Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

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Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft Vorlesung, Wintersemester 2011/12 Sitzung: 25.1.2012 – Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft

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Timm Beichelt

Einführung in die Kulturwissenschaft

Vorlesung, Wintersemester 2011/12 Sitzung: 25.1.2012 –

Sprachwissenschaft,

Literaturwissenschaft

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19.10. Einführungssitzung 14.12. Symbol und symbolische Formen (Ernst Cassirer)

26.10. Was ist Wissenschaft: das Prinzip der problemorientierten Wissensvermehrung

21.12. Sinnhorizonte und soziale Wirklichkeit(en) (Alfred Schütz)

2.11. Was ist Kultur: Struktur vs. Substanz vs. Interpretation

4.1. Kultur als Bedeutungsgewebe (Clifford Geertz)

9.11. Was ist Kulturwissenschaft: Standbeine, Standpunkte, Standorte

11.1. Politische Kultur als Aggregat von Werten und Einstellungen (Gabriel Almond / Sidney Verba)

16.11. Die anthropologischen Prämissen sozialen Handelns: homo oeconomicus, homo socialis, homo culturalis

18.1. Kulturwissenschaft als Sozialwissenschaft + Kulturgeschichte

23.11. Grundpositionen I: interpretative Kulturtheorien

25.1. Kulturwissenschaft als Linguistik + Literaturwissenschaft

30.11. Grundpositionen II: (neo)strukturalistische Kulturtheorien

01.02. Übung II: Anwendungsbeispiele

7.12. Übung I: Anwendungsbeispiele 08.02 Kulturwissenschaft als Beruf?

Veranstaltungsplan

Page 3: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Heutige Vorlesung

I. EinleitungII. Kulturwissenschaft als

SozialwissenschaftIII. Kulturwissenschaft als

SprachwissenschaftIV. Kulturwissenschaft als

LiteraturwissenschaftV. Ausblick

Page 4: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Heutige Vorlesung

I. EinleitungII. Kulturwissenschaft als

SozialwissenschaftIII. Kulturwissenschaft als

SprachwissenschaftIV. Kulturwissenschaft als

LiteraturwissenschaftV. Ausblick

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Viadrina-ProfessurenProf. Dr. Dariusz Aleksandrowicz

Professur für Philosophische Grundlagen kulturwissenschaftlicher AnalyseProf. Dr. Timm Beichelt

Professur für Europa-StudienProf. Dr. Michał

Buchowski

Professur für Vergleichende MitteleuropastudienProf. Dr. Andrea Hausmann

Professur für KulturmanagementProf. Dr. Stefan Krätke

Professur für Wirtschafts-

und SozialgeographieProf. Dr. Michael Minkenberg

Professur für Politikwissenschaft: Vergleichende Analyse politischer Systeme, Bewegungen und KulturenProf. Dr. Jürgen Neyer / Dr. Anne Faber (Vertretung)

Professur für Politikwissenschaft und/oder Sozialwissenschaft: Institutionelle Ordnung der Europäischen Union

Prof. Dr. Andreas Reckwitz Professur für Vergleichende Kultursoziologie

Prof. Dr. Anna Schwarz Professur für Vergleichende Politische Soziologie

Prof. Dr. Werner Schiffauer Professur für Vergleichende Kultur-

und Sozialanthropologie

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Selbstbild Viadrina

Kulturwissenschaften Europa

Sozialwissenschaften

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Werner Schiffauer: Ausgangspunkt

- Historische Gebundenheit: „Eine Zeit radikaler, gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Transformationsprozesse“

- „Welt in Stücken“: eine Welt, in der uns offensichtlich der Blick aufs Ganze verloren gegangen ist

- Skepsis gegenüber…- dem Gedanken des Fortschritts (im Sinne der Aufklärung – hin zur

Befreiung der Menschheit aus Unwissenheit, Not und Elend)- der Wünschbarkeit und Verwirklichbarkeit gesellschaftlicher

Steuerung- den Erkenntnissen der Wissenschaft als Grundlage für vernünftige

Entscheidungen

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Werner Schiffauer: Kultur und Kulturwissenschaft

- Diskussionszusammenhang von Text-, Sozial- und Geschichtswissenschaften

- Eigendynamik/ Eigenlogik der Textproduktion mit der Eigendynamik/ Eigenlogik von gesellschaftlichen Phänomenen in Beziehung setzen

- „Kultur als übergreifender Begriff“, d.h. „auch die Bereiche Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als ‚Kultur‘“ betrachten; Neubestimmung der „Disziplinen „als Kulturwissenschaft“

- Kulturwissenschaft als Leitwissenschaft meint Wissenschaft ohne die Illusion eines umfassenden Bezugssystems

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Werner Schiffauer: Vier Thesen

1. Die Neubestimmung der Gegenstandsbereiche der Disziplinen führen zu neuen Berührungspunkten mit anderen Fächern und erfordern neue Formen der interdisziplinären Auseinandersetzung

2. Die Infragestellung der Paradigmen bzw. der Leitdifferenzen in den einzelnen Disziplinen zeigt oft gegenläufige Tendenzen und lässt erkennen, dass Kulturwissenschaften eher als Prozess [oder „Denkbewegung“] denn als System zu denken sind

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Werner Schiffauer: Vier Thesen

3. Neue Normen von Selbstreflexivität sind die Basis für eine Neubegründung des interdisziplinären Dialogs

4. Die Frage nach dem Wissen nimmt eine zentrale Rolle in den Kulturwissenschaften ein.

Page 11: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Kulturwiss. Neigung der Einzeldisziplinen

Berührungs- punkte

mit

anderen Fächern

Infrage- stellung

der

Paradigmen

(Neue Formen von) Selbst-

reflexivität

Zentrale Rolle des Wissens

Anthropologie X X X XKultur- management

X (X) X

Philosophie X X XPolitikwissen- schaft

X (X) (X)

Soziologie X X X XWirtschafts- und Sozial- geographie

X X (X) X

Legende: X = gegeben; (X) = teilweise gegeben; nix = nicht gegebenEs handelt sich um tentative Einordungen !!

Page 12: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

„Die Welt in Stücken denken“

„Die Welt als Ganzes denken“

Anthropologie X (!!)Kulturmanagement XPhilosophie X (!!)Politikwissenschaft (X) XSoziologie X XWirtschafts- und Sozialgeographie

X (!!)

Legende: X = die an der Viadrina vertretenen Professuren ordnen sich dem einen oder anderen Paradigma zu

…an der Viadrina

Page 13: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Hey jetzt diskutieren wir mal wieder

Eindrücke aus sozialwissenschaftlichen Veranstaltungen ?

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Heutige Vorlesung

I. EinleitungII. Kulturwissenschaft als

SozialwissenschaftIII. Kulturwissenschaft als

SprachwissenschaftIV. Kulturwissenschaft als

LiteraturwissenschaftV. Ausblick

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• Rorty, Richard, 1967: The Linguistic Turn. Essays in Philosophical Method• Erkenntnistheoretische Ausgangsposition: Erkenntnis muss immer der Logik

der Sprache folgen; die sprachliche Struktur bildet daher zugleich Voraussetzung und Grenze des Erkennbaren.

• Beispiel „Stuhl“:a) „Traditionelle Position: Real existierender Stuhl, der mit dem menschlichen Konzept

„Stuhl“ korrespondiert, dem das sprachliche Konstrukt „Stuhl“ zugeordnet ist b) Gegenposition (Ferdinand de Saussure): ein Konzept kann nicht existieren, ohne

gleichzeitig benannt zu werden. Definitionen von Konzepten sind daher an Differenzen

zwischen Wörtern gebunden (und nicht an eine Verbindung Realität-

Konzept-Wort).• Daher: Alles von Menschen als Realität Angesehenes besteht aus einer

Konvention namens „Sprache“. Diese ist wiederum zu differenzieren:– Parole: beobachtbare Oberfläche der Sprachausübung– Langue: zugrundeliegende Tiefenstruktur des sprachlichen Differenzsystems (die die

Sprecher in die Lage versetzen, in geregelter Weise Laut- und Wortkombinationen hervorzubringen

• Folge: der Status von Sprache wechselt vom „Medium“ zum „Diskurs“, der a) bestimmten Regeln gehorcht und b) den Möglichkeitsraum von Aussagen konstituiert ( Strukturalismus)

Linguistic Turn

Page 16: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

• Neo-Strukturalismus (z.B. Roland Barthes, Mythen des Alltags, 1957)

• „Neo-Hermeneutik“ (z.B. Horst-Jürgen Gerigk, Unterwegs zur Interpretation. Hinweise zu einer Theorie der Literatur in Auseinandersetzung mit Gadamers „Wahrheit und Methode“, 1989)

• New Historicism (z.B. Stephen Greenblatt, Renaissance Self-Fashioning: From More to Shakespeare, 1980)

Gegenbewegungenzum Linguistic Turn

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Prof. Dr. Cornelia Müller Professur für Angewandte Sprachwissenschaft: Sprach-

und KulturkontaktProf. Dr. Konstanze Jungbluth

Professur für Sprachgebrauch und SprachvergleichProf. Dr. Hartmut Schröder

Professur für Sprachgebrauch und Therapeutische KommunikationN.N.

Professur für Sprachgebrauch und Angewandte Sprachwissenschaft

Page 18: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Sprachfunktionen; Sprache als…

Kommunikations- medium

Deutungssystem Gruppensymbol

Wirkung der Sprache: sie ermöglicht…

Zugang zu Kommunikations- gemeinschaften

Klassifikation von Dingen

Identität von Gemeinschaften

Zugeordnete Unterdisziplin

Pragmatik Semiotik und Semantik: allgemeine Zeichenlehre

Soziolinguistik: Zusammenhang von Sprache und Gesellschaft

Lehrstühle an der Viadrina

SchröderMüller

Jungbluth

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Sprache und Sprachen

- Einzelsprachen und Mehrsprachigkeit- Phänomene bei Mehrsprachigkeit:

- Sprachsystem- Bilingualismus- Interferenz- Sprachgebrauch- Code-switching

Verhältnis von Bilingualismus und Bikulturalismus als Gegenstand kulturwissenschaftlich inspirierter SprachwissenschaftKommunikationsmedien: Erweiterte Zugänge, Ressource sozialer InteraktionDeutungssysteme: Perspektivenwechel, Kulturelle VielfaltGruppensymbole: Komplexe Identitäten, Hybridität

Page 20: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Kommunikation und Vergesellschaftung- Kultur und Kommunikation prägen sich gegenseitig

- Dynamik und Überraschungspotenzial kommunikativer Praxis ist Voraussetzung für die Möglichkeit kultureller Veränderung

- Repetivität und Serialität kommunikativer Akte reproduziert, stabilisiert und vergegenwärtigt Kultur

- Muster des kulturellen Austausches sind kulturell geprägt und daher selbst als Zeichen deutbar

- Vergesellschaftung als zentrale Funktion von Kommunikation: kommunikative Muster als historisch variable Bedingungen der Produktion von Beziehungen und Bedeutungen, von Gesellschaft und Kultur- Dialogizität/Gemeinschaftlichkeit (Sprecher, Zuhörer, „Dritter“)- Sozialität/Gesellschaftlichkeit (Kulturalisierung des Sozialen)- Historizität und Kulturalität (historisch-kulturelle Geprägtheit von Komm.)

Linke, Angelika, 2008: Kommunikation, Kultur und Vergesellschaftung. In: Kämper/Eichinger

(Hg.)

Page 21: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Sprache und Kultur

- Kultur bewirkt Sprache: unstrittige Aussage- Sprache bewirkt Kultur: umstritten. In diesem

Zusammenhang sind vier Bereiche relevant:- Sprachsystem- Norm- Klassifikation- Sprachgebrauch

Page 22: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Sprachliche Relativität: Denken relativ zur Sprache?

Beispiel Farbwörter:(1) Schwarz/weiß (2) rot (3) grün/gelb (4) blau

(5) braun (6) lila/rosa/orange/grau

Daraus entsteht die Frage: „sehen“ Sprecher von Sprachen mit unterschiedlichen Farbwörtersystemen das „Gleiche“? Mögliche Positionen:

– Ja (Wharf)– Nicht determinierende, sondern fokussierende Funktion

(ähnlich eines Trampelpfades, an dem sich Geher/Sprecher orientieren)

Page 23: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Sprachliche Relativität: Denken relativ zur Sprache?Beispiel geschlechtliche Orientierung („gender loading“):Wann definieren sich – in unterschiedlichen Kulturen – Kinder als Junge oder Mädchen?

– Hebräisch (starkes gender loading): nach 20 Monaten, schneller Anstieg

– Englisch (geringes gender loading): nach 24 Monaten, schneller Anstieg

– Finnisch (kein gender loading): nach 30 Monaten, sehr schneller AnstiegHypothese bestätigt, es gebe einen Einfluss von Sprache auf kulturelle VariationAllerdings: Sprache ist (natürlich) nur ein Einflussfaktor von mehreren

Page 24: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Sprache und Kultur

- Kultur bewirkt Sprache: unstrittige Aussage- Sprache bewirkt Kultur: umstritten. In diesem

Zusammenhang sind vier Bereiche relevant:- Sprachsystem- Norm- Klassifikation- Sprachgebrauch

Page 25: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Sprachnorm

Beispiel „Höflichkeit“; Französische Höflichkeitskaskaden

Frage: „macht“ uns Sprache „höflich“ ?

Page 26: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Sprachgebrauch

Beispiel „Höflichkeit“; Französische HöflichkeitskaskadenFrage: „macht“ uns Sprache „höflich“?

Dimensionen des Sprachgebrauchs:-(Charakteristika der) Sprachliche(n) Handlung-(die mit der sprachlichen Handlung verbundene) Intention-Interaktion/Alterität-Aushandlung (Beispiel: Strategien der Gesichtswahrung von Brown/Levinson)

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Heutige Vorlesung

I. EinleitungII. Kulturwissenschaft als

SozialwissenschaftIII. Kulturwissenschaft als

SprachwissenschaftIV. Kulturwissenschaft als

LiteraturwissenschaftV. Ausblick

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Professuren LiteraturwissenschaftProf. Dr. Andrea Allerkamp

Professur für Literaturwissenschaften, Westeuropäische Literaturen

Prof. Dr. Bożena

Chołuj Professur für Deutsch-Polnische Kultur-

und

Literaturbeziehungen und Gender

Studies

Prof. Dr. Christa Ebert Professur für Literaturwissenschaft: osteuropäische Literaturen

N.N. Professur für Vergleichende Literaturwissenschaft und

Medienforschung

Page 29: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

• Neo-Strukturalismus (z.B. Roland Barthes, Mythen des Alltags, 1957)

• „Neo-Hermeneutik“ (z.B. Horst-Jürgen Gerigk, Unterwegs zur Interpretation. Hinweise zu einer Theorie der Literatur in Auseinandersetzung mit Gadamers „Wahrheit und Methode“, 1989)

• New Historicism (z.B. Stephen Greenblatt, Renaissance Self-Fashioning: From More to Shakespeare, 1980)

Gegenbewegungenzum Linguistic Turn

Page 30: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Erste Annäherung IWas ist kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft?Wenn man diese Frage beantworten will, dann kann man einerseits nach den theoretischen Positionen und Konzepten der Kulturwissenschaft fragen. Man kann aber andererseits auch fragen, was kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft für diejenigen, die sie betreiben oder studieren bedeutet. Neue Gegenstände…Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft hat nicht nur literarische Texte und schon gar nicht nur den Kanon dieser Texte zum Gegenstand, sondern untersucht viel umfassender die ganze „Kultur“. […]. Damit erweitert sich der Zuständigkeitsbereich von kulturwissenschaftlich arbeitenden Literaturwissenschaftlern erheblich, da nicht nur literarische Texte im engeren Sinne, sondern auch nicht-literarische Texte, etwa juristische Gutachten und Gesetzestexte, naturwissenschaftliche Abhandlungen oder medizinische Traktate als Faktoren der Bedeutungsproduktion oder –wandlung mitzulesen sind. Zur Kultur gehören aber, und auch das erweitert das Feld möglicher Gegenstände, nicht nur Texte, sondern auch Dinge und Praktiken. Gegenstand der Kulturwissenschaft ist daher auch die Gesamtheit der materialen Kultur, wie etwa Medien, Kleidung, Technik etc. Homepage „Literaturwissenschaftliche Kulturwissenschaften an der Uni Duisburg-Essen“

Page 31: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

…und neue AnschlüsseAndererseits öffnet sich damit auch das Feld der Anschlüsse zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Die geistesgeschichtliche Literaturwissenschaft hat immer schon die Brücke zur Philosophie und zur Geschichte geschlagen. [Nun] sucht die kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft die Prozesse der Bedeutungsproduktion in kulturellen Zeichensystemen, Handlungen und Praktiken, die weit unterhalb der großen Ideen und der großen Geschichte anzusiedeln sind. Stattdessen beziehen Kulturwissenschaftler literarische Texte auch auf Debatten und Diskurse im Recht, in der Biologie, der Medizin oder auch der Physik etc. Sie lesen Schul- und Kriminal- oder Militärordnungen, Theorien über Zeugung, Vererbung oder Gedächtnis oder sie beschäftigen sich mit jeweils zeitgenössischen Debatten über Kindsmord, Duelle oder Homosexualität.Sie beschäftigen sich eben mit der ganzen Kultur, und Kultur ist alles, was von Menschen gemacht ist. Kulturwissenschaftler „interessieren sich dafür, wie das von Menschen Gemachte, die Kultur, gemacht ist, d.h. unter welchen Voraussetzungen, mit welchen Verfahren, Funktionen und Konsequenzen.“ (Aleida Assmann) (…) Daher geht es gerade darum, die Produktion von Selbstverständlichkeiten zu beobachten und zugleich wie sie sich wandeln. Und das kann insbesondere die Literatur.Homepage „Literaturwissenschaftliche Kulturwissenschaften an der Uni Duisburg-Essen“

Erste Annäherung II

Page 32: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Literatur als Selbstbeschreibung von KulturFasst man Kultur als die Gesamtheit der von Menschen gemachten Welt, dann gehört zu ihr auch die Tatsache, dass der Mensch sich und seine Welt selbst reflektiert. Kultur ist demnach auch die Praxis fortgesetzter Selbstbeschreibung, in deren Rahmen die kulturellen Praktiken geprüft, erörtert, letztlich bejaht und verneint werden. Das tut natürlich nicht nur die Literatur, aber sie tut es doch in besonderer Weise (…). Und das kann sie, da sie das Wissen der unterschiedlichsten und getrennten Spezialdiskurse und Einzeldisziplinen gewissermaßen auf „einem Schauplatz versammelt und in den Handlungen, Worten und Gesten ihres erdachten Personals zum Sprechen bringt.“ So kann Literatur nicht nur das Wissen ihrer Zeit verkörpern, sondern zugleich die Spielzüge und Spielregeln seines Zustandekommens und seiner Geltungskraft reflektieren. Die Beobachtung von Handlungen in Texten wie auch die Beobachtung der Texte als Handlungen lädt zu einer Vielzahl von fächerübergreifenden Anschlüssen und Verknüpfungen ein. Die Beobachtung von Literatur als Selbstverständigung eben gerade nicht innerhalb eines Faches, sondern innerhalb einer Kultur, ist der Gewinn einer kulturwissenschaftlichen Perspektive. Sie wird zu einem Spiel mit vielen möglichen Diskussionsteilnehmern. Homepage „Literaturwissenschaftliche Kulturwissenschaften an der Uni Duisburg-Essen“

Erste Annäherung III

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Aspekte einer kulturwissen- schaftlichen Literaturwissenschaft

• Kultur als „von Menschen erzeugter Gesamtkomplex von Vorstellungen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werten und Bedeutungen, der sich in Symbolsystemen materialisiert“

(18)

Konstruiertheit des Kulturkonzepts schafft Parallelen zu Literaturentstehung und Literaturinterpretation

• moderne Kulturwissenschaft beschränkt sich nicht auf »hohe Kultur«„Entprivilegierung der sogenannten hohen Literatur“stärkere Einbeziehung der Medienkultur

• Gefahr, die Besonderheit des literarischen Diskurses zu Gunsten der Universalisierung des Textbegriffs aufzugeben.

„Kultur als Text“-Ansatz beraubt Literaturwissenschaft ihres spezifischen Gegenstands

Gegenstrategie: Konzentration auf philologische Kernkompetenzen und Schärfung der Einzeldisziplinen bei Beachtung interdisziplinärer Anschlüsse

Nünning, Ansgar/Sommer, Roy (Hg.): Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft. Disziplinäre Ansätze –

Theoretische Positionen –

Transdisziplinäre

Perspektiven. Tübingen: Narr 2004

Page 34: Timm Beichelt Einführung in die Kulturwissenschaft

Reader-Text (Choluj)

• zentral ist nicht das Verständnis des Textes als individuelles Sinngebilde, sondern die Selbst- reflexion des literarischen Textes, die sich auf der Ebene der Handlungsentwicklung und der Umgangsweise mit der Erzählweise abspielt (71)

• Literatur beteiligt sich am Materialisierungs- prozess, weil sie Bilder, Motive, Sinnzusam- menhänge sprachlich wiederholt und an die Lesenden weitergibt (72)

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I. EinleitungII. Kulturwissenschaft als

SozialwissenschaftIII. Kulturwissenschaft als

SprachwissenschaftIV. Kulturwissenschaft als

LiteraturwissenschaftV. Ausblick

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...vielen Dank für die Aufmerksamkeit !!