Transsexualität & Transidentität

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Transsexualität & Transidentität © Christof Wahner 2011 – geschrieben von einem Transmenschen* für Transmenschen aller Couleur und für Leute, die sich auf sachlich-differenzierter Grundlage mit diesem Thema beschäftigen möchten – * wichtige Anmerkung und Empfehlung zum Sprachgebrauch: Wenn ich von den "Betroffenen" spreche, die traditionell Transsexuelle, Transidenten, Transgenders usw. genannt werden, verwende ich einfach den Ausdruck Transmenschen aus folgenden Gründen: Auch und gerade bei diesem Thema sollte der Mensch an sich im Vordergrund stehen. Es gibt verschiedene Trans-Aspekte – sogar bis hin zu Transzendenz, zumal Transmenschen in so genannten "primitiven", schamanistisch orientierten Kulturen (z.B. in Mexiko, Thailand, Indien, Tonga) einen besonderen geistigen Status als two-spirited people haben bzw. hatten. Außerdem ist für Transmenschen oft unklar, aus welcher Sicht ihre Geschlechtszugehörigkeit überhaupt zu betrachten ist, so dass die Begriffe Transfrau und Transmann verwirrend sind. Letztlich gibt es auch Leute, die im "dritten (androgynen) Geschlecht" zu Hause sind und sich wohl fühlen, wenn sie die ganze Bandbreite zwischen männlich und weiblich ausloten dürfen. Inhaltsübersicht: Grundlage: Topologie von geschlechtsbezogener Identität & Präsentation Kriterien zur Erkennung von eigener Transsexualität bzw. Transidentität Aspekte und Grundbegriffe Problematiken diagnostische und therapeutische Knacknüsse Kleidung und Erscheinungsbild Update Vorurteile gegenüber Transmenschen neu Emanzipation gegenüber sexistischen Klischees mögliche psychotherapeutische Lern- und Entwicklungsziele für Transmenschen Update Aspekte bezüglich Geschlechtsumwandlung weitere relevante Scribd-Texte verwendete und weiterführende Medien Anhang: Ausgewählte Texte zum Thema Männlichkeit aus: Regula Venske: Das Verschwinden des Mannes in der weiblichen Schreibmaschine aus: Wolfgang Rath: Not am Mann – Zum Bild des Mannes im deutschen Gegenwartsroman aus: Andrea Gysling: Der grenzenlose Mann – Wahre und fragwürdige Männlichkeit aus: Jula Böge: Ich bin (k)ein Mann ...

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Page 1: Transsexualität & Transidentität

Transsexualität & Transidentität© Christof Wahner 2011

– geschrieben von einem Transmenschen* für Transmenschen aller Couleur und für Leute,die sich auf sachlich-differenzierter Grundlage mit diesem Thema beschäftigen möchten –

* wichtige Anmerkung und Empfehlung zum Sprachgebrauch:

Wenn ich von den "Betroffenen" spreche, die traditionell Transsexuelle, Transidenten, Transgenders usw. genannt werden, verwende ich einfach den Ausdruck Transmenschen aus folgenden Gründen:

– Auch und gerade bei diesem Thema sollte der Mensch an sich im Vordergrund stehen.

– Es gibt verschiedene Trans-Aspekte – sogar bis hin zu Transzendenz, zumal Transmenschen in so genannten "primitiven", schamanistisch orientierten Kulturen (z.B. in Mexiko, Thailand,Indien, Tonga) einen besonderen geistigen Status als two-spirited people haben bzw. hatten.

– Außerdem ist für Transmenschen oft unklar, aus welcher Sicht ihre Geschlechtszugehörigkeitüberhaupt zu betrachten ist, so dass die Begriffe Transfrau und Transmann verwirrend sind.

– Letztlich gibt es auch Leute, die im "dritten (androgynen) Geschlecht" zu Hause sind und sichwohl fühlen, wenn sie die ganze Bandbreite zwischen männlich und weiblich ausloten dürfen.

Inhaltsübersicht:

Grundlage: Topologie von geschlechtsbezogener Identität & Präsentation

Kriterien zur Erkennung von eigener Transsexualität bzw. Transidentität

Aspekte und Grundbegriffe

Problematiken

diagnostische und therapeutische Knacknüsse

Kleidung und Erscheinungsbild Update

Vorurteile gegenüber Transmenschen neu

Emanzipation gegenüber sexistischen Klischees

mögliche psychotherapeutische Lern- und Entwicklungsziele für Transmenschen Update

Aspekte bezüglich Geschlechtsumwandlung

weitere relevante Scribd-Texte

verwendete und weiterführende Medien

Anhang: Ausgewählte Texte zum Thema Männlichkeit– aus: Regula Venske: Das Verschwinden des Mannes in der weiblichen Schreibmaschine

– aus: Wolfgang Rath: Not am Mann – Zum Bild des Mannes im deutschen Gegenwartsroman

– aus: Andrea Gysling: Der grenzenlose Mann – Wahre und fragwürdige Männlichkeit

– aus: Jula Böge: Ich bin (k)ein Mann ...

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Grundlage: Topologie von geschlechtsbezogener Identität & PräsentationAls Grundlage für die geschlechtsbezogene Vorortung dient das dreidimensionale KoordinatensystemTopologie von geschlechtsbezogener Identität & Präsentation.

– Bitte vor der weiteren Lektüre der folgenden Kapitel zuerst diesen Text lesen! –

Generell – also auch beim Thema Transsexualität / Transidentität – ist es wichtig, zu unterscheiden, was in bestimmten Zusammenhängen steht und was man separat betrachten und behandeln muss.Ansonsten besteht die große Gefahr, dass sämtliche Probleme an einem Thema fest gemacht werden("Die schauen mich alle nur deshalb so komisch an, weil ich trans bin"), während man in Wirklichkeit regelmäßig auf die Mitmenschen z.B. als "Type" oder im schlimmeren Fall als "Luder" wirkt – woran übrigens eine Geschlechtsumwandlung und ein Stilwandel in der Regel nicht sonderlich viel ändert.→ Mimik und Gestik dürfen auf keinen Fall unterschätzt werden, wenn es um die Außenwirkung geht!Weder Übertreibung noch Untertreibung kommt gut an. Der abschließende Satz im Text über ge-schlechtsbezogene Topologie bedarf bezüglich Transsexualität & Transidentität folgender Ergänzung:

Wenn bereits 'normale' Männer und 'normale' Frauen mit der Frage konfrontiert sind, welche Band-breite an geschlechtsbezogenen Erscheinungsformen sie sich erlauben, in welchem Bereich sie sich bevorzugt bewegen und womit sie lieber nicht in Verbindung gebracht werden möchten, so trifft dies

leider erst recht auf Transmenschen zu.

Kriterien zur Erkennung von eigener Transsexualität bzw. Transidentität– Welche Art von Leuten erlebe ich als Geschlechtsgenossen bzw. Geschlechtsgenossinnen?

– Gehöre ich in meiner Wunschvorstellung oder Überzeugung dem andereren Geschlecht an?

– Erlebe ich das eigene Geschlecht als minderwertig? Fühle ich mich damit oft benachteiligt?

– Gibt es deutliche Tendenzen in Hobbies, Interessen, Geschmacksrichtungen? (Blumen, Pferde, Tennis, Shopping, Erotik, Kommunikation, Wellness vs. Motorsport, Fußball, Sex, Fernsehen)

– Werde ich immer wieder als Frauenversteher bzw. Männerversteher betrachtet?

– Spüre ich deutliche Abneigungen gegenüber konventionell-sexistischen Gepflogenheiten?

– Empfinde ich nach dem Motto "One world, one gender"?

– Geht mir dieses abgedroschene Trara vom "schönen Geschlecht", vom "starken Geschlecht" und vom "schwachen Geschlecht" mächtig gegen den Strich?

– Mag ich Witze und abwertende Sprüche über das eigene Geschlecht?

– Bevorzuge ich gegengeschlechtliche Rollen?

– Mag ich gegengeschlechtliche Kleidung tragen und gegengeschlechtliche Körpersprache nach-ahmen? Meide ich gleichgeschlechtliche Kleidung und gleichgeschlechtliche Körpersprache?

– Verspüre ich den Wunsch, an Freizeitvergnügen des anderen Geschlechts teilzunehmen?

– Habe ich den Eindruck, dass ich ich im falschen Geschlecht geboren wurde?

– Beschäftige ich mich oft mit Methoden, wie ich meine Geschlechtsmerkmale los werden kann?

– Habe ich die typischen Gefühle und Reaktionsweisen des anderen Geschlechts?

– Fühle ich mich zu Genres bzw. Disziplinen (in Literatur, Wissenschaft, Film, Kunst, Sport, ...) hingezogen, die eher für das andere Geschlecht typisch sind?

– Gehen mir "Ventilsitten" wie Fastnacht bzw. Karneval oder bestimmte Fernsehserien gründlich gegen den Strich, indem sie mein eigentliches Selbstgefühl als Transmensch verletzen?

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Aspekte und Grundbegriffe– Geschlechtszugehörigkeit: biologisch bedingte, aber in vielschichtiger Weise kulturell über-

formte Kombination von Erkennungsmerkmalen, Einstellungen und Verhaltensweisen, wobei entscheidend ist, ob und inwieweit das Individuum seine Geschlechtszugehörigkeit wahrnimmt und anerkennt (gefühlte bzw. gelebte Geschlechtsidentität) und ebenso, ob und inwieweit die Mitwelt (d.h. die so genannte Gesellschaft als vielschichtiges Gefüge sozialer Bezugsgruppen) die Geschlechtszugehörigkeit wahrnimmt und anerkennt (zugeschriebene Geschlechtsrolle).Die Verben "wahrnehmen" und "anerkennen" haben hierbei jeweils eine doppelte Bedeutung:Wahrnehmen meint nicht nur die Wiedererkennung mit den Sinnesorganen, sondern ebenso die Nutzung der Gelegenheiten und Vorteile, die sich mit bestimmten Merkmalen verbinden.Anerkennen meint nicht nur die Akzeptanz, sondern auch die Wertschätzung der Merkmale.

– biologisches Geschlecht (engl. sex): gekennzeichnet durch primäre Geschlechtsmerkmale,d.h. die Ausprägung der eigentlichen Fortpflanzungsorgane (Penis, Hoden, Klitoris, Vagina, Eierstöcke), wobei es allein hierbei schon von Natur aus eine beträchtliche Bandbreite gibt (Allerdings muss Intersexualität streng von Transsexualität unterschieden werden!) sowiedurch sekundäre Geschlechtsmerkmale (Brust, Taille, Po, Fußgröße, Kopfbehaarung, Stimme), die sich mit der Pubertät entwickeln und im gewissen Rahmen durch Lebensgewohnheiten (Ernährung, Bewegung) beeinflusst werden und entgegen dem schulmedizinischen Glauben überhaupt nicht rein genetisch bedingt sind, sondern häufig epigenetisch überformt werden.

– soziokulturelles Geschlecht (engl. gender): geprägt durch tertiäre Geschlechtsmerkmale: Kleidung, Familienrolle, Berufswahl, Freizeitaktivitäten, Interessengebiete, Lieblingsfarben (Rosa-Spektrum, Blau-Spektrum), Stilrichtungen (Blümchenmuster, Rokoko, Sachlichkeit), gesellschaftliche Rechte und Pflichten, Intimität und Vertraulichkeit in sozialen Beziehungen

– Geschlechtsrolle: an Geschlechtsmerkmalen orientierte Rolle wie z.B. Hausfrau, Mutter, Kfz-Mechaniker, Manager, Geschäftsführer, Sekretärin, etc. Hierbei muss man Rollenübernahme (role taking, eher fremdbestimmt) von eigener Rollengestaltung (role making, selbstbestimmt) unterscheiden. Eine "Geschlechtsrolle" muss also nicht auf sexistischen Klischees basieren.Die Rollen der "Lebensbühne" sind prinzipiell wie im Schauspiel überhaupt nichts festgefügtes, sondern im hohen Maß ausfüllungsbedürftig, also von der individuellen Kreativität abhängig.Allerdings hängt der Erfolg dabei auch davon ab, mit wie viel Humor und Schlagfertigkeit man die Sinnhaftigkeit der selbst gewählten Wege gegenüber dem relevanten "Publikum" verklickert.

– Schauspiel ein psychodynamisches Phänomen, das in seiner Tragweite oft unterschätzt wird:Der Begriff umfasst 2 Bestandteile: Schauen (Achtsamkeit) und Spielen (Experimentieren).Deren mögliche Gegenstände ergeben sich in der Regel aus folgenden elementaren Aspekten:Darsteller (individuelle Persönlichkeit), Ort (Situation), Zuschauer ("Publikum", Gegenüber), Spielinhalt (Leitmotive, Lebenskonzepte, "Philosophie", Erfahrungen, Ideen).Die Bedeutsamkeit von Schauspiel für Transmenschen liegt in der expliziten Herausforderung, mit nur geringen Vorlagen seine eigene Rolle auf der Lebensbühne sowie für die Lebensbühne zu entwerfen und weiter zu entwickeln, ohne sich dabei selber in ein Schema hinein zu pressen.

– Mesotes (Aristoteles; = rechtes Maß; nicht mit "Mittelmäßigkeit" oder mit "Standard" verwechseln!): extreme Merkmalsausprägungen (Körperformen, Farben, Gerüche, ...) wirken abschreckend; ausgewogene Merkmalsausprägungen wirken harmonisch und somit Vertrauen erweckend; gleiches gilt natürlich für sämtliche geschlechtsbezogenen Merkmalsausprägungen wie etwa Hüftbreite, Brustgröße, Armlänge, Körpergröße, Relationen zwischen einzelnen Körperteilen.Im Kontext von Geschlechtlichkeit allgemein ist jedes platte "Je mehr, desto besser" verfehlt, sondern es gilt: "Jedes Übermaß an Männlichkeit bzw. Weiblichkeit ist kontraproduktiv"!

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– primäre Transsexualität: in der Kindheit beginnende und stabil bleibende Verlaufsform

– sekundäre Transsexualität: manifestiert sich erst im späteren Leben, wobei die Verzögerung häufig durch gegenteilige Überzeugungsversuche von diversen Seiten bedingt ist (z.B. "Guck doch mal, man kann im Leben nicht alles haben"; "Als Frau hat man ja auch einige Nachteile"; "Betrachte das doch mal einfach ganz realistisch"; "Das ist bestimmt nur so eine kleine Krise"). zusätzlich kann die Entwicklung der geschlechtsbezogenen Identität durch existenziellere Pro-bleme überlagert oder durch widersprüchliche (bzw. scheinbar widersprüchliche) Tendenzen in der eigenen Persönlichkeitsstruktur verschleiert sein.

– Transidentität: der eher emotional-mentale Aspekt, das Lebensgefühl als Transmensch

– Passing: weites Spektrum von weiblichen, männlichen und androgynen Stilelementen; spielerischer Umgang mit einzelnen Elementen in der jeweils angemessenen Dosierung

– androgyn: gleichermaßen feminin-sexy UND maskulin-sexy, für Frauen UND Männer attraktiv, aber nicht geschlechtsneutral (weder feminin noch maskulin) und nicht dysplastisch (unförmig)

– Sichtweisen von Devianz (= abweichendes Verhalten) überhaupt und damit vom Evolutions-faktor Variation (Charles Darwin): biologische Veranlagung, emanzipatorische Notwendigkeit, kulturelle Bereicherung, Krankhaftigkeit, Sittenverfall, Destabilisierung von Konventionen, ...

– Sichtweisen von Geschlechtlichkeit überhaupt: erotisches und ästhetisches Lebenselixier, Identitätsbasis, Gabe Gottes, unvermeidliches Übel, generelle Tabuzone, Selbstzweck, ...

– Sichtweise von Männlichkeit: biologische Minderwertigkeit, das Yang im Yin, Krafteinsatz, extreme Ausprägungen in verschiedener Hinsicht, evolutionärer Schwerpunkt: Variation

– Sichtweise von Weiblichkeit: soziokulturelle Minderwertigkeit, das Yin im Yang, Ausdauer, normale Ausprägungen in verschiedener Hinsicht, evolutionärer Schwerpunkt: Reproduktion

– Emanzipation von sexistischen Klischees (Stereotypen)

– Konformitätsdruck lauert von verschiedenen Seiten, zum Teil erst recht in Selbsthilfegruppen ("Nur diejenigen, die zur Geschlechtsumwandlung bereit sind, sind 'echte' Transmenschen.")

– Menschenwürde, Selbstwert: sich in erster Linie als Mensch betrachten, sich möglichst nicht zum Sexualobjekt reduzieren bzw. reduzieren lassen

– Durchlässigkeit von Bezugsgruppen → im positiven Fall: gesellschaftliche Integration→ im negativen Fall: gesellschaftliche Isolation

– Integration: bezieht sich auf verschiedene Ebenen:- persönlich: verschiedenartige Aspekte der eigenen Persönlichkeit und des eigenen Lebens- zwischenmenschlich: Identifikation mit und Zugehörigkeit zu verschiedenen Bezugsgruppen- gesundheitlich: Wohlbefinden, Spannkraft, Stoffwechselfunktion, Widerstandskraft, ... - lebenspraktisch: Koordination von Aktivitäten, Ressourcen, Chancen, Herausforderungen, ...

– Fetischismus: Neben dem kulturell akzeptierten "Arsch- und Tittenfetischismus" gibt es eine Vielfalt weiterer Fetischismen, die sich auf weitere sekundäre Geschlechtsmerkmale beziehen (z.B. Fußfetischismus, Langhaarfetischismus, Waschbrettbauchfetischismus, Transvestismus) und auf alle denkbaren Sachverhalte, die sich mit Geschlechtsmerkmalen assoziieren lassen.Außer den üblichen Arten von Fetischismus gibt es quasi Hobby-, Szene- und Gelegenheits-Fetischismen. Wesentliche psychologische Aspekte sind hierbei:- Reiz des Verbotenen: Chaps ohne Hose- Reiz der Seltenheit: Federschmuck- Reiz der Exklusivität: Reiterstiefel, Kardinalsrock, Schottenrock (Kilt)- Reiz des Exotischen: Karnevalsverkleidung

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– Sublimation: Verarbeitung unterdrückter Strebungen, z.B. im Theaterspiel (auch: Comedy), in selbst geschriebenen oder bevorzugten Texten (z.B. Poesie), in der Musik, in Malerei und Bildhauerei, in handwerklichen oder sportlichen Aktivitäten, "Ventilsitten" wie z.B. Karneval;Voraussetzung ist, dass es weder um eine Notlösung noch um einen faulen Kompromiss geht.

– Sexismus: Überbewertung von Sexualität an sich; Stereotypisierung sämtlicher Verhaltens-weisen، auch wenn sie an sich in gar keinem Zusammenhang mit der Fortpflanzung stehen; patriarchalisch gesteuerte Diskriminierung abweichender geschlechtsbezogener Orientierung.Ablehnung von Sexismus darf keinesfalls als Ablehnung von Sexualität (und somit von vitaler Lebensenergie) missverstanden werden und auch nicht in Ablehnung von Sexualität ausarten!

– Sexualität: die klassische Quelle für vielschichtige Missverständnisse schlechthin und gleich-zeitig der Anlass für die systematische Bestätigung und Verbreitung dieser Missverständnisse.Im Verständnis einer ganzheitlichen Spiritualität bedeutet Sexualität Lebensenergie, d.h. Libido.Diese Energie wirkt in der Regel erst kontraproduktiv bzw. "negativ", wenn sie unterdrückt wird.In den vielfältigen Mechanismen der kulturellen Unterdrückung sexueller Triebe liegt vielmehr ein Fluch als ein Segen, an den sich die Menschheit selbst im Verlauf der Jahrtausende kaum gewöhnen wird, ohne von vielfältigen Zivilisationskrankheiten heimgesucht zu werden.Dabei ist es bereits entscheidend, dass die Zehn Gebote eigentlich "Zehn Verbote" darstellen.Allgemein kann nur ein konstruktiver Umgang mit natürlichen Impulsen sinnvoll sein.Sexualität als "körperliche Transzendenz" (in Folge von Geschlechtsverkehr und Vermehrung) bildet die materielle Ergänzung bzw. die "Basis" zur Spiritualität als "geistige Transzendenz" in Folge von individueller Einordnung der eigenen Person und der entsprechenden Mitwelt in kosmische Zusammenhänge bzw. räumlich-zeitlich-sinnlich übergreifende Kontexte ("Welten").

– Narzissmus (ursprünglich: Narzissismus): ein unablässiges, ebenso verzweifeltes wie zweifel-haftes Verlangen nach Selbstbestätigung, um wenigstens einen Anschein von "Selbstwert" zu ergattern, indem die Mitwelt abgewertet wird und gleichzeitig diese Abwertung mitsamt den ge-sellschaftlichen Nebenwirkungen dieser Abwertung als "notwendiges Übel zur Selbsterhaltung" umgedeutet und instrumentalisiert wird. Aus der Motivation einer nie oder nur ausnahmsweise erlangten inneren Befriedigung heraus gehorcht der Narzissmus der masochistischen Dynamik.Narzissmus wird oft gerade durch ein soziales Umfeld gefördert, das Selbstliebe als "asozial" oder sogar als "antisozial" abwertet bzw. in irgendeiner Weise eine doppelte Moral praktiziert.Im Bezug auf allerlei soziale Verhältnismäßigkeiten muss man prinzipiell berücksichtigen, dass der "kollektive Narzissmus" (= elitäres Wir-Bewusstsein = verzerrte bzw. pervertierte Form von Nächstenliebe) ebenso fatal sein kann wie der gemeinhin bekannte "individuelle Narzissmus" (Selbstverliebtheit = verzerrte bzw. pervertierte Form von Selbstliebe).

– Selbstwert: sowohl die Grundlage als auch das Ziel von ganzheitlichem "Selbstmanagement".Hierbei ist die logische Hierarchie zu beachten: Bei der Entwicklung von "Selbstwert" geht es zuerst einmal um den konstruktiven Umgang mit persönlichen Ressourcen (= Selbstfürsorge) als Grundlage für sozial verantwortliches Handeln (= Selbstdisziplin). Die logische Krönung besteht darin, dass Selbstverwirklichung nur im sozialen Kontext (Nähe, Distanz, Dynamik) einen "wirklichen Sinn" ergibt.

– Psychoanalyse: konservativ orientierte Disziplin, die Abweichungen von den üblichen Normen allzu gerne problematisiert und pathologisiert. Gerade bei Transsexualität bzw. Transidentität verfehlt die klassische Psychoanalyse leider vollständig ihren Zweck, indem sie die Bandbreite geschlechtsbezogener Orientierungen in ihrer "normalen" Sinnhaftigkeit systematisch ignoriert und keinerlei praktische Konsequenzen anbietet, um innere und äußere Konflikte nicht nur zu lokalisieren, sondern auch befriedigend zu lösen. Das Gegenkonzept lautet Psychosynthese

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Problematiken– Pathologisierung als "gestörte Geschlechtsidentität" → grundlegend negatives Selbstbild

Lösung: sich an Ressourcen und Chancen orientieren, nicht an Problemen und Risiken!

– sperrige Körperdimensionen → Probleme mit den handelsüblichen KonfektionsgrößenLösung: 1 oder 2 gute Schneider suchen und möglichst Sonderkonditionen aushandeln!

– körperliche Gebrechen: Behinderungen, Narben, anatomische Deformation, Haarausfall, ...Lösung: den Gedanken an Geschlechtsumwandlung zurückstellen!

– emotional-mental-sensitiv-kommunikative Defizite: Persönlichkeitsstörung (Psychopathie), Beeinträchtigungen im sprachlichen Ausdrucksvermögen, eingeschränktes Repertoire an emotionalem Ausdruck in Mimik und Gestik, reduzierte oder gestörte WahrnehmungLösung: zuerst einmal den Gedanken an Geschlechtsumwandlung zurückstellen!

– verfehlte Wirkung von Maßnahmen zur GeschlechtsumwandlungLösung: schleunigst über den Weg zurück zum bisherigen Geschlecht nachdenken!

– verfehltes Passing: inneres Verhaftetsein an Klischees, mittelmäßiger Geschmack, mangelnde Routine, "totalitärer" Verzicht auf androgynes Outfit. Zum Beispiel wird in der Comedy-Serie Little Britain verfehltes Passing karikiert. Es wirkt skurril und befremdlich oder bestenfalls drollig, wenn Vorstellungen von vermeintlicher "Weiblichkeit" übertrieben werden. Wie auf einer Bühne beginnt eine "Vorstellung" im Kopf des Darstellers und nicht erst mit dem Einsatz von Requisiten!Lösung: mehrere Stilberatungen von möglichst verschiedenen Seiten einholen! (360°-Prinzip)

spielerisch mit einzelnen Elementen in jeweils angemessener Dosierung umgehen!

– konflikthafte Orientierung bezüglich Partnerschaft und Freundschaft: "Gegensätze ziehen sich an" → extreme oder sogar totalitäre Kombinationen (siehe Seite 2)Lösung: überlegen, wie man genügend echte Aufmerksamkeit & Zuwendung bekommen kann!

überlegen, wie viel Beziehungskonflikte man im eigenen Leben braucht!

– abweichendes Verhalten → Stigmatisierung → Isolation / AußenseitertumLösung: regelmäßig Aufklärung betreiben und auf das breite Spektrum geschlechtsbezogener

Orientierungen hinweisen! (auf Coco Chanel als berühmtes Beispiel verweisen!)

– dualistisches Konzept von Sexualität: "Man kann ENTWEDER männlich ODER weiblich sein."Lösung: das ganze Spektrum der Mischformen erkunden!

lernen, androgyne und dysplastische Ausdrucksformen zu unterscheiden!

– Diskrepanz von geschlechtsbezogener Identität und geschlechtsbezogener PräsentationLösung: Feedback von möglichst verschiedenen Seiten einholen! (360°-Prinzip)

– Diskrepanz von Identifikation mit Bezugsgruppen/ -personen und Zugehörigkeit zu Bezugs-gruppen/ -personen ("Was ich krieg, das will ich nicht und was ich will, das krieg ich nicht.")Lösung: eine solide Verhaltenstherapie in Anspruch nehmen!

– unkritischer Umgang mit Konformitätsdruck: Flucht vor stigmatisierenden Einflüssen → Unterwerfung gegenüber aktivistischen und subkulturellen Einflüssen (z.B. unter dem Motto "Wer schön sein will, muss leiden") als dem "kleineren Übel"Lösung: nicht versuchen sein eigenes Ding zu drehen, sondern selbst Entscheidungen treffen!

– sexistische Stereotypisierung von Verhaltensweisen, auch wenn genau dies gerade abgelehnt wird = reaktiv-automatisierte Revanche für früher erlebte Diskriminierungen (z.B. wenn jemand das äußere Erscheinungsbild sprachlos bewundert) → auch: schroffe Abweisung von echten Komplimenten, paranoider Beziehungswahn, neurotischer ZickenhabitusLösung: Verhaltensweisen und Geschlechtszugehörigkeit auseinander halten und eher als

zufälliges Aufeinandertreffen betrachten!

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diagnostische und therapeutische KnacknüsseWichtig ist die folgende Unterscheidung, dargestellt an jeweils einem Beispiel:

– primäre Störung: Jemand hat in Folge einer Persönlichkeitsstörung wegen der gestörten Ich-Struktur große Probleme, sich konstruktiv mit seiner Transidentität auseinander zu setzen und sie in sein Leben zu integrieren.

– reaktive Störung: Eine primär gesunde Persönlichkeit hat wegen schwieriger Lebensumstände, mit denen in unserer Gesellschaft viele Transmenschen konfrontiert sind (inklusive alltäglicher Ausgrenzungen), psychische Störungen wie Depressionen, Ängste und suizidale Krisen.

Ebenso wichtig wie diese formale Unterscheidung sind folgende Regeln:

– differenzierte Zuordnung von "Symptomen" zu "Krankheitsbildern", ohne voreilig alles in eine Schublade hinein zu werfen

– den Sinn einzelner "Symptome" zu erforschen, d.h. nachzuspüren, was es ist, womit sich die Seele und der Körper insgesamt am wohlsten fühlt

– Es gibt nie nur eine einzige Methode, um einen befriedigenden Zustand zu erreichen!

– Die meisten Angelegenheiten im Leben sind ENTWEDER dringend ODER wichtig.(Das ist übrigens eine der ganz wenigen wirklichen Entweder-Oder-Fälle im Leben.)Für wichtige Angelegenheiten sind frühzeitig entsprechende Prioritäten zu setzen.

– Es ist ein Irrtum, dass mit einer Geschlechtsumwandlung sämtliche Probleme erledigt sind.Manchmal wird es dann erst recht schwierig.

– Es braucht vorurteilsfreie Gutachter und weitsichtige, phantasievolle Therapeuten.

– Gutachter und Therapeuten dürfen keineswegs gegeneinander ausgespielt werden und dürfen sich auch untereinander nicht in Konkurrenz befinden, sonst sollte man sich besser den ganzen Aufwand ersparen. Zweit- und Drittmeinungen sind absolut in Ordnung, sofern sie der Absicherung dienen und bisher übersehene Aspekte zu Tage fördern.Auch z.B. bei Psychotherapie kann eine mehrgleisige Therapie durchaus Sinn machen,- um die Beschwerden von verschiedenen Seiten in Angriff zu nehmen- um zu lernen, Entscheidungen selber zu treffen und nicht einfach das nächstbeste zu nehmen- um die Therapiedauer zu verkürzen- um Durststrecken (wegen eventueller Unstimmigkeiten) bzw. einen Abbruch zu verhindern- um längere Unterbrechungen (z.B. durch Urlaubsabwesenheit) zu vermeiden

– Selbsthilfegruppen bringen nur dann etwas, wenn kein Konformitätsdruck herrscht und wenn keine sachlich irreführenden Totschläger-Argumente gebracht werden wie "So wie man auch nicht ein bisschen schwanger sein kann, so ist man entweder vollständig trans oder gar nicht".

– Der wichtigste Gutachter und der wichtigste Therapeut ist das alltägliche Leben an sich.Das mag vielleicht wie ein schönfärberischer Spruch klingen, ist aber immer noch unbestritten – außer in der Perspektive von Leuten, die eben damit regelmäßig ihre liebe Mühe haben.Immerhin sind die Verhältnisse heute schon durchaus liberaler als etwa noch vor 40 Jahren,als Transmenschen mit dem "freundlichen" Satz begrüßt wurden "Früher hätte man gewusst, was man mit solchen entarteten Gestalten machen muss".

– Bei allen größeren Maßnahmen ist eine eingehende Beratung erforderlich mitsamt Kosten-voranschlag, auch wenn die Kosten weitgehend von der Krankenkasse übernommen werden.Sehr wichtig sind die Gesamtkosten inklusive Folgekosten, die sich auf den Alltag auswirken.Man sollte für mindestens 20 Jahre kalkulieren und verschiedene Szenarien in Betracht ziehen.

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Kleidung und ErscheinungsbildBei Stilfragen ist immer der geschichtliche Wandel inklusive "Kleiderordnungen" zu berücksichtigen.

Röcke und Kleider waren in früheren Epochen durchaus für beide Geschlechter üblich, ohne dass man damit irgendwelche sexistischen Phantasien assoziierte bzw. zum Ausdruck brachte.

Erst mit dem so genannten Fortschritt der Zivilisation (Entstehung des Zunftwesens, Zeitalter der Aufklärung, Epoche der Romantik) entwickelten sich starre sexistische Strukturen: Kleiderordnungen, diskriminierende Erziehungsideale (z.B. Rousseau), Geschlechtertrennung und Doppelmoral.

Wenn man aus heutiger Perspektive z.B. das Erscheinungsbild von Novalis betrachtet, hält man ihn bestimmt für einen typischen Dandy: ausgesprochen feminin und vornehm, dabei jedoch mit einer lässigen Natürlichkeit; kein Vertreter des "starken Geschlechts", sondern des schönen Geschlechts.

www.ub.tu-dortmund.de/images/novalis.jpg

Heute würde man so jemanden als "Paradiesvogel" abtun – erst recht, wenn er eine taillierte Jacke mit Gürtelband, eng anliegende Hosen, darüber elegante Stiefel (40 cm hoher Schaft und 4 cm hohe, deutlich hörbare Absätze) und eine gut gepflegte hüftlange Mähne trägt – aber nur, wenn diese Person als "Mann" angekündigt in Erscheinung tritt. Wenn man aber nicht über das Geschlecht informiert ist, dann behandelt man so jemanden als Frau und wundert sich lediglich über die etwas tiefere Stimme und über die Geheimratsecken beim Haaransatz – was ja beides auch bei Frauen vorkommen kann.

Folgende Verfehlungen wirken jedoch ungefähr im gleichen Maß bei Frauen wie bei Männern skurril:

– brüllend-extravagante Farben / Formen / Kontraste

– zwanghaft gekünstelte Lässigkeit in Kleidung i.w.S. und Auftreten

– ständige Selbstbeobachtung, ob nicht irgendwelche Peinlichkeiten sichtbar sein könnten

– deutliche Widersprüche zwischen Kleidung und Auftreten

– mangelnde Schlichtheit durch zu viel Schnickschnack (v.a. bei Gold und Glitzerbesatz)

– mangelnde Berücksichtigung körperlicher Besonderheiten (Überlängen, Überbreiten)

– mangelnde Berücksichtigung von Witterung und Ambiente (Konzertsaal, Werksgelände, Strand)

– Diskrepanz von Bewegungsverhalten und Kleidungstyp bzw. gewählter Konfektionsgröße

– mangelnde farbliche Abstimmung der Kleidung i.w.S. bezüglich Körperfigur und Hauttyp

Unter "Auftreten" sind sämtliche Körperhaltungen und Bewegungen einschließlich Mimik gemeint.

Unter "Kleidung im weiteren Sinne" wird hier alles verstanden, was die nachfolgende Liste umfasst.

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Auch wenn es viele fließende Übergänge gibt, lassen sich folgende Kategorien grob unterscheiden:

– Fußbekleidung: Schuhe, Sandalen, Stiefel, Socken, Wadenwärmer, Schweißbänder, ...

– Beinkleider: Hose, Rock, Hosenrock, Stiefelhose, Strümpfe, Leggings, Lederhose, Latzhose, (Dirndl-)Schürze, Lendenschurz, Strumpfhose, Pluderhose, Shorts, Badehose, ...

– Rumpfbekleidung: T-Shirt, Bluse, Hemd, Hemdkleid, Kleid, Cape, Tunika, Sari, Poncho, Gewand, Robe, Weste, Jacke, Mantel, Frack, Dirndl-Kleid, Leibchen, Overall, Corsage, Top, Pullunder, Pullover, Sakko (Jackett), Kittel, Blouson, Anorak, ...

– Kopfbedeckung: Kopftuch, Kufiya, Turban, Hut, Sombrero, Mütze, Schirmmütze, Kappe, Beanie, Kapuze, Barett, Schleier, Haube, Badekappe, Regenhaube, Sturmhaube, Gugel, Perücke, Helm (Fahrradhelm, Skihelm, Reithelm, Motorradhelm), ...

– Gurte: Hosengürtel, Rockgürtel, Hosenträger, Strapse, Taillengürtel, Schleife, Schärpe, ...

– Handbekleidung: Handschuhe, Pulswärmer, Schweißbänder, Armreif, ↗Fingerringe, ...

– Schmuck: Anhänger (z.B. Kette mit Karabinerhaken für Schlüsselbund oder Taschenuhr),Armbanduhr, Halskette, Fibel, Brosche, Nadel, Fingerringe, Ohrringe, Piercings, Schmuck für Hand- & Fußgelenke, Freundschaftsbänder, Stirnband, Diadem, Haarschmuck (Haarspange, Haarreif, Haarkamm, Haarnadel oder Stäbchen, Haargummi, Haarband, Haarnetz, Haarklammern, Haarschleife, Federschmuck, Kopftuch oder dünner Schal als Haarband oder zum Einflechten in einen Zopf)

– Halstextilien: Halstuch, Schal, Pelz, Krawatte, Halsband (Choker), Fliege, Lätzchen, ...

– Brillen: Lesebrille, Sonnenbrille, Schutzbrille (Schwimmen, Skifahren, Motorradfahren), ...

– Tragware: Umhängetasche, Handtasche, Rucksack, Handysack, Portemonnaie, Brieftasche, Schirm, Fächer (Wedel), Koffer, Tüten, ...

– Unterwäsche: Unterhosen, Unterhemd, Nierenwärmer, Korsett, BH, ↗Socken, ↗T-Shirt, ...

Diese Aufzählung von Kleidungstypen ist definitiv unvollständig, wie selbst auch die Wikipedia-Liste. Sämtliche Kleidungsstücke – auch trachtenmäßige Kleidungsstücke – müssen zuerst einmal völlig geschlechtsneutral betrachtet werden, um nichts vorschnell als "Unmöglichkeit" auszuschließen – sowohl für Frauen als auch für Männer. Außerdem lässt sich im Prinzip alles mit allem kombinieren, abhängig davon, ob es in den jeweiligen Kontext passt.

Frisur und eventuelles Makeup gelten traditionell als "Hauptsache". Um die Entscheidungsprozeduren zu erleichtern, gibt es nützliche und kostenlose Programme, die beide Bereiche ausreichend abdecken:

http://jkiwi.com/download/ (zum installieren, Java-basiert, die Programmdatei ist im Ordner "bin")

www.taaz.com/makeover/virtual-makeover.html (online)

http://www.dailymakeover.de (online)

Auch hier gilt es, seine gesamte Figur und ihre Aussagekraft im Auge zu haben. Mit anderen Worten: Es bringt nicht sonderlich viel, wenn man sich ein wunderschönes Gesicht zaubert, das aber in einem mehrfachen Widerspruch zur übrigen Erscheinung steht. So etwas wirkt je nach Situation befremdend oder im besten Fall einfach nur bedauerlich.

Es bringt übrigens nichts, einem Model wie z.B. Andrej Pejic nachzueifern und sich dadurch allenfalls unter einen geradezu masochistischen, lähmenden und alle Kreativität erstickenden Druck zu setzen, durch den man sich systematisch ausbremst und frustriert. Hinsichtlich Makeover insgesamt gibt es prinzipiell zwei verschiedene methodische Ansätze, die sich gegenseitig durchaus sinnvoll ergänzen:

– von Zielzuständen ausgehen, die man nach Möglichkeit erreichen möchte

– von bisherigen Gegebenheiten ausgehen, die man als Grundlage nutzen kann

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Es gibt Marken, die sich in eine androgyne Richtung entwickelt haben bzw. entwickeln, zum Beispiel

www.baur.de/external/baur-de?CategoryName=sh1122059&Name=tamaris

Außer den üblichen Einschränkungen bezüglich Körperumfang (siehe das Kapitel "Problematiken") besteht die wesentliche Einschränkung im Bereich der Schuhgrößen, der in der Regel bei 42 endet.

Das hier ausgewählte Erscheinungsbild liefert einen überzeugenden Eindruck, dass auch und gerade androgyne Mode folgende Kriterien erfüllen kann und sinnvollerweise nicht dagegen verstoßen sollte:

– praktisch: einigermaßen robust, möglichst leicht zu reinigen, ...)

– aktivitätsangepasst: Büro, Werkstatt, Sporthalle, Tanzklub, Wanderung, ...)

– komfortabel, so dass man sich darin wohl fühlt, und zwar unabhängig vom Erscheinungsbild

– unkompliziert beim Anziehen, Tragen, Ausziehen und Aufbewahren

– unaufdringlich, so dass man sich damit z.B. auch auf einem Friedhof bewegen kann

– ungefährlich: z.B. keine Schuhabsätze oder Laschen, mit denen man hängen bleibt

– öko: ökonomisch und ökologisch vertretbar, soweit Information verfügbar bzw. bekannt ist

– stilvoll: aufeinander abgestimmt, in vorteiligem Verhältnis zu den eigenen Körperformen ("Hilfskonstruktionen" sind durchaus erlaubt, sollten aber nicht kompliziert sein.)

– gepflegt: sauber, nicht "gerade aus der Tonne geangelt")

– witterungsangepasst, aber auch nicht allzu witterungsabhängig

– flexibel kombinierbar mit anderen Kleidungsstücken, bezüglich Farbe und Form (Schnitt)

Hingegen sind gerade die regelmäßig und ausführlich diskutierten Kriterien absolut untergeordnet:

– modisch (hip, mit dem Strom, angepasst, klassisch)

– unkonventionell (auffällig, gegen den Strom, revolutionär)

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Wenn es um feminin und maskulin wirkende Komponenten geht, so sollte man stets den Unterschied von androgyn (sowohl feminin als auch maskulin) und dysplastisch (weder feminin noch maskulin) berücksichtigen, obwohl und gerade weil hierbei die Grauzone beträchtlich und facettenreich ist.

Das Erscheinungsbild sollte mit bestimmten Einstellungen verbunden sein:

– Man sollte Kleidung (inklusive Frisur und Makeup) mit einer gewissen "Selbstverständlichkeit" tragen, also nicht etwa um damit absichtlich aufzufallen nach dem Motto "Hallo! Hier bin ich!".

– Man sollte darin "unbefangen" sein, also keine Angst vor der eigenen Nacktheit haben.

– Das Äußere sollte nicht mehr und nicht weniger als eine schöne und angenehme Nebensache sein.

Vorurteile gegenüber TransmenschenDie facettenreiche Szene am Baum der Erkenntnis war die Basis für das "Bewusstsein von Kultur" und für die "Kultivierung des Bewusstseins" in einem differenzierenden (Unterschiede betonenden) Sinne, wodurch man sich vom "primitiven, chaotischen Urzustand" abgrenzt. Nun verhält es sich in diesem Kontext so, dass auch Transmenschen in diese Schablone gezwängt werden und sich zwangsläufig damit auseinander setzen dürfen. Das Wort "müssen" wird hier durch "dürfen" ersetzt, weil ein weiterer Aspekt darin besteht, dass diese Schablonen im Verlauf der Kulturgeschichte so fest etabiliert wurden, dass sie auch im Bewusstsein von alternativ orientierten Menschen quasi genetisch verankert sind.

Diese Paradoxie kann sogar dazu führen, dass man auf die "kompliziert-kultivierte" Mitwelt überhaupt nicht abschreckend wirkt, weil man ein Transmensch ist, sondern weil man "einfach zu kompliziert" ist, weil man schlecht in die üblichen "Komplexe" (Schemata, Ideale, Rollen, Typologien, ...) hinein passt.

Nun sollen hier einige der schärfsten und häufigsten Vorurteile thematisiert werden und wie man damit beispielsweise umgehen kann:

– oberflächlich"... Das klingt vielleicht oberflächlich, aber man muss sich um die Oberfläche kümmern, dann kommt man besser an die Unterfläche heran." (Karl Lagerfeld, Interview 2011)

– sexistisch (emanzipationsfetischistisch)"In erster Linie möchte ich mich als Mensch fühlen dürfen und so behandelt werden.""Ich lass mich halt nicht auf ein sackartiges oder schnörkeliges Outfit hin drillen."

– kompliziert"Stellt euch mal ganz einfach vor, dass ich ein Mann bin, aber eben lesbisch orientiert."/ "Stellt euch mal ganz einfach vor, dass ich eine Frau bin, aber eben schwul orientiert."

– extravagant (exaltiert, komisch, kauzig, schrullig)"Na ja, ich sag immer, dass ich ein ganz normaler Psychopath bin.""Ich stell mich weder unter den Druck 'normal' zu sein noch etwas besonderes darzustellen."

– schlampig (unsauber, unordentlich)"Chaos ist die Kehrseite von Perfektionismus. Das ist alles eine Frage der Arbeitsteilung.""Kritisieren fällt euch offenbar leichter als konkrete, tatkräftige Unterstützung zu liefern."

– selbstverliebt (narzisstisch, egozentrisch)"Ich bin kein altruistischer Weltverbesserer, sondern fange lieber bei mir selber an.""Narzissmus und Selbstfürsorge sehen vielleicht ähnlich aus, sind aber Gegensätze."

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Emanzipation gegenüber sexistischen KlischeesEntsprechendes gilt für Geschenke: Für den gesunden Menschenverstand dürfte es unklar bleiben, weshalb sich ein Mann nicht über einen schönen Blumenstrauß freuen dürfte – auch wenn Blumen eher als Ausdruck von Weiblichkeit gelten und eine Flasche Wein eher Männlichkeit symbolisiert und übrigens auch in dem Märchen "Das Rotkäppchen" im Verhältnis zum Blumenstrauß eine Rolle spielt.

Aber nun zurück zum Beispiel Novalis:

Die Angst ist vor allem sprachlich bedingt: nämlich ob man eine solche Person als "Herr" oder "Dame" ansprechen soll, weil man im Bezug auf das "dritte Geschlecht" konventionell sprachlos ist und nicht nur im tiefenpsychologischen Sprachgebrauch gegenüber dem Es eine reservierte Haltung einnimmt.Dazu kommt die Angst, dass man sich in eine Person verlieben könnte, deren Geschlecht unklar ist, so dass man in eine homoerotische und im allerschlimmsten Fall homosexuelle Beziehung abgleitet und dass die Gesellschaft, das komplexe Gefüge sozialer Bezugsgruppen von dieser Straftat erfährt und sich mit einer ganzen Palette von Sanktionen rächt. Nein, dann will man lieber gleich mit einem "Brutalo" bzw. einem "Weibchen" zu tun haben. Da ist alles von Anfang an wunderschön eindeutig.Solcherlei sexistische Abgrenzung rührt wie gesagt aus patriarchalischer Weltanschauung, nämlich:

– dass alles in der Welt schön "übersichtlich" zu sein hat und

– dass Frauen, Kinder und Künstler aller Art einen Sonderstatus haben, indem sie die mühevoll erkämpfte Ordnung immer wieder durcheinander bringen.

Gemäß den Regeln zur dialektischen Auflösung scheinbarer Gegensätze handelt es sich aber bei dieser "Ordnung" eher um eine an sich "chaotische Ordnung" mit deutlichem Fassadencharakter, der sich z.B. in allerlei Zivilisationskrankheiten äußert, während das "ordentliche Chaos" den urtümlichen, urwüchsigen Zustand beschreibt, der jedoch durchaus seine innere Ordnung hat. Das kann man bei den so genannten "primitiven" Völkern erkennen.

Die "Spaltung der Wirklichkeit" (vgl. Das Rätsel des Masochismus) wurde immer wieder systematisch produziert, indem z.B. bereits im Altertum Schauspiel, Musik, Poesie und Malerei zwar als feminine Hobbys galten, aber die Ausführung dieser Hobbys nur Männern zugebilligt und zugetraut wurde.

Ebenso eigenartig war im Grunde die sexistisch-ambivalente Vorstellung, dass im Militär nur Männer dienen sollen. Noch in der Frühzeit der griechischen Antike vertrat man die modern anmutende Über-zeugung, dass erotische Zuneigung unter den Soldaten den Zusammenhalt in der Mannschaft fördert. Dies aber funktionierte nur so lange, wie soziale Beziehungen nicht als "Privateigentum" galten und somit einen "eigentümlichen" Beigeschmack bekamen. Im Verlauf vom "Fortschritt der Zivilisation", d.h. mit zunehmender Verbürgerlichung (latein. 'civis' = 'Bürger' → 'civilisatio' = 'Verbürgerlichung') entsteht eben diese Eigentümlichkeit – wie im Text Also sprach Zarathustra vom Gelde beschrieben:

♀ Selbstbezug → ♂ EigentümlichkeitSelbstwert(gefühl) → Eigentum

Selbstfürsorge → Eigennutz

Selbstverwirklichung → Eigensinn

Selbsterfahrung → Eigenbrötelei

Selbstachtung → Eigenlob

Selbstbehauptung → Eigenmacht

Selbstbestimmung → Eigenwille

Verbürgerlichung bedeutet also gleichzeitig Vermännlichung. Durch die Übernahme von Ehrenämtern und durch großzügige, demonstrative Spenden gibt man sich gerne den Anschein "selbstlos" zu sein, dies aber eher im Sinne der "Fernstenliebe" gemäß der kreativ-provokativ-kritischen Begrifflichkeit von

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FRIEDRICH NIETZSCHE, dessen Kulturkritik weit über die Gesellschaftskritik von KARL MARX hinaus ging.

Wenn man vom männlichen Geschlecht spricht, ist in diesem Sinne das "eigentümliche Geschlecht" bzw. das "«selbstlose» Geschlecht" gemeint. Selbstbezug ist allein schon deshalb feminin, weil Selbstberührung als feminin gilt – wie sämtliche "Verlegenheitsgesten" als Ausdruck von Scham:

das eigene Handgelenk umgreifen, sich durch das Haar oder über die Haut streichen, sich ans Kinn, an den Hals, oder an die Nase fassen, die Beine übereinander schlagen, X-Beine beim Sitzen, usw.

Außerdem kommt der Selbstbezug im Symbol "O" zum Ausdruck, indem es einen Strich darstellt, der sich selbst berührt.

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mögliche psychotherapeutische Lern- und Entwicklungsziele für Transmenschen– innere Konflikte wahrnehmen, formulieren, angemessen kommunizieren, sinnvoll analysieren,

Lösungsansätze entwickeln und mit verschiedenen Situationsvariablen experimentierenLösungsansätze sind z.B. künstlerische Ausdrucksformen ("Sublimierung" von Konfliktspannung), Ironie und Witz, Beteiligung an "Ventilsitten" wie Mittelalter-Festivals, Gelassenheit, klare Prioritäten, Entzerrung von Konfliktsituationen durch zeitliche, räumliche und personelle Strukturierung.

– die jeweils aktuellen Bedürfnisse ermitteln und darauf in sinnvoller Weise eingehenZuerst darf und soll man sich ruhig um die eigenen Bedürfnisse kümmern, bevor man sich um eine sinnvolle Koordination mit den Anforderungen der Mitwelt bemüht. Echte Selbstfürsorge hat nichts mit Egozentrik gemeinsam und Egozentrik beschreitet völlig andere Wege als echte Selbstfürsorge,selbst wenn unter Umständen das Handeln und das Ergebnis nach außen hin sehr ähnlich erscheint.

– soziokulturelle Zwischenräume (Grauzonen) "jenseits von Schwarz und Weiß" erkundenDie Attribute "männlich" und "weiblich" sind eher soziokulturelle Konstrukte als objektive Realitäten.Man hat die Wahl, ob man sich lieber auf die Unterschiede oder auf die Gemeinsamkeiten stürzen will.Die Betonung von Unterschieden ist ein konventionelles Denkmuster in so genannten "Hochkulturen", wodurch das "dritte Geschlecht" (Gemeinsamkeit, "Sächlichkeit") in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

– sich von eigenen und übernommenen Klischees sowie "fixen Ideen" (Zwängen) distanzierenEine typische Gefahr ist, dass man in eine "masochistische Dynamik" schlittert, wenn man bestimmte Anteile der eigenen Sexualität unterdrückt – egal ob dies fremdgesteuert oder selbstmotiviert passiert.Zwischen fremd- und selbstgesteuerter Motivation gibt es viele Kombinationen und feine Abstufungen, mit denen sich "Diplomaten" und "Beziehungsneurotiker" bestens auskennen, wenn es z.B. darum geht, sich als unschuldiges "Opfer" von Konformitätsdruck und Klischees zu präsentieren, nur weil man viel-leicht zu bequem ist, um eigene Entscheidungen zu treffen und diese Entscheidungen durchzuhalten.Eine zentrale Paradoxie liegt hierbei im "Reiz des Unerreichbaren", der zum "Neurotiker-Credo" führt: "Was ich will, das hab ich nicht – und was ich hab, das will ich nicht."Dessen ungeachtet muss man aber berücksichtigen, dass "dialektische Verschränkungen" von fremd- und selbstgesteuerter Motivation durchaus notwendig und sinnvoll sein können, auch wenn deren Wert deutlich davon abhängt, wie bewusst und wie gezielt diese Verschränkungen angewendet werden, z.B. in Form von "Bestanderhaltungsklauseln" zum Schutz etablierter sozialer Systeme (z.B. Unternehmen, Staat, Familie, Internet Community, Börse) vor den fatalen Konsequenzen missbräuchlicher Umtriebe, besonders wenn eine "demokratische Legitimation" oder eine "akute Dringlichkeit" vorgetäuscht wird.

– sektiererische, defensive, trotzige und missionarische Fehlhaltungen überwindenEs nützt nichts, Feindbilder und Mauern zu kultivieren – vor allem, wenn man damit Eigentore schießt.Konflikthafte Einstellungen sind sowohl für das Individuum als auch für dessen Umfeld anstrengend.Sektiererische Grundhaltungen wie "Die breite Masse ist der Erzfeind aller Transmenschen" bewirken, dass allerlei besondere Merkmale von Andersartigkeit gesucht und gezüchtet werden. (= Extravaganz)Defensive Grundhaltungen sind z.B. "Leute, lasst uns doch einfach alle in Ruhe". Konflikte entstehen, wenn die betreffenden Transmenschen im Ausnahmefall von den "Heteros" dann auf einmal speditive Hilfe erwarten (müssen), während sie normalerweise ihre Mitwelt wie Luft behandeln. (= Ignoranz)Trotzige Grundhaltungen sind z.B. "Wenn die Gesellschaft ihre Mitglieder schon dazu zwingt, dass sie sich eindeutig zwischen männlich und weiblich entscheiden, dann soll die Gesellschaft bitteschön auch in jedem Fall alle eventuellen Kosten für diesen sinnfreien Schnickschnack tragen". (= Reaktanz)Missionarische Grundhaltungen wie "Wenn alle Leute so wären wie wir, dann gäbe es keine Probleme" führen zu Konflikten, indem sich ihre Anhängerschaft als das Maß aller Dinge betrachtet und ihr Umfeld prinzipiell abwertet oder sogar systematisch attackiert. (= Arroganz)Insgesamt geht es darum, eine entspannte, ausgewogene, weitsichtige, selbstsichere und konstruktive Grundhaltung zu entwickeln, die an sich keinen nennenswerten "Diskussionsbedarf" produziert.

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– kommunikative Sinngehalte (Signale, Symbole, Abbildungen, sprachliche Ausdrücke) flexibel, konstruktiv, selbstwertförderlich und schlagfertig interpretieren und "bewirtschaften"Im kommunikativen Kontext ist es entscheidend, ob man sich eher als "Opfer" oder eher als "Täter" betrachtet. Als "Täter" kann man sich nur noch schlecht hinter dem "Konformitätsdruck" verstecken,aber dafür darf man dann eben auch den Nutzen einfahren, egal wie dieser erwirtschaftet wurde.

– eigene sexistische Überzeugungen (v.a. Homophobie) analysieren und auflösenWie schon in den einleitenden Worten erwähnt, sind die Begriffe "Transfrau" und "Transmann" an sich nicht nur missverständlich, sondern geradezu sexistisch und somit kontraproduktiv. Es geht also darum, sich selbst als "Mensch" wertzuschätzen und die gleiche Einstellung auf die Zeitgenossen anzuwenden.Je nach soziokulturellem Umfeld hat man mit mehr oder weniger ausgeprägten Berührungsängsten zu kämpfen, die aber sehr wohl auch durch selbstgestrickte Kommunikationsmuster bedingt sein können: Wenn man nämlich selber mit eigenen homophobischen Berührungsängsten unterwegs ist, sollte man sich nicht allzu sehr wundern, wenn das Umfeld "transphobische" Berührungsängste an den Tag legt.Die Frage danach, wer die maßgebliche Schuld dafür trägt, läuft in diesem Fall zwangsläufig ins Leere, weil sie – ebenso wie alle Warum-Fragen – keinerlei kreatives Interesse an einer Problemlösung zeigt, sondern allenfalls ein defensives Interesse an einer Problemverlagerung und -abwälzung.

– ein einigermaßen konsistentes Selbstkonzept aufbauen, und zwar unter Berücksichtigung der drei elementaren Aspekte Orientierung (Nähe), Identität (Distanz) und Präsentation (Dynamik)

– die Bezugshorizonte der persönlichen "Lebenswelt" entdecken, entwickeln und "definieren"Das lateinische Fremdwort "definieren" bedeutet wörtlich "abgrenzen". Verteidigungs- bzw. Abwehr-mechanismen haben durchaus ihren Sinn, wenn sie mit sachgerechtem Augenmaß praktiziert werden. Es bringt niemandem etwas, wenn man sich durch vermeintlich objektive Realitäten verunsichern lässt.Andererseits sollte man eine rein defensive Grundhaltung vermeiden, indem man sich eigenständig um die Entwicklung seiner persönlichen Lebenswelt kümmert.

– Ängste und Befürchtungen thematisieren und gründlich auf ihre Berechtigung hin überprüfenÄngste verflüchtigen sich nicht, indem man darüber schweigt. Ängste teilen sich meist nonverbal mit,so dass "etwas in der Luft liegt", ebenso wie dies bei Lust und Freude der Fall ist. Natürlich bringt es nichts, Befürchtungen zu dramatisieren, aber man sollte sie eben genauso wenig bagatellisieren.Beim nachfolgenden Schritt der Realitätsprüfung liefert das englische Wort FEAR eine gute Merkhilfe: FEAR = "false expectations appear real", d.h.: falsche Erwartungen erscheinen als reale Bedrohung.

– aktuelle Erfahrungen in bestehende individuelle und kollektive Deutungsmuster integrierenEs geht nicht nur um die Annäherung von Individuum und Gesellschaft, sondern auch bzw. erst recht um die Annäherung beider Perspektiven an die aktuelle Wirklichkeit (= "Gegenwart" = "Präsenz").

– konstruktiv und entspannt mit Konformitätsdruck und mit Widersprüchlichkeiten umgehenDer sozialwissenschaftlich etablierte Begriff "Ambiguitätstoleranz" meint die Fähigkeit, widersprüchliche Informationen und Erwartungen im Raum stehen lassen zu können – zumindest für eine gewisse Zeit – und diese Widersprüchlichkeiten und Konflikte nicht vorschnell zu problematisieren.

– selbstfürsorglich mit persönlichen Ressourcen umgehenEs geht darum, eigene Ressourcen wertzuschätzen, zu schützen, zu erwerben, zu pflegen und sinnvoll zu nutzen, um das Leben konstruktiv zu gestalten. Ressourcen lassen sich in sechs Gruppen gliedern:- organisatorisch: klare Prioritäten, Plan B, Mitbestimmung, Team, Networking, Rechte, Bonität, Liquidität- psychosozial: Freunde, Partner, Familie, Haustiere – Zärtlichkeit, Vertrauen, Solidarität, Attraktivität- ökonomisch: Eigenheim (Stabilität), Kfz (Mobilität), sichere Einkünfte, Versorgung (Garten, Brunnen)- strategisch: Wissen, Intelligenz, Schlüsselqualifikationen, Muße, Raum, Infrastruktur, Technologie- physisch: Immunsystem, Belastbarkeit (Fitness), Schlaf, Ernährung, Verdauung, Sexualität- mental: Selbstwertgefühl, Spiritualität, Humor, Esprit, Phantasie, Selbstkonzept

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– kulturlogische Assoziationsketten (Klischees, Typologien, Rollen, Schablonen) erkennen, nachvollziehen, weiterstricken, durchdeklinieren, variieren, durchbrechen und umgestaltenEs bringt nicht sonderlich viel, sich gegen sämtliche Konventionen aufzulehnen. Es bringt aber genauso wenig, sie gedankenlos zu akzeptieren. Der kreative Mittelweg erfordert ein wenig Mühe, lohnt sich aber dafür langfristig umso mehr. Um in sinnvoller und effektiver Weise Konventionen zu durchbrechen, sollte man sich mit ihnen zuvor gründlich vertraut machen.

– Selbst- und Fremdwahrnehmung durch den Aspekt der Kontextwahrnehmung erweiternSobald es um das Erscheinungsbild geht, wandelt man in der "Sphäre des Geschmacks", der sich im Grunde gegenüber jeder rationalen, generalisierenden und normativen Betrachtung prinzipiell versperrt.Alles andere sind lediglich vorgeschobene Erklärungen, die ohne den jeweiligen lebensweltlichen Kontext der betreffenden Kultur (kollektive Hinsicht) bzw. der betreffenden Persönlichkeit (individuelle Hinsicht) sinn- und wertlos sind. Das heißt aber eben oft, dass diese Kontexte erst erschlossen und thematisiert werden müssen, bevor sie auf breite Anerkennung stoßen.

Solche Ziele sind am besten im konzeptionellen Verbund von Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie, Gesprächspsychotherapie und systemischer Therapie erreichbar. Folgendes ist dabei in jedem Fall zu beachten:

– Der eigentliche Therapeut ist das Leben, also der gewöhnliche bzw. gewöhnungsbedürftige Alltag. Psychotherapie hat lediglich eine Hilfsfunktion, aber keine dauerhafte Ersatzfunktion.Sobald Psychotherapie zur "Krücke" verkommt, bewirkt sie damit mehr Schaden als Nutzen.

– Die wesentliche Entwicklungsarbeit geschieht außerhalb der psychotherapeutischen Termine, d.h. bei Hausaufgaben, z.B. Tagebuch schreiben, nach neuen Lebensbereichen recherchieren, bestehende soziale Kontakte stabilisieren und sinnvoll gestalten, in ausgewählten Situationen mit bestimmten Aspekten (Verhaltensweisen, Kleidungsstücken, Themen) experimentieren, ...

– Wie allgemein in jedem therapeutischen oder pädagogischen Verhältnis (Arzt, Coach, Trainer) geht es nicht in erster Linie darum, was der Psychotherapeut will. Aber auch die anfänglichen Zielvorstellungen des Klienten erweisen sich möglicherweise als unrealistisch, einseitig oder kontraindiziert. Im ersten Schritt geht es also darum zu erkunden, was sinnvoll erwartbar ist.

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Aspekte bezüglich Geschlechtsumwandlung– Liegt der Zeitpunkt vor oder nach der Pubertät?

Bis zur Vorpubertät ist Geschlechtsumwandlung am sinnvollsten und am praktikabelsten.

– Körperdimensionen & Erscheinungsbild (körperliche Defizite, Asymmetrien, ...)?Vorhandene Defizite bekommen durch Geschlechtsumwandlung lediglich ein anderes 'Gesicht' oder werden dadurch sogar in skurriler Weise hervorgehoben.

– Wie gut ließe sich die gewünschte Geschlechtsumwandlung durch andere Maßnahmen (z.B. androgyne Veränderung im äußeren Erscheinungsbild, Suche nach geeigneten Bezugsgruppen für relevante Freizeitaktivitäten, solide Verhaltenstherapie mit Rollenspielen) kompensieren?

– eigenes emanzipatorisches Selbstverständnis sowie Überzeugungskraft hinsichtlich der geplanten / anstehenden / laufenden / abgeschlossenen Veränderungen:Selbstunsichere Leute werden oft weniger ernst genommen als selbstüberzeugte Leute.

– tatsächliches emanzipatorisches Verständnis der Mitwelt:Achtung: Tatsachen und Annahmen gehen oft meilenweit auseinander! Deshalb ist es eine echte Herausforderung, die eigenen Annahmen in mehrfacher Hinsicht gründlich zu prüfen!Manche Bezugsgruppen können sich als viel toleranter entpuppen als ursprünglich vermutet, während sich vertraute Leute aus der alternativen Szene verunsichert und provoziert fühlen.Außerdem ist es in vielen Angelegenheiten so, dass man die gleiche Information regelmäßig wiederholen muss, bevor die Mitwelt die Information wirklich "abspeichert" und ernst nimmt.

– überdurchschnittliche psychische Belastbarkeit über Monate und Jahre hinweg:Geschlechtsumwandlung ist eine langwierige und mehrgleisige Prozedur.

– Perfektionismus, d.h. zwanghafte Züge in der Persönlichkeitsstruktur?Geschlechtsumwandlung bewirkt selten "perfekten" Ergebnisse und vollbringt keine Wunder.

– gewaltige direkte und indirekte Kosten, und zwar sowohl finanziell als auch psychosozial:Auch die Folgekosten müssen berücksichtigt werden, und zwar über mehrere Jahrzehnte.

– sekundärer Krankheitsgewinn durch Zuwendung & Aufmerksamkeit in Folge von Nachteilen aller Art, was aber freilich eine sehr zweifelhafte Methode ist, um Zuwendung zu erhaschen

– Vorsicht: Mit einer Geschlechtsumwandlung ändert sich noch nicht die Persönlichkeitsstruktur mitsamt den inneren Konflikten, die sich mit der Zeit verselbständigt haben – auch wenn man sich dies noch so sehr sehnlich wünschen mag. Sämtliche vorhandenen Defizite bekommen lediglich ein anderes 'Gesicht'.

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weitere relevante Scribd-Texte– Also sprach Zarathustra von den Unterschieden (Stereotypen, Gratwanderung)

– Warum Männer keine Kleider und Röcke tragen dürfen (sexististische Stereotypisierung,

– Warum Männer keine Stiefel tragen dürfen Brüche in der kulturellen Logik)

– Das Rätsel des Masochismus (systematische Selbstunterdrückung)

– Also schwieg Zarathustra (Mensch und Liebe als Hauptsache)

– Also sprach Zarathustra vom Wohlergehen (das "dritte Geschlecht", das Es)

– Das große Lied vom kleinen Geld (Aphrodite & Ares bzw. Venus & Mars)

– Dimensionen von Führungsverhalten (Typologie-Schema, "Lebensführung")

– Dimensionen von Kultur bzw. von Persönlichkeit (zentrale Aspekte von Persönlichkeit)

– Topologie von geschlechtsbezogener Orientierung, Identität und Präsentation (dreidimensionale Verortung von Sexualität: männlich = Distanz, weiblich = Nähe, sächlich = Dynamik)

– Modell der psychischen Verfassung (Persönlichkeitsstruktur, Emotionalität)

– Selbstbefangenheit (kontraproduktive Verhaltensmuster)

verwendete und weiterführende Medien– Udo Rauchfleisch: Transsexualität – Transidentität

– Georg van Herste: Transsexualität – Transidentität – der wahre Traum von Freiheit

– Helma Katrin Alter: Gleiche Chancen für alle

– Jula Böge: Ich bin (k)ein Mann ...

– Tim Rohrmann: Junge, Junge, Mann o Mann

– Tom Schmitt & Michael Esser: Status-Spiele (Hochstatus & Tiefstatus bei Mann & Frau)

– H. Blümmer & J. Thomas: Eine Frau, ein Buch (alle möglichen stilistischen Fragen)

– http://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechtsmerkmal

– http://de.wikipedia.org/wiki/Sexismus

– http://de.wikipedia.org/wiki/Transsexualität

– http://de.wikipedia.org/wiki/Transidentität

– http://de.wikipedia.org/wiki/Transvestitismus

– http://de.wikipedia.org/wiki/Männerrock (alles andere als eine perverse Sache!)

– http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kleidungsstücke

– http://de.wikipedia.org/wiki/Transgender

– http://de.wikipedia.org/wiki/Vier-Elemente-Lehre (zweidimensionales Schema nach Aristoteles)

– http://de.wikipedia.org/wiki/Yin_und_Yang

– http://de.wikipedia.org/wiki/Animus_und_Anima

– http://de.wikipedia.org/wiki/Epigenetik (Einfluss auf das äußere Erscheinungsbild)

– http://de.wikipedia.org/wiki/Psychosynthese

– http://www.youtube.com/watch?v=TZRgqCa_OPY (Chris Crocker: The Boy or Girl Question)

– http://www.youtube.com/watch?v=3NCYwDmVaYI (Ein Makeover: "He is a Natural Woman")Diesen Film kann man nur über hidemyass ansehen. (Der Song ist von Carole King.)

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Anhang: Ausgewählte Texte zum Thema Männlichkeit

Regula Venske: Das Verschwinden des Mannes in der weiblichen SchreibmaschineS.9: Gedicht »Das Männliche Geschlechte« von Christiana Mariana von Ziegler (1695-1760):

»Du weltgepriesenes Geschlechte, du in dich selbst verliebte Schar, Prahlst allzusehr mit deinem Rechte, das Adams erster Vorzug war. Doch soll ich deinen Wert besingen, der dir auch wirklich zugehört; So wird mein Lied ganz anders klingen als das, womit man dich verehrt.Ihr rühmt das günstige Geschicke, das euch zu ganzen Menschen macht; Und wißt in einem Augenblicke, worauf wir nimmermehr gedacht. Allein; wenn wir euch recht betrachten, so seid ihr schwächer als ein Weib. Ihr müßt oft unsre Klugheit pachten, noch weiter als zum Zeitvertreib.Kommt her, und tretet vor den Spiegel: und sprechet selbst, wie seht ihr aus?Der Bär, der Löwe, Luchs, und Igel sieht bei euch überall heraus.Vergebt, ich muß die Namen nennen, wodurch man eure Sitten zeigt.Ihr mögt euch selber wohl nicht kennen, weil man von euren Fehlern schweigt.«

Wolfgang Rath: Not am Mann – Zum Bild des Mannes im deutschen GegenwartsromanS.14: "Was den Begriffsstempel 'Identitätsproblem' bei Max Frisch, 'Rollenproblematik' bei Martin Walser und 'deutscher Beatroman' bei Hubert Fichte trägt, enthält gleichzeitig Männerbilder. Der Mann und seine Geschlechterproblematik ist immer dabei: als Maschine, die unentwegt produziert, Produkte herstellt, tradi-tionelle Rollenschemata, weiblich deklarierte Versagerrollen, Identitätskrisen, Rollenkonflikte, Entindividuali-sierung, Entmenschlichung, Entfremdung, Suicid, gesellschaftliche Funktionsverluste; und gleichzeitig wird diese Maschine wiederum selbst produziert, ist an andere Maschinen angeschlossen: an Machtmaschinen, Schwächemaschinen, Kopfmaschinen, die Maschinen der geschlossenen Systeme, Liebesmaschinen, Sex-maschinen, Versachlichungsmaschinen, Entmenschlichungsmaschinen und der Kreis schließt sich; es gibt keinen Anfang und kein Ende, kein Kausalitätsprinzip.. Es funktioniert nur; so wie Maschinen funktionieren: Einschnitte, Brüche, Zerhacktes, jedenfalls nichts Ganzes, keine Einheit, kein geschlossenes System. Es gibt keine Form <wenn . . . dann>, keinen Ursache-Wirkungszusammenhang, nur das Prinzip der Reihung existiert, die Summierung, die Produktion der Produktion, abgehackt hintereinandergesetzt."

S.73: "In einer Welt, von der sich Gott abgesetzt und den paradiesischen Garten einheitlicher Beziehungen mitgenommen hat, greift das Individuum auf seiner Suche nach Rollenemanzipation in einen Schrottplatz verwirrender Widersprüchlichkeit. Statt in einer Märchenwirklichkeit eine erlösende Eindeutigkeit zu finden, zeigt sich der Mann als Statist, der objektiver Bestimmungen entbehrt. Das männliche Ich repräsentiert sich als Geschichte vom Hasen und vom Igel. In einem Wettlauf mit sich selbst versucht der Mann sein traditio-nelles Rollenrepertoire hinter sich zu lassen, doch so schnell er auch läuft, die Aura MANN erwartet ihn. Ob Start oder Ziel, die Faszination der Männlichkeit ist präsent. Der Wunsch nach ihrer Überwindung erscheint auch als Ruf nach ihr. So läuft er Mann im Kreis und weiß um keinen Anfang und kein Ende. Nur an Wieder-holungen erinnert er sich. Eine spiralförmige Bewegung ohne Ende. Ein universelles Ein-Mann-Theater hat das Zentrum des Subjekts besetzt und bestimmt das Feld des dezentrierten Ichs. Der Griff ins klassische Rollenrepertoire ersteht dabei zunehmend klarer als lächerliche Geste. Die männliche Überlegenheit ist mit der herkömmlichen Form von Autorität zerschmolzen und zur Komikfigur verkommen. Die Pleite der Männ-lichkeit breitet sich immer deutlicher als Allgemeinplatz aus. Eine Zeit der Umorientierung ist gekommen, in welcher der Mann seine verlorene Aura betrauert und die Überreste davon in einen anderen Inhalt evaku-ieren will. In einem männlichen Spiel mit der zerbrochenen Männlichkeit rekapituliert er seine Mythen, Träu-me und Wünsche: In einem rituellen Tanz der Selbsterkenntnis wird die Trauerfeier für die zaubrige Leiche MANN zelebriert, um zwischen den Zeilen und zwischen den geschlossenen Vorstellungsmustern neue Verbindlichkeiten aufzuspüren: im ständigen Vergleich zwischen Erlebnisanspruch und Erlebniswirklichkeit eine richtungsweisende Grauzone auszumachen."

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Andrea Gysling: Der grenzenlose Mann – Wahre und fragwürdige MännlichkeitS. 219 ff.: Vom Mann, der wirklich lieben kannIn meiner Kindheit gab es einen Helden, einen außerordentlich liebenswürdigen Antihelden. Er hieß Ferdinand. Ferdinand verstand etwas von der Liebe. Er war glücklich, sinnlich, kontemplativ, hatte kein Größenselbst, hatte es nicht nötig, sich dauernd zu profilieren, war zwar mächtig imposant gebaut, aber dennoch einfach herzensgut und völlig unaggressiv. Ich liebte Ferdinand.

Ferdinand war ein Stier, Hauptfigur meines Lieblings-Kinderbuchs mit dem Titel »Ferdinand der Stier«. Der Text ist nicht lang, ich gebe ihn hier wider:

»Es lebte einmal in Spanien ein junger Stier, der hieß Ferdinand. Alle die ändern jungen Stiere, mit denen er aufwuchs, liefen und sprangen den ganzen Tag umher und pufften sich gegenseitig mit dem Kopf. Nicht so Ferdinand. Er saß am liebsten ruhig da, um an den Blumen zu riechen. Seinen Lieblingsplatz hatte er draußen auf der Wiese unter einer Korkeiche. Dort saß er jeweils im Schatten des Baumes und roch an den Blumen. Seine Mutter, die eine Kuh war, machte sich manchmal Sorgen um ihn. Sie fürchtete, er könnte sich einsam fühlen so ganz allein. >Warum läufst du nicht umher und spielst mit den anderen jungen Stieren und puffst dich mit ihnen?< fragte sie ihn dann. Aber Ferdinand schüttelte jeweils den Kopf. >Mir gefällt es besser hier, wo ich ruhig dasitzen und an den Blumen riechen kann.< Seine Mutter sah ein, dass er sich nicht einsam fühlte, und da sie eine verständnisvolle Mutter war, wenngleich nur eine Kuh, ließ sie ihn gewähren und glücklich sein. Im Laufe der Jahre nun wuchs Ferdinand heran, bis er überaus groß und stark war. Alle die anderen Stiere, die mit ihm auf derselben Wiese herangewachsen waren, kämpften miteinander tagaus, tagein. Sie pufften sich ständig mit dem Kopf und rannten mit den Hörnern gegeneinander an. Am sehnlichsten jedoch begehrten sie, bei den Stierkämpfen in Madrid auftreten zu dürfen. Nicht so Ferdinand; noch immer saß er am liebsten ruhig da und roch an den Blumen. Eines Tages tauchten fünf Männer mit ulkigen Hüten auf, um für die Stierkämpfe in Madrid den größten, schnellsten und wildesten Bullen auszusuchen. Alle anderen Stiere liefen schnaubend und sich puffend umher und vollführten die verwegensten Sprünge, um von den Männern für ungemein stark und fürchterlich gehalten und auserkoren zu werden. Ferdinand wusste, daß er nicht aus-erkoren würde, machte sich indessen nichts daraus. Er suchte seinen Lieblingsplatz unter der Korkeiche auf, um sich wieder im Schatten zu lagern. Dabei gab er nicht acht, wo er sich hinsetzte, und statt ins schöne kühle Gras setzte er sich auf eine Hummel. Was tut man, wenn man eine Hummel ist und ein Stier setzt sich auf einen? Man sticht. Und genau das tat diese Hummel jetzt. Au! Mit Wehgeschrei fuhr Ferdinand auf. Wut-schnaubend und prustend rannte er umher, stieß mit den Hörnern um sich und stampfte wie besessen mit den Hufen. So erblickten ihn die fünf, und alle jauchzten vor Freude. Dies war der größte und fürchterlichste Bulle weit und breit. Gerade was sie brauchten für die Stierkämpfe in Madrid! Auf einem Karren wurde Ferdi-nand hinweggeführt. War das ein Tag. Fahnen flatterten, die Musik spielte... und alle die schönen Spanierinnen trugen Blumen im Haar. Bald fand der Aufmarsch in die Arena statt. Zuerst kamen die Banderilleros mit spitzen, bebänderten Stacheln, um den Stier damit zu stechen und wütend zu machen. Darauf kamen die Pikadores auf dürren Kleppern und mit langen Lanzen, um den Stier zu stechen und noch wütender zu machen. Dann erschien voller Stolz der Matador; er hielt sich für einen Ausbund von Schönheit und verneigte sich vor den Damen. Um die Schultern trug er den roten Mantel, und mit seinem Degen sollte er dem Stier den letzten Stich versetzen. Dann kam der Stier, und wer dieser war, ist leicht zu erraten - Ferdinand. Man nannte ihn Ferdinand den Fürchterlichen, und alle Banderilleros hatten Angst vor ihm, und die Pikadores hatten Angst vor ihm, und der Matador war starr vor Schreck. Ferdinand lief mitten in die Arena, und die Zuschauer jubel-ten und klatschten, denn sie glaubten, er werde fürchterlich kämpfen, schnauben und mit den Hörnern um sich stoßen. Aber weit gefehlt. Als Ferdinand in der Mitte der Arena anlangte, erblickte er die Blumen im Haar all der Schönen und setzte sich ruhig hin, um die Blumen zu riechen. Soviel man ihn auch reizte, er ließ sich nicht herbei, zu kämpfen und fürchterlich zu wüten. Er saß einfach da, inmitten der Blumen. Die Banderilleros waren wütend, und die Pikadores waren noch wütender, und der Matador war so wütend, dass er weinte, weil er sich nicht aufspielen konnte mit Tuch und Degen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als Ferdinand wieder in seine Heimat zu schaffen. Und wenn er nicht gestorben ist, so sitzt er noch heute dort an seinem Lieblingsplatz unter der Korkeiche und riecht ruhig an den Blumen. Er ist äußerst glücklich. Ende«(Leaf, M.: Ferdinand der Stier. Amstutz, Herdeg & Co., Zürich, MCMXLII).

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Hoffentlich ist er nicht gestorben, ich liebte ihn so sehr. Und sonst bekommt er einen Platz im Olymp, und wenn im folgenden von Männern, die tatsächlich lieben können, die Rede ist, dann haben sie eine Menge mit ihm gemeinsam. Eigentlich war Ferdinand ein Künstler, seine Wahrnehmung für das Besondere hoch entwickelt, er war auch ein Genießer und ein Stier mit Identität. Der ging seinen eigenen Weg. Er weigerte sich, die Er-wartungen der anderen zu erfüllen, und hörte nur auf sich selbst, auf das, was ihm selber wirklich wichtig war, zum Beispiel Sinnlichkeit, Gelassenheit, Hingabe an das Schöne, Leben und Lebenlassen. Der war so durch und durch männlich, dass er sich Passivität tatsächlich leisten konnte, es in keinster Weise nötig hatte, sich der Macht, der Herrschaft, dem Sieg, der Kraftmeierei, der Selbstdarstellung verschreiben zu müssen. Der hatte soviel Identität als Stier, dass er es riskieren konnte, aus dem Rollenklischee des Stiers vollständig aus-zubrechen. Blutrünstigkeit, Gefahr, den Zwang, der Stärkste zu sein, alles im Griff zu haben, sich keine Blöße geben zu dürfen, alles unter Kontrolle zu haben, Feindbilder, Heldentum fand er nur albern. Wie ich.

Er saß einfach da, inmitten der Blumen, umgeben von Schönheit, ohne darüber herrschen zu müssen. Er nahm das Weibliche, respektive sein Symbol, die Blumen, äußerst genau wahr. Das war es, was mir als Kind so gut gefiel, dass da einer Zeit hatte und genügend innere Harmonie, um Blumen (Frauen) wahrzunehmen und zu bewundern, statt sie einfach zu Zwecken der Selbsterhöhung oder Stabilisierung zu benutzen. Dass einer sich freute, so sehr, dass er sich glatt auf den Boden setzte, weil er so hingerissen war. Daß einer staunte und sich innig am Duft (des Weiblichen) ergötzen konnte, statt dauernd zu flüchten oder sich mit Allmachtsphantasien zu panzern oder Zerrbilder vom Weiblichen zu entwerfen, um seine neurotische Haut zu retten.

Ferdinand war bestimmt ein großartiger Liebhaber, keiner dieser grenzenlosen Stiere, die Weibchen nur be-nutzen können, weil sie so panische Angst haben vor der Hingabe, vor der Preisgabe, vor dem Verzicht auf Machtmuster. In Ferdinand hätte man sich hineinkuscheln können, Zärtlichkeit hätte ihn als Stier von Format nicht erschreckt. Aber wenn ihn der Duft der Blumen überwältigt hätte, dann wäre er wild wie der Frühlings-sturm geworden. Unwiderstehlich wild und stark.

Zugegeben, etwas einseitig passiv war er schon, und die Frage drängt sich mir heute auf, ob er sich souverän hätte behaupten können, wo Not am Stier gewesen wäre. Was mir heute an ihm fehlt, ist auch dies, dass er seine Welt nicht gestaltet, sie nur konsumiert, kein Zeichen setzt, sich nicht engagiert. Aber als ich ein Kind war, war das alles sekundär, damals kam ich noch nicht auf die Idee, dass er womöglich eine gewaltige neu-rotische Arbeitsstörung hatte und Angst davor, seinen Vater zu überrunden. Ich kam auch nicht auf die Idee, dass er womöglich konfliktunfähig war, im Ernstfall auf seine Weise genauso untauglich und unbrauchbar wie all die anderen Stiere, die in Konflikten nicht standhalten und höflich argumentieren, sondern bloß schnau-bend und rasend umherrennen und Machtkämpfe inszenieren können, weil es ihnen an echtem stierischem Rückgrat fehlt. Damals ahnte ich noch nicht, dass er womöglich ein Softie hätte sein können. Ich sah nur, dass da einer die Kraft hatte, nicht im großen Welttheater mitzuspielen, dass er sich nicht zur Marionette gesellschaftlicher Erwartungen machen ließ, dass er sich seinen Lebensinhalt auch nicht von einer ganzen Arena von Menschen diktieren ließ, sondern sich selber treu blieb. Und vor allem natürlich sah ich, dass er so hingerissen an den Blumen im Haar all der Schönen roch, Liebe wichtiger fand als Imponiergehabe, Hin-gabe wichtiger als Macht. Dafür liebte ich Ferdinand, dafür bewunderte ich ihn. Der hatte ja gar keine Angst vor Frauen. Gab's denn das ?!

Zur Ehrenrettung der anderen, von mir damals verachteten Stiere sei gesagt, dass Ferdinand natürlich eine Menge Glück gehabt hatte in seiner Jugend, nämlich eine wirklich einfühlsame Mutter, die den Sohn nicht mit ihren eigenen Erwartungen erschlug. Weder missbrauchte sie ihn als Krücke, um sich das eigene Allein-sein zu versüßen, denn sie ließ ihm seinen Raum. Noch missbrauchte sie ihn, um die eigene Lücke in der Selbstachtung aufzufüllen, denn sie ließ es zu, dass er den üblichen Karriereweg der Stiere verschmähte. Es ging ihr wirklich um ihn und um sein Seelenheil, nicht aber um sich und um das eigene Leben. Sie sorgte sich um ihn, weil er so anders war als all die anderen Stiere, aber sie drängte sich ihm nicht auf mit ihrer Sorge. Sie deformierte ihre Sorge nicht zur Überfürsorglichkeit, hinter der sich in aller Regel auch nur wieder Besitzansprüche und Kontrollwünsche verbergen. Als sie einsah, dass er nicht einsam war auf seiner Wiese, son-dern sein Alleinsein intensiv genießen konnte, da ließ sie ihn eben machen. Sie war da, aber nicht zu sehr. Sie hielt sich zur Verfügung, aber sie drängte sich nicht auf. Das Haus seines Selbst wurde von ihr immer respektiert. So wurde das Haus von Ferdinand stattlich und schön. Und er entwickelte Identität.

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Von Ferdinands Vater ist nichts überliefert. Aber da die Mutter eine reife, liebesfähige Mutter war, die ihren Sohn als den, der er war, wirklich wahrnehmen, respektieren und unterstützen konnte, muss davon ausgegangen werden, dass auch der Vater ein reifer Stier war. Gleich und gleich gesellt sich gern, ich habe es bereits gesagt. Eine reife Kuh nimmt nun mal keinen infantilen Stier, das ist ein Naturgesetz. Da sie sich selber genauso achtet wie später den Sohn, schenkt sie ihr Herz nur einem Stier, der eine Menge von Achtung, Respekt und Einfühlung versteht. Ferdinands Vater war also stark, aber nicht aufgebläht, verlässlich, unterstützend, zärtlich, interessiert, bewundernd und trug das Seine zur seelischen Reife des Sohnes bei, so müssen wir folgern. Ferdinand war als Kalb ein echter Glückspilz gewesen. Drum wurde er zum Traumstier, zum Stier der Stiere.

Was ich mit diesem Hinweis auf Ferdinands Jugend sagen will, ist dies: Die Fähigkeit, im Erwachsenenalter wirklich zu lieben, ist etwas, was wir in der Jugend lernen oder auch nicht, je nach Qualität der bemutternden und bevaternden Umgebung und auch nach Qualität unserer Anlage. Reife Liebesfähigkeit ist also niemals etwas, womit wir bereits zur Welt kommen. Reife Liebesfähigkeit entwickelt sich unter genügend guten Kindheitsbedingungen oder eben nicht. Glückspilze wie Ferdinand können lieben, wenn sie erwachsen sind, weniger Glückliche kaprizieren sich später auf Machtmuster und Manipulationsmanöver im Umgang mit den anderen. Das wären dann die grenzenlosen Stiere, die an Charakterstörungen, Symptomneurosen und Identitätsstörungen leiden, die narzisstischen, zwangsneurotischen, identitätsdiffundierten, schizoiden und depressiv-masochistischen Stiere, die immer nur eines kennen: Herrschaft oder Unterwerfung.

S. 251 ff.: Zu meinem Leidwesen habe ich keinen Roman- oder Märchenhelden gefunden, den ich hier als leuchtendes Vorbild anpreisen könnte. Die meisten Helden im Märchen halten es im Konfliktfall mit der All-macht nicht anders als der grenzenlose Mann im Alltag. So bleibt mir nichts anderes übrig, als eine Liste dessen zu erstellen, was ganze Männer im Konfliktfall tun und lassen. Beginnen wir an einem beliebigen Zipfel des komplizierten Gewebes reifer Konfliktfähigkeit:

1. Sie hören nicht weg, sie hören zu, selbst wenn es brenzlig wird und jemand ihre Autorität in Frage stellt. Sie lassen ihn ausreden, sie hören zu, und zwar so, dass sie nachher wiederholen können, was tatsächlich geäußert wurde. Weil das nicht immer einfach ist, wenn ein Gegenüber erregt ist, schimpft oder schluchzt, hören sie nicht nur zu, sondern sie stellen sogar noch Fragen, weil sie erfahren möchten, ob sie auch richtig verstanden haben.

2. Angenommen, das, was ihnen da zu Ohren kommt, trifft den Nagel auf den Kopf, dann sind sie Manns ge-nug, zuzugeben, dass da etwas dran sein könnte. Und obwohl sie also sagen: »Ich fürchte, da hab' ich einen Mist gebaut«, sind sie noch immer Männer und keineswegs kastriert. Für das Gegenüber aber werden sie in diesem Moment zum Supermann, zu einem Menschen, den man achten kann.

3. Angenommen aber, das, was dem ganzen Mann im Konfliktfall zu Ohren kommt, trifft den Nagel aus seiner Sicht gerade nicht auf den Kopf, so macht er keinerlei Sachkonzessionen »dem Frieden zuliebe«. Er bleibt also dabei, dass man das Heu jetzt nicht auf demselben Dachboden hat.

4. Ungeachtet dieser kleineren oder gravierenden Meinungsverschiedenheiten bleibt er dabei, dass sein Gegenüber ein Recht darauf hat, etwas grundsätzlich anders zu sehen oder zu erleben als er selbst. Und weil er ihm dieses Recht tatsächlich zugesteht, maßt er sich auch nicht an, irgendwelche Urteile über dieses Gegenüber zu fällen. Er macht sich also nicht zum Maß aller Dinge, er macht sich bloß zum Anwalt seines persönlichen Anliegens in diesem Konflikt. Das heißt, er redet von sich, aber nicht von den Unarten des anderen. Weder unterstellt er dem Gegenüber unlautere Absichten, noch gibt er ihm Zensuren, noch inter-pretiert er das Verhalten des anderen, noch schmückt er das Gegenüber mit diskreditierenden Etiketten wie »blödes Weibsbild«, »Monstrum«, »hysterische Kuh«. Der ganze Mann ist, wie man sieht, selbst in Konflikten ein ausnehmend höflicher Mann. Dennoch ist er gerade das Gegenteil eines Schwächlings, Anpassers und Softies. Er ist nur einfach wohlerzogen und anderer Ansicht.

5. Statt dem Gegenüber angst zu machen, ihm Wunden zuzufügen, es zu entwerten, ihm zu drohen, es in die Knie zu zwingen, argumentiert er. Da er keine Angst vor Konflikten, vor Kontroll- und vor Gesichtsverlust hat, weil er sich auf seine Männlichkeit tatsächlich verlassen kann, wird er nicht zum Angstbeißer. Er ist zwar anderer Meinung, aber er entwertet den anderen nicht. Und er bevormundet ihn auch nicht. Sein Dialog ist bar aller Herrschaftsmanöver. Er hat derlei ja nicht nötig.

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6. Um die Beziehungsebene nicht zu gefährden, obwohl da jetzt heftig gestritten wird, lässt er in Konflikten den anderen spüren, dass er ihn versteht, obwohl er anderer Meinung ist. So sagt er etwa: »Wenn ich mir vor-stelle, ich wäre du, dann würde mich das auch nerven, kränken, stören etc. Deine Wut kann ich dir nachfühlen. Nachgeben kann ich in diesem Punkt dennoch nicht, weil ich damit mich selbst verraten würde.« Und dann legt er seine Gründe dar, wieso er jetzt auf einem anderen Dampfer sitzt. Er rechtfertigt sich nicht, er vertei-digt sich nicht, er bleibt ganz einfach dabei, dass er ernstzunehmende Gründe hat. Aber niemals entlässt er das Gegenüber aus seinem Respekt, seinem Verständnis und seiner Anteilnahme.

7. Da der ganze Mann tatsächlich zuhören kann und imstande ist, sich in ein Gegenüber einzufühlen, ohne sich einfach unterbuttern zu lassen, geht ihm beim Streiten ein Licht auf. Er begreift plötzlich, so wie man manchmal Träume begreift: »Aha, da liegt der Hase im Pfeffer« und sieht sein Gegenüber in einem neuen Licht. Da er offen ist für den anderen, lernt er im Streit etwas über ihn. Dadurch entsteht mehr an Nähe, an Verbundenheit. Die Beziehung intensiviert sich.

8. Zugleich sorgt der ganze Mann für Wechselseitigkeit und die Ebene der Gleichheit. Ohne sich anzumaßen, im Besitz der allein seligmachenden Wahrheit zu stehen, bringt er dem anderen umgekehrt seine eigene Wahrheit bei. Wenn er stark ist und gut argumentiert, den ändern konsequent vor Herabsetzung und Bevor-mundung und damit vor jeglichem Machtmanöver bewahrt, dann geht auch dem ändern beim Streiten ein Licht auf.

9. Zwei neu »Erleuchtete« mit verschiedenen Standpunkten, die den Standpunkt des anderen jetzt eher begreifen können, stehen einander nun gegenüber. Das viele Licht, das ihnen aufgegangen ist, macht sie kompromissbereiter. Kompromisse, die jetzt, nach gehabtem kreativem Streit, ausgehandelt werden, sind keine faulen Kompromisse mehr, sondern Kompromisse, mit denen sich leben lässt. Sind Kompromisse nicht möglich, wird weiter argumentiert, so lange, bis eine akzeptable Lösung gefunden ist.

10. Jetzt trinken sie zusammen ein Bier und sind heilfroh, diesen Konflikt souverän gelöst zu haben. Zwar flogen auf der Sachebene die Fetzen, denn es ging um die Wurst, aber die Liebe wurde vom ganzen Mann eben doch nicht geopfert. Halleluja!

ergänzende Anmerkungen zu diesem Text:Die Bezeichnung "grenzenlos" bezieht sich auf solches Verhalten, das in Folge von Überdosierung der maskulinen und/ oder femininen Dimension in Richtung Psychopathie geht.Wo hier von "Männern" gesprochen wird, ist eigentlich ganz allgemein von Menschen die Rede, d.h. in einer ungewöhnlichen Sichtweise der ursprünglichen Gleichsetzung von Mensch = Mann in sämtlichen Sprachen der Welt (engl.: man / französ.: homme / griech.: ἄνθρωπος / chines.: 人)insofern als Männer das Recht und die Pflicht wahrnehmen sollten, sich wie Menschen zu benehmen.Transmenschen dürfen also überall, wo "er" steht, getrost "er / sie" lesen.In diesem Sinne geht es in diesem Text um Emanzipation im Sinne von Gleichberechtigung,was zu der Erkenntnis führt, dass man auch "auf Augenhöhe" wirksam miteinander kämpfen kann,(1) ohne den Kontakt zu sich selbst oder zum Gegenüber zu verlieren, (2) ohne sich selbst oder das Gegenüber abzuwerten und (3) ohne am Dualismus "entweder Sieg oder Niederlage" zu kleben.Wichtig ist hierbei, dass Emanzipation zwei Seiten hat und keineswegs "reine Frauensache" ist.

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Jula Böge: Ich bin (k)ein Mann ...

1. Kapitel: Wir sind Aschenputtel!

Ein Märchen hatte es mir als Kind besonders angetan: Aschenputtel! Und natürlich identifizierte ich mich mit Aschenputtel. Heute, mit einer Menge zeitlichem Abstand mag ich das Märchen immer noch. Aschenputtel ist für mich das Identifikationsmärchen schlechthin für genetisch männliche Transgender, die sich als Frau sehen. Und dafür gibt es viele Gründe.

• Hässliche KleiderAschenputtel musste im Märchen einen grauen Kittel und klobige Holzschuhe tragen, während die Schwes-tern in schönen Kleidern einhergingen. Schöne Mädchen- oder Frauenkleider sind für viele von uns ein un-erreichbarer Traum. Wir müssen uns mit grauen Männersachen und klobigen Männerschuhen arrangieren.

• Verspottet von den Schwestern und der StiefmutterViele Crossdresser haben davor eine Höllenangst, dass sie verspottet und belächelt werden, wenn sie zu ihren Wünschen stehen. Die Scham, „schmutzig" zu sein und nicht für schöne Kleider vorgesehen zu sein, ist eine Begleiterin, die viele von uns haben.

• Keine FreundeAschenputtel ist einsam, obwohl sie mit verschiedenen Menschen im Haus lebt. Vater, Stiefmutter und Stief-schwestern sind zwar da, doch sie sind keine Ansprechpartner für Aschenputtel. Die Familie gestand Aschen-puttel nicht zu, ein Mädchen zu sein, sie war bloß eine Magd. Ebenso wie uns in vielen Familien und Partner-schaften nicht zugestanden wird, zumindest ein wenig Frau zu sein. Wir sind auf die Rolle des Mannes fixiert.

• Linsen sortierenEs geht mir und vielen anderen Crossdressern nicht anders als Aschenputtel. Wenn überhaupt, dann dürfen viele Crossdresser erst dann auf den Ball, wenn die Männerarbeit getan ist und die Männerpflichten erledigt sind und dann noch Zeit übrig bleibt.

• Darf nicht mit auf den BallLetztendlich aber, selbst wenn wir alle unsere Pflichten erledigt haben, dürfen wir doch nicht mit. All unsere Anstrengungen, den an uns gerichteten Erwartungen zu genügen, helfen uns nicht. Wir erwerben durch Fleiß und Gehorsam nicht das Recht unseren inneren Bedürfnissen entsprechend zu leben. Ebenso wenig wie Aschenputtel ihre fixe Linsensortierarbeit hilft. Denn die Stiefmutter sprach: „Es hilft dir alles nichts, du kommst nicht mit, denn du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen; wir müssten uns deiner schämen." So sieht es leider im Leben vieler Crossdresser aus! Falls wir überhaupt in unserer Familie den Mut aufbringen, zu unseren Wünschen zu stehen und Frau sein möchten, dann werden wir häufig genau das erleben. Unseren Wünschen wird entgegengehalten, dass wir hässlich sind und unsere Wünsche irreal. Du darfst nicht raus! Was sollen denn die Nachbarn sagen? Wir müssten uns für dich schämen.

• Schöne Kleider durch ZaubereiViele Crossdresser wünschen sich, sie hätten auch einen solchen Haselnussbaum, denn wie sonst sollten sie an die schönen Frauenkleider und Schuhe kommen, die sie sich wünschen. Für viele Crossdresser sind die Chancen, schöne Kleider zu kriegen, kaum besser als für Aschenputtel. Das geht manchmal schon beim Geld los, das man dafür haben und an der Familienkasse vorbeilotsen muss. Und damit nicht genug: wann kauft man Kleider und wo? Wie Aschenputtel können wir nicht einfach in einen Laden gehen. Gut, ich gebe zu, wir könnten es und ich tue es inzwischen auch. Doch solange ich noch in der Asche hockte, waren schöne Kleider unendlich weit weg.

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• Schön auf ZeitAschenputtels geliehene Schönheit war nur auf kurze Zeit bemessen. So lebe auch ich als Frau und viele andere ebenfalls. Wenn die Alltagspflichten erledigt sind, dann sind wir Frauen auf bemessene Zeit. Wir müssen am nächsten Tag wieder arbeiten, wir haben Pflichten. Viel zu schnell ist die Zeit als Frau vorbei und die Familie kommt wieder heim und möchte das Aschenputtel, also den Mann wieder so vorfinden, wie er aussehen soll.

• Verheimlichen der wahren IdentitätSo wie Aschenputtel vor dem Prinzen flüchtet, so flüchten wir Transgender häufig davor, erkannt zu werden. Niemand soll wissen, wer die Prinzessin wirklich ist. Und so rennen und verstecken wir uns wie Aschenputtel, damit niemand in ihr die Ballprinzessin erkennt.

• Ahnungslose AngehörigeDer Vater in dem Märchen hat eine Ahnung, wer die Schöne auf dem Ball war. Doch selbst er will es nicht wirk-lich glauben. „Nein", sagte der Mann, „mir von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines Aschenputtel da; das kann unmöglich die Braut sein." Aber doch, gerade wir, in denen die nächsten Angehörigen, Freunde und Nachbarn nicht im Traum eine Frau vermuten würden, sind es. Es ist eine übliche, aber grundfalsche Vermutung, dass man Transgendern irgendwie ansehen kann, dass sie sich in ihrem Geburtsgeschlecht nicht daheim fühlen. Doch bei uns kann man dem Äußeren nicht trauen. Körpergröße, Figur, Gesichtszüge, Muskulatur - all das lässt keinen Rückschluss darauf zu, wie die Person im Inneren fühlt. Wenn man auf einer Transgenderparty ist, dann scheint es geradezu, als ob sich die Natur aus Bosheit die ungeeignetsten Exemplare beider Geschlechter ausgesucht hätte, um sie mit dem Bedürfnis nach der anderen Seite auszu-statten. Riesige, breitschultrige Frauen stehen neben winzigen, schmächtigen Männern. Unsere Weiblichkeit oder Männlichkeit ergibt sich nun mal gerade nicht aus unseren körperlichen Gegebenheiten, sondern sie behauptet sich gerade im häufig scharfen Kontrast zu ihnen.

• Der Schuh verrät unsAschenputtels Schuhe passen den Schwestern nicht. Den meisten Frauen würden meine Schuhe auch nicht passen. Sie wären ihnen einfach zu groß. Unsere Kleidung verrät uns. Wir passen auf und verstecken uns, doch irgendjemand findet unsere Kleidung. Wenn wir Glück haben, dann führt das zur Erlösung und zu einem glücklicheren Leben für Aschenputtel.

• Rettung durch den Prinzen!Selbst das gilt für uns! Viele von uns sitzen ewig in der Asche und träumen davon, dass endlich das Wunder geschieht, das es ihnen ermöglicht, einmal die Ballprinzessin zu sein. Die weite Verbreitung von Fantasien, in denen wir von wem auch immer gegen unseren Willen gezwungen werden, eine weibliche Rolle zu über-nehmen und weibliche Kleidung zu tragen, zeigt, wie sehr wir darauf warten, dass andere uns unser Lebens-glück geben, anstatt es uns selbst zu nehmen.

• Brauchen wir ein Wunder?Einen wichtigen Aspekt habe ich mir für den Schluss aufgehoben: Ja, Aschenputtel wurde durch ein Wunder erlöst. Doch die Bedingungen, die dazu führten hat sie selbst geschaffen. Weil sie ihn pflanzte und pflegte, gab es den Haselnussbaum und darauf das wundertätige Vögelchen. Weil sie sich über die Anordnungen der Stiefmutter hinwegsetzte, kam sie überhaupt auf den Ball. Sie ist nicht einfach in der Asche hocken geblieben und hat sich bedauert, sondern hat etwas getan, um ihr Schicksal zu ändern. Sie hat sich schöne Kleider beschafft und ist auf den Ball gegangen.

Wenn man sich all diese Aspekte vor Augen führt, dann gibt es für mich nur eine Schlussfolgerung:Ich bin Aschenputtel! Wir Transgender sind Aschenputtel! Schade nur, dass viele von uns noch daheim in der Asche hocken und auf das Wunder warten.