Toskana Vernaccia

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Vernaccia ist der Weißwein aus der Toskana. WEINWELTEN von Maus und Bassler, unterhaltsame Texte und künstlerische Fotos

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vernaccia aus san gimignano

Ein weißer Toskaner mit Biss

sie recken sich stolz in den himmel, die berühmten geschlechtertürme des städtchens san gimignano. einst symbole der macht, sind sie heute magneten für touristen aus aller welt. weinliebhabern weist die weit sichtbare, eindrucksvolle historische skyline den weg zum vernaccia di san gimignano, dem einzigen weißwein der toskana mit charakter und biss.

Sie ist weltweit berühmt, die città delle belle torri – die Stadt der schönen Türme. Das mittelalterliche Juwel San Gimignano, das nordwestlich von Siena auf einem Hügel über dem Tal des Elsa thront, ist Anziehungspunkt von Millionen Touristen aus aller Herren Länder. Die meisten kommen der sogenannten Geschlechtertürme wegen, die Mitte des 13. Jahrhunderts von reichen Familien als Wohn-türme, Statussymbole und zur Verteidigung erbaut wurden. Wenn man bei der Anreise schon von ferne die Skyline des Städtchens erblickt, die heute noch 15 von einst 72 der mittelalterlichen Wolkenkratzer prägen, erschließt sich sofort, warum das Städtchen als Manhattan des Mittelalters bezeichnet wird.

Im fast unveränderten mittelalterlichen Stadtkern, der von der unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde, liegt der Palazzo del Popolo mit dem Torre Grossa, dem höchs-ten der Geschlechtertürme, der auch als einziger besichtigt und bestiegen werden kann. Auf 54 Metern Höhe bietet sich ein grandioses Panorama. Der Blick schweift über eine enorm reizvolle Landschaft, die alles bietet, was die Toskana ausmacht: ein bezaubernder Flickenteppich aus Zypressen, Olivenhainen und Rebengärten mit versprengten Weingütern, Bauernhöfen und Villen auf anmutigen Hügeln.

Das Vergnügen gönnen sich freilich wenige. Man schlendert lieber durch die kleinen verwinkelten Gas-sen der Altstadt, bewundert die luxuriösen Palazzi, freskengeschmückten Kirchen und sorgsam erhaltenen Kunstwerke, lässt sich noch zum Kauf eines Souvenirs verführen. Und das ist in der Regel eine Flasche des

Vernaccia di San Gimignano, denn auch dafür ist die Stadt berühmt. Nicht bei allen, aber bei Weinkennern.

Vernaccia di San Gimignano ist der einzige bemerkens-werte Weiße in der Rotweinregion Toskana. Und ein Wein, der Geschichte schrieb. Er wird nachweislich bereits seit 1276 in San Gimignano hergestellt. Der Ort war zu dieser Zeit eine wohlhabende Kommune, denn er lag an der Via Francigena (Frankenweg), dem bedeutendsten Pilgerweg Europas, der von Rom nach Canterbury führte. Diese Wege sind vergleichbar mit den heutigen Touristen-routen, entsprechend gut liefen die Geschäfte für die am Wege liegenden Kommunen, die die Pilger beherberg-ten und mit allem Nötigen versorgten. Aber auch Händler nutzten die „Fernstraße“, um ihre Waren zu transportieren, darunter auch Wein. Ein Grund, warum der Vernaccia aus San Gimignano schon damals nicht nur vor Ort be-kannt war. Dass Vernaccia bereits im 13. Jahrhundert seine Verbraucher gefunden hatte, zeigen auch die mittelalter-lichen Fresken im reich verzierten Dante-Saal des Rathauses von San Gimignano.

Eine illustre Fan-Schar

Populär wurde Vernaccia aber auch durch Papst Martin IV. mit seinen „verzehrenden“ Leidenschaften. Er war geradezu vernarrt in die fetten Aale aus dem Bolsena-See, die er in Vernaccia badete. Ein Vernaccia-Aal-Mahl fiel dann freilich so üppig aus, dass er daran 1285 nach nur vier Jahren im Amt verstarb. Der Spott darüber war nachhaltig. Noch 30 Jahre später griff der große Dichter Dante Alighieri die Geschichte in seiner Göttlichen Komödie auf und setzte den Verblichenen im Fegefeuer dafür auf Diät: „Er büßt hier manchen Schmaus von im Vernaccia-Wein ersäuften Aal mit schwerem Fasten.“ Noch populärer wurde der Vernac-cia als Lieblingswein von Michelangelo, der in höchsten Tönen von ihm schwärmte.

Jahrhunderte später waren es die Feste dell’Unità, die einstigen Politfeste der Kommunistischen Partei, die den süffigen weißen Toskaner erneut in den Fokus rückten. In San Gimignano floss er bei diesen rauschenden Festen

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in Strömen, wurde so zu einem Liebling der „Toskana-Fraktion“ und über die Landesgrenzen hinweg bekannt. Die Feste dell’Unità gibt es übrigens heute noch, allerdings sind es nun unpolitische Volksfeste.

So präsent der Vernaccia di San Gimignano vor rund 40 Jahren bei deutschen Weinfans war, so wenig bekannt ist er heute. Denn nach den Siebzigern verschwand dieser weiße Toskaner bei vielen deutschen Weinhändlern – salopp ausgedrückt – in der Versenkung. Der Grund dafür könnte sein, dass die Toskana insbesondere seit den Achtzigern vor allem als Rotweinregion wahrgenommen wird. Die pure Verzweiflung angesichts der damals zuneh-menden Vorliebe für Rotweine brachte die Weißweinwin-zer dazu, in den neunziger Jahren einen San Gimignano Rosso aus internationalen Rebsorten wie Cabernet, Syrah oder Merlot einzuführen. Er erregte jedoch zu Recht kaum Aufsehen. Nebenbei bemerkt: Die Hügel rund um San Gimignano gehören auch zum Anbaugebiet des Chianti Colli Senesi. Und die Weine aus Sangiovese, die hier produziert werden, können sehr gut sein.

Die begrenzte Popularität des Vernaccia hängt aber möglicherweise auch damit zusammen, dass ihm schon früh andere italienische Weißweine wie die aus Südtirol oder dem Friaul den Rang streitig machten. Oder lag es daran, dass er nicht immer die erwartete Qualität hatte – und teils

auch heute noch nicht hat? Um das zu klären, bedarf es ein paar Grundlagen.

Vernaccia di San Gimignano ist ein Weißwein aus einer lokalen Spielart der Rebsorte Vernaccia. Der Name geht zurück auf das lateinische Wort vernaculus, was ein-heimisch bedeutet. Rebsorten mit ähnlichen Namen wie der Vernatsch in Südtirol, Vernaccia di Oristano auf Sardi-nien oder Vernaccia di Serrapetrona in den Marken haben lediglich den gleichen Wortstamm, sie sind aber keine Verwandten des Vernaccia di San Gimignano.

Angestammter Lebensraum für die Vernaccia-Rebe sind die Hügel rund um den Ort San Gimignano. Dort und nur dort ist sie seit Jahrhunderten zu finden. Das An-baugebiet liegt im Herzen der Toskana, wird im Norden vom mittelalterlichen Städtchen Certaldo, im Osten von der Industriestadt Poggibonsi und im Südwesten vom geschichtsträchtigen Ort Volterra eingerahmt. In diesem begrenzten Lebensraum trifft die autochthone Rebsorte auf optimale Anbaubedingungen: gute Hügellagen nicht über 500 Meter Seehöhe mit Mischböden aus festgebacke-nem Sand, weißes Tuffgestein und Lehm, der in manchen Lagen von tiefer liegenden Gesteinschichten begleitet wird, sowie ein mediterranes Klima mit trockenen Sommern und relativ milden Wintern. Der Wein Vernaccia di San Gi-mignano muss den Bestimmungen gemäß aus mindestens

San Gimignanos Türme recken sich in den Gewitterhimmel. Früher zeigten sie den sozialen Status ihrer Besitzer an.

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90 Prozent Vernaccia bestehen, kann aber auch zehn Pro-zent andere, nichtaromatische Rebsorten enthalten. Nach einjähriger Fasslagerung beim Erzeuger darf er den Zusatz Riserva führen.

Vernaccia ist nicht gleich Vernaccia! Zwar hat sich in Bezug auf die Qualität in den letzten zwei Jahrzehnten einiges getan. Aber man findet immer noch die fast farb-losen Weine mit einem ebenso blassen Geschmack, die als Souvenir an Touristen verkauft werden oder über große Handelsketten zum Spottpreis in Supermärkten landen. Diese Weine haben den berühmten Namen Vernaccia di San Gimignano eigentlich nicht verdient, man lässt sie am besten links liegen. Denn sie haben nichts gemein mit den wundervollen Vernaccias, die von engagierten Winzern mit viel Können und ebenso viel Liebe erzeugt werden.

Ein gut gemachter Vernaccia strahlt geradezu im Glas und macht schon durch seine grünlich schillernde, intensive strohgelbe Farbe so richtig Lust auf den Genuss. Das Aromenprofil des Vernaccia ist zwar anders als beim Riesling oder Sauvignon Blanc nicht besonders ausdrucks-stark. Aber bei manchen steigt der ganz zarte Geruch einer frisch gemähten Wiese in die Nase, andere zeigen einen feinen Apfelduft, noch andere riechen dezent nach Ginster- und Lindenblüten, Grapefruit und Melone. Was dem Duft an Ausdrucksstärke fehlt, macht der saftige, herrlich mineralische, oft auch leicht salzige Geschmack, dem eine erfrischende dezente Säure Biss verleiht, aber allemal wett. Dieser schöne charaktervolle Geschmack, gekrönt von einem leichten Anflug von Bittermandeln im Abgang, macht die Eigenständigkeit des Vernaccia aus. In diesen Geschmack kann man sich verlieben. Und durch ihn erschließt sich auch, warum Michelangelo über seinen Lieblingswein schrieb: „Er küsst, schmeichelt, beißt und schmeißt.“ Letzteres nicht nur bei übermäßigem Genuss!

Engagement ist gefragt

Ein guter Vernaccia ist freilich nur zu erzeugen, wenn man sich intensiv mit ihm beschäftigt und das Potenzial der Rebsorte ausschöpft. Bislang setzen das nur wenige Erzeuger konsequent um. Zu denen, die sich mit großem Können, Traditionsbewusstsein und Leidenschaft dem Vernaccia widmen, gehört die Winzerin Elisabetta Fagiuoli vom Weingut Montenidoli. Die nimmermüde Elisabetta und ihr Mann Sergio stehen seit mehr als 40 Jahren für das, war für Vernaccia-Produzenten wirklich wichtig ist: erzeugen und leben im Einklang mit der Natur, ein fester Glaube an das Potenzial des Vernaccia und das unbeirrbare Festhalten an der traditionellen Weinherstellung, das allen

Morgennebel liegen wie ein magisches Tuch über den Weinbergen von San Gimignano.

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kurzfristigen Moden trotzt. Dafür wird Elisabetta geliebt – aber auch gehasst.

Ihre Weinberge an einem ehemaligen Kraterrand mit mineralischen Böden aus Meeresablagerungen und für Entwässerung sorgende unterirdische Kavernen (Hohl-räume) bieten gemeinsam mit dem milden Klima optimale Bedingungen für ihren festen Willen, nur Weine von bester Qualität herzustellen. Die Weingärten bewirtschaftet Elisabetta naturnah: Sie setzt keine Kunstdünger, Unkraut-vernichtungsmittel, Insektizide oder Pestizide ein und sorgt durch das Auslichten der Reben im Sommer und Herbst für eine gute Sonnenbestrahlung und Ventilation der Rebstöcke. Und selbstverständlich werden auf Montenidoli nur die besten Trauben weiterverarbeitet – und zwar mit großem Hintergrundwissen, önologischem Können und persönlicher Handschrift.

Elisabetta liegt der Vernaccia am Herzen, sie würde oh-nehin nur heimische Reben anbauen. Und sie legt größten Wert darauf, dass ihre Weine die Eigenart ihrer Böden widerspiegeln, was ihr ganz wunderbar gelingt. Ihre drei Vernaccias haben Persönlichkeit, sind so kraftvoll wie ihre Erzeugerin, gleichzeitig frisch, elegant und finessenreich. Das gilt für den feinwürzigen Tradizionale ebenso wie für den vollmundigen Fiori und den sehr harmonischen, im Barrique ausgebauten Carato. Alle punkten darüber hinaus noch mit unglaublich hohem Lagerpotenzial. Das sind Weine, die Sie nach zehn Jahren mit Freude genießen können!

Nicht minder Freude machen die Vernaccias des Wein-guts Cesani, das nur wenige Kilometer von San Gimignano im historischen Dörfchen Pancole liegt. Vincenzo Cesani leitet den Familienbetrieb zusammen mit seinen Töchtern

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Letizia und Maria Luisa. Vincenzo hat den Grundstein für den heutigen Erfolg in den fünfziger Jahren gelegt, als er nicht – wie viele andere – in die Stadt übersiedelte, sondern dem Land treu blieb und mit dem Weinbau begann. Heute bewirtschaftet die Familie 19 Hektar Land, das mit Wein-stöcken, Olivenbäumen und Krokussen für die Safranpro-duktion bepflanzt ist. Daneben betreibt man erfolgreich Landhaustourismus.

Vincenzo war es auch, der schon früh auf Qualität setzte und sich nie neuen Methoden verschloss, um sie zu ge-währleisten. So reduzierte er beispielweise schon vor vielen Jahren die Erntemengen und startete die Einführung neuer Kellertechnologien. Bei allen Neuerungen aber arbeitete er stets mit viel Respekt vor der Natur und ließ auch nur die Bearbeitungen zu, die zur Region passen. Inzwischen ist die ausgebildete Winzerin Letizia in seine Fußstapfen getreten. Ihre Eltern helfen bei der Weinbergarbeit, die jün-gere Schwester kümmert sich um die Feriengäste und den Weinverkauf. Und die ganze Familie sorgt mit wachsamen Augen auf alle Produktionsprozesse dafür, dass die hohe Qualität der Weine gewährleistet ist.

Letizia hat sich für einen modernen Ansatz in der Wein-produktion entschieden; unterstützt wird sie von einem angesehenen Weinberater. Doch weiß sie sehr genau, was sie will. Und sie weiß auch, welche Interpretation von Region und Rebsorte ihr, ihrer Familie und den Kunden schmeckt. Ihre Vernaccias – vom süffigen Basiswein mit Biss bis hin zum betörend runden und frischen, im Fass ausgebauten Selektionswein Sanice – präsentieren sich klas-sisch mineralisch und rebsortenbetont. Cesani erzeugt nicht nur fantastischen Vernaccia, sondern auch herausragenden Rotwein aus Sangiovese, den sie Luenzo genannt haben.

Die beiden recht unterschiedlichen Winzerinnen zeigen, welchen Weg man in San Gimignano einschlagen soll-te. Selbstverständlich gibt es unter den 70 Winzern des Vernaccia-Konsortiums noch rund ein Dutzend weitere Winzer, die engagiert und mit Biss bei der Sache sind. Ihnen allen gelingt es, niveauvolle Weine zu produzieren, die dem eigenständigen Charakter des Vernaccia gerecht werden, auf die traditionelle Art ebenso wie mit modernen Methoden. Die Zeichen stehen also gut, dass dem Ver-naccia di San Gimignano doch noch die Aufmerksamkeit zuteil wird, die ihm als einzigem charaktervollen Weißwein der Toskana auch zukommt, so dass er bald wieder in aller Munde ist. ari

Muscheln, im Weinberg gesammelt, beweisen: Hier war mal Meer.

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Vernaccia di San Gimignano passt ganz wunderbar zum Pecorino aus der Crete, wenn man den Käse nach toska-nischer Art in fingerdicke Scheiben schneidet, kurz auf einem sehr heißen Grill röstet und dann mit etwas Honig bestreicht. Auch zu Kaninchen ist er ein Genuss. Erst recht, wenn man es in Vernaccia schmoren lässt.

Vernaccia di San Gimignano gibt es in gut sortierten Weinhandlungen, vereinzelt in den Weinabteilungen von Kaufhäusern und auch in einigen Supermärkten. Jedes Jahr warten rund fünf Millionen Flaschen Wein darauf, ausgetrunken zu werden. Knapp 80 Erzeuger sind im Konsortium organisiert. Die genießerfreundlichen Preise beginnen bei rund 5,50 € und bewegen sich selten über 12 € hinaus.

genusstipp

Mausempfehlungen zum Vertiefen und Reinschmecken

Cesani www.agriturismo-sangimignano.comMattia Barzaghi www.mattiabarzaghiwines.comMontenidoli www.montenidoli.comLa Lastra www.lalastra.itLe Calcinaie www.tenutalecalcinaie.comPanizzi www.panizzi.itVagnoni Fratelli www.fratellivagnoni.com

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