Toskana Vino Nobile

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Der Vino Nobile ist ein kräftiger Rotwein mit Geschichte. WEINWELTEN von Maus und Bassler, unterhaltsame Texte und künstlerische Fotos

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Adel verpflichtet!

er beeindruckt schon, der blaublütige sohn von montepulciano. mit einer bodenständigkeit der unaufdringlich eleganten art zeigt der vino nobile di montepulciano einen ganz eigenen charakter. auch mit seiner ruhigen und sanften art unterscheidet er sich von seinen lebendigen und selbstbewussten brüdern aus der sangiovese-familie. was nicht heißt, dass er nicht auch wie sie zu großem fähig ist!

Beim Läuten der Rathausglocke Punkt 19 Uhr starten sie los, die strammen Jungs aus den contrade, den acht Stadt-teilen von Montepulciano. In Turnschuhen, bekleidet mit Shorts und T-Shirts in den Farben und mit dem Wappen des Stadtteils, sind je zwei junge Männer aus jedem Viertel dabei. Sie sind angetreten, um beim Bravio delle Botti mit-zulaufen, einem Wettstreit, der traditionell alljährlich am zweiten Sonntag im August zu Ehren des Schutzheiligen San Giovanni Decollato ausgetragen wird. Sonst verläuft das Leben des kleinen Städtchens in eher unaufgeregten, bodenständigen Bahnen, ganz im Bewusstsein der ruhmrei-chen Geschichte, inmitten grandioser historischer Bauten, umgeben von der ruhigen Atmosphäre des Chiana-Tals. Nun aber ist ganz Montepulciano auf den Beinen, läuft begeistert in mittelalterlichen Kostümen als Fahnenschwin-ger, Trommler oder Hofdame beim historischen Corso mit oder säumt vergnügt die uralten Gassen, um die Crew des eigenen Stadtteils beim Fass rennen anzufeuern.

80 Kilo schwere Weinfässer sollen spingitori, wie die Fassroller genannt werden, vom Stadttor den 1.800 Meter langen Weg hinauf zur Piazza Grande rollen. Muckis braucht man dazu und ganz unbedingt stramme Waden. Vor allem aber braucht man eine Pole position für den schnellen Start. Denn es geht über Kopfsteinpflaster durch steile, schmale Gassen mit engen Kurven – da sind Über-holmanöver so gut wie unmöglich. Auch wenn es für die vielen Zuschauer am Rande des Geschehens so aussieht, als rollten die schweren Fässer fast von alleine: Für die hand-schuhbewehrten Spingitori ist das Rennen ein Kraftakt.

Dennoch benötigen die schnellsten nicht mal zehn Minu-ten für den Weg nach oben. Und dort, im Schatten des Doms, winkt der begehrte Preis in Form des Bravio, des Banners des Schutzheiligen, dessen Übergabe mit einem fröhlichen Fest gefeiert wird.

Bei diesem Fest kommen auch die Gaumen nicht zu kurz. Die Luft auf der Piazza Grande und den umliegen-den Gassen ist geschwängert von verführerischen Düften, denn auf den Tischen landen all die Köstlichkeiten, mit denen die Köchinnen von Montepulciano ihren eigenen kulinarischen Wettstreit austragen. Aufgetischt werden vor allem pici, die handgemachten dicken Spaghetti, die zu-sammen mit würzigen Sugos das wohl typischste Gericht von Montepulciano sind. Dass dazu ein Vino Nobile di Montepulciano rubinrot im Glas funkelt, versteht sich von selber. Denn dieser Wein ist es, der in den Fässern reift, wenn sie nicht gerade über das Pflaster gerollt wer-den, sondern im Dunkel der uralten Weinkeller des einst hochbedeutenden Orts lagern. Und dieser noble Wein ist es auch, der den Reiz des Orts für Weinkenner in aller Welt ausmacht.

Ins Glas gebannte Geschichte

Aus gutem Grund! Der Vino Nobile spiegelt all das wider, was Montepulciano und seine Umgebung ausmacht. Er hat ebenso wie sein Heimatort einen ganz eigenen Charakter. So ist Montepulciano wohltuend ruhiger als die lebhaften anderen historischen Städtchen der Toskana. Ähnliches kann man vom Vino Nobile sagen: Auch er kommt dank seines zurückhaltenden Charakters viel ruhiger herüber als beispielsweise der lebendige Chianti Classico oder der selbstbewusste Brunello di Montalcino – obwohl alle drei Weine aus der gleichen typisch toskanischen Rebsorte Sangiovese stammen.

Der Vino Nobile vermittelt mit seinem vielschichtigen Duft, seinen fein ausbalancierten Beerenaromen und seiner frischen Struktur die gleiche bodenständige Eleganz wie die faszinierenden Bauten aus der Gotik und Renaissance, die seiner Heimat ihr ganz eigenes Flair geben. Er hat die

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gleiche beeindruckende Tiefe wie die in massiven Fels ein-gebetteten verwinkelten Keller, in denen er lagert – was sich in seinem lang anhaltenden Abgang ausdrückt. Und auch seine Tannine sind so sanft wie das Val di Chiana, das die hoch oben auf einem Berg thronende ehemalige Festung Montepulciano einrahmt.

Last, but not least ist der Vino Nobile ins Glas gebann-te Geschichte. Schon im Mittelalter war der Wein aus Montepulciano überregional geschätzt, und bereits 1350 wurden Richtlinien für seinen Handel und Export schrift-lich niedergelegt. Zu wahrem Ruhm kam der Wein durch Papst Paul III., als dessen Kellermeister Sante Lancerio ihn 1549 als Vino dei Signori (Wein der Herrschaften) pries. Er war nicht der einzige, der sich vom offenbar damals schon höchst berauschenden roten Tröpfchen zu Lobes-hymnen hinreißen ließ: Im Laufe der nächsten Jahrhun-derte reihten sich viele ein – von Dichtern wie Francesco Redi über Philosophen wie Voltaire über das englische Königshaus bis hin zum US-Präsidenten Thomas Jefferson. Ein Grund für die gerühmte Qualität soll Überlieferungen zufolge die in damaligen Zeiten eher unübliche strenge Auslese der verwendeten Trauben gewesen sein.

Auch wenn Könige und Päpste sich den Wein gerne einschenken ließen und er daher mit dem Attribut nobile (adelig) geschmückt wurde: Die heutige Bezeichnung

Vino Nobile di Montepulciano stammt nicht daher, auch wenn dies oft behauptet wird. Vielmehr bekam er seinen Namen von Adamo Fanetti, dem Betreiber der Tenuta S. Agnese. Er war es, der vor rund 100 Jahren die Re-naissance des Weins aus Montepulciano einläutete. Nach seiner Blütezeit war der Elitetropfen nämlich quasi in der Versenkung verschwunden. Wahrscheinlich, weil man es mit der Qualität nicht mehr so genau nahm und / oder ihm andere Tropfen den Rang abliefen. Fanetti gelang es 1921, den Wein im alten Stil und nach traditionellen Methoden produziert wieder aufleben zu lassen. Er war der Erste, der den Wein als Vino Nobile di Nobile bezeichnete und etikettierte, um ihn in seiner Wertigkeit hervorzuheben. Womit wir eigentlich schon bei den Produzenten des Vino Nobile wären.

Zunächst aber muss ein mögliches Missverständnis ausgeräumt werden, und ein paar Grundlagen schaden auch nicht. Vino Nobile di Montepulciano ist nicht der Rotwein namens Montepulciano, der bei vielen Italie-nern um die Ecke als Hauswein ausgeschenkt wird. Dabei handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Wein aus der Adria-Region Abruzzen, der aus der gleichna-migen Rebsorte erzeugt und in großen Mengen hierzulande verkauft wird. Der Vino Nobile di Montepulciano stammt dagegen ausschließlich aus Montepulciano. Die Basis ist

Weingut im Palazzo Contucci: Der Schlosskeller steckt voller guter Geister.

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die Rebsorte Sangiovese Grosso, die hier in der Gegend Prugnolo Gentile genannt wird. Sie ist wie Brunello eine Spielart des Sangiovese, die sich über die Jahrhunderte herausgebildet und an die Umgebung von Montepulciano angepasst hat.

Die Weinberge des Anbaugebietes des Vino Nobile liegen bis auf wenige Ausnahmen an den sanft abfallenden Hängen und in der flacheren Gegend im Südosten des Ortes. Die gelbe Erde ist hier besonders lehmhaltig, wo-durch die Feuchtigkeit lange im Boden gehalten wird, was wegen des heißen Inlandklimas auch notwendig ist. Einen wunderbaren Blick auf die Weinberge der Ortschaft bietet übrigens der winzige Balkon des Caffè Poliziano – eine Institution aus dem Jahr 1868, wo sich die Montepulcianer frühmorgens auf einen Cappuccino treffen.

Den gesetzlichen Bestimmungen gemäß muss der Vino Nobile zu mindestens 70 Prozent aus Prugnolo Gentile be-stehen. Wird er verschnitten, werden von einigen Winzern die traditionellen Toskana-Rebsorten Mammolo, Canaiolo, Colorino oder Malvasia Nera genutzt. Andere Winzer ver-wenden auch internationale Rebsorten, wobei dann Merlot bevorzugt wird. Daneben muss der Wein mindestens zwölf Monate im Holzfass reifen, darf aber erst nach zwei Jahren verkauft werden. Soll er die Bezeichnung Riserva tragen, sind drei Jahre Lagerung Pflicht.

Traditionell kehrt man bei Contucci mit dem Reisigbesen.

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Moderne und Tradition

Auch wenn es vor kultverdächtigen Winzern in der Toska-na eigentlich nur so wimmelt: In Montepulciano hält sich die Zahl der Produzenten, die fürs Namedropping taugen, in Grenzen.

Was nicht heißt, dass es in Montepulciano unter den rund 90 Produzenten keine Kultwinzer gäbe. Einer davon ist der energiegeladene Federico Carletti, der das Weingut Poliziano als frisch promovierter Landwirtschaftsingenieur Anfang der achtziger Jahre übernahm und neue Maßstäbe setzte. „In diesen Jahren gab es große Veränderungen, der Markt entwickelte sich, und endlich begann man, auch im Weinbau mehr an Qualität statt an Quantität zu denken. Auf diesen stimulierenden Moment habe ich mit großem Enthusiasmus geantwortet und versucht, eine neue Philo-sophie für meinen Betrieb zu finden“, so Dottore Carletti. Also nahm er ganz konsequent viel Geld in die Hand, um Trauben bestmöglicher Qualität zu erzeugen. Die Wein-berge wurden neu bestockt, die Rebflächen vergrößert und weitere Möglichkeiten für die Qualitätssteigerung erforscht. Blitzblanke konische Edelstahlgärständer und sauber auf-gereihte kleine Holzfässer im aufgeräumten Weinkeller des Weinguts zeigen, dass Dottore Carletti auch große Investi-tionen in eine für seine Philosophie perfekte Kellerausstat-tung steckte.

Die Investitionen wie auch die aufwändige und präzise Arbeit im Weinberg und im Keller sowie das stetige Ringen um die richtige Typologie der Weine haben sich gelohnt. Sie zeigen heute den unverwechselbaren Charme des Vino Nobile in einem modernen Gewand. Die Vino Nobile di Montepulciano der Azienda Poliziano sind nicht nur kult-verdächtig, sie sind schon Kult! Allen voran der Asinone, dessen Trauben auf dem gleichnamigen Weinberg unter allerbesten Bedingungen wachsen. Er ist einer der ganz gro-ßen Weine der Region: Seine intensive Farbe, sein üppiger Duft und sein dichter, aber dennoch eleganter Geschmack zeigen aufs Eindrucksvollste das Potenzial des Vino Nobile. Gleichzeitig beweist er, wie sehr ein Vino Nobile, bei dessen Herstellung mit modernsten Methoden auch die Tradition der Ursprungsgegend respektiert wird, den modernen Geschmack treffen kann. Sein Perfektionsstre-ben und seinen rastlos wirkenden Verstand setzt Dottore Carletti übrigens nun auch als Präsident des Konsortiums für das Wohl des ganzen Anbaugebietes tatkräftig ein.

Ein anderer, dessen Name in einem Atemzug mit dem Vino Nobile di Montepulciano genannt wird, ist Conte Dottore Alamanno Contucci. Der Kontrast zu seinem rüh-rigen Nachfolger im Amt könnte größer nicht sein. Conte Contucci hat immer ein Lächeln auf den Lippen, das von

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Echte Wertarbeit: Das Stampfen der Maische löst Inhaltsstoffe der Traubenschalen.

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Zwischen würzigen Fleischragouts − am liebsten aus Wildschwein oder Hase − und handgemachten pici ist der Nobile in seinem Element. Wer die Nudeln nicht selber machen will, kann sie durch handelsübliche spaghettoni ersetzen. Komplexere Tropfen sollten Sie einige Zeit vorher in eine Karaffe umfüllen. Das rechtfertigt von Zeit zu Zeit einen Probierschluck, damit man ihn im richtigen Moment − als Faustregel gelten zwei Stunden − mit dem Ragout auf den Tisch bringt. Nobile ist nicht billig, die Preise liegen zwischen 12 und 20 €, da ist ein Weinhänd-ler des Vertrauens gefragt. Einfache Qualitäten findet man mitunter in gut sortierten Supermärkten. In der Gastronomie bereichert er das Toskana-Sortiment, wenn es neben Chianti Classico und Brunello noch Platz gibt. Eine preiswertere Alternative ist der Rosso di Montepul-ciano, der kleine Bruder des Vino Nobile, der etwas eher aus dem Fass ins Glas springen darf.

genusstipp

Mausempfehlungen für noblen Weingenuss

Boscarelli www.poderiboscarelli.comContucci www.contucci.itDel Cerro www.fattoriadelcerro.itGodiolo www.godiolo.itLa Ciarliana www.laciarliana.itLe Berne www.leberne.itLe Casalte [email protected] Caterina Dei www.cantinedei.comPoliziano www.carlettipoliziano.comTre Rose Angelini www.tenimentiangelini.itValdipiatta www.valdipiatta.it

innen heraus kommt. Gutmütigkeit, Geduld und Bedäch-tigkeit sind seine herausstechenden Charakterzüge. Dass er keine Eile kennt, mag daran liegen, dass seine Familie seit Jahrhunderten Wein in Montepulciano produziert – und auch weiter produzieren wird. Denn es steht schon die nächste Generation bereit, um den uralten Familienbetrieb weiterzuführen. Von seiner langen Geschichte zeugt der mächtige Palazzo an der Piazza Grande, die hoch über Häusern und Gassen der Kleinstadt thront. Hier liegt auch der Eingang des Weinkellers der Contuccis, der über fünf Etagen rund 40 Meter in die Tiefe fällt. Und der auch den Familienschatz beherbergt, eine Flasche Wein von 1887. Innerhalb der kühlen Mauern wird seit jeher der Wein gemacht; die Trauben wachsen in den 21 Hektar großen Weinbergen der Azienda Agricola Contucci unter natur-nahen Bedingungen. Wie früher werden die Trauben nach der Lese ganz unten angeliefert und gären dann in den Stahlfässern des modern ausgestatteten Kellers. Von dort wandert der Wein dann hinauf in die großen Holzfässer der Cantina, wo er langsam reift – bis er ganz oben angelangt den Touristen zur Degustation und zum Kauf angeboten wird.

Adel verpflichtet, Tradition auch! Die Vino Nobile von Contucci sind ganz klassisch aus Prugnolo Gentile, Canaiolo Nero, Mammolo and Colorino zusammengesetz-te Cuvées, die im Geschmack wunderbar den ganz eigenen Charakter des Vino Nobile vermitteln. Jeder Jahrgang hat seine Besonderheiten, und bei aller Tradition hat sich Contucci nicht dem Fortschritt im Keller und Weinberg in den Weg gestellt, sondern sich einfach mehr Zeit für die Veränderung genommen. Wie schon gesagt: Der Conte gehört zu denen, die Bedächtigkeit überstürztem Handeln vorziehen. So hat er immer unbeirrt dem Vino Nobile die Stange gehalten, selbst zu Zeiten, als die Verbraucher ihre Gunst anderen toskanischen Gewächsen schenkten und manche andere Produzenten aufgaben. Und auch wenn im Hause Contucci längst mit modernen Methoden Wein gekeltert wird: Sein Kellermeister ist schon seit 40 Jahren Adamo Pallecchi. Die beiden kennen sich von Kindesbei-nen an. Und weder der fast 70jährige Alamanno noch sein Kellermeister, der die Siebzig schon lange überschritten hat, denken ans Aufhören. Was sie seit Jahrzehnten verbindet, ist die leidenschaftliche Liebe zum Vino Nobile di Monte-pulciano, diesem wahrlich faszinierenden Elixier, das seinem adeligen Namen alle Ehre macht. Adel ver-pflichtet eben! ari

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