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Das wichtigste Ziel bei der Initialisierung, Definition, Planung und Durchführung von
Produktentwicklungsprojekten ist die Maximierung der Produktqualität bei
gleichzeitiger Minimierung der Kosten und der Produktentwicklungszeiten. Dabei ist
insbesondere die „Time-to-Market“ Zeitspanne für den Erfolg neuer Produkte
entscheidend. Zur Erreichung dieser Ziele haben sich in der Produktentwicklung die
integrierte Produkt- und Prozessgestaltung sowie ein systematisches Vorgehen bei
der Projektplanung u.a. durch die Verwendung von sogenannten Entwicklungs-
systemen als geeignet herausgestellt .
Ein insbesondere in der Automobilentwicklung weit verbreitetes Organisations-
konzept zur Verkürzung der Markteinführungsdauer ist das Concurrent Engineering
(CE). Bei diesem Ansatz werden durch die integrierte und parallelisierte
Durchführung der Aktivitäten zur Produkt- und Prozessgestaltung Anforderungen aus
den der Produktentwicklung nachgelagerten Phasen des Produktlebenszyklus bereits
frühzeitig berücksichtigt und auf diese Weise zeit- und kostenintensive Produkt- und
Prozessänderungen in späten Phasen vermieden. Zur Unterstützung des CE und
dessen Umsetzung wurden mit Bezug auf die Arbeitspersonen verschiedene
Methoden entwickelt, u.a. eine aufgabenorientierte Methode zur prospektiven
Arbeitsgestaltung, eine Methode zur integrierten Arbeitsgestaltung und
Personalplanung, die eine humanorientierte Bewertung des arbeitsorganisatorischen
Produktionssystems im CE-Kontext ermöglicht sowie ein Teameffektivitätsmodell.
Darüber hinaus wurde zur Analyse und Modellierung organisatorischer Aspekte der
Kommunikation und Kooperation in den häufig schwach strukturierten
Produktentwicklungsprozessen die K3-Methode entwickelt.
Die zur Unterstützung des CE und dessen Umsetzung entwickelten Methoden stellen
die für eine Produktentwicklung typischen Iterationsschleifen nicht in den
Vordergrund. Aufgrund der im CE fokussierten Parallelisierung von Aufgaben wird die
Ausführung von Aktivitäten, die zudem informatorisch voneinander abhängig sind, mit
Informationsannahmen begonnen. Wenn sich die Annahmen später als fehlerhaft
oder falsch herausstellen, werden diese und die nachfolgenden Aktivitäten in einer
Iterationsschleife erneut bearbeitet (ungeplante Iterationen). Dies führt zu Nacharbeit
und in der Regel zu einer Verlängerung der Produktentwicklungsdauer, aus der eine
schlechte Planbarkeit resultiert.
Unternehmen planen – bspw. in einem Spiral Development Process – oftmals
bewusst solche Iterationen ein, um die Produktqualität sicherzustellen bzw. zu
erhöhen oder um Innovation während der Produktentwicklung zu ermöglichen. Die
Bearbeitung von Iterationsschleifen in der Automobilindustrie bindet zwischen einem
Drittel und der Hälfte der für das Projekt verfügbaren Entwicklungskapazitäten und
verursacht zwischen 20-50% der Kosten. In der Halbleiterindustrie entfallen laut einer
Studie sogar 13-70% (im Mittel: 33%) der Projektdauer auf die Bearbeitung von
Iterationsschleifen (Osborne 1993; siehe auch Yassine et al. 2002).
Die Gründe für ungeplante Iterationen sind vielfältig:
Falsche Reihenfolge der Vorgänge: Informationen werden zum falschen Zeitpunkt
bereitgestellt,
schlechte Kommunikation: die Informationen werden nicht pünktlich oder passend
übermittelt,
veränderter Input bewirkt eine Veränderung der Annahmen und Daten, die aber
von anderen Aktivitäten zur Informationserstellung genutzt werden,
Irrtum bei versehentlich fehlerhaften Informationen,
nicht erfasste falsche Annahmen, die als gesichert angenommen wurden.
Die Design Structure Matrix (DSM), auch Dependency Structure Matrix genannt,
beschreibt den Zusammenhang der Informationsflüsse sowie weiterer Abhängigkeiten
zwischen einzelnen Aktivitäten in einem Arbeitsprozess. Diese Methode wird
angewendet, um komplexe Zusammenhänge in der Produktentwicklung oder
Projektplanung darzustellen. Durch die matrixbasierte Darstellungsform können alle
Elemente eines Systems hinsichtlich ihrer Abhängigkeit und des Grads der
Abhängigkeit (z.B. mit Hilfe von Zahlen anstelle der dargestellten Punkte) bewertet
werden. Daraus können Aussagen abgeleitet werden, welche Aktivitäten nötig sind,
um eine Aktivität zu starten.
Des Weiteren zeigt die Abbildung der Relationen auf, welche Informationen durch
eine Aktivität erzeugt werden. Durch ein Lesen der Matrix in Spaltenrichtung kann
identifiziert werden, welches Element bzw. welche Elemente von einer Aktivität
beeinflusst werden. Lesen in Zeilenrichtung zeigt, von welchen anderen Elementen
eine Aktivität abhängig ist. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die
Aktivitäten in der Reihenfolge in die DSM eingetragen werden, in der sie während der
Prozessdurchführung bearbeitet werden. D.h. die in der Abbildung dargestellten
Aktivitäten werden i.d.R. der Reihe nach beginnend bei Aktivität 1 bearbeitet.
Die DSM ermöglicht es, den Projektablauf zu verbessern, Informationsabhängigkeiten
zu visualisieren und ein gemeinsames Verständnis von Abhängigkeiten zu
entwickeln. Die Methode kann somit einen wesentlichen Beitrag zur
Prozessoptimierung leisten.
Aus den in der Design Structure Matrix dargestellten Informationsabhängigkeiten können
Prozesse abgeleitet werden, die den Projektablauf – bspw. den Ablauf eines
Produktentwicklungsprojekts – visualisieren. Um den Projektablauf angemessen darzustellen,
reicht es allerdings nicht aus, nur die Reihenfolge der Aktivitäten abzubilden. Sondern es
müssen auch die zwischen den Aktivitäten bestehenden informatorischen und technischen
Abhängigkeiten berücksichtigt werden (Eppinger et al. 1994).
Grundsätzlich kann zwischen einer parallelen, einer sequentiellen, einer überlappenden und
einer aufgrund von informatorischen Kopplungen iterativen Bearbeitung von Aktivitäten
unterschieden werden. Angenommen eine Aktivität A stellt eine Konstruktionstätigkeit und eine
Aktivität B die dazugehörige Fertigungsplanung dar. Eine sequentielle Bearbeitung beider
Aktivitäten (erst A, dann B) entspricht dem "throw the design over the wall“-Prinzip; das
Konstruktionsergebnis (z.B. Konstruktionszeichnungen, Stücklisten etc.) steht für die
anschließende Fertigungsplanung vollständig zur Verfügung.
Die teilweise oder vollständige parallele Bearbeitung der Aktivitäten (A und B gleichzeitig) führt
zu einer verkürzten Prozessdauer, da gewöhnlich nacheinander folgende Aktivitäten
gleichzeitig bearbeitet werden. Dabei werden ausreichend vorhandene Ressourcen
vorausgesetzt. Zudem wird vorausgesetzt, dass die parallel zu bearbeitenden Aktivitäten
unabhängig voneinander sind und keine informatorische Kopplung zwischen den Aktivitäten
besteht. Allerdings können diese Annahmen in der unternehmerischen Praxis i.d.R. nur selten
erfüllt werden.
Die gekoppelte Bearbeitung der Aktivitäten (A und B wechselseitig) ist vergleichbar mit der
parallelen Bearbeitung, entspricht aber eher dem Simultaneous bzw. Concurrent Engineering-
Prinzip (Eppinger et al. 1994). Dem Beispiel folgend würde die Aktivität B (Fertigungsplanung)
bearbeitet werden, sobald ein ausreichendes aber nicht vollständiges Ergebnis der Aktivität A
(Konstruktion) vorliegt. Anschließend würden die Aktivitäten A und B parallel bearbeitet
werden, was teilweise zu Mehrarbeit führen würde, da mit einem nicht endgültigen
Informationsstand gearbeitet wird und sich die Ergebnisse beider Aktivitäten fortlaufend ändern
können.
Der in der DSM darstellbare Grad der technischen Informationsabhängigkeit geht im
Flussdiagramm i.d.R. verloren.
Bei der Abbildung von Abhängigkeiten bzw. Vernetzungen zwischen Elementen einer
oder mehrerer Domänen mit Hilfe von Design Structure Matrizen wird zwischen
statischen und dynamischen DSMs sowie Multiple Domain Matrizen unterschieden
(Eppinger und Browning 2012, S. 11).
In statischen DSMs können die Elemente in einer beliebigen Reihenfolge in der DSM
dokumentiert werden. Beispiele sind die Abhängigkeiten zwischen Produktelementen
oder Organisationseinheiten. Die Optimierung, bspw. die optimale Gestaltung der
Aufbauorganisation in Form von Arbeitsgruppen bzw. Teams (siehe Folien 18 ff.),
erfolgt mit Hilfe der Clusteranalyse.
Dynamische DSMs stellen meist Arbeitsabläufe bzw. Prozesse dar, sodass Zeilen
und Spalten einer DSM die Aktivitäten eines Prozesses repräsentieren. Dabei sind
Zeilen und Spalten in einer zeitlichen Reihenfolge angeordnet, d.h. die Bearbeitung
beginnt mit dem Element der ersten Zeile und Spalte. Bei Prozessen werden gemäß
der in der DSM dokumentierten Informationsabhängigkeiten die Aktivitäten
nacheinander bzw. in Iterationsschleifen abgearbeitet. Durch Sequenzierung kann die
Bearbeitungsreihenfolge der Aktivitäten so optimiert werden, dass möglichst wenige
Aktivitäten iterativ zu bearbeiten sind (Browning 2001, S. 293).
In DSMs werden Abhängigkeiten zwischen Elementen einer Domäne abgebildet.
Mehrere DSMs können in einer sog. Multiple Domain Matrizen (MDM)
zusammengefasst bzw. gruppiert werden. Auf diese Weise können Abhängigkeiten
und Vernetzungen zwischen Elementen unterschiedlicher Domänen geschaffen
werden (Eppinger und Browning 2012, S. 12).
Aufgrund ihres flexiblen Einsatzes für die Beschreibung von Abhängigkeiten in Produkten und
Prozessen ist die DSM bereits in vielen unterschiedlichen industriellen Bereichen zu finden.
Nachfolgend werden einige Beispiele für die Anwendung der Prozess- und Produkt-DSM im
industriellen Kontext dargestellt.
So wurden 1993 erstmals mit Hilfe der DSM Entwicklungsprojekte von Halbleitern bei der Intel
Corporation modelliert und analysiert. 1998 wurde ein Ansatz entwickelt, um Projektmanager
bei der Entscheidung zwischen der sequentiellen und parallelen Bearbeitung von
informatorisch gekoppelten Entwicklungsaktivitäten zu unterstützen. Der Ansatz wurde anhand
eines Entwicklungsprojektes von PCs bei Hewlett-Packard verifiziert. Anhand eines
Entwicklungsprojekts bei Nokia wurde 2008 beschrieben, wie die Entwicklungsaufgaben
untergliedert und zwischen global agierenden Entwicklungsteams verteilt werden sollten.
Durch eine DSM-basierte Simulation konnten 2001 die Auswirkungen von
Prozessverbesserungsmaßnahmen auf den Produktentwicklungsprozess aufgezeigt und am
Beispiel der Entwicklung von Gasturbinen bei ABB demonstriert werden können. Zwei Jahre
später wurde ebenfalls durch eine DSM-basierte Simulation die Produktentwicklungsprozesse
zweier Chemieunternehmen analysiert. Die simulationsgestützte Verbesserung des
Planungsablaufs in Architektur- und Bauprojekten wurde bereits 1999 und erneut im Jahr 2008
nachgewiesen. Beim Luft- und Raumfahrtunternehmen Boeing wurde 1998 ein Projekt zur
Entwicklung einer Flugdrohne mit Hilfe der DSM modelliert und verbessert. Eine weitere
Anwendung der DSM im militärischen Bereich erfolgte 2009 in einem Entwicklungsprozess
von komplexen Kriegsschiffen für die US Navy. Für den Schiffbau finden sich weitere
Anwendungsfälle. So wurde zuletzt 2009 die DSM beim Bau von Ölförderschiffen bzw.
Offshore-Plattformen von British Petroleum verwendet. Bei der Planung eines neuen
Produktionsprozesses bei TetraPak Carton Ambient wurden im selben Jahr ein adaptives
DSM-Modell angewendet, um verschiedene Strategien und Prozesspfade zu ermitteln, zu
analysieren und zu evaluieren.
(Gärtner 2011)
Ziel der Clusteranalyse und entsprechenden Clustering-Algorithmen ist die Ermittlung
von Untermengen einer DSM, d.h. von Clustern (bzw. Blöcken) innerhalb der DSM,
deren Elemente eine hohe Anzahl von Abhängigkeiten bzw. Interaktionen zu anderen
Elementen innerhalb desselben Clusters aufweisen bei gleichzeitig geringer Anzahl
von Abhängigkeiten zu Elementen außerhalb ihres Clusters (Maurer 2007).
Dabei kann ein Cluster die Basis zur Ausgestaltung von Modulen bilden. Je nachdem
welches System zugrunde gelegt wird, können diese Module bspw. unterschiedliche
Bauteil-, Komponenten- oder Funktionsgruppen (bei Produkt-DSM, siehe Folie 7)
oder auch einzelne System-, Entwicklungs- oder allgemein Subteams (bei DSM zur
Darstellung der Aufbauorganisation, siehe Folie 7) repräsentieren. Bei optimaler
Clusterbildung wirken sich eine Änderung eines Elementes in der DSM meist nur auf
andere Elemente innerhalb desselben Clusters aus. Selbst die Änderung eines
vollständigen Clusters (z.B. Entfernen des Clusters) hat nur geringe Auswirkungen
auf andere Elemente in der DSM, da die Abhängigkeiten zwischen Elementen
unterschiedlicher Cluster auf ein Minimum reduziert wurden (Maurer 2007).
Im Sinne des Concurrent Engineering können Cluster aufgrund des geringen Maßes
gegenseitiger Abhängigkeit simultan bzw. hochgradig parallel bearbeitet werden
(Pimmler & Eppinger 1994). Die Clusteranalyse bietet sich deshalb auch bei
dynamischen DSM-Typen an, um die Bearbeitungsreihenfolge der Aktivitäten zu
optimieren.
Eine DSM, die lediglich nicht quantifizierte Abhängigkeiten bzw. Interaktionen
zwischen Elementen enthält, d.h. Abhängigkeiten nur mit einem „X“ oder „1“ markiert
werden, nennt man „binäre“ DSM. Bei der Clusteranalyse werden Abhängigkeiten
bzw. Interaktionen entsprechend mit dem Wert 1 berücksichtigt. Der
Abhängigkeitsgrad zwischen Elementen kann folglich nicht differenziert werden
(siehe Beispiel, Folie 17 f.).
Ziel einer Zerlegung ist es, ein System in handhabbare Elemente zu zerlegen, um sie
bezüglich ihrer Funktionen und Schnittstellen beschreiben zu können.
Man bildet zuerst aus einem System verschiedene Subsysteme. Aus diesen werden
die Baugruppen abgeleitet, welche anschließend in Bauteile zerlegt werden können.
Im obigen Beispiel sind die räumlichen Abhängigkeiten einer Fahrzeugklimaanlage
dargestellt. Spalten- und zeilenweise werden die Bauteile einer Klimaanlage
aufgetragen. Anschließend werden die Abhängigkeiten der räumlichen Nähe
dokumentiert. Beispielsweise bläst der Motorlüfter über den Kühler und erhöht damit
die Kühlwirkung. Im Kondensator wird Wasser von der durch Expansion abgekühlten
Luft abgeschieden. Um den Kondensator schneller zu trocknen, wird dieser vom
Motorlüfter angeblasen.
Durch die vorangegangene Zerlegung gewonnenen Bauteile werden beim Clustern
zu Systemmodulen synthetisiert. Ziel ist es, die externen Interaktionen der
Systemmodule zu minimieren und die internen Interaktionen zu maximieren.
Für das Clustering statischer DSM lassen sich viele Algorithmen finden. Hier wird ein
vereinfachter Clustering-Algorithmus nach Idicula (1995), Fernandez (1998) und
Thebeau (2001) vorgestellt. Durch Clustering kann die aufgrund der nötigen
Koordination und Interaktion der Bauteilelemente resultierende Komplexität einer
DSM wesentlich verringert werden. Der Algorithmus verfolgt dabei das Ziel, die
Elemente der DSM derart zu Clustern (Blöcken) zusammenzulegen, dass diese
möglichst wechselseitig unabhängig sind bei gleichzeitig hoher Anzahl interner
Interaktionen. D.h., es wird angestrebt, zusammenhänge Cluster zu bilden, deren
Elemente innerhalb des Clusters viele Interaktionen untereinander aufzeigen,
während zwischen Elementen unterschiedlicher Cluster möglichst wenige oder gar
keine Interaktionen auftreten.
Die grundlegende Funktionsweise des Algorithmus beruht darauf, die Interaktionen
zwischen Elementen quantitativ zu bewerten; jede Interaktion zwischen zwei
Elementen versucht sog. Kosten. Dabei verursachen Interaktionen zwischen
Elementen außerhalb eines Clusters höhere Kosten als Interaktionen zwischen
Elementen innerhalb eines Clusters. Eine Verbesserung der gesamten DSM
entspricht einer Reduzierung der Gesamtkosten. Diese wird erreicht, indem Elemente
derart zu Clustern zusammengelegt werden, dass möglichst viele Interaktionen
zwischen Elementen innerhalb eines Clusters und möglichst wenige Interaktionen
zwischen Elementen außerhalb eines Clusters auftreten.
Der Algorithmus kann durch die Parameter powdep, powbid und powcc feinjustiert
werden. Durch den Parameter powdep wird die Sensitivität unterschiedlicher
Interaktionsgrade beeinflusst. Die Parameter powbid und powcc haben Einfluss auf
die durchschnittliche Clustergröße.
Die genaue Funktionsweise des Algorithmus wird auf der nachfolgenden Folie an
einem Beispiel veranschaulicht.
Der Clustering-Algorithmus nach Idicula (1995), Fernandez (1998) und Thebeau
(2001) lässt sich in sieben Schritte unterteilen, die teilweise iterativ durchgeführt
werden.
Schritt 1: Erfasse die Beziehungen und Abhängigkeiten (Interaktionen) zwischen den
Elementen und dokumentiere sie in einer DSM. Jedes Element bildet
seinen eigenen Cluster.
Schritt 2: Berechne die Kosten für jeden Cluster und die kumulierten Gesamtkosten
für die DSM.
Schritt 3: Wähle zufällig einen Cluster aus.
Schritt 4: Berechne die sog. Angebote aller übrigen Cluster.
Schritt 5: Berechne die Gesamtkosten der DSM unter der Annahme, dass der
ausgewählte Cluster mit dem höchstbietenden Cluster zusammengelegt
wird.
Schritt 6: Lege beide Cluster dauerhaft zusammen, falls die neuen Gesamtkosten
kleiner als die vorherigen Gesamtkosten sind.
Schritt 7: Wiederhole die Schritte 3 bis 6 für eine vorher bestimmte Anzahl an
Durchläufen oder solange, bis über einen bestimmten Zeitraum keine
Verbesserungen erzielt werden können.
Ein weiterer Clustering-Algorithmus von Pimmler & Eppinger (1994) strukturiert die
Zeilen und Spalten einer DSM derart, dass die Interaktionen möglichst nahe an der
Hauptdiagonalen liegen. Auf diese Weise werden analog zum Algorithmus von Idicula
(1995) zusammenhängende Blöcke (Cluster) entlang der Diagonalen gebildet.
Die Ziele beim Clustering:
1. Minimierung der externen Interaktionen.
2. Maximierung der internen Interaktionen.
3. Sehr interaktive Komponenten („Integrative Elemente“, z. B. Datenbusse) sollten
in keinem Cluster vorkommen.
Im obigen Beispiel sind die Interaktionen in einem mit Wasserstoff betriebenen 6-
Zylinder Verbrennungsmotors (Porsche Cayenne) von Arvin Meritor dargestellt. Der
Verbrennungsmotor wird dazu in seine Komponenten zerlegt und die Abhängigkeiten
zwischen diesen in einer mehrdimensionalen DSM dargestellt. Dabei wird zwischen
physikalischen Abhängigkeiten (z.B. zwischen Kurbelwelle und Pleuel),
energetischen Flüssen (z.B. Momente), Materialflüssen (z.B. Öl) und
Informationsflüssen (z.B. Signale) zwischen den Komponenten unterschieden.
In Abhängigkeit der Komplexität des zu entwickelnden Produktes und der damit
verbundenen Prozesse (z.B. bei der Entwicklung eines Motors) ist eine Aufteilung der
Gesamtaufgabe auf mehrere Teams erforderlich. Dabei wird häufig nach dem
Objektprinzip verfahren und die Projektteamstruktur aus der Produktstruktur
abgeleitet. Bei den entstehenden Teams wird zwischen koordinierenden
Systementwicklungsteams (System Teams) und ausführenden
Produktentwicklungsteams (PETs) unterschieden. Koordinierende System Teams
übernehmen die zeitliche Planung der Entwicklungsaktivitäten sowie die kapazitive
und kostenbezogene Koordination der entsprechenden Teilprojekte. Die eigentlichen
Entwicklungsaufgaben, d.h. die Gestaltung von Modulen des Produkts und Teilen des
Produktionsprozesses, werden von ausführenden PETs übernommen.
Bei einem Entwicklungsprojekt, wie beispielsweise der Entwicklung eines neuen
Motors, werden die Projektinhalten von den beteiligten Systementwicklungsteams
bearbeitet. Die Systementwicklungsteams sind in Produktentwicklungsteams
aufgegliedert. Ziel ist es, die Systementwicklungsteams so zusammenzusetzen, dass
intern eine hohe und extern eine niedrige Abhängigkeit zwischen den Informationen
besteht.
Zunächst werden in der DSM die Produktentwicklungsteams gemäß ihrer
Zugehörigkeit zu den Systementwicklungsteams zeilen- und spaltenweise
aufgetragen. Dann wird die Häufigkeit des Informationsaustausches zwischen den
Teams durch die Befragung der beteiligten Ingenieure ermittelt und in der DSM als
Punkt erfasst. Je nach Häufigkeit des Informationsaustauschs ergeben sich die
verschiedenen Abhängigkeiten, dargestellt durch verschieden große Punkte: hoch,
mittel, niedrig. Man erkennt, das viele Produktentwicklungsteams mit anderen PETs
außerhalb des eigenen Systementwicklungsteams interagieren. Ziel ist es nun, die
Produktentwicklungsteams so zu neuen Systementwicklungsteams zu bündeln, dass
die PETs fast nur innerhalb ihrer Systementwicklungsteams kommunizieren.
Die Matrix zeigt die vorgeschlagene Organisationsstruktur nach der Reorganisation.
Durch Clustering wurden die Produktentwicklungsteams (PETs), die häufig
Informationen untereinander austauschen und die zuvor in unterschiedlichen
Systementwicklungsteams verankert waren, in einem neuen Systementwicklungsent-
wicklungsteam zusammengefasst. Dabei kommt es vor, dass einige PETs in zwei
Systementwicklungsteams arbeiten. PETs, die fast mit jedem anderen PET
Informationen austauschen, werden in einem Integrationsteam verankert.
Werden zwei unterschiedliche Abteilungen nach den Interaktionen der von ihnen zu
entwickelnden Elemente befragt, z. B. eine vor- und eine nachgelagerte Abteilung, so
ergeben sich zwar viele Übereinstimmungen, aber auch viele abweichende
Abhängigkeiten. Dies liegt an der unterschiedlichen Wahrnehmung von
Abhängigkeiten. Die DSM hilft, unterschiedliche Sichtweisen in kompakter Form zu
dokumentieren und als Diskussionsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Damit wird
verborgenes Wissen erfasst und nutzbar.
Über die bereits dargestellten Möglichkeiten hinaus kann die DSM einen wichtigen Beitrag zur Lösung
der Problemstellung liefern, wie sich Änderungen von Parametern oder die Bildung neuer Varianten auf
ein Produkt, einen Entwicklungsprozess und einen Produktionsprozess auswirken. Dazu sind zunächst
die Abhängigkeiten in den Systemen z.B. Parameter, Produkt, Prozess und Fertigungsanlagen mit Hilfe
von DSM und die Abhängigkeiten zwischen den Systemen mit Hilfe von DMM (siehe Folie 30)
darzustellen. Anschließend sollten die Szenarien mit den Auswirkungen der Änderungen im System und
auf andere Systeme berechnet, die Szenarien analysiert und das bestmögliche Szenario ausgewählt
werden. Dieses Vorgehen kann am Beispiel der Entwicklung eines einfachen manuellen, zweistufigen
Getriebes verdeutlich werden.
Das Getriebe besteht aus sieben Bauteilen: Antriebswelle WA, Abtriebswelle WB, dem Gehäuse G sowie
den Zahnrädern Z1, Z2, Z3 und Z4, wobei Z1 und Z2 durch eine Passfederverbindung auf der Welle WA
und Z3 und Z4 auf der Welle WB fixiert sind. Durch Verschieben der Welle WB kann entweder die
Zahnradpaarung Z1 und Z3 mit dem Übersetzungsverhältnis i13 oder die Zahnradpaarung Z2 und Z4 mit
dem Übersetzungsverhältnis i24 in Eingriff gebracht werden. Die physikalischen Abhängigkeiten
zwischen den Bauteilen sind in einer DSM dargestellt. Aus der DSM wird ersichtlich, dass bei einer
Änderung an der Welle WA ggf. der Innendurchmesser der Zahnräder Z1 und Z2, die Nut in den
Zahnrädern sowie der Bohrungsdurchmesser im Gehäuse angepasst werden müssen. Da die
Abhängigkeiten zwischen den Bauteilen nicht symmetrisch sind, können sich bei einer Änderung am
Zahnrad Z1 der Außendurchmesser der Welle WA, die Passfeder, das Übersetzungsverhältnis i13 und die
Verzahnung an Bauteil Z3 ändern. Neben den physikalischen Abhängigkeiten lassen sich auch die
Drehmomentflüsse im Getriebe mit Hilfe einer DSM darstellen.
Das Drehmoment MZ1 und MZ2 der Zahnräder Z1 und Z2 hängt direkt vom Drehmoment der
Eingangswelle MA ab. Die Drehmomente MZ3 und MZ4 der Zahnräder Z3 und Z4 sind über die
Übersetzungsverhältnisse i13 und i24 mit den Drehmomenten MZ1 und MZ2 verknüpft. Tritt eine Änderung
an den Drehmomenten eines Bauteils des Getriebes auf, können die Auswirkungen auf die
Drehmomente der anderen Bauteile analysiert werden. Im Beispiel verdoppelt sich das
Antriebsdrehmoment MA, das auf die Welle WA wirkt. Durch eine Multiplikation der Momenten-DSM mit
dem Änderungsvektor erhält man die Auswirkungen der Änderung 1. bis n. Grades. Diese zeigen, wie
sich eine Veränderung des Drehmoments von der Eingangswelle WA über die Zahnräder Z1 und Z2 auf
die Zahnräder Z3 und Z4 und von dort auf die Abtriebswelle WB fortsetzt. Die Addition der
Änderungsvektoren zeigt die kumulierte Änderung der Drehmomente.
(Gärtner 2011)
Eine Änderung der Drehmomente hat Auswirkungen auf die physikalische Gestaltung
der Bauteile. Die bestehenden Abhängigkeiten können mit Hilfe einer Produkt-
Momente-DMM erfasst und dargestellt werden. Beispielsweise hat eine Änderung des
Drehmoments MA Auswirkungen auf den Durchmesser dA der Welle WA oder auf die
Werkstoffwahl sowie auf die Passfederverbindung nf1 und nf2.
Durch die Multiplikation der Produkt-Momente-DMM mit dem kumulierten
Änderungsvektor erhält man einen Vektor, der die Änderungen enthält, die zur
Anpassung der Drehmomente an den Bauteilen vorgenommen werden müssen.
Dabei können die Bauteile entweder durch eine Erhöhung des Bauteildurchmessers
bzw. der Bauteilbreite an die höheren Momente angepasst oder ein anderer Werkstoff
gewählt werden.
Änderungen an der physikalischen Gestalt des Produktes haben ggf. einen Einfluss
auf den Entwicklungsprozess, den Produktionsprozess, die verwendeten
Ressourcen, die Arbeitspersonen bzw. CE-Teams usw. Diese Zusammenhänge
könnten ebenfalls in mehreren DSM und DMM in einem durchgängigen Modell
abgebildet werden. Mittels Berechnung und Simulation können anschließend
Szenarien erzeugt werden, in denen die möglichen Auswirkungen auf die Elemente
der Systeme ausgehend von einer Änderung systematisch aufgezeigt werden. Durch
die Quantifizierung der Abhängigkeiten werden die Änderungen nicht nur lokalisiert,
sondern auch ihr Umfang bestimmt. Durch einen Optimierungsansatz kann
anschließend das beste Szenario ausgewählt werden. Dieses Vorgehen kann das
Projekt- und Änderungsmanagement bei der Entwicklung von Produktvarianten und
der Vorhersage des Änderungsumfangs unterstützen, indem erfahrungsbasierte
Methoden durch ingenieurwissenschaftliche Ansätze erweitert werden.
(Gärtner 2011)
Die Sequenzierung einer dynamischen DSM soll am Beispiel des
Entwicklungsprozesses eines Automobils verdeutlicht werden. Ein solcher
Produktentwicklungsprozess beschreibt grundsätzlich die Transformation von
Eingangsinformationen in Ausgangsinformationen, die das Produktdesign und den
Produktionsprozess beschreiben. Die Start- und Endpunkte jedes Prozesses sind
diskrete Zeitpunkte, zu denen die zur Transformation notwendigen Informationen
bereitstehen. Um die Komplexität zu reduzieren und die Ausführung der
problemlösenden Arbeit bei der Produktentwicklung zu ermöglichen, wird ein
Entwicklungsprozess in kleinere voneinander abhängige Aktivitäten aufgeteilt. Die
auszuführenden Aktivitäten erhalten von den ihnen vorgelagerten Aktivitäten
Informationen wie Lastenhefte, Konstruktionszeichnungen, Prototypen etc. und
transformieren diese Informationen in eine bestimmte Form, so dass die
nachfolgenden Aktivitäten diese Informationen weiterverarbeiten können.
(Gärtner 2011)
Die im Beispiel dargestellte Prozess-DSM besteht aus 15 Aktivitäten. Markierungen
unterhalb der Hauptdiagonalen kennzeichnen die Informationsweitergabe an
nachfolgende Aktivitäten. Markierungen oberhalb der Hauptdiagonalen stellen einen
Informationsfluss zu bereits anteilig oder fertig bearbeiteten Aktivitäten dar.
Ausgehend von der Abbildung der Informationsabhängigkeiten in der DSM können
Bearbeitungsstrategien abgeleitet werden. Es kann zwischen einer parallelen, einer
sequentiellen, einer überlappenden und einer aufgrund von informatorischen
Kopplungen iterativen Bearbeitung unterschieden werden. Iterative Bearbeitung bzw.
sog. Iterationen sind eine fundamentale Charakteristik von komplexen
Produktentwicklungsprojekten. Jeder Lösungsprozess eines komplexen Problems
beinhaltet zu einem gewissen Teil Aktivitäten des Ausprobierens, der Suche und der
Neuorientierung. Wird ein Fehler oder eine Annahme als falsch erkannt, wird ein Teil
der Aktivität als iterationsbedingte Nacharbeit im Rahmen einer Iterationsschleife
wiederholt mit dem Ziel, den laufenden Entwicklungsprozess zu verbessern. Besteht
keine Informationsabhängigkeit zwischen zwei Aktivitäten, können diese, falls alle zur
Bearbeitung notwendigen Informationen, Arbeitspersonen bzw. Teams und
Ressourcen zur Verfügung stehen, nebenläufig, d.h. parallel vollzogen werden.
Besteht eine unidirektionale Informationsabhängigkeit zwischen zwei Aktivitäten, wird
die Bearbeitung zunächst mit der informationserzeugenden Aktivität begonnen.
Sobald die notwendigen Informationen für die informationsverarbeitende Aktivität
fertiggestellt sind, wird diese Aktivität gestartet. Werden diese Informationen erst
vollständig mit der Fertigstellung der Aktivität erzeugt, wird die nachfolgende Aktivität
sequentiell bearbeitet.
Aus den in einer Prozess-DSM dokumentierten Informationsabhängigkeiten können
Arbeitsprozesse deduzieren werden (siehe Folie 6). Voraussetzung ist, dass der
Informationsfluss mit dem Kontrollfluss identisch ist und keine Beschränkungen bzgl.
der zur Verfügung stehenden Arbeitspersonen und Ressourcen bestehen.
(Gärtner 2011)
Sequenzierungsalgorithmus nach Gebala & Eppinger (1991)
Schritt 1: Identifiziere eine unabhängige Aktivität, d.h. eine leere Zeile oder Spalte.
Eine leere Zeile wird in der DSM möglichst weit oben eingeordnet. Eine
leere Spalte wird in der DSM möglichst weit unten eingeordnet. Wiederhole
diesen Schritt, bis keine leere Zeile oder Spalte mehr identifiziert werden
kann.
Schritt 2: Identifiziere gekoppelte oder voneinander abhängige Aktivitäten. Fasse die
gekoppelten oder voneinander abhängigen Aktivitäten zu einer aggregierten
Aktivität bzw. zu einem Block zusammen. Für diesen Block wird die
Sequenzierung erneut ausgeführt.
Schritt 3: Wiederhole die Schritte 1 und 2, bis alle Aktivitäten identifiziert und
sequenziert wurden.
Beispiel:
(1) Aktivität F ist (informatorisch) unabhängig von allen anderen Aktivitäten und wird an den
Anfang der DSM eingeordnet.
(2) Von Aktivität E ist keine weitere Aktivität abhängig. Aktivität E wird an das Ende der DSM
eingeordnet.
(3) Die Aktivitäten A und C sind gegenseitig voneinander abhängig und werden iterativ
ausgeführt. A und C werden zu einer aggregierten Aktivität CA zusammengefasst.
(4) Die aggregierte Aktivität CA ist innerhalb des zu sequenzierenden Blocks von allen
anderen Aktivitäten unabhängig und wird an das Ende des Blocks eingeordnet.
(5) Die Aktivitäten B, D und G sind untereinander voneinander abhängig: B hängt von G ab, G
hängt von D ab und D wiederum wird von B beeinflusst.
(6) Mit der zweiten identifizierten Iteration der Aktivitäten B, D und G sind alle Aktivitäten der
DSM sequenziert. Die resultierende DSM ist eine untere Dreiecksmatrix mit möglichst
wenigen Markierungen oberhalb der Diagonalen. Das kennzeichnet einen weitestgehend
vorwärtsgerichtete Prozessfluss mit möglichst wenigen Iterationen.
Die Domain Mapping Matrix (DMM) basiert auf der DSM und stellt eine Erweiterung
dieser hinsichtlich der Verknüpfung von unterschiedlichen Systemen dar. Unter einem
System wird hierbei jede in Form einer DSM abbildbare Architektur, bspw. Produkt,
Organisation, Prozess, Parameter, verstanden. Jedes System mit i Elementen kann
mit einem anderen Typ mit j Elementen in einer DMM (i,j) verknüpft werden. Die DMM
wird verwendet, um den Einfluss eines Systems auf ein anderes System abzubilden.
Synonyme Bezeichnungen sind „Einfluss-Auswirkungsmatrix“ (Cause and Effect
Matrix) oder „Schnittstellenmatrix“ (Interface Structure Matrix).
Beispielsweise ergibt sich die Prozess-Produkt-DMM (n x m) durch die Kombination
der m Bauteile des Produktes mit den n Aktivitäten eines Prozesses in einer Matrix
und der Bestimmung der Abhängigkeiten zwischen diesen. Das Element aij der n x m
Prozess-Produkt DMM beschreibt den Einfluss, den das j-te Elemente der m x m
Produkt Matrix auf das i-te Element der n x n Prozess Matrix besitzt. Der Begriff DMM
wurde durch Danilovic und Börjesson geprägt, die diese verwendeten, um die
Schnittstelle zwischen Produkt und Organisation zu analysieren (Danilovic &
Börjesson 2001).
In der „Periodentafel“ der DSMs und DMMs werden fünf Systeme angeordnet und die
Verknüpfung dieser Systeme dargestellt. Diese Systeme bilden bspw. die Grundlage
für die Darstellung und Analyse der Komplexität und Dynamik sowie von
Unsicherheiten in Produktentwicklungsprojekten. Jeder der in der Periodentafel
abgebildeten DSMs oder DMMs repräsentiert ein entscheidendes Element eines
Produktentwicklungsprojektes. Aufbauend auf dieser Darstellung können zudem
weitere potentielle Abhängigkeiten und Beziehungen in einem Projekt identifiziert und
daraus die Notwendigkeit von Informationsbeziehungen zwischen unterschiedlichen
Systemen abgeleitet werden (Danilovic & Browning 2007).
Unter Änderungsmanagement versteht man standardisierte Prozesse, mit denen
Änderungen an Produkten kontrolliert und dokumentiert werden. In einer
Änderungsanforderung werden meist die zu ändernden oder neu herzustellenden
Produkteigenschaften beschrieben. Des Weiteren werden die betroffene
Produktversion und der Änderungsgrund dokumentiert sowie aus der Änderung
resultierende Kosten (z.B. Personalkosten etc.) und zusätzlicher Zeitaufwand (z.B. für
Konzeption, Entwicklung, Test etc.) abgeschätzt.
Da Änderungsanforderungen meist bestehende Vertragsverhältnisse tangieren,
müssen sie gemeinsam von Auftraggeber und Auftragnehmer in einem kontrollierten
Prozess bewertet, entschieden und freigegeben werden. Mit der DMM lassen sich
Ein- und Rückwirkungen von Änderungsanforderungen präzise analysieren.
In dem Beispiel werden Produktanforderungen von Abteilung 1 definiert. Abteilungen
2 und 3 setzen diese Anforderungen in entsprechende Produktfunktionen um. In der
DMM wird dokumentiert, welche Produktfunktion von einer Produktanforderung
beeinflusst werden. Sollten während des Entwicklungsprozesses
Produktanforderungen geändert werden, können direkte Auswirkungen wie auch
indirekte Folge- und Rückwirkungen einer Produktänderung untersucht werden (siehe
Folien 33 und 34).
In einem Unternehmen des Anlagenbaus für Energieversorgungen werden von der
Abteilung Produktmanagement Anforderungen an das zu entwickelnde Produkt
erstellt. Diese Anforderungen sollen von den Fachabteilungen Leistungselektronik,
mechanische Konstruktion und Regelungstechnik umgesetzt werden. Im obigen
Beispiel ist eine Abhängigkeitsmatrix von Produktanforderungen und Funktionen
dargestellt.
Die Produktanforderungen beeinflussen die Funktionen, die von den Fachabteilungen
zu entwickeln sind, beispielsweise beeinflusst die Forderung „<x kg Gewicht“, die von
der Abteilung Leistungselektronik zu entwickelnden Funktionen „Eingangs-Elkos:
Baugröße“, „Hochsetzsteller Drosseln: Baugröße“ und „Zwischenkreis-Elkos:
Baugröße“. Gleichzeitig kann man erkennen, dass auch die Produktanforderungen
sich gegenseitig beeinflussen.
Aus der Analyse der DSM und der Schnittstellen lassen sich verschiedene
interessante Erkenntnisse ableiten:
Bewusstsein über Auswirkungen der eigenen Änderungen:
Der eigentliche Nutzen dieser Schnittstellenmatrix (die ja vom Experten der
mechanischen Konstruktion definiert wurde) besteht darin, dass sie beim Experten
der Leistungselektronik ein Bewusstsein dafür schafft, wie sich die Ergebnisse seiner
Arbeit auf den Bereich der mechanischen Konstruktion auswirken. Genau dieser
Punkt wurde von den Fachexperten als sehr hilfreich bewertet. Wenn also in der
mechanischen Konstruktion ein Parameter geändert wird, dann wird durch die
Definition der Schnittstellen aufgezeigt, dass im Bereich der Regelungstechnik
weitere Parameter betroffen sind, so dass der andere Fachbereich ebenfalls frühzeitig
zu informieren ist.
Analyse der Aufbauorganisation:
Wird der Bereich der Fachabteilungen betrachtet, so fällt auf, dass jeweils innerhalb
der abteilungsspezifischen DSM mehr Abhängigkeiten bestehen als in den
Schnittstellen zwischen den Abteilungen. Dies verdeutlicht, dass die
organisatorischen Bereiche der Fachabteilungen sehr gut die inhaltlich
zusammenhängenden Arbeitsschritte reflektieren.
Werden allerdings die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Parameter-DSMs
und die Schnittstellen zwischen der Anforderungs-DSM und den Parameter-DSMs
betrachtet, dann fällt auf, dass die Abhängigkeitsstrukturen völlig unterschiedlich sind.
Besonders auffällig ist, dass zwischen Produktmanagement und den Fachabteilungen
offenbar mehr Abhängigkeiten bestehen als innerhalb der Fachabteilungen. Diese
inhaltlichen Abhängigkeiten müssten sich eigentlich in einer sehr intensiven
Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen Produktmanagement und den einzelnen
Fachabteilungen widerspiegeln.
Gestaltungsreihenfolge und Umfang der Anhängigkeiten:
Bei der detaillierten Analyse der DSM fiel auf, dass in den Bereichen
Leistungselektronik und Regelungstechnik weniger Abhängigkeiten bestehen als im
Bereich „mechanische Konstruktion“ und dass diese Abhängigkeiten bei der
Leistungselektronik und der Regelungstechnik relativ eng um die Diagonale
angeordnet sind, während die Abhängigkeiten im Bereich mechanische Konstruktion
im Durchschnitt weiter von der Diagonalen entfernt sind. Dies deutet darauf hin, dass
bei der Leistungselektronik und der Regelungstechnik die Reihenfolge der Parameter
in etwa mit der Gestaltungsreihenfolge dieser Parameter übereinstimmt und dass nur
Abhängigkeiten zwischen wenigen Parametern bestehen. Bei der mechanischen
Konstruktion ist dagegen zu überlegen, ob die Gestaltungsreihenfolge verändert
werden sollte, so dass einzelne Parameter früher spezifiziert werden können. Eine
Verringerung der Abstände könnte auf diese Weise erreicht werden. Aber auch bei
einer günstigeren Reihenfolge würde sich noch ein relativ großes Cluster an
Abhängigkeiten ergeben. Eine Anforderungsänderung oder eine Änderung von
Produktparametern in diesem Bereich würde somit weiterhin mit einer hohen
Wahrscheinlichkeit einen enormen Änderungsaufwand mit sich bringen, da immer
sehr viele Parameter überprüft und angepasst werden müssen.
Es bleibt daher festzuhalten, dass mit Hilfe einer DSM Änderungen verfolgt werden
können, die sich ergeben, wenn ein Element in der Matrix geändert wird.
Das Beispielsszenario besteht darin, dass die Anforderung 16 im laufenden
Konstruktionsprozess geändert wird. Und zwar soll die Schutzart des Wechselrichter
von IP 54 auf IP 64 geändert werden. Das wurde hier visualisiert, indem das
Diagonalen-Element der Anforderung 16 rot markiert wurde.
Mit der sog. „Schutzart“ wird die Eignung von elektrischen Betriebsmitteln (z.B.
Gehäuse in der Leistungselektronik) für verschiedene Umgebungsbedingungen
quantifiziert. Die „Schutzart“ wird in Ingress Protection Codes (Eindringschutzklasse)
oder kurz: IP-Codes (Schutzklasse) eingeteilt. Der Code setzt sich aus zwei
Kennziffern zusammen, mit denen jeweils der Schutzgrad bezüglich Berührungs- und
Fremdkörper sowie Feuchtigkeit bzw. Wasser beschrieben wird. Mit dem Code IP 54
werden Gehäuse klassifizieren, die sowohl gegen Staub in schädigender Menge,
vollständig gegen Berührungen als auch gegen allseitiges Spritzwasser schützen. Mit
dem Code IP 64 werden Gehäuse klassifizieren, die alle Schutzgrade von Gehäusen
der Klasse IP 54 besitzen und darüber hinaus nicht nur gegen Staub in schädigender
Menge schützen, sondern vollständig staubdicht sind.
Im nächsten Schritt werden alle von dieser Änderung beeinflussten Schnittstellen
ebenfalls rot markiert, d.h. alle Markierungen in Spalte 16. Von allen diesen
Markierungen wird das Lot auf die Diagonale gefällt und die entsprechenden
Diagonalen-Elemente werden ebenfalls rot markiert. Das Resultat dieser Analyse ist,
dass die Änderung von Anforderung 16 sieben wahrscheinliche Auswirkungen hat:
Die Kosten, das Volumen und die Umgebungstemperatur werden wahrscheinlich
beeinflusst. Konkret werden in der Abteilung Mechanische Konstruktion das Volumen
der Wechselrichterwanne beeinflusst sowie das Design der Displayblende. Ebenfalls
in der Abteilung mechanische Konstruktion müssen die Gleichstromstecker
überarbeitet werden und zwar müssen sowohl die Abmaße als auch die zulässige
Spannung angepasst werden.
In einem weiteren Schritt werden nun alle Beeinflussungen zweiten Grades ermittelt und zwar
jeweils auf die gleiche Art und Weise wie soeben eingeführt: Jeweils alle Markierungen in der
Spalte eines rot markierten Elementes werden ebenfalls rot markiert und von diesen
Markierungen wird das Lot auf das Diagonale-Element gefällt.
Das Ergebnis dieser Analyse sieht wie folgt aus:
Es gibt 52 mögliche Auswirkungen und zwar 19 mögliche Auswirkungen auf andere
Anforderungen, 7 mögliche Auswirkungen auf die Parameter der Abteilung
Leistungselektronik, 23 mögliche Auswirkungen auf die Abteilung mechanische Konstruktion
und 3 mögliche Auswirkungen auf die Abteilung Regelungstechnik.
UND: Es existieren 12 mögliche Rückwirkungen von Parameteränderungen auf die
Anforderungen, die nicht in der Abhängigkeitsmatrix hinterlegt sind. Diese Rückwirkungen
können sehr einfach in der transpositionierten QFD identifiziert werden.
Durch diese wird auch deutlich, dass sich mehrere Aus- bzw. Rückwirkungen auf ein Element
beziehen können. Beispielsweise gibt es hier 5 Aus- bzw. Rückwirkungen, die sich auf das
Element Kosten beziehen. Dies bedeutet, dass die Zahl von 52 möglichen Auswirkungen sich
eigentlich in wesentlich weniger Elementen niederschlägt.
Die Analyse verdeutlicht, dass eine einzelne Änderung sehr viele Änderungen zweiten Grades
verursachen kann, die über viele organisatorische Einheiten verteilt auftreten können. Die
daraus resultierende hohe Zahl an Wirkbeziehungen macht es einem Produktmanager oder
einem Entwickler nahezu unmöglich, die daraus resultierenden Auswirkungen zu überblicken
und bei einer Entscheidung korrekt zu berücksichtigen.
Eine matrixbasierte Methode bietet dagegen den Vorteil, die möglichen Änderungen
systematisch zu eruieren und stellt damit eine praktikable Unterstützung bei der
Anforderungsanalyse dar.