Toxikologische Grenzwerte - BUNDESINSTITUT FÜR...

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BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG PD Dr. Gaby-Fleur Böl Abteilungsleiterin Risikokommunikation Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin BUNDESINSTITUT FÜR RISIKOBEWERTUNG Toxikologische Grenzwerte - Trennung zwischen giftig und ungiftig?

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PD Dr. Gaby-Fleur Böl

Abteilungsleiterin Risikokommunikation

Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin

BU

ND

ES

INS

TIT

UT

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RIS

IKO

BE

WE

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Toxikologische Grenzwerte -

Trennung zwischen

giftig und ungiftig?

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G.-F. Böl, 18.09.2013, 6. Niedersächsisches Forum Gesundheitlicher Verbraucherschutz, Hannover S. 2

“Wir haben nichts mehr zu Essen da!“

29,1 % der Deutschen halten Lebensmittel für ihr persönlich

größtes gesundheitliches Risiko , direkt hinter Umweltver-

schmutzung, Strahlung und Klimawandel mit 30,5 %.

Ungesunde Lebensweise, Rauchen, Alkohol, Drogen und

Medikamente werden erst viel später zu 19 – 23 % genannt.

n = 1.024, Umfrage, BfR 2008

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Messbares Risiko

Das sogenannte ‘objektive‘ Risiko beruhtauf naturwissenschaftlich messbarenRisikokriterien.

Klassische Kriterien:

• Eintrittswahrscheinlichkeit eines Schadens

• Schadensumfang

Risiko = Gefährdungspotential x Exposition

Weitere Kriterien:

• Ubiquität: räumliche Verbreitung des potentiellen Schadens

• Persistenz: zeitliche Ausdehnung des potentiellen Schadens

• Reversibilität: Wiederherstellbarkeit

• Verzögerungseffekt: Latenz zwischen Ereignis und Schaden

• Ungewissheit: Indikator für Unsicherheitskomponenten

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Gesamtwassermenge:rund 50 Billionen Liter im Jahresdurchschnitt

1 Stück Würfelzucker von durchschnittlich 5 g ist im Bodensee nachweisbar

10 Picogrammpro Kilogramm

0,000 000 000 01 g/kg(10-12)

Analytische Messgenauigkeit – Fluch oder Segen?

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Keine exakten Messwerte zum Zeitpunkt der Bewertung vorhanden

Exemplarische Berechnung von drei Expositionsszenarien• niedrige Exposition: 3 µg Nikotin/kg Vollei, • eine mittlere Exposition:30 µg/kg • hohe Exposition: 300 µg/kg

Aufnahme von Nikotin durch Verzehr von mit 300 µg/kg belasteten Eiern unterhalb der durchschnittlichen täglichen Nikotinaufnahme eines Passivrauch-belasteten Nichtrauchers

Verzehr eines mit 30 bzw. 3 µg Nikotin/kg belasteten Eies:„Grundrauschen“ der Nikotinaufnahme durch andere Lebensmittel

Schlussfolgerung des BfR, ....dass der vorübergehende Verzehr von Eiern, die mit Nikotin unterhalb von 300 µg/kg belastet sind, keine gesundheitliche Gefährdung für den Verbraucher darstellt

Beispiel: Nikotin in Eiern

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Beispiel Risikobewertung: Nikotin in Eiern

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Dioxin in Eiern 2011 – eine mediale Krise

22.01.201106.01.2011

Tausende protestieren in Berlin zum DioxinskandalReuters

Schuldzuweisung Protest

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Nationaler Rückstandskontrollplan 2011: Dioxin in Eiern

Alle Proben wiesen Kontaminationen an Dioxinen und dioxin-

ähnlichen PCB in Höhe der üblichen Hintergrundbelastung auf

Quelle: BVL

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Durchschnittliche Körperlast eines jungen Erwachsenen mit Dioxin(Gewicht 60 kg, davon 15 kg Körperfett)

Dioxin in Eiern 2011

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Dioxin im Schweinefleisch

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Risikowahrnehmung

nein

weiss nicht - keine Antwort

ja

„Sollte die Verwendung von Dihydrogenmonoxid in der EU verboten oder reglementiert werden?“

Apfelbaum Marian,1998: Risques et peurs alimentaires. Paris: Èdition Odile Jacob

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Subjektive Risikowahrnehmung – die tägliche Risikobilanz

Sozio-kulturelle Faktoren

• Wahlmöglichkeit: erzwungene vs. freiwillige Risikoübernahme

• Kontrollierbarkeit: eigene Handlungsmöglichkeit zur Vermeidung

• Risiko-Nutzen-Verhältnis

• persönliche Betroffenheit

• Schrecklichkeit des Schadens

• Vertrauen: Glaubwürdigkeit der verantwortlichen Institution

• Verantwortlichkeit: natürliche vs. anthropogene Risiken

• Art des Schadenseintritts: zeitlich lokalisierbar vs. zeitlich diffus

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Unterschätzte versus überschätzte Gefahren

‘Intuitive Toxikologie‘

Eurobarometer 2010 - mit Ernährung assoziierte Risiken

Pflanzenschutzmittelreste in Lebensmitteln (19%)

Lebensmittelkeime (12%)

Gentechnik (8%)

Neue Technologien (1%)

Unterschätzung natürlicher Gefahren wie z. B. Schimmelpilzgifte

Mythos der gMythos der gMythos der gMythos der güüüütigen Naturtigen Naturtigen Naturtigen Natur

Schimmelpilze bilden Aflatoxine,

die zu Leberkrebs führen

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Treffen die folgenden Eigenschaften eher auf Lebensmittel zu,die mit oder ohne Pflanzenschutzmittel hergestellt wurden?

trifft eher auf Lebensmittelhergestellt ohne

Pflanzenschutzmittel zu

trifft auf beide Produktgruppen

gleichermaßen zu

weiß nicht/keine Angabe

trifft eher auf Lebensmittelhergestellt mit

Pflanzenschutzmitteln zu

85

63

61

48

45

9

6

15

22

11

12

5

6

9

7

13

22

8

3

13

10

28

21

78

n = 1.003; Angaben in Prozent

gesund

teuer

schmackhaft

fortschrittlich

innovativ

giftig

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Dürfen Ihres Wissens nach generell Pestizid-Rückständein Lebensmitteln enthalten sein?

weiß nicht

2

31

67

ja, Pestizid-Rückstände dürfen enthalten sein

nein, Pestizid-Rückstände dürfen nicht enthalten sein

Alle Befragten; n = 1.003; Angaben in Prozent

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Chemischer Pflanzenschutz

• Kulturpflanzen werden von Schädlingen und Krankheitserregern wie

Pilzen, Bakterien und Viren befallen

• Der Befall von Kulturpflanzen mit Schadorganismen ist keine

Ausnahmesituation, sondern der Normalzustand

• Die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist auf das notwendige Maß

zu beschränken

• Chemischer Pflanzenschutz wird von Verbrauchern emotional

abgelehnt, unabhängig davon, ob es überhaupt negative Auswirkungen

auf die Gesundheit und die Natur gibt

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Beteiligung am Zulassungsverfahren bei Pestiziden

Julius Kühn-Institut

Bewertung: Wirksamkeit, Anwendung und Nutzen

Bundesinstitut für Risikobewertung

Bewertung: Gesundheit

Umweltbundesamt

Bewertung: Naturhaushalt, Grundwasser, Abfälle

Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)

Zulassungsstelle

Risikomanagement

Bewertung: Produktchemie, Analytik

BVL-Daten 2010: 17.585 Proben auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln untersucht

• 1,0% der Proben deutscher Herkunft: Überschreitungen der Rückstandshöchstgehalte

• Proben aus der EU: bei 1,5% Überschreitungen der Rückstandshöchstgehalte

• Proben aus Drittländern: bei 8,0% Überschreitungen der Rückstandshöchstgehalte

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Gesundheit

Wirkstoffe, die krebserzeugende, erbgutschädigende, die Fortpflanzung

schädigende oder hormonell schädigende Wirkung haben, dürfen grundsätzlich

nicht in Pflanzenschutzmitteln eingesetzt werden

Umwelt

Wirkstoffe, die eingestuft sind als

• POP persistenter organischer Schadstoff

• PBT persistent, bioakkumulierbar, toxisch

• vPvB hoch persistent, hoch bioakkumulierbar

oder die hormonell schädigend auf Nicht-Zielorganismen wirken, dürfen grundsätzlich

nicht in Pflanzenschutzmitteln eingesetzt werden

EU-Zulassungsverordnung Nr. 1107/2009des Europäischen Parlaments und des Rates über das Inverkehrbringen von Pflanzen-schutzmitteln vom 21.10.2009

Kriterien zur Aufnahme von Wirkstoffen in die Positivliste der EU

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Sinn und Unsinn von Standards

Höchstgehalte (bzw. Grenzwerte)

• ADI (acceptable daily intake) - chronische Risiken

Substanzmenge, die man lebenslang und täglich ohne erkennbares

Gesundheitsrisiko aufnehmen kann (TDI bei ungewollten Verunreinigungen)

• ARfD (acute reference dosis) – akute Risiken

Substanzmenge, die man innerhalb eines Tages ohne erkennbares

Gesundheitsrisiko aufnehmen kann

Können Lebensmittel sicherer als sicher sein?

• Sekundärstandards

zusätzliche Qualitätsanforderungen, die strenger sind als die gesetzlichen

Standards (z. B. 10-fach unter dem gesetzlichen Höchstgehalt)

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Höchstgehalte bei Pflanzenschutzmitteln

• Rückstandshöchsgehalte sind maximal zulässige Konzentrationen für Pflanzenschutzmittel, die höchstens im oder auf dem Lebensmittel verbleiben dürfen

• Ein Höchstgehalt [mg/kg Lebensmittel] ist die Konzentration, die mehr als denSicherheitsfaktor 100 unter der Dosis ohne toxische Wirkung (NOAEL, no observedadverse effect level) beim Tier liegt

• Sicherheitsfaktor 10 für die Übertragbarkeit der Daten vom Tier auf den Menschen(Interspeziesvariabilität) sowie 10 für die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch

(Intraspeziesvariabilität)

• Zusätzlicher Sicherheitsfaktor 10 möglich bei besonders gefährlichen Substanzen,falls diese nicht ohnehin grundsätzlich zur Anwendung verboten sind

• Kurzfristige Überschreitungen von Höchstgehalten bedeuten nicht zwangsläufig eineGesundheitsgefährdung für Verbraucher

• Höchstgehalte sind nicht die Grenze zwischen giftig und nicht giftig

• Höchstgehalte entscheiden darüber, ob ein Lebensmittel frei handelbar ist

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Vom Experiment am Tierzur Festlegung von Höchstgehalten

Ermittlung der maximalen Konzentration eines Stoffes, bei deren lebenslangerAufnahme bei Versuchstieren keinerlei gesundheitliche Auswirkungnachgewiesen werden kann (No-observed-effect-Level (NOEL) )

Toxizitätsprüfung im Tierversuch

Berücksichtigung Unsicherheitsfaktor 100

Ermittlung des ADI in mg/kg Körpergewicht

Festlegung von Höchstmengen in Lebensmitteln

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Mögliche Nachteile von Sekundärstandards

Insbesondere dann, wenn Sekundärstandards im Bereich gesetzlich festgelegter

Höchstgehalte definiert werden, können die folgenden nachteiligen Effekte entstehen

• Irreführung, falls der Eindruck entsteht, gesetzliche Standards seien unsicher

• Unsachgemäße Verwendung von Pflanzenschutzmitteln durch ggf. entstehendenDruck auf Lieferanten, x-fach unter den Höchstgehalten zu liegen:

• Verzicht auf Wirkstoffwechsel

• Einsatz unspezifischer Breitbandwirkstoffe statt mehrerer spezifischer Wirkstoffe

• vorbeugender Einsatz von Wirkstoffen statt bedarfs- und situationsbezogen, umdie bei der Ernte messbare Menge an Rückständen zu minimieren

• dadurch ggf. Ausbildung von Resistenzen

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Mögliche Vorteile von Sekundärstandards

Jenseits des Themenbereiches gesetzlich festgelegter Höchstgehalte können

Sekundärstandards richtungsweisend sein, z. B. beim Thema Nachhhaltigkeit

• Arbeitsbedingungen in den produzierenden Ländern

• CO2-footprint

• Tierwohl

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Ergebnisse des Jahresberichts zum Nationalen Rückstandskontrollplan (NRKP) 2011

Ziele des NRKP• Nachweis illegaler Anwendung verbotener oder nicht zugelassener

Substanzen

• Überprüfung der Einhaltung der festgelegten Höchstmengen fürTierarzneimittelrückstände

• Aufklärung der Ursachen von Rückstandsbelastungen

• Untersuchung von Lebensmitteln tierischen Ursprungs auf Belastungmit Umweltkontaminanten

Ausgewählte Ursachen positiver Rückstandsbefunde

• Altlasten und Umweltbelastung

• nicht sachgerechte Handhabung von Desinfektionsmitteln

• unsachgemäßer Einsatz von Tierarzneimitteln

• Alter der untersuchten Tiere (hoher Einfluss bei Wildproben)

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Nationaler Rückstandskontrollplan 2011Entwicklung positiver Rückstandsbefunde 2009 - 2011

Quelle: BVL

Cadmium über Futteraufnahme; besondere Verstoff-wechselung

DDT als Umwelt-kontaminante über die Nahrung

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Ergebnisse des Jahresberichts zum Nationalen Rückstandskontrollplan 2011

654.940 Untersuchungen an 56.325 Proben von Tieren oder tierischenErzeugnissen

0

0,1

0,2

0,3

0,4

0,5

0,6

0,7

0,8

Pro

zen

tsat

z p

osi

tive

r R

ück

stan

dsb

efu

nd

e

2009 2010 2011

nges=56.325npos=316

Bewertungsbericht des BfR:

Aufgrund der vorgelegten Ergebnisse des Nationalen Rückstandskontroll-

plans 2011 und des Einfuhrüberwachungsplans 2011 besteht bei

einmaligem oder gelegentlichem Verzehr von Lebensmitteln tierischer

Herkunft mit den berichteten Überschreitungen der Rückstandshöchst-

gehalte (Tierarzneimittel, Schwermetalle und andere Kontaminanten)

kein unmittelbares gesundheitliches Risiko für den Verbraucher.

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Giftige Pflanzeninhaltsstoffe

Die Natur hat viele Gifte parat, u. a. als Fraßgifte -

diese sollten nur in Maßen genossen werden

• Cumarin – Zimt, Waldmeister

• Estragol, Methyleugenol – Estragon, Basilikum, Fenchel

• Amygdalin – Mandeln, Marzipan

• Safrol – Muskatnuß, Zimt, Anis, schwarzer Pfeffer

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Cumarin

Bestandteil von Waldmeister süßem KleeCassia Zimt

süßer, kräuterartiger, würziger Duft, der an frisches Heu und Waldmeister erinnert

1,2-Benzopyron

* spanish cumarú = Tonkabohnenbaum1822: Coumarin isolated for the first time

1,2-Benzopyron

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Ceylon Zimt

„wahrer“ Zimt

höhere Qualität

niedriger Cumaringehalt

(< 8 mg/kg)

„Cassia“ Zimt

China, Padang, Saigon cinnamon

preiswerter

teilweiser hoher Cumaringehalt

(3000 mg/kg)

Typen von Zimtstangen

• EU-Richtlinie 88/388/EWG maximal 2 mg/kg Lebensmittel durch Aromatisierung

• 2006: Ableitung eines TDI-Wertes 0,1 mg/kg Körpergewicht

Cumarin in Zimt

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Cumarin-Exposition: Ausschöpfung des TDIdurch Milchreis mit Zucker und Zimt (worst case)

VELS-Studie Kleinkinder: Spitzenexposition 0,22 g Zimt pro kg KG an Einzeltagen

angenommener Cumarin-Gehalt 3 mg/g Zimtpulver

angenommener Verzehr 2 mal pro Woche

entspricht 0,19 mg Cumarin pro kg KG täglich(weitere orale Cumarin-Quellen vernachlässigt)

dermale Exposition 0,08 mg Cumarin pro kg KG täglich(körpergew.-bezogene Abschätzung von Lake 1999;umgerechnet auf hohe Körperoberfläche von Kleinkindern)

Summe 0,27 mg Cumarin pro kg KG täglichTDI: 0,1 mg Cumarin pro kg KG täglich

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Exposition mit Cumarin

• Leberschädigung möglich

• keine saisonale Limitation

• Verzehr daher nur in Maßen

• aber: synthetisch hergestelltes Cumarin auch in kosmetischen Mittelnals Duftstoff

• keine Mengenbeschränkung; Gehalte bis zu 3%

• Deklarationspflicht ab 0,001% (leave on) bzw. 0,01% (rinse off)

• dermale Resorption > 60%

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Prinzipien adäquater Risiko- und Krisenkommunikation

• Berücksichtigung möglichen Ausweichverhaltens

• Einsatz vertrauenswürdiger Multiplikatoren(Ärzte, Apotheker, Ernährungsberater, Lehrer, Erzieher)

• Nutzen verschiedener Informationskanäle (Broschüren, Internet, Zeitung, TV, Kino)

• Typisierung von Verbraucher/innen nach Risikotypen

• Risikogruppe je nach fachlicher Thematik(pragmatisch, visionär, erkenntnisoffen, resignativ)

• Berücksichtigung nicht rationalen Handelns

• klare Handlungsempfehlungen generieren Kontrolle

• vom Risiko betroffene Bevölkerungsgruppe benennen

• Schwere und (Ir-)Reversibilität des möglichen gesund-heitlichen Schadens konkretisieren

• konkrete Ausweichmöglichkeiten anbieten

• Wissenschaft für den Alltag verständlich übersetzen

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Risiken auf einen Blick: das BfR-Risikoprofil

BfR-Risikoprofil zum Thema …

A Betroffen sind Personengruppe

B Praktischausgeschlossen

Unwahrscheinlich Möglich Wahrscheinlich Gesichert

C KeineLeichte

Beeinträchtigung Mittelschwere

BeeinträchtigungSchwere

Beeinträchtigung

DAussagekraft der

vorliegenden Daten

Hoch: Die wichtigsten Daten liegen vor und sind widerspruchsfrei

Mittel: Einige wichtige Daten fehlen oder sind widersprüchlich

Gering:Zahlreiche wichtige Daten fehlen

oder sind widersprüchlich

EKontrollierbarkeitdurch Verbraucher

Kontrolle nichtnotwendig

Kontrollierbar durch Vorsichtsmaßnahmen

Kontrollierbar durch Verzicht

Nicht kontrollierbar

lichen Beeinträchtigung

Beeinträchtigung einer gesundheitlichenWahrscheinlichkeit

Schwere der gesundheit- Beeinträchtigung

[jeweils reversibel / irreversibel]

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G.-F. Böl, 18.09.2013, 6. Niedersächsisches Forum Gesundheitlicher Verbraucherschutz, Hannover S. 34

Lebensmittelsicherheit in ZukunftKrisen im Lebensmittelbereich werden zukünftig eher zunehmen

Lösungsansätze

• Erfahrungen der deutschen und europäischen Risikobewertung exportieren, um

somit international analoge Institutionen zu etablieren

• Schnellwarnsysteme weiter ausbauen (RASFF, RAPEX)

• Qualitätsstandards international harmonisieren

• Resistenzen vorbeugen (Nanosilber in Verbraucherprodukten)

• Sensibilisierung von Verbrauchern zum Thema Küchenhygiene

Problematik

• vom Tier auf den Menschen übertragbare Keime, sog. Zoonosen

• vor allem Mikroorganismen wie Bakterien und Viren im Fokus

• Ausbildung von resistenten Keimen zunehmend

• Globale Warenströme mit unterschiedlichen Qualitätsstandards

• Rückwärts- und Vorwärtsverfolgung von Lebensmitteln global unzureichend

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G.-F. Böl, 18.09.2013, 6. Niedersächsisches Forum Gesundheitlicher Verbraucherschutz, Hannover S. 35

Astrid EppSuzan FiackKlaus Jürgen HenningAnne-Katrin HermannStephanie Kurzenhäuser-CarstensMark LohmannBettina Röder

Abteilung RisikokommunikationBundesinstitut für Risikobewertung

Carl Vierboom, Ingo HärlenWirtschafts- und Kommuni-kationspsychologie, Bonn

Dirk Scheer, Ulrich Petschow, Gerd SchollInst. f. ökologische Wirtschaftsforschung, Berlin

Ortwin RennDialogik gGmbH, Stuttgart

Oliver Pfirrmannprognos AG, Berlin

Christopher CoenenInst. f. Technikfolgenabschätzung u. Systemanalyse, Forschungszentrum Karlsruhe

Mario HoppKommunikationsforschung, Berlin

Danke

Walter PechmannGesellschaft für Konsum-forschung GfK, Nürnberg

Regine RehaagGabriele TilsKatalyse, Institut für angewandteUmweltforschung, Köln

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G

Danke für Ihre Aufmerksamkeit !

PD Dr. Gaby-Fleur Böl

Bundesinstitut für Risikobewertung

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Tel. 0 30 - 184 12 - 3229 � Fax 0 30 - 184 12 - 1243

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