um dies zu erreichen. Frau Pelke, wenn Sie schondie Politik ansprechen, dann wäre es vielleicht auch ganzgut, auch die Bundespolitik in die Pflicht zu nehmen.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Habe ich doch.)

Dann wäre es ganz gut, Sie würden Ihre Bundesregierungveranlassen, bei dem Ausbildungsprogramm die von unsgeforderten 16.000 Ausbildungsplätze wieder zu geneh-migen. Die Bundesregierung weigert sich dies zu tun.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: An demPunkt sind wir uns doch einig.)

Da können Sie wirklich was bewirken, bitte tragen Siedazu bei, dass das Bund-Länder-Programm für jungeMenschen wieder aufgelegt wird, und zwar in dem Um-fang wie bisher.

(Beifall bei der CDU)

Nächster Punkt: Mobilitätsprämien: Hier muss man unter-scheiden zwischen solchen Prämien, die ganz allgemeinund überall gewährt werden, und solchen, die im Rahmendes Jugendsofortprogramms gewährt werden. Letztere sinddas Problem, die gilt es abzubauen, aber auch hier regt sichdie Bundesregierung nicht, auch hier hätten Sie eineChance etwas zu bewirken bei der Bundesregierung.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Das stehtsogar im Antrag drin.)

Sie haben es mit keinem Wort hier vorgetragen, deshalbspreche ich das hier an.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Genau dashabe ich gesagt.)

Meine Damen und Herren, ich könnte jetzt sehr viel nochüber Ihre anderen Punkte ansprechen. Mir kommt dasGanze vor, als würde man so mal hierhin und mal dorthingreifen, mal da etwas versuchen und dort. Am Schluss stelltman fest, wir haben es versucht, aber es kommt nichtsdabei herum. Man hat viel gelabert und nichts erreicht,meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Das ist üblicherweise das Ergebnis solcher Anträge. Wirkönnen darüber reden, aber dann sollten wir uns zunächsteinmal über das Problem verständigen. Und man sollte sichdann über die zentralen Themen unterhalten, dann kommenwir vielleicht ein bisschen weiter. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Frau Abgeordnete Pelke, noch eine Redemeldung? Ja.

(Unruhe bei der CDU)

5366 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Abgeordnete Pelke, SPD:

Ja, das müssen Sie schon ertragen, wir müssen von Ihnenauch immer so viel ertragen, also das ist ja nun nicht derPunkt.

(Zwischenruf Gnauck, Minister für Bundes-und Europaangelegenheiten und Chef derStaatskanzlei: Das halten wir aus.)

Na, dass Sie das aushalten, ist mir schon klar, da hätteich auch keine Bedenken gehabt.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Mi-nister Schuster, ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Aus-führungen mit einer Ausnahme, dass Sie mir hier nichtzugehört haben. Genau das habe ich nämlich gesagt inRichtung Herrn Kretschmer. Wenn man uns schon Wahl-kampf unterstellt, dann muss man zur Kenntnis nehmen,dass wir uns genau an diesem Punkt Bund-Länder-Son-derprogramm an die eigene Bundesregierung wenden.Wenn Sie die Zeitung richtig gelesen haben, dann habenwir unsere Abgeordneten schon in die Spur geschickt ent-sprechend auf Bundesebene zu handeln. Aber es ist dochüberhaupt kein Problem, dass wir in dieser Gemeinsam-keit, wie Sie es eben angesprochen haben, dieses Anliegennoch einmal verstärken. Da sind wir doch gemeinsamgenau an dem Punkt.

Wenn Sie schon nicht bereit sind, über diesen Antrag, woSPD draufsteht, in den Ausschüssen zu reden, dann neh-men wir vielleicht Ihre Rede, weil es war ja doch inte-ressant, dass dieser Antrag so viel Anlass gibt, wo Siegesagt haben, darüber muss gesprochen werden. Da binich Ihnen sehr dankbar. Dann hängen wir Ihre Rede, dieSie eben gehalten haben, als Anlage an den Antrag derSPD-Fraktion. Vielleicht sind Sie dann bereit, in denAusschüssen mit uns darüber zu reden, denn genau das,was Sie hier beschrieben haben, war unser Anliegen, ganzsachlich über Ursachen, über Wirkung, über ein Hand-lungspaket, das in kurzer Zeit greift, sprechen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir uns an dem Punkt einig sind, verstehe ich nicht,warum Ihre Fraktion dann auch Ihrem Anliegen nichtgerecht wird. Danke.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Der Abgeordnete Kretschmer, CDU-Fraktion, signalisiertnoch eine Redemeldung.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Das müssenSie jetzt auch aushalten, Minister Gnauck.)

Abgeordneter T. Kretschmer, CDU:

So ist das mit dem Aushalten. Zwei Dinge müssen hiernoch, glaube ich, richtig gestellt werden. Herr Huster, dasist ein merkwürdiges Verständnis, was Sie der Antrags-arbeit meiner Fraktion unterstellen. Es geht jetzt gar nichtdarum, ob der Antrag für uns schädlich oder nicht schädlichist, weil Sie das so niedlich dargestellt haben, wir sind nurder Meinung, der Inhalt dieses Antrags ist so dürftig, dassman ihn einfach nicht in die Ausschüsse geben kann undschon gar nicht hier entscheiden kann. Das will ich einfacheinmal deutlich sagen. Da hat Herr Minister Schuster,glaube ich, auch sehr deutliche Worte für diese Situationgefunden.

Ich habe nicht von Wahlkampf geredet. Herr Nothnagelhat hier so unterschwellig in Richtung von Herrn Kolle-gen Schemmel gesagt, populistisch und so etwas. Ich habenur aus bestimmten Schriften zitiert, die die Ursachen dafürdarstellten, warum die Schere wieder auseinander geht. Dasist doch der springende Punkt, meine Damen und Herren.Bis heute noch - das ist sehr spannend - ist die offizielleWirtschaftsforschung der Meinung, dass die Abgänge ausOst- und Mitteldeutschland nicht bedrohlich sind. Dass wirdas als Politiker und in der Meinung der Bürger andersempfinden, das will ich ja nicht verhehlen, aber die offi-zielle Wirtschaftsforschung sagt, es ist nicht bedrohlich- erster Punkt. Darum sage ich, man muss wirklich sorg-fältig analysieren. Frau Bechthum, bei Ihnen selber ist auchso herausgekommen aus dem Redebeitrag, dass man wirk-lich sorgfältig analysieren muss. Sie haben zu Recht gesagt,das ist unser Empfinden auch, besonders gravierend ist dieAbwanderung junger Frauen. Sie haben auch noch gleich-zeitig gesagt, es sind die gut ausgebildeten jungen Frauen,die gehen. Und ich sage noch eins: Das ist besondersschmerzlich, weil das, was an Nachfolge kommt, an Kin-dern, das sind dann auch gut ausgebildete. Aber als Nächs-tes haben Sie gesagt und deshalb sage ich, gucken Sie nocheinmal genau nach. Sie sagen, die Frauen wandern ab,weil es hier keine Ausbildungsplätze gibt. Was ist dennnun? Ich will es Ihnen doch nur einmal vorführen, es nutztjetzt nicht im Schnellschuss irgendein Maßnahmepaket zuschnüren und das habe ich Frau Kollegin Pelke gesagt, istmein Eindruck: heiße Nadel, sieben Punkte und zu sagen,wir haben das Thema besetzt. Das ist nicht der Punkt. Indieser Frage muss man ordentlich arbeiten. Wir haben dieErgebnisse der Enquetekommission, wir haben die Ma-nagementgruppe, die Ostministerpräsidentenkonferenz hatgesagt, wir müssen daran arbeiten. Wir können es als Landüberhaupt nicht allein schultern, weil es ein demografi-sches Problem ist. Das Spannende dabei, die demografi-schen Mängel, insbesondere die natürlich auch in West-deutschland sind, führen dazu, dass ein zusätzlicher Sog ist,der die Leute hier aus Ost- und Mitteldeutschland ab-zieht. Zum Zweiten - ich kann es nur noch einmal sagen:Die Schere geht wieder auseinander, d.h., die Bedingungenin Ost- und Mitteldeutschland werden im Vergleich zuWestdeutschland schlechter und damit wird natürlich derSog auch größer.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5367

Wenn man an diesen Bedingungen nichts ändert, dann istdas, was wir als Land hier machen können - so eine Runde,wie Herr Minister Schuster sagt, man redet mal darüber undsagt, wir können nichts ändern - dann ist es Kämpfen gegenWindmühlen und dann ist es den Leuten etwas vorzu-machen, was hier vor Ort nicht geleistet werden kann.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Nun liegen keine weiteren Redeanmeldungen mehr vor.Ich schließe die Aussprache und wir kommen zur Aus-schussüberweisung. Frau Pelke hat sicher nicht gemeint,dass der Redebeitrag des Ministers mit überwiesen werdensoll, sondern es nur sinngemäß so formuliert.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Wenn eshilft!)

Wir kommen also direkt zur Ausschussüberweisung desAntrags der Fraktion der SPD. Es ist gesagt worden, das anden Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitikund an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesund-heit überwiesen wird, der Ausschuss für Wirtschaft, Arbeitund Strukturpolitik soll die Federführung bekommen. Unddann ist gesagt worden: und die weiteren zuständigenAusschüsse. Ich bitte die Vertreterin der PDS-Fraktionmir zu signalisieren, ob das weitere Ausschüsse sein sollen.Frau Abgeordnete Nitzpon.

Abgeordnete Nitzpon, PDS:

Ich beantrage noch an den Gleichstellungsausschuss.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Danke schön. Ich lasse zuerst abstimmen über die Über-weisung an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit undStrukturpolitik. Wer dem zustimmt, den bitte ich um dasHandzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen? Dankeschön, das ist eine Mehrheit. Gibt es hier Stimmenthal-tungen? Das ist nicht der Fall. Die Ausschussüberweisungan den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Struktur-politik ist abgelehnt.

Wer der Überweisung an den Ausschuss für Soziales,Familie und Gesundheit zustimmt, den bitte ich jetzt umdas Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen? Dasist eine Mehrheit. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Das istnicht der Fall. Mit einer Mehrheit von Gegenstimmen istdie Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familieund Gesundheit abgelehnt.

Wer der Überweisung an den Gleichstellungsausschusszustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Dankeschön. Die Gegenstimmen? Danke schön, das ist eineMehrheit. Gibt es hier Stimmenthaltungen? 1 Stimment-haltung. Mit einer Mehrheit von Neinstimmen ist auch die

Überweisung an den Gleichstellungsausschuss abgelehnt.

Ich komme damit, nachdem die Überweisung abgelehntworden ist, zur Abstimmung unmittelbar über den Antragder Fraktion der SPD in der Drucksache 3/2350. Wer die-sem Antrag zustimmt, den bitte ich jetzt um das Hand-zeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Dankeschön. Das ist eine Mehrheit. Die Stimmenthaltungen? EineReihe von Stimmenthaltungen und eine Mehrheit von Ge-genstimmen sagen, dass der Antrag der Fraktion der SPDabgelehnt ist.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 6 und komme zumAufruf des Tagesordnungspunkts 7

Unterstützung der BewerbungLeipzigs als Austragungsortder Olympischen Spiele 2012Antrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/2351 -

Frau Abgeordnete Pelke wird die Begründung vornehmen.

Abgeordnete Pelke, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist in dervorhergehenden Diskussion auch um ein positives Imagegegangen, ein positives Image von Regionen, positivesImage des Ostens. Wenn denn ein positives Image zu ver-zeichnen ist, dann sicherlich im Bereich der hervorra-genden Sportergebnisse, insbesondere auch bei den Olym-pischen Winterspielen in Salt Lake City. Konsequent beider Vielzahl von sehr guten Spitzensportlern im Osten, umdas so deutlich zu sagen, ist dann auch die Bewerbung vonLeipzig als Austragungsort der Olympischen Sommer-spiele. Deshalb finden wir als SPD-Fraktion, wir solltenals Sportland Thüringen das Anliegen des SportlandsSachsen unterstützen und die Bewerbung von Leipzig alsAustragungsort für die Olympischen Spiele so weit unter-stützen, wie es in unseren Möglichkeiten steht und eineGelegenheit nutzen, über den Sport auch das positiveImage des Ostens weiter zu vermitteln. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat sich zuWort gemeldet Herr Abgeordneter Grob, CDU-Fraktion.

Abgeordneter Grob, CDU:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und HerrenAbgeordneten, nachvollziehbar ist die Begründung desAntrags der SPD schon. Aber den Antrag selbst mit derAussage, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln un-terstützen, sollte man genaustens hinterfragen. Wenn dieMittel darin bestehen, ein gutes Wort einzulegen, da istnichts dagegen zu sagen. Sollte aber die finanzielle Un-

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terstützung des Landessportbunds gefordert werden, derKreissportbünde oder des Sportstättenneubaus zurückzu-fahren zugunsten der Austragung der Olympischen Spielein Leipzig, so muss ich ein deutliches Nein zu diesemAntrag sagen.

Der Sport und die Sportstättenförderung in Thüringen sindbeispielgebend. Obwohl wir noch viel zu tun haben unddies auch gern angehen wollen, sollten wir an dem ein-geschlagenen Weg festhalten. Bei all der Hoffnung, dassLeipzig diese Bewerbung schafft, sollte man doch stetsRealist sein. Die Belastung, die hierbei auf die StadtLeipzig und ihre Bürger zukommt, ist bei der jetzigen Lagewohl kaum zu bewältigen. Außerdem kommt schon derglückliche Umstand dazu, dass 2006 Leipzig ein Austra-gungsort der Fußballweltmeisterschaft ist.

Meine Damen und Herren der SPD, Unterstützung dahingehend, Sportstätten oder Unterbringungsmöglichkeitenvon Thüringen aus bereitzustellen, ist eine gern gewollteSelbstverständlichkeit. Wir werden auch bemüht sein, her-vorragende Sportler zu den Spielen zu entsenden

(Beifall bei der CDU)

und dies auch nicht gerade ungern. Aber, Sie meine liebenSportfreunde der SPD, haben doch den kürzesten Draht zurgroßen Hilfe für Leipzig. Sie hätten doch den hohen Be-such in Oberhof bitten können, Ihnen bei dem Antrag zuhelfen. Bei Schauvorstellungen, zu denen die ThüringerLandesregierung, die sich nachweislich für die ThüringerSportförderung in einer bemerkenswerten Art und Weiseeinsetzt,

(Beifall bei der CDU)

werden diese lax ausgeladen. Ich zitiere wortwörtlich:"Eine Mitwirkung der Landesregierung an der Veranstal-tung ist ausdrücklich nicht gewünscht."

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Ein starkesStück.)

(Unruhe bei der CDU)

Bei einer solchen Sonnenscheinveranstaltung sollte sichgefälligst nur einer sonnen, der wahrscheinlich vorher nochnicht einmal wusste, wo Oberhof liegt.

Sie, mit Ihrem Freund für den Osten, mit dem Freund fürden Sport, nutzen Sie die Ihnen noch verbleibende Zeit, umden Kanzler, der jetzt gerade in der Zeit der großen Zu-sagen ist, in diesem Fall um Hilfe zu bitten. Wir in Thü-ringen werden den Wunsch Leipzigs nach Austragung derOlympischen Spiele gern unterstützen, wenn die StadtLeipzig oder unsere Sportfreunde aus dem Freistaat Sach-sen dies wünschen. Sollte dies geschehen, bin ich mirsicher, dass wir Möglichkeiten der Unterstützung findenwerden. Übrigens sind wir 2012 schon 22 Jahre junge

Länder. Bis dahin und in diesem Sinne wünsche ich demNOK eine gute Entscheidung. Nach meiner Ansicht, meinesehr verehrten Damen und Herren, werden wir gackern,wenn das Ei gelegt ist oder wenn wir es sportlich aus-drücken wollen, wir werden starten, wenn der Startschussgegeben ist. Fehlstarts führen - und das dürften Sie auchwissen - zur Disqualifikation. Danke.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Nicht im-mer.)

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die PDS-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Nitzponzu Wort gemeldet.

Abgeordnete Nitzpon, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, als ich denAntrag in den Händen hielt, war meine erste Überlegung,entweder will sich die Stadt Leipzig nach Thüringen ein-gemeinden lassen oder aber Thüringen schließt sich Sach-sen an. Für Sportanhänger und natürlich auch mich kann essicherlich kaum etwas Schöneres geben als OlympischeSpiele im eigenen Land. Der viel beschworene olympischeGeist jedoch, der mit Olympia des Baron de Coubertainbestand, ist leider in der Ära der letzten Jahre, insbesonderevon Generalsekretär Samaranch, verloren gegangen.

Wenn mit den Olympischen Spielen in Leipzig, meineDamen und Herren, ein Beitrag geleistet werden könnte,den olympischen Geist wieder spürbar beleben zu könnenund zu stärken, dann wäre auch das aus meiner Sicht schonein lohnendes Ziel, sich an einer Bewerbung mit zu be-teiligen. Ich weiß aber nicht, ob die SPD-Fraktion - undFrau Pelke, Sie haben in Ihrer Begründung auch nichtsKonkretes gesagt - vielleicht der Auffassung ist, dass sichThüringen in irgendeiner Weise jetzt schon mit der Be-werbung finanziell einbringen sollte oder wie auch immer.Da möchte ich entgegenhalten: Gerade das Beispiel Berlinmit der gescheiterten Olympiabewerbung für das Jahr 2000macht die Risiken auch deutlich, die ein solches Vorhabenin sich birgt. Über 200 Mio. Mark an öffentlichen Mittelnwurden damals in den Sand gesetzt. Sicherlich, im Falleeines tatsächlichen Zuschlags für die Austragung der Spieleergeben sich erhebliche positive Auswirkungen auf diegesamte Infrastruktur, natürlich auch auf die Wirtschaft undauch auf den Mittelstand. Gerade im Fall der BewerbungLeipzigs könnte die Ostthüringer Region davon profitieren.Meine zwei Fraktionskolleginnen aus Altenburg, FrauSojka und Frau Klaubert, haben mich auch gebeten, aufdiese positiven Auswirkungen auf ihre Region noch ein-mal eindeutig aufmerksam zu machen.

Die Vorstellungen von Altenburg z.B. zur Verfügung-stellung von Trainingsplätzen oder Übernachtungen, wiewir es gehört haben, müssten allerdings auch von Thürin-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5369

gen oder der Region finanziert werden. Ich könnte mir dasz.B. auch noch vorstellen. Fast alle bisherigen Veranstaltervon Olympischen Spielen jedoch schlossen mit einem De-fizit ab, vor allem auch deshalb, weil die Medienrechte überdas IOC vermarktet werden und der Veranstalter nur ganzgering davon partizipiert. Das ist der Nachteil im Übrigenauch der kommerziellen Entwicklung der OlympischenSpiele.

Die voraussichtlichen Kosten im Falle einer tatsächlichenAustragung wären mit etwa 2 Mrd. ������setzen und Nord-rhein-Westfalen, die sich mit Düsseldorf bewerben, rechnenmit Ausgaben in Höhe von bis zu 3,5 Mrd. �� Bei allerBegeisterung für Olympia muss auch die Frage erlaubtsein, ob die für eine mit relativ hoher Wahrscheinlichkeiterfolglose Bewerbung aufgewendeten Mittel zumindest inden anderen Bereichen des Sports, insbesondere des Brei-tensports und der Sanierung bestehender Sportstätten, nichtbesser und nachhaltiger eingesetzt werden können.

Leipzig und auch das Land Sachsen, die 4,5 Mio. DM -also etwas mehr als 2 Mio. �����������/��������zeit mithinzusteuern wollen, sagen aber eindeutig, dies soll für dieGmbH, die neu gebildet wurde, und für den Nachwuchs-leistungssport sein. Das unterstütze ich natürlich. Unab-hängig davon, meine Damen und Herren, hat die StadtLeipzig ihre dreihundertseitige offizielle Bewerbung ein-gereicht. Der Fristtermin war am 16. Mai vorbei undSachsen allein hat über 12 Mio. �� ���� ���� 0�� Leipzigund die vier anderen mitbewerbenden Städte bis zumJahr 2003 einzustellen, um den Sport zu fördern.

Im Übrigen, Herr Grob, werden natürlich auch vondiesen Mitteln nachhaltige Sportförderungen getätigt. Esmüssen natürlich in Zeiten der Bewerbung Sportstättenauch saniert werden, das liegt ganz eindeutig in der Sache.Ich weiß nicht, Sie merken ja auch in meiner Rede, dassdieser Antrag etwas umstritten in meiner Fraktion ist. Ichals sportpolitische Sprecherin bin natürlich dafür, aber ichweiß nicht, Leipzig hat die Bewerbung abgegeben, was dieThüringer Landesregierung jetzt konkret machen soll.Vielleicht kann das Frau Pelke noch einmal darstellen, dennwenn es jetzt zur Abstimmung kommen würde, ohne dassSie konkret hier etwas darstellen, müsste ich eigentlich,also ich für meine Person werde zustimmen, aber für meineFraktion insgesamt, müsste ich mit den Schultern zucken.Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Frau Abgeordnete Pelke, SPD-Fraktion.

Abgeordnete Pelke, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich dachtenicht, dass man diesen Satz: Die Landesregierung wirdaufgefordert, die Bewerbung Leipzigs als Austragungsort

der Olympischen Spiele 2012 mit den ihr zur Verfügungstehenden Mitteln zu unterstützen, so vielartig deuten kann.Wenn es darum ging, dass wir eventuell unsere Mittel fürdie Sportstättenförderung, Herr Grob, jetzt nach Leipziggeben wollten, dann hätten wir es ja reingeschrieben. Aberganz so unsinnig ist diese Aussage überhaupt nicht zubewerten.

Meine Damen und Herren, es geht darum, dass wir imOsten Zeichen setzen. Dass wir das auch als Imagekam-pagne bewerten. Frau Nitzpon hat es ganz deutlich gesagt,wir gehen natürlich auch davon aus, dass bei einem tat-sächlichen Zuschlag für Leipzig auch wir in Thüringenetwas davon hätten. Natürlich profitieren wir davon,einfach auch aus der Nähe, einfach dass Möglichkeiten anÜbernachtungsmöglichkeiten, Nutzung von Sportstättenund natürlich auch wir als Thüringer in der Öffentlich-keit davon profitieren. Im Übrigen steht Leipzig in einersehr harten Konkurrenz, es ist erwähnt worden, dass bei-spielsweise Düsseldorf, Sie hatten es eben mit angespro-chen, sich auch beworben hat. Ich zitiere hier aus derDebatte im Sächsischen Landtag, natürlich hat Düssel-dorf beispielsweise einen Werbeetat, der liegt bei 22,3 Mio.und Sachsen mit einem sehr viel geringeren Werbeetatund Sachsen muss jetzt auch sehen, dass man einiger-maßen die Bedingungen erfüllt. Aber letztendlich ist docheine solche Diskussion um Standorte, die sich bewerben fürdie Austragung der Olympischen Spiele eine Werbekam-pagne insgesamt und eine Imagekampagne für den Osten.Insofern ist es natürlich in erster Linie eine ideelle Unter-stützung und ich hätte nicht gedacht, dass es so schwierigsein wird, dass Thüringen sagt, jawohl, mit den Mög-lichkeiten, die wir in diesem Bereich haben, unterstützenwir die Leipziger, weil wir auch davon ausgehen, dass wirspeziell in der Region Ostthüringen letztendlich davonprofitieren.

Es hat ja auch noch ein bisschen Zeit, das ist sehr wohlrichtig, aber genau in dieser Zeit wird über diese Aspektediskutiert, wird sich im Übrigen auch in den Standorten,wo denn was stattfindet, auch sehr viel verändern, ver-ändern müssen. Aber das wissen Sie ja sicherlich alssportpolitische Sprecher sehr wohl. Und dass Sie dann hiernoch die Kurve kriegen zum Besuch vom Kanzler, also washier mit Bundesmitteln zu tun ist und zu lassen ist, das,denke ich einmal, müssen wir jetzt an dieser Frage nichtdiskutieren. Ich hätte mir schon gewünscht, dass alle Ost-länder sagen, jawohl, wir unterstützen die Initiative vonLeipzig, wir ziehen da mit, wir werden davon profitierenund wenn wir damit in der Öffentlichkeit auch noch unsereKollegen in Sachsen unterstützen können, dann wollen wirdas gern tun. Das muss nicht etwas mit Geld zu tun haben,wenn es was mit Geld zu tun hätte, stünde es hier in diesemAntrag, dann hätten wir das untersetzt. Aber im Prinzip hates schon etwas mit Geld zu tun, denn wenn wir einmalüberlegen, wie viel Geld für eine Werbekampagne in Thü-ringen, die sich Denkfabrik nennt, ausgegeben worden ist,denke ich, kann man mit sehr viel weniger Geld durch einesolche Diskussion und eine Unterstützung für unsere

5370 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Kollegen in Sachsen eine ganze Menge mehr, eine ganzeMenge mehr an Positivem tun. Ja, genau so ist das.

(Beifall Abg. Bechthum, SPD)

Die Unterstützung, ich habe es eben gesagt, ich weiß jaauch nicht irgendwie hört man ja doch nicht richtig zu, ichhabe gesagt, es ist in erster Linie eine ideelle Unterstützungund ich wünschte mir schon, dass alle neuen Länder sagen,jawohl, wir unterstützen Leipzig. Dann kann es passieren,dass irgendwann einmal möglicherweise, ob Sie diesemAntrag zustimmen oder dem Antrag nicht zustimmen,könnte ja trotzdem passieren, dass irgendwann, wenn dennder Zuschlag erfolgen würde, vielleicht die Kollegen vonSachsen kämen und sagen, wir bräuchten an dem oderjenem Punkt Unterstützung und dann steht hier der Satzdrin und ich glaube, der ist nicht interpretierbar, dieLandesregierung "mit den ihr zur Verfügung stehendenMitteln" zu unterstützen. Sie haben immer doch grenzen-loses Vertrauen in diese Landesregierung. Sie wird denSatz "mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln" schonkorrekt interpretieren. Insofern kann ich eigentlich nurdarum bitten, an diesem Punkt zu unterstützen und das,was wir leisten können, auch in der positiven Auswirkunghier mitzugeben; nicht mehr und nicht weniger ist verlangt.Danke.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Sonntagzu Wort gemeldet.

Abgeordneter Sonntag, CDU:

Frau Vorsitzende, Frau Präsidentin - Verzeihung. Meinesehr verehrten Damen und Herren, als gebürtiger Leipzigergestatten Sie mir, dass ich mich hier noch zu Wort melde.

(Heiterkeit im Hause)

Dieser Antrag ist uns ja nun von Frau Pelke in Gänse-füßchen erläutert worden. Frau Pelke, wie soll ich sagen,die Klarheit ist deswegen nicht größer geworden. Einesallerdings ist offenbar die Quintessenz des Antrags, Siesagten ja, Sie erwarten ideelle Unterstützung. Ideelle Un-terstützung, Frau Pelke, was soll das im konkreten Fallsein? Wenn Sie erwarten, dass die Landesregierung Bei-fall klatschen soll, gehe ich einmal davon aus, dass hatsie schon getan.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Aber Siewohnen jetzt in Altenburg.)

Wenn Sie, Frau Pelke, damit eigentlich nur dokumentierenwollen, dass Sie einen Antrag abgegeben haben nach demMotto: Wir waren schon da, denn wenn Sie einmal auf dasDatum schauen und mein Kollege hat ja den Frühstart

und die damit verbundene Disqualifizierung erwähnt.Wenn Sie den Antrag in dieser Hinsicht hier vorgebrachthaben, Frau Pelke, dann ist es eigentlich typisch für IhreFraktion, dass ist eigentlich schade.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Das ist ty-pisch für Ihre Fraktion.)

Meine Damen, meine Herren, ich denke einmal, mit die-sem Papier, anders kann man es eigentlich nicht nennen,werden wir so umgehen, wie es wert ist, meiner Meinungnach ist es wert für einen Rundordner. Denn die Unter-stützung Leipzigs im Jahr 2012 verbal jetzt schon einzu-fordern, was soll das? Es ist lächerlich, Frau Pelke, es istlächerlich. Was die finanzielle Unterstützung betrifft, meineDamen und Herren, ist das die falsche Adresse, denn fürGeld ist Gott sei Dank immer noch das Haus hier, sprichwir Abgeordnete, zuständig. Ich denke, wir sollten den An-trag ablehnen.

(Zwischenruf Abg. Pelke, SPD: Sie sind dochin der Lage, einen Satz zu lesen?)

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Scheinbarnicht.)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es liegen mir keine weiteren Redeanmeldungen von denAbgeordneten vor und für die Landesregierung hat sichMinister Dr. Pietzsch zu Wort gemeldet.

(Unruhe im Hause)

Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie und Ge-sundheit:

Das müsst Ihr auch noch ertragen. Frau Präsidentin, meinesehr verehrten Damen und Herren, na ja, wenn sich einigeouten würden, das wäre ja nicht schlecht. Als ich den An-trag gesehen habe, da habe ich mich erst einmal gefragt,ob er denn ernst gemeint ist. Dann habe ich mir das Datumangesehen und festgestellt, der Rosenmontag ist schon vor-bei, es scheint doch ernst gemeint zu sein. Liebe FrauPelke, was Sie uns jetzt erklärt haben, was wir machensollen, dann würde ich sagen, ist also doch heiße Luft,wozu wir hier Ja sagen sollen.

Meine Damen und Herren, es ist schon beachtlich, dassdie SPD-Fraktion fast sieben Monate nachdem der FreistaatSachsen mit den Städten Leipzig, Dresden, Risa undChemnitz den Beschluss gefasst hatte, sich beim NOK fürdie Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele zu be-werben, auch schon auf den Trichter gekommen ist. MeineDamen und Herren, und noch etwas: Offensichtlich liestdie gesamte SPD-Fraktion vielleicht nicht so häufig denSportteil der "Thüringer Allgemeinen". Die Thüringer Lan-desregierung hat sich nämlich bereits am Tage nach derNominierung auf der Sportministerkonferenz in einem In-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5371

terview dazu geäußert, nachzulesen am 7. November 2001,und die Landesregierung hat ausdrücklich gesagt, dass siedieses begrüßt mit aller auch Zurückhaltung und Proble-men, die damit verbunden sind. Machen wir uns nichts vor,das muss man erst einmal durchbringen einigermaßen.

Noch etwas anderes, die Sachsen leiden ja nicht unterpathologischer Zurückhaltung.

(Beifall bei der CDU)

Wenn sie also unsere Unterstützung brauchen, dann mel-den die sich, ganz sicher. Am vergangenen Wochenendehat, neben den Gesprächen, die ich auf der Sportminister-konferenz hatte, eine gemeinsame Schwarzatalwanderungder CDU-Landesvorstände von Sachsen und Thüringenstattgefunden. Ich habe mich natürlich mit meinen Land-tagsabgeordnetenkollegen - meine Amtskollegin war nichtdabei - darüber unterhalten. Wir haben gesagt, dass wirdieses unterstützen würden. Sie haben das übrigens mitaller Zurückhaltung aufgenommen und gesagt, wir meldenuns bei euch, wenn es denn nötig ist.

Meine Damen und Herren, sicherlich, wenn Sachsen diesesbekommen würde, wäre es ein Glücksfall für Sachsen, weilwir natürlich dann auch wissen, was dort an Investitionenläuft. Aber wir kennen doch auch die Kraftanstrengungen,die nötig sind. Ich erinnere nur an Kulturstadt "Weimar1999". Das ist auch ein finanzieller Kraftakt. Nun mussich natürlich dazu sagen, das bedarf Finanzen und dieBeteiligung des Bundes hält sich da in überschaubarenGrenzen. Ich will hier niemanden beschimpfen, wir sindsehr froh, was die Sportstätten in Thüringen angeht, dasssich der Bund beteiligt hat, wenn ich nur an die Eisschnell-laufhalle denke, wenn ich an das erste Investitionspro-gramm, die Leichtathletikhalle, denke, wenn ich an dieRodelbahn oder auch an das Biathlonstadion denke. Aber,meine Damen und Herren, wenn ich mir dann auch nochdie Begründung ansehe, Athleten aus den neuen Bundes-ländern erbringen seit langem bei internationalen Wett-kämpfen sportliche Spitzenleistungen, die AustragungOlympischer Spiele usw. wäre eine adäquate Würdigungdieser Leistungen, dann hätte ich ja noch Verständnis dafür,wenn die SPD-Fraktion uns jetzt auffordern würde, Thü-ringen soll sich um die Olympischen Winterspiele in Ober-hof bemühen.

(Beifall bei CDU, PDS)

Aber dieses wird nicht getan. Da sonnt man sich ja eherin der Vergangenheit, bei dem, was geleistet worden ist.So ganz will ich das einmal nicht abtun, was Abgeord-neter Grob gesagt hat. Wir erbringen schon gewaltigeLeistungen, die da finanziell anstehen. Da ist man dannschon ganz überrascht über Feiern, die dort veranstaltetwerden oder über Huldigungen, die dort dargebracht wer-den, bei denen dann die entsprechenden Thüringer Po-litiker nicht gewünscht werden.

Ich denke schon, dass es keiner Aufforderung bedarf unddass es zwischen der Landesregierung von Sachsen undder Landesregierung von Thüringen überhaupt keine Be-rührungsängste gibt, wenn es um eine Unterstützung geht.

(Beifall bei der CDU)

Da brauchen wir uns nicht auffordern zu lassen. Ich denke,das, was wir bisher getan haben, ist gut durchdacht ge-wesen und wird auch in Zukunft durchdacht sein. Aberich sage auch, im Augenblick ist das NOK am Zuge undnicht die Thüringer Landesregierung, weder die Sächsischenoch die Thüringer Landesregierung vergeben OlympischeSpiele. Jetzt sind die am Zuge, die darüber zu entscheidenhaben. Im Übrigen achtet auch die Thüringer Landesre-gierung die Autonomie des Sports. Der Landessportbundhat noch keine Purzelbäume vor Freude darüber ge-schlagen, dass sich Sachsen für die Olympischen Spiele2012 bewirbt. Auch dort sind die Meinungen durchaussehr differenziert zu sehen, ähnlich, wie es Frau Nitzponfür sich selber zum Ausdruck gebracht hat.

Meine Damen und Herren, Unterstützung, wenn gefordertwird, ja. Ein Bekenntnis dazu, dass dieses auch zu einerEntwicklung in der Region von Altenburg beitragen würde,aber auch mit aller Zurückhaltung, was die finanziellenLeistungen angeht, denn erst einmal muss sehr vielaufgebracht werden. Was dann dabei rauskommt, ist diezweite Sache. Lassen Sie jetzt die Gremien entscheiden,die im Augenblick dafür zuständig sind.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Ich glaube, ich kann die Aussprache schließen. Ausschuss-überweisung ist nicht beantragt worden, demzufolgewerden wir über den Antrag der Fraktion der SPD in derDrucksache 3/2351 abstimmen. Wer diesem zustimmt, denbitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegen-stimmen? Das ist eine Mehrheit. Stimmenthaltungen? Esgibt einige Stimmenthaltungen, eine Reihe von Jastimmen,aber eine Mehrheit von Gegenstimmen gegen den Antragder Fraktion der SPD. Damit ist dieser abgelehnt. Ichschließe den Tagesordnungspunkt 7.

Ich komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 8

Unruhe im KatasterwesenAntrag der Fraktion der SPD- Drucksache 3/2352 -

Abgeordneter Pohl, SPD-Fraktion, übernimmt die Be-gründung.

Abgeordneter Pohl, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, vor demHintergrund vieler Ankündigungen und einer recht obs-

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kuren Informationspolitik der Landesregierung zur Um-strukturierung der Thüringer Katasterämter und großerUnsicherheit sowohl unter den Mitarbeitern der Kataster-ämter als auch der ÖBVI haben wir den Antrag zur Be-richterstattung gestellt. Wir wollen auch im Interesse derBeschäftigten beider Bereiche Klarheit über die geplanteNeustrukturierung der Thüringer Katasterämter bekommen.

Meine Damen und Herren, zur Situation: Mit dem In-Kraft-Treten des Haushaltsgesetzes von 1997 bildeten die35 Katasterämter in Thüringen einen Landesbetrieb, aberauch spätestens seit dieser Zeit gibt es erhebliche Diffe-renzen zwischen dem Landesbetrieb und den ÖBVI. Am04.04.2001 begann die WIBERA-Unternehmensberatungmit der Erarbeitung eines Gutachtens über die ThüringerKataster- und Vermessungsverwaltung. Hier sollten meinesErachtens Aussagen und Lösungsvorschläge zu einer op-timalen Aufgabenerfüllung getroffen werden, das natür-lich unter Berücksichtigung auch der Tätigkeit der 80 imFreistaat tätigen Büros der Öffentlich bestellten Ver-messungsingenieure, die natürlich auch einen wichtigenund entscheidenden Platz

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Herr Pohl,78.)

- 78, ich danke Ihnen, Kollege Fiedler - einnehmen. Soist die Zusammenarbeit, Kollege Fiedler.

Dieses ca. 350.000 DM teure Gutachten liegt, glaube ich,in seiner ersten Fassung seit Februar dieses Jahres vor.Gerüchteweise soll es aber große Schwächen aufweisenund mittlerweile soll es wohl schon eine sechste odersiebte Version geben. Wir wissen selbstverständlich, dassdie wirtschaftliche Situation mit einem Rückgang der Ver-messungsaufträge verbunden ist. Nun ist es aber auchdringend geboten, besonders aus wirtschaftlichen Aspektenund auch im Interesse der Beschäftigten beider Seiten, diePläne zur Strukturreform öffentlich zu machen. Der Ko-ordinierungs- bzw. Lenkungsausschuss hat bereits am28.04. dieses Jahres zum ersten Mal darüber beraten. Vorallen Dingen interessiert auch, aus welchen Gründen dasÖffentlichmachen der Umstrukturierungspläne immer wie-der weiter nach hinten verschoben wurde. Ich hoffe na-türlich von der Landesregierung auf eine klare Aussage,wie es im Katasterwesen in Thüringen weiter vorangeht.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Die Landesregierung hat mitgeteilt, dass sie keinen So-fortbericht gibt, demzufolge kommen wir zur Ausspracheüber den Antrag der SPD-Fraktion. Als erster Rednerhat sich Abgeordneter Fiedler, CDU-Fraktion, zu Wortgemeldet.

Abgeordneter Fiedler, CDU:

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,ein wichtiger Kollege hatte mich gerade abgehalten, ichbitte um Nachsicht, dass ich das beinahe übersehen hätte,

(Heiterkeit bei der CDU)

dass ich dran bin.

Wir unterhalten uns heute über den Antrag der SPD "Un-ruhe im Katasterwesen". Herr Kollege Pohl hat versuchtdie Dinge hier vorzutragen.

(Zwischenruf Abg. Dr. Schuchardt, SPD: Erhat es vorgetragen.)

Fakt ist, Nummer eins, Herr Kollege, ich schätze Sie jaungemein, auch der Kollege Pohl bemüht sich die Dingevorzutragen. Sie waren nicht überzeugend vorgetragen.Man muss erst einmal festhalten, dass wir in Thüringen einhervorragendes Kataster- und Vermessungswesen ins-gesamt haben.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben in den letzten Jahren hier hervorragende Er-gebnisse erreicht. Das war immer im Zusammenspielzwischen Katastervermessung insgesamt und denÖffentlich bestellten Vermessungsingenieuren. Ich willnoch einmal ausdrücklich daran erinnern, weil immer jetztirgendetwas aufgebaut wird, das hätte ja alles nichtfunktioniert. Gerade diese Hauptbetroffenen haben sichin den letzten Jahren immer einvernehmlich auch zu denKostenordnungen verständigt. Ich will das nur nocheinmal in Erinnerung rufen, weil heute teilweise etwaserzählt wird, das hätte doch alles nicht geklappt, sonderndass dieses Vermessungswesen so aufgebaut wurde,noch dazu, wo in Thüringen vieles zu leisten war, wiejeder weiß aus der Historie, und mehrere Systemezusammengeführt und auch erneuert werden mussten. Ichglaube, neun sind es, Kollege Kölbel, dass ich jetzt nichteine falsche Zahl sage.

(Zwischenruf Abg. Kölbel, CDU: Richtig.)

War es richtig? Ich danke dem Vermesser.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Circa ist besser.)

Nein, die Zahl 9 ist schon konkret, genau so wie wir 78Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure im Landehaben.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Das sind78 Büros.)

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5373

Herr Schemmel, Sie können ja nachher hier vorgehen undkönnen Ihre Weisheiten aus Altenburg noch beitragen.

(Heiterkeit bei der CDU)

Es geht mir jetzt noch einmal darum, dass hier im Ver-messungswesen ein guter Stand erreicht ist. Wir habennach Bayern hervorragende Ergebnisse vorzuweisen, aberdie Konjunktur hat sich insgesamt verschlechtert. Ich willdas nicht wiederholen. Wir haben die Steuerminder-einnahmen, wir wissen, was in der Bauwirtschaft los ist.Von Berlin kommt anstatt Stärkung für die neuen Ländernur Schwächung. Wir haben das natürlich auszubaden,auch die freien Berufe, weil nichts zum Vermessen daist, weil die entsprechende Bauwirtschaft und die Dingestagnieren. Wenn das so ist, muss man über Dinge nach-denken, dass man insgesamt auch das Vermessungswesengegebenenfalls auf den neuen Stand bringt, um es nochweiter fortzuschreiben. Ich kann die Unruhe zwar bei eini-gen im Katasterwesen verstehen, aber ich denke, das Ent-scheidende ist, dass ein tragfähiges Konzept vorgestelltwird. Die WIBERA hat das entsprechende Gutachten, soweit mir bekannt ist, erstellt. Ich gehe davon aus, dass derInnenminister dieses entsprechend dann auch zur richtigenZeit vorträgt und dass vor allen Dingen etwas entsteht,was zukunftsträchtig ist.

(Beifall Abg. Kölbel, CDU)

Hier kann es nicht darum gehen, Herr Kollege Pohl undKollege Schuchardt und alle, die sich damit beschäftigen,dass jetzt schnell etwas gemacht wird, sondern es musseine vernünftige, tragbare Geschichte sein, die dann fürdie nächsten zehn Jahre und länger dann trägt. Denn wirkönnen es uns nicht leisten, ein gut funktionierendes Ver-messungssystem in Thüringen infrage zu stellen.

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen es erstens für die Wirtschaft, wir brauchen esfür den Bürger, denn es kann nicht sein, dass die beidenbenannten insbesondere keine Ansprechpartner haben. Undwir brauchen das Zusammenspiel mit den Kommunen.Denn auch die Gutachterausschüsse und alles, was hier in-frage steht, muss mit bedacht werden. Dass man hier alsoinsgesamt ein vernünftiges System findet und dieses Ganzeweiterentwickelt. Man darf auch den Landesbetrieb nichtvergessen, der mit infrage steht. Dass dieses Zusammen-spiel, was wir ja in den letzten Jahren ganz gut hinbe-kommen haben, vernünftig weiterläuft. Das Entschei-dende muss sein, dass wir flächendeckend im Land, undda streite ich mich überhaupt nicht darum, ob das jetztsechs sind oder wie sich das Nummernschild an derHaustür dann nennt, weiterhin Ansprechpartner haben - fürden Bürger, für die Wirtschaft und das ist das Entschei-dende. Ich denke, es darf auch kein Tabu geben, dass, wennman schon Reformen durchführt, man auch darüber nach-denkt, dass man z.B. Grundbuch und Kataster, in welcherArt und Weise und in welcher Form auch weiter und

enger zusammenbringt. Ob das Vernetzung ist, ob das ge-meinsame Dinge dort angeht, auch über diese Tabus mussman reden dürfen und können, damit für die Zukunftweiterhin ein starkes Vermessungswesen da ist. Wir müs-sen reden über, es gibt ja auch noch in einigen Städten dieVermessungsämter, wenn ich an Jena, Nordhausen denke,es war noch ein Drittes -

(Zwischenruf Abg. Kölbel, CDU: Erfurt.)

ich glaube, so eine kleine Stadt in Thüringen, die nocheigene Vermessungsämter sich leisten. Auch über dieseDinge muss man reden und man muss auch in RichtungLandwirtschaft schauen, dass die Flurneuordnung ver-nünftig, notwendig, wie sie ist, weiterbetrieben werdenkann. Dass man das alles zusammenbringt, um hier ein, ichdenke, gutes Vermessungswesen weiter voranzuführen.Jeder weiß, dass die Zuschüsse im Katasterwesen nichtunerheblich sind und waren. Jeder, der sich mit derMaterie beschäftigt, weiß auch, wie kompliziert das ist,dass hier das ALK weiterentwickelt werden muss, weil esein dringender Faktor ist, der für die Wirtschaft und füralle, die damit zu tun haben, dringend notwendig ist. Wirhaben dort auch Punkte gesetzt bekommen vom Bundund von der EU, dass entsprechend auch dieses passierenmuss.

Meine Damen und Herren, ich denke, es ist gut und richtig,sich mit den Dingen zu beschäftigen. Wir sollten aber nichtdie Unruhe herbeireden, sondern wir sollten die entspre-chenden Dinge, die die Landesregierung dann vorlegt, inden Fachausschüssen behandeln. Wir sollten wirklichGründlichkeit, und ich sage das ausdrücklich, nicht dass derEindruck entsteht, wir wollen etwas verschieben oder so,Gründlichkeit muss hier vor Schnelligkeit gehen. Das istmeine Bitte in der weiteren Beratung.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die PDS-Fraktion hat sich der Abgeordnete Dr. Hahne-mann zu Wort gemeldet.

Abgeordneter Dr. Hahnemann, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrterHerr Kollege Fiedler, die Unruhe muss man nicht her-beireden, die Unruhe ist schon da.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Dass wir heute diesen Antrag diskutieren, das liegt an derArt und Weise des Vorgehens und auch an einem klarenpartiellen Versagen der Landesregierung in Bezug aufdie Neustrukturierung der Landesverwaltung und einerverfehlten Informationspolitik. Das muss man ganz einfachund offen so sagen.

5374 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: HerrHahnemann, das ist aus der Luft gegriffen.)

Gemach, gemach, Herr Kollege Böck. Ein Konzept derLandesregierung für die Schaffung leistungsfähiger Ver-waltungsstrukturen ist in diesem Punkt genauso wenigerkennbar, wie an anderen Punkten auch. Der Kürzungs-kurs verführt die Landesregierung zu punktuellem und aufkurzfristige Spareffekte ausgerichtetem Handeln und dasimmer auf Kosten der Betroffenen und Beschäftigten. Dastellt die laufende Diskussion zur Umstrukturierung desKatasterwesens keine Ausnahme dar. Vor gut 18 Monatenhat die Landesregierung im Zusammenhang mit demDoppelhaushalt 2001/2002 als eine so genannte Konsoli-dierungsmaßnahme eine Strukturveränderung im Landes-betrieb für Katasterwesen beschlossen. Die bisherige Struk-tur von 35 Katasterämtern sollte nach ersten Vorstellungender Landesregierung auf bis zu 6 Ämter reduziert werden.Dass hier Strukturveränderungen notwendig sind, zeigtschon die heutige Anzahl der Ämter. Sie stimmt nicht mitden aktuellen Verwaltungsstrukturen der Landkreise undkreisfreien Städte überein. Die Kreisgebietsreform 1994hatte keine Auswirkungen auf die Struktur der Kataster-ämter. Wenn also Strukturveränderungen notwendig sind,ergeben sich Fragen.

Erste Frage: Welche Struktur soll angestrebt werden? Diebisherigen Vorstellungen der Landesregierung leuchtennicht ein. Es gibt einen Vorschlag der Gewerkschaft ver.di,der eine flächendeckende Struktur von 18 Katasterämternvorsieht. In jedem Landkreis gäbe es ein Katasteramt unterVernachlässigung der Kreisfreiheit der großen Städte mitAusnahme von Erfurt. Meines Wissens gibt es auch einenVorschlag der Öffentlich bestellten Vermessungsin-genieure. Alle diese Dinge sollten aufgeschlossen und offendiskutiert werden.

Zweite Frage: In welchen Zeiträumen soll die Umstruk-turierung vonstatten gehen? Die Landesregierung hatteein externes Gutachten in Auftrag gegeben, das inzwischen,ich weiß nicht genau in welcher Stufe, vorliegt, aber nichtveröffentlicht wird. Warum das Innenministerium das Gut-achten geheim hält, kann nur erahnt werden, aber die Ge-heimhaltung des Gutachtens ist eine Ursache für die Un-ruhe, die Herr Fiedler hier vorhin so überhaupt nicht ver-stehen konnte oder für eine herbeigeredete hält.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Wosind denn bisher Gutachten veröffentlichtworden?)

Im Innenministerium wurde auch eine Lenkungsgruppe zurNeustrukturierung des Katasterwesens gebildet. Hier ar-beiten aber nicht alle Betroffenen mit. So wird der Lan-desgruppe der Öffentlich bestellten Vermessungsin-

genieure die Mitarbeit verweigert. Das, obwohl auch dieseunmittelbar von den Strukturveränderungen im Kataster-wesen betroffen sind. Wenn Sie das selbst feststellen,Herr Minister, dann wundern Sie sich doch im Grundegenommen oder wenn Sie sich vielleicht gar nicht darüberwundern, aber Herr Fiedler möge sich dann bitte nichtüber die Turbulenzen wundern, die entstanden sind.

Dritte Frage: Welche inhaltlich funktionalen Verände-rungen soll es mit der Strukturveränderung geben? So-wohl die Katasterämter - das ist hier auch schon gesagtworden - als auch die öffentlich bestellten Vermessungsin-genieure erbringen auf der Grundlage einer Landeskosten-verordnung Vermessungsleistungen. Insofern sind beideAnbieter und gleichzeitig Mitbewerber auf einem Vermes-sungsmarkt. Aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung, auch im Bauwesen, geht der Auftragsumfangan Vermessungsleistungen zurück. Eine Folge ist, dass derLandesbetrieb für Katasterwesen aus dem Landeshaushaltzunehmend Zuweisungen erhalten muss. Die Öffentlichbestellten Vermessungsingenieure befürchten nun ihrer-seits, dass im Rahmen der Strukturveränderungen der Be-stand der Katasterämter zu ihren Lasten gesichert wird. SeitMitte des vergangenen Jahres hat unsere Fraktion Kontaktezur Landesgruppe der Öffentlich bestellten Vermessungs-ingenieure und diese haben einen Vorschlag für eine Struk-tur des Thüringer Katasterwesens unterbreitet. Der sollteebenfalls unvoreingenommen und offen diskutiert werden.Danach sollen nämlich die Katasterämter nur noch diehoheitlichen Aufgaben realisieren.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das ist...papier.)

Alle Vermessungsleistungen sollen durch Öffentlich be-stellte Vermessungsingenieure erbracht werden.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Diesind doch auch hoheitlich.)

Eine solche klare Aufgabentrennung gibt es auch in an-deren Bereichen und diese Aufgabentrennungen sind zuprüfen.

(Zwischenruf Köckert, Innenminister: Was istdenn hoheitlich und was ist nicht hoheitlich?)

Herr Minister, in meinen Augen haben Sie mit Ihrer Wei-gerung einen Sofortbericht zu geben, das Recht verwirkt,mich hier auch noch in meinem Vortrag zu stören.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Köckert, Innenminister)

Darum bitte ich Sie, was glauben Sie, warum ich hier dieFragen stelle.

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5375

Vierte Frage: Wie werden Betroffene und Beschäftigte ander Umstrukturierung beteiligt? Offensichtlich hätte jedesneue Struktur- und Aufgabenkonzept eine Verringerungder Anzahl der Katasterämter und der dort beschäftigtenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Folge. Dass es da-gegen Widerstände der Mitarbeiterschaft der Ämter undder Gewerkschaft gibt, kann unsere Fraktion nachvoll-ziehen. Hier zeigt sich deutlich, erfolgreiche Verwaltungs-reformen können nur unter Einbeziehung der Betroffenenund der Beschäftigten realisiert werden. Wer die Men-schen nicht einbezieht, wird wenig Erfolg haben und darfsich über Unruhe und Turbulenzen nicht wundern. Es hatsich gezeigt, worauf die PDS-Fraktion immer wieder hin-gewiesen hat, eine Neuordnung des Katasterwesens isteigentlich ein Bestandteil der längst überfälligen funktio-nalen Verwaltungsreform in Thüringen.

(Beifall bei der PDS)

Notwendig ist und bleibt eine offene Diskussion allerverschiedenen Ideen und Modelle. So wie die Öffentlichbestellten Vermessungsingenieure Wettbewerbsverzerrungunterstellen, so wurde in den letzten Tagen und Wochenbekannt, dass die Katasterämter versuchen, die Arbeit derÖffentlich bestellten Vermessungsingenieure in qualita-tiver Hinsicht infrage zu stellen. Ein derartiges Agieren derBeteiligten gegeneinander ist in der Sache aber überhauptnicht hilfreich. Verschuldet hat das aber auch die Landes-regierung mit ihrem falschen und Zeit raubenden Vor-gehen in dieser Angelegenheit.

Meine Damen und Herren, unsere Fraktion hält Folgen-des für erforderlich:

1. Veröffentlichung des Gutachtens zur Neustrukturierungdes Katasterwesens.

2. Einbeziehung der Öffentlich bestellten Vermessungs-ingenieure in die Arbeit der Lenkungsgruppe desInnenministeriums.

3. Sicherung der Transparenz der Arbeit an einem neuenKonzept des Katasterwesens für alle Betroffenen undBeschäftigten bzw. deren Vertretungen.

4. Prüfung der Konzepte zur inhaltlich-funktionalen Neu-ordnung des Katasterwesens, insbesondere zur Trennungder hoheitlichen Aufgaben im Katasterwesen von denVermessungsaufgaben.

5. Einbindung der Neuordnung des Katasterwesens ineine Funktional- und Verwaltungsreform.

6. Einbeziehung der Interessen der Beschäftigten der Ka-tasterämter in die Umstrukturierung und deren prak-tische Umsetzung.

Und nun, Herr Minister, sind Sie dran.

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Was, waswar das?)

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Pohl zuWort gemeldet.

Abgeordneter Pohl, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, nur noch ein-mal ein ganz kleiner Nachtrag. Kollege Fiedler, das guteKatasterwesen wurde in unserem Antrag nie infrage ge-stellt. Wir sind alle beide lange genug in dem Geschäft,dass wir wissen, dass die Katasterverwaltung in diesemLand Thüringen immer eine hervorragende Arbeit ge-leistet hat.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das istsehr wohl wahr.)

(Beifall bei der CDU, SPD)

Wir wissen auf der anderen Seite aber auch, dass vor ca.eineinhalb Jahren, glaube ich, vom Finanzminister dieseUmstrukturierung bzw. Rationalisierung in den Raum ge-stellt worden sind. Ich glaube, eineinhalb oder zwei Jahreist doch eine ganz schöne Zeit. Wir müssen immer davonausgehen, in diesen Ämtern arbeiten Menschen und diesehaben natürlich ein Anrecht darauf, auch zu wissen, wie esweitergeht. Wir haben die Gespräche genauso wie Sie inIhren Fraktionen, mit den Mitarbeitern der Kataster-ämter oder auch mit den ÖBVI geführt und wir kennendoch die Probleme und wir wissen doch auch um diese Pro-bleme. Ich habe wirklich heute gedacht, wir bekommeneine klare Aussage, wie geht es überhaupt weiter, aber daswar natürlich eine Fehlanzeige. Man will das Problemweiter aussitzen und das ist kein Ruhmesblatt für dieseLandesregierung. Ich denke, wenn das Zusammenspielzwischen dem Innenminister und dem Finanzministerbesser geklappt hätte, dann läge wohl auch ein Konzeptvor. Kollegin Diezel?

(Zwischenruf Diezel, Staatssekretärin: Ichhabe es schon gesagt.)

Ach, ich kenne andere Informationen. Naja, gut. Ich hoffenun im Interesse beider Lager, im Interesse des Kataster-wesens unseres Landes, dass möglichst im nächsten Ple-num ein umfassender Bericht der Landesregierung vor-liegt, in dem die Pläne dargelegt werden, wie geht esweiter? Wo sind die Rationalisierungspunkte? Denn daswissen wir alle, es muss effektiver vorangegangen werden.Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD; Abg. Braasch, CDU)

5376 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Die Rednerliste der Abgeordneten ist damit wenigstensvorläufig erschöpft. Für die Landesregierung hat sichMinister Köckert zu Wort gemeldet.

Köckert, Innenminister:

Frau Präsidentin, ich bin dankbar, dass Sie mir das Wortgeben, dann brauche ich es nicht von Herrn Hahnemannnehmen.

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Er hat esIhnen aber gegeben.)

(Unruhe bei der CDU, PDS)

Er kann ja wirklich nur etwas geben, was er hat.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat imHerbst 2000 beschlossen, die Zahl der Katasterämter zureduzieren, die Wirtschaftlichkeit der Thüringer Kataster-verwaltung einer Prüfung zu unterziehen. Hierzu habendas Innenministerium und das Finanzministerium dieWIBERA mit einem Gutachten beauftragt. Sie könnenmich am Schluss fragen, Herr Dittes.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Herr Minister, gestatten Sie eine Anfrage durch Herrn Ab-geordneten Dittes?

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Zu meinemSelbstverständnis.)

Herr Minister, gestatten Sie die Anfrage?

Köckert, Innenminister:

Wenn es zu Ihrem Selbstverständnis nötig und wichtig ist,dann stellen Sie bitte Ihre Anfrage.

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Dann bitte, Herr Abgeordneter Dittes.

Abgeordneter Dittes, PDS:

Herr Köckert, mir ist jetzt nicht ganz klar, geben Sie jetztden Bericht oder reden Sie zu dem Antrag? Das ist wichtigfür mein Selbstverständnis, wenn ich Ihnen zuhöre.

(Heiterkeit bei der CDU)

Köckert, Innenminister:

Da sieht man, woran alles Ihr Selbstverständnis hängt.Wenn Sie gesagt hätten, Ihr Selbstverstehen oder Ihr Ver-stehen dieser Rede hängt davon ab, aber dass das so tief

geht, hätte ich nicht gedacht.

Herr Dittes, ich spreche zum Antrag, denn es ist vorhinganz klar gesagt worden, die Landesregierung gibt kei-nen Sofortbericht. Insofern ist die Frage nicht ganz ver-ständlich.

(Zwischenruf Abg. Dittes, PDS: Vielleichthaben Sie es sich inzwischen überlegt, eskönnte ja sein.)

Hierzu haben das Innen- und das Finanzministerium dieWIBERA mit einem Gutachten beauftragt. Die entschei-denden Beteiligten und Betroffenen sind gehört worden.Der Gutachter hat selbstverständlich auch die Vertreter derÖffentlich bestellten Vermessungsingenieure befragt undkonsultiert. Die Untersuchung wurde von einem Len-kungsausschuss begleitet, der aus Vertretern des Finanz-ministeriums, des Innenministeriums, des Landesvermes-sungsamts, des Katasterbetriebs, des Hauptpersonalratsbesteht. Folgende wesentliche Aspekte wurden in die Ana-lysen und Empfehlungen des Gutachtens einbezogen: DieNotwendigkeit der Haushaltskonsolidierung bzw. der Kos-tenoptimierung; zum Zweiten: kritische Aufgabenüberprü-fung unter dem Aspekt, Kostendeckung der einzelnen Auf-gabenbereiche; zum Dritten: Wahrung des gesetzlichenAuftrags nach dem Thüringer Katastergesetz; Viertens:Weiterentwicklung des Geodatenmarketings; Fünftens:Bürgerfreundlichkeit, Kundenorientierung im Katasterwe-sen, Sechstens: Neues Steuerungsmodell für die Thürin-ger Katasterämter.

Das Gutachten hat sechs grundsätzlich denkbare Modellezur Zukunft des Thüringer Katasterwesens vorgelegt. Dieinterne Entscheidungsfindung ist hierzu noch nicht gänzlichabgeschlossen. Deshalb werde ich zu den Inhalten desGutachtens und zu dem, was die Landesregierung an demPunkt beschlossen hat, heute auch nichts sagen. Und des-halb also kein Sofortbericht, der dann den Inhalten vor-behalten bleiben wird.

Insgesamt aber macht das Gutachten deutlich, es gibtReformbedarf. Vor allem die Zukunftsaufgaben des Ka-tasterwesens müssen forciert werden. Eine Besonderheitdes Kataster- und Vermessungswesens in Thüringen be-steht darin, dass neben den fortlaufenden Service-leistungen, vor allem mit der Katastererneuerung und derErstellung der automatisierten Liegenschaftskarte, sehrumfangreiche fachtechnische Sonderaufgaben zu erledigensind, die in erheblichem Umfang Kapazitäten binden undsich über viele Jahre erstrecken werden. Die Zukunfts-aufgabe automatisierte Liegenschaftskarte ist wesentlicheGrundlage für geographische Informationssysteme, zudenen z.B. die bekannten Fahrzeugnavigationssystemegehören. Hier müssen wir wesentlich schneller vorankom-men, als dies in den letzten Jahren geschehen ist. Wenn wirdiese Zukunftsaufgabe der Modernisierung unseres Ka-tasterwesens zügig umsetzen, leisten wir einen wichtigenBeitrag zu Weiterentwicklung auch der Infrastruktur. Ein

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5377

modernes, wirtschaftliches und leistungsfähiges Kataster-wesen ist ein wichtiger Standortfaktor. Bei allen anstehen-den Entscheidungen über die zukünftige Struktur desKataster- und Vermessungswesens in Thüringen werdenwir natürlich das Personal der Katasterämter, aber auchdie ÖBVI mit einbeziehen.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, an dieserStelle einmal ganz deutlich sagen, die Landesregierungwird eine Lösung vorschlagen, die der unsinnigen Kon-kurrenzsituation zwischen dem hoheitlich arbeitendenKatasteramt und den mit hoheitlichen Aufgaben be-lehnten Öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren end-lich ein Ende bereitet. Das wird der Vorschlag, meineDamen und Herren, grundsätzlich beinhalten.

Lassen Sie mich zur Struktur sagen, die oberste Ka-tasterbehörde ist und bleibt das Innenministerium. Wegender engen fachtechnischen Zusammenhänge zwischen Ka-tasterämtern und dem Landesvermessungsamt ist auch dasLandesvermessungsamt bei der Zukunftsdiskussion zu be-teiligen. Die Zeitschiene einer Umstrukturierung kann nichtkurzfristig sein, Personalveränderungen müssen weitge-hend über Altersabgänge realisiert werden.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Das sind zweiPaar verschiedene Schuhe.)

Unser Ziel, meine Damen und Herren, sind Katasterämter,die nach modernen Grundsätzen mit einer effektiven Lei-tungsstruktur geführt werden. In den vielen Gesprächen,die ich mit den Bediensteten des Katasterbetriebes in denletzten Monaten geführt habe, ist mein Eindruck bestärktworden, dass die Mitarbeiter grundsätzlich bereit sind zuVeränderungen, und zwar nicht zuletzt, weil sie die Zeitunsinniger Auseinandersetzungen und künstlicher Kon-kurrenzsituationen beenden wollen. Die Bediensteten imThüringer Vermessungswesen - ich freue mich, dass eshier von allen Rednern auch gesagt und betont worden ist -haben in den letzten Jahren hervorragende Leistungen er-bracht. Dies ist ein Fund, meine Damen und Herren, denwir auch in den neuen Strukturen nutzen werden. Ich bitteum Verständnis, wenn sich zum gegenwärtigen Zeitpunktnoch keine Einzelheiten hier darlegen lassen. Wir werdendies nachholen, sobald die Landesregierung eine entspre-chende Entscheidung getroffen hat, und werden danndiesem hohen Haus umfänglich inhaltlich Bericht er-statten können.

(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Am Sankt-Nimmerleins-Tag.)

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Es liegen keine weiteren Redeanmeldungen mehr vor.Demzufolge kann ich die Aussprache über den Antragabschließen. Es sind keine Ausschussüberweisungen bean-

tragt worden. Demzufolge stimmen wir über den Antragder SPD-Fraktion in der Drucksache 3/2352 sofort ab.

Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Es gibt keine.Stimmenthaltungen? Gibt es auch nicht. Damit ist derAntrag der SPD-Fraktion einstimmig angenommen.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 8 und komme zumAufruf des Tagesordnungspunkts 9

Medienstandort ThüringenAntrag der Fraktion der PDS- Drucksache 3/2426 -

Hier ist der Sofortbericht angekündigt worden. Die an-tragstellende Fraktion nimmt keine Begründung vor undich nehme jetzt an, dass Herr Staatssekretär Ströbel gleichden Sofortbericht geben wird. Bitte schön.

Ströbel, Staatssekretär:

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damenund Herren Abgeordneten, in der laufenden Legislatur-periode wurde die weitere Entwicklung Thüringens zueinem Medienstandort durch verschiedene Maßnahmen derThüringer Landesregierung sowie Aktivitäten weiterer Be-teiligter erfolgreich vorangebracht. Die Umsetzung derBereiche Medien- und Filmförderung in das Kultusmi-nisterium entspricht der wachsenden Bedeutung inhalts-bezogener Medienentwicklungen und der Notwendigkeitstärkerer Konzentration medienbezogener Themen. Mit derZusammenführung der Zuständigkeiten für verschiedeneBereiche der Medienpolitik und spezifische Fördermög-lichkeiten in der Medienabteilung des Thüringer Kultus-ministeriums sowie in der Zusammenarbeit mit dem Thü-ringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastrukturwurden Synergien befördert, die zu einer Vielzahl kon-kreter Aktivitäten geführt haben. Zu dem umfassendenEntwicklungskonzept im Medienbereich gehören dabei:

1. der Bereich der Medienbildung in Schule, in Ausbil-dung und im Studium,

2. die Profilierung des Medienstandorts Thüringen durchgezielte Schwerpunktsetzungen,

3. die Entwicklung und Förderung neuer Technologienauch in der Anwendung, etwa im Bereich der öffentlichenVerwaltung.

Die Verlagerung der Zuständigkeit für den Medienbereichin das Thüringer Kultusministerium zeigt deutlich denSchwerpunkt, den die Landesregierung auf Weiterent-wicklung der Rahmenbedingungen zur Vermittlung vonMedienkompetenz an den Thüringer Schulen, aber auch inanderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens setzt. Mitder verbindlichen Einführung des Kurses "Medienkunde"an den weiterführenden Schulen ab dem kommenden

5378 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Schuljahr 2002/2003 unterbreitet Thüringen ein, wie wirmeinen, bundesweit einmaliges Angebot zur Auseinander-setzung im Unterricht mit den Wirkungen und der Be-deutung von Medien in der heutigen Zeit. Wesentlich istdabei insbesondere der Ansatz, sich mit den neuen Mediennicht nur unter dem Aspekt der Vermittlung von Tech-nikkenntnissen zu befassen, sondern die inhaltliche Aus-einandersetzung in den Mittelpunkt zu stellen und dabeiauch alle weiteren Medienarten verpflichtend einzube-ziehen, also keine Einengung - wenn Sie so wollen - aufden Computer vorzunehmen. Unbeschadet dieser Fokus-sierung, dieser Konzentration auf die Vermittlung vonMedienkompetenz hat sich in Thüringen auch bei derAusstattung der Schulen mit den neuen Medien, wie Siewissen, und bei deren kompetenter Nutzung viel getan. Sokonnte zum Ende letzten Jahres ein Ausstattungsgrad inden Thüringer Schulen mit Computern erreicht werden, derdem durchschnittlichen bundesweiten Ausstattungsgradin den Schularten entspricht, teilweise sogar darüber liegt.

(Beifall bei der CDU)

In diesem Zusammenhang sind auch das Interesse und dasEngagement der Thüringer Wirtschaft hervorzuheben. Diezur Organisation dieser Zusammenarbeit im Mai 2000 ge-gründete Bildungsinitiative Thüringen, abgekürzt BIT 21,widmet sich nicht nur der Verbesserung des Ausstattungs-niveaus der Schulen, sondern auch Themen wie Wartungund Pflege und Nutzung der neuen Medien für Aufgabendes Schulmanagements. Ziel der dargestellten Aktivitätenim schulischen Bereich ist es, jeden Schüler, jede Schü-lerin zu einem kompetenten Umgang mit den Medien nichtnur im Unterricht, sondern auch im Alltag zu befähigen.Gerade hier werden die entscheidenden Grundlagen gelegt,um den Medienstandort Thüringen nachhaltig zu ent-wickeln. Gleichzeitig wird hier ein Grundstein für die Be-rufsausbildung im Medienbereich und nicht zuletzt fürein in den Medienstudiengängen der Thüringer Hoch-schulen angelegtes Konzept gelegt. Die akademische Aus-bildung im Medienbereich in Thüringen genießt bundes-weit einen sehr guten Ruf. Absolventen der ThüringerMedienstudiengänge sind weit über Thüringen hinausgefragte Arbeitskräfte, für die es gilt, in Thüringen attrak-tive Beschäftigungsmöglichkeiten zu erschließen. Insbe-sondere diese Tatsache, aber auch gute Voraussetzungenbei der Infrastruktur und einer branchenspezifischen För-derung waren die Gründe, in den letzten zwei Jahren ver-stärkte Aktivitäten zur Förderung des medienwirtschaft-lichen Bereichs zu ergreifen. Über 30 Unternehmen derMedienbranche haben so im Jahr 2000 den Thüringer Me-diencluster e.V., der durch das Thüringer Ministeriumfür Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur gefördert wird,gegründet. Dessen Ziele sind die Verbesserung der Markt-position, Profilierung, Durchsetzen innovativer Trends,Stärkung des Medienstandorts Thüringen, Begleitung derGründerszene sowie die Intensivierung und Internatio-nalisierung der Zusammenarbeit. Eine Maßnahme von be-sonderer Bedeutung, die Errichtung eines Medienappli-kations- und Gründerzentrums ist in Erfurt gedacht und

vorgesehen und soll hier befördert werden. Durch dieLandesregierung und die "Stiftung für Technologie- undInnovationsförderung Thüringen" werden zurzeit die not-wendigen organisatorischen Voraussetzungen geschaffenund fördertechnische Entscheidungen vorbereitet, um mitvorgesehenen Baumaßnahmen möglichst rasch beginnenzu können. Grundlage der konzeptionellen Überlegungenzum Medienapplikations- und Gründerzentrum ist es,sich mit einer Fokussierung auf eine Marktnische nicht ineinen bundesweit schwierigen Verdrängungswettbewerbmit etablierten Medienstandorten zu begeben, sondern vonAnfang an wettbewerbsfähige Strukturen aufzubauen. Vor-liegende Studien haben ergeben, dass für das Marktseg-ment Kindermedien durch die Präsenz des Kinderkanalsvon ARD und ZDF, aber auch z.B. durch das traditionelleGeraer Kinderfilmfestival "Goldener Spatz" gute Voraus-setzungen einer Schwerpunktsetzung bestehen. Thüringenhat alle Chancen, hier eine Vorreiterrolle zu übernehmen.Es ist vorgesehen, das Medienapplikations- und Gründer-zentrum nach seiner Fertigstellung nicht nur als Anbietereiner modernen und preisgünstigen Infrastruktur für jungeMedienunternehmen zu etablieren, sondern zu einem Kris-tallisationspunkt bei der Entwicklung Erfurts zu einem bun-desweit relevanten Standort für Kindermedien auszubauen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, am 18. März2002 haben wir mit der Gründung der Thüringer Medien-initiative, MIT 21, eine Dachorganisation sozusagen fürAktivitäten bei der Weiterentwicklung des Medienbereichsin Thüringen geschaffen, die laufende und neue Aktivi-täten in allen Bereichen der klassischen und der neuenMedien sowie eine umfassende Zusammenarbeit aller Be-teiligten bündelt und die beteiligten Akteure berät. Bei-spielsweise sollen Diskussionsforen und Veranstaltungenorganisiert, Informationen bereitgestellt und vernetzt sowieeine thüringenübergreifende Promotion der Medienak-tivitäten sichergestellt werden. Der Information einerbreiten Öffentlichkeit über Anliegen und Aktivitäten vonMIT 21 wird in Kürze ein Internetangebot der Initiativedienen. Auch traditionelle und schon etablierte Veranstal-tungen, wie der von der Landesgruppe Thüringen desDeutschen Journalistenverbandes organisierte Medien-stammtisch und das Thüringer Mediensymposium, werdenunter dem Dach von MIT 21 mit begleitet.

Das Sechste Thüringer Mediensymposium fand am 5. und6. Oktober 2001 zum Thema "Werte und Medien" statt.Mit der Auswahl des Themas wurde ein Problembereichthematisiert, der nicht nur damals im Zusammenhang mitder Berichterstattung über den Anschlag auf das WorldTrade Center in New York von besonderer Bedeutung war.Die Notwendigkeit einer permanenten Verständigung überdie besondere Verantwortung der Medien in unserer Ge-sellschaft ist - das ist ja heute auch schon deutlich ge-worden, gerade auch nach dem 26. April 2002 - aktuellund soll im Rahmen von MIT 21 fortgesetzt werden.

Das Siebte Thüringer Mediensymposium wird am 28. und29. November 2002 zum Thema "Kinder und Medien"

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5379

stattfinden. Erstmals in diesem Jahr bringt die ThüringerLandesmedienanstalt als Kooperationspartner die TLM-Bühne als weiteren Bestandteil in das Mediensymposiumein. Hiermit ist auch im Sinne des Bündelungsanliegensvon MIT 21 der Grundstein für einen zukünftig nochstärker beachteten Medienkongress gelegt worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Förderbe-dingungen in Thüringen sind auch im medienwirtschaft-lichen Bereich gut. Wichtigstes Instrument ist die 1998gegründete Mitteldeutsche Medienförderung GmbH undinsbesondere in letzter Zeit ist auch hier eine schwer-punktmäßige Ausrichtung der auf Thüringen bezogenenFörderaktivitäten auf den Kinderfilmbereich zu verzeich-nen, in deren Rahmen in den letzten zwei Jahren auch soviel beachtete und hier ja bereits bekannte Produktionenwie "Küss mich, Frosch!" gefördert wurden. Neben derMDM-Förderung ist für Medienschaffende auch eineVielzahl weiterer Förderprogramme des Landes nutzbar.Um hierzu bessere Informationsmöglichkeiten zu schaffenund die Transparenz zu erhöhen, hat das Thüringer Kultus-ministerium im vergangenen Herbst gemeinsam mit demWirtschaftsministerium eine Förderfibel herausgegeben.Weitere Maßnahmen zur Stärkung der Thüringer Medien-schaffenden und zum verstärkten Standortmarketing sollenfolgen.

Lassen Sie mich auch auf einen Bereich hinweisen, der inder öffentlichen Wahrnehmung noch eine eher unterge-ordnete Rolle spielt, der aber im Zuge der technischenEntwicklung an Bedeutung gewinnen wird. Das ThüringerKultusministerium unterstützt aktiv die von der Initiative"Digitaler Rundfunk" seit 1998 forcierte Verstärkung desAngebots digitalisierter Rundfunkübertragung. Damit sol-len zusätzliche inhaltliche Angebote in einer verbessertentechnischen Qualität eröffnet werden. Als einziges neuesLand engagiert sich Thüringen in den Arbeitsgruppen derInitiative. In der aktuellen Novelle des Thüringer Medien-gesetzes, wie das Rundfunkgesetz in Zukunft heißen soll,ist die zügige und umfassende Digitalisierung des Rund-funks nicht nur als Zielsetzung beschrieben, sondern eswurden auch konkrete Maßnahmen zur Schaffung vonRechtssicherheit bei allen Beteiligten und zur Transpa-renz des Prozesses vorgeschlagen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben den vor-rangig wirtschaftsorientierten Maßnahmen findet auch dernichtkommerzielle Medienbereich in Thüringen eine starkeBeachtung und auch eine gezielte Förderung. In den letzten2 Jahren konnte der systematische Ausbau des Bürger-rundfunks in Thüringen weiter vorangebracht werden.Nach dem Sendestart des offenen Hörfunkkanals Eisenacham 9. September 2001 sind thüringenweit sieben offeneKanäle und zwei nicht kommerzielle Lokalradios tätig, dieeinen wertvollen Beitrag zur Entwicklung und Ver-mittlung von Medienkompetenz leisten. Mit einer jähr-lichen Erhöhung der zur Verfügung stehenden Mittel um100.000 DM bzw. rund 51.000 ���������1������*++2 und2002 wurde der kulturellen Filmförderung trotz schwie-

riger Haushaltslage besondere Beachtung geschenkt.

Neben der Landeshauptstadt Erfurt haben sich auch an-dere Thüringer Standorte in den letzten Jahren beacht-lich weiterentwickelt. Zunächst sei auf die Aktivitäten inIlmenau hingewiesen, wo im Umfeld der Universitätzahlreiche innovative Unternehmen auf dem Gebiet derneuen Medien und vorrangig im Softwarebereich tätigsind. Mit dem Fraunhofer-Institut wurde der Grundsteinfür eine Weiterentwicklung hin zu einem Kompetenz-zentrum für Audiosysteme und mobile IUK-Anwendungengelegt, von dem in den nächsten Jahren weitere Impulsefür wirtschaftliche Entwicklungen auf diesem Gebiet zuerwarten sind.

Die Bauhaus-Universität Weimar, an der 1996 die bun-desweit erste Medienfakultät gegründet wurde, hat einenSchwerpunkt auf Mediendesign gelegt. Dieser Bereich istgerade für die zukunftsorientierte Hinwendung der Wirt-schaft zu attraktiven Medieninhalten wichtig. Im Einklangmit den Möglichkeiten des Freistaats gilt es, zukünftigWeimar und andere Standorte wie Gera auch im Medien-bereich noch weiterzuentwickeln. Insbesondere im Me-dienbereich bieten neue Technologien die Grundlage fürinnovative Nutzungs- und Angebotsformen und letzt-endlich auch für wirtschaftliche Entwicklung.

Ein wichtiger Anwendungsbereich erschließt sich im Be-reich der öffentlichen Verwaltung, wo unter dem Stich-wort e-Government die neuen Medien, vorrangig das Inter-net, genutzt werden, um das Handeln innerhalb der Ver-waltung effizienter und bürgernäher zu gestalten, aber auchum allen Partnern des öffentlichen Bereichs von Unter-nehmen bis hin zum Bürger einfach verbesserte Dienst-leistungen und Informationen anzubieten. Unter Feder-führung des Thüringer Innenministeriums erarbeiten Ver-treter der Thüringer Ministerien und der Staatskanzlei hierkonkrete Maßnahmen für die Landesregierung und eineZusammenarbeit mit den Kommunen.

Am 5. Juni 2002 geht das Bildungsportal Thüringen unterder Federführung des Wissenschaftsressorts erstmals on-line. Als Vertreter der Landesregierung hat Minister derDr. Krapp das Projekt am 26. November 2001 in Ilmenauoffiziell gestartet. Zunächst stellen hier die UniversitätenIlmenau, Weimar und Jena auf der Basis des Internetsihre Weiterbildungsangebote vor, dann öffnet sich dasPortal für entsprechende Angebote aller Thüringer Hoch-schulen und später werden gezielt auch Weiterbildungs-module für Institutionen und Unternehmen entwickelt.Schließlich wird sich das Portal für Bildungsinhalte vonSchulen, für Inhalte der Erwachsenenbildung und derbetrieblichen Förderung öffnen. In den ersten 3 Jahrenwird allein das Portal durch die Landesregierung mit biszu 830.000 �����3������������

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die genanntenMaßnahmen, an denen die Landesregierung in besonderemMaße beteiligt ist, ließen sich um eine Reihe von weiteren

5380 Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002

Aktivitäten, von weiteren Akteuren im Medienbereichergänzen. Exemplarisch sei noch hingewiesen auf das seitAnfang 2002 in Erfurt im Auftrag des MDR produziertecrossmediale Bildungsangebot "LexiTV" und die aktuellenBemühungen des Kinderkanals um Ausweitung seinerSendezeit, Bemühungen, die von der Thüringer Landes-regierung unterstützt wurden und werden.

Der Medienstandort Thüringen profiliert sich, findet zuSchwerpunkten, die eine nachhaltige zukünftige Entwick-lung gewährleisten. Die genannten Eckpunkte belegendies in vielfältiger Weise. Ich danke Ihnen für Ihre Auf-merksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Möchte eine Fraktion die Aussprache zu diesem Berichtbeantragen? Frau Abgeordnete Nitzpon?

(Zuruf Abg. Nitzpon, PDS: Die PDS-Fraktionbeantragt das.)

Ich habe es verstanden. Damit eröffne ich die Aussprachezu diesem Bericht. Als Erstes hat sich zu Wort gemeldetder Abgeordnete Dr. Pidde, SPD-Fraktion.

Abgeordneter Dr. Pidde, SPD:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Medien-industrie gehört unbestritten zu den wirtschaftlichen Leit-sektoren der anbrechenden Informationsgesellschaft. DasWachstum der Informations-, Kommunikations- und Me-dienwirtschaft bestimmt schon jetzt die allgemeine wirt-schaftliche Entwicklung in hohem Maße. Medienunter-nehmen schaffen bereits heute eine Vielzahl von Arbeits-plätzen, verfügen über ein hohes ökonomisches und inno-vatives Potenzial und wirken durch Synergie- und Konver-genzeffekte auf viele andere wirtschaftliche Sektoren ein.

Mit Blick auf die Aufgaben der Landespolitik ist einesdamit vollkommen klar: Wer eine prosperierende wirt-schaftliche Entwicklung für Thüringen will, wer dem Landein Maximum an Zukunftschancen sichern will, der kommtan der Medienindustrie nicht vorbei. Nicht umsonst istzwischen den Bundesländern seit Jahren ein vehementerWettlauf um die Ansiedlung von Medienunternehmen undum die Schaffung von attraktiven Medienstandorten imGange. Die Medienindustrie hat Herr Staatssekretär Ströbelin seinem Bericht am Rand erwähnt, konkrete Fakten ist erschuldig geblieben. Wenn er beklagt, dass wir gute Me-dienfachkräfte ausbilden und für diese Arbeitsplätze inThüringen brauchen, sind wir wieder bei dem Thema, waswir vorhin hatten, nämlich bei der Abwanderung jungerMenschen aus Thüringen. Ganz entscheidend ist doch dieAnzahl der Arbeitsplätze, die wir hier im Film- und Rund-funksektor in Thüringen haben. Wo stehen wir denn indiesem Wettbewerb? Wenn wir den Bericht des Staats-

sekretärs gehört haben, dann mag man vermuten, Thü-ringen liegt auf einem guten Mittelplatz. Oder nimmt viel-leicht Thüringen gar den Platz ein, den der Ministerprä-sident nicht müde wird, immer wieder zu betonen, dass wireinen vorderen Platz hätten ohne Sozialismus und ohnedie deutsche Teilung.

(Beifall Gnauck, Minister für Bundes- undEuropaangelegenheiten und Chef der Staats-kanzlei)

Nein, meine Damen und Herren, Thüringen liegt im Län-dervergleich auf dem allerletzten Platz. Im engeren Me-dienbereich, im Film- und Rundfunksektor haben wir inThüringen kaum mehr als 300 Arbeitsplätze. In den letzten4 Jahren sind bei uns mit Hilfe der Mitteldeutschen Me-dienförderung gerade einmal 15 Medienfirmen neu an-gesiedelt bzw. gegründet worden. Und Sie, meine Damenund Herren von der CDU, sind ja stets freimütig dabei,anderen Bundesländern das rote Schlusslicht zu verleihen,im Vergleich der Medienstandorte können Sie sich dierote Laterne auf den eigenen Schreibtisch stellen.

Meine Damen und Herren, der Kinderkanal, das einzigeöffentlich-rechtliche überregionale Programm, das in denneuen Ländern produziert und von hier ausgestrahlt wird,ist ein Geschenk des Himmels für Thüringen.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Ein Geschenk;der Ministerpräsident hat dafür gekämpft.)

Dazu kommt das Landesfunkhaus des MDR in Erfurt.Somit verfügte Thüringen über gute medienwirtschaftlicheStartbedingungen. Diese wurden und werden von derLandesregierung bei weitem nicht ausreichend genutzt. DerAnteil von Eigenproduktionen für den Kinderkanal ist bei-spielsweise viel zu gering. Hier muss endlich eine ge-zielte Förderpolitik betrieben werden, um Thüringen alsStandort für medienproduzierende Unternehmen attraktiverzu machen. Nur so ist die dringend notwendige Ansiedlungweiterer Produktionsfirmen machbar. Wenn wirklich Thü-ringen das Profil eines Kindermedienlands bekommen soll,dann muss der Kinderkanal zum Kern einer sich um ihngruppierenden wachstumsorientierten und zukunftssicherenMedienproduktionslandschaft werden. Auch die Landes-medienanstalt gehört in "Sichtweite" von Kinderkanal undMDR, aber nicht in die verträumte Provinz.

Meine Damen und Herren, diese medienpolitischen Wei-chenstellungen müssen schnell geschehen, sonst verlierenwir gegenüber den anderen Bundesländern immer weiteran Boden. Das wird besonders bei einem Blick auf Sachsenund Sachsen-Anhalt, den anderen beiden am MDR be-teiligten Ländern, deutlich.

Zunächst zu Sachsen: Allein in Leipzig gibt es 1.500 Me-dienunternehmen. Sie erwirtschafteten im Jahr 2000 mit40.000 Beschäftigten einen Umsatz von 6,12 Mrd. DM.Jeder siebte Beschäftigte in Leipzig ist heute im Medien-

Thüringer Landtag - 3. Wahlperiode - 63. Sitzung, 23. Mai 2002 5381

bereich tätig. Daran zeigt sich, welches gewaltige wirt-schaftliche Potenzial in diesem Sektor liegt, ein Potenzial,das wir in Thüringen bislang nur zu einem Bruchteil aus-geschöpft haben. Natürlich werden mir die Kollegen vonder CDU jetzt vorhalten, man könne den traditionellenMedienstandort Leipzig nicht mit Thüringen vergleichen.Dieser Einwand ist aber nur zum Teil berechtigt. EineStudie der Universität Leipzig belegt nämlich, dass 86 Pro-zent der Leipziger Medienunternehmen erst nach 1989gegründet wurden. Jedes fünfte dieser Unternehmenentstand sogar innerhalb des Zeitraums 1998 bis 2000.

Meine Damen und Herren, warum ist eine derartige Ent-wicklung in Leipzig möglich, nicht aber in Thüringen? DieAntwort liegt nahe. In Leipzig wird seitens der Landes-regierung mit großer Energie eine zielgerichtete Ansied-lungs- und Förderpolitik im Medienbereich betrieben. Dortwird mit Engagement und Nachdruck die Zukunft deswichtigsten sächsischen Medienstandorts gestaltet. In Thü-ringen dagegen verfährt der zuständige Minister nach demschon aus der Bildungspolitik bekannten Motto "Ab-warten, zögern und zaudern".

Meine Damen und Herren, blicken wir nun nach Sach-sen-Anhalt: Dort bestehen allein in Halle und seiner Um-gebung 500 Medienunternehmen mit 9.000 Arbeitsplätzen.Der überwiegende Teil dieser Firmen wurde erst nach1996 gegründet und verdankt seine Existenz vor allem dervon der Regierung Höppner betriebenen klugen Ansied-lungspolitik.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Deshalb ister auch abgewählt worden.)

Wenn die Landesregierung jetzt von der Schaffung einesMedienapplikations- und Gründerzentrums spricht, so mussman sagen, in Halle wird das Mitteldeutsche Multimedia-zentrum im nächsten Jahr eröffnet werden. Dort ist unsSachsen-Anhalt etliche Schritte voraus. Das MMZ inHalle wird Medienwirtschaft, Medienausbildung und Me-dienwissenschaft an einem Ort bündeln, kreative Men-schen aus diesen Bereichen gezielt zusammenführen unddamit große Synergieeffekte auslösen und es wird überHalle hinaus ausstrahlen und dort mit Sicherheit eine ganzeReihe weiterer Neuansiedlungen im Medienbereich nachsich ziehen. Davon sind wir noch weit entfernt.

Meine Damen und Herren, so viel zu Leipzig und Halle, wodank energisch handelnder Landesregierungen in wenigenJahren Tausende von Arbeitsplätzen in der Medienbrancheentstanden sind. Unsere Landesregierung kann dagegen- und ich will es noch einmal sagen - im Medienbereichgerade einmal knapp über 300 Arbeitsplätze vorweisen.Das ist die ernüchternde Bilanz der Medienpolitik unsererLandesregierung. Wo Engagement für die Zukunft desMedienstandorts Thüringen gefragt wäre, herrscht bei unsunverantwortliche Passivität. Deshalb fordern wir von derSPD-Fraktion die Landesregierung auf, endlich mit einergezielten Ansiedlungs- und Förderpolitik Thüringen für die

Medienwirtschaft attraktiv zu machen. Der Kinderkanalmuss zum Kern einer prosperierenden Medienproduktions-landschaft gemacht werden. Nur so kann Thüringen zueinem zukunftssicheren Medienstandort mit einem eige-nen, unverwechselbaren Profil werden. Sollte dies nichtgelingen, werden wir endgültig den Anschluss an die Ent-wicklung der Medienlandschaft in den anderen Bun-desländern verlieren. Dann kann sich Thüringen auf diesemGebiet das Etikett "Schlusslicht in Deutschland" auf Dauerankleben. Danke.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Klaubert:

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Seela zuWort gemeldet.

Abgeordneter Seela, CDU:

Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren! Also,Herr Pidde, Sie haben ja ziemlich dick aufgetragen.Eigentlich wollte ich mich mit Ihnen gar nicht be-schäftigen, aber Sie haben einige Dinge hier gesagt undhaben auf einem besonderen Aspekt herumgeritten, den ichauch genannt hätte, die Zahlen, ich hätte auch die sachsen-anhaltinischen Zahlen genannt mit 600 Arbeitsplätzen undSachsen mit 2.000 Arbeitsplätzen. Aber es hat auch einenbestimmten Grund, das sage ich dann noch. Ich wolltezunächst erst noch einmal, bevor ich auch gesagt hätte, dassich mir vorkam wie im Konzert "Wünsch dir was", auf denAntragsteller zurückkommen, nämlich auf die PDS-Frak-tion. Natürlich können Sie mit uns, mit der CDU-Frak-tion, bei jeder Gelegenheit über den Medienstandort undüber medienpolitische Themen plaudern, auch wenn wirdas im letzten Jahr wiederholt getan haben. Wir haben dasim August getan im Ausschuss, wir haben das im Juli getanhier im Plenum und wir haben das erst aufgrund einesCDU-Antrags jetzt im Januar im Ausschuss für Bildungund Medien getan, nämlich als wir über die MitteldeutscheMedienförderung gesprochen haben. Aber kein Problem,dann reden wir heute noch einmal. Was ich hier auchgleich noch sagen möchte, nämlich zur "Begründung": Ichbin auch ein Freund von Ironie, wenn sie gut vorgetragenist. Lassen Sie mich die Begründung noch einmal kurzzitieren - ich darf zitieren, Frau Präsidentin: "Seit dem5. Thüringer Mediensymposium am 6. und 7. Oktober 2000ist es um den Medienstandort Thüringen ruhig geworden,von Aktivitäten der Landesregierung ist kaum etwas zuhören und es ist zu befürchten, dass die Medienent-wicklung in Thüringen stagniert." Guten Morgen, Damenund Herren von der PDS-Fraktion, wir hatten im letztenJahr bereits das 6. Mediensymposium, wahrscheinlichhaben Sie das verschlafen.

(Beifall bei der CDU)

Ich hoffe nur, dass Sie das 7. Mediensymposium in diesemJahr nicht verschlafen, das hat ein sehr interessantes Thema:

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"Kinder und Medien", ich hoffe, wir sehen uns da. HerrPidde hat übrigens auch teilgenommen im letzten Jahr,wir waren gemeinsam in einer Podiumsdiskussion, da ginges um das Thema "Offene Kanäle". Er hätte eigentlichheute sagen müssen, dass wir beim Thema "Offene Ka-näle" mit bei den Ersten liegen, dass wir da Sachsen beiweitem überholt haben. Die haben nämlich überhaupt keineOffenen Kanäle, Herr Pidde,

(Beifall bei der CDU)

die haben so genannte Ereignisrundfunkprojekte an denUniversitäten, aber keine Offenen Kanäle. Darauf kommeich noch zu sprechen, wenn ich insgesamt ein Bild desMedienstandorts Thüringen entwickle. Den größeren Teilhat ja nun auch schon der Staatssekretär vorgetragen, zueinigen Schwerpunkten im medienwirtschaftlichen Bereichhätte ich gern noch etwas gesagt.

Noch einmal zur Begründung oder zum Antrag selbst:Natürlich muss ich sagen, das will ich an dieser Stelle auchnoch einmal loswerden, ich war auch etwas verärgert,nicht, weil wir uns heute noch einmal über das spannendeThema "Medienpolitik" und "Medienstandort Thüringen"unterhalten, nein, weil ich noch genau im Hinterkopf habe,als wir hier in diesem hohen Haus diskutiert haben überdie Rundfunkgebühren. Jetzt überlegen Sie alle einmal, werhier in diesem hohen Haus zum Thema Rundfunkge-bühren wie gestimmt hat und überlegen Sie auch einmal,was wäre denn, wenn alle so gestimmt hätten wie diePDS-Fraktion - nämlich, da hat nur einer von Ihnen mit Jagestimmt zu den Rundfunkgebühren -, was wäre denn,wenn alle so gestimmt hätten? Theoretisch hätte sich derMDR aus Thüringen zurückziehen müssen, da hätten wir janicht einmal mehr 300 Arbeitsplätze im medienwirtschaft-lichen Bereich, da hätten wir faktisch null, wenn ichAntenne und Landeswelle noch wegrechne. Also, das istschon, ein falsches Spiel will ich nicht sagen, aber es istschon etwas merkwürdig und ich war auch verärgert, aberdas müssen Sie sich schon gefallen lassen, man kann nichtdas eine wollen und das andere nicht wollen, so einfachgeht es auch nicht. Sie müssen auch mit den Konsequen-zen leben, nämlich damals, wie Ihr Abstimmverhalten war,wo Sie sich gegen den Öffentlich-rechtlichen sozusagenausgesprochen haben.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Dazu willich noch etwas sagen.)

Aber Sie sind gleich dran, sagen Sie gleich noch etwasdazu.

Generell zum Medienstandort Thüringen, ich hatte es ein-gangs genannt, ich hätte es auch gesagt. Natürlich solltenuns die Ausgangszahlen stimulieren zu mehr Leistungs-bereitschaft und dazu, noch mehr zu tun. Das ist voll-kommen richtig. Die Zahl lässt sich auch nicht schönreden,das ist ein Fakt. Wir haben gerade einmal 300 Arbeits-plätze im medienwirtschaftlichen Bereich, dazu zählen vor

allem die MDR-Arbeitsplätze und die Antenne- und Lan-deswelle-Arbeitsplätze. Nicht mit hineingerechnet sindnatürlich die vielen, vielen freien Mitarbeiter, die sind inder Zahl nicht mit drin und nicht mit hineingerechnet sindauch die festen und freien Mitarbeiter bei den lokalen Fern-sehsendern. Da bin ich gerade bei einem interessantenStichwort - lokale Fernsehanstalten, private Fernsehan-bieter in Thüringen. Wir haben in Thüringen ein flächen-deckendes Netz, das kann man so sagen. Herr Pidde, Siesind nicht in der TLM-Versammlung, deswegen wissenSie das vielleicht noch nicht. Wir haben 10 Sender in Thü-ringen mit einem Zuschaueranteil unter 10.000 Wohn-einheiten, so wird das gerechnet, und 10 Sender über10.000 Wohneinheiten. Platz Nummer 1, das will ich andieser Stelle gern einmal sagen, von der Bewertung seitensder TLM ist Jena-TV. Ich will ja auch ein bisschen Wer-bung machen für meinen Wahlkreis Jena. Platz Nummer 2,das will ich auch nicht verschweigen, Jena hat die Note 2,1und Erfurt hat die Note 2,2 bekommen. Das ist ein gutausgebautes Netz, was natürlich auch Probleme hat. Dennwie bei der Landeswelle, da bin ich auch beim privatenHörfunk - Landeswelle, Antenne Thüringen -, da gibt eseinen bestimmten Kuchen von Werbeeinnahmen und da-raus werden diese Sender, ob Hörfunk oder Fernsehfunkfinanziert. Dieser Kuchen wird bedauerlicherweise auchnicht größer. Sie hatten sich ja mit Herrn Goßmann un-terhalten. Herr Goßmann von der Zeitungsgruppe Thü-ringen wird Ihnen das auch sagen. Das ist übrigens auchein Faktor, der mit zum Medienstandort Thüringen gehört,wir haben eine starke Zeitungsgruppe Thüringen. Aber derWerbekuchen wird nicht größer und deswegen haben wirnatürlich auch hier Probleme bei den privaten Anbietern imLokalfernsehen. Ich weiß es selbst von Jena-TV, dass sichda die Einnahmen aus dem Werbebereich auch sehr be-grenzt halten. Das hängt einfach damit zusammen, was dieEinnahmen aus dem Mittelstand und aus der Industrie be-trifft, die sind natürlich noch steigerungsfähig. Es gibt ge-rade einmal, dass muss man auch so sagen, einen lokalenFernsehsender, der schwarze Zahlen schreibt, das ist TVSüdthüringen. Nach eigenen Angaben schreiben die imMonat 3.000 Mark Gewinn. Bloß der Rest hat alles roteZahlen. Wenn Sie aus dem Fach kämen, würden Siewissen, dass jeder lokale Fernsehsender sich erst einmal4 bis 5 Jahre bewähren muss und innerhalb dieser 4, 5 Jahreschreibt er nun mal keine schwarzen Zahlen. Erst danachwird die Spreu vom Weizen getrennt und man sieht, werüberleben wird. Seitens der TLM wird auch beobachtet- und das ist auch meine Anregung immer gewesen -,immer auf große Einheiten Wert zu legen, wie z.B. TVSüdthüringen. Oder man hat auch einmal überlegt, dassman nicht TV Weimar, TV Erfurt, TV Gera in einer Kettebildet, denn größere haben auf diesem Markt eher dieChance zu überleben. Aber wenn Sie sich mal die Pro-gramme und Inhalte anschauen, sind diese Sender alle vonder Bevölkerung akzeptiert. Es gibt sogar schon Hinweisedarauf, dass so manche ihre Tageszeitung abbestellen. Dasfunktioniert sehr gut. Antenne Thüringen und Landes-welle hatte ich erwähnt, die zwei Sender, die haben esnatürlich auch schwer, die haben das gleiche Problem, weil

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sie von Werbeeinnahmen leben.

Ein letzter Aspekt, den ich hier gern noch genannt hätte,weil wir darauf wirklich stolz sein können hier in Thürin-gen, ist das breite Netz von Offenen Kanälen, das sehr gutausgebaut ist. Natürlich kann man auch darüber disku-tieren und es wird auch darüber diskutiert, ob man inSuhl noch einen Offenen Kanal errichtet. Das muss mansehen. Da hat man sich ja auch einiges geleistet. Hier binich wieder bei meiner Kritik an der PDS-Fraktion, als esum die Rundfunkgebühren ging. Man muss auch wissen,mit 2 Prozent aus den Rundfunkgebühren werden derartigeOffene Kanäle finanziert. Wenn man dagegen ist, mussman sich auch von den Offenen Kanälen verabschieden.Aber da wiederhole ich mich, das will ich nicht noch ein-mal sagen. Das lässt man sich auch einiges kosten seitensder TLM, die Erstausstattung so in der Regel eine halbeMillion DM und jährlich mit einem Personalkostenzuschussvon 200.000 DM. Ich bin Mitglied des Ausschusses fürProgramm und Jugendschutz und ständiger Gast auch imOK-Ausschuss und hatte angeregt nach vielen Gesprächenmit den OK-Leuten und gefragt, wieviel benötigt man dennnoch für Personalkosten? Da hieß es, man bräuchtenoch 50.000 DM mehr, ursprünglich hatten die nur150.000 DM. Jetzt haben sie diese 50.000 DM ab diesemJahr auch noch bekommen und so sind es insgesamt200.000 DM. Damit können sie ganz gut leben. Zu mirhaben sie zumindest gesagt, 200.000 DM würden voll-kommen ausreichend sein, um alle medienpädagogischenAufgaben und Aufgaben, die in der Vermittlung von Me-dienkompetenz liegen, zu realisieren. Das müssen wirsehen. Im gleichen Atemzug hatte ich auch von einer Eva-luierung der Offenen Kanäle gesprochen, also Aufgaben-definierung. Das ist noch im Fluss, da muss man sehen.

Zuletzt will ich noch auf ein sehr entscheidendes, schlag-kräftiges Instrumentarium hinweisen, nämlich die Mittel-deutsche Medienförderung, die Sie so ein bisschen unterden Tisch fallen lassen haben. Sie ist 1998 auf Initiativeder Ministerpräsidenten aller drei mitteldeutschen LänderSachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen gegründet wor-den. Sachsen gibt jährlich 7,5 Mio. DM und Thüringenund Sachsen-Anhalt jeweils 5 Mio. DM hinein. Was wirherausbekommen haben, das sind insgesamt 11,5 Mio. ��die haben wir aus dem Topf, in den wir vorher hinein-gesteckt haben, herausbekommen. Auch mit der Ansied-lung von Produktionsgesellschaften, Sie haben die Zahlgenannt, 15 Produktionsgesellschaften, 13 bis 15, ganzgenau, sind in der Tat hier angesiedelt worden in denletzten drei, vier Jahren. Wenn man weiß, wie schwierig esist, im medienwirtschaftlichen Bereich Fuß zu fassen, istdas ein stolzes Ergebnis. Aber es reicht bedauerlicher-weise immer noch nicht, an die Zahlen von Sachsen heran-zukommen. Aber man muss eben auch wissen, dass esdafür in Sachsen historische Gründe gibt. Sachsen hat ebeneine Medientradition, hatte schon in der DDR und natürlichauch davor im Dokumetarfilmbereich eine starke Tradition.Das muss man berücksichtigen. Thüringen hat wirklich beinull angefangen. Diese Geschichte, die jetzt hier in Erfurt

läuft, Stichwort Clusterbildung, dieses Medienzentrum, wasgegründet werden soll, das ist der richtige Weg. Wenn Sieden MDR einmal besuchen, wenn Sie den Kinderkanal be-suchen, was übrigens kein Geschenk des Himmels ist, wosich der Ministerpräsident stark gemacht hat auch gegenden SPD-Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen,der nämlich auch den Kinderkanal haben wollte, ist dasein gutes, stolzes Ergebnis und nicht nur Glück.

(Beifall Abg. Nitzpon, PDS)

Das ist natürlich auch Arbeit, die dahinter steckt, dass wirden Kinderkanal hier haben. Die Profilierung Kinderme-dienland, denke ich, ist eine Marktlücke, in die Thüringenhineinstößt und hat gute Chancen, eine Erfolgsgeschichtezu werden. Die MDM fördert ja auch den so genanntenLocationguide für Filmproduktionen, eine sehr vernünftigeSache, um Produktionsgesellschaften nach Thüringen zulocken. Im Übrigen habe ich beide Fraktionen in der vor-letzten Woche bei dem Medientreffpunkt Mitteldeutsch-land vermisst, bedauerlicherweise. Da hätten Sie schonaktiv werden können, hätten schon Produktionsgesell-schaften nach Thüringen locken können. Ich persönlichhabe sehr intensive Gespräche geführt mit einer Produk-tionsgesellschaft, die eventuell in Erfurt, in Thüringen mitdem ZDF mit Hilfe der MDM eine Serie drehen möchte.Wollen wir mal sehen, was dabei herauskommt. Das würdemich zumindest freuen, wenn sich Frau Dr. Kaschuba auchdafür stark machen und nicht nur mit schlecht recher-chierten Anträgen aufwarten würde. In diesem Sinne tunwir gemeinsam etwas dafür und bleiben bei den Fakten. Ichdenke, was den Medienstandort Thüringen betrifft, wird esin Zukunft noch einiges zu berichten geben. Danke schönfür Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Frau Abgeordnete Kaschuba, Sie haben das Wort.

Abgeordnete Dr. Kaschuba, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, auch wennHerr Seela hier arge Nöte hatte zu begreifen, warum maneinen solchen Antrag stellt, möchte ich doch noch einmalsagen, dass allein der Bericht des Staatssekretärs aus un-serer Sicht gezeigt hat, dass der Antrag richtig war.

(Beifall bei der PDS)

Ich bin auch der Meinung, dass die Landesregierung das,was sie auf dem Gebiet der Entwicklung dieses Medien-standorts Thüringen leistet, zu wenig öffentlich verkauftund wirksam macht und dort liegt meiner Meinung nachein Problem. Ein solches Ersuchen um Berichterstattungmacht doch öffentlich, was hier eigentlich getan wird undwo man vielleicht noch etwas machen müsste. Insofern,denke ich, hat unser Antrag schon einen Sinn gemacht.

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Dann möchte ich noch eine weitere Anmerkung machen,warum ich diesen Antrag formuliert habe, er ist ja einwenig rigide formuliert. Ihr Bericht hat das ja relativiert.Aber Herr Seela kündigt ja häufig Unternehmungen imBereich der Medienwirtschaft an und er hatte einmal an-gekündigt, dass es ein Medienzentrum in Jena auf demBeutenberg geben wird. Ich dachte, ich erfahre heuteeventuell eine Auskunft dazu, ob es dieses Medienzen-trum geben wird.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Zu dem Orthabe ich mich gar nicht geäußert, Jena undBeutenberg.)

Dann möchte ich noch etwas zum 5. Mediensymposiumsagen, Herr Seela. Es ist im Vergleich gesagt worden, wennich das 5. Mediensymposium 2000 anmerke, heißt dasnicht, dass ich das 6. Mediensymposium 2001 vergessenhabe. Ich saß mit Ihnen im gleichen Podium. An dieserStelle möchte ich auch noch eines sagen, jeder erwähnthier "Küss mich, Frosch" und seine Prämierung, das willich jetzt hier sagen, an dieser Prämierung bin ich nichtganz unbeteiligt gewesen. Ich saß in der Jury vom "Gol-denen Spatzen". Also nur als Anmerkung.

Nun möchte ich noch einiges sagen, in welche Richtungunsere Anfrage ging. Ich muss sagen, der Staatssekretär hatdas weit reichend beantwortet. Also hat auch der Berichtdie Zielstellung, die wir damit verfolgt haben, eigentlichrecht gut bedient, wenn ich das so sagen darf. UnsereZielrichtung ging eigentlich dahin, wir wollten gern wissen,wie das Konzept für die wirtschaftliche Entwicklung desMedienstandorts Thüringen ist, in welche Richtung dasgeht. Es ist hier von meinen Vorrednern bereits gesagtworden, dass Thüringen nicht der traditionelle Medien-standort ist, wie z.B. Berlin, Leipzig oder Halle, sonderndass hier neue Entwicklungen auf den Weg gebracht wur-den. Ich denke, insofern ist die Frage schon berechtigt, dassman fragt, wie soll diese wirtschaftliche Ausrichtung denngeschehen, insbesondere, wenn ich davon ausgehe, dass dieneuen Bundesländer, was die technischen Voraussetzun-gen anbelangt, einen deutlichen technologischen Vorsprunghaben gegenüber den alten Bundesländern. Da ist es schoninteressant, in welche Lücke geht man, will man vor allemsich im Bereich der Digitalisierung auch wirtschaftlichorientieren oder will man das nicht.

Der zweite Punkt war natürlich die inhaltliche Kompetenzdieses Medienstandorts. Sie wissen, dass wir das hierimmer wieder thematisieren, das ist die Frage nach derEntwicklung von Medienkompetenz. Dort ist im Berichtdes Staatssekretärs einiges gesagt worden, insbesondereauch im schulischen Bereich. Aber an dieser Stelle möchteich sagen, auch Bezug nehmend auf die Dinge, die wirheute früh diskutiert haben oder die wir einvernehmlich ineinem Entschließungsantrag bekundet haben. Ich denke,dass die Entwicklung von Medienkompetenz sehr weitreichend sein muss, dass sie die Nutzer erfassen muss, aberauch die Macher von Medien und dass es nicht sein kann,

dass wir uns dort nur im Bereich des Machens und desVerbietens, sondern auch in dem Bereich des Bewertensbewegen müssen, wie Medien eigentlich aufgenommenwerden, erfasst werden. Ich würde diese Frage gern auchunter den Aspekten, die der Herr Staatssekretär hier be-nannt hat, noch einmal im Ausschuss diskutieren, welchesinhaltliche Konzept insgesamt Entwicklung von Medien-kompetenz auch in der Bündelung aller Kompetenzen,die wir hier haben, zugrunde liegt.

Dann wurde davon gesprochen, dass es ein umfassendesEntwicklungskonzept für den Medienstandort Thüringengibt. Es wäre für uns auch sehr interessant zu erfahren - ichdenke, auch für die Öffentlichkeit - wie dieses Entwick-lungskonzept komplex aussieht und in welche Richtungdas geht.

Zum Medienstandort Erfurt, also Medienapplikations-zentrum mit dem Applikations- und Gründerzentrum undKinderkanal. Das ist offensichtlich die Nische, in der mansich noch positionieren kann, ohne in einen Verdrängungs-wettbewerb zu geraten. Es ist wohl bekannt, dass gerade indiesem so genannten Kindermedienmarkt ein Marktvo-lumen vorhanden ist, das sich im zwei- und dreistelligenMillionenbereich bewegt, je nachdem, um welche Medienes sich handelt. Es ist aber auch bekannt, dass Kinder inder Regel im Alter von 3 bis 12 Jahren, also das, was durchden Kinderkanal zu produzierten Angeboten wird, nutzenund dass ab 13 Jahren das Nutzungsverhältnis sich schondeutlich unterscheidet. Es werden andere Sendungen ge-sehen, es werden andere Dinge aufgenommen. Die Frageist, Herr Ströbel hat es angesprochen, ist an eine Erwei-terung des Kinderkanals auch im inhaltlichen Volumen ge-dacht in Richtung Kinder- und Jugendsender, der Wissenund Bildung vermittelt? Wie sind dort die Verhandlungenbezüglich ARTE fortgeschritten, wie geht das überhauptzusammen? Das wäre die Frage, die ich an dieser Stellehätte.

Zum Kinderkanal: Mir ist bekannt, dass dort auch umeinen Erlebnispark im Umfeld des Kinderkanals diskutiertwird. Dazu könnten wir auch, wenn es solche Vorstel-lungen gibt, ein paar Aussagen hören.

Dann möchte ich noch eine Bemerkung machen zumGoldenen Spatzen. Der Goldene Spatz hat mittlerweile einehohe nationale Anerkennung, aber das eigentliche Problemliegt darin, dass der Goldene Spatz als Festivalstandort vonGera weggehen soll nach Erfurt und der medienpädago-gische Teil in Gera sein soll. Soweit ist mir das bekannt.Dort ist die Frage, ist das alles schon in Sack und Tütenoder wird das noch eine Weile diskutiert?

Meine Damen und Herren, auch wenn Sie jetzt schon aufdie Uhr sehen und denken, es ist schon ein bisschen spät,ich möchte die Zahlen meiner Vorredner, was die Arbeits-platzsituation in Thüringen anbelangt, korrigieren. So weitmir es aus den neusten Studien bekannt ist, sind 500 Ar-beitsplätze im audiovisuellen Bereich entstanden und

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3.000 Arbeitsplätze im Rundfunk-, Fernseh- und Tele-kommunikationsbereich und 200 kleine Unternehmen inThüringen arbeiten in diesem Bereich. Das ist für michein Ansatz, wo man sagen muss, hier muss man eintragfähiges Konzept weiterentwickeln.

Ich denke nicht nur, was das Kindermedienland Thüringenanbelangt, dass das nicht nur eine Frage der technolo-gischen Ausstattung ist und der Schaffung von Rahmen-bedingungen über ein Applikationszentrum an sich, son-dern es ist auch eine Frage der Inhalte. Was will ich dennmit den Medieninhalten machen, welche Medieninhaltemöchte ich überhaupt verkaufen? Wir haben an unserenHochschulen, das ist hier alles schon gesagt worden,technisch sehr gut ausgebildete Leute. Die Umsetzung inMedieninhalte, welche Medieninhalte wollen wir, waswollen wir im DVD-Bereich, was wollen wir bei CD-ROMs, was wollen wir im Video-Bereich, wollen wirauch Zeitschriften, Bücher in diesem Applikationszentrumproduzieren. Was wollen wir dort ansiedeln? Diese Fragengehören für mich zu einer Konzeption für den Medien-standort Thüringen.

Ich möchte das noch einmal deutlich machen. Sie habenvorhin auch gesagt, Internationalisierung ist ein Punkt. ImZuge der EU-Osterweiterung werden sich sicher andereFragen stellen auch zu dem Medienbereich. Kann manvielleicht in Thüringen auch dort etwas leisten, um sich mitder Situation anderer Länder bekannt zu machen? Kann esdort eine Bündelung geben, in einem Sender - ähnlich wiebei ARTE - oder kann man zumindest sich als Land Thü-ringen daran beteiligen, dort interkulturell vermittelndwirksam zu sein? Das ist für mich eine weitere Frage.

Was die Kompetenzen der Nutzer von Medien anbelangt,möchte ich Sie abschließend mit einigen wenigen Zahlenkonfrontieren. Die Ausstattung mit Fernsehgeräten liegt beiüber 100 Prozent. Über 50 Prozent haben ein Zweitgerät. Inacht von zehn Haushalten gibt es mehr als zwei Rund-funkgeräte, in vier von fünf - Sie können sich das ruhig an-hören - können Sie Videotexte empfangen, 11 Prozent ha-ben DVD-Player, 54 Prozent haben PCs, davon haben 25Prozent einen Internetzugang. Diese Menschen nehmen alleMedieninhalte auf, im Schnitt jeder Bürger in Deutschland8,5 Stunden pro Tag und 55 Minuten liest jeder Tages-zeitungen. Hier bin ich wieder bei dem Thema der Medien-kompetenz und dazu möchte ich gern noch etwas sagen.

Wir haben heute Morgen über Glaubwürdigkeit geredet,Glaubwürdigkeit und Vermittlung von Medien. Bei 65 Pro-zent ist das Nutzungsmotiv, damit ich mitreden kann;bei 92 Prozent, damit ich informiert bin; bei 26, damitich mich nicht allein fühle; bei 30 Prozent, weil ich dannden Alltag vergessen kann. Das sind relativ aussage-fähige Zahlen, finde ich, und was die Bewertung desöffentlich-rechtlichen Rundfunks anbelangt, wird ihm hoheGlaubwürdigkeit, Sachlichkeit und Kompetenz zugebilligt.Den Privaten wird zugebilligt, unterhaltend, lockerer,mutig, vielseitig und wesentlich interessantere Gesprächs-

themen und besser beim Aufdecken von Ungerechtig-keiten zu sein. Das sind interessante Konstellationen undhinsichtlich des Internets wird in Bezug auf die Zukunfts-fähigkeit von den Benutzern eine wirtschaftliche Kom-ponente zugebilligt. Das zeigt ja schon allein, wie vielMedienkompetenz wir eigentlich bei den Nutzern haben.Ich denke, deshalb sollten wir das Thema Medienkom-petenz noch einmal aufnehmen. Da Sie alle hier so unruhigsind, will ich Ihnen noch etwas zur Bewertung von Politikdurch Mediennutzer sagen. 71 bis 78 Prozent der Nutzersind der Meinung, Politiker sind nur an sich und ihrerMacht interessiert. 79 bis 81 Prozent sagen, Politikerberücksichtigen zu wenig die Interessen der Menschen. Ichdenke, das sollten wir bei der Diskussion um Medien-kompetenz auch berücksichtigen. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor, oder ist dasnoch eine Wortmeldung? Ja, bitte schön, Sie haben dasWort, Frau Abgeordnete.

Abgeordnete Nitzpon, PDS:

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, eigentlich hatmich Herr Seela hier nach vorn gedrängt. Ich möchteaber zunächst sagen, dass ich nach dem Vortrag vonHerrn Ströbel ganz eindeutig sagen muss, in manchenDingen braucht die Landesregierung nicht so bescheidenzu sein. Sie hätten doch schon längst hier einmal sagenkönnen, was Sie denn alles Neues machen in der Zeit seitOktober vergangenen Jahres. Denn einige Sachen wussteich auch nicht, z.B. die Bündelung, dazu hat Frau Dr. Ka-schuba schon etwas gesagt, die seit Jahren eigentlich nichtfunktioniert hat und wenn jetzt seit März solch eine MIT21, wenn es so heißt, diese Initiative gegründet wurde undvielleicht diese Bündelung wirklich auch durchführt, dannwäre das natürlich eine ganz gute Sache. Deswegen,Herr Seela, wir werden immer wieder solch einen Berichtabfordern in regelmäßigen Abständen, damit wir einmalerfahren, was denn die Landesregierung auf diesem Gebietso macht. Deswegen sage ich noch einmal, herzlichenDank für den Bericht.

Was mich hier vorgetrieben hat, Herr Seela, ist eigentlichIhre Bemerkung, dass Sie so verärgert sind und das gleichdreimal hier darstellen mussten, wegen der Rundfunk-gebührenerhöhung, die hier getätigt wurde.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Na, Sie alsTLM-Mitglied.)

Ja, eben, ich als TLM-Mitglied und deswegen möchte ichIhnen auch etwas dazu sagen. Die Begründung damalskönnen Sie ja in den Protokollen nachlesen.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Habe ich ja.)

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Aber im Referentenentwurf zum Rundfunkgesetz, ichhoffe, dieses wird bald hier als normaler Entwurf einge-reicht, ist richtigerweise, das unterstütze ich ganz stark,festgeschrieben, dass in Fragen der Medienkompetenzdiese noch stärker im Rundfunkgesetz festgeschrieben wer-den sollen und die Landesmedienanstalt soll neue Aufga-benstellungen in Form eines verstärkten Aus- und Fort-bildungsprofils zugeordnet erhalten. Ich finde das richtig.Allerdings verstehe ich nicht den Zusammenhang, da stehtdas nämlich drin, als wir die Rundfunkgebührenerhöhungmit beschlossen haben.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Sie dochnicht. Das stimmt doch gar nicht.)

Als Sie beschlossen haben, dass die Landesregierung in derProtokollerklärung im Rahmen des Fünften Rundfunk-änderungsstaatsvertrags sich für das Entfallen der auto-matischen Teilhabe der Landesmedienanstalt an den Rund-funkgebührenerhöhungen nach dem 31. Dezember 2004eingesetzt hat. Sie will also nicht, dass die Gebührener-höhungen weiterhin ab dem 01.01.2005 in die Landes-medienanstalten fließen und das kann ich nicht verstehen,wenn Sie im Rundfunkgesetz stärker noch die Landes-medienanstalt zu neuen Aufgaben - die ich richtig finde -hinzuziehen will. Wenn Sie dann vielleicht sagen, na ja,jetzt bleiben ja immer noch Gelder übrig, Rücklaufgelderfür den MDR, deswegen brauchen die Landesmedienan-stalten vielleicht nicht diese Gebührenerhöhung, dann kannich nur sagen, wenn diese Gebührenerhöhung nicht inden MDR fließen würde, sondern in die Medienkompe-tenz in Thüringen, so wie es auch der Referentenentwurfdes Mediengesetzes, wenn es denn so heißt, einschließenwürde, wäre das der richtige Weg. Ich denke aber, dieLandesmedienanstalten hätten auch diese Gebührener-höhung benötigt und das war unter anderem ein Grunddafür, dass ich dem nicht zustimmen konnte.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Abgeordneter Seela, Sie haben noch einmal das Wort.

Abgeordneter Seela, CDU:

Also ganz kurz, weil dann Frau Nitzpon so aufgeschreckthier nach vorn getreten ist, zeigt mir dass, ich doch ir-gendwo ins Schwarze getroffen habe.

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Wir mitunserem Antrag.)

Sie haben damals beim Rundfunkänderungsstaatsvertragnicht zugestimmt und die Konsequenz wäre gewesen, wenndas alle so gemacht hätten, dass der MDR sich, rein theo-retisch natürlich, aus Thüringen hätte verabschiedenmüssen. Das ist die Konsequenz und die zweite Kon-sequenz ist, Sie als TLM-Mitglied, dass die TLM eben-

falls kein Geld mehr hätte. Das muss man so sagen. Wasdie zwei Prozent betrifft, da stimme ich Ihnen fast zu, manmuss sich darüber unterhalten, dass man neue Möglich-keiten findet, was mit den Rückführgeldern geschieht.Aber Sie wissen doch genauso gut, wie ich, dass imletzten Jahr 1 Mio. DM an den MDR zurückgegangenist, weil man es seitens der TLM nicht genutzt hat.

(Unruhe im Hause)

Was hat man dann seitens der TLM gemacht? Es warvernünftig gewesen, man hat eine mobile Medienwerkstattgeschaffen und dieses Jahr, hatte ich mich übrigens ein-gesetzt, mal 50.000 Mark pro Offener Kanal mehr. Sehrvernünftig, aber dennoch wird wahrscheinlich auchetwas Geld noch übrig sein. Also kommen Sie nicht mitden 2 Prozent. Stehen Sie auch dazu, wenn Sie auch ein-mal falsch abgestimmt haben und wenn ich Ihnen das jetztsozusagen an den Kopf geworfen habe. Stehen Sie dazuund reden Sie das doch nicht schön. Das war's dann.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Herr Abgeordneter Seela, lassen Sie noch eine Nachfragevon Frau Abgeordneten Kaschuba zu?

Abgeordneter Seela, CDU:

Na klar, aber immer, Dr. Kaschuba, immer.

Abgeordnete Dr. Kaschuba, PDS:

Herr Seela, ich würde gern wissen, woher Sie die Infor-mation mit der 1 Mio. im letzten Jahr haben.

Abgeordneter Seela, CDU:

Ich bin auch Mitglied der TLM, da haben wir das auchbesprochen und ich war auch im Ausschuss für Haushaltmit dabei gewesen und ich war nicht, ...

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: WelcheVeranstaltung?)

vielleicht waren Sie nicht da gewesen, letztes Wochen-ende. Das ist besprochen worden im Ausschuss fürHaushalt in der TLM. Wenn Sie die anderen Mitgliederfragen, alle waren da ziemlich verärgert gewesen, dasliegt jetzt nicht direkt an der TLM, man hätte aber nochandere Projekte machen können. Übrigens ist es kein Aus-schuss des Landtags, also kann man ja auch etwas da-raus zitieren.

Vizepräsidentin Ellenberger:

Gibt es weitere Wortmeldungen? Das ist nicht der Fall.Dann können wir die Aussprache beenden und ... Ja bitte,Frau Nitzpon, dieses Mal aber als Geschäftsführerin.

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(Der Zuruf der Abg. Nitzpon, PDS, wird imSaal schlecht verstanden, weil das Mikrofonausgefallen ist.)

(Zuruf aus der CDU-Fraktion: Lauter!)

Vizepräsidentin Ellenberger:

Gut, also die PDS-Fraktion, ich erläutere es Ihnen nocheinmal, beantragt die Weiterberatung des Berichts imAusschuss für Bildung und Medien und das werden wirjetzt abstimmen. Wer für diesen Antrag stimmen will, denbitte ich ums Handzeichen. Gegenstimmen? Stimment-haltungen? Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.

Dann bleibt mir zum Schluss noch die Feststellung, obdem Berichtsersuchen Genüge getan worden ist. Gibt esdazu Widerspruch? Das ist nicht der Fall. Also ist dasBerichtsersuchen erfüllt.

Wir können den Tagesordnungspunkt 9 abschließen undwir beenden für heute die Plenardebatte.

Ich wünsche Ihnen einen guten Abend und wir sehen unsmorgen um 9.00 Uhr wieder.

E n d e d e r S i t z u n g: 19.32 Uhr