Timo Tolkki:Die Einsamkeit Von Tausend Jahren

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  T I M O T O L K K I DIE EINSAMKEIT VON TAUSEND JAHREN Dieses Buch ist Mika gewidmet. Ins Deutsche übersetzt von Felix S. Bednarek Nur in der erdrückenden Einsamkeit, kannst du es endlich verstehen. Ich erinnere mich nicht daran, wann es passierte. War es , als meine Mutter mir mit sieben Jahren sagte, dass ich meinen Teller leer essen soll? Nein, das war nicht so schlimm. War es der Tag, an dem wir meinen Vater nach all den Jahren der Angst und Gewalt verließen? Als wir seiner Wut entkamen? Nein, denn an diesem Tag war ich glücklich. War es, als ich begriff, dass im Zweiten Weltkrieg 70 Millionen Menschen getötet worden sind? Und dass unter ihnen auch kleine Kinder waren, deren einziges “Verbrechen” es war, einer anderen Rasse anzugehören? Nein. Auch das war es nicht. Es machte mich lediglich nachdenklich. War es, als mein Vater an einem Wintermorgen beschlossen hatte, hat seine Arme in einer leeren Badewanne mit einem Filetmesser aufzuschneiden? Als er vom vierten Stock seiner Wohnung aus in den Tod sprang? Nein. Denn da hatte für mich der Lauf des Lebens begonnen. Und dies läuft nun seit 32 Jahren. Es war keines dieser Dinge. Es war, als ich den Glauben an mich selbst verloren hatte. Denn das ist das Schlimmste, was geschehen kann. DAS JAHR IN DEM ICH STARB Es war an einem Wintermorgen im März 2004. Ich fühlte ein wachsendes Gefühl der Panik in meinen Kopf. Ich fühlte gewaltige Hände, die gegen meinen Kopf drückten. Ich verzweifelte. Ich rief um Hilfe, doch keiner antwortete mir. Die Panik wurde größer und größer. Dies war keine gewöhnliche Panikattacke, oder wie auch immer man dies nennt. Dies war der Tribut, den ein Leben der

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German translation of my book "Loneliness of a Thousand Years"

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T I M O T O L K K I

DIE EINSAMKEIT VON TAUSEND JAHREN

Dieses Buch ist Mika gewidmet.

Ins Deutsche übersetzt von Felix S. Bednarek

Nur in der erdrückenden Einsamkeit, kannst du es endlich verstehen.

Ich erinnere mich nicht daran, wann es passierte. War es, als meine Mutter mir

mit sieben Jahren sagte, dass ich meinen Teller leer essen soll? Nein, das war

nicht so schlimm. War es der Tag, an dem wir meinen Vater nach all den Jahren

der Angst und Gewalt verließen? Als wir seiner Wut entkamen? Nein, denn an

diesem Tag war ich glücklich. War es, als ich begriff, dass im Zweiten

Weltkrieg 70 Millionen Menschen getötet worden sind? Und dass unter ihnen

auch kleine Kinder waren, deren einziges “Verbrechen” es war, einer anderen

Rasse anzugehören? Nein. Auch das war es nicht. Es machte mich lediglich

nachdenklich. War es, als mein Vater an einem Wintermorgen beschlossen

hatte, hat seine Arme in einer leeren Badewanne mit einem Filetmesser

aufzuschneiden? Als er vom vierten Stock seiner Wohnung aus in den Tod

sprang? Nein. Denn da hatte für mich der Lauf des Lebens begonnen. Und dies

läuft nun seit 32 Jahren. Es war keines dieser Dinge. Es war, als ich den Glauben

an mich selbst verloren hatte. Denn das ist das Schlimmste, was geschehen

kann.

DAS JAHR IN DEM ICH STARB

Es war an einem Wintermorgen im März 2004. Ich fühlte ein wachsendes

Gefühl der Panik in meinen Kopf. Ich fühlte gewaltige Hände, die gegen meinen

Kopf drückten. Ich verzweifelte. Ich rief um Hilfe, doch keiner antwortete mir.

Die Panik wurde größer und größer. Dies war keine gewöhnliche Panikattacke,

oder wie auch immer man dies nennt. Dies war der Tribut, den ein Leben der

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Lüge nach all den Jahren forderte. Und es wollte mich vernichten. Wollte mein

Leben zerstören.

Zu diesem Zeitpunkt besuchte ich seit sieben Jahren mehr oder weniger eine

Psychotherapie. Was ich nun verstand war, dass es diese Therapie war, die mich

zu den Ursprüngen meines Schmerzes gebracht hatte. Es hatte die Schleusengeöffnet und die Flut des Hochwassers konnte nun nicht mehr gestoppt werden.

Und ich begriff, dass ich sterben musste um leben zu können.

Schließlich wurde ich in ein privates Krankenhaus gebracht, in welchem ich eine

halbe Stunde in einem Wartezimmer mit anderen Leuten warten musste. Es war

einer der schrecklichsten Momente in meinem Leben. Ich konnte dem Terror

kaum standhalten, während ich wartete meinen Namen zu hören. Schließlich rief 

mich der Arzt endlich zu sich und fragte mich, was er für mich tun könne. Ich

antwortete, dass ich es nicht weiß. Das ich einfach das Gefühl der Verzweiflungund ständige Panik in mir trug. Dass ich dachte, ich würde verrückt werden und

dann mich emotionale Schmerzen von Kopf bis zum Fuß überrannten. Ein

Gefühl des Terrors.

Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie er folgendes in seinem Notizheft

notierte: Musiker einer berühmten Rockband.

Es lag keine Empathie in seiner Haltung als er mir sagte, dass er es für ratsam

hält, mich in das staatliche Krankenhaus für mentale Erkrankungen zu

überweisen. Ich hatte von diesem Ort gehört.Ich wusste, welche Art Ort es war, da sie einen Freund von mir dort hin

brachten. Und er begann nach einiger Zeit Suizid. Es war ein Ort ohne

Wiederkehr. Der ultimative Ort für Leute, ohne Hoffnung auf Genesung. Als ich

den Arzt fragte, ob ich nicht in seinem Krankenhaus bleiben könne, leuchteten

seine Augen auf. “Selbstverständlich können Sie das. Warum haben Sie das

nicht gleichgesagt. Wir lassen Sie umgehend hier”. Was er mir nicht sagte, war 

es, dass ein Tag Aufenthalt und Behandlung hier 1000€ kostete. Aber vielleicht

hat mich das ja gerettet.Ich bekam mein eigenes Zimmer und zum ersten Mal in meinem Leben bekam

ich ein Beruhigungsmittel verabreicht. Ich fühlte mich schwer und taub. Ich

fühlte mich, als würde ich gar nicht existieren. Ich war in meinem Bett, in einem

weißen Raum und konnte einen Baum außerhalb des Gebäudes sehen. Ich fühlte

die vergangenen Schrecken nicht mehr. Ich fühlte kein bisschen aufgrund der

Medikamente. Ich verstand nicht was geschah. Denn trotz meiner

Gefühllosigkeit hatte ich Angst.

Ein Arzt besuchte mich. Es war eine Frau, die sehr glücklich aussah. Icherinnerte mich nicht daran, jemals einen Menschen gesehen zu haben, der so

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glücklich zu sein schien. Sie stellte mir einige Fragen und machte mit mir einen

Test um eine mögliche Depression zu diagnostizieren. Im Grunde waren es

lediglich Fragen. Wie die meisten Ärzte, versuchte sie auf eine typisch

mechanische Art und Weise herauszufinden, was mit mir los ist. Doch ich war

bereits an diesen Vorgang gewöhnt. Ich sagte ihr, dass ich plötzlich sämtlicheEmotionen gefühlt habe. Sie offenbarte mir, dass sie keine Psychiaterin war und

dass sie mich erneut konsultieren würde. Ich erzählte ihr von meiner, von

Pausen unterbrochenen, Therapie, welche ich sieben Jahre lang hatte. Sie

äußerte sich nicht dazu.

So verbrachte ich den Rest des Tages wie ein Zombie. Nichts zu fühlen, nicht

etwas zu sehen, nichts hören. So starrte ich auf diesem Baum. Und hoffte eines

Tages so lebendig zu sein, wie er.

Am nächsten Tag traf ich den Psychiater. Er war ein älterer Mann, in denSechzigern, und er hat mich viele Sachen aus einem Fragebogen gefragt. Ich

erzählte ihm von meinem Leben und ich bemerkte ein paar Tränen die über

seine Wangen glitten. Seine Diagnose, wie die Ärzte es nennen, war, dass ich

bipolare Störung habe. Ich hatte keine Ahnung, was das ist, bis er es mir

erklärte. Und es machte Sinn. Ich erinnerte mich daran, dass ich die Symptome

dieser Krankheit seit 10 Jahren hatte. Und der Arzt meinte, es wäre nicht

ungewöhnlich, dass diese Art der Krankheit so lange unerkannt blieb. Waren

etwa all die Therapien umsonnst? Nein.Das Ergebnis war, dass ich in den folgenden Wochen unter eine Vielzahl

verschiedener Medikamente gesetzt wurde. Die meisten hatten schreckliche

Nebenwirkungen. Oder keine Wirkung.

Schließlich bekam ich ein modernes und sehr teures Antidepressiva bzw.

Beruhigungsmittel. Ich hatte keine Ahnung davon, dass Antidepressiva für

bipolar gestörte Menschen eine tickende Zeitbombe ist. Es bringt einenironischer Weise in depressive und manische Episoden. Das nächste halbe Jahr

lag ich die meiste Zeit im Bett mit zugezogenen Vorhängen. An manchen Tagen

war der der Vorhang einen Spalt geöffnet. Ich weinte jeden Tag. Ich verstand

nicht woher es kam. Doch ich verstand, dass es tief in mir war. Es war ein

verzweifeltes und tiefgehendes Weinen. Es kam aus dem Inneren meines

Wesens. Ich verstand, dass all dies nur bedingt etwas mit einer bipolaren

Störung zu tun hatte. Es war etwas, vordem ich mich versteckt hatte. Etwas

Schreckliches aus meinem Leben, insbesondere meiner Vergangenheit.Ich hatte nie um meinen Vater oder meine verlorene Kindheit getrauert. Doch

dann wurde dies für mich zu einem Ausgangspunkt.

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Als ich wieder gehen konnte, besuchte ich oft die Orte, an denen ich meine

Kindheit verbracht hatte. Ich erinnerte mich an viele kleine Details wie Streiche

mit Freunden oder Orte, an denen ich Fußball gespielt habe. All diese Orte

brachten Emotionen an die Oberfläche. Es ist nicht möglich, zu beschreiben, wie

ich mich fühlte. Man kann diesen Schmerz nicht verstehen, wenn man ihn nichtselbst durchgemacht hat. Es tut weg. Es ist ein körperlicher Schmerz. Es sind

starke Schmerzen, was viele Leute nicht verstehen.

Ich saß an einem Ort, an dem ich oft als Kind saß und gefischt habe. Ich saß auf 

einem Felsen und blickte auf die Landschaft. Der Schnee war geschmolzen und

das Eis bedeckte den Golf von Finnland. Plötzlich begann es zu schneien. Doch

der Schnee fiel nur in einem 100-Meter-Rasius um mich herum. Ich saß da undbetrachtete die wundervolle Landschaft. Ich fühlte, dass mein gesamtes,

bisheriges Leben vergebens war und dass mein Schmerz so groß war, dass ich es

nicht ertragen konnte. Mir wurde bewusst, dass der Ort, an welchem mein Vater

Selbstmord begangen hatte nur drei Kilometer entfernt war.

Ich hatte genug Pillen bei mir um den Schmerz nun für immer zu beenden. Ich

saß lange Zeit mitten im fallenden Schnee und starrte in die Ferne. Ich fragte

mich, welchen Sinn das Leben hatte und ob sich all die Hoffnungslosigkeit und

Schmerzen gelohnt haben. Und etwas in mir sagte mir, dass ich es nicht tunsollte. Und dennoch starb ich in diesem Jahr. Und so spürte ich es. Einen

langsamen Tod. Es war unmöglich für mich, zu diesem Zeitpunkt, Musik zu

komponieren. Es war mir unmöglich, da ich die ganze Zeit beinahe nur in

meinem Bett lag.

Die Morgen waren schrecklich. Das erste Gefühl, welches ich nach dem

Aufwachen hatte war Hoffnungslosigkeit, in welcher ich ein halbes Jahr lebte.

Und so starb ich in diesem Jahr. Denn nur so konnte ich leben.

Oft hörte ich die Leute sagen, dass der Selbstmord die leichteste Lösung für alleProbleme sei. Ich kann dies durch meine eigenen Erfahrungen und die

Erfahrungen, die ich mit dem Sterben meines Vaters gelernt habe, nicht

bestätigen. Selbstmord ist bei weitem nicht der einfachste Weg. Es braucht viel

Mut um seinem eigenem Leben ein Ende zu setzen. Es ist das letzte Ziel, dass

man sich setzt. Es ist eine endgültige Flucht aus einer unerträglichen Situation

mit unerträglichen Schmerzen. Aber es ist nicht einfach. Man kann versuchen es

zu verstehen, wenn man die nötige Intuition hat, wie es ist, während man seinem

Leben ein Ende setzt. Wie man sich dabei oder kurz davor fühlt. Und nur dann,wenn man selbst nahem am Tod ist, kann man teilweise verstehen, wie es für

diese Person war, diese Entscheidung zu treffen. So wie mein Vater. Oder ein

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finnischer Autor. Er verließ die Klinik, welche er freiwillig besuchte, für einen

einfachen Spaziergang. Er ging in die U-Bahn-Station und wartete auf den

nächsten Zug. Kurz bevor er ankam, sprang er auf die Gleise und blickte dem

Zug, ohne eine einzige Bewegung, entgegen. Er hatte keine Angst. Der Zug

versuchte zu bremsen, doch die 40 Meter reichten nicht. Oder wie mein besterFreund Mikka. Er sprang aus dem vierten Stock seines Elternhauses in den Tod.

Dies geschah vor 5 Jahren. Nach Jahren voller Depressionen und dem Gefühl

der Wertlosigkeit.

Glaubt bitte nicht, dass ich hier als Fürsprecher des Suizides gelten will. Ich

möchte nur, dass die Menschen verstehen, dass es diese Menschen gibt, die

endgültig mit ihrem Leben abgeschlossen haben. Und es ist ein Fakt, dass das

Thema "Selbstmord" ein tabu in dieser Gesellschaft ist. Viele Menschen in

meinem Umfeld haben ihr Leben durch ihre eigene Hand beendet. So kam es,dass ich über dieses Thema viel nachgedacht habe. Und natürlich ist es durch

meine eigenen Schmerzen sehr viel einfacher, ihre Entscheidungen zu verstehen.

Die Menschen, die ein glückliches Leben führen, werden das nie verstehen.

Denn sie waren nie wirklich deprimiert.

Und so habe ich weiterhin mit Schmerzen und Schrecken gelebt. Von Tag zu

Tag. Von Jahr zu Jahr. Doch es hielt mich nicht davon ab meine Tochter zueinem Konzert zu fahren, dass vier Autostunden entfernt sind. Und während sie

auf dem Konzert war, blieb ich im Hotel und weinte, weil all das so weh tat. Ich

fühlte alles auf einmal. Angst, Wut, Trauer, Verlassenheit. Damals konnte ich

nicht genau sagen, welche Emotionen ich gerade erlitt. Es tat einfach nur weh.

Doch es hielt mich nicht davon ab meine Tochter morgens in die Schule zu

fahren und sie am Nachmittag abzuholen. Es hielt mich nicht von zwei

Welttourneen mit einer Metal-Band ab, auch wenn sie unter schweren

Bedingungen stattfand. Es hielt mich nicht von Besuchen am Grab meinesVaters ab. Auch nicht von den imaginären Unterhaltungen mit ihm. Und es hielt

mich nicht davon ab einfach nur für Stunden an seinem Grab zu sitzen.

Ich erkannte, dass ich mich nie von meinem Vater verabschiedet habe. Ich habe

nicht einmal verstanden, dass er tot war. Es ist unmöglich für mich gewesen.

Intellektuell habe ich verstanden, dass er tot war. Aber emotional gesehen, auf 

einer sehr tiefen Ebene, war er sehr lebendig für mich mich. Darum habe ich nie

verstanden, dass er wirklich gestorben war. Ich brauchte viele Besuche auf 

seinem Friedhof um das zu verstehen. Es kostete eine Menge Schmerz, mehr alsich je für möglich gehalten habe. Ich begann mit der Forschung über seinen

Selbstmord und den Tagen seines Lebens kurz vorher. Ich kehrte zu dem

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Zustand einen zwölfjährigen Jungen zurück. Erst dann, begann ich zu verstehen,

was damals passierte. Es dauerte Jahre. Und noch heute kämpfe ich mit diesem

Thema. Vielleicht ist es ja auch gar nicht möglich all diese Schmerzen zu

heilen? Es ist aber möglich für den Rest meines Lebens damit zu leben. Und

 jetzt bin ich 11 Jahre älter als mein Vater es war, als er starb. Das fühlt sichseltsam an. Aber wir alle haben unsere Geschichte.

Es hat mich mein gesamtes Leben und die Erfahrung des Todes gekostet um zu

verstehen, dass mein Schicksal in meinem Dasein liegt. Viele Schmerzhafte

Dinge, die in mir verschlossen waren, traten nun ans Licht meines Bewusstseins.

Ich fühlte es in meinem Bewusstsein. Viele Leute sagen, du kannst nicht ändern,

wer du wirklich bist. Ich wusste bis zudem Zeitpunkt, als meine Vergangenheit

frei brach nicht einmal, wer ich eigentlich bin. Vor da aus begann ich eine Reise,

die mich zu dem führte, wer ich wirklich bin. Nicht wer ich vorgab zu sein. Unddiese Reise ist der schmerzhafteste Weg in deinem Leben. Und doch hat mich

diese Reise gerufen. Und ich hatte keine andere Wahl als mich in den Fluss zu

werfen und mich treiben zu lassen. Das Leben findet immer einen Weg. Und

natürlich kann ich nicht leugnen, dass die Wirkungen meiner Kindheit einen

Einfluss auf mein Leben als Künstler und Musiker hatte. Ich habe viele

Sehnsüchte und das Vermissen meines Vaters indirekt und unbewusst in meinen

Liedern verarbeitet. Unter diesem Licht, hatte meine Kindheit vielleicht eine

ganz andere Bedeutung. Vielleicht.Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, ist es Sommer 2010. Ich habe mit diesem

Schmerz nun seit 6 Jahren gelebt. Er ist nicht verschwunden. Und ich nehme

nun Lithium als Beruhigungsmittel. Die Ärzte sagen, dass man die Bipolare

Dissorder nicht heilen kann- Vielleicht ist es so. Vielleicht nicht. Was ich weiß

ist, dass sie wie ein Geist auf meiner Schuler sitzt und über mein Leben wacht.

Sie ist jeden Morgan da, wenn ich über die Zerbrechlichkeit des Lebens

nachdenke und dass ich alles im Bruchteil einer Sekunde verlieren kann. Und es

ist da, wenn ich aus diesen Gedanken aufwache.

ES GAB KEINE SORGEN, ES GAB KEINEN SCHMERZ.

 

Den größten Teil meiner Kindheit verbrachte ich glücklich und sicher. Mit

Kindheit meine ich die Zeit, bis ich 9 Jahre alt wurde. In meiner Familie schien

alles in Ordnung zu sein. In der Tat, es schien wie der Traum einer Familie.

Unser Heim war schön und finanzielle Sorgen gab es auch nicht. Die Liebe unddie Hingabe, mit der sich meine Mutter um mich kümmerte, wurde mir in

späteren Jahren ein Werkzeug zum durchhalten. Ich erinnere mich daran, dass

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ich meine Familie sehr liebt. Ich erinnere mich sogar an das magische Gefühl

von Weihnachten, als ich 8 Jahre alt war. Ich erinnere mich an den Geruch. An

die Atmosphäre. An die Sicherheit. Wir alle waren glücklich. Immer, wenn wir

versammelt waren, bat mich mein Großvater ein Lied zu singen. Ich war sehr

schüchtern, aber er hab mir immer Geld, weshalb ich es tat. Ich sang in derSchule und in einem klassischen Knabenchor namens Cantores Minores. Ich

hatte großes Selbstbewusstsein, was meinen Gesang angeht. Es fühlte sich so

leicht und natürlich an.

Als ich sieben war, bekam ich meine erste Gitarre als Weihnachtsgeschenk. Ich

hatte gesehen, wie mein Cousin Gitarre spielte, als ich 5 Jahre alt war und er

wurde sofort mein Held. Ich habe mich damals in sein Zimmer geschlichen und

an den Seiten seiner Gitarre gezupft. Ich weiß noch genau, wie sie aussah. Es

war liebe auf den ersten Blick und ich konnte diesen Zauber der Gitarre nichtwirklich verstehen. Mein Cousin zeigte mir einige Akkorde und Songs von den

Beatles. "Eight Days a Week" war einer der Songs, die er mir beibrachte. Er

spielte auch in einer Band, was mich sehr beeindruckte. So wollte ich auch eine

Gitarre haben.

Es geschah am magischen Weihnachtsabend von 1973. Jeder, der das liest,

weiß, dass mich dieses Instrument an viele Orte bringen würde. Von so etwas

habe ich nie zu träumen gewagt. Ich wollte einfach unbedingt eine Gitarre

haben. Doch ich konnte am Anfang kaum damit umgehen. Es gab eine AG inder Schule, die Gitarre unterrichtete. Ich besuchte sie und lernte meine ersten

Songs. Ich war so glücklich, dass ich diese Klasse jede Woche besuchte. Meine

Mutter offenbarte mir, das ich schon als kleiner Junge von Musik beeindruckt

war und die Top40 auswendig konnte, wenn sie im Radio lief.

Doch nicht alles war rosig. Meine Oma hatte Krebs und ihr wurden beide Beine

amputiert. Mein Vater trug sie an Heiligabend und setzte sie auf ihren Platz auf 

der Couch. Sie sagte, der Krebs mache sie Stolz, da sie nun die Aufmerksamkeit

bekam, die sie als gesunder Mensch nie bekam.Doch es war nicht alles rosig. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter hatte

Krebs und beide Beine amputiert wurden. Ich erinnere mich noch meinen Vater

trug sie oben am Heiligen Abend und platzieren sie auf einer Couch. Sie sagte,

dass es in gewisser Weise groß ist, um Krebs zu haben, weil sie jetzt wenigstens

die Aufmerksamkeit, die sie nie gehabt und trotzdem gesund bekommen. Ich

dachte darüber nach, ob man den Krebs selbst entfesselte. Nun weiß ich, dass es

meiner Meinung nach so ist. Vielleicht nicht in alles Fällen, aber in vielen.

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Im folgenden Jahr starb meine Oma, trotz der Aufmerksamkeit, die man ihr gab.

Ich erinnere mich an die Beerdigung. Sie kam in das Familiengrab meines

Vaters und Großvaters. Ich werde dort nicht begraben werden.

Der Tod ist etwas sehr Abstraktes. Kinder bis zu einem gewissen Alter

verstehen ihn nicht. Oder verstehen und akzeptieren sie ihn vielleicht als etwasNatürliches und verarbeiten ihn besser als wir erwachsene? Ein Grund für das

abstrakte Denken über ihn, ist meiner Meinung nach die Tatsache, dass er ein

Tabu der Gesellschaft ist. Die Augen werden einfach davor verschlossen.

Niemand versteht, dass er eines Tages sterben wird. Vielleicht schon morgen.

Man weiß nie wann. Kinder scheinen den Tod für selbstverständlich zu halten.

Meiner Meinung nach, können die Kinder in diesem Fall die besten Lehrer sein,

wenn wir demütig genug sind, ihnen zuzuhören. Sie haben uns viel mitzuteilen.

Ich vermisse das Gefühl sehr, was man als Achtjähriger hat, wenn alle Sinnenoch so anders sind. Wenn man die Welt durch die Augen eines Kindes

beobachtet.

Abgesehen davon, zu was sie durch die Schule und die Eltern werden, so

reagieren Kinder in dieser Welt und in diesem Alter anders. Sie fühlen. Sie sind

noch nicht von Regeln, Dogmen und Tabus beeinflusst, so dass man wirklich

sagen kann, dass sie leben. Sie sind sehr ein in allem, was sie tun. Ob sie Spielenund umherrennen, was Kinder eben tun. Sie sind unschuldig. Ich erinnere mich

noch genau an die Gefühle von damals. Wie das Gras roch. Wie es war, mit

meinen Freunden Fußball zu spielen, bis man vor Durst am Abend nachhause

lief. Wie gut das Eis im Sommer war. Das Gefühl der Freiheit, wenn die

Sommerferien beginnen und der ganze Sommer vor einem lag. Den Sommer für

sich zu haben. Wie es war Mädchen zu ärgern. Wie man das eigene Lächeln und

das eigene Glück spürte. Wie ich Mathe hasste und Musik liebte. Ich erinnere

mich an all das mit einer Nostalgie. Doch diese Zeiten werden niezurückkommen. Hätte ich nur 2% meines damaligen Glücks, wäre ich heute der

glücklichste Mensch auf Erden.

Mein Vater arbeitete in einem Elektrogeschäft, indem er Tüvs und Radios

verkaufte. Er hatte eine große Musiksammlung zu Hause und ich war wirklich

daran interessiert. Die erste Kassette, die ich hörte war ABBA. Er gab sie mir.

Ich glaube es war ihr erstes Album. Ich erinnere mich, wie sehr ich diese Songs

liebte und versuchte sie auf meiner Gitarre zu spielen. Langezeit, Abba blieb

meine einzige Lieblingsband. Ich liebte sie und erinnere mich, wie frisch sichihre Musik anhörte. Ich wollte so ein wie sie, denn sie waren unglaublich gut.

Sie hatten acht Nummer-Eins-Hits in Folge. Den Anfang machte SOS. Viele

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Musik aus meinem Elternhaus, auch finnische, sind der Ursprung für viele

Lieder, die ich schrieb.

Ich habe nie einen Song bewusst kopiert und es war immer ein peinlicher

Moment, wenn sich zwei Songs ähnelten. Es ist für mich ein Zeichen meines

Unterbewusstseins. Es speichert Melodien und Lieder, die vielleicht 30 oder 40Jahre zurück liegen. Es speichert alles, was dir passiert. So setzte sich alles

Zusammen. Aber es passierte sehr langsam. Doch am Ende war mir klar, dass

die Musik eine große Bedeutung in meinem Leben hat. Ich erinnere mich daran

 jedoch nicht bewusst.

Als Kind hatte ich viele andere Hobbys. Ich spielte in einem Eishockey-Team

und auch Basketball. Ich war größer als die anderen Jungs in meinem Alter und

ich erinnere mich, dass ich Basketball wirklich sehr mochte. Ich habe auch

schwimmen im Sommer sehr genossen. Es war eine glückliche Kindheit, bis zueinem gewissen Punkt, der alles änderte. Ein Albtraum.

Die Zeile im Song Forever "Oh how happy I was then. There was no sorrow,

there was no pain. Walking trough the green fields, sunshine in my eyes" (z.Dt:

Oh wie glücklich war ich damals. Es gab keine Sorgen, es gab keine Pein. Ich

laufe durch grüne Felder, der Sonnenschein in meinen Augen) reflektiert, wie

meine Kindheit war. Obwohl dieses Lied von meinem Vater stammte. Die

Grünen Felder sind noch da. Ich muss sie nur wieder finden. Vielleicht werde

ich das eines Tages. Vielleicht finde ich mich eines Tages als dieser Jungewieder. Und dann weiß ich, dass ich endlich wieder nach Hause kann. Ich habe

so viele Dinge, die ich ihm erzählen muss. So viel, was ich ihm erklären und mit

ihm teilen will. Ich hoffe, dass wir uns eines Tages auf einer sonnigen Straße

treffen.

BEGINN DER PSYCHOSE

Es geschah schrittweiße. Es begann Weihnachten 2004 bis zum Herbst 2005. Im

Rückblick auf die Zeit, stelle ich fest, dass ich in einem psychotischen Zustand

war. Im Jahr 2004, vor meinem Nervenzusammenbruch und vor der

Diagnostizierung meiner bipolaren Störung, gründete ich ein Aufnahmestudio

namens "Goldenworks" (dt. Goldarbeit). Ich brachte die Lizenzgebühren auf und

nahm einen Bankkredit in der Höhe von 150 000 Euro auf. Als das Studio fertig

war, begann man mit dem Bau einer Tiefgarage unter meinem Studio. Dasbedeutete konstantes Bohren und Explosionen, viele Male am Tag. Es war

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offensichtlich, dass es keine Kunden gibt, die unter solchen Bedingungen etwas

aufnehmen oder mischen wollen. Es war mein Traum. Meine Zukunft. Mein

eigenes Studio. Und es war zum Scheitern verurteilt, bevor es begonnen hatte.

Nur ein Album wurde dort aufgenommen. Das schwarze Album von

Stratovarius. Anschließend musste ich vor Gericht gegen den Vermieterantreten. Ich wollte von meinem Mietvertrag zurücktreten. Doch er weigerte

sich. Sie sagte es würde nicht geschehe und es stellt sich heraus, dass das

Parkhaus bereits geplant war, als ich den Vertrag unterzeichnete. Dennoch

verlor ich den ersten Streit vor Gericht. Ich appellierte schließlich an ein höheres

Gericht und gewann. Doch es hat mich vier Jahre meines Lebens gekostet. Mein

Vermieter musste nun beinahe 50.000€ an Anwaltskosten bezahlen. Und das

obwohl ich nur gebeten habe von dem Vertrag zurückzutreten. Alles im Leben

kommt so zurück, wie es gegeben wurde.Ich weiß nicht ob es die Medikamente waren, die mich in meine Psychose

trieben. Aber ich merkte, dass ich verrückt wurde. Ich wurde oft zornig und

einfache Dinge haben mich gereizt. Laute Geräusche machten mich wütend.

Alles machte mich wütend. Ich denke, dass sich Manie langsam in einer

Psychose entwickelt. Psychotisch bedeutet, dass man die Dinge um einen

herum, nicht mehr wahrnimmt und nicht mehr zuordnen kann. Man kann es

auch als "verrückt sein" bezeichnen.

Zum Beispiel: Es gab eine ET-Puppe im Studio, die sechs Sätze sprechenkonnte. Ein Satz war speziell dafür, wenn man die Hand drückte. Nun kam es

aber zeitweise vor, dass diese Puppe von alleine sprach. Sogar Timo Kotipelto

hatte dies einmal gehört, als wir das "schwarze" Album aufgenommen haben.

Ich erinnere mich an dieses seltsame Gefühl in meinem Kopf. Es war eine

Mischung aus Angst und Arroganz. Aber vor allem Angst. Einmal ging ich in

einen Laden um Essen zu kaufen. Wir brauchten unbedingt Butter. Und ich

stand vor der Butter und starrte sie an. Diese Marke sah seit 20 Jahren gleich

aus. Doch plötzlich hatte sie ihren Namen gewechselt. Doch sie glich der altenButter. Ich dachte, ich bildete mir den Namen nur ein, und starrte die Butter

weiter an, bis ich zu denken begann, dass in meinem Kopf etwas falsch lief. So

wurde es immer schlimmer und schlimmer.

Eines Tages kam mich ein Freund der Band im Tonstudio besuchen. Als er

fragte ob er kommen könne, sagte ich ihm zu. Später erkannte ich, dass dieser

Mann Satan selbst war. Ich weiß es klingt sehr merkwürdig aber es erschien mir

absolut logisch in diesem Moment. Als der in Studio kam war ich mir zu 100%

sicher, dass er Satan selbst war und gekommen ist um die Lieder zu hören. Ersaß an auf meinem Sitz am Mischpult und ich lehnte ihm gegenüber. Ich dachte

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nur: Du musst mir nichts vormachen. Ich weiß genau wer du bist. Und so blickte

ich ihm in die Augen. Und das obwohl ich gar nicht daran glaubte, das Satan

wirklich existiert. Doch vielleicht tue ich das auf einer tieferen Ebene. Und

dabei war dieser Kerl einer der nettesten, die ich kannte und je in meinem Leben

getroffen habe. Ich begann in die Schatten weilt der Psychose zu stürzen. Und esist ein Fakt, dass nicht jeder aus dieser Welt entkommt.

Dann kam die Zeit, in der ich nach Berlin ging um dort einer Plattenfirma einige

Mixes vorzuspielen. Zur gleichen zeit wurden die Berliner Filmfestspiele

veranstaltet. Ich rief einen finnischen Filmproduzenten an, um mit ihm etwas zu

unternehmen, doch er hatte bereits das Haus verlassen. Er schlug vor, dass ich

seinen isländischen Freund treffe. Nennen wir diesen Mann Yngvar. Er rief 

mich an und sagte mir, er würde einen Freund aus Österreich mitbringen.

Außerdem sagte er am Telefon, er sei "der letzte Wikinger". Sie kamen in meinHotel und ich wartete auf der Theke. Sie sagte mir: "Wir wissen wer du bist,

aber nicht wie du aussiehst." Das klang sehr seltsam. Sie waren merkwürdige

Leute. Sie sagten sie wären im Filmgeschäft tätig. Beide hatten ein schwarzes

Notizbuch und sie wollten wissen, warum ich keins hatte. Der Sinn des Buches

offenbarte sich mir bereits in der Hotelbar. Sie baten jede Frau um ihre

Handynummer oder E-Mail-Adresse.

Zu meiner Überraschung gaben erstaunlich viele Frauen diese Informationen

preis. Und dann sagten die Beiden zu mir, dass sich ihr Schicksal offenbarte.Das alles klang sehr logisch für mich, da ich mich zu dieser Zeit in einer

manischen Episode aufhielt.

Als wir an der Hotelbar saßen und Bier tranken sagte Yngvar zu mir, er sei der

Vermittler zwischen Gott und Teufel und das er gekommen sei um die Fackel an

mich weiter zu geben. Es sagte auch, dass ich in 2,5 Jahren weltberühmt werden

würde und dass die Menschen mir folgen würden. Er sagte, dass ich im Schlaf 

sterbe, wenn ich 70 Jahre alt bin. Das mein Weg steinig sein wird, aber am Ende

alles gut wird. All das war unter der Berücksichtigung meines Zustandes sehrbeängstigend für mich. Ich verstand diesen Mann nicht. Später gingen wir in

einen Club und er zückte sein Notizbuch und gab mir seine Jacke. Er fragte

mich ob er mir trauen könne und ich sagte "ja" und nahm die Jacke. Nach 10

Minuten kam er zurück und bedankte sich. Er zeigte mir, dass in seiner Jacke

eine Waffe war, mit der er mich beschützen wollte.

Das Gleiche geschah nun in mehreren Clubs und Yngvar wurde sehr betrunken.

Wir nahmen ein Taxi und die beiden saßen auf dem Rücksitz. Ich saß vorne.

Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass Yngvar meine Gedanken ließt. Ich wusstenicht, warum ich dieses Gefühl hatte. Dies war dann meine erste Paranormale

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Erfahrung. Ich dachte mir: Wenn du meine Gedanken lesen kannst, klopfe mir

zwei Mal auf den Rücken. Dieser Mann konnte wirklich meine Gedanken lesen.

Dieser Mann konnte tatsächlich meine Gedanken lesen und als wir schließlich

aus dem Auto ausstiegen stand ich unter Schock. Ich stand davor erneut in

meine Manie einzutauchen. Yngvar sagte mir, ich solle heute endlich vonmeinem Vater ablassen. Wie in aller Welt konnte er das nur wissen? Ich begann

ihn anzuschreien: "Was willst du von mir?!". Er sagte: "Timo. Ich will nichts

von dir. Aber ich möchte, dass du weißt, dass du einen Freund hast." Wir gingen

weiter in die Lobby des Hotels und er sagte mir, wenn 100 Männer in diesen

Raum stürmen würden und auf mich schießen würden, dann würde er alle

Kugeln abfangen. Doch dann geschah das Schlimmste. Etwas, das mich beinahe

dazu brachte erneut in meine Manie einzutauchen. Denn es war so real. Etwas,

dass mich bis zum heutigen Tag verfolgt. Yngvar wurde sehr betrunken unddann grinste er mich seltsam an. Ich begann ein Pochen in meinem Kopf zu

spüren. Und dann sah ich. Zwei pechschwarze Flügel auf seinem Rücken. Sie

waren nicht sehr lang. Vielleicht 40cm. Doch sie sagen fürchterlich aus. Und er

merkte, dass ich sie sah, da er immer mehr und mehr grinste. Ich weiß nicht wie

er es tat. Aber es schien, als würde er diese Flügel in meinen Geist projizieren.

Vielleicht kam daher auch der Schmerz in meinem Kopf. Und ich konnte nicht

glauben, was ich da sehe. Dann gingen wir in die Lobby und er begann darüber

zu klagen, dass er seine Kinder nie sehen würde. Nach einiger Zeit meinte er, essei Zeit für ihn zu gehen und er verließ mich mit Markus. Ich sah beide

Menschen nie wieder. Er ließ mich in einem Zustand des Schocks zurück. Ein

Zustand aus Schock, Entsetzen und Unglauben. Und einem Haufen an Fragen.

Nach diesem Ereignis wurde ich wieder sehr Manisch. Ich versuchte all dem

einen Sinn zu geben. Ich fing an zu denken, ich sei etwas Besonderes. Der Bote

Gottes auf Erden und legitimiert dazu, all das zu tun, was ich will. Ich sah nicht,

dass er einfach mit seinen telekinetischen Kräften mit mir gespielt hat. Ich weiß

nicht, ob er es war, oder meine Manie. Vielleicht tun manche Menschen einemdas einfach an. Doch diese Leute haben keine Moral. Sie sind Soziopathen, die

einfach nur Spaß haben wollen. Menschen, die einem eine Menge abverlangen.

Alles war in diesem Sommer, dem Sommer 2005, chaotisch.

Wohin ich auch ging, sah ich die Leute beten. Ich begann zu denken, dass sie

wegen mir beten, es mir aber verheimlichen wollen. Auch wenn es verrückt

klingt. Aber in diesem Sommer war es für mich die Wirklichkeit. Oder ein

Mangel an Realität. Ich wohnte am Meer. Als eines Tages ein Sturm wütete ging

ich an das Ufer und befahl dem Meer sich zu beruhigen, so wie es einst Jesus tat.Und ich erinnere mich genau daran, dass das Meer ruhiger wurde. Am Abend,

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als ich nach Hause zurückkehrte, ich verbrachte den Tag im Studio, hörte ich

"Into the West" von "Return of the King". Es handelte von der Rückkehr des

Messias. Ich erinnere mich daran, wie ich in den Nachthimmel blickte und mir

wünschte eine Sternschnuppe zu sehen. Und genau in diesem Moment sah ich

eine. In meinem Kopf hatte ich genug Beweise, dass ich hier auf der erde seiund eine Mission habe.

Eines Abends wusch ich ein graues T-Shirt und hing es über die Heizung um zu

trocknen. Am nächsten Morgen befand sich auf diesem Shirt eine schwarze

Gestalt. Sie war ungefähr 10cm groß und trug ein Gewehr. Doch sie zielte nicht

auf mich. Sie blickte mich nur an. Noch heute ist diese Figur zu sehen. Und ich

kann es mir nicht erklären, wie es geschah. Und es war unmöglich anderen

davon zu berichten, da sie dachten, ich sei verrückt. Doch für mich war es real.

Und ich glaube noch immer, dass ein Teil dieser Dinge Wirklichkeit sind. Nichtalles kann mit meiner Krankheit erklärt werden. Vielleicht war ich paranoid oder

wurde es. Wenn ich aus der Ferne Explosionen hörte, dann dachte ich, sie wären

ein Zeichen für mich.

Zu diesem Zeitpunkt stand ich noch unter den falschen Medikamenten, die man

mir im Krankenhaus verschrieben hatte. Ich muss in einem halbpsychotischen

Zustand gewesen sein. Meine Mutter empfahl mir einen Psychiater, der sie in

den 80ern behandelt hatte. Und es stellte sich als einen Segen heraus. Er

erkannte sofort, dass meine Medikamente falsch waren und stellte mich neu ein.Auch für meine Angst und paranoide Tendenzen gab er mir etwas. Diese

Medikamente nehme ich jetzt seit 5 Jahren und ich werde dieses Lithium wohl

bis an das Ende meines Lebens nehmen. Oft spürte ich, die der Wahnsinn immer

stärker und stärker wurde und dann begann ich die Medikamente zu erhöhen.

Das geschah meistens im Frühjahr. Der Psychiater sagte, ich wisse am Besten,

wie ich mit meiner Krankheit umgehen soll. Das Lithium brachte mich dazu

wieder zu arbeiten. Die Tage, an denen ich betrunken war, waren vorbei. Ich

habe in den 5 Jahren keinen Alkohol angerührt. Ich habe mir damals vielentgehen lassen und ich muss sagen, dass die Tourung ganz anders ist, wenn

man nüchtern ist. Schließlich habe ich beinahe alle meine Konzerte betrunken

veranstaltet. Aber ich habe auch entdeckt, dass im Nüchter-Sein viel gutes liegt.

DER JUNGE VOM BLAUBÄREN-HÜGEL

Es geschah ohne Vorwarnung. Wie aus dem Nichts. Mein Vater war so einfriedlicher Mensch. Doch plötzlich begann er zu trinken. Das war im Jahr 1975.

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Er trank viel und wurde sehr gewalttätig. Ich war so glücklich zuvor, und ich

konnte als 9 Jähriger nicht verstehe, warum er so war. Er lag oft nackt und

betrunken auf dem Boden. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen er sich mit

Rasierklingen verletzt hatte. Seitdem habe ich eine Phobie vor Rasierklingen.

Die altmodischen Klingen, die heute zum Glück, sehr selten geworden sind. Erwar wirklich gemein und böse. Ich erinnere mich daran, wie er einmal meine

Mutter gejagt hat. Ich versuchte ihn daran zu hindern. Ich hielt ihn an seiner

Kleidung fest. Ich verstand nicht was geschah und zerbrach daran. Auf dem

Schulbild von 1976 sah ich sehr traurig aus. Wenn ich mir dieses Bild anschaue

beginne ich zu weinen. Ich war vorher so glücklich gewesen. Es ist schwer das

Gesicht zu beschreiben. Es ist jemand, der sehr schwer verletzt und verängstigt

war. Jemand, der enttäuscht war. Es ist das Bild eines zerstörten Jungen, der

gerade einmal 10 Jahre alt war.Auf der Rückseite des Bildes war etwas geschrieben. Ich konnte nur einen Teil

entziffern: Daddy wird sich umbringen. Nur Gott weiß, was dort sonst noch

stand. Nachts flüsterte er mir oft ins Ohr, dass er mich liebt. Dabei hielt er eine

brennende Zigarette in der Hand und roch nach Alkohol.

Meine Eltern haben sich oft gestritten. Ich hörte es durch meine Tür. Meine

Mutter schrie und warf Sachen. Ich weinte jede Nacht und erinnere mich daran,

wie nass mein Kissen vor lauter Tränen war. Meine Mutter hatte neben meinem

Bett ein Bild platziert, auf welchem ein Schutzengel seine Hände über zweiBetten hebt. Ich stellte mir vor, dass dieser Engel uns hätte vielleicht helfen

können.

Es kam vor, dass mein Vater so brutal wurde, dass wir von Zuhause flüchten

mussten. Eines Abends war er mit einem schrecklichen Schrei den

Wohnzimmertisch aus dem Fenster. Meine Mutter, mein Bruder und ich flohen

zu einem gewissen Verwandten. Sie gewöhnten sich an diese Besuche, die

meistens nachts waren. Ich erinnerte mich an die kalte Luft der Nacht, als wir

ins Freie flohen und trug, was wir tragen konnten. Ich erinnere mich an diePanik und die Angst, dass mein Vater uns verfolgen würde. Er tat es nie. Wir

flohen immer mit dem Auto und die Autoscheiben waren eiskalt.

Es wurde immer schlimmer. Mein Vater bedrohte meine Nachbarn mit einem

Messer und auch andere haben begonnen vor ihm Angst zu haben. Er hatte sich

vor meiner Mutter eine brennende Zigarette in den Arm gedrückt. Ich erinnere

mich, wie er eines Nachts Bewusstlos, vor lauter Beruhigungsmitteln und

Alkohol auf dem Boden lag. Meine Mutter alarmierte einen Krankenwagen und

Rettungskräfte brachten meinen Vater ins Krankenhaus. Am nächsten Morgenkehrte er zurück, als wäre nichts gewesen. "nichts ist los mit mir." Dies sagte er

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mir am nächsten Morgen. Er wollte wissen, warum wir geflohen sind und ich

antwortete, so wie ein Kind eben antwortet. "Wir hatten Angst". Er meinte wir

hätten nicht fliehen sollen. Ich habe noch das Bild im Kopf, wie meine Mutter

Alkohol in die Spüle goss. Es war ein verbitterter Versuch einen Alkoholiker

vom Trinken abzuhalten. Ich tat es ihr gleich. Ich habe in einem Katalog nacheinem Fitnessgerät geguckt, auf dem ein Bild mit Arnold Schwarzenegger war.

Ich wollte es bestellen, um genau solche Muskeln zu bekommen um meine

Familie zu beschützen. Und ich bestellte es wirklich. Es klingt absurd, aber es

zeigt nur die Verzweiflung eines kleinen Jungen in einer schrecklichen

Situation. Das Ganze dauerte etwa zwei Jahre, von 1975 bis 1977. In diesen

beiden Jahren erinnere ich mich klar, dass ich eine Art von Sicherheits-

Mechanismus entwickelte. Ich schloss mein wirkliches Selbst vor der Welt ein.

Manchmal sah ich durch das Fenster, wie mein Vater nackt im Zimmer saß undGin und Zigaretten in der Hand hatte, während ich mit Freunden spielte. Meine

Mutter weinte und meine Freunde fragten, was los sein. Ich sagte nur, dass mein

Vater eben so ist.

Ich verstehe nicht, wie ich damals immer zur Schule gehen konnte und dem

Schmerz standhielt. Ich denke, ich begann damals mit meiner falschen Identität

zu leben. Ich konnte den Schmerz einfach nicht ertragen. Das war zu viel für

einen 10 Jährigen.

Ich schmiedete Pläne, wie ich von Zuhause wegrennen konnte um demWahnsinn zu entfliehen. Doch wo sollte ich mit 10 Jahren hingehen? Ich

erinnere mich, dass ich oft an einen Ort mitten im Wald ging. Ich nannte diesen

Ort "Blaubeeren-Hügel" (original: Blueberry-Hill). An diesem Ort weinte ich

sehr oft. Er wurde mein eigener "Traumort" (original: Dreamspace)

Ich verstehe auch nicht, wie meine Mutter konnte mit dieser Situation fertig zu

werden und gehen jeden Tag zur Arbeit als wäre nichts passiert. Ich glaube, sie

hatte ein ähnliches Sicherheits-Mechanismus, hatte ich entwickelt. Sie musste

erleben, ihr ganzes Leben zusammenbricht unter ihr, und sie war ganz allein mitzwei Jungen. Meine Mutter hat mir gesagt, dass ich schließlich sagte ihr, dass,

wenn Papa nicht verlässt dann gehe ich. Ich erinnere mich nicht, aber ich

schätze, das war wohl der Punkt, dass sie erkannte, dass sie etwas zu tun gehabt

haben. Ich verstehe auch heute noch nicht, wie meine Mutter das alles

überstand. Sie ging zur Arbeit als wäre nichts gewesen. Ich denke, sie hatte

einen ähnlichen Sicherheits-Mechanismus entwickelt wie ich. Sie sagte mir,

dass ich sie eines Tages vor die Wahl gestellt habe: Er geht oder ich. Zu diesem

Zeitpunkt muss sie erkannt haben, dass sie handeln muss. Sie sah wie ihr Lebenund das Leben ihrer Kinder zerbrach. Sie reichte die Scheidung ein. Ich erinnere

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mich nicht mehr, wie das ganze ablief. Doch an eine Situation erinnere ich mich

noch genau. Der Tag, an dem wir meinen Vater verließen. Es war ein sonniger

Tag, an dem wir eine kleine, schwarze Katze gekauft haben. Sie hatte keinen

Schwanz. Ich war glücklich, dass wir endlich entflohen waren und ich spürte

keine Angst. In nur zwei Jahren hatte mein Vater beinahe alles zerstört. Icherinnere mich nur leicht daran, wie es war, ihn nach einem halben Jahr

wiedergesehen zu haben. Es war schlimmer mit ihm geworden.

THEATER VON KÖRPER UND GEIST

Im Jahr 1999 sah ich keine andere Lösung als mich einer psychologischen

Behandlung zu unterziehen. Ich hatte gerade die Welttournee von Vision

beendet und untersuchte den Tod meines Vaters. Mein Privatleben lag ich

Trümmern und meine Karriere blühte auf. In den gelben Seiten suchte ich einen

Therapeuten. Die ersten beiden konnte ich nicht erreichen, doch der dritte

Therapeut antwortete. Er hatte eine sehr weiche Stimme. Schon Jahre zuvor

hatte ich Bücher über die Psychologie gelesen. Tausende von ihnen. Ich nutzte

sie jedoch nicht als eine Art Selbstverteidigung. Sie gaben mir Gewissheit. Ich

sagte meinem Therapeuten, dass ich wisse, dass wir nun ein Interview

durchführen würden, damit er sehen kann, ob er mich behandeln wird. Er fragte

mich, woher ich das weiß. Ich wusste es aus den Büchern. Sie sollte später eine

erfolgreiche Therapie verhindern.

Als ich ihn zum ersten Mal besuchte hatte ich große Angst. Er meinte ich stehe

unter Schock und er fragte mich ob ich etwas zu essen oder zu trinken möchte.

Die Stunde verging sehr schnell und wir einigten uns auf einen Zeitplan. Ich

würde ihn ein Mal in der Woche besuchen. Er musste eine schnelle

Entscheidung treffen. Ob er mich behandeln oder an das Krankenhaus verweisen

würde. Endlich konnte ich die Therapie beginnen.

Am Anfang der Therapie nahm ich sie oft nicht wahr oder kam zu spät. Jukka

fragte mich oft, warum ich nicht komme und einmal wurde er sogar richtig

wütend. Ich schenkte ihm oft Bücher als Geschenk und fragte, was er über mich

dachte. In den ersten Jahren der Therapie redeten wir oft über Jesus und das

Universum. Aber nicht über mich. Wir saßen oft die ganze Stunde lang da und

redeten nur ein kleines bisschen. Und erneut war ich auf der Flucht. Ich fragte

ihn oft Sachen über ihn und wir redeten oft über sein privates Leben. Das ist

sehr ungewöhnlich gewesen. Und doch habe ich jedes Mal versucht über mich

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zu reden. Ukka sagte mir, dass ich viel Schrecken in mir trage und daher auch

die Angst kam über mich zu reden. Er hatte natürlich vollkommen recht.

Mein Leben veränderte sich. Ich durchlebte eine Scheidung und führte meine

Therapie fort. Oft hielt Jukka Seminare, die ich besuchte. Ich dachte es wären

Wochenseminare, doch ich habe sie lediglich einen Tag lang besucht. In diesenTherapien dachte ich oft, dass all die anderen Menschen verrückt wären und

dass ich fliehen musste. So begann ich die Einzelgespräche mit ihm sehr zu

schätzen. Ich entdeckte vieles über mich und begann meine psychischen

Probleme zu lösen.

Langsam entwickelte ich Verständnis für die Therapie. Es war eine lange und

schmerzhafte Erkenntnis. Mein Therapeut hatte einen sehr eigenen Humor.

Oftmals drehte er Angelegenheit so, dass ich vor Lachen brüllte. Es war tragisch

komisch. Er sagte, dass viele Leute zu diesem Zeitpunkt die Therapie abbrechenwürden, wenn so etwas passiert. Doch ich brach die Therapie. Etwas wurde in

gang gesetzt, dass nicht mehr gestoppt werden konnte. Etwas, dass später auch

zu meinem Zusammenbruch führen würde und mich an den zugefrorenen See

meiner Kindheit zurückbringen würde. Es würde dafür sorgen, dass ich mich

selbst entdecke. Ich begann Schmerzen zu empfinden und ich fragte Jukka ob so

eine Therapie aussehen würde.

Seine Antworten waren oft sehr vage und ich musste selbst darauf kommen. Oft

saß ich in meinem Stuhl und weinte. Er beobachtete mich nur und sagte nichts.Das machte mich sehr wütend. Dabei sah er nur zu, wie ich auf der Suche nach

meinem eigenem Ich war. Er beobachtete um mir zu helfen. Er sagte mir, dass

wenn die Therapie endet, jede Person entscheiden muss ob man so weiter leben

will oder nicht. Das Klang so Brutal für mich, dass ich wütend wurde. Aber er

hatte Recht. Er hat nichts Böses getan. Er wollte mir nur helfen. Und er weiß,

was er tat.

Meine Therapie endete 2004 als ich ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Noch

heute bin ich davon überzeugt, dass die Therapie mich am Leben gehalten hatteund dass ich sonst in die Fußstapfen meines Vaters getreten wäre. Ich habe

erkannt, dass ich viele Sachen wie er gemacht habe. Jukka fragte mich, ob ich

versuche ihn zu kopieren. Meine neurotische Struktur brach direkt zusammen.

Es musste zerbrochen werden, damit eine neue, gesündere Struktur entstehen

konnte. Das alte musste sterben um den Platz für etwas Neues zu erschaffen. Ich

weiß nicht wie lange es gedauert hat und ich konnte mich nicht darauf 

vorbereiten. Es war ein langer Kampf und die Gefühle von 20 Jahren wurden

behandelt. Ich begann zu fühlen. Es war ein Prozess. Wie alles im Universum.

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Die Therapie hatte mir mein Leben gerettet. Ich begann vieles zu verstehen und

entdeckte viel. Ich kann nicht leugnen, dass vieles davon mir erst klar wurde, als

die Therapie beendet war und dass sie meine Musik sehr beeinflusst hat. So

wurden die Songs für das Infinit-Album sehr davon beeinflusst, was ich in der

Therapie durchlebte und erkannte. Vielleicht war es die Entfaltung meinerPersönlichkeit. Jedenfalls geschah dieser Vorgang unbewusst. Dasselbe geschah

bei dem Album Elements Pt.1. Diese beiden Alben sind sehr wichtig für mich.

Nachdem ich die Sitzung beendete, besuchte ich sie noch einmal in 2006. Zu

diesem Zeitpunkt wurde ich wegen meiner Krankheit neu eingestellt. Es war die

letzte Therapie für mich.

SUIZID

Es war am 10. März 1978 als mein Vater das Dasein auf diesem Planeten

beendete. Ich war 12 Jahre alt und hatte ein neues Zuhause. Es war kleiner als

das andere, da meine Mutter es sich nicht anders leisten konnte. Ich teilte mir ein

Zimmer mit meinem Bruder. Es war ein schöner Ort. Mitten in der Natur und

nicht weitentfernt vom Meer. Ich hörte noch immer gerne Abba. Mittlerweile

auch die Beatles. Ebenfalls mochte ich den Humor und die Musik von John

Lennon. Er wurde so wichtig für mich wie Abba. Ich lernte Songs von beiden

Musikern. Die Scheidung meiner Eltern nahm mich sehr mit. Ich suchte

Zuflucht in der Natur und in der Musik. Ich hatte nicht viele Freunde in diesem

alter. Und obwohl ich schon mit viel Gewalt konfrontiert war, so wusste ich

dennoch nicht, wie ich mit dem umgehen sollte, was geschehen würde.

Mein Vater lebte nicht weit von mir und meinem Bruder entfernt. Es waren

vielleicht 2 Kilometer. Wir hatten ein Abkommen, dass ich ihn jedes zweite

Wochenende sehen würde. Doch so kam es nicht immer. Ich erinnere mich an

die ersten Besuche bei ihm. Wir saßen gemeinsam vor dem Fernseher und er

streichelte meinen Kopf. Ich erinnere mich noch an diese Berührung. Es war

eine der wenigen und positiven Erinnerungen aus dieser Zeit. Es hatte sich viel

geändert. Er hatte eine neue Freundin, welche auch ein Kind hatte. Ein Sohn von

acht Jahren. Die Atmosphäre war alles andere als glücklich. Die Familie machte

dasselbe durch, die wir zuvor durchgemacht haben.

Im Jahr 1998 war ich daran interessiert, wie all das mit meinem Vater geschehen

ist. In Finnland haben wir das Recht, alles über den Tod eines Verwandten

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herauszufinden und ich wollte wissen, was wirklich los war. Also kontaktierte

ich die Polizei und die Krankenhäuser um Informationen zu bekommen. Ich

erhielt eine Menge Dokumente und konnte mir ein Bild von dem machen, was in

den letzten Tagen und Wochen geschehen ist.

Zweimal wurden Sanitäter gerufen, da er betrunken und auf Beruhigungsmittelwar. Sein herz blieb stehen, doch man konnte ihn reanimieren. Zu diesem

Zeitpunkt, sah niemand das kommen, was unausweichlich war. Das ist für mich

heute unverständlich.

Einen Tag vor seinem Selbstmord kaufte er sich eine Flasche Cognac und nahm

ein Taxi zum Sommerhaus unserer Familie. Er betrank sich und schlug die

Fenster ein. Alles war mit seinem Blut bedeckt. Er schlief mit einer brennenden

Zigarette ein und nach kurzer Zeit stand das Haus in Flammen. Es kam Hilfe

und man konnte ihn im letzten Moment aus dem brennenden haus ziehen. Alleswurde zerstört. Er wurde in ein Krankenhaus gebracht, indem seine Wunden

behandelt wurden. Anschließend brachte man ihn zur Polizei, wo er wegen

Einbruch festgehalten wurde. Doch die Polizei fand heraus, dass er Teil der

Besitzerfamilie war.

Er wurde verhört und versuchte sich in der Zelle zu suizidieren. Mittels

Glühbirne und dem Nutzen von Elektrizität. Dies gelang jedoch nicht, da ein

Polizist es mitbekam. Anschließend wurde er von seinem Vater, meinem

Großvater, abgeholt. Er war der Kopf des Familiengeschäfts und ich denke, dassseine Reaktion meinen Vater endgültig in den Selbstmord trieb. Er war wütend.

Er nahm ihn mit nach Hause und sagte ihm, dass er ihn kündigen würde. Er

nahm ihm seinen Dienstwagen ab. All diese Dinge erfuhr ich durch die

Dokumente.

Ich war erst seit einer Woche 12 Jahre alt. Mein Vater nahm mich mit in einen

Laden und kaufte mir ein Aquarium. Es war ein wirklich liebevolles und

wunderbares Geschenk, da ich mich sehr für die Natur und das Wasserleben

interessierte.Es war der Morgen des 12. März 1978. Es war der letzte Tag in meinem Leben,

wie es vorher war. Und es war der Tag, der alles für immer verändern würde.

Nie wieder würde ich auf diese Welt blicken, wie ich es zuvor getan habe. Es

war ein kalter Wintertag und ich machte mich um 7:30 auf den weg zur Schule.

Meine Route erstreckte ich über zwei Kilometer. Fast jeden Tag sah ich das

Haus meines Vaters. Es lag kurz vor meiner Schule. An diesem Tag ging ich

einen leicht veränderten Weg. Dies tat ich zum ersten Mal. Ich erinnere mich

noch genau daran, dass ich einen klaren Gedanken hatte: "Gehe in die andereRichtung." Der Weg, den ich ging führte mich direkt am Haus meines Vaters

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vorbei. Ich ging diesen Weg zum ersten Mal. Als ich sein Haus passierte, blickte

ich hinauf. Ich schaute zur vierten Etage des Gebäudes, wo mein Vater mit

seiner neuen Familie lebte. Zu meiner Überraschung sah ich ihn am

Schlafzimmerfenster, wie er auf die Straße blickte. Ich winkte ihm zu, doch er

bemerkte es nicht.

Ich wusste nicht, dass ich ihm zum Abschied winkte.

Ich hatte einen Gedanken. Geh hinein! Doch ich ignorierte den Gedanken und

setzte meinen Weg in die Schule fort. Sie lag nur 200 Meter entfernt. Die erste

Stunde begann. Zwischen den Stunden hatten wir immer eine zehnminütige

Pause, die wir im Freien verbringen konnten. Es war 8:55 und ich sah, wie ein

Krankenwagen und ein Polizeiauto in die Richtung fuhren, in der mein Vater

wohnte. Die gesamte Schule lief ihnen hinterher. Doch ich nicht. Ich wusste es.Ich wusste auf eine eigenartige Weise, was geschehen war. Als die Leute

zurückkamen, fragte ich, was geschehen sei. Sie sagten, dass ein Mann in den

Tod gesprungen wäre. Ich erkundigte mich nach der Kleidung des Mannes und

die Beschreibung passte auf das, was mein Vater oft trug. Als der Unterricht

wieder begann, fragte ich meinen Lehrer ob ich nach Hause gehen dürfte, da ich

mich krank fühlte. Ich rannte den gesamten Weg. Als ich am Haus meines

Vaters vorbeikam, sah ich wie der gesamte Bereich mit Blut bedeckt war.

Zuhause angekommen war ich alleine. Niemand war da, weshalb ich beimeinem Vater anrief. Es meldete sich eine weinende, weibliche Stimme. Dies

war für mich die endgültige Bestätigung. Ich wusste, dass mein Vater gestorben

war. Meine Großmutter hohle mich ab und brachte mich zum Haus meines

Großvaters. Die gesamte Familie war versammelt. An den Rest des Tages

erinnere ich mich nicht.

Als ich die Polizei um die Dokumente gebeten habe, erfuhr ich, dass es auch

Fotos gab. Es ist normal, dass von einem Tatort Fotos gemacht werden. In

Fällen eines Suizids braucht die Polizei nichts anderes um ein Fremdwirken oderein Verbrechen auszuschließen. Der Polizist sagte mir, dass es sieben Bilder

gab. Auf zweien davon sei der Leichnam meines Vaters zu sehen. Eine

Aufnahme aus der Ferne. Eine aus der Nähe. Ich bat um alle Aufnahmen. Außer

die, auf denen ich meinen Vater sehen konnte. Ich fragte den Polizisten, ob sie

schlimm sind. Doch dies konnte er mir nicht beantworten. Als ich den Umschlaf 

öffnete bekam ich einen Schock. Ich sah nur Blut. Und in einem Bild erkannte

ich meinen Vater. Er lag im Schnee und trug das Outfit, dass er Zuhause immer

trug.

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Am Morgen verließ seine Freundin das Haus um 7:00 und ging zur Arbeit. Es

war der Tag, nachdem mein Vater gekündigt und von der Polizei entlassen

wurde. Wie bereits beschrieben verließ ich mein Heim um 7:30 und erreichte

sein Haus um 7:45. Dies war nur eine Stunde von seinem Tod entfernt. Ich war

der letzte Mensch, der ihn lebend sah. Was in dieser Stunde geschah wurde miraus den Unterlagen der Polizei klar.

Er ging in die Küche und nahm sich ein Filetmesser. Dann ging er ins Bad und

setzte sich in die Badewanne. Er schnitt sich die Arterien auf beiden Armen auf.

Er setzte das Messer am Ehering an. Keiner weiß, wie er das genau gemacht

hatte. Anschließend legte er das Messer ordentlich in den Shampoo-Halter. Am

Ende war die Wanne mit 5 Zentimetern Blut gefüllt. Da kein Wasser in der

Wanne gefunden wurde, muss es sich beinahe um sein gesamtes Blut gehandelt

haben. Von den Fotografien aus konnte man erkenne, dass er, vermutlich ineinem Zustand des Schocks, aus der Badewanne ausstieg und sich ins

Schlafzimmer begab. Überall waren Blutflecken, als er sich auf das Bett saß.

Anschießend ging er auf den Balkon neben dem Schlafzimmer. Er setzte sich

auf das Geländer und verlor nach einiger Zeit den Halt. Als er auf den Boden

aufschlug war er sofort tot. Der Zeitpunkt seines Todes war 8:45

Die Bilder waren sehr schrecklich, doch ich musste sehen, was sich vor 20

Jahren abgespielt hatte. Es ist mir sogar gelungen seine Freundin zu finden und

mit ihr zu reden. Sie erzählte mir das, was ich schon vorher wusste. Es gabkeinen Abschiedsbrief. Mein Vater hatte eine Lebensversicherung

abgeschlossen, die auf meinen Bruder und mich lief. Zuvor hatte er sie jedoch

auf seine neue Familie umgeändert. Sie erzählte mir, dass die Zeit mit ihm sehr

schlimm war und sie über das Ende der Beziehung nachdachte. In seiner letzten

Nacht auf Erden hatte er kaum geschlafen und war sehr unruhig. Wahrscheinlich

hatte er bereits die Entscheidung gefasst. Sie sagte mir, dass sie nachts

aufwachte und drei Zeichen neben dem Bett sah. Da ich dachte, mein Besuch

störe sie, verließ ich sie. Ich glaube, sie hat mir nicht alles erzählt.Die Beerdigung fand wenige Woche später statt. Ich erinnere mich an das

Krematorium und an den weißen Sarg. Ein Priester sagte etwas und wir legten

Blumen auf den Sarg. Ich erinnere mich nicht daran, was meine Mutter sagte.

Sie meinte, es wäre eine Beerdigung zum Abschied gewesen. Doch ich verstand

das alles nicht. Ich war 12 Jahre alt und stand unter Schock. All das würde noch

lange zeit brauchen, bis ich es verstehen würde. Ich veränderte mich und hörte

auf, den Menschen zu vertrauen.

Und so wurde mein Vater zu Grabe getragen, wie man hier sagt. Doch dasLeben ging weiter. Nichts war wie vorher. Ich habe es irgendwie geschafft all

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das vor meinem Bewusstsein zu verbergen und es dauerte 20 Jahre, bis es

wieder ans Licht kam. Meine Mutter nahm mich mit zu einer

Kinderpsychologin. Doch sie konnte zu diesem Zeitpunkt nichts tun. Sie sagte

nur, dass ich eines Tages damit Leben könne. Und sie hatte recht.

Das Leben mit bipolarer Störung

 

Als meine Krankheit das erste Mal diagnostiziert wurde, dachte ich, ich könnte

es nicht schaffen. Ich spürte angst, Hilflosigkeit und Verzweiflung. Doch dann

bekam ich die richtigen Medikamente. Doch noch heute habe ich oft diese

manischen Episoden und auch das Paranormale sollte nicht unerwähnt bleiben.

Es kann Jahre dauern, bis der Körper sich erholt hat und man hat wenig Ruhe,

was ein wahrer Luxus wäre. Es ist nicht leicht mit dieser Krankheit zu leben. Esist, als würde die Kerze des Lebens von beiden Seiten ausbrennen. Viele

Menschen denken, man sei verantwortlich für eigene Handlungen, doch das

stimmt nicht immer. Bei einem Krebskranken würde man das nicht denken.

Selbst vor Gericht sind manche Taten bei Erkrankten unwirksam. Ich denke,

dass es falsch ist Menschen mit bipolarer Störung für Taten verantwortlich zu

machen. Wir Menschen funktionieren dann nur nach unseren Trieben. Alleine

die Selbstmordrate von 25% bei Erkrankten weist auf die Ernsthaftigkeit der

Krankheit hin. Es gibt nur Triebe und Instinkt. Kein rationales Denken. Ich warbeim Aufnehmen des schwarzen Albums die meiste Zeit alleine im Studio.

Umgeben von Bohr- und Explosionsklängen, finanziellen Schwierigkeiten,

einem gescheiterten Aufnahmestudio, dem Banddruck sowie allem anderen, was

in meinem Leben los war. So verbrachte ich Weihnachten 2004 am Arbeiten mit

Jörg Michaels Tonproben. Nur acht Monate vorher hatte ich einen

Nervenzusammenbruch. Ich habe sehr hart zu dieser Zeit gearbeitet. Vielleicht

zu hart. Es ist ein Wunder, dass dieses Album wirklich fertig geworden ist.

Menschen wie ich, die das Glück auf Therapie und die richtigen Medikamentehaben können ein relativ normales Leben führen. Doch sie sollten nicht zu hart

arbeiten, was meine Arbeit definitiv nicht ist. Alleine die Arbeit in einer

Rockband und das Tourung ist sehr schwer.

Ich nehme am Tag vier Tabletten von Lithiumcarbonat. Das sind am Tag 1,2

Gramm und im Jahr ca. 350 Gramm. Angesichts, das meine Musikrichtung

Metal heißt, ist das ganze sehr ironisch. Ich hatte das Glück nicht gestorben zu

sein, bevor meine Medikamente gefunden wurden. Ich fühle mich mit meinen

Medikamenten sehr müde. Manische Episoden bleiben teilweise aus und ich willnicht sagen, dass die Medikamente die Traurigkeit und die Depression

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wegnehmen. Es gab noch immer Zeiten, in denen ich schwarze Depressionen

hatte und ein halbes Jahr lang im Bett lag und geweint habe. Denn für diesen

Schmerz gibt es oft rationale Gründe.

Eine Menge Künstler haben diese Krankheit. Ernst Hemingway und Virginia

Wolfe begangen beide Suizid. Beethoven und Cobain hatten es. Wenn es einenGrund für mich gibt dieses Buch zu schreiben, dass ist es, weil ich die

Geschichte eines Mannes erzählen will, der heute noch hier ist um sie zu

erzählen, obwohl er viel durchgemacht hat. Ich habe immer offen über meine

Krankheit gesprochen und bin damit in Interviews auch an die Öffentlichkeit

gegangen. Grund dafür war es, anderen, die diese Krankheit haben, die

Hoffnung zu geben, weiter zu machen. Ich bekomme oft Nachrichten von

Leuten, die leiden. Ich versuche oft ihnen zu helfen und nehme mir die Zeit

dafür. Ich glaube nicht, dass ich Jesus bin. Nicht mehr. Ich habe nicht mehr dieArroganz, dass ich denke, die Welt könne gerettet werden. Die Welt ist einfach

und ich habe Begriffen das auch in nur ein Tropfen im Ozean bin.

Aufgewachsen im Wald der Vögel und das Finden eines Rettungsbootes

 

Im Spätsommer des Jahres zogen wir weg von all den schlimmen Sachen. Ich

wechselte die Schule, doch musste ich dieses Schuljahr noch an derselben

Schule beenden. Ich erinnere mich daran, wie viel Angst ich hatte in die Schule

zurückzukehren und schämte mich für die Taten meines Vaters. Doch die

Menschen gingen sehr behutsam mit mir um. Lehrer, die vorher streng waren,waren jetzt sehr nett zu mir. Sie nahmen eine traurige und verständnisvolle

Haltung ein. Ich genoss die Aufmerksamkeit, die man mir zu kommen ließ. Ich

begriff irgendwo tief in mir, dass die Ereignisse sehr schlimm gewesen sind.

Doch sie waren viel zu schlimm, als dass ich sie hätte in den jungen Jahren

verstehen können.

Ich verbrachte einen großen Teil des Sommers 1978 in einer melancholischen

Einsamkeit, die später Teil meines Charakters werden sollte. Ich verließ am

Morgen das Haus und kehrte erst am Abend zurück. Ich war oft alleine. Ich gingan das Meer und blickte auf die See und starrte in die Leere. Ich fühlte sie und

brachte sie mit meinem Vater in Verbindung. Manchmal ging ich in den Wald.

Ich beobachtete die Natur bis ins kleinste Detail. Das glitzern den Blättern nach

dem Regen oder die verschiedenen Arten von Fischen. Ich fühlte mich in der

Natur beheimatet und fühlte keine Gefahr. Ich begann mich von der Menschheit

abzuschotten. Die Menschen kamen mir unberechenbar und nicht

vertrauenswürdig vor. Doch mir war klar, dass ich in der Zukunft noch viel mit

ihnen zu tun haben werde. Das waren große Gedanken und große Fragen füreinen 12-jährigen Jungen.

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Neben der Natur bot mir auch die Musik ein Zuhause. Ich füllte meine zeit mit

Abba und den Beatles. Ich erinnere mich daran, dass ich über den Verlust

meines Vaters weinte, als meine Mutter zur Arbeit ging und ich alleine zu Hause

blieb. Es war das Weinen eines kleinen Jungen, der im Netz der Spinne

gefangen war. Ich erinnere mich daran, wie ich Orgel gespielt habe. Dies warennur einige Monate nach dem Tod meines Vaters. Ich spielte und weinte dabei.

Ich sang einen eigenen Text. Er lautete "Papa warum hast du mich verlassen?

Papa ich liebe dich." Dieselbe Melodie wurde zum Anfang des Liedes

"Destiny". Gesungen von einem kleinen Jungen aus dem Chor Cantores

Minores. Der Chor, der auch später in diesem Lied singen würde. Dies war

meine erste Komponisation. Dabei wusste ich nicht einmal was komponieren

eigentlich ist. Ich weinte und spielte. Und auch in der Zukunft würden viele

Lieder diese Traurigkeit in sich tragen.Dann zogen wir an einen neuen Ort um einen Neuanfang zu machen. Er lag nur

40 Kilometer von meiner alten Heimat entfernt. Würde man es aus dem

Finnischen übersetzen, so würde der Ort "Vogelwald" heißen. Es war ein

wirklich wunderschöner Ort. Wir hatten einen Pool und ich hatte mein eigenes

Zimmer. Ein alte Birke, sie war riesig, stand nur wenige Meter entfernt und die

Blätter hingen über meinem Fenster, was mir ein Naturgefühl gab. Ich liebe

mein Zimmer. Ich hatte mein Aquarium, was mein Vater mir geschenkt hatte.

Dennoch habe ich mich zurückgezogen und die Natur erkundet. Ich fand vieleOrte, die ich mochte.

Ich erinnere mich, dass sehr oft nachts ohne besonderen Grund Angst. Die Angst

war in mir. Ich erinnere mich, an etwas sehr verängstigt. Ich hatte Träume, in

denen ich fliegen hoch über der Welt war und dann plötzlich zu fallen begann.

Ich fiel sehr langsam und erreicht den Boden und ich erinnere mich wirklich das

Gefühl meine Füße den Boden berühren, in dem Traum. Es fühlte sich so real

ist. An dieser Stelle die schrecklichen Ereignisse, die sich einige Monate oder

ein Jahr zuvor waren aus meinem Bewusstsein geschoben. Ich bin sicher, siebeeinflussen mich und mein Leben, aber ich hatte keine Kenntnis von ihnen

direkt. Vielleicht ist diese Angst war eines dieser Dinge. Ich wollte nicht mehr

weinen, ich fühlte mich eher eine melancholische Sehnsucht, wie ich es nenne.

Aber das Gefühl hatte kein Objekt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich für

 jemanden sehne. Ich hatte einfach Lust, dass.

Ich hatte keine Freunde. Eines Tages wurde mir mitgeteilt dass ein neuer

Schüler aus Lappland zu uns kommen würde. Er hieß Mikka und wir wurden

sehr schnell Freunde. Er spielte Klavier und seine Eltern waren sehr religiös. Erredete oft mit mir über Gott, was mich damals nicht interessierte. Wie spielten

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zusammen Gitarre und Klavier. Wir spielten zusammen in seinem Haus und es

fühlte sich so gut an. Wir spielten am Ende des Jahres oft als Duo. Sieben Jahre

später würde er für kurze Zeit der Keyboarder von Stratovarius werden.

Dann hörte ich von einer Band namens "The Shadows" deren melodische

Instrumentalmusik mich verzauberte. Ich bekam eine E-Gitarre um ihre Liederzu lernen. Sie war von der Marke Aria. An den Verstärker erinnere ich mich

nicht mehr. Ihre Musik war schön und aufregend. Ich verliebte mich in sie.

Schon bald konnte ich ihre Alben spielen und die Musik gab mir eine Identität.

Drei Bands füllten meine Welt. Shadows, Beatles und Abba. Eines Tages lief im

Radio "Smoke on the Water" von Depp Pruple. Der Riff war so magisch und ich

konnte nicht glauben, was ich da hörte. Ich war richtig stark von Deepr Purple

und Rainbow, vor allem aber von Ritchie Blackmore besessen. Er wurde mein

Idol. Er wurde mein Held. Durch das Erbe meines Vaters konnte ich mir einenFendo-Stratocaster kaufen. Ich war 14 Jahre alt, als ich in bekam. Meine Tage

waren von Musik erfüllt. Ich hatte einen kleinen Ferienjob im Laden meiner

Familie und musste einige Sachen transportieren. Es war ein schwerer Job. Ich

musste Kühlschränke und Waschmaschinen tragen. Aber ich verdiente Geld und

konnte mir eine neue Stereoanlage kaufen und meinen Verstärker durch einen

besseren ersetzen. Ich war im 7. Himmel und fing an Gitarrenunterricht zu

nehmen. Ich lernte Musikstile und Theorie. Ich spielte viel mit Mikka im Duo.

Ich spielte "Toccata und Fuge in d-Moll" in einer Kirche und sah mein Bild ineiner lokalen Zeitung, in der ich gelobt wurde. Ich spielte am Schulfest vor 500

Menschen. Ich hatte keine Angst. Die Gitarre war mein Rettungsboot. Es half 

mir weiterzumachen. Die Gitarre gab mir eine Identität. Doch später lernte ich,

dass dies keine wahre Identität war. So wie eine Blume keinen Asphalt

durchbrechen kann, so kann es auch ein Mensch nicht. Das gilt auch für die

Dinge, die wir in uns tragen.

Im Vogelwald begann meine musikalische Karriere. Ich machte viele Ausflüge

in die Natur und kümmerte mich um mein Aquarium. Ich las Bücher vonLorentz und Konrad über das Verhalten von Tieren und Territorialität. Ich sah

keine großen Unterschiede zwischen Menschen und Tieren. Mich begeisterte die

TV-Serie "World War 2". Ich schaute sie mit einem reinen Unglauben. Ich

konnte nicht verstehen, wie 80 Millionen Menschen getötet wurden und warum.

Es machte keinen Sinn für mich. Ich verstand auch das Konzept von Grenzen

nicht, die den Angriff eines anderen Landes verhindern sollten. Sie existierten ja

nicht wirklich und taten es trotzdem. Und warum die Grenze geschützt werden

muss. Und warum man etwas namens Armee damit beauftragte. Ich begann einsehr düsteres Bild von Menschen zu haben.

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Im Dezember 1980 wurde John Lennon, mein Held, kaltblütig von Hinten

erschossen. Nur wenige Stunden vorher gab er ein Interview in dem es darum,

ging, was es bedeutet, wenn ein Pazifist erschossen wird. Für mich als Fan war

das eine Katastrophe. 26 Jahre später besuchte ich während einer Tour seinen

Todesplatz in New York. Ich besuchte die Strawberry Fields neben seinem Hausund die Gedenkplatte.

Irgendwann fand ich mich mit einigen Leuten zusammen, die die ähnliche Art

Musik spielten uns wir bildeten einige Bands und machten ein paar Gigs. Eine

der Bands hieß Roadblock und hatte den Drummer Tuomo Lassila, späteres

Stratovarius Mitglied, am Gesang. Eine andere Band war Thunderbird. Wir

spielten meistens Covers und ich fand heraus, dass Mädchen viel mehr an Jungsinteressiert sind, wenn sie in einer Band spielen. Vielleicht lag das am Image.

Ich war nicht sehr an Mädchen interessiert, da ich sehr schüchtern war. Ich

erinnere mich, dass mich mit 15 Jahren ein Mädchen anrief und fragte ob sie

mich besuchen kommen dürfte. Ich stotterte. Sie hatte blondes Haar und war

recht klein. Ich war sehr groß. Sie besuchte mich und saß auf der Couch. Ich saß

auf einem Stuhl gegenüber und drückte mit einem Kissen auf den Schoß. Sie

sagte mir, dass ich nicht viel rede, was ich ihr bejahte. Ich wusste nicht was ich

sagen sollte. Sie meinte, ich täte ihr Leid, weil sie mich immer alleine sieht. Ichmachte Musik an. Es war "The Wanderer" von Donna Summer. Sie verließ mich

irgendwann und wir umarmten und küssten uns. Es fühlte sich schön an. Es war

mein erster Kuss. Ich sah sie nie wieder.

Im Jahr 1984 bekam ich einen Anruf mit der Bitte Startovarius beizutreten. Ich

willigte ein und fand eine große Identität darin. Zwei Jahre später kaum auch

Mikka dazu, verließ uns jedoch kurz vor unserem platten vertrag mit CBS. Ich

sah ihn 10 Jahre nicht, doch wir blieben in einem knappen Kontakt. Ich weiß

heute noch nicht, warum er ging. Im Jahr 2005 hatte er versucht sein Leben zu

beenden. Er wollte einen Autounfall bauen. Er wurde in eine Psychiatrie

eingewiesen. Ich schickte ihm Cd-Player, Cds und Bücher. Er schickte mir

verstörte Briefe in denen er meinte Gott für den Rest seines Lebens dienen zu

wollen. Er klagte über die Dinge, mit denen er auch mit 14 zu tun hatte. Nach

der Therapie ging er zu seinen Eltern zurück. Ich war im Urlaub in Dubrovnik

als ich im Sommer 2005 eine SMS von ihm bekam: "Wie geht es dir?" Ich habe

nie reagiert. Heute wünschte ich, ich hätte es getan. Eine Woche später sprang er

vom Balkon seines Elternhauses und starb sofort. Mein Freund war gestorben.

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Ich wurde nicht auf die Beerdigung eingeladen und hatte nicht die Kraft sein

grab zu besuchen. Er war ein sensibler Kerl. Es ist schmerzhaft- Er wurde von

den Dornen des Lebens verwundet. Und obwohl er ein Keyboarder von

Weltklasse war, so dachte er immer, er ist ein Niemand. Ich bin mir sicher, er

würde noch leben, wenn wir zusammen Musik gemacht hätten. Vielleicht werdeich eines Tages den Mut haben an sein Grab zu gehen. Ich vermisse ihn so sehr.

GITARRE, MUSIK, RUHM UND EHRE

 

Die Überschrift ist absichtlich provozierend. Die ersten beiden Worte sind echt.

Die folgenden zwei nicht.Als ich anfing Gitarre zu spielen, gab es mir eine echte Identität und ich bekam

ein echtes Gefühl dafür. Doch es war eine einsame Identität. Mir war nicht klar,

dass ich eine vollständige Identität nur dann bekommen würde, wenn ich mich

selbst als das akzeptiere, was ich bin. Und ich war weit davon entfernt. Ich

imitierte andere Spieler und ihre Stile anstatt etwas zu erschaffen, das wirklich

mich widerspiegeln würde. Musik zu schreiben war kein bewusster Prozess für

mich. Am Anfang übte ich Richie Blackmore und kleidete mich wie er.

Üben klingt im Kontext der Musik, als hätte es etwas mit Musik zu tun. Als ichbegann mehr über mich zu lernen, begann die Musik einfacher und freier aus

mir zu fließen. Ich schalte mein Gehirn aus und lasse die Musik strömen. Im

Jahr 2009 und 2010 habe ich in Südamerika und Europa einige Seminare zu

diesem Thema gehalten. Es basisierte auf meinen Erfahrungen. Leider ist es

schwer, etwas zu lehren. Aber nicht unmöglich, denn wir haben alle die nötigen

Gefühle und Emotionen in uns. Sie verbinden und mit Musik. Musik hat viel

damit zu tun. Und doch sprechen die Leute darüber. Es wird nur gefragt, wie ich

so schnell spielen kann. Nun, Musik ist eben nicht mechanisch. Jedes Instrumentspiegelt die Identität eines Spielers wieder. Und wenn sie nicht wissen, was ein

Charakter ist, so können sie auch keinen Kontakt mit ihren Emotionen herstellen

und diese nicht vollständig durch ihr Instrument zum Ausdruck bringen.

Als meine Band immer beliebter wurde und ich um die ganze Welt kam um vor

tausenden Leuten zu spielen, lernte ich viel über Ruhm und Ehre. Ich wurde

Gott und Meister genannt. Erst später begriff ich, was dadurch passieren kann.

Es gibt viele Musiker, die denken, sie wären Gott. Viele traurige Beispiele. Ich

habe gelernt, dass ein Musiker eher ein Entertainer ist. Man wird als Musikergeboren.

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Als Entertainer bedeutet es für mich, für Personen an einem Ort zu spielen, weil

sie mich spielen hören und sehen wollen. Es ist ein Austausch von Energien und

ich diene diesen Menschen. Es bedeutet schließlich, meine Gefühle durch Musik

auszurücken. Dies gefällt dann einer gewissen Gruppe von Menschen. Ich diene

ihnen mit meiner Musik. Ich schreibe meine Musik nicht, um bestimmtenPersonen zu gefallen. Würde ich das tun, wäre es nur ein Schwindel. Ich

schreibe die Musik für mich. Ich gehe in mich und lasse die Musik fließen. Ich

bringe sie zur Welt, weil sie geboren werden will. Es ist wie eine

Empfangsaufnahme, wenn ich diese Musik komponiere. Ich tue das nicht mit

unzähligen Stunden an Wartezeit für Inspiration. Ich komponiere direkt von

meiner Quelle aus. An dieser Stelle ist es etwas, das nur mir gehört. Es ist ein

sehr intimer Prozess. Wenn es dann dazukommt, dass die Musik aufgenommen

wird, dann hängt es von den Mitwirkenden und ihrem Grad der Sensibilisierungab, wie die Aufnahme wird. Egos ekeln mich an. Und ich habe oft mit ihnen

gekämpft. Man darf das Ego nicht über sich selbst siegen lassen. Es ist sehr

schlau und flüstert dir jeden Tag ins Ohr. Einige Male habe ich seiner hässlichen

Stimme gefolgt und wurde betrogen. Darauf habe ich gelernt. Wenn ich diesen

Satz schreibe, spüre ich die Angst, die ich vor meinem Ego habe.

Ich habe knapp 3000 Shows gespielt und habe dabei viele Länder und Kulturen

kennen gelernt. Ich habe gesehen, wie sie sich alle voneinander unterscheiden.

Doch die wundervollsten Momente, waren die Gespräche mit den Fans. Siehatten oft Berührungsängste, aber es war immer okay, wenn sie kamen und mit

mir sprachen. Es gab viele berührende Gespräche. Einmal habe ich mit einem

Vater und seinen zwei Kindern, beide spielten Gitarre, geredet. Sie wunderten

sich, dass ich eine Stunde lang mit ihnen geredet habe. Ein anderes Mal habe ich

einen Jungen kennengelernt, dessen Freundin ihn verlassen hat. Er war Sänger.

Ich forderte ihn auf auf die Bühne zu gehen und zu singen. Nach der Show

redete ich mit ihm und er fühlte sich angenommen und behütet. Jemand hörte

ihm zu. Er war zu Tränen gerührt. Und als er begann zu singen, da schloss er dieAugen. Diese Momente kommen nicht wieder und es gibt dem Leben als

Entertainer einen Sinn. Als Musiker. Als menschliches Wesen. Man ist bemüht,

seine Kraft für andere zu nutzen. Ich habe in den Jahren viele Briefe von Leuten

erhalten, die mir für meine Musik danken und mir sagten, meine Musik hätte ihr

Leben gerettet und ihnen Kraft und Hoffnung zum Weitermachen gegeben.

Mein Ego würde dabei durchdrehen vor Stolz. Doch ich fühle mich lediglich

demütig.

Es gab Zeiten, da wachte ich im Bett des Tourbuses auf und lag in meinemeigenen Erbrochenen. Die meisten Shows zwischen 1996 und 2003 habe ich

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betrunken gespielt und das Trinken ging natürlich bis zum nächsten Morgen

weiter. Nun habe ich Alkohol seit vielen Jahren nicht mehr berührt und ich muss

sagen, dass sich alles viel Klarer anfühlt. Es ist anders, seine Gefühle beim

spielen auszudrücken, wenn man nicht betrunken ist. Es ist schwer, wenn man

nach 10 Bieren noch seine Gefühle ausdrücken sollte. Es war schwer, das Gott-Syndrom zu bändigen. Doch durch viele Lebensereignisse habe ich mich zur

Nüchternheit entschieden. Und ich war sehr erschrocken, als ich meine ersten

Gigs ohne Alkohol spielte. Ich fühlte mich wie ein Fisch auf dem Trockenen als

ich meine ersten, nüchternen Auftritte hatte. Ich fühlte mich nackt. Doch es gab

mir ein völlig neues Wesen als Entertainer. Es veränderte meine Musik und

mein Wesen komplett. Es war eine richtige Entscheidung und ich fühle mich

durch meine Musik gesegnet. Ebenfalls war es ein langer Weg. Doch nun bin

ich da, wo ich sein will. Ich fühle mich, als wäre ich Zuhause angekommen.

WO GEHÖRE ICH HIN?

Ich hatte nie das Gefühl der Zugehörigkeit, was sehr wichtig für Menschen ist.

In Finnland besuchte ich einmal eine Party, auf der 10 Chinesen eifrig

miteinander redeten, gestikulierten und lachten. Ich hingegen saß auf der Couch.

Als ich versuchte mich in das Gespräch einzubringen, konnte ich nur

Schwachsinn erzählen. Wohlgemerkt fand das ganze in Finnland statt, bei

finnischen Leuten, die uns eingeladen haben. Ich spürte eine Traurigkeit, da ich

keinen weg fand, mich in das Gespräch einzufügen. Stattdessen saß ich lediglich

auf der Couch und sagte nichts. Aber das ist mein Wesen.Ich sprach einmal meinen Therapeuten darauf an, dass ich ein Einsiedler bin.

Und langsam dämmerte mir, dass ich mich selbst isoliert habe. Es hab keinen

Platz, an dem ich mich beheimatet fühlte. Heimat ist nicht nur ein Gebäude. Es

ist keine einfache Erkenntnis. Intellektuell verstehe ich es. Aber das hilft mit nur

ein wenig. Vielleicht war ich wie E.T, der nach Hause wollte.

Ist es möglich zu akzeptieren, wer ich bin? Mit allem, was in mir steckt, bin ich

da noch ein lohnender Mensch? Ich denke die Antwort heißt ja. Aber das war

ein langer Weg durch die Wüste und oft habe ich gedacht, das wäre das Ende.Ich kann nicht mehr. Doch ich fand immer wieder grüne Oasen, die mir

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Hoffnung gaben. Ich traf einige Leute, die diese Hoffnungen stärkten. So traf ich

einmal auf einer Familie, die aus den Eltern und sechs Kindern bestand. Ich

verbrachte ein Wochenende in ihrem Haus und fühlte keinerlei Angst. Es war

eine wundervolle Erfahrung und als sie mich zum Flughafen brachten, da sagte

ich ihnen, dass sie wahrscheinlich gar nicht wissen, was sie für mich getanhaben. Sie haben mir Hoffnung gegeben.

Ich habe eine Menge Leute verloren auf dem Weg, mich selbst zu akzeptieren.

Wenn es zu einem Streit kommt, dann haben nur die wenigsten Leute dem Mut

dazu, sich selbst im Spiegel anzublicken und ihre eigene Rolle in diesem Streit

zu erkennen. Das ganze passiert auch bei Trennungen, Scheidungen und

Kämpfen. Nichts geschieht ohne Grund. Alles geschieht in einer Folge auf einen

Prozess. Wie oft hat man das Gefühl, man wird ungerecht behandelt? Wie oft

beginnt man Menschen deswegegen zu hassen? Aber wie oft hat man seineeigene Rolle in diesem "System" betrachtet? Wie viel hat man übersehen? Nur

wenige Menschen sind reif genug all das zu erkennen. Doch das wäre ein

Zeichen für eine gesunde Persönlichkeit. Wenn man fragt: "Welche Rolle habe

ich eigentlich? Was habe ich getan? Hätte ich etwas anders machen sollen?

Könnte das Ganze auch meine Schuld sein?

Als nächstes kommt ein schrecklicher Gedanke: "Könnte es möglich sein, dass

ich zu mir gehören?" Ich habe nie daran gedacht. Und doch ist es so einfach. Zu

wem sonst könnte man wirklich gehören? Ich liebe es Leuten Ratschläge zugeben. Ich habe oft wie ein Guru oder ein kluger Alter gehandelt. Das ist es, was

mir Spaß macht und was ich gut kann. Dass sie ihr Leben nicht so leben sollen,

wie ich meins. Aber was ist, wenn ich zu mir gehöre. Was würde es bedeuten,

wenn ich mich und meine Geschichte komplett akzeptiere? Wenn ich mir

vergebe und allen andere um Vergebung bitte? Doch dazu gehören immer zwei.

Wenn ich einen Menschen um Vergebung bitte, dann muss dieser Mensch selbst

akzeptieren, wer ich bin und muss einen eigenen Kampf darüber führen, ob er

mir vergibt oder nicht. Hierbei geht es nicht um mich, sondern um die anderePerson. Man muss sich selbst respektieren und lieben oder eben nicht. Und ich

denke, wenn man sich selbst liebt und respektiert, dann ist es auch nicht schwer,

andere zu lieben und zu respektieren.

In vielen meiner Depressionen habe ich mich schwach und verzweifelt gefühlt.

Ich habe einen Selbsthass entwickelt. Und in der Gesellschaft habe ich

zugegeben, schwach und lächerlich zu sein. Meiner Meinung nach sind viele

Menschen, die stark aussehen in Wahrheit nur arrogant und selbst sehr schwach.

Sie handeln nur in ihrer Rolle als der Große und Starke. Meiner Meinung nachgibt es nur einen Weg zu einem starken Charakter. Und das ist es zuerst

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schwach zu werden. Man muss den Pfad des Lebens verstehen und um das

trauern, was man verloren hat. In meinem Fall war es der Verlust meines Vaters

und meiner Kindheit. Und doch bin ich jedes Mal, wenn ich vor Leid auf die

Knie gegangen bin ironischer Weise sehr stark geworden. Es ist ein langsamer

und schwerer Weg. Aber das Leben scheint eben voller Paradoxien zu sein. Wiekann man von schwach aus stark werden? Das ist meiner Meinung nach ein

solches Paradox. Und es ist wahr. Wenn man leidet, so beginnt man andere

Menschen besser zu verstehen. Man toleriert sie und wird bescheidener. Man

darf nie vergessen, dass Diamanten nur unter einem sehr starken Druck

entstehen.

MENSCHHEIT

Albert Einstein sagte einmal, dass es zwei Sachen gibt, die Unendlich wären:

Die Dummheit der Menschen und das Universum. Doch beim Zweiten, da ist er

sich nicht sicher. Ich habe immer über das Universum, die Liebe oder über

spirituelle Fragen geschrieben, weil ich dabei immer ein richtiges Gefühl hatte.

Schon als ich ein Teenager war, habe ich mich für die Zerstörungskraft der

Menschheit interessiert. Den Anfang stellte die Serie "World War 2" da. Dannfolgten die Geschehnisse in meiner eigenen Familie und schließlich die

Erkenntnis meiner eigenen Destruktivität. Und schließlich verstand ich das

gesummt System dieser Dinge. Es wundert mich immer wieder, wenn Menschen

davon reden die Natur zu retten. Dabei ist sie viel mächtiger als wir es sind. Ich

denke, dass es bereits vor uns 5 oder 6 Kulturen gab und sie alle wurden Opfer

ihrer eigenen Handlungen. Nun haben wir der Natur in den letzten Jahren den

Rest gegeben. Wir haben alle möglichen Dinge entwickelt, die unser Leben

erleichtern. Wir haben Menschen auf den Mond geschickt. Wir haben den Marsund die äußeren Grenzen des Universums erforscht. Wir kennen wirklich viel.

Aber am wenigsten kennen wir uns. Wir haben nur wenig die wunderbaren

Mechanismen des Menschen untersucht. Aber warum ist unser Verhalten und

unsere Destruktivität ein unberührtes Tabu für uns? Warum darf man nicht

studieren, was vor 65 Jahren in den Konzentrationslagern geschehen ist? Warum

ist es ein Tabu die Nazibewegung zu studieren? Wir wissen, was geschehen ist,

aber nicht warum. Wie genau funktionieren die 6 Milliarden Menschen auf 

dieser Welt?

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Meine Sicht auf die Menschheit ist sehr pessimistisch. Wir wissen nicht, was wir

wollen. Wir reparieren unser Auto. Wir schneiden das Gras mit dem

Rasenmäher, weil es zu lang ist. Heute Abend spielen wir Poker. In nur 100

Jahren hat es sie industrielle Revolution geschafft eine unglaubliche Zerstörung

über die Welt und uns Bürger zu bringen. Wenn wir diese Welt anschauen, dannwirkt sie sehr kontrolliert und organisiert. Aber dass alles kann man übersehen.

Und man soll es nicht unbedingt verstehen. Wie ich schon geschrieben habe, ist

dieser Planet in Grenzen eingeteilt. Aber das ist nicht immer so gewesen. Es gab

eine Zeit, in der wir keine Grenzen und Pässe hatten. Pässe kamen erst nach dem

ersten Weltkrieg. Und in diesen Grenzen leben Familien. Und da beginnt alles.

Wenn man in eine Familie hineingeboren wird, dann ist man noch so weiß wie

Schnee. Tabula Rasa. Ich frage mich, ob wir eine spirituelle DNA haben. Eine

DNA, die unsere Zukunft bestimmt. Wir werden frei geboren, unabhängig vonder industriellen Revolution. Und die Themen, die frei davon sind, sind:

Familie, Schule, Land und Religion. All das hat einen Zweck um Bürger für das

Land herzustellen. Die Kirche und die Religion lehren viel in der heutigen Zeit,

doch die Kernfamilie bleib unangetastet. Wieder zitiere ich Einstein:

Nationalismus ist eine Krankheit. Er ist wie die Masern der menschlichen Rasse.

Starke Worte von einem Mann, der später den Friedensnobelpreis bekommt.

Die Familie besteht am Anfang aus einer Mutter und einem Vater, die in einem

Umfeld aufgewachsen sind. Wahrscheinlich wird ihr Kind auf dieselbe Art undWeise aufwachsen und das in einem ähnlichem Umfeld. Und da beginnen

meiner Meinung nach die Probleme. Die meisten Eltern nicht, wie sie den

Kindern in ihrem Umfeld Sicherheit und Grenzen setzten. Stattdessen versuche

sie diese durch Angst und Strafe zu kontrollieren. Und da kommen die Bürger

her, die unseren Therapeuten soviel Arbeit geben. Aber Kinder sind weise und

stark. Sie geben nicht schnell auf. Aber die Machenerie der Gesellschaft ist

Rücksichtslos und irgendwann brechen die Kinder und verlieren ihre Identität.

Sie bekommen eine neue, die zu ihren Bedingungen passt. Aber diese Identitätist nicht die Richtige.

Weiter geht es in der schule, wo der Wettbewerb richtig losgeht. Wir werden an

Zahlen gemessen und uns wird Geschichte beigebracht. Niemanden interessiert

es wirklich, aber wir folgen der Schule. Doch was ist wenn nicht? Dann werden

uns unsere Eltern schicken. Und wenn nicht wird ein Teil der Gesellschaft

kommen und uns untersuchen um herauszufinden, warum wir nicht in die

Schule gehen und welcher Ort vielleicht besser wäre- Aber niemand stellt sich

die Frage, warum man in die Schule muss. Was bringt es uns zu wissen, wasNapoleon tat? Ich denke vielen Kinder sind bewusst, dass etwas nicht stimmt,

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und so richten sie sich gegen das System. Aber das ist vergeblich. Sie passen

sich langsam aber sicher an.

Ein Schulsystem, das nicht auf Wettbewerb ausgelegt ist, würde die einzelnen

Talente der Individuen besser zum Vorschein bringen. Aber dies würde keine

kleinen, braven Bürger hervorbringen."Kämpfe für dein Land", "Verteidige dein Vaterland". Ein Land ist ein

leistungsfähiges System und es ist in der Regel stark an die Kirche und die

Religion gebunden. Das ist eine sehr starke Kombination. "Gott schützt unser

Land". Hier finden wir erneut die Grenzen. Ich habe mich nie als eine finnische

Person gesehen, sondern als ein Bürger des Planeten Erde. Es gibt kein Land, für

das ich bereit bin. Aber die Kernfamilie und die Schule haben den Kindern heute

einen Weg geebnet einen Kontakt zu dieser Maschine, dem Land, herzustellen.

Und das Land ist dasselbe wie die Gesellschaft. Nationalismus könnte ohneLänder nicht existieren. Die Menschen sind stolz auf ihr Land. Und sie sind

stolz, zum System zu gehören. Einige beschweren sich darüber. Manche laut,

machen leise. Während ich das schreibe, gibt es unzählige Kriege. Die beiden

größten Kriege der Geschichte liegen keine 100 Jahre zurück. Es gibt Zeichen

dafür, dass die menschliche Rasse nichts aus ihren Fehlern lernt. Stattdessen

wird alles schlimmer und schlimmer.

Auch heute noch geschieht Völkermord. Das, was zurzeit von Hitler existierte,

ist auch heute noch da. Und die Menschen haben Angst. Wir wissen nicht, wasin der Zukunft passieren wird.

Die Kirche behauptet in all ihren verschiedenen Formen, sie zeige die Macht

Gottes hier auf Erden. Mit verschiedenen Geschichten haben sie viele Anhänger

um sich gescharrt. Wir Menschen hatten schon immer das Bedürfnis einen Gott

anzubeten. Manche Menschen kümmern sich nur bedingt darum. Andere

widmen dem ihr ganzes Leben. In einem meiner Songs stellte ich die Frage, was

gesehen würde, wenn die Religion nicht da wäre. Wenn es keinen Gott gäbe.

Wenn es keinen Rassismus und keine Waffen gäbe. Dies sind natürlich nurIdeen, aber was wäre, wenn es all das nicht gäbe? Es gäbe keine Angst. Denn

die Kirche nutzt immer die Angst. Meist nur im Verborgenem. Die Menschen

gehorchen viel besser, wenn sie Angst vor einem Jenseits haben, dass in Hölle

und Himmel unterteilt ist, und dass ihre Taten über ihren Aufenthalt in der

Ewigkeit entscheiden. Doch dann gibt es Menschen, die Atheisten sind oder an

New-Age-Arten der Religion glauben. Es gibt so viele Religionen, und doch

erzählen sie alle die selbe Geschichte. Es gibt Menschen, die meinen geistlich zu

sein. Es gibt viele verschiedene Überzeugungen und Systeme. Aber warumwerden die Dinge immer schlimmer? Sollten sie nicht besser werden?

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Jeden Tag sterben 20.000 Kinder an Hunger oder an heilbaren Krankheiten.

Mehr als die Hälfte der Welt muss am Tag von weniger als 24 leben. Und

dennoch werden jährlich mehrere Milliarden in die Kriegsmachenerie gesteckt.

Und das ist eine gewaltige Zahl, wenn man sich im Kopf hält, dass mehr als die

Hälfte der Menschheit in Armut lebt. Meine Meinung zu dieser Angelegenheitist klar. Wir müssen um das Recht kämpfen, dass jeder hier von uns hat. Das

Recht auf Kleidung und Essen. Doch wann haben wir angefangen, dass uns

dieses Recht egal ist? Das sind schreckliche Fragen. Doch genau diese Fragen

kommen mir in den Sinn, wenn ich über diese Welt nachdenke.

Also, was soll ich von all dem halten? Was wird mit uns geschehen? Können

wir noch hoffen? Die globale Erwärmung ist eine wissenschaftliche Tatsache.

Doch nur wenige sprechen davon. Doch die Regierung und der Staat tut nichts,

um uns auf einen anderen Kurs zu bringen. Bis 2050 wird die Erdbevölkerungauf 12 Milliarden steigen. Dieser Planet kann vielleicht genauso viele Menschen

beheimaten. Und noch einmal kommt Einstein ins Bild. Er meinte, dass es nicht

viel Wissen braucht um zu sehen, was in den nächsten 50 Jahren geschehen

wird. Unser Bedürfnis alles zu kontrollieren und auszubeuten wird zunehmen.

Und all das steht im Widerspruch zur Natur und zur Realität. Ein

Wissenschaftler hat einen interessanten Gedanken gefasst: Er meint, dass die

Erde ein denkendes, fühlendes Wesen ist, dass auf alle Ergebnisse entsprechend

reagiert. Dies ist etwas, was die Weltuntergangspropheten freuen wird. Aber ichfinde es traurig, weil ich das Potenzial der Menschen kenne. Ich weiß, was wir

tun können. Und ich weiß, dass wir alles richtig machen können. Doch wenn ich

auf diese Welt blicke, dann sehe ich nicht, dass das passiert.

Also was können wir ändern? Ist es vielleicht bereits zu spät? Eines ist sicher.

Gewalt gegen das System wird nichts bringen. Die Gesellschaft ist da, weil wir

sie so gebaut haben. Das alles muss auf individueller Ebene geschehen. Das

heißt, es beginnt bei jedem von uns. Ironischer Weise kann man sagen, dass das

Schicksal der Menschheit darin liegt, dass das die Menschheit erkennen kann.Wir sind in der Lage die Zerstörung der Gesellschaft zu sehen und eine

Veränderung in uns zu bewirken. Wenn jede einzelne Person so handeln würde,

würde es zu einer Revolution kommen, wie dieser Planet es noch nie gesehen

hat. Aber die Bedingungen auf der Erde verhindern dies. Es ist schwer über die

globale Erwärmung nachzudenken, wenn man Kleidung und Essen hat. Und da

die Regierungen alles so lassen wollen, wie es bereits ist, ist eine Veränderung

sehr unwahrscheinlich. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich dieses

Kapitel schreibe, da ich weiß, dass es eine geladene Waffe für Kritiker ist. Ichliefere hier wirkliche Fakten. Außerdem ist dieses Kapitel das Ergebnis von

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beinahe zwei Jahrzehnten des Denkens. Diese Zeilen sind hier, weil sie zeigen,

welches Wesen ich bin.

TIMO, EXISTIERT GOTT?

Dies ist ein Thema, bei dem ich lange überlebt habe, ob ich es in diesem buch

behandeln will. Doch Spiritualität ist ein Teil von mir.

Im Laufe der Jahre kamen viele Leute, vor allem wegen meiner Songtexte, auf 

mich zu und stellten mir viele Fragen über Gott, den Himmel und die Hölle. Und

ich weiß nicht, wie ich sie ihnen beantwortet habe. Wie sollte ich ihnen auch

eine Antwort darauf geben? Ich weiß es nicht. Alle Erfahrungen, die ich mit

Gott gemacht habe, basieren auf meinem eigenen Leben. Ich weiß, dass Wortewie Gott und Religion heute nichts mehr bedeuten. Sie haben völlig ihren Sinn

verloren. Die Menschen fragen sich, warum Gott es zulässt, dass Kinder in

Afrika verhungern. Die Antwort ist einfach: Gott gibt es nicht! Wir Menschen

haben Gott zu einem Automaten gemacht, der und gibt, was wir wollen. Und die

Rolle eines strafenden Gottes, dessen Kinder Angst vor ihm haben, verstehe ich

auch nicht. Es erinnert mich an einer Elternfigur, wie Angst als Strafe benutzt,

um Kinder zu kontrollieren. Und ich kann nicht glauben, dass so etwas wahr ist.

Ich sehe oft moderne Gurus, die vom Leben und der Zukunft predigen. Sieverdienen ihr Geld damit, anderen Menschen in ihren Sitzungen Angst zu

machen. Ihre Kunden wollen von der eigenen Zukunft wissen oder Lösungen für

Probleme finden. Doch würden diese Gurus wirklich Spiritualität erkennen?

Auch hier ist alles andere im Leben nicht mehr als ein Prozess.

Ich glaube nicht dass man Spiritualität lehren oder erweben kann. Sie kann nicht

durch Mittel der Erkentniss oder Intelligenz erworben werden. Sie ist mehr wie

eine Reise. Und das Leben ist, mehr als alles andere, eine Reise. Es gibt Leute,

die begegnen in ihrem Leben einer Menge an emotionalem Schmerz. Dies sinddie Menschen, die breit sind, den geistlichen Weg zu gehen. Es ist eine Reise für

dein Leben, die dich vollständig einnimmt. Es stellt alles auf den Kopf.

Es ist eine Reise in einen Bereich des Lebens, auf dem nur wenige Wandern. Es

ist eine Reise, die man selbst aufbaut. Es ist nicht einfach und viele Leute geben

auf. Aber andere machen immer weiter. Und egal was passiert, sie geben nicht

auf. Und vielleicht ist es in 3 Jahren. Vielleicht in 10 Jahren. Vielleicht in 20

Jahren . Das sehen diese Menschen einen Wald. Und dieser Wald ist

wunderschön und glänzend. Und sie sehen jemanden in diesem Wald. Es ist eineGestalt, die sehr vertraut wirkt und die immer näher kommt. Es ist die Gestalt

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der Kindheit, bevor das Verfälschen des Geistes begann. Sie hat auf dich

gewartet. Sie ist wie ein kleines Mädchen, das dir ihre Hand gibt und keine

Eltern mehr hat. Und man kann ihr zeigen, dass sie einem vertrauen kann. Dass

man ein Vater oder eine Mutter ist, den welche dieses Mädchen nie hatte. Man

kann ihr sagen, dass alles okay ist. Und dann ist man an seinem eigenen Kernangekommen. Das ist die spirituelle Reise.

Aber was ist mit Gott? Existiert er? Diese Frage ist so persönlich, dass ich sie

niemals beantwortet habe. Mein Ego hat es. Viele Male. Spiritualität ist ein

besonderer Liebling für das Ego. Es kann sich darin glänzen und nicht so

hässlich fühlen, wie es ist.

Doch statt diese Frage zu beantworten, kann ich eine Geschichte erzählen:

Vor 200 Jahren drang ein Mann tief in den Wald ein. Und er fand tief im

Unterholz eine Uhr. Es war eine alte Uhr, die noch mit Perfektionalität und mitden eigenen Händen gemacht wurde. Und diese Uhr würde alle Zeiten

überdauern.

DIE ZUKUNFT: ZURÜCK ZUM ANFANG

Das Leben geht weiter. Das ist es, was die Leute immer sagen. Aber wiefunktioniert das? Ist es möglich mit all den Narben und Wunden weiter zu

leben? Ja und nein. Ich werde sie immer in mir tragen und ich bin nicht in der

Lage, sie zu vergessen. Aber das ist mein Leben. Sie sind ein Teil von mir. Und

das werden sie bis zum Tage meines Todes sein. Vielleicht haben sie mir etwas

zu sagen? Eine Lektion vielleicht? Wenn wir Menschen Geschehnisse in

unserem Leben verändern könnten, so heißt die Antwort oft nein. Nichts würde

ich auch nur an einem einzigen Tag ändern. Doch ich würde es tun. Ich würde

viele Sachen verändern, wenn ich könnte. Und einige dieser Sachen, die ichändern würde, suchen mich jeden Tag heim und verfolgen mich. Sie sind die

Geister meiner Vergangenheit. Und ich kann nichts gegen sie tun. Ich kann sie

nur als meine Gäste begrüßen. Und das jeden Tag.

Dank der Medikamente hatte ich nicht eine große manische oder depressive

Episode in den letzten 5 Jahren. Sie gaben mir die Fähigkeit zu arbeiten und ein

relativ normales Leben zu führen. Ich machte weiter. Auch wenn ich verwundet

aus dieser Schlacht kam. Das war vor langer Zeit. Und nach all den

Geschehnissen bin ich endlich zu Hause angekommen. Und desto mehr ichweiß, desto weniger verstehe ich. Vielleicht soll das Leben ja nicht verstanden

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werden. Vielleicht ist es einfach nur da, um es zu erleben. Jedem das Seine. Aus

meinem eigenen Leben weiß ich, dass ich mich selbst geheilt habe. Wenn ich

aufhöre, mir die Frage zu stellen, warum all das geschieht, dann bin ich einen

großen Schritt weiter. Doch ich habe keine Angst. Niemand hat je behauptet,

dass das Leben einfach werden würde. Aber manchmal wird es zumindest einwenig leichter. Ich bin ein sehr sensibler Mensch. Das Empfinden ist überall ein

Teil meiner Kunst. Sensibilität und Schönheit gehören auf eine Bestimme Art

und Weiße zusammen. Ich weiß, dass viel vor mir liegt.

Während ich dieses Buch schreibe, bin ich alleine, mitten im tiefsten, finnischen

Wald. Weit entfernt von der Zivilisation. Es ist sehr ruhig hier. Die einzige

Stimme, die ich höre, ist meine innere Stimme. Es gibt hier verschiedene Arten

von Bäumen und der Hof ist von Gras und Klee überwuchert. Es gibt hier

Bienen und Wespen. Neulich sah ich ein Reh. Dieser Ort ist voller Leben undFarben. Er birgt das Geheimnis des Lebens. Es fühlt sich an, wie etwas, das ich

längst vergessen habe.

Am Abend sitze ich draußen und beobachte die Sterne und den ewigen Himmel.

Sie sind so schön, dass ich beginne zu weinen. Und ich fühle eine große Leere

und eine große Isolation in mir. Doch das Universum und die Natur sind perfekt.

Es sagt mir, dass ich am Leben teilhaben muss und dass ich mich beeilen muss.

Ich habe sowenig Zeit. Während ich so die Milchstraße betrachte, unsere

Heimat, gehe ich in der Zeit zurück. Als ich Jung war, war alles ein kleinesWunder. Als ich die Welt sah, war sie einfach nur schön. Und das ist alles, was

ich brauche. Ich habe die Zeit, um geboren zu werden.

Heute ist der 03.03.1996. Es ist der Tag meiner Geburt. Ich bin bei einer

unendlich schönen Person, mit einem strahlenden Gesicht. Sie hält mich sanft

und schaut mich mit einem liebevollen Blick an. Sie sieht so glücklich aus. Nach

den neun Monaten der Dunkelheit habe ich endlich meine Mama kennen gelernt.

Ich bin zu Hause angekommen.

NACHWORT

Es gab viele Lieder und Gedichte auf meiner Reise, die mir Hoffnung und Mut

gemacht haben. Eines dieser Gedichte möchte ich mit dir teilen. Es lernt uns zu

leben. Es hat mir sehr viel gebracht. Wenn es auch dir hilft, dann macht mich

das sehr glücklich.

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WENN ... Wenn du den Kopf bewahrst, ob rings die MassenIhn auch verlieren und nach Opfern schreie;Dir treu sein kannst, wenn alle dich verlassen,Und dennoch ihren Wankelmut verzeihen;Kannst warten du und langes Warten tragen,Lässt dich mit Lügnern nie auf Lügen ein;Kannst du dem Hasser deinen Hass versagenUnd doch dem Unrecht unversöhnlich sein:Wenn du kannst träumen, doch kein Träumer werden;Nachdenken -- und trotzdem kein Grübler sein;

Wenn dich Triumph und Sturz nicht mehr gefährden,Weil beide du als Schwindler kennst, als Schein;Kannst du die Wahrheit sehn, die du gesprochen,Verdreht als Köder für den Pöbelhauf;Siehst du als Greis dein Lebenswerk zerbrochenUnd baust mit letzter Kraft es wieder auf:Wenn du auf eines Loses Wurf kannst wagenDie Summe dessen, was du je gewannst,Es ganz verlieren, und nicht darum klagen,

Nur wortlos ganz von vorn beginnen kannst;Wenn du, ob Herz und Sehne längst erkaltet,Sie noch zu deinem Dienst zu zwingen weißtUnd durchhältst, auch wenn nichts mehr in dir waltetAls nur dein Wille, der "Durchhalten" heißt:Kannst du zum Volke ohne Plumpheit sprechen,Und im Verkehr mit Großen bleibst du schlicht;Lässt du dich nicht von Freund noch Feind bestechen,Schätzt du den Menschen, überschätzt ihn nicht;

Füllst jede unerbittliche MinuteMit sechzig sinnvollen Sekunden an:Dein ist die Erde dann mit allem Gute,Und was noch mehr mein Sohn: Du bist ein Mann!(Rudyard Kipling; übertragen von Lothar Sauer)

Timo

Ich möchte dir für das Lesen dieses Buches danken. Es ist mein erstes Buch und

ich habe nicht vor, dass es zu einem literarischen Meisterwerk wird. Es istgedacht und etwas von meiner Geschichte zu erzählen. Die gesamte Geschichte

kann man nicht in einem buch erzählen.

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Ich wünsche dir alles Gute. Ich hoffe, dass der Segen und die Wahrheit deinen

Weg führen. Ich wünsche dir viel Glück und Mut, damit du auf dem Weg, den

du gewählt hast bleiben wirst.

Und vor allem wünsche ich dir alles liebe.

Bis zu dem Tag, an dem wir uns wiedersehen.

Timo